Die Hoteltreppe (1927) Franz Werfel


Presentation (Elaboration), 1998

3 Pages


Excerpt


Interpretation:

Der österreichische jüdische Schriftsteller Franz Werfel schreibt in der Kurzgeschichte über Psychologie, die Gesellschaft und die Rolle der Frauen während der 20er Jahre des Jahrhunderts. Ich möchte vor allem die dabei entstehenden Konflikte und den Gegensatz zwischen Moral und persönlicher Freiheit darstellen.

Im Vordergrund steht Francine, eine junge, hübsche, wohlhabende Frau. Auf der einen Seite verhält sie sich stark traditionell, auf der anderen Seite recht emanzipiert. Ihr traditionelles Verhalten äussert sich im starken christlichen Glauben und in ihrem nicht dem Trend angepassten Haarschnitt; sie trägt ihre Haare lang. Trotz dieses Traditionsbewusstseins ist Francine sexuell aktiv und hat Lust am Risiko und am Unbekannten.

Im weiteren nimmt Philipp als Francines Verlobter eine wichtige Stellung ein. Philipps Erscheinung ähnelt in keiner Weise der eines Traummannes. Er ist klein und der Kopf zeigt schon erste Ansätze einer werdenden Glatze. Auch er kommt aus guten Verhältnissen und macht zudem beruflich Karriere. Philipp liebt Francine so hingebungsvoll, dass er seine Bedürfnisse hinter ihre stellt. In dieser Beziehung ist er somit der verlässliche und zärtliche Partner.

Dagegen verhält sich Guido als einmaligen Liebhaber egoistisch und oberflächlich. Seine Gesichtslosigkeit untermauert diese Charaktereigenschaften zusätzlich.

Beim Lesen dieser Dreiecksbeziehungsgeschichte drängen sich einige Inhaltsaspekte besonders hervor. Zum einen wird der innere Kampf Francines zwischen Tradition und Fortschritt, zum anderen ihre Beziehung zu Philipp sowie ihre kurze, aber schmerzvolle Affäre mit Guido ersichtlich. Das Liebesabenteuer mit Guido ist der Grund für die grosse seelische Verunsicherung Francines. Während der sieben Tage, die sie in dem Luxushotel ohne die sittenstrengen Eltern verbringt, entwickelt Francine ein grosses Verantwortungsbewusstsein der Gesellschaft, ihren Eltern und Gott gegenüber. Doch ihr Selbstbewusstsein kann damit in keiner Weise Schritt halten, es leidet sogar darunter. Denn jemehr sie versucht aus der Rolle der gesitteten, jungfräulichen und jungen Frau auszubrechen, wird der Druck der Moral und der Religion auf ihr weiteres Handeln immer grösser. Dies bringt Francine schliesslich beinahe zur Verzweiflung. Mit dem Verzicht auf den Lift will sie durch das Besteigen der grossen Treppe statt dessen Busse tun für ihre Taten und somit wieder gesellschaftsfähig werden. Doch auch mit dieser Selbstbestrafung schafft es Francine, trotz der guten Nachrichten von ihren Liebsten, nicht wirklich wieder Selbstvertrauen zu bekommen. Es ist ein trügerisches Gefühl der Sicherheit, das ihr weiteres Handeln bestimmt.

Anfänglich hinterfragt Francine ja ihre Beziehung zu Philipp, der, entgegen dem Zeitgeist, seiner zukünftigen Ehefrau viele Rechte und Freiheiten gewähren möchte, da er sie hingebungsvoll liebt. Er stellt keinerlei Anforderungen an Francine. Dieses Angebot gibt natürlich den Emanzipationsbestrebungen Francines gehörig Auftrieb. Sie ist dementsprechend auch glücklich. Doch damit wird die ganze Situation nur scheinbar einfacher, weil der Gegensatz zwischen Triebwelt und Moral bestehen bleibt, aber im Moment des Glücks nicht mehr wahrgenommen wird. Zu diesem Zeitpunkt spielt auch Guido keine Rolle mehr in Francines Psyche. Sie hat ihn vergessen, aus ihren Gedanken verbannt.

Die einzige wirkliche Demütigung erfährt sie durch einen Apotheker, den sie um Medizin gegen unwillkommene Konsequenzen ihres Sexuallebens bitten muss. Der Apotheker amüsiert sich über ihre Situation. Sein Verhalten ist spöttisch und herablassend, auf keinen Fall hilfsbereit oder verständnisvoll. Er ist ein typischer Vertreter der Moralgesellschaft.

