Sebastian Brants "Narrenschiff"


Seminar Paper, 1999

12 Pages


Excerpt


1. Einleitung

Sebastian Brants "Narrenschiff" kann als der größte deutsche literarische Erfolg bis Goethes "Werther" angesehen werden. Von dem 1494 erschienenen Buch wurden schnell zahlreiche Nachdrucke und Umarbeitungen veröffentlicht, es folgten lateinische, französische, englische und niederländische Übersetzungen, die das "Narrenschiff" zu einem europaweiten Bucherfolg werden ließen.

In seinem Werk beschreibt Brant die Fehltritte, Sünden und Laster seiner Zeitgenossen. Er tut dies allerdings nicht auf eine abstrakte Weise, sondern benutzt hierfür die Symbolfigur des Narren, welche er umformt. Auf diese Weise kann er konkret ausführen, wie der Narr in allen Lebenslagen Fehler begeht, und er kann die Leute erkennen lassen, daß sie sich sehr oft selbst wie die beschriebenen Narren verhalten. So gelingt es ihm, die Narren zum repräsentativen Menschheitssymbol zu erheben und seine moralischen Lehren zu vermitteln.

Im Kapitel 110b des "Narrenschiff" beschreibt Brant den Fastnachtsnarren und die Fastnacht. Er greift die Auswüchse des volkstümlichen Fastnachtstreibens sehr direkt an. Es soll untersucht werden, auf welche Weise er dies tut und welche Lehren er mit diesem besonderen Kapitel vermitteln will. Das Kapitel ist insofern besonders interessant, weil Brant hier nicht auf den Narren in allen Lebenslagen, sondern konkret auf den Narren während der Fastnacht eingeht.

2.1 Der Erfolg des Narrenschiffs

Wie kann ein Buch, in dem den Lesern am laufenden Band ihre Sünden und Laster vorgehalten werden, so erfolgreich sein? Der Erfolg ist durch mehrere Begebenheiten begründet.

Zunächst einmal erschien das Narrenschiff in einer für die Menschen schwierigen Zeit, einer Zeit der Unordnung und Verwirrung. Dies scheint auch Brant so zu sehen, denn er schildert sie in den Kapiteln "Vom Verfall des Glaubens" und "Vom Antichrist" als eine Krisenzeit größten Ausmaßes. Barbara Könneker schreibt über die Zeit des "Narrenschiff":

"Das Reich war zerrissen und schwach, die Kirche von den Streitigkeiten der Konzilszeit erschüttert, von außen drohten die Türken, die 1453 bereits Konstantinopel erobert hatten und das ganze Zeitalter in Furcht und Schrecken versetzten, und im Innern rief die rasch sich verbreitende Ketzerbewegung der Hussiten Beunruhigung und wachsende religiöse Erregung hervor."1

In dieser Zeit des Umbruchs und der Unordnung kamen die Lehren Brants gerade recht. Die Menschen suchten nach einem Rückhalt, nach einer Orientierungshilfe. Außerdem spricht das "Narrenschiff" durch die Illustrationen durch Holzschnitte, die Merksprüche, die treffenden Narrenbeschreibungen mit vielen Beispielen und durch die philosophischen und theologischen Erörterungen gleichermaßen die ungebildeten unteren Stände wie auch die Gelehrten an.

