Kommunikation in der Kontroverse


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 1995

20 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kurzer Aufriß über die Geschichte der Kommunikationsforschung
2.1. Die Lasswell-Formel
2.2. Das informationstheoretische Modell von Shannon/Weaver
2.3. Kommunikationsmodell von Merten

3. Die handlungstheoretische Sicht von Kommunikation
3.1. Der Begriff des sozialen Handelns bei Max Weber
3.2. Kommunikation und Handlung aus Sicht von Hartmut Esser

4. Die systemtheoretische Sicht von Kommunikation
4.1. Allgemeine Darstellung der systemtheoretischen Ansätze
4.2. Luhmanns Ansatz einer Theorie selbstreferentieller Systeme
4.3. Kommunikation als eigenständiges autopoietisches System

5. Versuch einer Synthese

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung:

Kommunikation - sie erscheint uns so selbstverständlich, daß die Frage nach ihrer Funktionsweise oft als akademische Spielerei abgetan wird. Daß dann unter renommierten Wissenschaftlern auch noch Uneinigkeit über diesen scheinbar doch so einfachen und alltäglich zu beobachtenden Prozeß herrscht, scheint auf diesem Hintergrund umso unverständlicher. Fragt man sich dann aber selbst: "Was ist eigentlich Kommunikation ?" "Was macht Kommunikation aus ?" "Wie funktioniert Kommunikation ?" wird einem schnell klar, daß mit den Mitteln des Alltagsverstandes, also unter Gebrauch von relativ unbeweglichen Theorien ein tiefergehendes Verständnis von Kommunikation wohl nicht erreicht werden kann. Zugleich wird einem klar, daß dieser Prozeß sehr mannigfaltig ist und unzählige Aspekte für tiefgehendere Fragen eröffnet. Desweiteren erkennt man, daß es anscheinend gar nicht so einfach ist, Kommunikation zu beobachten und zu erfassen, ist sie doch ein äußerst flüchtiger Prozeß, der nicht - wie z.B. in den Naturwissenschaften - unter den gleichen Bedingungen wiederholt werden kann. Dieser Sachverhalt gebietet insofern, daß Beschäftigung mit Kommunikation vor allem auf einem fundierten Theoriegebäude fußen muß. Dabei haben sich in der jüngeren Geschichte unter anderem zwei Positionen als nützlich erwiesen: die handlungstheoretische Sicht und die systemtheoretische Sicht. Diese beiden Sichtweisen können zugleich als Paradebeispiel einer wissenschaftlichen Kontroverse angesehen werden.

Diese Arbeit stellt nun eben diese beiden kontroverse Positionen dar: die handlungstheoretische Vorstellung von Kommunikation unter Bezug auf Hartmut Esser und die systemtheoretische Vorstellung von Kommunikation von Niklas Luhmann. Dazu wird es nötig sein zuerst einen kleinen Blick in die Geschichte der Kommunikationsforschung zu werfen, damit die dann zu behandelnden Sichtweisen in ihrer historischen Dimension eingeordnet und so besser verstanden werden können.

2. Kurzer Aufriß über die Geschichte der Kommunikationsforschung

Daß Kommunikation ein essentieller Bestandteil - vielleicht sogar der konstituierende Faktor - einer jeden Gesellschaft ist, ist eine Erkenntnis, die sich innnerhalb des wissenschaftlichen Systems im Vergleich zu anderen Disziplinen erst relativ spät durchgesetzt hat. Insofern besteht zwischen der Bedeutung von Kommunikation für die Sozialwissenschaften und dem relativ späten Beginn einer fundierten Kommunikationsforschung eine starke Diskrepanz. Einer der ersten, der das Feld der Kommunikationsforschung systematisch abgesteckt hat war Harold D. Lasswell im Jahre 1948 mit seiner berühmten

2.1. Lasswell-Formel

Diese lautet: "Who says what in which channel to whom with what effect ?" In dieser Formel sind sowohl die verschiedenen Elemente des Kommunikationsprozesses (Kommunikator, Mitteilung, Medium, Rezipient) als auch die kommunikationswissenschaftlichen Forschungsfelder (Kommunikatorforschung, Inhaltsanalyse, Medienkunde, Rezipientenforschung und Wirkungsforschung) enthalten. Diese Darstellung des Kommunikationsprozesses ist oft als lineares Modell der Kommunikation mißverstanden worden. In der Tat hat Lasswells Formel keinerlei prognostizierenden oder heuristischen Charakter. Allerdings hat ihre organisierende Funktion bis heute noch Bestand. In Wirklichkeit ging es Lasswell aber auch gar nicht darum, eine exakte Abbildung des Kommunikaitonsprozesses vorzulegen, ihm ging es darum, das Feld vor allem der Massenkommunikationsforschung sinnvoll abzustecken.

2.2. Das erste "echte" Kommunikationsmodell legten Shannon/Weaver mit ihrem

informationstheoretischen Modell vor: demnach enkodiert der Sender die Botschaft in ein Signal, das er an den Empfänger sendet. Von diesem wird das Signal zurückübersetzt (Dekodierung) und schließlich an das Ziel weitergeleitet. Gestört werden kann der Kommunikationsprozeß in diesem Modell durch sogenanntes Rauschen, durch welches das ursprüngliche Signal beeinträchtigt werden kann. Graphisch läßt sich dieses Modell derart veranschaulichen (nächste Seite):

source transmitter receiver destination message signal received message signal

noise

(nach Shannon/Weaver 1972, 34)

Kritisch an diesem Modell ist anzumerken, daß es nur einen einseitigen, linearen Prozeß abbildet, in dem es keine Rückkopplungsprozesse (Feedback) gibt. Die Akteure Sender und Empfänger treten als absolute Instanzen auf, die in keinen sozialpsychologischen Kontext eingeordnet werden und denen keine reflexiven Momente zugeschrieben werden. Desweiteren ist der Empfänger vom Sender abhängig, ist ihm in dieser Hinsicht unterworfen. Shannon und Weaver wollten mit ihrem Modell aber nicht die informelle Kommunikation abbilden. Ihr Modell entstammt der mathematischen Informationstheorie, in der Signal als exakt meßbare Einheit verstanden wird und ist deswegen als Modell der technischen Informationsübertragung zu verstehen (z.B. Telefon).

