Die Sozialdemokratische Partei Österreichs und ihre Haltung zur Landesverteidigung seit der Ersten Republik


Seminar Paper, 1998

23 Pages


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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Begriffsbestimmungen
2.1 Zum Begriff der ,,Sicherheitspolitik"
2.2 Zum Begriff der ,,Wehrpolitik"
2.3 Zum Begriff der ,,Landesverteidigung"

3 Rahmenbedingungen österreichischer Sicherheitspolitik
3.1 Nationale Determinanten
3.1.1 Der Staatsvertrag von Wien und die immerwährende Neutralität
3.2 Sicherheitspolitisches Umfeld 1945-1997

4 Der Kurs der SPÖ in wehr- und sicherheitspolitischen Fragen
4.1 Die Zeit vor und während der Ersten Republik
4.2 Die Anfangszeit der zweiten Republik (1945-1955)
4.3 Die Zeit der Koalition (1956-1966)
4.4 Die Zeit der Opposition (1967-1970)
4.5 Die Zeit der Alleinregierung (1970-1983)
4.6 Die Zeit der Koalitionen (1983-dato)

5 Zusammenfassung und Schlußwort

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Hauptmotivation der Verfasser dieser Arbeit, gerade die Beziehung der SPÖ zu Fragen der Landesverteidigung als Thema zu wählen, liegt zum einen darin begründet, daßsie sich als Angehörige des Bundesheeres mit diesen Fragen laufend zu beschäftigen haben, zum anderen allerdings auch darin, daßdas Verhältnis der Sozialdemokratischen Partei zu Militär, Landesverteidigung und Äußerer Sicherheit stets ein ambivalentes bis kritsches war. Zweck dieser Arbeit ist es jedoch nicht, die Politik der SPÖ auf dem Gebiet der Landesverteidigung einer Bewertung zu unterwerfen, also zu versuchen festzustellen, inwiefern die Haltung der Sozialdemokratie auf diesem Gebiet der Republik Österreich Vor- oder Nachteile eingebracht hat.

Dies wurde auch in der Vorbesprechung mit dem Lehrveranstaltungsleiter festgestellt. So war es auch Vorgabe durch diesen, eine Seminararbeit nicht über die österreichische Sicherheitsund Verteidigungspolitik sondern über die Sozialdemokratische Partei in ihrer spezifischen Sicht dieses Politikfeldes zu verfassen.

Zweck der Arbeit ist somit eher der Versuch zu analysieren, worin die in militärischen und verteidigungspolitischen Fragen sehr kritisch determinierte Sichtweise der SPÖ begründet ist, und wie sie sich im Lauf der Zeitgeschichte verändert hat.

Dennoch wurde, um die Zusammenhänge zu wahren, auf die geschichtlichen, geostrategischen und militärischen Hintergründe nicht ganz verzichtet. Aus Gründen des Umfanges war es jedoch nicht möglich, diese Bereiche in die Tiefe gehend zu bearbeiten.

2 Begriffsbestimmungen

Die ursprüngliche Intention der Verfasser, sich auf einen schmalen Bereich der Sicherheits-, Verteidigungs-, Wehr- oder Militärpolitik zu beschränken, scheiterte bereits nach kurzem Quellenstudium, als festgestellt werden mußte, daßBegriffe synonym verwendet werden und sich auch in der praktischen Politik der SPÖ nicht voneinander trennen ließen. In weiterer Folge wird daher versucht, Begriffsdefinitionen zur Verfügung zu stellen, die teils aus der sozialwissenschaftlichen Literatur, teils aus Publikationen der SPÖ selbst entnommen sind. Zweck dieser Begriffsbestimmungen ist es, dem Leser einen Überblick über die behandelten Teilbereiche der Politik der SPÖ zu liefern. Im Lichte der vorliegenden Problematik der Begriffsbestimmungen wurde daher für den Titel der Arbeit der Begriff ,,Landesverteidigung" als umfassender Begriff gewählt.

2.1 Zum Begriff der ,,Sicherheitspolitik"

Der Begriff ,,Sicherheitspolitik" wird nicht nur im Alltagsverständnis in sehr vielfältiger Weise definiert und interpretiert. Dies mußte durch den Verfasser bereits bei der Darlegung des Konzeptes vor dem Lehrveranstaltungsleiter zur Kenntnis genommen werden. Wurde ursprünglich von einem nach Auffassung des Lehrveranstaltungsleiters zu ,,engen" Begriff der Sicherheitspolitik, nämliche jenem der ,,Maßnahmen der Außenpolitik, Inneren Stabilität und Verteidigungspolitik" (in dieser Form auch im Landesverteidungsplan definiert), so wären nach seiner Auffassung auch Fragen der sozialen Sicherheit, Gerechtigkeit und Ungleichheit in die Definition miteinzubeziehen.

Eine zu weite Fassung des Begriffes scheint jedoch im Lichte der ohnedies sehr komplexen Problematik, die nicht nur Fragen der internationalen Beziehungen oder nationalen Geschichte sondern auch ökonomische Determinanten der Verteidigungsbereitschaft und - fähigkeit eines Staates umfaßt, als nicht zweckmäßig.

Anselm Skuhras Definition der Sicherheitspolitik als

,,...die Gesamtheit der Einrichtungen und Maßnahmen, die sich gegen eine

Existenzbedrohung des Staates, seiner Bevölkerung und ihrer zentralen Werte wie Friede, Verfassung, soziale Ordnung richten." 1

scheint hier als brauchbarer Mittelweg geeignet.

Zweifellos ist der Begriff der Sicherheit eines Staates in den letzten Jahren einer Wandlung unterworfen gewesen und Militär- und Verteidigungspolitik sind nicht mehr die ausschließlichen Elemente der Sicherheitspolitik. Diesem Umstand wird auch in der einschlägigen Literatur Rechnung getragen, wenn ,,der Begriff der ,,Comprehensive Security", der ,,Umfassenden Sicherheit", zu einer zentralen Kategorie nationaler und internationaler Politik [wird]. 2

Skuhra konzediert jedoch, daßvor allem ,,...im (west-)deutschen Sprachgebrauch bei ,,Sicherheitspolitik" vorwiegend Politik hinsichtlichäußerer Sicherheit bzw. einer Bedrohung von Außen verstanden wird." 3

Generell wurde hier jedoch versucht, die erforderlichen Begriffsbestimmungen aus Publikationen der SPÖ oder ihrer Organisationen oder Vertreter abzuleiten, da die Haltung der SPÖ zu eben diesen Begriffen aus deren Sicht analysiert werden soll und in diesen Dokumenten noch am ursprünglichsten erhalten ist. Diese Begriffsdefinitionen müssen somit nicht zwangsläufig mit jenen in wehrrechtlichen Publikationen übereinstimmen.

2.2 Zum Begriff der ,,Wehrpolitik"

Eine für den vorliegenden Zweck recht brauchbare Definition des Begriffes ,,Wehrpolitik" läßt sich aus dem ,,Wehrkonzept der Sozialistischen Partei Österreichs" von 1968 ableiten. Hier wird die Wehrpolitik der SPÖ betrachtet ,,...als Teil der sozialistischen Politik, die Republikösterreich in die Lage zu versetzen, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln ihre Unabhängigkeit zu bewahren, ihre immerwährende Neutralität aufrechtzuerhalten und die Lebensform desösterreichischen Volkes auf demokratischer Grundlage zu gewährleisten." 4

2.3 Zum Begriff der ,,Landesverteidigung"

In dem oben angeführten Wehrkonzept aus 1968 bedient sich die SPÖ bereits jenes umfassenden Begriffs von Landesverteidigung, welcher 1975 in Form des Artikels 9a (BGBL 368/1975) in die Bundesverfassung aufgenommen werden sollte. Umschrieben wird hier die Landesverteidigung als ,,Gesamtverteidigung", welche die Bereiche ,,wirtschaftliche, zivile, psychologische (später im BV-G als ,,geistige" bezeichnet) Verteidigung umfaßt", die jedoch nicht gleichwertig zu betrachten sind, sondern ,,...die militärische Komponente ergänzen müssen..." 5

3 Rahmenbedingungen österreichischer Sicherheitspolitik

3.1 Nationale Determinanten

Der österreichische Weg der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist im Wesentlichen durch folgende nationale Determinanten gekennzeichnet:

- Die fast widerstandslose Besetzung Österreichs durch das Deutsche Reich 1938
- Die schrecklichen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg
- Der Staatsvertrag von Wien 1955 sowie eng damit zusammenhängend das Moskauer Memorandum und das Verfassungsgesetz zur Immerwährenden Neutralität vom 26 10 1955.
- Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union sowie die zunehmende Westorientierung in den 90er Jahren.

3.1.1 Der Staatsvertrag von Wien und die immerwährende Neutralität

Im Zuge der Verhandlungen mit den Besatzungsmächten reiste im April 1955 eine Regierungsdelegation bestehend aus Raab, Figl und Kreisky nach Moskau um die letzten Fragen betreffend den Österreichischen Staatsvertrag zu klären. Hiebei wurde vertraglich fixiert, daßÖsterreich nach Erhalt des Staatsvertrages die immerwährende Neutralität nach dem Muster der Schweiz eingehen werde.