Die Symbolfigur des Narren war den Zeitgenossen Brants sehr bekannt. Im Allgemeinen wurden Geisteskranke, körperlich Entstellte, Christen, die nicht mehr an Gott glaubten, sowie Heiden als Narren bezeichnet. Aber auch die im Mittelalter bunt zusammengewürfelte Schar von sündigen Gauklern wurde als Narrenschar angesehen. Es gab auch die Fastnachtsnarren, die sich verkleideten und zur Fastnachtszeit all jenes taten, was sonst verboten war und streng verfolgt wurde. Diesen Narrenbegriff hat Brant in seinem Werk nun so umgeformt, daß die Narren zum repräsentativen Menschheitssymbol erhoben werden. Er beschreibt alle Fehltritte, Sünden und Laster der Narren stellvertretend für die gesamte Menschheit. So erkennt sich jeder Leser in dem Symbol des Brantschen Narren wieder. Da der Narrenbegriff im Mittelalter wie oben beschrieben allerdings sehr negativ war, konnte es niemandem gefallen, sich in Brants Narrenbeschreibungen wiederzuerkennen. Die Leute wurden dazu angeregt, sich eben nicht wie die beschriebenen Narren zu verhalten, und Brant hatte es auf diese Weise vollbracht, für jeden leicht verständlich seine moralischen Lehren weiterzugeben. Die im ganzen 16. Jahrhundert und darüber hinaus weithin populäre Narrenliteratur, die den Narren-Typus in den Mittelpunkt der Daseins- und Weltdeutung stellt, war geboren. Könneker schreibt hierzu:

"Denn Brant war der erste, der das Phänomen der Narrheit im geistigen Sinne deutete, indem er den sündhaften und irrenden Menschen mit seinen vielfältigen Fehlern und Lastern zum Narren stempelte und ihn als eine in jeder Hinsicht negative Größe dem Weisen als einem allgemeinen Menschheitsideal gegenüberstellte."2

Der Erfolg des "Narrenschiff" ist also nicht damit zu begründen, daß Brant ein großer Dichter war, sondern eher, weil er als ein weiser Lehrer zu sehen ist. Nach Barbara Könneker bestätigt dies Jacob Wimphelings Wunsch, das "Narrenschiff" als Lehrbuch in den Schulen einzuführen, außerdem "das Bestreben Geilers von Kaisersberg, es in einer großangelegten Predigtreihe unmittelbar in den Dienst der religiösen Volkserziehung zu stellen"3.

2.2 Die spätmittelalterliche Fastnacht

Der Begriff "Fastnacht" beschreibt eigentlich die Nacht vor dem Beginn der Fastenzeit, wurde aber später auch als Bezeichnung für die gesamte Festperiode vor der Fastenzeit gebraucht. "Fastnacht" stammt von dem Wort "fasten" ab. Brant spielt im Kapitel 110b des "Narrenschiff" ("Von Faßnachtnarren") mit dem Begriff "Fastnacht". In Vers 30 schreibt er: "Fast Nacht ist es vor ihrer Tür." Im Original benutzt Brant das Wortspiel "vast nacht", also "ganz Nacht", "ganz finster". Brant tut hiermit kund, daß es vor der Türe der Narren schon ganz Nacht ist, ihre Häuser sind von Finsternis umgeben und es droht ihnen der Tod, wenn sie das Fastnachtstreiben weiterhin so vollziehen, wie Brant es mißbilligend beschreibt ("Doch wie wir stellen uns zu Gott,/So läßt er uns oft bis zum Tod." (Verse 110f)).

Die Fastenzeit selber erstreckt sich über 40 Tage und beginnt direkt nach der Fastnacht am Dienstag vor Aschermittwoch. In dieser Zeit sollen die Menschen Buße tun, sich auf Gott besinnen und enthaltsam leben. Das bedeutet auch, auf Fleisch- und Eierspeisen und Alkohol zu verzichten. Die sexuelle Enthaltsamkeit wurde groß geschrieben. So ist verständlich, warum gerade in der Fastnacht alle danach verbotenen Dinge in besonderem Ausmaß zum tragen kamen. Rein ökonomisch gesehen mußten alle noch verbliebenen Geflügelerzeugnisse verbraucht werden, Metzger mußten noch einmal möglichst viel Fleisch verkaufen, um die Fastenzeit finanziell überstehen zu können. Die Fastnacht wurde auch schon früh zu Hochzeiten genutzt, da man die Fortpflanzung auf die Zeit vor Aschermittwoch legen wollte. In der Fastnacht selber wurden Speisen angeboten, die mit überdurchschnittlich vielen Eiern zubereitet waren (Schmalzgebäck, Fastnachtskrapfen), es wurde auch im Übermaß Fleisch gegessen und vielerorts vom Alkohol nicht gerade zimperlicher Gebrauch gemacht. Dazu kamen Spiele wie Turniere, Rennen und Stechen, Tanz mit Musik und Spielleuten und Schautänze. Die Leute sollten sich vor Beginn der Fastenzeit noch einmal richtig ausgelassen abreagieren können und sich ganz den weltlichen Trieben und Lastern hingeben, um sich so nachher in der Fastenzeit besser auf Gott besinnen zu können. Während der Fastnacht galt das Ausnahmerecht, die sog. "Narrenfreiheit".

