Unfallverhütung im Betrieb - Entwicklung einer Konzeption zur Mitarbeiterschulung innerhalb eines Automobilunternehmens


Diploma Thesis, 1996

144 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel - Einleitung

2. Kapitel - Unfallverhütung im Betrieb
2.1 Grundbegriffe
2.2 Gesetzliche Grundlagen
2.3 Unfallverhütung in der BRD
2.4 Maßnahmen zur Unfallverhütung: Technik, Organisation, Verhalten
2.5 Attribution von Unfällen
2.6 Ursache-Wirkungs-Modelle mit ganzheitlicher Sichtweise

3. Kapitel - Darstellung der Sicherheitsarbeit der Mercedes- Benz AG, Werk Wörth
3.1 Strukturelle Arbeitssicherheitsorganisation im Werk Wörth
3.2 Aufgaben und Ziele des Arbeitsschutzes
3.3 Bisherige Maßnahmen zur Arbeitssicherheit
3.4 Gruppenarbeit im Werk Wörth und ihre Relevanz für die Seminarkonzeption

4. Kapitel - Kleingruppenkonzepte in Organisationen
4.1 Charakteristika von Gruppen in Organisationen
4.2 Durch Kleingruppen Mitarbeiter motivieren
4.3 Zusammenfassende Bewertung mit Ausblick auf die Seminarkonzeption

5. Kapitel - Seminarkonzeption
5.1 Gedanken zur Planung
5.2 Seminarverlauf (grob) und Rahmenplanung
5.3 Gegliederter Seminarverlauf: Zeit, Inhalt, Methode/Durchführung, Lernziele
5.4 Seminarinhalt und Durchführung

6. Kapitel - Resümee und Ausblick

7. Kapitel - Literaturverzeichnis

Kapitel 1 Einleitung

Die Naturgesetze sind unveränderlich; es gibt jedoch keine menschliche Einrichtung, nichts Menschliches überhaupt, das nicht verändert werden könnte - angefangen (oder besser aufgehört) beim Menschen selbst.

(André Gide)

Jedem[1] sind wohl Namen wie Bhopal, Seveso oder Tschernobyl ein Begriff. Sie stehen für Katastrophen mit beträchtlichem Ausmaß. Im Anschluß an konsternierende Ereignisse wie diese folgt meist die fassungslose Frage nach den Ursachen. Wie konnte es zu solch einem Unfall kommen? Wer trägt die Schuld daran? Wie können Unfälle dieser Art in Zukunft vermieden werden?

Menschen neigen dann dazu, die Schuld im oft vermeintlich schwächsten Glied der Kette, dem menschlichen Verhalten, zu suchen. Der Mensch als Sicherheitsrisiko, der immer weniger mit der hochtechnisierten, durch Rationalisierung und Lean Production geprägten Umwelt zurecht kommt, der unter Zeitdruck zu unüberlegten Handlungen neigt, der durch gruppendynamische Prozesse zu riskantem Verhalten tendiert, der sich in einem Zustand der Sorglosigkeit befindet und glaubt, daß das bisherige Ausbleiben negativer Konsequenzen Bestand haben wird und der die durch Sicherheitsvorschriften eingeschränkte Freiheit durch sicherheitswidriges Verhalten wieder zurückerobern möchte.

Nicht verwunderlich ist es also, daß das Verhalten des Menschen immer mehr in den Blickpunkt von Managern und Sicherheitsfachkräften eines Unternehmens tritt, die aus rechtlichen, betriebswirtschaftlichen und letztlich volkswirtschaftlichen Gründen ein Interesse am sicherheitsgerechten Verhalten des Mitarbeiters haben. Als Zauberwort und zugleich erfolgversprechende Methode der Verhaltensbeeinflussung gilt dabei die Motivation. Wie können Mitarbeiter zu sicherheitsgerechtem Verhalten veranlaßt werden, und umgekehrt, wie kann erreicht werden, daß Mitarbeiter sicherheitswidriges Verhalten unterlassen?

Antworten auf diese Fragen werden meist in der Psychologie, vornehmlich der Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie, gesucht. In weit geringerem Ausmaß konnte sich bisher die Pädagogik in diesem Bereich etablieren, was eigentlich erstaunlich ist, bietet doch gerade die Pädagogik im methodisch-didaktischen Bereich wertvolle Erkenntnisse, hier v.a. in der Erwachsenenbildung und Berufspädagogik. In der vorliegenden Arbeit greife ich deshalb auf psychologische und pädagogische Erkenntnisse zurück.

Motivation ist auch das Schlüsselwort dieser Arbeit. Ziel ist die Entwicklung einer Seminarkonzeption, die zur Motivation der Mitarbeiter der Mercedes-Benz AG im Werk Wörth beitragen soll. Die Idee, eine Seminarkonzeption zu entwickeln, enstand in Gesprächen mit dem Arbeitsschutz in Wörth, insbesondere mit ihrem Leiter, Herrn Kipfmüller. Anfangs war noch unklar, wer eigentlich geschult werden sollte: die Sicherheitsingenieure selbst oder die in der Produktion beschäftigten Mitarbeiter. Verschiedene Möglichkeiten wurden in Erwägung gezogen, über deren Vor- und Nachteile reflektiert, schließlich eine Entscheidung getroffen: Zielgruppe der geplanten Weiterbildungsmaßnahme sind die Gruppensprecher, die in jeder Gruppe des Unternehmens als eine Art Vermittler zwischen Gruppe und Vorgesetztem fungieren, wobei sie die Interessen der Gruppe vertreten.

Damit ist das Ziel beleuchtet, aber der Weg dorthin noch dunkel. Den Gegenstand erhellen, um ein letztes Mal im Bild zu bleiben, soll u.a. das zweite Kapitel.

Jeder Bereich bringt seine eigene Fachsprache mit sich. Auch der Arbeitsschutz bildet hier keine Ausnahme, weshalb ich vorab grundlegende Begriffe kläre, die zugleich einen ersten Eindruck von der Thematik vermitteln sollen. Den aktuellen Stand der Unfallentwicklung in der BRD und die rechtlichen Grundlagen, auf denen jegliches Handeln des Arbeitsschutzes basiert, spiegeln Kapitel 2.2 und 2.3 wieder, wobei ich einerseits aufzeige, daß angesichts einer seit zehn Jahren stagnierenden Unfallentwicklung neue Ansätze dringend gebraucht werden und andererseits, daß die Weiterbildung des Mitarbeiters in Sachen Sicherheit gesetzlich vorgeschrieben ist.

Verschiedene Maßnahmen tragen dazu bei, Unfälle zu vermeiden und Sicherheit zu gewährleisten (Kapitel 2.4). Diese Maßnahmen sind technischer, organisatorischer und verhaltensbezogener Natur, wobei ich besonders die im Arbeitsschutz gängigen verhaltensbezogenen Maßnahmen vorstelle. Hier knüpft das anschließende Kapitel 2.5 an, indem beschrieben wird, wo die Ursachen für Unfälle liegen und warum Menschen dazu tendieren, die Schuld eines Unfalls meist im menschlichen Versagen zu sehen, was anhand einer Untersuchung von Packebusch (1990) deutlich wurde, in der über 90% der befragten Personen menschliches Fehlverhalten als Unfallursache angaben. Kapitel 2.6 zielt genau in diese Problematik. Anhand von zwei Ursache-Wirkungs-Modellen werde ich zeigen, daß eine ganzheitliche Ursachenanalyse notwendig ist, will man nicht durch oberflächliche Analysen allein, getreu dem Motto “errare humanum est”, den Menschen als Übeltäter an den Pranger stellen.