Nachdem am 15 05 1955 der Staatsvertrag unterzeichnet war, wurde durch ein Bundesverfassungsgesetz am 26 10 1955 die immerwährende Neutralität Österreichs erklärt. Die Wahrnehmung der Österreichischen Neutralität wurde durch die Österreichische Neutralitätspolitik erfüllt, welche vor allem durch den Kreiskyschen Begriff der Außenpolitik als ,,aktive Neutralitätspolitik" definiert war. Daßdiese Neutralitätspolitik insbesondere in der Ära Kreisky nicht als ideologische Neutralität aufgefaßt wurde, weist auf ein Verständnis von Neutralität hin, welches dem Neutralen selbst das Ermessen darüber überläßt. Dieses Ermessen hatte in der politischen Pragmatik wiederholt von der Neutralitätsperzeption der Schweiz, dem österreichischen ,,Vorbild", abgewichen, indem Österreich beispielsweise 1955 ohne Neutralitätsvorbehalt der UNO beigetreten war.

Neben der Neutralitätspolitik hat der immerwährend Neutrale auch Vorwirkungen im Frieden zu beachten. Die im österreichischen Neutralitätsgesetz ausdrücklich genannten Verpflichtungen ,,...weisen auf ein Neutralitätsverständnis hin, das auf den Grundlagen der militärischen und bewaffneten Neutralität beruht.österreich mußalso schon im Frieden eine bewaffnete Macht zur Verteidigung seiner Unabhängigkeit und Neutralität zur Verfügung haben." 6 7 Daßauch das Ausmaßder Streitkräfte der Interpretation des Neutralen obliegt, führte immer wieder zu unterschiedlichen Auffassungen sowohl innerhalb der SPÖ als auch gegenüber den anderen Parteien.

3.2 Sicherheitspolitisches Umfeld 1945-1997

Die äußeren Bedingungen der österreichischen Außen- und Sicherheitspolitik waren nach 1945 durch die Aufteilung fast ganz Europas in zwei antagonistische Allianzsysteme gekennzeichnet. Das neutrale Österreich lag an der Schnittstelle dieses ,,Eisernen Vorhanges" mit Grenzen sowohl an das eine als auch an das andere Paktsystem. Beide Bündnissysteme verfügten über hochgerüstete Militärmaschinerien mit Nuklearwaffen. Neben der relativ abstrakten Nuklearbedrohung bestanden ,,...konventionelle Bedrohungen von seiten des Warschauer Pakts. Ihm hätte aufgrund seines seit den 60er Jahren aufgebauten gr ößeren konventionellen Offensivpotentials eine Flankenbewegung seiner Verbändeüber neutrales Territorium Angriffsvorteile gebracht." 8

Die Jahre 1989-1992 brachten die wohl bedeutendsten Umwälzungen in sicherheitspolitischen Belangen nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Nachdem Gorbatschow die Sowjetunion 1991 aufgelöst hatte und der Warschauer Pakt auseinandergebrochen war, ,,...befand sichösterreich Anfang 1991 im Schnittpunkt dreier unterschiedlich verlaufender sicherheitspolitischer Entwicklungsprozesse:

- Von der EG gingen Impulse für eine stärkere europäische wirtschaftliche und politische Integration aus.
- Die interne und zwischenstaatliche Destabilisierung Südosteuropas zeigte sich durch den staatlichen Zerfallsprozeßin beinahe allen Staaten mit Bürgerkriegscharakter im ehemaligen Jugoslawien.
- Im Osten Europas etablierte sich unter russischer Hegemonie die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) mit erheblichen wirtschaftlichen und militärischen Instabilitäten, die auf Mittelosteruopa und das Baltikum ausstrahlten." 9 Fortgesetzt wurde diese Entwicklung durch das Bestreben vieler ehemaliger WVO- Staaten, der NATO und/oder der EU beizutreten. Dies ist inzwischen Polen, Tschechien und Ungarn gelungen. Dieser sicherheitspolitische Umbau in Europa ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Fest steht lediglich, daßsich die Lage in Europa von einer bipolaren Blockkonfrontation hin zu einem Fragmentierungsprozeß orientiert, in dem NATO, EU, aber auch Rußland und die osteuropäischen Reformstaaten die wesentlichsten Akteure sind.

4 Der Kurs der SPÖ in wehr- und sicherheitspolitischen Fragen

Einer der wesentlichsten Grundsätze der SPÖ war seit jeher der Kampf für Friede und Völkerverständigung. Das Parteiprogramm von 1978 spricht im ersten Absatz bereits vom Eintreten der SPÖ für ,,...eine weltweite Gemeinschaft der Völker, welche Frieden und Wohlstand für alle, statt Krieg und Vernichtung bringt." 10

Generell läßt sich sagen, daßdie Bereiche Sicherheit, Landesverteidigung, Friede, Völkerverständigung, Gewaltlosigkeit, etc. in der Dogmatik der Sozialdemokratie eine sehr zentrale Rolle spielen. Daher lassen sich die oben angeführten, einzelnen Bereiche nicht thematisch voneinander trennen.

So ist es zum Beispiel nicht möglich, die konkrete Politik der SPÖ zu Fragen der militärischen Landesverteidigung zu analysieren, ohne auch gleichzeitig die Grundsätze der SPÖ im Hinblick auf Gewaltlosigkeit oder internationale Solidarität zu betrachten.

4.1 Die Zeit vor und während der Ersten Republik

Die Haltung der österreichischen Sozialdemokratie zu Fragen der Landesverteidigung heute ist sicher untrennbar im Lichte der historischen Ereignisse insbesondere der Ersten Republik zu sehen. Friedrich Adler, seit 1911 Führer der österreichischen Sozialdemokraten charakterisierte in einer Rede am 21 11 1918 die grundsätzliche Haltung der Sozialdemokraten zur militärischen Landesverteidigung, indem er klarlegt, daßdas Ziel der sozialistischen Gesellschaft die waffenlose Gesellschaft sei, als Übergang zu dieser jedoch die allgemeine Volksbewaffnung eine Forderung der Sozialdemokraten ist. Die Frage danach, wie eine solche Volksbewaffnung aussehen könnte, beantwortet Adler mit dem Hinweis auf die ,,Miliz nach Schweizer System".

Die Aufstellung einer solchen Miliz war jedoch aufgrund der Einschränkungen der Alliierten nach dem Friedensvertrag von St. Germain nicht möglich. Dieser sah ein Berufsheer mit maximal 30.000 Mann vor.

Die österreichischen Sozialdemokraten hatten jedoch bereits unmittelbar nach Kriegsende begonnen, eine bewaffnete Macht aufzustellen. Julius Deutsch, Hauptorganisator dieser Aktion legte dabei insbesondere Wert darauf, diese sogenannte ,,Volkswehr" völlig neu und nicht auf der Basis der k.u.k. Armee aufzubauen. Hauptzweck dieser Volkswehr war einserseits ,,...die Ruhe und Ordnung im Innern sicherzustellen (defensives Motiv), [aber auch darum], die in Umsturztagen und -wochen errungenen Machtpositionen der Partei zu festigen und auszuweiten." 11

Manche Autoren sehen in der Aufstellung der Volkswehr durch die Sozialdemokraten durchaus den Versuch ein Instrument für innere Auseinandersetzungen mit anderen Kräften im Staat zu schaffen. Das Faktum der Aufstellung der Volkswehr zeigt, daßdie Sozialdemokratie in Österreich nicht generell ausschließlich pazifistisch eingestellt war, sondern daßsie einen Staat, den sie bejahte auch zu verteidigen bereit war. Am deutlichsten zeigt dies das sogenannte Linzer Programm aus 1926:

,,...Die Bourgeoisie wird nicht freiwillig ihre Machtstellung räumen. Findet sie sich mit der ihr von der Arbeiterklasse aufgezwungenen demokratischen Republik ab, solange sie die Republik zu beherrschen vermag, so wird sie versucht sein, die demokratische Republik zu stürzen, ...sobald das allgemeine Wahlrecht die Staatsmacht der Arbeiterklasseüberantwortet. Nur wenn die Arbeiterklasse wehrhaft genug sein wird, die demokratische Republik ... zu verteidigen ...nur dann wird daher die Arbeiterklasse die Staatsmacht mit demokratischen Mitteln erobern und ausüben können " 12

Der Volkswehr ist es jedoch letztlich auch zu verdanken, daßein kommunistischer Putschversuch 1918/19 scheiterte. Verantwortlich dafür war die Tatsache, daßein großer Teil der kommunistischen Putschisten in der Volkswehr organisiert war (,,Rote Garde"), und daher durch Deutsch relativ leicht unter Kontrolle gehalten werden konnte.

Nach dem Friedensvertrag war Österreich ein Berufsheer von 30.000 Mann als bewaffnete Macht zugestanden worden. In dieses Heer wurde die Volkswehr übergeleitet, was die christlich-soziale Partei zu heftiger Kritik veranlaßte. In einer Rede 1921 beklagte Otto Bauer die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Christlich-sozialen, die ,,...aus Furcht vor der Parteitruppe am liebstenüberhaupt keine Wehrmacht aufgestellt hätten." 13

Otto Bauer schildert in der selben Rede auch drastisch die Notwendigkeit einer bewaffneten Landesverteidigung für Österreich:

,,Wir Sozialdemokraten haben es erringen müssen und haben es erzwungen [Die Aufstellung der Wehrmacht, Anm. d. Verf.] in derüberzeugung, daßdiese Republik, mitten zwischen lauter bewaffneten Staaten, deren Freundschaft wir keineswegs sicher sind, einer Wehrmacht nicht entbehren kann." 14

Das Jahr 1921 brachte die Wende insofern, als die Sozialdemokratie die Wahlen verloren hatte, und Karl Vaugoin (Christlich-soziale Partei) Heeresminister wurde. Systematisch wurden die ehemals sozialdemokratischen Kader aus dem Heer entfernt und durch christlich- soziale oder gar radikale Funktionäre ersetzt. Das Bundesheer war somit zum Spielball und Machtinstrument politischer Interessen geworden. Diese von den Christlich-sozialen als ,,Entpolitisierung" bezeichnete Heeresreform wurde begleitet von Plänen, die Gendarmerie und das Bundesheer zusammenzulegen und das Heeresministerium aufzulösen. Diese Pläne wurden von den Sozialdemokraten heftig bekämpft, wurde doch die Gefahr einer aus Ungarn kommenden monarchistischen Gegenrevolution als durchaus realistisch eingeschätzt. Diese Einschätzung, aber auch die Zurückdrängung der Sozialdemokraten aus dem Heer führte in weiterer Folge zur ,,Wehrhaftmachung der Arbeiterklasse" im Republikanischen Schutzbund.

