Das Problem der Interoperabilität im europäischen Microsoft-Fall

Ein Beispiel für die Kollision von geistigen Eigentumsrechten und Wettbewerbspolitik unter Artikel 82 EG-Vertrag


Seminararbeit, 2008

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Artikel 82 des EG-Vertrags und geistige Eigentumsrechte
2.1 Missbrauch von Urheberrechten im wettbewerbspolitischen Kontext
2.2 Lizenzverweigerung und der „Incentives Balancing Test“
2.3 Marktmachtübertragung und „essential facilities“
2.4 Beispiele für die vergangene Rechtssprechung

3. Der Microsoft Fall
3.1 Interoperabilitätsinformationen als „essential facility“
3.2 Die Frage der Marktmachtübertragung
3.3 Größere oder kleinere Innovationsanreize?
3.4 Die Folgen für die Verbraucher
3.5 Die Zwangslizenz als Lösung?

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Maßnahmen der EU-Kommission gegen Microsoft nehmen immer drastischere Dimensionen an. Erst kürzlich verhängte die EU-Kommission eine weitere Rekordstrafe von 899 Millionen €, wegen Nichteinhaltung einer Kommissionsentscheidung aus dem Jahr 2004. Microsoft ist das erste Unternehmen seit Beginn der EU-Wettbewerbspolitik, gegen das eine solche Strafe überhaupt verhängt wird. Die gesamte Strafgeldsumme beläuft sich seit Beginn der Untersuchungen der EU-Kommission bereits auf über 1,5 Milliarden €.[1] Diese Zahlen machen deutlich, wie ernst es der EU mit ihrem Bestreben ist, ihren kartellrechtlichen Entscheidungen Durchsetzungskraft zu verleihen und bei Verletzungen des Wettbewerbsrechts entschieden durchzugreifen.

Die Vorwürfe gegen Microsoft beziehen sich allesamt auf eine Verletzung von Artikel 82 des EG Vertrags. Das Redmonder Softwareunternehmen soll seine marktbeherrschende Stellung auf verschiedene Art und Weise missbraucht haben. In diesem Text soll es dabei vor allem um den Vorwurf gehen, Microsoft habe seine dominante Position auf dem Markt für Client PC Betriebssysteme ausgenutzt, um eine solche auch bei den Work Group Server Betriebssystemen zu erlangen. Wettbewerber, so der Vorwurf, sollten aus diesem Markt ausgeschlossen werden, indem ihnen plötzlich der ungehinderte Zugang zu Interoperabilitätsinformationen für Microsofts Betriebssysteme verweigert wurde. Microsoft begründete dies mit Hilfe des urheberrechtlichen Schutzes, den diese genießen. Geistige Eigentumsrechte stehen hier also wohlmöglich im Widerspruch zu kartellrechtlichen Bemühungen.[2]

Als Einführung sollen im ersten Teil dieser Arbeit die Bedingungen untersucht werden, unter denen geistige Eigentumsrechte nach Artikel 82 des EG Vertrags wettbewerbsrechtlich problematisch werden können. Hierbei wird auch auf Beispiele in der vergangenen Rechtssprechung eingegangen. Im folgenden Abschnitt wird der Fall Microsoft mit seinen speziellen Charakteristika genauer beleuchtet und analysiert. Es werden hier vor allem die Begründungen der Kommissionsentscheidung und deren Rechtfertigung diskutiert. Die Arbeit schließt mit einem Fazit.

2. Artikel 82 des EG-Vertrags und geistige Eigentumsrechte

Durch Artikel 82 des EG-Vertrags wird versucht, den Handel auf dem europäischen Binnenmarkt vor einer Beeinträchtigung durch den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung eines oder mehrerer Unternehmen zu schützen. Der Wettbewerb soll aufrechterhalten und gestärkt werden.[3]

Für einen Verstoß werden in dem Artikel vier Bedingungen angeführt, von denen uns hier vor allem die Zweite interessiert, wonach ein Missbrauch insbesondere aus „der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher“[4] entsteht. Der eigentliche Missbrauchstatbestand besteht dabei aus einem Verhalten des dominanten Unternehmens, welches sich außerhalb des Rahmens üblichen und normalen Wettbewerbs am Markt befindet.[5] So ein Verhalten kann auch daraus bestehen, eigene geistige Eigentumsrechte, wie bspw. Patente, zu nutzen, worauf im nächsten Punkt näher eingegangen werden soll.