Am Aschermittwoch sollte man dann seine Fehler und Sünden erkennen und Buße tun. In der Kirche wurde das Aschenkreuz als Zeichen der Bußbereitschaft auf die Stirn gezeichnet. Das Ausnahmerecht der Fastnacht wurde aufgehoben, danach galt offiziell die Fastenzeit, in der sich auf Gott besonnen werden sollte.

Nach dem Zwei-Staaten-Modell von Augustinus gibt es einen Teufelsstaat (civitas diaboli), dem in diesem Fall die Fastnachtsnarren angehören, während die Menschen ansonsten dem Gottesstaat (civitas dei) zuzuordnen sind. Durch die Verkleidungen der Fastnachtsnarren verändern diese ihre Identität, sind also nicht mehr als Ebenbilder Gottes zu erkennen.

2.3 Kapitel 110b - Die Darstellung der Fastnacht und der Fastnachtsnarren

Nun zum Hauptgegenstand der Untersuchung, dem Kapitel 110b im "Narrenschiff", in dem Brant das Fastnachtstreiben und die Fastnachtsnarren beschreibt. Bei einer bloßen Beschreibung bleibt es aber nicht. Vielmehr greift Brant das volkstümliche Fastnachtstreiben direkt an. Da man aber davon ausgehen kann, daß er mit der Tatsache, die Kirche billige dieses Treiben aufgrund der ihm zugesprochenen Ventilfunktion, vertraut gewesen ist, ist anzunehmen, daß er sich hauptsächlich gegen die Ausdehnung des Fastnachtstreibens auf die Fastenzeit wendet.

Zunächst einmal beschreibt der Autor satirisch, aber doch ernst, wie sich die Fastnachtsnarren verkleiden und wie sie sich benehmen. Auch in diesem Kapitel haben die Narren eine "Torenkappe" bzw. eine "Narrenkapp" auf dem Kopf. Brant schreibt:

"Ich weiß noch etliche Faßnachtnarren,/Die in der Torenkappe beharren." (Verse 1f) Und: "Die Narrenkapp sie lieber haben,/Daß man die Ohren daraus strecke,/Als daß man sich mit Tüchern decke." (Verse 103-105) Der didaktische Teil darf natürlich nicht fehlen: "Der Narren Kapp bringt Angst und Pein" (Vers 112).

Die Fastnachtsnarren verkleiden sich in Brants Beschreibung dermaßen, daß sie nicht mehr erkannt werden können. Sie vermummen sich am ganzen Körper und schwärzen sich das Gesicht. Auf diese Weise verlieren sie ihre Identität und sind keine Ebenbilder Gottes mehr, gehören also nach dem Zwei-Staaten-Modell von Augustinus dem Teufelsstaat an. Brant kritisiert, daß sich die Narren das Gesicht mit Asche schwärzen, um dem Teufelsstaat anzugehören, allerdings Aschermittwoch nicht das Aschenkreuz als Zeichen Gottes in Empfang nehmen wollen. Das würde ihre Bußbereitschaft zeigen und sie würden wieder dem Staat Gottes angehören. Er schreibt hierzu:

"Ein Teil macht schwarz sich das Gesicht, Vermummt am ganzen Leib sich dicht Und läuft einher nach Butzen-Weise."4

Mit "Butzen-Weise" ist hier gemeint, daß sie wie Kobolde durch die Gegend streunen und Unruhe stiften. Weiterhin schreibt Brant:

" Nur wen'ge sich der Asche nahen, Um sie mit Andacht zu empfahen; Sie fürchten, Asche werde schmerzen; Sie wollen lieber ihr Antlitz schwärzen Und sich berußen wie eine Kohl': Des Teufels Zeichen paßt ihnen wohl, Das Zeichen Gottes sie verschmähn, Mit Christo wollen sie nicht erstehn."5

Mit dem "Zeichen Gottes" ist hier das oben erwähnte Aschenkreuz gemeint. Brant beschreibt auch, wie die Fastnachtsnarren, zwar stark verkleidet, aber mit Absicht so ausstaffiert, daß man sie doch erkennt, sich über die Obrigkeit, die höheren Stände oder gar die Kirche lustig machen. Zunächst spottet ein Narr in seinem Beispiel:

"Und spreche: 'Schau, mein Herr von Runkel! Der kommt und führt am Arm 'ne Kunkel; Das hat gar Großes zu bedeuten, Daß er kommt zu uns armen Leuten, So gnädig ist, uns zu besuchen.' Doch will er Schändung nur versuchen"6

Brant mißfällt besonders die Verachtung und Verspottung der Kirche sehr. Er beschreibt, wie die Narren selbst vor den Kirchen nicht halt machen und darin umherlaufen, um dort die "Frauen zu beschmieren" (Vers 72), dieses auch noch für ein "groß Hofieren" (Vers 73), also für feine Sitte halten. Im Mittelalter wurden zur Fastnachtszeit teilweise auch verbotene Glücksspiele wie Karten- oder Würfelspiele in den Kirchen gespielt. Es ist nicht eindeutig zu erkennen, was genau Brant mit dem Beschmieren der Frauen meint. Zum einen beschreibt er des öfteren, wie schmutzig die Narren sind: "Im Schmutz, als sollt man Immen fassen," (Vers 34). Mit dem Beschmieren der Frauen kann Brant aber auch eine sexuelle Betätigung in der Kirche gemeint haben. Da in der Fastenzeit die sexuelle Enthaltsamkeit sehr wichtig war, wurde in der Fastnacht dem Fortpflanzungstrieb noch einmal freien Lauf gelassen. Es ist also als sehr wahrscheinlich anzusehen, daß Brant hier darstellen will, wie die Fastnachtsnarren schändlicherweise ausgerechnet in der Kirche ihrem Fortpflanzungstrieb nachgehen.

Er beschreibt auch, wie aus Spott der sog. Palmesel, das Tier also, welches nach altem Brauch Palmsonntag in die Kirche geführt wurde, durch die Stadt getrieben wird. Jesus Christus ritt auf einem Esel in Jerusalem ein, die Leute wedelten ihm mit Palmzweigen zur Begrüßung zu. Jetzt reiten Narren auf diesem Esel zur Verspottung der Kirche durch die ganze Stadt: "Den Esel wüste Rotten tragen,/Mit ihm die ganze Stadt durchjagen." (Verse 74f)

Brant kritisiert auch, daß die Narren, die am unsinnigsten sind und den schändlichsten Schabernack treiben, auch dafür noch besonders gerühmt werden: "Und wer dann ist unsinnig ganz,/Der meint, ihm schulde man den Kranz." (Verse 35f) Später treffen sich die Narren in Brants Darstellung zu "Tanz und Stechen" (Vers 76).