Die Aufgaben desselben wurden im Programm von 1926 ausführlich beschrieben und umfaßten im wesentlichen den Kampf gegen unrechtmäßige bourgeoise Herrschaftsansprüche.

Nachdem 1933 das Parlament durch ,,Selbstausschaltung" handlungsunfähig geworden war, und Dolfußdas auf Notverordnung begründete ,,austrofaschistische" Herrschaftssystem errichtet hatte, wurde der sozialdemokratische Schutzbund in die Illegalität gedrängt. Anfang Februar 1934 eskalierte die Situation: Als bei einer Waffensuche der Exekutive im sozialdemokratischen Parteiheim in Linz bewaffneter Widerstand geleistet wurde, kam es in ganz Österreich zu bewaffneten Auseinandersetzungen, wobei von seiten der Regierung das Bundesheer eingesetzt wurde.

Von seiten des Bundesheeres wurden auch schwere Waffen eingesetzt, was dazu führte, daßdie Kampfhandlungen nach wenigen Tagen zum Erliegen kamen. Offiziell starben 50 Menschen auf seiten des Bundesheeres, 120 auf seiten des Schutzbundes. Diese Ereignisse vom Februar 1934 sollten das Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und Bundesheer bzw. Militär im allgemeinen nachhaltig beeinflussen. Manche Autoren sprechen hier sogar von einer Art Trauma, welches bis heute noch nicht vollständig überwunden zu sein scheint. Am 12 03 1938 marschierten deutsche Truppen unter dem Jubel der Bevölkerung in Österreich ein. Ein nicht geringer Teil der früheren Sozialdemokraten sahen ,,...nun ihren Traum vom Großdeutschen Reich verwirklicht." 15

4.2 Die Anfangszeit der zweiten Republik (1945-1955)

Die Frage der Landesverteidigung und der Wiederaufstellung von österreichischen Streitkräften stand in der Zeit zwischen 1945 und 1955 eher im Hintergrund. Dennoch bestand zwischen den Koalitionsparteien stets Einigkeit darüber, daßmit dem Abschlußdes Staatsvertrages von Wien auch Vorsorgen für eine militärische Landesverteidigung zu treffen waren.

Die offizielle Parteilinie hatte sich bereits seit 1947 auf die Wiederaufstellung von Streitkräften festgelegt16, was jedoch nicht ohne innere Widerstände vonstatten ging. Insbesondere die Parteilinke und die Sozialistische Jugend (SJ) lehnten das Heer im Bewußtsein der Ereignisse von 1934 als ,,Bürgerkriegsarmee" ab. Auch in Teilen der Öffentlichkeit konnte man sich nach den Erfahrungen des eben zu Ende gegangenen Weltkrieges mit militärischen Belangen nicht anfreunden.

Mit dem Parteitagsbeschlußvom 26 05 1948 bekräftigte die SPÖ ihre positive Haltung zur Errichtung von Streitkräften, und setzte eine Kommission ein, um die Frage mit dem Koalitionspartner zu verhandeln. Ein Grund dafür, daßdie SPÖ den Tendenzen ihres linken Flügels und der SJ nicht nachgegeben hat, ist wahrscheinlich auch darin zu suchen, daßdas Nein zur Landesverteidigung sie auch in die Nähe der KPÖ gebracht hätte, welche die Aufstellung von Streitkräften stets abgelehnt hatte.

Hauptmotivation für die Förderung von Streitkräften wird von vielen Autoren darin gesehen, daßdie ,,...SPöein deutliches Mißtrauen gegen die alleinige Existenz von Polizei und Gendarmeriebekundete, die in der Ersten Republik `schon einmal und viel früher als die Wehrmacht die entscheidenden Machtpositionen in die Hand bekommen haben', deshalb sei ein von Sozialisten (mit)kontrolliertes Heer als Gegengewicht unerl äßlich." 17 Ab 1950 wurde in Österreich mit maßgeblicher Unterstützung der SPÖ mit der Aufstellung der sogenannten ,,B-Gendarmerie", einer Vorläuferorganisation des Bundesheeres begonnen. Die Organisationsform der aufzustellenden Streitkräfte wurde durch die offizielle Parteilinie der SPÖ an den Begriff der Miliz gekoppelt. Ziel war in jedem Fall die Sicherstellung, jeglichen Mißbrauch der Streitkräfte durch Parteien auszuschließen. Dazu gehörten Maßnahmen wie zum Beispiel die Durchlässigkeit der Offizierslaufbahn unabhängig von Vorbildung und Stellung, bzw. Führung und Ausbildung der Verbände und Einheiten durch Milizoffiziere. Diese Forderung wurde erst in den 70er Jahren fallengelassen, als sich das Heeresressort in sozialistischer Hand befand.

Bis 1955 gab es zwar immer wieder positive Parteibeschlüsse zur Landesverteidigung, doch bei weitem keinen parteiinternen Konsens in dieser Frage. Auffallend ist, daßsich die wehrpolitischen Zielsetzungen der SPÖ immer mehr vom militärpolitischen in den gesellschaftspolitischen Bereich verlagerten. Die Funktion von Streitkräften als Mittel der Landesverteidigung trat in den Hintergrund, statt dessen wurde die Vorstellung vom ,,...Staatsbürger in Uniform, und dem Schutz der sozialdemokratischen Gesellschaftsordnung." 18 immer entscheidender.

Die Effektivität der Streitkräfte wurde im Wesentlichen darin gesucht, durch eine erstrebenswerte Sozialordnung eine verteidigenswerte Gesellschaft zu errichten. Die Glaubwürdigkeit und Abwehrkraft des Bundesheeres gegen äußeren Feind trat stets in den Hintergrund.

Erst am 13 05 1955, also zwei Tage vor der Unterzeichnung des Staatsvertrages wurden die zum Teil sehr widerstreitenden Auffassungen innerhalb der SPÖ zusammengefaßt und man einigte sich auf einen Entwurf für eine Wehrgesetzgebung. welche insofern bemerkenswert ist, als sie das Wehrgesetz von 1920 als Vorbild hatte, und nach Artikel 79 B-VG nicht nur die Abwehr von Angriffen von außen, sondern auch den Einsatz im Innern vorsah.19 Hält man sich vor Augen, daßsich die SPÖ zu diesem Zeitpunkt in der parlamentarischen Minderheit befand, und der mißbräuchliche Einsatz des Bundesheeres im Innern für die SPÖ immer als mögliche Bedrohung perzipiert wurde, erscheint die Zustimmung der Sozialdemokraten zu diesem Entwurf tatsächlich erstaunlich.

Daneben wurden auch noch folgende weitere Richtlinien für den Ausbau der Streitkräfte gefordert:

- Parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte
- Sicherung der ,,zivilen Existenz" von Soldaten, wie z. B. Sicherung des Arbeitsplatzes,etc.
- Ablehnung von Militarismus in jeder Form Nachdem am 26 10 1955 das BVG über die immerwährende Neutralität Österreichs beschlossen worden war, ließdie Führungsspitze der SPÖ im Gegensatz zur Parteibasis, insbesondere der Jugendorganisationen, nie einen Zweifel daran, daßdarunter nur eine bewaffnete Neutralität im Sinne des Völkerrechtes zu verstehen sein kann.

Im Rahmen der außenpolitischen Debatte im Nationalrat wies der sozialdemokratische Abgeordnete Koref darauf hin, daß ,,Der Begriff der dauernden oder immerwährenden Neutralität ein völkerrechtlicher Begriff ist, der die Wehrhoheit zwangsläufig miteinschließt" 20 und wies auf das Schweizerische Modell der bewaffneten Neutralität hin, indem er vor der kommunistischen Annahme einer unbewaffneten Neutralität warnte. Die Aufstellung eines Bundesheeres löste jedoch an der Basis der SPÖ, insbesondere in der SJ wenig Begeisterung aus. Innerhalb der Kritiker ließen sich im Wesentlichen zwei Argumentationslinien feststellen. Zum einen jene, die im Heer ein Mittel der Herrschenden zur Unterdrückung der Arbeiterklasse sahen, zum anderen jene, die dem Staat aus den Erfahrungen von 1938 die Verteidigungsfähigkeit absprachen, und daher aus realpolitischen Gründen auf die Aufstellung von Streitkräften zugunsten von Investitionen in der Sozialpolitik verzichten wollten, eine Argumentation, die heute noch innerhalb der Parteibasis zum Teil vertreten wird.