Im dritten Kapitel werde ich näher auf die spezifischen Bedingungen bei Mercedes-Benz eingehen. Nach einer kurzen Einführung, welche die momentane Situation im Werk Wörth umreißt, werde ich die strukturelle Arbeitssicherheitsorganisation skizzieren, die sich aus den gesetzlichen Vorschriften ergibt. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Stellung des Arbeitsschutzes und der Gruppensprecher in der Sicherheitsstruktur, denn diese bilden schließlich die Zielgruppe der Seminarkonzeption. In Kapitel 3.2 werden die unterschiedlichen Aufgaben und Ziele des Arbeitsschutzes festgestellt, wobei zu sehen sein wird, daß sich die Ziele des Arbeitsschutzes der Mercedes-Benz AG teilweise deutlich von anderen Unternehmen (z.B. DuPont) unterscheiden. Um die Seminarkonzeption den spezifischen Bedingungen bei Mercedes-Benz anpassen zu können, mußte untersucht werden, welche Maßnahmen bisher eingesetzt wurden, um Unfälle zu vermeiden und für Sicherheit zu sorgen. Neben technischen und organisatorischen Maßnahmen werden v.a. verhaltensbezogene Maßnahmen fokussiert, die im Rahmen dieer Arbeit natürlich von besonderem Interesse sind. Es wird deutlich werden, daß die bisherigen Maßnahmen vorwiegend die extrinsische Motivation der Mitarbeiter ansprechen und folglich weniger auf die intrinsische Motivation ausgerichtet sind. Das nächste Kapitel (3.4) widmet sich der Gruppenarbeit im Werk Wörth, die seit 1992 peu à peu eingeführt wird. In diesem Kapitel werde ich veranschaulichen, warum die Gruppensprecher als Zielgruppe ausgewählt wurden und welche Konsequenzen daraus resultieren.

Das vierte Kapitel spannt anfangs den Bogen weit auf, indem es charakteristische Merkmale von Gruppen analysiert. Interessant wird in diesem Zusammenhang sein, wann die Gruppenleistung der Einzelleistung überlegen ist und inwiefern dies für die Seminarkonzeption genutzt werden kann. Ebenfalls wird das in der Sozialpsychologie oft untersuchte Phänomen des Risikoschubs hinsichtlich seiner Bedeutung für die Seminarkonzeption geprüft. In Kapitel 4.2 wird der Blickwinkel auf bestimmte Formen von Kleingruppenkonzepten eingegrenzt. Es kann im folgenden gezeigt werden, daß die Arbeitsorganisation im Werk Wörth den spezifischen Merkmalen des Qualitätszirkelkonzepts nahe kommt. Im Mittelpunkt des Interesses stehen neben der Beschreibung der verschiedenen Kleingruppenkonzepte v.a. Ergebnisse empirischer Untersuchungen, die den Motivationseffekt, der von Konzepten dieser Art ausgehen soll, einer kritischen Betrachtung unterzieht. Das folgende Kapitel (4.3) vergleicht die unterschiedlichen Kleingruppenkonzepte, faßt die erhaltenen Ergebnisse zusammen und zeigt Konsequenzen für das Seminarkonzept auf.

Schwerpunkt der Arbeit bildet Kapitel 5, da es die entwickelte Seminarkonzeption beinhaltet. Bevor jedoch der Seminarverlauf im einzelnen erläutert wird, werden in Kapitel 5.1 Vorüberlegungen dargelegt, welche die Planung des Seminars beeinflussen. Dabei werden zum einen Ergebnisse aus teilnehmenden Beobachtungen und unstrukturierten Interviews berücksichtigt, zum anderen Einflußgrößen aufgezeigt, die bei der Planung eines Seminars in Wechselwirkung zueinander stehen, wie z.B. Lernziele, Wahl der Methode, Zielgruppe, Rahmenbedingungen usw. Aus diesen Überlegungen heraus werden dann die Lernziele und Grundelemente des Seminars entwickelt. Das kurze Kapitel 5.2 gibt eine Übersicht über den groben Seminarverlauf und zeigt die Rahmenplanung in tabellarischer Form. Der eigentliche Kern des Seminars wird im folgenden Kapitel thematisiert. Der zeitliche, inhaltliche und methodisch-didaktische Ablauf wird hier in tabellarisch übersichtlicher Form präsentiert. Das sich anschließende Kapitel erläutert Inhalt und Durchführung des Seminars. Hier werden Hintergründe zu den im Seminar benutzten Modellen erklärt, das genaue Vorgehen des Kursleiters beschrieben und Begründungen geliefert, die Zeitpunkt, Methodik und Didaktik betreffen.

Das letzte Kapitel resümiert die gewonnenen Erkenntnisse, untersucht, inwiefern Ziele erreicht wurden und stellt fest, welche Fragen offen geblieben sind.

Kapitel 2 Unfallverhütung im Betrieb

2.1 Grundbegriffe

Um den Einstieg in die Thematik zu erleichtern, sollen a priori einige Begriffe geklärt werden, die in der Fachliteratur immer wieder auftauchen. Leider sind die Begriffe, wie so oft, nicht einheitlich definiert. Ich werde mich deshalb auf die Definitionen beziehen, die mir persönlich plausibel und zweckmäßig erscheinen.

Klärungsbedarf besteht bei den Begriffen Unfall, Gefahr, Gefährdung, Risiko, Gefahrenkognition.

Unfall wird nach Skiba (1973) definiert als das „plötzliche, ungewollte, eine Körperverletzung bewirkende Zusammentreffen eines Menschen mit einem Gegenstand“ (S. 24). Das Modell in Abbildung 1 verdeutlicht diesen Zusammenhang.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1

Modell zum Begriff Unfall (nach Skiba, 1973, S. 24)

Diese Definition impliziert, daß Ereignisse nur dann als Unfälle bezeichnet werden, wenn sie mit einem Personenschaden einhergehen. Ausgeschlossen werden dabei Ereignisse, die “nur” Sachschäden nach sich ziehen. Eine ähnliche Definition fand ich in den Unterlagen von Mercedes-Benz, wo folgendes zu lesen ist: „Unfall ist ein plötzlich von außen kommendes, unvorhergesehenes Ereignis mit Körperschaden“ (Mercedes-Benz, 1996b).

Bei beiden Definitionen ist der Unfall ein punktuelles Ereignis. Ursachen und Bedingungen, die zu dem Unfall geführt haben, bleiben unbeachtet. Fokussiert werden v.a. die Folgen, also die Körperverletzung einer Person.

Benner (1975) hat deshalb versucht, Beginn und Ende eines Unfalls genauer festzulegen. So beginnt für Benner (1975; zitiert nach Hoyos, 1980, S. 30) der Unfall „mit einem Störfall und endet mit dem letzten verletzenden oder schädigenden Ereignis innerhalb einer Sequenz unfallfördernder Ereignisse“. Als Störfall (perturbation) werden externe Einflüsse bezeichnet, die den Systemablauf behindern und aus dem Gleichgewicht bringen (Hoyos, 1980). Kann von den beteiligten Personen auf den Störfall reagiert werden, sodaß das System wieder in das ursprüngliche Gleichgewicht gebracht wird, wird ein Systemversagen, und damit der Unfall, verhindert. Man spricht dann von einem Beinahe-Unfall.

Der Ansatz von Benner ist interessant, da er eine ganzheitliche Betrachtungsweise beinhaltet. Der Unfall wird nicht mehr als etwas völlig Unvorhersehbares gesehen, da berücksichtigt wird, daß bestimmte “Ereignissequenzen” (Benner, 1975) Bedingungen ergeben, aus denen letztlich ein Unfall resultieren kann. Präventives Vorgehen wird dadurch erleichtert; folglich auch die Überlegung, welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um Konstellationen von Ereignissen zu vermeiden, die zu einem Unfall führen können. Der Fokus liegt dadurch mehr bei den Ursachen und Bedingungen und weniger bei den Folgen.

Nach Hoyos (1980, S. 38) ist Gefahr eine „potentielle, unabhängig vom Handelnden vorhandene Möglichkeit für das Entstehen von Personen- oder Sachschäden durch freiwerdende, schädigende Energien“.