2.3. Die Schwächen dieses Modells hat Klaus Merten durch Erweiterung um

Rückkopplungsprozesse, reflexive Strukturen und sozialpsychologische Momente aufzuheben versucht (vgl. Merten 1977, 134). Hier ist nun nicht mehr von Sender und Empfänger die Rede, sondern von Kommunikanden, die sowohl über ein akustisches Medium (z.B. Sprache) als auch über einen visuellen Kanal (z.B. Gestik, Mimik) miteinander kommunizieren. Dabei nehmen sich die Kommunikanden reflexiv wahr, während sie miteinander kommunizieren: Kommunikand K1 nimmt wahr, daß K2 ihn wahrnimmt und umgekehrt und beide sind sich bewußt, daß sie vom anderen wahrgenommen werden ("Reziprozität der Wahrnehmung"). Es tritt desweiteren ein zweiter reziproker Bereich hinzu: der Bereich der Erwartungsstrukturen: K1 erwartet, daß K2 erwartet, daß K1 erwartet, usw..

Mertens Modell überwindet die Shannon/Weavers Modell implizierende Vorstellung Sender und Empfänger seien absolute Instanzen, über deren Innenleben nichts ausgesagt werden kann, indem er sie in einen äußeren Kommunikationszusammenhang (Wahrnehmung der Situation, des Kommunikationspartners) als auch in einen inneren Kommunikationszusammenhang (Wahrnehmung von sich selbst) stellt.

Zusammenfassend läßt sich über alle drei Beschreibungen von Kommunikation bzw. des Kommunikationsprozesses sagen, daß ihnen die Vorstellung von Kommunikation als Übertragung von Zeichen, Informationen (Transfer), bei der die Kommunikationspartner - zwar über Kanäle - in direktem Kontakt zueinander stehen, zugrundeliegt. Neuere Tendenzen in der Kommunikationstheorie seit Mitte der siebziger Jahre lehnen, insbesondere die konstruktivistische1 und die systemtheoretische Sichtweise lehnen diesen Transfergedanken ab.

Gegen die systemtheoretische Sichtweise Niklas Luhmanns (vgl. "Soziale Systeme", 1984, 191-241), bei der um nur einen Gedanken zu nennen, Kommunikation nicht als Handlung, sondern primär als Selektionsleistung der drei Operationen Information, Mitteilung und Verstehen betrachtet wird, argumentiert Hartmut Esser in "Kommunikation und `Handlung'(Esser, Hartmut, 1993). Um die Argumentation Essers verstehen zu können, wird es nötig sein darzulegen, auf welchem theoretischen Gerüst sie aufbaut: nämlich auf der

3. handlungstheoretischen Sicht von Kommunikation

und dem

3.1. Begriff des sozialen Handelns bei Max Weber

"Soziales Handeln (einschließlich des Unterlassens oder Duldens) kann orientiert werden am vergangenen, gegenwärtigen oder für künftig erwarteten Verhalten anderer (...)." (Weber 1956, 16). Dieser Satz enthält fünf Komponenten: eine Handlungskomponente, eine Orientierungskomponente, eine Zeitkomponente, eine Erwartungskomponente und eine Objektkomponente. Handeln kann zwar in einem sozialen Kontext - einfache Anwesenheit von zwei oder mehr Personen - erfolgen, es wird aber erst dann sozial, wenn es sich am Verhalten anderer orientiert. Ein kleines Beispiel mag helfen, dies zu verdeutlichen: mehrere Industiearbeiter arbeiten an einem Montageband, dessen Geschwindigkeit von der Arbeitsleistung aller bestimmt wird. Arbeitet nun einer der Arbeiter schneller als die anderen, wird sich die Geschwindigkeit des Bandes im Verhältnis seiner Arbeitsleistung zur Gesamtarbeitsleistung steigern. Die anderen Arbeiter stellen nun eine sinnhafte Verknüpfung zwischen dem schneller laufenden Band und dem schneller arbeitenden Kollegen her. Sie können wählen, das Arbeitstempo auch zu erhöhen, wodurch das Band noch schneller laufen wird, oder sie werden sich entscheiden ihr Arbeitstempo zu drosseln, damit der andere die Sinnlosigkeit seines Unterfangens (er müßte ja noch mehr arbeiten, um die Geschwindigkeit zu halten) einsieht und das Band wieder die ursprüngliche Geschwindigkeit erreicht hat. In jedem Falle ist ihr Handeln sozial, weil es sich am künftig zu erwarteten Verhalten des anderen orientiert. Handeln ist in diesem Sinne nicht sozial, wenn "es sich lediglich an den Erwartungen des Verhaltens sachlicher Objekte orientiert." (ebd. , 16). Wie schon in dem kleinen Beispiel erwähnt, ist ein weiteres Merkmal sozialen Handelns die Sinnhaftigkeit. Den Zusammenprall zweier Radfahrer z.B. ist erst dann soziales Handeln wenn es mit Sinn behaftet wird, also z.B. die auf den Zusammenprall folgende Schimpferei (ebd., 16) - stünden die Radler nach dem Zusammenprall gleich wieder auf, ohne die Situation zu bewerten, wäre dieser Zusammenprall in die Kategorie "Ereignis" einzuordnen. Soziales Handeln ist, so Weber weiter, weder mit "a) mit einem gleichm äß igen Handeln mehrerer, noch b) mit jedem durch das Verhalten anderer beeinflußten Handeln." gleichzusetzen (ebd., 16). So ist z.B. a) das Aufspannen eines Regenschirms einer großen Menge von Menschen primär nicht auf das sich "gegenseitige Orientieren", sondern vielmehr in der einfachen Tatsache begründet, daß es regnet (vgl. ebd., 16). Auch darf sozialen Handeln b) nicht mit massenbedingtem Handeln verwechselt werden: es ist zwar in den meisten Fällen so, daß die durch die bloße Beteiligung, das schlichte "sich in einer Masse befinden", das Individuum mehr oder weniger stark beeinflußt wird, soziales Handeln wird "dieses sich beeinflussen lassen" aber erst dann, wenn eine sinnhafte Verküpfung zwischen dem einzelnen und der Masse hergestellt wird. Kommunikation erleichtert nun in diesem Sinne "die Herausbildung von Regelmäßigkeiten im sozialen Handeln - nämlich das Entstehen eines jeweils typischen und gleichartig gemeinten Sinnnes bei bei den Handelnden." (Schenk 1994, 173).