4.3 Die Zeit der Koalition (1956-1966)

In diesem Zeitabschnitt wurde schon früh sichtbar, daßdie Sozialdemokratie kaum bereit war, in den Fragen der Verteidigungspolitik den Konsens zur Leitlinie ihres Tuns werden zu lassen. Gleichzeitig wurde die Ambivalenz der Haltung innerhalb der SPÖ zur Landesverteidigung offenbar. Einerseits bekannte sich die SPÖ programmatisch und mit offiziellen Erklärungen zur Sicherung der Unabhängigkeit und bewaffneten Neutralität Österreichs, gleichzeitig war die SPÖ jedoch bestrebt, den Aufbau des Bundesheeres auf Minimalniveau zu halten. Der sozialistische Abgeordnete Strasser machte dies in seinen Ausführungen im Nationalrat deutlich:

,,Wir Sozialisten haben ebenüberall an der Aufstellung einer Wehrmacht an und für sich wenig Freude und haben uns nur aus staatspolitischen Notwendigkeiten folgend dazu bekannt." 21

Diese Haltung der Sozialdemokraten zur Landesverteidigung fand seine praktische Entsprechung in der Budgetpolitik der SPÖ. Während der Budgetdebatte des Jahres 1956 stellten sich die sozialistischen Abgeordneten auf den Standpunkt, daßInvestitionen in die Landesverteidigung zu einer Gefahr für den Staat werden können, wenn sie auf Kosten etwa der Sozialpolitik gehen. Hiezu ist anzumerken, daßder für das Jahr 1957 veranschlagte Betrag für die Landesverteidigung 4.81% des Haushalts ausmachte, ein Betrag, der gerade zur Aufrechterhaltung der Betriebskosten reichte. In der Budgetdebatte wurde zwar durch die Abgeordneten auf die geringe Dotierung des Verteidigungsressort hingewiesen, gleichzeitig wurde klargelegt, daßeine Erhöhung des Heeresbudgets nicht in Betracht komme. Einen etwas widersprüchlichen Ausdruck fand die sozialistische Haltung zur Landesverteidigung auch in ihrem Konzept einer Milizarmee. Die wiederholte Forderung der ÖVP nach gesetzlicher Regelung der Reserveübungen bzw. Einführung von freiwilligen Waffenübungen für Reservekader wurde von seitens der SPÖ vehement abgelehnt. Die SPÖ vermutete dadurch eine Aushöhlung der allgemeinen Wehrpflicht und des Milizgrundsatzes und argumentierte offiziell mit der Unfinanzierbarkeit.

,,Einerseits plädierte die SPöfür einen milizartigen Ausbau der Armee, war aber gleichzeitig nicht bereit, die dafür unbedingt erforderlichen Wiederholungs- bzw. Waffenübungen des Reservekaders gesetzlich zu regeln; andererseits verweigerten die Sozialisten auf lange Sicht hin dem Bundesheer die budgetm äßigen Voraussetzungen für seinen Aufbau." 22 Schwerpunkt der sozialistischen Politik war in dieser Zeit, verstärkte parlamentarisch- politische Kontrolle des Heeres zu fordern, sowie auf die Erstellung eines Gesamtverteidigungsplanes zu drängen.

Nachdem 1956 die SPÖ eine schwere Niederlage erlitten hatte, und 1957 Bruno Pittermann an ihre Spitze getreten war, setzte ein Kurswechsel ein, der vom Gedanken der Liberalisierung getragen war.

1958 wurde mit dem ,,Neuen Programm für Österreich" erstmals nach dem ,,Linzer Programm" von 1926 wieder ein Grundlagenprogramm beschlossen. Die in diesem Programm relativ ausführlich behandelten Bereiche, Neutralität und Landesverteidigung ließen den programmatischen Stellenwert derselben erstmals deutlicher hervortreten.23 Wie schon in der wehrpolitischen Resolution von 1955 stellt die SPÖ auch hier nicht ausdrücklich fest, daßdie militärische Landesverteidigung eine zwingende völkerrechtliche Pflicht der immerwährenden Neutralität Österreichs darstellt. Bemerkenswert ist jedoch die Tatsache, daßLandesverteidigung und Neutralität in einem Bereich zusammengefaßt wurden. Dennoch wurde die Pflicht zur wirksamen Verteidigung des eigenen Landes (im Vorentwurf ,,Nation") hervorgehoben.

Interessant ist sicherlich, daßdas stets so hoch gehaltene Postulat der ,,Milizarmee" nicht im Programm aufscheint. Möglicher Grund dafür könnte sein, daß ,,...die Sozialisten die Einsicht gewonnen haben, daßdas Schweizer Milizsystem wegen der unterschiedlichen materiellen und immateriellen Voraussetzungen nicht ohne weiteres aufösterreich anzuwenden sei." 24

Bemerkenswert ist sicher auch die programmatische Festlegung der SPÖ hinsichtlich der Aufgabenstellung an das Bundesheer. Wohl um sich dezitiert von Einsätzen im Innern (hier wirkt wohl noch immer das Trauma von 1934 nach), zu distanzieren, wird dem Bundesheer die Aufgabe ,,...lediglich der Verteidigung unserer Grenzen zu dienen." 25

zugewiesen. Diese unglückliche Formulierung könnte natürlich die Frage aufkommen lassen, ob denn (wörtlich genommen) das Hinterland nicht verteidigt werden solle. Jedenfalls zeigt diese Formulierung recht deutlich, daßmilitärische Fachkompetenz oft nicht in programmatischen Formulierungen Berücksichtigung gefunden hat und unterstreicht die damalige Lücke durch das Fehlen eines Landesverteidigungsplans.

In den folgenden Jahren wurde die Landesverteidigung immer mehr zu einem Diskussionsund Wahlkampfthema. Zwei Pläne traten hier besonders hervor. Zum einen der Plan des sozialistischen Bundesratsabgeordneten Thirring, welcher die einseitige Abrüstung Österreichs und gleichzeitige Sicherung der Neutralität durch internationale Verträge vorsah.

Zum anderen der Plan von Staatssekretär Otto Rösch, im weiteren Rösch-Plan genannt. Dieser sah die Reduzierung der Wehrdienstzeit auf 6 ½ Monate, das Einfrieren der Heeresbudgets auf 4 Jahre, sowie die Stärkung des Milizcharakters des Bundesheeres mit Territorialverteidigungsauftrag.

Während der Thirring-Plang nach heftiger Diskussion in der Öffentlichkeit abgelehnt wurde, fand der Rösch-Plan Eingang in das Positionspapier der SPÖ zum Wahlkampf 1966. Dieses Positionspapier wurde als ,,Programm für Österreich 1966" bekannt und beinhaltete folgende relevante Neuerungen auf dem Gebiet der Landesverteidigung:

- Formale Trennung der Bereiche Landesverteidigung und Neutralität
- Hervorheben der ,,aktiven Neutralitätspolitik", welche die völkerrechtliche Verteidigungspflicht des Neutralen in ihrer Bedeutung zurückdrängt

Von Seiten des Militärs erwuchs sowohl Thirring als auch Staatssekretär Rösch heftigste Kritik, die davon ausging, daßdie Umsetzung dieser Grundsätze der Einsatzbereitschaft des Heers schweren Schaden zufügen würde.

Inzwischen wurde auch das Bundesheer Objekt des parteipolitischen Konflikts als Minister Prader für den Sommer 1964 eine Werbeaktion des Bundesheeres in 250 österreichischen Gemeinden ankündigte. Hier sollten kleine Einheiten des Heeres die Ortschaften besuchen und ihre Leistungsfähigkeit demonstrieren. Nachdem die Sozialistische Jugend die Diskussion gestartet hatte, eskalierte der Streit bis zum Vorwurf des Gesetzesbruchs an Minister Prader. Die alten Ressentiments der SPÖ gegenüber der Landesverteidigung brachte Franz Kreuzer in der Arbeiter-Zeitung auf den Punkt:

"Prader denkt offenbar nicht daran, welche Gefühle es bei einem großen Teil der Bevölkerung dreißig Jahre nach dem 12. Februar 1934 erwecken muß, wenn zum erstenmal wieder das ganze Land schlagartig von selbständig kämpfenden Einheiten okkupiert wird." 26

4.4 Die Zeit der Opposition (1967-1970)

Durch die verlorene Nationalratswahl 1966 und den darauffolgenden Gang in die Opposition wurde die SPÖ wieder an die unglückselige Zeit des Jahres 1934 erinnert. Daher richtete die SPÖ ein Hauptaugenmerk wiederum das Kapitel Landesverteidigung, was sich in verstärkter Kritik an Verteidigungsminister Prader äußerte. Diesem wurde vorgeworfen, das Bundesheer politisch zu indoktrinieren, ,,politische Karteien" über das Personal des Bundesheeres zu führen und generell Amtsmißbrauch zu begehen.

Eine bedeutsame Erklärung zur Landesverteidigung und Neutralität hielt der neugewählte Parteivorsitzende Bruno Kreisky im November 1967. Er bekannte sich jedoch zwar zur bewaffneten Neutralität Österreichs, sah jedoch in der möglichst aktiven Mitwirkung an der Erhaltung des Friedens die wirkungsvollste Art der Landesverteidigung. Dies deckt sich durchaus mit der sozialdemokratischen Konzeption der aktiven Außen- und Neutralitätspolitik, welche in weiterer Folge durch Kreisky insbesondere im Nahen Osten praktiziert wurde.

Eine Wende brachte das Jahr 1968 als die Armeen des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei einmarschierten, um den Aufstand der Regimekritiker (Prager Frühling) niederzuschlagen. Kreisky konzedierte, daßaktive Friedenspolitik auch scheitern kann und entwickelte im Gegenzug die Idee der ,,Sozialen Verteidigung", soll heißen den (gewaltlosen) Widerstand der gesamten österreichischen Bevölkerung im Falle eines bewaffneten Aggressors. Der Begriff der ,,Sozialen Verteidigung" wurde nicht nur innerhalb der Partei so internalisiert, daßselbst von Fachleuten als Teil der ,,Umfassenden Landesverteidigung" betrachtet wurde.