Energien können verschiedener Art sein. So gibt es Wärmeenergien (z.B. schmelzflüssige Stoffe), chemische Energien (z.B. ätzende Stoffe), elektrische und magnetische Energien, potentielle Energien (z.B. Gegenstände, die über einer Person schweben), kinetische Energien (z.B. Person beim Gehen, Stolpern...) usw.

Von diesen Energien gehen Gefahren aus, die wiederum an Gefahrenträger gebunden sind. Gefahrenträger können sowohl Personen, als auch Gegenstände sein (Hoyos, 1980; Kirchner, 1996; Skiba, 1973).

Zu einer Gefährdung kommt es, wenn „die Möglichkeit besteht, daß Person und Gefahr räumlich und zeitlich zusammentreffen“ (Schneider, 1977, S. 1). Deshalb spricht Hoyos (1980, S. 38) bei der Gefährdung auch von einer „Interaktion von Mensch und Gegenstand . . ., bei der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schädigende Energie übertragen werden kann“. Gährdung beschreibt demnach eine Situation, in der ein Aufeinandertreffen von Mensch und Gefahr möglich wird.

Abbildung 2 verdeutlicht den Unterschied zwischen Gefahr und Gefährdung. Während bei einer Gefahr Mensch und Gegenstand so voneinander getrennt sind, daß sie nicht zusammenkommen können, besteht bei einer Gefährdung die Möglichkeit, daß sie zusammenstoßen.

Ein Beispiel: eine Kreissäge stellt durch ihr laufendes Sägeblatt eine Gefahr dar. Eine Gefährdung entsteht jedoch erst, wenn eine Person in die unmittelbare Nähe des Sägeblatts gelangt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2

Modell zu den Begriffen Gefahr (links) und Gefährdung (rechts) (nach Skiba, 1973, S. 26)

Hoyos (1980, S. 38) definiert als Risiko „die subjektive Wahrscheinlichkeit eines Person- oder Sachschadens“. Der Mensch setzt sich bewußt einem Risiko aus oder geht bewußt ein Risiko ein, wofür es unterschiedliche Gründe geben kann (s. Kapitel 4.1).

Eine Situation wird dann riskant, wenn die handelnde Person die Wahrscheinlichkeit als relativ hoch einschätzt, daß Person- und/oder Sachschaden entsteht. Je höher die Wahrscheinlichkeit eines von der handelnden Person antizipierten Unfalls ist, desto größer wird diese auch das Risiko bewerten, welches sie in ihrem Handeln eingeht. Dies wird als Eintrittswahrscheinlichkeit eines Unfalls (Mercedes-Benz, 1996b) bezeichnet.

Die Höhe des Risikos ist aber nicht nur von der Eintrittswahrscheinlichkeit abhängig, sondern auch von der geschätzten Unfallschwere.

Daraus ergibt sich: Risiko = geschätzte Unfallschwere + Eintrittswahrscheinlichkeit (Preuss, 1996). Die subjektive Komponente ist demnach entscheidend für die Einschätzung des Risikos und nicht die objektiv gegebene Situation wie bei der Gefährdung.

Die Risikoeinschätzung wiederum hängt von der Gefahrenkognition ab. Unter Gefahrenkognition ist die Wahrnehmung, Einschätzung und Erkennung von Gefahren zu verstehen (Hoyos, 1980; Musahl & Alsleben, 1990; Preuss, 1996).

Nach Zimolong (1995) entwickeln Menschen im Laufe ihres Lebens eine Kompetenzerwartung bzw. Risikokompetenz hinsichtlich der Bewältigung gefährlicher Situationen. Diese subjektiven Vorstellungen prägen das sichere oder sicherheitswidrige Handeln von Personen (Zimolong, 1995). Folglich gehen Personen, die eine hohe Risikokompetenz haben, “leichtsinniger” mit Gefahren um, als Personen, die eine niedrige Risikokompetenz aufweisen.

Ziel der Sicherheitsarbeit eines Unternehmens muß demnach sein, Bewußtsein für Gefahren und den damit einhergehenden Risiken zu erwecken. Als besonders gefährdete Zielgruppe sind Personen anzusehen, die Kraft ihrer Erfahrung eine sehr hohe Risikokompetenz für sich in Anspruch nehmen und dadurch leichtsinnig mit Gefahren umgehen.

2.2 Gesetzliche Grundlagen

Die Unfallverhütung stellt heute einen wichtigen Bereich in Unternehmen dar.

Neben Qualität und Produktivität nennen Unternehmen als Ziele in zunehmendem Maße auch Sicherheit und Gesundheit ihrer Mitarbeiter (Zimolong, 1995; König, Kirschstein & Walter, 1995). Geschützt werden soll der Mitarbeiter also nicht nur vor Unfällen, sondern auch vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Folge von langfristigem Arbeiten unter psychisch oder physisch belastenden Bedingungen.

1973 hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz- und Unfallforschung mit Bezug auf das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) definiert: „Arbeitsschutz ist die Bewahrung des Menschen vor Gefahren und Beeinträchtigungen in Verbindung mit seiner Berufsarbeit. Ziel des Arbeitsschutzes ist die Gewährleistung der Gesundheit und die Schaffung von Wohlbefinden im Berufsleben“ (Hagenkötter, 1973, S. 7).

Schon aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland lassen sich die Grundlagen für den Arbeitsschutz ableiten. So besagt Artikel 2 des Grundgesetzes:

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In die Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Auch die EG-Richtlinien von 1987, die der Vereinheitlichung der betrieblichen Sicherheitsvorschriften innerhalb der Länder der Europäischen Union dienen, zeigen dies, wobei insbesondere die Artikel 100a und 118a des EWG-Vertrages in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind.

So schreibt der Artikel 100a vor, „Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz auf einem hohen Schutzniveau“ zu garantieren (Wenninger & Gstalter, 1995, S. 112).

Artikel 118a räumt der Prävention und der Vermeidung von Gefahren eine Prävalenz ein (Zimolong, 1995). Weiterhin wird darauf hingewiesen, daß der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber über den jeweils neuesten Stand der Technik und den aktuellen Stand der Gefahren im Betrieb zu unterrichten ist. Der Mitarbeiter im ausführenden Bereich ist ergo, so will es das Gesetz, an der Unfallverhütung zu beteiligen.

Dieser Aspekt scheint mir im Hinblick auf die von mir zu entwickelnde Seminarkonzeption besonders interessant zu sein, da der Mitarbeiter innerhalb der Schulung eine herausragende Stellung einnimmt.

Ergänzend möchte ich noch festhalten, daß die EG-Richtlinien seit dem 1.1.1993 im Zuge des europäischen Binnenmarktes in Kraft sind. Nach neuestem Stand (Weinmann, 1996) wurden sie auch weitgehend in nationales Recht überführt. Die EG-Richtlinien stellen dabei Mindestanforderungen für die Unternehmen dar. Diese können von nationalen Vorschriften oder betrieblichen Verordnungen überschritten, dürfen jedoch nicht unterschritten werden.

Als Fazit läßt sich festhalten, daß die Partizipation des Mitarbeiters in Sicherheitsfragen auf einer gesetzlichen Regelung basiert. Unfallverhütung im Betrieb ist infolgedessen nicht nur Aufgabe von Führungskräften oder spezifisch ausgebildeten Personen (z.B. Sicherheitsingenieuren), sondern auch vom “Arbeiter am Band”.

2.3 Unfallentwicklung in der BRD

Die Unfallentwicklung innerhalb einer Branche oder eines Unternehmens ergibt sich aus der Anzahl der Unfälle und deren Veränderung innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Für die Erhebung einer Unfallentwicklung ist es notwendig, festzustellen, wieviel Unfälle pro Person in einer bestimmten Branche vorgekommen sind. Es werden folglich Quoten berechnet.