Im obersten Stockwerk angekommen, mit neuer Hoffnung und dem trügerischen Gefühl der Sicherheit und Rettung erfüllt, widersetzt Francine sich nicht, an das Treppengeländer zu treten und hinunterzuschauen. Für einen kurzen Augenblick kommt ihr der Gedanke des Hinabspringens, des Sich-einfach-fallen-Lassens.

Deswegen, weil durch die Beseitigung ihrer Probleme die Banalität und Langeweile in ihr Leben zurückgekehrt sind. Da sie aber eigentlich eine risikofreudige Frau ist, die Spass und Abenteuer erleben möchte, lehnt sie sich noch weiter über das Geländer hinaus. Das herrschende Glücksgefühl und die Lust am Unbekannten überdecken jedes Verantwortungsbewusstsein und alle Alarmsignale. Es kommt auch niemand, um sie von dem Gelände wegzuholen. Somit ist Francine auf sich gestellt. Sie bringt auch die Kraft und den Willen nicht auf, selber einen Schritt rückwärts zu machen. Francine erkennt diese tödliche Tatsache und ergibt sich ihrem Schicksal.

Die trügerische Sicherheit, die nahende Rettung durch die Liebsten, der Bussgang über die Treppe und das schlussendlich doch Alleine-Sein mit den Problemen, all das führt Francine in den Tod. Der Tod ist hier die einzige Alternative zu einem Leben voller Verschmähungen und Verachtung. Denn früher oder später wäre die Affäre sicher bekanntgeworden. Die Konsequenzen wären unabsehbar, aber sicher nicht erfreulich. Francine hätte in einem solchen Leben kaum Überlebenschancen, weil sie genau zwischen Tradition und Fortschritt steht. Sie würde innerlich zerreissen. Somit wählt Francine, wenn auch unbewusst, das schnellere und einfachere Ende. Nach Sigmund Freud hat somit der Todestrieb über den Selbsterhaltungstrieb bzw. Lusttrieb gesiegt.

Dieser Text zeigt auf recht tragische und eindrückliche Art und Weise, dass jeder Mensch schliesslich alleine die Verantwortung und Konsequenzen für sein jeweiliges Handeln übernimmt. Die Leidtragenden sind jedoch meistens andere, vor allem Frauen und Junge. Dies konnte bis heute auch eine neue Moralgesellschaft und eine stärkere Position der Frauen nicht ändern. Ob dies jemals gelingt, wage ich zu bezweifeln.

Daniel Aebischer, 1Cc Seite

27. Mai 1999

Excerpt out of 3 pages

Details

Title
Die Hoteltreppe (1927) Franz Werfel
Course
Zürcher Hochschule Winterthur
Author
Year
1998
Pages
3
Catalog Number
V94777
ISBN (eBook)
9783638074575
File size
353 KB
Language
German
Notes
Kurzreferat, 2einhalb Seiten.
Keywords
Hoteltreppe, Franz, Werfel, Zürcher, Hochschule, Winterthur
Quote paper
Daniel Aebischer (Author), 1998, Die Hoteltreppe (1927) Franz Werfel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94777

Comments

  • guest on 5/26/2004

    unschlüssige Interpretation.

    Ich glaube nicht, daß Gewissenskonflikte in den Selbstmord führen. Gezeigt wird vielmehr eher, daß in einem Gefühl der Befreiung ein Selbstmord geschehen kann. Ein Selbstmord ist gerade nicht Konsequenz der ausweglosen Situation. Die Konstruktion, daß irgendwann, irgendjemand bestimmt mal was über den Seitensprung erfahren würde ist doch sehr schwach.

  • guest on 3/10/2004

    Frage zum Medikament.

    Welches Medikamt kauft Francine, bzw. was verändert dies bei ihr?
    Gehe ich recht in der Annahme, das es eine sterilisierende Wirkung hat?
    Bitte um schnelle Antwort!!!

  • guest on 3/9/2003

    Frage.

    Werfel hat doch zumeist stark biographische Züge. Gibt es ein Vorbild für Philipp bzw. welchen Beruf hatte er innen?

  • guest on 9/20/2000

    Hoteltreppe.

    alles schön und gut, aber...

    die Eltern Francinens spielen in der Geschichte eine zentrale Rolle lieber Daniel! Für den Entscheid "Selbstmord" spricht auch Francinens Beziehung zu ihren Eltern, welche beim Zeitpunkt des Todes gerade auf dem Weg zu ihr waren...

    deswegen nur ein Befriedigend für Dich, da du was wirklich wichtiges vergessen hast.

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Title: Die Hoteltreppe (1927) Franz Werfel



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