Ihm mißfällt, daß sich hier beim Stechen auch Handwerker und Bauern der niederen Stände betätigen, die nicht darüber Bescheid wissen und zudem in den meisten Fällen wahrscheinlich auch noch betrunken waren. Er beklagt:

"Wenn mancher auch nicht reiten kann; Es wird gestochen unverhofft, Daß Hals und Rücken brechen oft: Und das soll h ö fisch Scherzen sein!"7

Nach Brants Meinung hat der Teufel die Fastnacht, "Der Narren Kirchweih" (Vers 31), erdacht: "Der Teufel hat solch Spiel erdacht!" (Vers 40).

Er betont, daß weder Juden, Heiden noch Zigeuner so schändlich mit ihrem Glauben verfahren, wie es die Christen während der Fastnacht tun: "Daß weder Juden, Heiden, Tataren/Im Glauben schändlich so verfahren/Wie wir, die wir uns Christen nennen/Und wenig mit Werken dazu bekennen," (Verse 50-53).

Mit einem Wortspiel in Vers 30 möchte Brant darstellen, wie schlecht es um die Narren steht. Er schreibt: "Fast Nacht ist es vor ihrer Tür." Das Wortspiel ist nur so übersetzbar, während es bei Brant "vast nacht", also "ganz Nacht", "ganz finster" bedeutet. Vor den Türen der Narren, um ihre Häuser herum, ist es also völlig dunkel; ihnen droht Böses, wenn sie weiterhin ihren Trieben nachgeben und sich gegen Gott wenden. Moralisch-didaktisch fügt Brant am Schluß noch einmal hinzu: "Doch wie wir stellen uns zu Gott,/So läßt er uns oft bis zum Tod./Der Narren Kapp bringt Angst und Pein" (Verse 110-112).

Im Folgenden bestätigt sich die These, daß Brant nicht hauptsächlich das kirchlich geduldete volkstümliche Fastnachtstreiben im Ausnahmezustand kritisieren will, sondern besonders die Ausdehnung dieses Treibens auf die der Fastnacht folgende Fastenzeit mißbilligt.

Er beschwert sich darüber, daß die Leute nach dem wilden Treiben keine Ruhe finden können. Sie sollten sich statt dessen lieber auf Gott besinnen und ihr "Seelen Heil" (Vers 27) suchen. Brant vermerkt: "Wann man der Seelen Heil sollt pflegen,/Da geben Narren erst den Segen" (Verse 27f) oder auch "Anstatt zu suchen Seelenheil,/Tanzt man erst recht am Narrenseil." (Verse 41f) Er legt auch beispielhaft dar, wie die Fastnachtsnarren den in der Fastenzeit verbotenen Speisen und Getränken im Übermaß fröhnen, und daß diese Orgien meist bis zur morgendlichen Messe dauern, wo die Fastenzeit beginnen sollte. Die Narren schaffen es dann nicht einmal, bis zur Messe wieder nüchtern zu sein. So kann keine richtige Andacht stattfinden. Brant argumentiert wie folgt:

"Mancher vergißt sich so im Fressen, Als sollt er ein ganzes Jahr nichts essen, und sein Verlangen ist nicht gestillt, Wenn bis zur Meßzeit er sich füllt, Verbotne Speis schafft ihm Behagen, Man ißt sie, bis man sieht es tagen."8

Auf diese Weise kommt die Fastenzeit gar nicht zum Tragen. Brant befürchtet und sieht am Verhalten der Narren, die er beschreibt, bestätigt, daß die Fastnachtsstimmung nicht nur die Fastnacht, die Fastenzeit, sondern gar gleich das ganze Jahr über anhält.

Denn eh die Andacht man beginnt, Drei-, vierfach man auf Faßnacht sinnt Und kommt erst ganz von Sinnen gar, Das währt dann durch das ganze Jahr. Man bricht der Fasten ab das Haupt, damit man sie der Kraft beraubt."9

Mit dem Abbrechen des Hauptes ist die Verstümmelung des lateinischen Beinamens des Aschermittwochs, "caput Quinquagesimae", gemeint.