Zwei Alternativen zur Quotenberechnung sind nach Hoyos (1980) Usus:

1. Gezählt werden alle Unfälle in einem Jahr. Diese werden mit 1000 multipliziert und schließlich durch die mittlere Belegschaftsstärke geteilt. Man erhält die sogenannte 1000-Mann-Quote.
2. Gezählt werden alle Unfälle je 1 Million Arbeitsstunden. Berechnet wird bei dieser Quote die Zahl der Unfälle gemäß der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit.

Desweiteren wird unterschieden zwischen Arbeitsunfällen, meldepflichtigen Arbeitsunfällen und Wegeunfällen.

Arbeitsunfälle sind Unfälle, die dem Arbeitnehmer während der Arbeit zustoßen.

Zu meldepflichtigen Arbeitsunfällen werden diese, wenn der Arbeitnehmer mehr als drei Kalendertage wegen eines Unfalls arbeitsunfähig ist.

Ereignet sich ein Unfall auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstelle des Arbeitnehmers (oder umgekehrt), spricht man von einem Wegeunfall (Mercedes-Benz, 1996b).

Gemäß den Statistiken des Hauptverbandes der Berufsgenossenschaften (Reiß, 1995) läßt sich die Tendenz feststellen, daß die Unfallzahlen zurückgehen. So hat die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle seit 1960 bis 1994 um mehr als die Hälfte abgenommen (s. Tabelle 1). Die Berufsgenossenschaften verzeichneten 1960 noch fast 127 Unfälle je 1000 Vollarbeiter, 1994 waren es nur noch 50 Unfälle. Diese Entwicklung ist positiv.

Die Quoten indes divergieren je nach Branche. In der Forstwirtschaft (Holz) und im Baugewerbe findet man traditionell die meisten Unfälle. Wie aus Tabelle 1 ersichtlich wird, waren es 1994 im Baugewerbe 120 (gerundet) meldepflichtige Unfälle pro 1000 Mann, dicht gefolgt von der Forstwirtschaft mit 100 Unfällen.

In der Metallbranche, zu der auch die Mercedes-Benz AG gerechnet werden kann, waren es 69 Unfälle pro 1000 Mann im Jahre 1994. Dies entspricht einer durchschnittlichen Unfallquote. Vergleichsweise gering fallen die Zahlen in der chemischen Industrie aus, die bei 27 Unfällen pro 1000 Vollarbeiter liegen.

Tabelle 1

Meldepflichtige Arbeitsunfälle je 1000 Vollarbeiter

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aus „Übersicht über die wichtigsten Zahlen der gewerblichen Berufsgenossenschaften seit 1960“ von S. Reiß, 1995, Die BG - Fachzeitschrift für Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und Unfallversicherung, 8, S. 418.

Obwohl die Unfallentwicklung insgesamt als vielversprechend bezeichnet werden kann, besteht natürlich weiterhin Handlungsbedarf und damit Raum für Innovationen. Erfolge in der Unfallentwicklung sind v.a. auf die Einführung der DIN 31 000, ein Konzept für technische Schutzziele, zurückzuführen (Zimolong, 1995).

In den Bereichen Organisation und Verhalten der Mitarbeiter müssen jedoch neue Strategien erprobt und eingeführt werden, die zum Ziel haben, Unfälle zu vermeiden und die Zufriedenheit der Mitarbeiter zu erhöhen. Auf diesen Punkt wird in der Arbeit noch Bezug genommen.

2.4 Maßnahmen zur Unfallverhütung: Technik, Organisation, Verhalten

Wenn Maßnahmen zur Unfallverhütung getroffen werden, so lassen sich diese einteilen in Maßnahmen technischer, organisatorischer oder verhaltensbezogener Art.

Technische Maßnahmen. - Nach König, Kirschstein & Walter (1995, S. 179) bewegen sich technische Schutzmaßnahmen heute in vielen Unternehmen auf einem „hohen Niveau“, was allerdings nicht bedeutet, daß Verbesserungsmöglichkeiten nicht mehr notwendig wären. Durch die Bestimmungen der Berufsgenossenschaften (BG) und des Technischen Überwachungs Vereins (TÜV) ist der Sicherheitsstandard im technischen Bereich jedoch oft sehr gut. Die Ausstattung der Maschinen und Anlagen konnte durch Einführung neuer Technologien (z.B. Lichtschranke) meliorisiert werden, wodurch sich die Sicherheit im technischen Bereich verbessert hat (König et al., 1995).

Führt man sich noch einmal vor Augen, wie stark rückläufig die Unfallzahlen der vergangenen Jahrzehnte sind (s. Kap. 2.1, Tabelle 1), so kann man dies v.a. auf die Erweiterung und Verbesserung der technischen Schutzmaßnahmen zurückführen. Dem Faktor Technik gebührt also, was die Reduktion der Unfallzahlen angeht, der größte Anteil. Dies gilt für den Bereich der Organisation, den ich im folgenden darstellen möchte, sicherlich nicht.

Organisatorische Maßnahmen. - Unter organisatorischen Bedingungen können nach Wenninger und Gstalter (1995) „alle räumlich-zeitlichen organisatorischen Ist-Zustände, alle organisierten Anstrengungen und koordinierten Tätigkeiten von Personen . . . [verstanden werden, die das ] Zusammenwirken von Mensch-Maschine-Umwelt-Systemen . . . optimieren. Die organisierten Anstrengungen sind notwendig, um die gesetzten Zwecke und Ziele zu erreichen“ (S. 117).

Aus Sicht des Arbeitsschutzes ist die räumliche und/oder zeitliche Trennung von Mensch und Gefahr ein typisches Ziel zur Unfallprävention. Eine entsprechende organisatorische Maßnahme wäre die Aufforderung, einen Gitterschutz an einer Maschine anzubringen, mit dem Ziel, das Zusammentreffen von Mensch und Maschine zu verhindern. Eine weitere organisatorische Maßnahme könnte darin bestehen, immer für eine ausreichende Anzahl Schutzhandschuhe zu sorgen.

In den EG-Richtlinien werden eine Fülle von Einzelrichtlinien genannt, die Ziele und Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit nennen.

Daß solche Maßnahmen benötigt werden, zeigt uns die Praxis. Wenninger und Gstalter (1995, S. 107-145) führen zahlreiche Beispiele an, die aufzeigen, daß Unfälle oft organisatorischen Ursprungs sind. So kann, um ein einfaches Beispiel zu nennen, mangelnde Beleuchtung in Werkhallen unfallfördernd wirken (Schmale, 1977). Ein solches Sicherheitsdefizit zu beheben, liegt im Bereich der organisatorischen Maßnahmen.

Eine weitere wichtige Rolle bei der Unfallvermeidung spielt das sicherheitsgerechte Verhalten des Mitarbeiters.

Verhaltensbezogene Maßnahmen. - Zu den verhaltensbezogenen Maßnahmen in der betrieblichen Praxis zählen v.a. solche, die der extrinsischen Motivation zugerechnet werden können (Trimpop, 1996; Zink und Ritter, 1992).

Demnach wird sicherheitsgerechtes Verhalten von den Vorgesetzten in irgendeiner Weise belohnt, z.B. durch Lob, Anerkennung oder gezielte Prämienwettbewerbe. Folgerichtig wird sicherheitswidriges Verhalten durch Kritik oder andere mögliche Sanktionen bestraft.

Nach Zink und Ritter (1992, S. 3) wird als weitere typische verhaltensbezogene Maßnahme versucht, Arbeitsabläufe so zu gestalten, daß sicherheitswidriges Verhalten nicht zu positiven Ergebnissen führt. Diese Maßnahmen entsprechen Gesetzmäßigkeiten der Lernpsychologie.