Die Parteiführung der SPÖ nahm die Ereignisse des August 1968 zum Anlaß, die zweifellos bestandene Konzeptlosigkeit der politischen Führung in Fragen der Landesverteidigung herauszustellen. Im Zuge des Einsatzes des Bundesheeres während der krisenhaften Ereignisse hatte sich gezeigt, daßaufgrund fehlender klarer Kompetenzen und organisatorischer Mängel, der Einsatz mehr als nur unkoordiniert ablief:

,,..deckte der Einsatz des Bundesheeres Schwächen im Entscheidungsprozeßder politischen Führungösterreichs auf. Neben organisatorischer Mängel verzögerten vor allem Meinungsverschiedenheiten in der Lagebeurteilung und Kompetenzstreitigkeiten den ...

Abmarsch des Bundesheeresüber acht Stunden..." 27

Dennoch traf auch die SPÖ innerparteilich keine Entscheidungen hinsichtlich einer wehrpolitischen Konzeption. Insbesondere die Frage der Dauer der Wehrdienstzeit konnte durch die wehrpolitische Kommission der SPÖ nicht entschieden werden. Dies führte sie in krassen Widerspruch zu den in der Öffentlichkeit getätigten Aussagen, und in Konflikt mit anderen Parteiorganisationen wie z. B. der Sozialistischen Jugend.

Diese zunehmend unter dem Einflußder ,,Neuen Linken" (Hauptvertreter Günter Nenning) stehende Organisation übernahm in verteidigungspolitischen Fragen zunehmend die Initiative. So gelang es der SJ mit dem von Nenning und Peter Daim initiierten Volksbegehren zur Abschaffung des Bundesheeres ein Klima zu schaffen, in dem es möglich wurde, die Parteiführung auf die Reduzierung der Wehrdienstzeit auf sechs Monate festzulegen. Obwohl Nenning zum Teil heftiger Kritik innerhalb der SPÖ ausgesetzt war, (Nenning stand vor dem Parteiausschlußund Kreisky soll ihn als ,,Wurschtel"28 bezeichnet haben) kann man sie rückblickend als die (gewollten oder ungewollten) Wahlhelfer des Jahres 1970 betrachten. Jedenfalls wurde das Versprechen ,,Sechs Monate sind genug" zu einem vor allem an die Jungwähler gerichteten entscheidenden Wahlslogan.

4.5 Die Zeit der Alleinregierung (1970-1983)

In den ersten Jahren der Alleinregierung wurde Verteidigungspolitik durch die SPÖ ,,...fast ausschließlich unter wahltaktischen Gesichtspunkten betrieben." 29 Die Sozialisten erfüllten das Wahlversprechen der Wehrdienstzeitverkürzung auf sechs Monate, überließen es aber der Opposition und der Bundesheerreformkommission, darüber hinausgehende, unpopuläre, aber für die Funktionsfähigkeit der Landesverteidigung erforderlichen Maßnahmen vorzuschlagen. Auch die Ernennung zweier Generäle (Freihsler und Lütgendorf, der nicht einmal Parteimitglied war) zu Verteidigungsministern lag nicht zuletzt der Gedanke zugrunde, die Verantwortung für die Reform der Streitkräfte an die Offiziere zu delegieren.

In dieser Zeit geriet die militärische Landesverteidigung in die größte Krise ihres Bestehens, da auf begleitende Maßnahmen zur Umsetzung der Wehrdienstzeitverkürzung verzichtet worden war. Die Personalsituation des Bundesheeres ging rapide bergab. International fand diese Entwicklung durchaus Beachtung und die ,,Weltwoche" sprach damals von ,,Vabanquespiel mit der Neutralität".30

Das konzeptive Vakuum der SPÖ in Wehrfragen zeigt sich besonders deutlich am ,,Neuen Schema für das Wehrkonzept". Dieser bereits 1969 fertiggestellte Plan, der neben einer relativ detaillierten Darlegung der ,,Umfassenden Landesverteidigung", auch sehr weitreichende Maßnahmen zur Koordination und Führung der Streitkräfte sowie zur materiellen Leistungssteigerung des Bundesheeres vorsah, blieb bis zuletzt im Entwurfsstadium. Diese generelle Vernachlässigung der Streitkräfte deckt sich jedoch durchaus mit der Leitlinie der sicherheitspolitischen Haltung der SPÖ, die, abrückend vom schweizerischen Konzept der bewaffneten Neutralität, einerseits dem Gedanken der aktiven Außen- und Friedenspolitik (die jedoch auch ihrer näheren Definition entbehrte) andererseits jenem der ,,sozialen Verteidigung", also der Perzeption der Verteidigungswürdigkeit des Staates und somit der Sozialpolitik, absolute Priorität einräumte. Weitere wesentliche Indizien für diese Haltung waren z. B. das stärkere Engagement Österreichs bei der KSZE und deren Abrüstungsinitiativen, der Aufbau Wiens als dritter UN-Standort, sowie Kreiskys Nahost- Missionen 1973-1976.

Etwa seit 1973 begann sich die Einstellung der SPÖ zur Landesverteidigung etwas zu wandeln. 1975 wurde etwa das Konzept der ,,Umfassenden Landesverteidigung" in die Bundesverfassung aufgenommen (Art. 9a B-VG). Die dogmatische Verankerung dieser sog. ,,Verteidigungsdoktrin" erfolgte dann am Bundesparteitag vom 20 05 1978, im ,,Neuen Parteiprogramm der SPÖ" wobei auch hier dem absoluten Primat der Außenpolitik Rechnung getragen wurde:

,,Die Hoffnung auf dauernden Frieden und internationale Verständigung darf aberösterreich nicht hindern, die ihm mögliche Vorsorge zu treffen, um seine Neutralität, seine nationale Unabhängigkeit und die Einheit seines Staatsgebietes gegenüber jeder fremden militärischen Gewalt zu verteidigen. Das wichtigste Zielösterreichischer Sicherheits- und Neutralitätspolitik mußes aber sein ... die Gefahr, in eine bewaffnete Auseinandersetzung verwickelt zu werden, erst gar nicht entstehen zu lassen.." 31

Dieses bis heute gültige Parteiprogramm der SPÖ beinhaltet daneben noch folgende weitere Grundsätze zur Verteidigungspolitik:

- Bekenntnis zur Umfassenden Landesverteidigung (ULV)
- Verständnis des Staatsbürgers für ,,friedens- und sicherheitspolitische Aufgaben" durch ,,Erziehung zur Demokratie"
- Dezidiertes Bekenntnis zum ,,politischen Widerstand" als Ergänzung der ULV
- Bekenntnis zum Volksheer mit begrenzten finanziellen Möglichkeiten
- Allgemeine Wehrpflicht, Milizsystem, Förderung der heimischen Rüstungsindustrie, Zivildienst als gleichwertige Alternative
- Ausbau der demokratischen Kontroll- und Mitbestimmungseinrichtungen des Bundesheeres

Der Grundsatz der ULV wurde in Form einer Entschließung des Nationalrates präzisiert und sah neben der Konkretisierung der Aufträge an die Teilbereiche der ULV auch vor, daß ,,...die vorstehend niedergelegten Zielsetzungen der umfassenden Landesverteidigung sowie Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung im Landesverteidigungsplan zusammenzufassen sind, der vor der Beschlußfassung im Landesverteidigungsrat zu beraten ist." 32 Obwohl dieser Landesverteidigungsplan erst 1983 durch die Bundesregierung beschlossen und 1985 in Teilen veröffentlicht wurde, sehen viele Autoren in den Jahren 1973-75 einen erstmaligen Versuch der SPÖ ein konstruktives Verhältnis zu Fragen der Landesverteidigung aufzubauen.

Auslöser dafür könnte durchaus die richtige Einschätzung der SPÖ hinsichtlich der realpolitischen Kräfteverhältnisse gewesen sein, die sich ab Herbst 1975 weiter zugunsten der Sozialdemokraten verschieben sollte. Das Thema Landesverteidigung konnte so erstmals aus den wahltaktischen Überlegungen herausgehalten werden.

In pragmatischer Hinsicht konnte durch das Konzept der Raumverteidigung, welches durch den durchaus in einem Vertrauensverhältnis zur SPÖ stehenden General Emil Spannocchi entwickelt wurde, wieder auf einen konzeptiven Rahmen gestellt werden. Dieses oft als ,,Miliz- und Guerrillasystem" bezeichnete Einsatzkonzept fand einen Höhepunkt in der Raumverteidigungsübung 1979. Zu diesem Zeitpunkt kulminierte auch die Kritik der ÖVP an der Wehrpolitik der SPÖ. In ihren Augen betrieb die SPÖ eine politische Indoktrinierung der Streitkräfte, welche auf allen Ebenen stattfand.

Indizien für dieses Faktum sah die ÖVP in Publikationen wie z. B. jener von Andreas Maislinger in der ,,Zukunft" vom Juli 1980:

,,Obwohl Kritik am Spannocchi-Konzept notwendig erscheint, müssen wir doch auch unsere Möglichkeiten erkennen: Wir können Spannocchi auch wörtlich nehmen, und fordern die neuen Regeln der Herren Mao-Tse-Tung, Tito und anderer auf unsere Gegebenheiten zuübertragen. Nur mit unseren politischen Inhalten, durch Politisierung der Soldaten und Offiziere. In dieser Richtung arbeitet der ,,Klub der Kritischen Offiziere" um (Major d.G.) Wolfgang Schneider. Leider erhalten diese Kritischen Offiziere nur wenig Unterstützung von seiten der Jungsozialisten. Ist es aber nicht bei einem ständigen Ausbau des Bundesheeres von entscheidender Bedeutung, innerhalb der Armee zu arbeiten?" 33

4.6 Die Zeit der Koalitionen (1983-dato)

In der Periode ab 1983 verlagerte sie die sozialdemokratische Sicherheitspolitik wieder gleichermaßen auf die Bereiche der Außen- und Verteidigungspolitik. Der politische Konsens nahm auf dem Feld der Sicherheitspolitik wieder zu und wie bereits oben erwähnt, konnte der Landesverteidigungsplan 1983 durch die Bundesregierung beschlossen werden. Dennoch fällt auf, daßdie sozialdemokratische Partei es, wo immer möglich, vermieden hatte, das Verteidigungsressort durch einen sozialdemokratischen Minister zu besetzen. Hier mag das ambivalente Verhältnis der Sozialdemokraten zur (militärischen) Landesverteidigung als ausschlaggebend anzusehen sein.