2.1 Missbrauch von Urheberrechten im wettbewerbspolitischen Kontext

Der weitere Sinn geistiger Eigentumsrechte ist die Stimulation von Forschung und Entwicklung, indem sich ein Erfinder oder Autor sicher sein kann, den Profit seiner Erfindung zumindest zum Teil und für einen gewissen Zeitraum allein beanspruchen zu können. Dies führt überhaupt erst dazu, dass er in Innovationen investiert.[6] Dieser gerechtfertigte Anspruch kann jedoch in gewissen Fällen dazu führen, dass der Erfinder ein Monopol auf dem Markt für das jeweilige Produkt innehat und technische Neuerungen durch Wettbewerber nicht möglich sind, wenn für deren Entwicklung auf geschützte Informationen der ursprünglichen Erfindung zurückgegriffen werden muss. Der Erfinder würde diese lieber selber auf den Markt bringen oder versuchen noch länger von den Erträgen der eigentlichen Erfindung zu profitieren, als es ohne das Urheberrecht möglich wäre. In diesem Fall ergibt sich ein Konflikt zwischen Urheberrechten und wettbewerbspolitischen Zielsetzungen. Dem eigentlichen Ziel von geistigen Eigentumsrechten, der Schaffung von Anreizen für weitere technischer Entwicklung, wird so unter Umständen auch entgegengewirkt.[7]

Bei so einer Kollision von Urheberrechten und wettbewerbspolitischen Zielen entsteht ein missbräuchliches Verhalten nach Artikel 82, durch die Verweigerung eines marktbeherrschenden Unternehmens, eigene Güter, die durch geistige Eigentumsrechte geschützt sind, Wettbewerbern teilweise zur Verfügung zu stellen und somit die daraus erfolgenden potenziellen technischen Weiterentwicklungen gar nicht erst möglich zu machen. In einem solchen Fall würde das dominante Unternehmen Artikel 82 (b) verletzen, indem es ggf. die technische Entwicklung zum Schaden der Verbraucher einschränkt.[8] Der schmale Grat zwischen dem Schutz der geistigen Eigentumsrechte und der Wahrung eines sinnvollen Wettbewerbs durch den EG-Vertrag, soll in den nächsten Punkten näher beleuchtet werden.

2.2 Lizenzverweigerung und der „Incentives Balancing Test“

In der vergangenen Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) war eine Monopolstellung auf einem bestimmten Markt allein kein ausreichender Grund dafür, die Ausübung der Urheberrechte des jeweiligen Unternehmens zu sanktionieren. Gegen eine Weigerung das eigene Produkt an einen Wettbewerber zu lizensieren, ist prinzipiell, trotz der dominanten Marktposition, nichts auszusetzen.[9] Um ein Urheberrecht einzuschränken, ist die Schaffung eines potenziellen allgemeinen Wettbewerbs also keine hinreichende Rechtfertigung. Nur wenn so ein Innovationswettbewerb in Aussicht gestellt werden kann, der den Verbrauchern einen Vorteil bietet, hätte dies ein höheres Gewicht als die unbedingte Wahrung des Urheberrechts. Würde ein Wettbewerber die Lizenz an der Erfindung der Firma mit einer marktbeherrschenden Stellung beispielsweise nur erwerben wollen, um ein identisches Produkt auf den Markt zu bringen, wäre eine Weigerung der dominanten Firma, das eigene Produkt zu lizensieren, gerechtfertigt.[10]