Burkhardt (1981) hat mit Hilfe von Verhaltensketten diese Gesetzmäßigkeiten veranschaulicht. Die Verhaltensketten gehen dabei einmal von sicherheitswidrigem, ein andermal von sicherem Verhalten aus. Burkhardt bediente sich dafür der Lernpsychologie und fand beim Neobehavioristen B.F. Skinner das passende theoretische Modell.

Das operante Konditionieren geht von der Annahme aus, daß Lernen aufgrund von Verhaltenskonsequenzen stattfindet. Nach Skinner (1978) hat Verhalten entweder positive Konsequenzen (Verstärkung) oder negative Konsequenzen (Bestrafung) zur Folge.

Positive Konsequenzen machen ein Verhalten wahrscheinlicher und bauen es auf, negative Konsequenzen erreichen das Gegenteil, indem sie ein Verhalten unwahrscheinlicher machen und es unterdrücken.

Ein Verhalten, das Vorteile und Erfolge mit sich bringt, wird tendenziell wiederholt. Bei entsprechend vielen Wiederholungen kann das Verhalten schließlich zur Gewohnheit werden, welche nur noch schwer veränderbar ist. Im Gegensatz dazu tendiert ein Verhalten, das mit Nachteilen verbunden ist, zu einer Reduktion desselben und bleibt schließlich ganz aus (Lefrancois, 1976).

Burkhardt (1981) überträgt diese Erkenntnisse auf den Bereich der Arbeitssicherheit. Er entwickelt Verhaltensketten ausgehend von der Erfahrung, daß sicheres Verhalten oft mit Nachteilen verbunden ist, z.B. mit Zeitverlust, erhöhtem Arbeitsaufwand oder Ärger. Es liegt nahe, daß dieses Verhalten mit der Zeit nicht mehr wiederholt wird. Insbesondere dann nicht, wenn Handlungsalternativen, nämlich sicherheitswidriges Verhalten, belohnt werden.

Als Verstärkung sicherheitswidrigen Verhaltens dienen z.B. Zeitersparnis, Arbeitserleichterung oder Prestigegewinn. So ist es möglich, daß aus einem anfänglich sicheren Verhalten ein sicherheitswidriges Verhalten entsteht. Die in Abbildung 3 dargestellte Verhaltenskette zeigt diesen Zusammenhang.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Sicherheitswidriges Verhalten löst eine entsprechende Verhaltenskette aus (vgl. Abbildung 4). Auch hier führt erstmaliges sicherheitswidriges Verhalten durch positive Konsequenzen zu gewohnheitsmäßigem, sicherheitswidrigem Verhalten. Negative Konsequen-zen, z.B. durch einen Beinahe-Unfall, führen tendenziell eher zu zukünftigem sicheren Verhalten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4

Verhaltensketten ausgehend von sicherheitswidrigem Verhalten (nach Burkhardt, 1981, S. 31)

Die Erfahrung zeige, so Burkhardt (1981, S. 35), daß die Verhaltensketten auf der rechten Seite wahrscheinlicher sind. Folglich ist die Wahrscheinlichkeit, daß sicherheitswidriges Verhalten zur Gewohnheit wird, hoch, wobei dies unabhängig von der Ausgangssituation ist.

Aus diesen Erkenntnissen leitet Burkhardt (1981, S. 35) vier Strategien ab:

1. Wenn sicheres Verhalten so wenig offensichtliche Vorteile mit sich bringt, muß versucht werden, die verdeckten, erst langfristig wirkenden Erfolge herauszustellen oder aber neue Erfolge zu schaffen.
2. Wenn sicheres Verhalten so viele Nachteile mit sich bringt, dann muß versucht werden, diese Nachteile abzubauen und sicheres Verhalten zu erleichtern.
3. Wenn dagegen sicherheitswidriges Verhalten so wenig offensichtliche und direkte Nachteile nach sich zieht, dann müssen die verdeckten oder erst langfristig auftretenden Nachteile verdeutlicht und verstärkt und gegebenenfalls zusätzliche Nachteile geschaffen werden.
4. Wenn sicherheitswidriges Verhalten mit so vielen Vorteilen verbunden ist, dann wird man diese Vorteile abbauen, zumindest aber das sicherheitswidrige Verhalten erschweren müssen.

Relevant werden diese Strategien hinsichtlich:

(1) den verhaltensbezogenen Maßnahmen,
(2) den organisatorischen Maßnahmen.

Zu (1): Es ergeben sich klare verhaltensbezogene Maßnahmen, welche die Mitarbeiter zu sicherheitsgerechtem Verhalten motivieren sollen. Sicherheitsgerechtes Verhalten kann z.B. durch Lob verstärkt werden. Sicherheitswidriges Verhalten kann gelöscht werden, indem es negative Konsequenzen, z.B. gezielte Kritik, nach sich zieht.

Dies sind Maßnahmen, die auch in der Praxis umgesetzt werden (Zink & Ritter, 1992, S. 3). Da sie “relativ einfach” zu handhaben sind, können sie als eine Art “psychologisches Handwerkszeug”, das v.a. von Vorgesetzten (z.B. Meistern) genutzt wird, dienen.

Maßnahmen dieser Art haben sicherlich ihre Berechtigung. Die Reichweite ihrer Wirkungen und die tatsächlich erfolgreiche Anwendbarkeit dürfte jedoch begrenzt sein.

Die Lernpsychologie zeigt, daß unerwünschtes Verhalten nur dann gelöscht wird, wenn es konsequent bestraft wird (Steiner, 1988). Wird es dagegen nur von Zeit zu Zeit bestraft, so findet keine Löschung statt. Schlimmer noch, letztlich wird das zur Norm, was vom Vorgesetzten ab und an geduldet wird. So stellen auch König et al. (1995, S. 189) fest: „Dulden heißt Erlauben”.

Auch ergeben sich aus psychologischen Maßnahmen dieser Art hohe Anforderungen an die Vorgesetzten, da ein großes Maß an Aufmerksamkeit und sozialer Kompetenz (vorausgesetzt, in dem schwammigen Begriff der sozialen Kompetenz ist die Fähigkeit eingeschlossen, situations - und personangemessen Kritik zu äußern) erforderlich sein wird. Ständig aufmerksam und bereit sein, jemanden zu kritisieren, erfordert Konzentration und ist letztlich einfach anstrengend. Nur allzuleicht könnten Vorgesetzte versucht sein, über etwas “hinwegzusehen”, um einem drohenden Konflikt aus dem Weg zu gehen oder eine negative Rollenbesetzung zu vermeiden (z.B. der Vorgesetzte als Oberlehrer). Die Wirkungen solcher Maßnahmen sind begrenzt, da sich Verhalten nicht nur durch Lob und Tadel ändern läßt.

Prämiensysteme folgen dem gleichen Prinzip. Prämiert werden Personen, Abteilungen usw. mit den wenigsten Unfällen. Nach Schubert (1995) sind Maßnahmen dieser Art jedoch umstritten. Auch Ludborzs (1989) stellt als Fazit seiner Untersuchungen von Sicherheitswettbewerben fest, daß genau geprüft werden müsse, ob sich der doch erhebliche Aufwand eines Sicherheitswettbewerbes überhaupt lohne „. . . und ob es nicht besser . . . [sei], die Mittel für andere Sicherheitsaktionen zu verwenden”(S. 344).

Gegen Prämiensysteme spricht nach Fritsche (1996) weiterhin, daß diese leicht zur Vertuschung meldepflichtiger Unfälle führen können. Auch würden sich Prämiensysteme abnutzen, da die Mitarbeiter sich recht schnell daran gewöhnen.

Zu (2): Aus den Burkhardtschen Verhaltensketten ergeben sich auch für den Bereich der Organisation wichtige Konsequenzen. So sollten z.B. die Arbeitsbedingungen derart beschaffen sein, daß dem Mitarbeiter sicherheitsgerechtes Arbeiten ermöglicht wird, ohne sich dabei in irgendeiner Form nachteilig auszuwirken.