Vielleicht nicht zuletzt durch die Tatsache, daßdie jeweiligen Koalitionspartner ÖVP und FPÖ ,,...einen Militär und Rüstung stärker bejahenden Einfluß..." 34 hatten erfolgten in den Jahren 1985 - 1989 für Österreich recht spektakuläre Rüstungsprojekte für das Bundesheer. Zum einen beschloßdie Bundesregierung den Ankauf von 24 schwedischen Jagdflugzeugen, was zu heftigem Widerstand innerhalb der sozialdemokratischen Jugendorganisationen geführt hatte. Zum anderen wurde 1989 die Beschaffung von Panzerabwehrlenkwaffen beschlossen, welche insofern von Bedeutung waren, als das (sozialdemokratisch geführte) Außenministerium den Artikel 13 des Staatsvertrages von Wien:

,,...österreich soll weder besitzen noch herstellen...c) irgendeine Art von selbstgetriebenen oder gelenkten Geschossen..." 35 als Verbot derartiger Waffensysteme interpretierte. Die daraufhin folgende Diskussion eröffnete im Wesentlichen zwei gangbare Wege: Zum einen die Änderung des Vertragstextes (was durch die Sowjetunion abgelehnt wurde), zum anderen die einseitige Interpretation des Vertrages dahingehend, daßdefensive Abwehrlenkwaffen nicht unter diesen Passus fallen. Letztere Möglichkeit fand Unterstützung in der Tatsache, das mehrere Länder nach dem 2. Weltkrieg ähnliche Bestimmungen in ihren Friedensverträgen hatten, und ähnlich interpretierten. Schließlich wurden die Waffensysteme ohne Protest irgendeines Vertragspartners beschafft.

Diese bemerkenswerte Entwicklung der verstärkten (auch finanziellen) Förderung der militärischen Landesverteidigung ist mit einer ebenso bemerkenswerten Westorientierung der sozialdemokratischen Außenpolitik zu sehen.

,,...Es brachte eine Verschiebung der Schwerpunkte von globaler, USA-kritischer und Nord- Süd-Orientierung hin zu europäischer Nachbarschaftspolitik, europäischer Integration und einer stärkeren Orientierung an den USA, welche nach mehreren Protesten...eine stärkere Kontrolle von strategisch/militärisch bedeutsamen Technologietransfer durchösterreich erzwangen." 36

Die zunehmende Westorientierung, deren Beginn von machen Autoren mit dem Übergang der Außenminister von Lanc zu Gratz gesehen wird, gipfelte schließlich im Antrag vom 17 07 89 auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union.

Programmatisch lieferte die Sozialdemokratie mit dem Entwurf zum Perspektivenpapier ,,Perspektiven 90" von 1986 einen recht eindeutigen Beitrag zu Fragen der Landesverteidigung. Nachdem zunehmende Verschärfung des Ost-West-Konflikts für die Sozialdemokraten auf eine Rückkehr zum System der Bipolarität deuteten, wird Handlungsbedarf für die Sicherstellung einer ,,aktiven Neutralitätspolitik" gesehen. Ganz eindeutig wird die militärische Komponente der Neutralität der Außen-, Sicherheits- und Neutralitätspolitik untergeordnet und versucht, jede Annäherung an bestehende Pakt- oder Sicherheitssysteme zu vermeiden:

,,österreich ist weder militärisches Vorfeld, noch militärischer Trittbrettfahrer irgendeines anderen Staates oder Paktsystems. Die Sozialisten lehnen noch immer geäußerte Wunschvorstellungen von einem Großheer in Kleinausgabe ab..." 37

Als eines der letzten Statements der SPÖ zu Fragen der Landesverteidigung, welches noch im Geiste der bipolaren Blockkonfrontation formuliert war (,,...gemeinsame Sicherheit nicht durch ein Mehr an Waffen, sondern durch ein militärischen Gleichgewicht auf möglichst tiefem Niveau") 38, war das am 20 10 1989 beschlossene Konzept ,,Sozialdemokratie 2000". Wie schon zuvor, wird hier von einem sehr umfassenden Begriff der Sicherheit ausgegangen, der ,,...die eigene Sicherheitspolitikösterreichs als Zusammenwirkenökonomischer, sozialer, gesellschafts- und friedenspolitischer Komponenten..." 39 versteht, die militärische Komponente somit nicht nur wie bisher untergeordnet, sondern geradezu negiert wird.

Die Neutralität Österreichs wird zwar aus ihren historischen Leistungen heraus bewertet, gleichzeitig jedoch insofern daran festgehalten, als ,,...die immerwährende Neutralität Ö sterreichs mittlerweile zu einem wichtigen Bestandteil der europäischen Friedensordnung geworden ist." 40

Die Jahre 1990 - 1991 brachte Umwälzungen für das österreichische Verständnis von Sicherheitspolitik, und damit auch jenes der sozialdemokratischen Partei. Bemerkenswert ist hier, daßes innerhalb der SPÖ möglich war, Entscheidungen aus pragmatischer außen- und sicherheitspolitischer Notwendigkeit zu treffen, welche tief an die Grundsätze der Sozialdemokratie gingen. Drei Ereignisse waren es hier, die diese Umwälzungen mit sich brachten.

Zum ersten der Golfkrieg 1990. Nachdem der UN-Sicherheitsrat (dem Österreich zu dieser Zeit angehörte) in der Resolution 678 die Mitgliedstaaten aufgefordert hatte, die in dieser Resolution beschlossenen militärischen Maßnahmen zu unterstützen, erteilte Österreich abweichend von der bisherigen Linie durch den sozialdemokratischen Innenminister pauschal die Genehmigung zum Überflug bzw. Durchfuhr. Lediglich ein Antrag Großbritanniens auf Überflug mit 20 Tonnen Munition wurde nach wachsendem Protest innerhalb der SPÖ durch den sozialdemokratischen Innenminister unter Hinweis auf das Kriegsmaterialgesetz verzögert bis Großbritannien den Antrag zurückzog. Der Vorfall führte jedoch zu einer Novelle des Gesetzes, die innerhalb von 30 Stunden (!) im Parlament beraten und beschlossen wurde, und in weiterer Folge derartige Transporte erlaubte.

Das zweite wesentliche Ereignis war die Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes. Der Wegfall der bipolaren Ost-West-Konfrontation machte es erforderlich, den Auftrag an die Streitkräfte, verbunden mit deren Neustrukturierung, neu zu definieren. Als drittes Ereignis kann der gewaltsame Zerfall Jugoslawiens gesehen werden, der militärische Auseinandersetzungen unmittelbar an der österreichisch-slowenischen Grenze stattfinden ließ. Erstmals nach 1956 und 1968 wurde das Bundesheer zu einem militärischen Einsatz an die Staatsgrenze abkommandiert. Dieser Einsatz zeigte, daßdie inflexible Struktur des Bundesheeres, welches milizartig ausgerichtet und gemäßLandesverteidigungsplan eher für einen Großeinsatz im Rahmen einer Blockkonfontation ausgelegt war, nicht für neue Herausforderungen in einem Europa der Fragmentierung geeignet war. Die Größe des Milizheeres hätte doch in der Ausbaustufe 300.000 Milizionären, bei rund 30.000 Berufssoldaten umfassen sollen. Daneben machten sinkendes Wehrpflichtigenaufkommen sowie erhöhter Investitionsbedarf bei sinkendem Heeresbudget zu schaffen. In dieser Phase kam der Hauptanstoßder SPÖ zur Reform der militärischen Landesverteidigung durch einen Entschließungsantrag der Abgeordneten Roppert, Cap und Marizzi, welcher folgende Leitlinien umfaßte:

Bereits in den grundsätzlichen Überlegungen nimmt die SPÖ Bezug auf die geänderte geostrategische Situation in Europa. Bereits im nächsten Satz jedoch wird bemerkt, daß ,,...wenn man heute von einer Akzeptanzkrise desösterreichischen Bundesheers spricht, so hängt dies vor allem aber mit Fehlentwicklungen und Fehlleistungen im Bereich der Heeresverwaltung selbst zusammen." 41

Bereits hier, aber auch im darauffolgenden Absatz, in dem sich die SPö,,...zum Festhalten am Landesverteidigungsplan..." 42 bekennt, zeigt die grundsätzlich die (zumindest militärischen) Landesverteidigung ablehnende und z. T. auch widersprüchliche Haltung der Sozialdemokratie. Widersprüchlich zumindest insofern, als neue Aufgaben und neue Strukturen bei gleichzeitig unbedingtem Festhalten am Landesverteidigungsplan und am Milizsystem definiert werden.