Um es zusammenzufassen: soziales Handeln ist eine bestimmte Form von Handeln überhaupt. Ebensowenig wie jedes Handeln, das sich in Anwesenheit anderer abspielt, soziales Handeln ist, ist Handeln, das sich in Abwesenheit anderer abspielt nicht nicht soziales Handeln, denn bei dem letzten Fall könnte sich das Handeln ja auch am Vergangenen, "schon dagewesenem" orientieren. Trotzdem, oder gerade deshalb ist soziales Handeln ohne sinnhafte Verknüpfung zu dem anderen nicht möglich.

Eng verknüpft mit dem Begriff des sozialen Handelns bei Max Weber ist der "symbolische Interaktionismus" von Herbert G. Mead, der den Begriff "kommunikatives Handeln", der später in Niklas Luhmanns Kommunikationstheorie noch kritisiert wurde (vgl. Luhmann 1984, 192), einführte. Die Instrumente des sozialen Handelns, so läßt sich eine Verbindung zwischen Mead und Weber herstellen, sind Symbole: Menschen handeln demnach aufgrund von Bedeutungen, die sie den Handlungen des anderen abgewinnen:

1. Handlungen sind bedeutungsvoll und 2. Symbolische Handlungen erfordern Reaktion. 3. Diese Reaktion wird nun wieder als symbolische Handlung angesehen: die Partner interagieren aufgrund symbolischer Handlungen. Bemerkenswert an dieser Vorstellung ist die Tatsache, daß lange vor bevor die Bedeutung kognitiver Konstruktionsleistungen des Gehirns für die Wahrnehmung2 für die Kommunikationsforschung3 erkannt wurde, die interpretativen Leistungen des Individuums als Vorraussetzungen für Interaktion gesehen wurden. Insofern sagt dieser Ansatz natürlich auch jeder Vorstellung von Kommunikation im Sinne eines Containermodells ab.

Nachdem nun die theoretischen Vorarbeiten geleistet wollen wir uns schließlich der Darstellung Essers - Kommunikation als Kette von Handlungen - zuwenden.

3.2. Kommunikation und Handlung aus Sicht von Hartmut Esser

Esser setzt sich in der Einleitung zu seinem Aufsatz "Kommunikation und `Handlung'" sehr kritisch mit der Systemtheorie im allgemeinen und mit Luhmanns in seinem Ansatz einer Theorie selbstreferentieller Systeme ("Soziale Systeme", 1984)(sog. autopoietische Wende) aufgestellten Behauptung, "...Kommunikation sei grundsätzlich nicht als `Handlung' oder als `Kette' von Handlungen zu konzeptualisieren." (vgl. Esser 1993, 173f.). Genau dies versucht er dann im folgenden darzulegen.

Er beginnt dabei mit dem klassischen allgemeinen Modell, das in einer einfachsten Form drei Elemente unterscheidet: Sender, Medium und Empfänger (vgl. 2.1.). "Hinter diesem Modell", so Esser, "verbergen sich eine Reihe sehr verschiedener Einzelprozesse." (ebd., 174), die sich aber laut Esser in drei Schritten zusammenfassen lassen:

"Der erste Schritt ist die Selektion bestimmter kommunikativer Akte durch den Sender." (ebd., 175). D.h., daß der Sender aus einer großen, wenn nicht sogar unüberschaubaren Fülle von Informationen auszuwählen und dann eine bestimmte Übermittlungsweise/-technik zu wählen hat.

"Der zweite Schritt ist der des Erreichens des Empfängers. Dieser Schritt hat zur Folge , daß die Mitteilung zu einem Bestandteil der "Situation" des Empfängers wird (oder nicht)." (ebd., 175). Mit diesem Schritt ist nun aber noch keinesfalls sicher gestellt, daß die Infomation vom Empfänger angenommen worden ist. Dies wird erst in der dritten Phase geleistet. Diese dritte Phase läßt sich wiederum in drei Teil-Selektionen unterscheiden:

1. Verstehen, 2. Rezeption, in der Weise, "daß sie [die Information] den Empfänger `beeinflußt'" (ebd., 175) und 3. die Wirkung, verstanden als ein durch die Kommunikation hervorgerufenes bestimmtes Handeln.

Die beiden ersten Schritte, so Esser weiter, können "... ohne größere Schwierigkeiten als besondere Form des selegierenden `Handelns' aufgefaßt werden ...": Selektion von Information und Mitteilung wird in diesem Sinne als absichtsvolles (soziales) Handeln des Senders und Verstehen und Rezeption als inneres, "mentales" Handeln verstanden. Doch diese Selektionen von Sender und Empfänger werden erst über den Schritt des Erreichens zusammengeführt: dieser Schritt wird von Esser als "strukturelle Kopplung" bezeichnet. Eng eng mit dem Begriff der strukturellen Kopplung verbunden ist der Begriff der Reichweite. Die Reichweite der Handlung entscheidet letztlich ob, eine Handlung überhaupt die Chance erhält, ins Bewußtsein des Empfängers vorzudringen und "oft genug sind hier aber auch wieder soziale Prozesse und `Selektionen' von Akteuren beteiligt: so können z.B. wissenschaftliche Aufsätze ihr Publikum erst dann `erreichen', wenn die Herausgeber einer Fachzeitschrift sich entschieden haben, ihn abzudrucken; (...)" (ebd., 176). Anhand dieses Gedankengangs läßt sich nun leicht die Grundstruktur eines handlungstheoretischen Modells von Kommunikation erkennen:

Sender

Erwartungen/ Bewertungen → Information _ Mitteilung → Erreichen der Situation → [Strukturelle Kopplung von Verstehen und Rezeption]→ Verstehen → Rezeption Erwartungen/Bewertungen → "Wirkung"

Empfänger

(nach: Esser 1993, 177)

Störungen des Kommunikationsprozesses oder "Nicht-gelingen von Kommunikation werden innerhalb dieses Modells dadurch erklärt, "daß es Anschlußmöglichkeiten und tatsächlich realisierte Anschlüsse keineswegs geben `muß'." (ebd., 178). D.h., daß das Prozessieren von gleichartig gemeintem Sinn den Akteuren nicht möglich war, weil zum einen Kommunikationssequenzen immer aus " ... einem weiten `Horizont' von Möglichkeiten und aus oft sehr fragilen strukturellen Kopplungen bestehen ... " (ebd., 178) und zum anderen bestimmte Sequenzen " ... ganz andere, inhaltlich völlig verschieden definierte weitere Sequenzen auslösen ..." (ebd., 178) können.