Weiterhin muß ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, um bestimmte Arbeitsabläufe sicher durchführen zu können.

Auch die Körperschutzkleidung liefert ein gutes Beispiel: sie sollte so bequem wie möglich sein, um dem Mitarbeiter das Tragen derselben nicht unnötig zu erschweren. Handschuhe, die gut sitzen, die ein exaktes Greifen ermöglichen und in denen man nicht allzu sehr schwitzt, werden sicherlich eher getragen als solche, die an den Fingern “schlabbern”, leicht abrutschen und in denen man nach fünfminütigem Tragen feuchte Hände bekommt.

Fazit:

Im Bereich der technischen Maßnahmen ist die Entwicklung sehr weit fortgeschritten. Verbesserungsmöglichkeiten sind natürlich immer möglich, insgesamt jedoch ist der technische Sicherheitsstandard in vielen Unternehmen als gut zu bezeichnen. Defizite bestehen allerdings im organisatorischen Bereich, welcher eng mit den Bereichen Technik und Verhalten verknüpft ist. An dieser Stelle sei noch einmal an die Verhaltensketten von Burkhardt und deren aufgezeigte Konsequenzen im organisatorischen Bereich erinnert.

Die gängigen verhaltensbezogenen Maßnahmen dienen vorwiegend der extrinsischen Motivation. Ihre Existenz ist berechtigt, ihre Reichweite jedoch begrenzt.

Es müssen demzufolge Konzepte gesucht werden, die die intrinsische Motivation der Beteiligten ansprechen.

2.5 Attribution von Unfällen

Interessant in diesem Zusammenhang ist die Ursachenzuschreibung (Attribution) von Unfällen. Wer trägt die Schuld, wenn sich ein Unfall ereignet? Ist es die Technik, die versagt hat, gab es Mißverständnisse in der Ablauforganisation oder ist der Mitarbeiter aufgrund seines Fehlverhaltens Schuld?

Auch bei der Attribution von Unfällen werden, wie bei den Maßnahmen, die Fehler im technischen Bereich (z.B. Verschleiß von Material), im organisatorischen Bereich (z.B. mangelnde Organisation bei der Instandhaltung) oder im Verhalten der Arbeitenden (z.B. sicherheitswidriges Verhalten infolge Bequemlichkeit) gesucht.

Der klassische Ansatz der Attribution von Unfällen zieht dabei eine rigide Trennung zwischen Umwelt- und Personvariablen. Unfälle werden entweder der Umwelt (Organisa-tion und Technik) oder der Person (Verhalten) zugeschrieben (Wenninger, 1988, S. 153). Eine solche Trennung ist jedoch weder sinnvoll noch praxisnah. Sie ist vielmehr monokausal und entspricht einem mechanistischen Weltbild, in welchem von einfachen Ursache-Folge-Ketten ausgegangen wird (Bateson, 1981).

Ein Betrieb kann als ein System angesehen werden, das in verschiedene Subsysteme (z.B. Abteilungen) untergliedert ist. Zwischen diesen Subsystemen finden Transaktionen (z.B. in Form von Kommunkation) statt, welche sich wechselseitig beeinflussen. Da eine Transaktion eine Strukturveränderung mit sich bringt, welche wiederum auf das ganze System wirkt, und letztlich wieder auf sich selbst zurück wirkt, sind Ursachen und Folgen nur noch schwer nachvollziehbar. Aus systemischer Sichtweise spricht man deshalb von Zirkularität (von Schlippe, 1984, S. 16).

Eine ganzheitliche Betrachtung, bei der die Sicherheit einen integrierten Teil der Unternehmenskultur darstellt (Hoyos & Ruppert, 1995), erscheint also zweckmäßig.

Eine solche systemische Sichtweise fehlt aber noch häufig in Unternehmen.

Nach einer Untersuchung von Wenninger (1991) gaben zwischen 70% und 90% der befragten Manager als Unfallursachen menschliches Versagen an. In einer von Packebusch (1990) durchgeführten Untersuchung sahen sogar zwischen 90-95% (!) Prozent der befragten Personen die Unfallursachen in der Person liegend. Andere Untersuchungen gelangen zu ähnlichen Ergebnissen (Skiba, 1991).

Die Frage scheint folglich berechtigt, warum die Schuld meist in menschlichem Versagen und nicht in den gegebenen, äußeren Bedingungen gesucht wird?

Diverse Theorien versuchen dieses Phänomen zu erklären. Drei dieser Theorien möchte ich skizzieren.

Theorie des Unfällers. - Unter den Begriff Unfäller fallen nach Skiba (1991) die Personen, die bei gleichem Unfallrisiko eher zu Unfällen neigen als andere Personen.

Ausgangspunkt dieser Aussage bildete die Feststellung, daß es in Betrieben Personen gibt, die trotz gleicher Gefahrenexposition (Dauer des Verbleibs in einer gefährlichen Situation) öfter an Unfällen beteiligt sind als ihre Mitarbeiter. Interessant war dann die Frage, ob diese Personen bestimmte Dispositionen aufweisen, an denen man den Unfäller ausmachen könne.

Gemäß den Angaben von Hoyos (1980), geistert die Unfäller-Theorie schon seit Jahrzehnten durch psychologische und sicherheitstechnische Fachbücher. Begründet wurde sie in den 20er Jahren durch Marbe (1926). Oft wurde die Theorie des Unfällers bestätigt, oft auch widerlegt. Hoyos (1980) gibt einen umfangreichen Überblick zu Methoden, Untersuchungen und Konzepten. Er gelangt zu dem Fazit, daß bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, wie Extraversion/Introversion, emotionale Stabilität, kognitive und psychomotorische Fähigkeiten, langfristig nicht mit einer erhöhten Unfallneigung korrelieren. Dies hängt vorwiegend mit zwei Faktoren zusammen.

Zum einen ist nach Hoyos die Unfallneigung von den situativen Bedingungen abhängig. Wer unter bestimmten Umständen vermehrt zu Unfällen neigt, muß dies nicht zwangsläufig in neuer Umgebung auch tun. Der Mensch ist nicht isoliert zu betrachten, sondern befindet sich in ständiger Wechselwirkung mit seiner Umwelt. Demzufolge kann die Umwelt Unfälle bei einer Person eher “provozieren” als bei einer anderen Person.

Zum anderen konnte nicht nachgewiesen werden, daß eine Unfallneigung zeitstabil ist (Hoyos, 1980). Der Mensch macht im Laufe der Zeit Erfahrungen, welche sein Handeln und seine Persönlichkeitsmerkmale beeinflussen. So wird dieselbe Person, die einmal einen Unfall erlitt, sich fünf Jahre später eventuell für eine andere Handlung entscheiden, mit der ein Unfall vermieden werden würde. Man kann folglich nach dem heutigen wissenschaftlichen Stand davon ausgehen, daß es den Unfäller nicht gibt.

Theorie der korrespondierenden Inferenzen (Jones & Davis, 1965; Jones & Nisbett, 1971; zitiert nach Wenninger, 1988). - Akteure und Beobachter nehmen unterschiedliche Attributionen vor, wenn sie nach den Ursachen eines Unfalls gefragt werden. Die Theorie der korrespondierenden Inferenzen versucht das zu erklären.

Nach der Theorie tendieren Beobachter dazu, Eigenschaften von Personen stärker wahrzunehmen als die Umgebung mit ihren organisatorischen und technischen Bedingungen. Als Grund führen die Autoren die oft schwer zu durchschauende, komplexe, technisch-organisatorische Umwelt an. Folglich ist „das beobachtbare Verhalten . . . augenfälliger als der situative Hintergrund“ (Wenninger, 1988, S. 153). Dies trifft v.a. dann zu, wenn der Akteur, ergo die in einen Unfall verwickelte Person, in den Augen des Beobachters verschiedene Handlungsalternativen hatte, er sich also freiwillig in eine Situation begab, die letztendlich den Unfall hervorrief. Menschen suchen demnach die Schuld eines Unfalls eher in der beteiligten Person als in dem situativen Kontext.