Brant führt weiterhin aus:

"Darnach füllt man sich an mit Wein; Von Fasten weiß man nicht zu sagen. Solch Wesen währt bei vierzehn Tagen, Die Fasten ganz an manchen Enden, Die Karwoch' kann es kaum abwenden."10

Die rechte Reue, die am Aschermittwoch vorherrschen sollte, kann auf diese Weise nicht entstehen. Vielmehr haben die Fastnachtsnarren nach Brants Ansicht schon die nächsten Belustigungen im Kopf: "Man möchte morgen wieder dran,/Dem Narrenseil noch mehr nachhängen;/Nach Emmaus wir alle drängen." (Verse 92-95) Von dem Gang der Jünger nach Emmaus handelt das Evangelium, welches am Ostermontag verlesen wird. Brant meint hier aber die Osterbelustigungen, die am Montag stattfanden. Ihm ist auch noch aufgefallen, daß die Frauen sich nicht die Köpfe mit Tüchern verhüllen. Das wäre als Zeichen ernster Gesinnung seiner Meinung nach aber angebracht. Statt dessen reizen sie die Männer und lenken sie so in der Kirche von Andacht und Besinnung auf Gott ab. Statt den Kopf mit Tüchern zu bedecken, setzten sie sich lieber die symbolische Narrenkappe auf, sind also immer noch die dem Teufelsstaat angehörigen Narren, anstatt Buße zu tun und wieder dem Gottesstaat anzugehören. Brant schreibt satirisch: "Man mag das Haupt nicht länger decken,/Es könnte leicht ein Wind entstehn,/Den Frauen ab die Tücher wehn,/Die hingen an den nächsten Hecken." (Verse 97-100), und er führt weiter aus: "Die Frauen sich nicht gern bedecken,/Sie reizen damit Mann und Knaben;/Die Narrenkapp sie lieber haben," (Verse 101-103).

Daß es Brant hauptsächlich um die Verlängerung der Fastnacht in die Fastenzeit und über das ganze Jahr geht, beweist noch einmal seine moralische Lehre am Ende des Kapitels. Er mißbilligt, daß keine "rechte Andacht" (Vers 109) aufkommt und warnt, daß den Narren im Endeffekt "Angst", "Pein" und der "Tod" drohen (Verse 112 und 111). Seine moralische Didaxe lautet wie folgt:

"So kann ich hiermit wohl beschließen,

Wiewohl es einige mag verdrießen, Daß, wo man sucht Fastnacht allein, Will keine rechte Andacht sein. Doch wie wir stellen uns zu Gott, So läßt er uns oft bis zum Tod. Der Narren Kapp bringt Angst und Pein Und kann doch nicht in Ruhe sein, Sie wird selbst in den Fasten jetzt Und in der Karwoch' aufgesetzt."11

3. Schlußwort

Brants Darstellungen der Fastnacht und der Fastnachtsnarren ließen sich recht eindeutig nachvollziehen. Es ist ihm gelungen, dem Leser einen Spiegel vorzuhalten und ihn zum Nachdenken anzuregen. Auch zur heutigen Zeit wird nach Brants Schilderungen noch so mancher den Narren in sich wiedererkennen können, und seine Lehren haben, auch wenn sie vielleicht etwas alt hergebracht erscheinen, durchaus noch Gültigkeit.

Zudem kristallisierte sich heraus, daß Brant hauptsächlich das Treiben nach der Fastnacht, also zur Fastenzeit und über das ganze Jahr, kritisieren wollte. Ihm mißfiel, daß die Fastnachtsnarren kein Ende finden konnten und so die Fastenzeit sinnlos wurde. Mezger schreibt hierzu: "Für die Kirche stand jedoch seit jeher fest: Ohne die Einsicht des Narren in der Fastenzeit verliert die Narrheit des Christen an Fastnacht ihre Berechtigung."12