Kommunikation wird also in handlungstheoretischer Sicht als Kette von Handlungen angesehen, bei der die Interaktionspartner in Orientierung am zu erwartenden Verhalten des anderen versuchen, gleichartig gemeinten Sinn zu prozessieren.

Esser sieht diese Handlungssequenzen in einem Spektrum aus offenen und ritualen Sequenzen. Als offene Sequenz bezeichnet er das eben beschriebene Modell deshalb, weil dieser Vorgang allein auf den Regeln beruht, die sich die Kommunikationspartner aufgrund ihrer Interaktion, bestimmt durch " `unintendierte' Effekte" und eine "von hinten getriebene Sequenz" (ebd., 179) gegenseitig eröffnen. Dieser Prozeß würde sich, so Esser, einfach so ergeben (vgl. ebd,. 178) und wäre deshalb rein zufälliger Natur. Im allgemeinen wird aber Kommunikation - und dies ist für die Kommunikationspartner sehr hilfreich - durch "typisiertes Wissen" und "soziale Regeln" in Form von "Themen, Programmen, Rollen, usw." (vgl. ebd., 180) bestimmt. Sprachliche Konversation, als ein Typus menschlicher Kommunikation, dient dabei, da mit mannigfaltigen Typisierungen ausgestattet, als besonders "wirksames Mittel der stetigen Vergewisserung der Akteure" (ebd., 180). Über diese

Typifizierungen wird die Situation mehr oder wenig stark definiert, so daß die Akteure bei der Herstellung eines gleichartig gemeinten Sinns entlastet werden (Vereinfachung undökonomisierung)4. Kommunikationen wird also in dieser Hinsicht durch Ko-Orientierungen der Handelnden gesteuert5.

Der Extremfall einer solchen Sequenz sind stark fixierte Rituale6, bei der die kommunikativ Handelnden bis in das kleinste Detail wissen, unter welchen Prämissen, Regeln das Geschehen sich abspielt.

Kommunikation spielt sich nun, so Esser, innerhalb dieser beiden Extremfälle - rituale und offene Sequenzen - ab: bei den offenen Sequenzen entwickelt sich Kommunikation evolutionär, d.h., daß die einzelnen Sequenzen unintendiert und spontan als Produkt des kommunikativen Geschehens entstehen. Kommunikation wird insofern nur durch die Akteure und nicht durch festgelegte Regeln, Gebräuche, Sitten wie bei den Ritualen Sequenzen gesteuert. Esser erwähnt, dieses Kapitel abschließend, noch eine dritte strukturelle Kopplung, nämlich die über sogenannte symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien. Dieser Begriff geht auf Niklas Luhmann zurück: " Als symbolisch generalisiert wollen wir Medien bezeichnen, die Generalisierungen verwenden, um den Zusammenhang von Selektion und Motivation zu symbolisieren, das heißt als Einheit darzustellen." (Luhmann 1984, 222). Innerhalb dieser Vorstellung, so Esser, wird der Ablauf der Kommunikation noch viel stärker als bei der ritualen Sequenz bestimmt, weil über diese Medien Menschen und ihr Handeln sehr fest, im Sinne von "nicht-ignorieren-können" des Mediums, aneinander gebunden werden.

Nachdem nun die handlungstheoretische Sicht von Kommunikation vorgestellt wollen wir uns nun Niklas Luhmanns Kommunikationstheorie unter Bezug auf seine Theorie selbstreferentieller Systeme zuwenden.

4. Die systemtheoretische Sicht von Kommunikation

4.1. Allgemeine Darstellung der systemtheoretischen Ansätze

Bevor wir uns aber mit Luhmanns Kommunikationstheorie vertraut machen, sollten wir uns zunächst einmal kurz mit den Fragen "Was ist Systemtheorie überhaupt ?" "Was leistet sie ?" beschäftigen.

Die Systemtheorie

1) behauptet von sich, "für alle Bereiche soziologischer Forschung auf allen Ebenen sozialer Beziehungen (...) einen einheitlichen Forschungsansatz zu liefern" (fachspezifische Universalität);
2) versteht sich aufgrund der verblüffenden Ähnlichkeit der Systemprobleme in den
unterschiedlichsten Disziplinen (Chemie, Biologie, Psychologie, usw.) als interdisziplinäre integrierte Wissenschaft (interdisziplinäre Universalität);
3) versteht sich als Antwort auf das Problem der Komplexität: soziale Beziehungen sind komplexer Natur und lassen sich nicht "auf einfache Kategorien und Gesetzmäßigkeiten reduzieren" (Universalität des Problems der Komplexität); (vgl. zu diesen drei Punkten (Willke 1991, 1f.);

und läßt sich in fünf Ansätze unterteilen:

1) die strukturell-funktionale Systemtheorie (Strukturfunktionalismus): eine Soziologie dieses Typs untersucht zunächst die Struktur eines sozialen Systems, um die Funktionen angeben zu können, die erfüllt sein müssen, um das System zu erhalten: System besteht aus Personen bzw. Stukturen. Dieser Ansatz geht zurück auf Talcott Parsons;
2) der system- funktionale Ansatz untersucht, welche strukturellen Anpassungsleistungen soziale Systeme unter bestimmten veränderlichen Umweltbedingungen leisten müssen, um ihre wesentlichen Systemfunktionen erfüllen zu können;
3) der funktional-strukturelle Ansatz radikalisiert die funktionale Analyse zur Frage nach der Funktion von Systemenüberhaupt (System/Umwelt-Theorie). Bezugspunkt der Analyse liegt außerhalb des Systems, nämlich in der Relation zwischen System und Umwelt. Sinn der Bildung wird darin gesehen, daß ausgegrenzte Bereiche geschaffen werden, die es ermöglichen, die die menschliche Aufnahmekapazität überwältigende Komplexität der Welt zu erfassen und zu verarbeiten: System besteht aus Handlungen bzw. Funktionen;
4) die konstruktivistische Sozialtheorie von Peter M. Hejl: die Aufgabe einer solchen Theorie beschreibt der Autor als Entwurf eines Prozesses, " ... in dem die Individuen ihrerseits ihre Realitäten konstruieren und sich damit Möglichkeiten erfolgreichen Handelns und Kommunizierens schaffen." (1985, 1f.).

4.2. (5) Luhmanns Ansatz einer Theorie selbstreferentieller Systeme (sog. autopoietische Wende):

hier wurde der Systembegriff ausgeweitet: ein soziales System kommt demnach zustande,wennimmer ein autopoietischer Kommunikationszusammenhang entsteht und sich durch einer Einschränkung der geeigneten Kommunikation gegen eine Umwelt abgrenzt: ein soziales System besteht demanch nicht aus Menschen, auch nicht aus Handlungen, sondern aus Kommunikation. Luhmann lehnt sich dabei eng an den Gedanken der Autopoiese (vgl.Maturana 1982) an: soziale Systeme operieren demnach autopoietisch geschlossen und beziehen sich immer nur auf sich selbst, d.h., in "der Tiefenstruktur ihrer Selbststeuerung sind sie geschlossene Systeme, und insofern - nur insofern ! - gänzlich unabhängig und unbeeinflußbar von ihrer Umwelt" (Willke 1991, 6).

Im Mittelpunkt Luhmanns Theorie stehen Begriffe wie System/Umwelt-Differenz, Funktion, Code, Selbstbeobachtung: "Sie (Systeme, A.d.V.) konstituieren und sie erhalten sich durch Erzeugung und Erhaltung einer Differenz zur Umwelt, und sie benutzen ihre Grenzen zur Regulierung dieser Differenz." (Luhmann 1984, 35). Ein System leistet dabei Reduktion von Komplexität, d.h. es entlastet das einzelne Individuum oder die ganze Gesellschaft durch bestimmte Operationalisierungen vom Zwang zur Selektion der komplexen Umwelt; das bedeutet, daß die Umwelt komplexer ist als das System (auf den Gedanken von Luhmann, Reduktion von Komplexität als Relation einer Relation anzusehen, kann hier nicht weiter eingegangen werden; vgl. hier ebd., 49). Ein soziales System kann durch eine bestimmte Funktion, die es innerhalb der Gesellschaft ausfüllt, von anderen Funktionssystemen in der Gesellschaft differenziert werden (im Zusammenhang damit steht der Leistungsbegriff, der aber das Verhältnis von einem System zu einem anderen betrachtet), wobei es sich in seiner Operationsweise an einem sogenannten identitätsstiftenden binären Code (z.B. System Wissenschaft: wahr/unwahr) orientiert. Systeme nehmen somit in der Konstitution ihrer Elemente und ihrer Operationen auf sich selbst Bezug (vgl. ebd., 25), wobei ein funktionsorientierter Strukturaufbau letztlich durch Selbstbeobachtung bewerkstelligt wird, bei der die System/Umwelt-Differenz als Orientierungsrahmen dient. Die Zusammenfassung des Luhmannschen Ansatzes zusammenfassend läßt sich also über soziale Systeme sagen, daß sie bei ihrer Ausfüllung einer ganz spezifischen Funktion sich in Orientierung an einem identitätsstiftenden binären Code autopoietisch reproduzieren und innnerhalb der Autopoiese sich durch Selbstbeobachtung in Orientierung an der System/Umwelt-Differenz auf sich selbst beziehen.

4.3. Kommunikation als eigenständiges autopoietisches System

Soziale Systeme werden, so Luhmann ausschließlich durch Kommunikation, und nicht durch Handlung gebildet. Kommunikation wird dabei nicht im Sinne von Übertragung einer Botschaft von Sender zu Empfänger verstanden: weil die an der Kommunikation beteiligten (?!) Bewußtseinssysteme selbsreferentiell-geschlossen operieren, sind sie nicht in der Lage eine Botschaft abgeben bzw. aufnehmen zu können. Hieraus kann nun geschlossen werden, daß pyschisches System (Bewußtsein) und soziales System (Kommunikation) getrennt voneinander operieren. Kommunikation wird dabei von Luhmann zum einen als dreistelliger Selektionsprozeß aus den Operationen Information, Mitteilung und Verstehen (vgl. ebd., 194 und 203) und zum anderen als selbstreferentieller Prozeß (vgl., ebd., 203) konstruiert. Von Kommunikation kann also in diesem Sinne nur gesprochen werden, wenn eine Selektionsleistung aller drei Operationen vorliegt, die drei Operationen also zu einer Einheit werden. Dies ist wichtig, um zu verstehen, daß Kommunikation aus Sicht Luhmanns nicht auf das Handeln eines Individuums zurückgeführt werden kann.

Selektion der drei Operationen Information, Mitteilung und Verstehen bedeutet, daß aus einer Fülle von Informationen eine bestimmte ausgewählt wird, dann eine bestimmte Art der Mitteilung (z.B. schriftlich, mündlich, telefonisch, usw.) und schließlich kann die mitgeteilte Information in der einen oder anderen Weise verstanden werden. Selbstreferentialität der Kommunikation bedeutet, daß jede Kommunikation rekursiv auf die vorhergehende Kommunikation verweist, sich nur auf das bezieht was in der Kommunikation schon gesagt wurde7. Daraus folgt wiederum, daß zum einen Kommunikation erst realisiert ist, wenn die mitgeteilte Information in der ein oder anderen Weise verstanden worden ist und zum anderen, daß das Verstehen kein Akt des Bewußtseinssystem ist, weil nur die Kommunikation festlegt, in welcher Weise die mitgeteilte Information verstanden worden ist. Bricht z.B. eines der an der Kommunikation beteiligten Bewußtseinssysteme die Kommunikation sofort ab, nachdem die Information mitgeteilt wurde, kann im Luhmannschen Sinne nicht mehr von Kommunikation gesprochen werden, weil keine Operationalisierung des Verstehens innerhalb des kommunikativen Geschehens vorgenommen wurde.