Theorie der Selbstwahrnehmung (Bem, 1972; zitiert nach Wenninger, 1988). - Diese Theorie versucht zu erklären, warum der Akteur die Umgebung als verursachenden Faktor stärker wahrnimmt als der Beobachter.

Die handelnde Person ist aktiv. Sie muß deshalb v.a. auf Einflüsse aus der Umgebung achten, um angemessen handeln zu können. Deshalb wird sie die Umgebung als stärker verursachend erleben als ihr eigenes Handeln.

Der Beobachter hingegen ist passiv. Er schaut dem Verhalten des Akteurs zu, wobei der Fokus seiner Beobachtung beim Akteur liegt. Folglich nimmt er die Umgebung als weniger verursachend wahr als das Verhalten des Akteurs.

Beide Theorien ergänzen sich. Als Resultat ergibt sich folgender Sachverhalt: Beobachter neigen dazu, Unfallursachen eher dem Fehlverhalten von Personen zuzuschreiben als den technisch-organisatorischen Bedingungen.

Anhand dieses Hintergrundes werden auch die eingangs aufgeführten Ergebnisse der befragten Manager verständlicher. Auch Wenninger (1988) stellt fest: “Führungskräfte und Sicherheitsexperten tendieren generell dazu, Ursachen für Unfälle eher bei den Verunfallten zu suchen, situative Faktoren dagegen in ihrer Wirkung zu unterschätzen” (S. 154).

2.6 Ursache-Wirkungs-Modelle mit ganzheitlicher Sichtweise

Unfälle entstehen oft durch eine unglückliche Vernetzung von Ereignissen, wodurch eine eindeutige Schuldzuschreibung unmöglich wird.

Das Fischgrätenmodell. - Das Fischgrätenmodell von Ishikawa (1985, zitiert nach König, Kirschstein & Weller, 1989, S.113) verdeutlicht diesen Zusammenhang sehr schön:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Gabelstaplerfahrer soll leergeräumte Paletten aus der Lagerhalle auf den Betriebshof fahren und diese dort stapeln. Er fährt schnell und hat zu viele Paletten geladen. Als ein Mitarbeiter um die Ecke in die Halleneinfahrt einbiegt, muß er bremsen. Die oberste Palette rutscht herunter und fällt dem Mitarbeiter auf den Fuß. Drei gebrochene Zehen sind die Folge.

Abbildung 5

Das Fischgrätenmodell zur Ursache-Wirkungs-Analyse eines Gabelstaplerunfalls (nach König, Kirschstein & Weller, 1989, 113)

Obwohl auch hier eine Ursache-Wirkungs-Analyse vorgenommen wird, läßt sich dennoch erkennen, daß verschiedene Bedingungen ineinandergreifen und sich “vernetzen“. Am Ende dieses Netzes steht der Unfall. Demnach gibt es nicht nur eine Ursache, die den Unfall bedingt. Vielmehr führt gerade die Vernetzung der unglücklichen Bedingungen zu dem Unfall.

Unfälle werden in diesem Modell in zwei Bereiche geteilt:

- Verhalten + Organisation (Mensch, Umgebung, Methode)
- Organisation + Technik (Maschine, Material, Einrichtungen)

Demzufolge sind organisatorische Mängel immer beteiligt, wenn ein Unfall geschieht. Dies steht ganz im Gegensatz zu den Vermutungen der befragten Manager aus der schon angesprochenen Untersuchung (Wenninger, 1991), die hauptsächlich (bis zu 95% Prozent) die Ursache eines Unfalls im menschlichen Fehlverhalten sahen.

Ursachenbaumanalyse. - Auch die Ursachenbaumanalyse wird einer ganzheitlichen Betrachtung gerecht.

Ziel der Ursachenbaumanalyse besteht nach Renggli (1994) im Erkennen der unterschiedlichen Ursachen, die zu einem Unfall geführt haben, im Beleuchten der Hintergründe und im Festlegen der daraus folgenden Maßnahmen.

Der Analyseablauf geht idealiter folgendermaßen vonstatten: in einem ersten Schritt findet eine Faktenerhebung vor Ort statt. Diese Fakten werden dann nach Person, Aufgabe, Umgebung und Material/Betriebsmittel ausgewertet. Anschließend beginnt die systematische Suche nach Ursachen. Das Procedere ist einfach, effektiv und exakt.

Die Ursachenanalyse orientiert sich an folgenden Fragen (Renggli, 1994, S. 86):

1) Welche unmittelbare Ursache X hat den Sachverhalt Y bewirkt?
2) Vermag X den Sachverhalt Y abschließend zu erklären?
3) Wenn nein, welche weiteren unmittelbaren Ursachen X1, X2, ... Xn haben mitgewirkt?
Diese Methode habe ich angewendet auf das Fallbeispiel aus dem Ishikawa-Modell (vgl. Abbildung 5). Dementsprechend ergeben sich folgende Fragen:

1) Welche unmittelbare Ursache hat die drei gebrochenen Zehen des Mitarbeiters hervorgerufen? Antwort: die herunterfallende Palette.
2) Können allein durch die herunterfallende Palette die drei gebrochenen Zehen erklärt werden? Antwort: nein.
3) Welche weiteren unmittelbaren Ursachen haben dann noch mitgewirkt? Antwort: der Mitarbeiter hat keine Schutzschuhe getragen.

Als unmittelbare Ursachen haben sich durch die Art der Befragung herauskristallisiert:

a) erste unmittelbare Ursache = die herunterfallende Palette,
b) zweite unmittelbare Ursache = das Fehlen der Schutzschuhe.

Die 1. Ursachenebene ist damit gefunden.

Die Analyse kann nach demselben Muster fortgesetzt werden. Die nächste Frage muß deshalb lauten:

- Welche unmittelbare Ursache hat das Herunterfallen der Palette bewirkt? Antwort: der Fahrer mußte bremsen.

Auf diese Weise gelangt man von einer Ursachenebene zur nächsten. Abbildung 7 veranschaulicht die gesamte Ursachenbaumanalyse.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6

Die Ursachenbaumanalyse am Beispiel eines Gabelstaplerunfalls (in Anlehnung an Renggli, 1994)

Die Analyse ergibt (natürlich von mir hypothetisch angenommen) folglich fünf Ursachenfaktoren, die zu dem “Gelingen” des Unfalls beigetragen haben:

- das Material der Schutzschuhe ist zu hart,
- die Kommunikation im Betrieb ist mangelhaft,
- die Anforderungen an die Arbeitnehmer sind zu hoch,
- es liegt zuviel Material herum,
- an der Toreinfahrt befindet sich keine Sichthilfe.

Aus den analysierten Ursachen, die letztendlich zu dem Gabelstaplerunfall geführt haben, lassen sich nun Maßnahmen ableiten, die zukünftige Unfälle verhindern sollen:

- das Material der Schuhe muß so beschaffen sein, daß ein bequemes Tragen der Schuhe möglich wird;
- die Kommunikation im Betrieb auf möglichst allen Ebenen verbessern; für Offenheit zwischen den einzelnen Abteilungen sorgen;
- die Anforderungen nach Möglichkeit senken; hohe Kosten, die letztlich mit viel Unfällen einhergehen, zahlen sich für den Betrieb nicht aus;
- für mehr Ordnung im Betrieb sorgen; das an Fahr- und Gehwegen gelagerte Material wegräumen; nach neuen Lagermöglichkeiten suchen.
- die Sichthilfe an der Toreinfahrt so installieren, daß man um die Ecke schauen kann.