Außerdem muss abgewogen werden, ob die monetären Vorteile die aus der Nutzung des eigenen Urheberrechts entstehen, ggf. zu mehr Investitionen in die technische Entwicklung führen würden, als mögliche Konkurrenten aufbringen könnten. Dies würde wiederrum den eigentlichen Zielsetzungen von Urheberrechten entsprechen. Andererseits könnten die aus dem Innovationswettbewerb resultierende Weiterentwicklung und die durch Konkurrenz möglichweise sinkenden Preise für den Verbraucher vorteilhafter sein. Sollte dieser Fall eintreten, wäre der eigentlichen Sinn des Urheberrechts, im Dienste der Verbraucher Innovationen zu fördern, in Frage gestellt.[11]

Es muss also abgewogen werden ob die Anreize für technische Weiterentwicklung, die einem Unternehmen aus der Exklusivität seines Urheberrechts entstehen, gewichtiger sind, als das möglicherweise höhere Innovationsniveau in der gesamten Branche, das aus einem ermöglichten Wettbewerb entstehen würde. Dieser Ansatz wird als „incentives balancing test“ bezeichnet.[12]

Die Aufrechterhaltung dieser zentralen Begründung für die Gewährung von geistigen Eigentumsrechten steht im Mittelpunkt einer individuellen Beurteilung nach Artikel 82. Nur solange der eigentliche Sinn des Urheberrechts gewahrt bleibt, ist dessen Ausführung und Besitz auch gerechtfertigt.[13] Generell resultiert für das marktbeherrschende Unternehmen aus seiner guten Position also auch eine besondere Verantwortung, das sowieso schon geringe Niveau an Wettbewerb, nicht noch weiter zu gefährden und somit seinen eigenen Rechten letztendlich die objektive Rechtfertigung zu entziehen.[14]

Da eine marktbeherrschende Stellung und die Weigerung die eigene Erfindung zu lizensieren hierfür, wie gezeigt wurde, nicht ausreicht, müssen also zu diesen Grundbedingungen noch zusätzliche, außergewöhnliche Umstände hinzutreten, um den Tatbestand des Missbrauchs zu rechtfertigen.[15]

2.3 Marktmachtübertragung und „essential facilities“

In der vergangenen Rechtssprechung wurden diese Umstände meist bei Fällen identifiziert, in denen Unternehmen versucht haben ihre dominante Stellung von einem Markt auf einen neuen, dem anderen nachgelagerten Markt zu übertragen und wenn sie im Besitz einer so genannten „essential facility“ waren, die die Basis für komplementäre Produkte darstellte. Ist die Erfindung eines auf dem einen Markt herrschenden Unternehmens unweigerlich nötig für die Produktion von Gütern auf dem verknüpften Markt, schränkt sich der Spielraum für die Ausübung der eigenen Urheberrechte im Vergleich zu einem „ein Markt Szenario“ in gewissen Teilen ein.[16] Als Voraussetzung gilt hier die Unaustauschbarkeit des jeweiligen Produktes. Es muss unmöglich oder unzumutbar schwierig sein, eine Alternative selbst zu produzieren oder es sich aus einer anderen Quelle zu besorgen. Beispielsweise ist das Recht auf Nutzung eines nationalen Schienennetzes für Eisenbahnunternehmen unbedingt nötig um am Markt teilnehmen zu können. Auch wenn es nur einem Unternehmen gehört, muss Wettbewerbern die Nutzung ermöglicht werden, da für sie keinerlei Alternative besteht. Ein Ausschluss hätte das Ende jeglichen Wettbewerbs zur Folge. Daher wäre das Schienennetz hier als „essential facility“ einzustufen.[17]

Sobald ein Unternehmen die Rechte an seiner, für andere unabdingbaren Erfindung dazu nutzt, Wettbewerber aus einem nachgelagerten Markt auszuschließen, stellt dies ein illegales Verhalten dar.[18] So ein Produkt kann beispielsweise auch ein geistiges Eigentumsrecht sein. Weigert sich ein Unternehmen dieses Konkurrenten bereitzustellen, nur um sich einen nachgelagerten Markt zu sichern, stellt dies einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Artikel 82 dar.[19]