Vergegenwärtigen läßt sich die strikte Trennung von Kommunikation und Bewußtsein vielleicht durch folgendes Schaubild (nächste Seite):

Psychisches Psychisches Psychisches Psychisches Psychisches Psychisches System A System B System A System B System A System B

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der hat mir gerade Der schon wieder. Der wird auch Ich hab' noch einen Hab ich den Herd Ein Sauwetter heute.

noch gefehlt. immer dicker. Termin gleich. ausgemacht ?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Guten Tag. · Guten Tag, wie · Oh, danke gut. · Ich hab' es leider · Ich auch. Auf · Auf Wiedersehen.

geht's ? sehr eilig. Wiedersehen.

Soziales System Soziales System Soziales System Soziales System Soziales System

Verstehen wird somit als Akt des sozialen Geschehens und nicht des Bewußtseins konzipiert, denn das was die an der Kommunikation beteiligten Systeme im Moment der Kommunikation denken, fühlen und wahrnehmen bleibt unerfahrbar für die Kommunikationspartner. Aufgrund dieser Aussagen läßt sich nun Kommunikation als eigenständiges autopoietisches System beschreiben, weil sie sich durch sich selbst erzeugt (Autopoiese) und immer nur auf ihre eigenen Strukturen (z.B. Sprache, Gestik) bezieht und nicht auf das, was die psychischen Systeme gerade denken oder fühlen. Kommunikation bedient sich dabei symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien, (z.B.Sprache), die die Selektion der Kommunikation so konditionieren, das sie zugleich als Motivationsmittel zur Befolgung des Selektionsvorschlages wirken (vgl. ebd., 222).

Am Anfang dieses Kapitels wurde erwähnt, daß allein Kommunikation und nicht Handlungen konstituierendes Element des Sozialen ist ("Besteht ein soziales System letztendlich aus Kommunikation oder aus Handlungen ?"; ebd., 192). Bevor wir zu einem Vergleich der Standpunkte Essers und Luhmanns kommen, soll abschließend das Verhältnis von Kommunikation und Handlung aus Luhmannscher Sicht dargelegt werden. Am Anfang dieser Überlegungen soll Luhmanns provozierende These stehen, daß "ein Kommunikationssystem deshalb als Handlungssytem ausgeflaggt" (ebd., 226) wird, weil "Kommunikation nicht direkt beobachtet, sondern nur erschlossen werden kann" (ebd., 226). Für Luhmann ist Kommunikation ein symmetrischer Prozeß, in dem alle drei Selektionen gleich wichtig nebeneinander stehen, es "also keine ein für allemal festgelegte Richtung der Selektionsverstärkung" gibt (ebd., 227). Für die "Kommunizierenden" ist es deshalb

unerläßlich, die Symmetrie der Kommunikation zu assymetrieren, weil dadurch erst eine Mitteilung auf den Mitteilungsempfänger gerichtet werden kann. Das Mitteilen mu ß in diesem Sinne als Handlung begriffen werden, weil eben nur Handlungen beobachtbar sind, und als Motivation eigener Handlungen aufgefaßt werden können. Der Handlungsbegriff erlaubt also das Zurechnen der zwei kommunikativen Handlungsebenen Information und Mitteilung zu Individuen. Die Beschreibung von Kommunikationssystemen als Handlungssysteme ist somit ein notwendiges Konstrukt der "Kommunizierenden", nimmt ihr aber nichts von ihrer Einseitigkeit, weil somit die Eigendynamik der Kommunikation verloren geht. Luhmann erklärt diese Beschreibung mit einem "Bedarf für Reduktion für Komplexität" (ebd., 229). Zugleich unterstellen die "Handelnden" mit diser Zuschreibung die Steuerbarkeit von Kommunikation. Desweiteren impliziert diese Vorstellung, daß von Kommunikation schon dann gesprochen werden kann, wenn eine Selektionsleistungen der beiden "Handlungen" Information und Mitteilung erfolgt ist. Auf die Frage, ob denn ein soziales System letztendlich aus Handlungen oder aus Kommunikation besteht, können wir - aus Luhmanns Sicht - nun eindeutig antworten: aus beidem. Nämlich auf der Ebene der Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung notwendigerweise aus Handlungen bzw. der Zurechnung von Kommunikation als Handlung, und auf der Ebene der Systembildung aus Kommunikation. Nachdem dargelegt wurde, warum Kommunikation als eigenständiges autopoietisches System begriffen werden kann und auch das Verhältnis von Kommunikation und Handlung aus Sicht Luhmanns erwähnt worden ist, soll im folgenden nun eine Synthese der zwei Positionen ins Auge gefaßt werden.

5. Versuch einer Synthese der beiden Positionen

Überspitzt könnte man die beiden Positionen derart zusammenfassen: während Esser kommunikatives Geschehen sehr stark in die Disposition von handelnden Individuen stellt, also Kommunikation als prinzipiell steuerbar ansieht, geht Luhmann von einer prinzipiellen Eigendynamik der Kommunikation aus, weil Kommunikation und Bewußtsein getrennt voneinander operieren. Das Problem bei Esser ist m.E., daß er den Schritt von einer Formulierung von bewußtseinsinternen Vorgängen in Sprache nicht genügend problematisiert, während man sich bei Luhmann natürlich fragen muß, ob Kommunikation ohne Individuen möglich ist ? Will man die beiden Positionen nun verbinden, sind, so glaube ich zwei Axiome hilfreich, wobei Axiom1 sich aus Essers Darstellung ableiten läßt und Axiom2 der Trennung von Kommunikation und Bewußtsein folgt:

1. Es sind Kommunizierende (und somit Individuen), die kommunizieren.
2. Das Innenleben dieser Individuen ist aber vollkommen intransparent.