Folgende Bereiche wurden in einem ,,Zehn Punkte-Programm" näher ausgeführt:

- Neue Aufträge für das Bundesheer: Grenzsicherung, Katastrophenhilfsdienst, Auslandseinsätze im Rahmen der UN.
- Reduzierung der Mobilmachungsstärke des Heeres auf 150.000 Mann
-,,Effiziente Bewaffnung und moderne Ausrüstung für Katastrophenschutz"
- Reduzierung der höheren Kommanden, der Zentralstelle und Vergabe von
Führungsfunktionen auf Zeit. Diese sehr alte Forderung der Sozialdemokratie nach Demokratisierung der Streitkräfte wurde in den siebziger Jahren bis hin zur Wahl der Kommandanten durch deren Soldaten weitergedacht.
- Reduzierung der Wehrdienstzeit auf 4 Monate. Im Lichte der Ereignisse von 1970 hätte diese Maßnahme nach Einschätzung der militärischen Führung zur endgültigen Zerschlagung des Bundesheeres geführt.
- Höhere Bezahlung der Präsenzdienstleistenden
- Abschaffung der Zivildienstkommission und Reduzierung des Zivildienstes.

Die in dieser Phase der Diskussion von den Grünen eingeführte Forderung nach Abschaffung des Bundesheeres, ließdas Pendel in der Argumentation der SPÖ in die andere Richtung ausschlagen und zeigt einmal mehr die Zwiespalt der SPÖ in ihrer Haltung zwischen Militärkritik und staatstragender Verantwortung:

,,Die SPöwird entschieden allen Versuchen politischer Gruppierungen - auch innerhalb der eigenen Partei - entgegentreten, die sich der notwendigen Diskussionüber die Landesverteidigung durch die plakative Forderung nach Abschaffung des Bundesheeres entziehen wollen. Die SPöwird diese Diskussion innerhalb und außerhalb ihrer Organisationen führen, damit die Glaubwürdigkeit des Bundesheeres nach innen und außen wiederhergestellt wird:" 43

Die aus der Bundesheerreformdiskussion 1992 als Kompromißzwischen den Koalitionspartnern hervorgegangene ,,Heeresgliederung NEU" brachte im wesentlichen folgende Konsequenzen:

- Reduzierung des MobHeeres auf 150.000 Mann sowie 12.000 Mann in rasch verfügbaren Einheiten.
- Auflösung des Armeekommandos und Reduzierung der Strukturen in höheren Kommanden und in der Zentralstelle.
- Aufgabe des Konzeptes der Raumverteidigung
- Abschaffung der Zivildienstkommission und Beginn der Diskussion über die Öffnung des Bundesheeres für Frauen.

Die Jahre 1993-1996 brachten weitere wichtige Schritte auf der Suche nach einer neuen Konzeption der österreichischen Sicherheitspolitik, die im wesentlichen als internationale und vor allem europäische Integration bezeichnet werden können. Österreich wurde Mitglied in der NATO-Organisation ,,Partnerschaft für den Frieden", einem System internationaler Militärkooperation mit dem Zweck der Vertrauensbildung zwischen NATO-Mitgliedern und Nichtmitgliedern.

Österreich wurde Mitglied in der Europäischen Union und trägt somit voll auch den Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) mit, der eine einheitliche Sicherheitspolitik schaffen soll, die in einer gemeinsamen Verteidigung münden kann. Um diese Mitwirkung auch im Lichte des Neutralitätsgesetzes möglich zu machen wurde mit Artikel 23f ein eigenes Bundesverfassungsgesetz geschaffen, welches ,,..die Mitwirkung an Maßnahmen miteinschließt, mit denen die Wirtschaftsbeziehungen mit einem oder mehreren Ländern ausgesetzt, eingeschränkt oder vollständig eingestellt werden." 44

Die Westeuropäische Union (WEU), in der Österreich Beobachterstatus hat, soll als europäischer Pfeiler der NATO das zukünftige Verteidigungsinstrument der EU sein.

Ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Haltung der SPÖ zur Frage der Sicherheit in Europa kann in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Franz Vranitzky am 30 11 1994 gefunden werden. In einem für eine Regierungserklärung recht umfangreichen Teil die europäische Sicherheit betreffend, führt Vranitzky den bekannten Standpunkt der Sozialdemokraten aus, daßEuropa ein eigenes System, eine Art europäische Sicherheitsarchitektur gefunden werden muß, ,,...das nicht ausschließlich militärischen Charakter trägt, undüber geeignete Mechanismen zu Früherkennung und friedlichen Beilegung von Konflikten ... verfügt." 45

Alleine dieser Satz zeigt bereits den massiven Gesinnungswandel der innerhalb der SPÖ wohl stattgefunden haben muß, einer SPÖ, die noch vor wenigen Jahren vom ausschließlichen Primat der ,,aktiven Neutralitätspolitik" ausgegangen war.

In dieser Regierungserklärung wird auch der Spannungszustand einer Position offenbar, die zum einen unter dem Druck steht, an der (auch militärischen) Konzeption einer europäischen Sicherheitsarchitektur aktiv mitzuarbeiten, die auch vor Berührungsängsten mit der NATO nicht zurückschrecken darf, wenn Vranitzky mit entwaffnend offenen Worten ausführt:

,,Ein weiteres Vorhaben wird die Teilnahmeösterreichs an der Partnerschaft für den Frieden sein. Diese Partnerschaft der NATO ...auf der Basis einer verstärkten militärischen Zusammenarbeit l äßt mehr Stabilität für Europa erwarten...Derösterreichische Beitrag wird sich auf Peace-keeping-Einsätze...konzentrieren...Dabei haben sichösterreichische Soldaten schon bisher weltweit Anerkennung erworben. Ihnen möchte ich an dieser Stelle besonders danken." 46

Immer mehr sah sich jedoch die SPÖ dem Druck ausgesetzt, zu Fragen der europäischen Sicherheit klare Standpunkte zu definieren, zumal diese nun nicht mehr nur vor dem eigenen (Partei-) Volk zu rechtfertigen waren, sondern vor allem vor den neuen Vertragspartnern innerhalb der NATO und EU.

Verstärkt wurde dieser Druck durch den Beschlußder NATO die ehemaligen WarschauerPakt-Staaten Polen, Tschechien und Ungarn als Mitglieder aufzunehmen sowie einen Sondervertrag mit Rußland abzuschließen.

Die SPÖ stimmte zu, eine Kommission einzusetzen, welche bis März 1998 (der Termin wurde im Lichte der österreichischen EU-Präsidentschaft ab Juli 1998 nicht zufällig gewählt), dem österreichischen Nationalrat Optionen für eine österreichische Sicherheitspolitik zu berichten. Dieser ,,Optionenbericht" sollte dann Grundlage für die Entscheidungsfindung des Parlaments werden.

In dieser Phase hat die SPÖ mit dem Beschlußdes Bundesparteivorstandes am 09 12 1996 (,,SPÖ-Positionen zur Sicherheitspolitik") ihren Standpunkt definiert. Generelle Richtung ist dabei die Forderung nach einem System kollektiver Sicherheit ,,...in Anlehnung an Kapitel VIII der UNO-Charter und/oder im Rahmen der OSZE bzw. einer gesamteuropäischen Sicherheitsinitiative..." 47, wobei auch der NATO durchaus mit Wohlgefallen gegenübergetreten wird:

,,österreich beobachtet mit Interesse und Sympathie neue Entwicklungen innerhalb der NATO, die erkennen lassen, daßdie NATO nicht nur ein Militärbündnis auf der Basis kollektiver Verteidigung ist, sondern mit Hilfe flexiblerer Strukturen um neue Antworten auf Fragen der europäischen Sicherheit bemüht ist." 48

Auffällig ist hier zweierlei: Zum einen die Tatsache, daßauf dem Titelbild der Veröffentlichung ,,Sicherheit in Europa" eine Einheit Bundesheersoldaten abgebildet ist, zum anderen die Argumentationsweise, welche einen etwaigen NATO-Beitritt Österreichs mit dieser Veröffentlichung nicht ausschließt. So wird beispielsweise mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß ,,...österreich sich in einem Sicherheitssystem von Fall zu Fall das Recht vorbehalten können muß, an gemeinsamen Aktionen teilzunehmen oder nicht Wir lehnen aber eine automatisierte Verpflichtungösterreichischer Soldaten zur Teilnahme an Einsätzen der NATO ab." 49

Hält man sich nun vor Augen, daßÖsterreich sich mit der Teilnahme an IFOR/SFOR seit 1994 mit der NATO in einem militärischen Einsatz befindet, scheint sich diese Argumentation zu relativieren. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, daßoben genannte Formulierung durch sicherheitspolitische Fachleute getroffen wurde, die sehr genau wissen, daßselbst NATO-Mitglieder im Falle eines Angriffs auf die NATO nicht automatisch militärischen Beistand zu leisten haben. Artikel 5 der NATO spricht hier davon, daßjede Partei (Mitglied)

,,...Maßnahmen trifft,...die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen..." 50

Diese Maßnahmen können nun von ,,aktiver Außenpolitik" über politischem Protest, bis hin zu militärischen Aktionen reichen, und zwar im Ermessen des Mitglieds (Das NATO- Mitglied Island beispielsweise verfügt selbst über keine Streitkräfte). Diese obengenannte Formulierung in der Position der SPÖ ermöglicht es somit, häufig formulierte Ängste in der Bevölkerung und in der Partei zu zerstreuen, andererseits jedoch auch die Option eines NATO-Beitritts offen zu halten.

Dementsprechend konzentrierte sich die Diskussion innerhalb der SPÖ seit 1996 auch ganz auf NATO und Neutralität, wobei neben dezidierten NATO-Gegnern wie z. B. Heinz Fischer, auch immer wieder überraschende Wortmeldungen zu Tage traten, die einen NATO-Beitritt zumindest nicht ausschlossen.