Nach Gaier gilt die Fastnacht schließlich am Anfang des 16. Jahrhunderts nach Brants "Narrenschiff" nicht mehr als "Brauchrahmen", sondern als Selbstinzenierung der Sünde und des Bösen: "Fastnacht [...] ist wie anderes von der Narrheit oder vom Teufel erdacht."13

Es wäre eine Überlegung wert, ob ein Buch, ähnlich wie das "Narrenschiff" verfaßt, heutzutage noch einen so großen Erfolg haben könnte. Zwischen der Zeit, in der das "Narrenschiff" verfaßt wurde, und der heutigen Zeit bestehen einige Parallelen. So befinden wir uns auch jetzt in einer unruhigen, ungeordneten Zeit, in der die technologische Revolution, die zunehmende Globalisierung und auch die hohe Arbeitslosigkeit und ihre politischen Folgen, wie auch die zunehmend schlechter werdende wirtschaftliche Situation die Menschen verängstigt. Auch sind, besonders durch die oben genannten Faktoren, in den letzten Jahren oder Jahrzehnten zunehmend gesellschaftliche und moralische Veränderungen zu verzeichnen. Vielleicht suchen die Menschen dadurch, wie zur Zeit Brants, gerade jetzt wieder nach einem Rückhalt bzw. nach Jemandem, der ihnen einen Spiegel vorhält und ihnen vorführt, wie sie sich manchmal falsch verhalten.

4. Literaturverzeichnis

Primärliteratur:

BRANT, Sebastian: "Das Narrenschiff"; Reclam, Stuttgart 1992; Kap. 110b

Sekundärliteratur:

KÖNNEKER, Barbara: "Sebastian Brant, Das Narrenschiff, Interpretationen"; R. Oldenbourg Verlag, München 1966

KÖNNEKER, Barbara: "Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant-Murner-Erasmus"; Wiesbaden 1966

MEZGER, Werner: "Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur"; Konstanz 1991

MEZGER, Werner: "Narretei und Tradition: die Rottweiler Fasnet"; Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1984

GAIER, Ulrich: "Satire. Studien zu Neidhart, Wittenweiler, Brant und zur satirischen Schreibart"; Tübingen 1967

[...]


1 KÖNNEKER, Barbara: "Sebastian Brant, Das Narrenschiff, Interpretationen"; R. Oldenbourg Verlag, München 1966; S. 10

2 KÖNNEKER, Barbara: "Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant-Murner-Erasmus"; Wiesbaden 1966; S. 2

3 KÖNNEKER, Barbara: "Sebastian Brant, Das Narrenschiff, Interpretationen"; R. Oldenbourg Verlag, München 1966; S. 9

4 BRANT, Sebastian: "Das Narrenschiff"; Reclam, Stuttgart 1992; Kap. 110b, Verse 5- 7

5 ebenda, Verse 60ff

6 ebenda, Verse 13-17

7 ebenda, Verse 80-84

8 ebenda, Verse 43-48

9 ebenda, Verse 54-59

10 ebenda, Verse 85-89

11 ebenda, Verse 107-115

12 MEZGER, Werner: "Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur"; Konstanz 1991; S. 482

13 GAIER, Ulrich: "Satire. Studien zu Neidhart, Wittenweiler, Brant und zur satirischen Schreibart"; Tübingen 1967; S. 219

Excerpt out of 12 pages

Details

Title
Sebastian Brants "Narrenschiff"
College
University of Dusseldorf "Heinrich Heine"
Course
Seminar: Textinterpretation: Schelme und Narren in der Literatur des späten Mittelalters
Author
Year
1999
Pages
12
Catalog Number
V94795
ISBN (eBook)
9783638074759
File size
424 KB
Language
German
Keywords
Sebastian, Brants, Narrenschiff, Seminar, Textinterpretation, Schelme, Narren, Literatur, Mittelalters
Quote paper
Kirk (Author), 1999, Sebastian Brants "Narrenschiff", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94795

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