Mit diesen beiden Axiomen ist zugleich die Frage angeschnitten, wie die beiden voneinander getrennt operierenden Dimensionen überhaupt zueinander in Beziehung treten können (vgl. Schmidt 1994, 89).

Individuen kommunizieren durch Sprache, Gestik, Mimik. Sie verwenden also Zeichen, um sich zu verständigen. Diese Zeichen sind zunächst einmal Konstrukte von Individuen, haben aber ursprünglicher Weise nichts mit den Gedanken, Gefühlen, usw., die im psychischen Bewußtsein "ablaufen", zu tun ("Kein Gedanke kann als solcher seine Gedankenwelt verlassen."). Gebraucht ein Individuum nun Zeichen, läßt es sich auf die Regeln, z.B. sprachliche Regeln, die der Gebrauch dieser Zeichen gebietet, ein. Diese Regeln sind aber wiederum kein Konstrukt der Zeichen selbst, sondern beruhen einzig und allein auf den Bedeutungszuweisungen der Individuen. Da jedermann nun schon in eine vorgegebene Sinnwelt geboren wird, hat dieser regelhafte Gebrauch von Zeichen institutionellen Charakter, bestimmte Zeichen besitzen also per traditionem bestimmte Bedeutung (vgl. den Gedanken der Institutionalisierung bei Berger/Luckmann 1967, insb. 72-76). Kommunikation - folgt man diesem Gedankengang - ist also als ein von Individuen geschaffenes Konstrukt von Zeichen zur Verständigung anzusehen.

Die Frage, die sich m.E. nun stellt ist: repräsentieren diese Zeichen, was im Gedankenapparat der Beteiligten vor sich geht, oder schaffen sie neue, ganz andere Wirklichkeiten ? Diese Frage muß in zweifacher Hinsicht gestellt werden: sind wir fähig, daß was in unseren Gehirnen stattfindet, entsprechend wiederzugeben und sind wir fähig, das was gesagt wurde, auch so aufzunehmen ?

Die erste Frage kann unter Bezug auf den vorhergehenden Abschnitt klar verneint werden, da Kommunikation und psychisches Bewußtsein auch nicht annähernd deckungsgleich sein können, und wir uns deswegen immer nur auf Grundlage von Zeichen verständigen können. Die zweite Frage führt uns auf die Ebene der menschlichen Wahrnehmung, die von zwei Wirklichkeitsebenen determiniert ist: zum einen die soziale Ebene und zum anderen die kognitive Ebene.

Auf der sozialen Ebene werden wir durch eine bestimmte Perspektive, die sich durch unsere Sozialisation (vgl. Berger/Luckmann 1967, 139-157), unseren gesellschaftlichen Status, Ansehen, usw., durch den Ort, durch die Zeit in unserer Wahrnehmung beeinflußt, ja man könnte sogar sagen: ohne Perspektive keine Beobachtung, keine Wahrnehmung. Auf den Prozeß der Kommunikation übertragen heißt das, daß jede Kommunikation in einen bestimmten gesellschaftlichen Kontext, eine bestimmte Situation eingeordnet werden muß.

Diese Situation wird die Kommunikanden in ihrer Kommunikation beeinflussen. So wird z.B. in einer diktatorischen Gesellschaft die Kritik an der Führung anders kommuniziert und wahrgenommen werden als in einer demokratischen.

Auf der kognitiven Ebene ist, folgt man konstruktivistischen Überlegungen (vgl. DIFF 1990), der Zugang zu der Realität, so wie sie ist, gar nicht möglich. Insofern wird alles, was kommuniziert wird von einem anderen als anders wahrgenommen konstruiert. Somit wird die Frage, ob denn das was gesagt wird8, auch so aufgenommen werden kann müßig, denn diese Frage fordert einen situationslosen Beobachter, der ohne Voreinstellungen, Vorurteile die Kommunikation verstehen könnte.

Nachdem ich nun erläutert habe, warum es 1. Kommunizierende sind, die kommunizieren und 2. die Innenleben der Kommunizierenden "black boxes" sind, will ich mit einer konstruktivistisch inspirierten Vorstellung von Kommunikation die beiden Positionen zusammenführen.

Der Konstruktivismus9 stellt unter anderem die kognitiven Konstruktionsleistungen des Gehirns, und somit das wahrnehmende Individuum sehr stark in den Vordergrund und geht davon aus, daß alles Beobachten Konstruktion ist. Zugleich werden in diesem Ansatz autopoietische und selbstreferentielle Prozesse als Grundlage allen Wahrnehmens und somit auch von Kommunikation angesehen.

Kommunikation kann in diesem Ansatz als soziales Handeln aufgefaßt werden, da eben nur Handeln von den Kommunikationspartnern beobachtet werden kann10, und als Anregung von eigenem Handeln aufgefaßt werden kann. Zugleich kann in diesem Ansatz auch Handeln - geschieht es in sozialem Kontext - vom Beobachter (Rezipient) als Kommunikation aufgefaßt werden, wenn es "Gegen"handlung und somit Interaktion bewirkt. Auf jeden Fall bleibt dieser Prozeß selbstreferentiell, da er rekursiv auf das vorhergehende Element verweist. Zugleich wird aber das Subjekt als Urheber und Beobachter von Sinnwelten sehr stark integriert. Graphisch könnte dieser Ansatz derart veranschaulicht werden:

Kognition soz. Kontext

Urheber (und somit Handelnder) stellt sinnvoll konstruiertes Angebot (Sinnwelt) zur Verfügung