2.4 Beispiele für die vergangene Rechtssprechung

Als prominentes Beispiel fungiert hier der Fall Magill von 1995. Magill wollte eine wöchentliche Fernsehprogrammzeitschrift in Irland herausbringen, die das Programm aller Fernsehsender des entsprechenden Gebietes enthalten sollte. So eine umfassende TV-Zeitschrift war bislang noch nicht auf dem Markt, da jedes Sendeunternehmen jeweils seine Eigene veröffentlichte. Einige diese Unternehmen verweigerten Magill jedoch die Nutzung ihrer Programminformationen mit Hinweis auf ihre exklusiven Urheberrechte. Für den EuGH und die EU-Kommission stellte dieses Verhalten jedoch einen Missbrauch im Sinne von Artikel 82 dar.[20]

Erstens waren die Programminformationen der Sendeunternehmen unabdingbar für die Teilhabe am nachgelagerten Markt der umfassenden Programmzeitschriften und die Lizenzverweigerung ermöglichte den Sendern somit, ihr Monopol auf diesen zu übertragen.[21] Zweitens wollte Magill ein neues Produkt auf den Markt bringen, für das eine Nachfrage offensichtlich war. Die Sendeunternehmen missbrauchten also ihr Urheberrecht an den Programminformationen, um sich auch den nachgelagerten Markt, durch Verhinderung jeglichen Wettbewerbs, für sich zu sichern. Außerdem bestand keine objektiv nachvollziehbare Begründung für die Weigerung. Schließlich wurde Magill Recht gegeben und die Sendeunternehmen gezwungen die Programminformationen zu lizenzieren.[22]

[...]


[1] Vgl. Pressemitteilung der EU vom 27. Februar 2008 (IP/08/318).

[2] Vgl. Dolmans/O´Donoghue/Loewenthal (2007), S. 121ff.

[3] Vgl. Artikel 82 EG-Vertrag.

[4] Artikel 82 (b) EG Vertrag.

[5] Vgl. Daniels (2007), S. 50.

[6] Vgl. Besen/Raskind (1991), S. 5.

[7] Vgl. Dolmans/O´Donoghue/Loewenthal (2007), S.110f.

[8] Vgl. Artikel 82 EG Vertrag.

[9] Vgl. Anderman (2004), S. 8.

[10] Vgl. Europäische Kommission (2005), S. 67f.

[11] Vgl. Vezzoso (2005), S. 2.

[12] Vgl. Vezzoso (2005), S. 5.

[13] Vgl. Dolmans/O´Donoghue/Loewenthal (2007), S.113.

[14] Vgl. Pressemitteilung der EU vom 24. März 2004 (IP/04/382).

[15] Vgl. Dolmans/O´Donoghue/Loewenthal (2007), S.119.

[16] Vgl. Dolmans/O´Donoghue/Loewenthal (2007), S.126.

[17] Vgl. Humpe/Ritter (2005), S. 154.

[18] Vgl. Dolmans/O´Donoghue/Loewenthal (2007), S.127f.

[19] Vgl. Europäische Kommission (2005), S. 72.

[20] Vgl. Dolmans/O´Donoghue/Loewenthal (2007), S.118f.

[21] Vgl. Anderman (2004), S. 11.

[22] Vgl. Dolmans/O´Donoghue/Loewenthal (2007), S.119.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das Problem der Interoperabilität im europäischen Microsoft-Fall
Untertitel
Ein Beispiel für die Kollision von geistigen Eigentumsrechten und Wettbewerbspolitik unter Artikel 82 EG-Vertrag
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Wirtschaftspolitisches Seminar)
Veranstaltung
Innovationen, Wettbewerb und „Intellectual Property Rights“
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
19
Katalognummer
V94610
ISBN (eBook)
9783640106769
ISBN (Buch)
9783640112197
Dateigröße
459 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Problem, Interoperabilität, Microsoft-Fall, Innovationen, Wettbewerb, Property, EU, Europa, Microsoft, Vertrag, Patent, Essential, facility, Artikel, 82, EG-Vertrag, software, Gericht, Gerichtshof, Kartell, Markt, VWL, Innovationsökonomik, Kommission, Rights, Netzwerkgut, EC, Treaty, IMS, Health
Arbeit zitieren
Philipp Alvares de Souza Soares (Autor:in), 2008, Das Problem der Interoperabilität im europäischen Microsoft-Fall, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94610

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