Die Ursachenbaumanalyse ermöglicht eine ganzheitliche Sichtweise. Durch die Vorgehensweise wird der Beobachter “gezwungen”, die Situation als komplex und multikausal bedingt wahrzunehmen. Eine monokausale Ursachenzuschreibung wird auf diese Weise erschwert und der Weg, entsprechend zweckmäßige Maßnahmen (organisatorischer, technischer und verhaltensbezogener Natur) einzuleiten, erleichtert.

Bewertung:

Die Attribution von Unfällen muß ganzheitlich erfolgen, will man sich der Realität so weit wie möglich annähern. Eine monokausale Sichtweise ist mechanistisch und kann als veraltet angesehen werden. Sicherheitsarbeit, die im Falle eines Unfalls die Schuld meist im menschlichen Versagen sucht, ist inakzeptabel. Vielmehr müssen in der Sicherheitsarbeit immer alle drei Bereiche (Technik, Organisation, Verhalten) beachtet werden.

Der Mitarbeiter im ausführenden Bereich kennt die Arbeitsbedingungen, da er “vor Ort” ist, am besten. Dies spricht dafür, ihn an der sicheren Arbeitsplatzgestaltung, unter Beachtung der oben angeführten Faktoren, verstärkt mitwirken zu lassen. Dieser Aspekt soll in die Seminarkonzeption eingehen.

Kapitel 3 Darstellung der Sicherheitsarbeit der Mercedes-Benz AG, Werk Wörth

Das folgende Kapitel wird einen Abriß der für diese Arbeit wichtigsten Bereiche der Mercedes-Benz AG im Werk Wörth aufzeigen. Folgende Gliederung erscheint mir zweckmäßig:

- strukturelle Arbeitssicherheitsorganisation im Werk Wörth,
- Aufgaben und Ziele des Arbeitsschutzes im Werk Wörth,
- bisherige Maßnahmen des Arbeitsschutzes für die Arbeitssicherheit,
- Gruppenarbeit im Werk Wörth und ihre Relevanz für die Seminarkonzeption.

Um dem Leser einen Einblick zu ermöglichen, möchte ich vorab einige Worte über die Mercedes-Benz AG im allgemeinen und das Werk Wörth im besonderen verlieren.

Die Mercedes-Benz AG ist ein Tochterunternehmen der Daimler-Benz AG, welche ihren Sitz in Stuttgart-Untertürkheim hat. Die Mercedes-Benz AG wurde am 1. Juli 1989 gegründet und stellt den größten Unternehmensbereich innerhalb der Daimler-Benz AG dar (Mercedes-Benz, 1995a).

Mercedes-Benz stellt sowohl Personenwagen, was wohl gemeinhin bekannt sein dürfte, als auch Nutzfahrzeuge her. Unter den Begriff Nutzfahrzeuge fallen Lastkraftfahrzeuge (LKW) und Omnibusse (für den Linien- und Fernreiseverkehr).

Wirtschaftliche Fakten. - Mercedes-Benz produzierte 1993 mit 140.000 Einheiten soviel Lastwagen wie kein anderes Unternehmen in der Welt. In Westeuropa lag damit der Marktanteil bei über 30%, in Deutschland sogar bei über 50% (Mercedes-Benz, 1995a). Dieser hohe Marktanteil für Lastwagen ab 6t in Westeuropa ging jedoch bis Ende 1996 auf 22.6% zurück (Schüller, “Die Rheinpfalz”, 29. August 1996).

Die Verluste für das Jahr 1995 belaufen sich damit nach Helmut Werner, dem Vorstandsvorsitzenden der Mercedes-Benz AG, auf rund 1 Milliarde DM.

Die Gründe für den geringeren Marktanteil und den hohen Verlust sind verschieden. Mitverantwortlich sind nach Bläske (“Süddeutsche Zeitung”, 14./15. September 1996) die noch bevorstehende Modellvielfalt, die Optimierung der Strukturen in der Produktion, die Verwendung von mehr Gleichteilen und die Einsparung von Varianten. Damit könnte Bläske, angesichts einer Produktpalette, die momentan über 1 800 Baumuster und über 50 000 mögliche Sonderausstattungen aufweist (Mercedes-Benz, 1995a), richtig liegen. Ein weiterer Grund für die roten Zahlen liegt in den hohen Personalkosten. Horst Zimmer, stellvertretender Vorsitzender der Mercedes-Benz AG, stellt fest, daß die Personalkosten bei der Konkurrenz deutlich geringer seien (Eustachi, “Die Rheinpfalz”, 20.Juni 1996). Eine Arbeitsstunde im Werk Wörth koste durchschnittlich 60 DM, bei den schwedischen Konkurrenten Scania und Volvo im Jahre 1995 jedoch nur 31 DM. Bei Renault in Frankreich und Iveco in Italien sind die Kosten pro Arbeitsstunde sogar noch geringer. Nach Angaben Zimmers liegt die Arbeitsstunde bei Renault bei 29 DM, bei Iveco sogar nur bei 25 DM.

Um den Standort Wörth nicht zu gefährden, sollen die Produktionskosten gesenkt werden. Allein bei den Personalkosten sollen 80 Millionen DM eingespart werden, wobei ein Drittel davon durch Lohnreduzierung erreicht werden soll (Lismann, “Die Rheinpfalz”, 24. Juli 1996). Die anderen zwei Drittel teilen sich in 22 verschiedene Sparmaßnahmen auf, so z.B. Entfall des Erholzeitzuschlages oder Reduzierung des Krankenstandes um 2%. Dieses Sparpaket muß jedoch, bevor es in Kraft tritt, noch vom Betriebsrat der Mercedes-Benz AG genehmigt werden.

In Deutschland sind im gesamten Produktionsverbund-Nutzfahrzeuge Einsparungen bis zu 1 Milliarde DM geplant. Ab 1998 soll nach Planung des Vorstands der Mercedes-Benz AG dieser Bereich dann wieder schwarze Zahlen schreiben (Lismann, 1996).

Große Hoffnungen werden in den neuen LKW “Actros” gesetzt, der seit Oktober 1996 verkauft wird. Dieser schwere Lastwagen bringt einige Veränderungen gegenüber konventionellen LKW’s mit (z.B. neues Bremssystem, verlängertes Wartungsintervall etc.), wodurch die Wettbewerbschancen, so zumindest Fahrzeugchef Gottschalk, erhöht werden (Eustachi, “Die Rheinpfalz”, 06. Juli 1996).

Die Schilderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen soll dazu dienen, die aktuelle wirtschaftliche Situation im Werk Wörth wiederzuspiegeln, die sich natürlich auch auf das Betriebsklima niederschlägt (Angst vor Entlassungen, Angst vor finanziellen Einbußen usw.). In welchem Maß sich diese Bedingungen auf den Bereich der betrieblichen Sicherheit auswirken, ist jedoch schwer abzuschätzen und soll an dieser Stelle absichtlich offen bleiben.

[...]


[1] Wenn ich in der vorliegenden Arbeit nur die männliche Form benutze, so geschieht das aus Gründen der Einfachheit und Lesbarkeit und ist in keinster Weise diskriminierend zu verstehen.

Excerpt out of 144 pages

Details

Title
Unfallverhütung im Betrieb - Entwicklung einer Konzeption zur Mitarbeiterschulung innerhalb eines Automobilunternehmens
College
University of Koblenz-Landau
Grade
2,0
Author
Year
1996
Pages
144
Catalog Number
V94596
ISBN (eBook)
9783640099948
ISBN (Book)
9783656203964
File size
838 KB
Language
German
Keywords
Unfallverhütung, Betrieb, Entwicklung, Konzeption, Mitarbeiterschulung, Automobilunternehmens
Quote paper
Ingo Kallenbach (Author), 1996, Unfallverhütung im Betrieb - Entwicklung einer Konzeption zur Mitarbeiterschulung innerhalb eines Automobilunternehmens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94596

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