Sinnwelt

autopoietische, selbstreferentielle Kommunikation

Sinnwelt

Beobachter interpretiert dies als Handlung und

wird selbst Urheber einer Sinnwelt

Kognition soz. Kontext

Aus diesem Diagramm wird deutlich, daß der Beobachter in der Konstruktion seiner neuen Sinnwelt auf die Elemente der vorhergehenden Sinnwelt Bezug nehmen muß und dabei die Regeln der Kommunikation einhalten muß. Gleichzeitig wird das Subjekt durch die Bereitstellung von Sinnwelten in die Kommunikation hinreichend integriert. Der Übertragungsmetapher wird in diesem Modell abgeschworen und durch die Angebotsmetapher ersetzt, wobei das Angebot als völlig losgelößt vom psychischen Bewußtsein der Beteiligten zu sehen ist. Dieses Angebot ist aber Grundlage jeder Kommunikation, da nur aufgrund einer schon vorhandenen Sinnwelt neue Sinnwelten relationiert werden können. Kommunikation ist in diesem Modell prinzipiell nicht steuerbar, weil der Beobachter 1. immer wieder aufs neue entscheidet, ob Kommunikation durch Relationierung neuer Sinnwelten weitergeht und 2. der Beobachter das Angebot in seinem ganz eigenen spezifischen Sinn interpretiert. Die Frage, ob denn ein soziales System nun aus Handlungen bzw. Kommunikation bestehe, läßt sich in dieser Perspektive nicht eindeutig beantworten. Letztendlich entscheiden die Kommunikationspartner, ob eine irgendwie geartete Äußerung als Anregung für eine neue Äußerung dient.

Die Instanz, die dabei zu überwinden ist, ist die Sinnhaftigkeit, über die der Beobachter entscheidet. Deswegen macht es Sinn, die Frage, od ein soziales System aus Kommunikation oder aus Handlung als Letztelement besteht mit "Sinn" bzw. Prozessieren von Sinn durch Handlung oder Kommunikation zu beantworten.

Literaturverzeichnis

Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (1967): Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit.Frankfurt a.M.

Esser, Hartmut (1993): Kommunikation und "Handlung".in:Rusch,Gebhardt/Schmidt, Siegfried J.(1993): Konstruktivismus und Sozialtheorie.Frankfurt a.M.

DIFF (1990): Funkkolleg "Medien und Kommunikation".Weinheim.

Hejl, Peter M. (1985): Konstruktion der sozialen Konstruktion: Grundlinien einer konstruktivistischen Sozialtheorie.LUMIS-Schriften 6 (Universität Siegen).

Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme.Frankfurt a.M.

Maturana, Humberto (1982): Erkennen.Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit.Braunschweig.

Merten, Klaus (1977): Kommunikation - eine Begriffs- und Prozeßanalyse.Opladen.

Schenk, Michael (1994): Kommunikationstheorien.in: Noelle-Neumann/Schulz/Wilke: Publizistik/Massenkommunikation.Frankfurt a.M.

Shannon, Claude E./Weaver, Warren (1972): The mathematical Theory of Communication.Urbana/Chicago/London(University of Illinois Press).

Schmidt, Siegfried J. (1987): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus.Frankfurt a.M.

Schmidt, Siegfried J. (1994): Kognitive Autonomie und soziale Orientierung.Frankfurt a.M.

Weber, Max (1956): Wirtschaft und Gesellschaft.Tübingen.

Willke, Helmut (1991): Systemtheorie.Eine Einführung in die Grundprobleme der Theorie sozialer Systeme.Stuttgart.

[...]


1 vgl. DIFF (1990): Funkkolleg "Medien und Kommunikation - Konstruktionen von Wirklichkeit".Weinheim.

2 vgl. Maturana, Humberto (1982): Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit.Braunschweig.Foerster, Heinz von (1985): Sicht und Einsicht.Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie.Braunschweig/Wiesbaden.

3 vgl. DIFF (1990): Medien und Kommunikation.Konstruktionen von Wirklichkeit.Weinheim.

4 In systemtheoretischer Sicht kann Kommunikation deswegen als Funktionssystem mit bspw. den Primärfunktionen "Vereinfachung" und "Ökonomisierung" angesehen werden.

5 Zum Steuerungsproblem in der Systemtheorie, bspw. des publizistischen Systems durch das politische System vgl. Marcinkowski, Frank (1993): Publizistik als autopoietisches System.Opladen.

6 vgl. die Selbstreferentialität der Kommunikation bei Luhmann

7 Wie dann Kommunikation überhaupt stattfinden kann, wenn sie sich immer auf das vorhergehende beziehen kann, wie also die "Erstkommunikation" stattfindet, läßt sich nicht ganz klären. Hier hilft wohl nur der Verweis auf die "endogen erzeugte Reizbarkeit" (ebd., 80 und 236): psychische Systeme haben die Eigenschaft, Kommunikation zu reizen und zu irritieren.

8 Diese Frage fußt m.E. auf dem Wunsch, etwas so sagen zu können, wie es doch gemeint ist - ein in dieser Perspektive hoffnungsloses Unterfangen.

9 Ich beziehe mich im nachfolgenden auf den von Siegfried J. Schmidt herausgegebenen "Diskurs des Radikalen Konstruktivismus" (1987).

10 vgl. S. 14

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Kommunikation in der Kontroverse
Université
Johannes Gutenberg University Mainz  (Institut für Soziologie)
Cours
Seminar: Empirische Medien- und Kommunikationsforschung
Auteur
Année
1995
Pages
20
N° de catalogue
V94925
ISBN (ebook)
9783638076050
Taille d'un fichier
467 KB
Langue
allemand
Annotations
Geschichte der Kommunikationsforschung: Lasswell-Formel, informationstheoretisches Modell von Shannon/Weaver, Kommunikationsmodell von Merten, handlungstheoretische Sicht von Kommunikation (Max Weber, Hartmut Esser), systemtheoretische Sicht von Kommunikation (Luhmann) (Bitte beachten Sie, dass Modelle und Diagramme fehlen.)
Mots clés
Kommunikation, Kontroverse, Johannes, Gutenberg-Universität, Mainz, Institut, Seminar, Empirische, Medien-, Kommunikationsforschung, Seminarleitung, Michael, Jäckel
Citation du texte
Torsten Hofmann (Auteur), 1995, Kommunikation in der Kontroverse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94925

Commentaires

  • invité le 2/8/2001

    Kommunikationstheorien zusammengefasst.

    Lebensrettend gut!

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