So ließder SPÖ-Nationalratsabgeordnete Cap damit aufhorchen, daßer sich dafür einsetzte, ,,...die Fragen einerösterreichischen NATO-Mitgliedschaft als eine neue sicherheitspolitische Sinngebung einzusetzen Wennüber die Sicherheitspolitik Europas undösterreichs in der NATO als einzige funktionsfähige Sicherheitsarchitektur entschieden werde, müsseösterreich dabei sein." 51

Und auch der Vorsitzende der SPÖ im Europäischen Parlament, Hannes Swoboda davon, es wäre ,,...verfehlt, einer NATO alten Typs beizutreten, ...es mag aber durchaus Sinn machen, aktives Mitglied in einem neuen institutionalisierten Sicherheitsdialog für ganz Europa zu sein." 52

All diese Äußerungen von teils hochrangigen Funktionären der SPÖ deuten darauf hin, daßeine mögliche Option im Frühjahr 1998 der Beitritt Österreichs zur NATO sein könnte. Was dies für die innerparteilichen Strukturen einer SPÖ bedeutet, die aus ihrer militär- und USA- kritischen Haltung heraus, dieser Organisation stets ablehnend gegenüberstand, läßt sich für außenstehende Beobachter kaum ermessen. Verstärkt wird dieser Spannungszustand durch die enormen Belastungen, mit denen die Bevölkerung bedingt durch die sogenannten ,,Sparpakete" der Bundesregierung im Zuge der Budgetsanierung konfrontiert war und ist. Um diesen Spannungszustand an der Parteibasis etwas zu minimieren, wurde innerhalb der SPÖ auch schon in Erwägung gezogen, die Entscheidung über den Optionenbericht bis nach die Nationalratswahlen 1999 zu verschieben.

Diese Variante, nämlich den politischen Entscheidungsfindungsprozeßin so wesentlichen Fragen wie jener der Sicherheit des Staates, wahlstrategischen Argumenten unterzuordnen, scheint auf die Vision Karl Ucakars hinzudeuten, der befürchtet, die SPÖ könnte sich ,,...weiter zu einer Partei entwickeln, die sich den Mechanismen einer im wesentlichen auf formale Prozesse reduzierten Partei unterordnet, ... auf einen Konkurrenzkampf von Parteiapparaten, und vorwiegendökonomische Vorteile beschränkt wird, ... Die Konkurrenz um diese Stimmen erfolgt tendenziell nicht mehr auf der Basis politischer Argumente, ... sondern auf der Basis kommerzieller Werbung..." 53

In der Zwischenzeit wird Sicherheitspolitik erstmals auch zu einem Kernthema bei der Erarbeitung eines neuen Parteiprogrammes. Zu diesem für 1998 gesetzte Vorhaben melden sich immer wieder Vordenker der Partei zu Wort, wobei die überraschende Tendenz dahin geht, daßsowohl die Begriffe ,,Neutralität" als auch ,,NATO" vermieden werden. Selbst der oft als ,,sozialdemokratischer Fundamentalist" bezeichnete Caspar Einem konzediert, daßdas Festhalten der SPÖ an der Neutralität um ihrer selbst willen kaum Sinn macht. (,,Sie ist vielleicht nicht im Programm...es geht nicht, daßwir uns ums Verrecken auf einige Dinge versteifen.") 54

Und Alfred Gusenbauer läßt die voraussichtliche Leitlinie der SPÖ durchblicken:

Verstärktes Engagement Österreichs bei PfP-Plus (einer intensivierten und ausgeweiteten Form der NATO-Partnerschaft für den Frieden), wobei ,,...volle militärische Interoperabilität des Bundesheeres mit den Truppen der NATO herstellt wird..österreich könnte dann auch in die Planung gemeinsamer Aktivitäten eingebunden werden, wobei auch friedensschaffende Einsätze vorgesehen sind." 55 Bedenkt man, daßdies den Kampfeinsatz von Bundesheersoldaten im Ausland unter NATO-Kommando zu Wiederherstellung des Friedens, wie z. B. 1992 in Somalia bedeuten könnte, wird der innerparteiliche Gesinnungswandel der zur Zeit innerhalb der SPÖ in Fragen der Sicherheit stattfindet, offenbar. Verstärkt wird dieser Eindruck durch Gusenbauers Plan zur Aufrüstung des Bundesheeres:

,,Bevor man weitere Schritteüberlege, müsse das Bundesheer in die Lage gebracht werden, all die Verpflichtungen zu erfüllen...das Bundesheer hatte schon Probleme, ein paar hundert LKW für den Bosnien-Einsatz aufzutreiben." 56

Auf lange Sicht schwebt Gusenbauer, der immerhin Mitglied der von Bundeskanzler Klima eingesetzten sicherheitspolitischen Expertengruppe ist, der Aufbau eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems vor, in dem ,, die Neutralität ausgedient hätte." 57

DaßGusenbauer hier keinen einzelnen Vorstoßreitet, sondern sehr wohl weiß, wovon er spricht, beweist das Konzept für das neue Parteiprogramm der SPÖ: Unter dem Kapitel ,,Unsere Sicherheit" werden ,,...vorschnelle Entscheidungenüber einen Beitrittösterreichs zu militärischen Bündnissen..." 58 zwar abgelehnt, der Beitritt generell jedoch nicht ausgeschlossen. Desweiteren wird im Kapitel ,,Unsere Verteidigung"die ,,Notwendigkeit einer effektiven und glaubwürdigen Landesverteidigung" bekundet, wobei ,,...Bewaffnung und Ausrüstung des Bundesheeres weiter verbessert werden muß..." 59 Bundeskanzler Viktor Klima lieferte ebenfalls einen weithin beachteten Diskussionsbeitrag. Am 09 07 1997 hielt er vor den Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten des ,,Euro-Atlantischen Partnerschafts-Rats" der NATO eine Ansprache in der er an der Haltung nicht nur Österreichs, sondern wahrscheinlich auch der SPÖ zur NATO keinen Zweifel ließ:

,,The development of fully functioning European security structures is essential for European security...We are ready an willing to cooperate in a spirit of solidarity. We are aware, that this task can only be accomplished in the framework of transatlantic partnership We are, of course, aware that it must always be our first concern to prevent the emergence of conflicts. But if they occur we must be able and prepared to cope with them." 60

5 Zusammenfassung und Schlußwort

Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, kann die Sozialdemokratie in Österreich zwar als politische Kraft beurteilt werden, welche den Frieden ins Zentrum ihrer Programmatik gestellt hat, jedoch keineswegs pazifistisch war und ist. ,,Volkswehr" und ,,Republikanischer Schutzbund" belegen, daßdie Sozialdemokratie immer bereit wahr, einen Staat, den sie bejahte, auch zu verteidigen bereit ist.

Die Ereignisse der 1. Republik, und insbesondere jene im Februar 1934 machten auch die Bedeutung von Streitkräften als innenpolitisches Machtinstrument deutlich. Die Vorgänge von 1934 schürften so tiefes Mißtrauen in die bewaffnete Macht Österreichs. Die Zeit zwischen 1945 und 1960 verfolgte die SPÖ nunmehr eine Politik, welche die Notwendigkeit von Streitkräften als gesellschaftspolitisches Machtinstrument bejahte, jedoch zum Zwecke der Landesverteidigung nach außen auf einem Minimum halten wollte. Darüber hinaus sollte die demokratische Kontrolle der Streitkräfte durch die Sozialdemokratie sichergestellt sein.

Die Parteilinie war jedoch zu keiner Zeit eindeutig. Wurde die Aufstellung des Bundesheeres von der Führungsspitze der Partei als Notwendigkeit anerkannt, wurde es an der Parteibasis, insbesondere in den Jugendorganisationen, heftig kritisiert.

Nach 1960 wird, wohl um den militärkritischen Teilorganisationen innerhalb der SPÖ entgegenzukommen, von der Parteispitze die Struktur der Streitkräfte ins Zentrum der Diskussion gerückt, Tendenzen zu dessen Auflösung jedoch abgelehnt. Milizsystem, Demokratisierung des Militärs, Reduzierung der Wehrdienstzeit, geringe Budgetierung werden zu Programmpunkten. Oftmals wird das Bundesheer als Wahlkampfthema verwendet, dies kulminierte im Wahlslogan 1970 ,,6 Monate sind genug". Ein konzeptiver Landesverteidigungsplan, der Bedrohungsbild, Struktur und Aufgabe des Bundesheeres darlegt, sollte jedoch bis 1983 auf sich warten lassen. Die Zeit der SPÖ-Regierung nach 1970 stand ganz im Zeichen der außenpolitischen Konzeption der Ära Kreisky, welche die Verteidigungspolitik gänzlich der ,,aktiven Neutralitätspolitik" unterordnete. Zugleich gelang es der SPÖ jedoch auch, innerhalb des Bundesheeres Vertrauenspersonen an wesentlicher Stelle zu plazieren, wie z. B. Wolfgang Schneider im einflußreichen Büro für Wehrpolitik, oder Emil Spannocchi als Armeekommandant. In Spannocchis Zeit fällt auch jene Periode, als die SPÖ wieder ein konstruktives Verhältnis zur (militärischen) Landesverteidigung aufbaute. Als nach 1983 erstmals wieder ein (freiheitlicher) Koalitionspartner in die Regierung genommen werden mußte, fand die Landesverteidigung in der Regierungspolitik wieder stärker Beachtung. Generell fiel in diese Zeit wieder eine verstärkte Westorientierung Österreichs, die schließlich in der Unterstützung des Golfkrieges und im EU-Beitritt mündete. Die jüngste Vergangenheit ist durch den Kampf der SPÖ gekennzeichnet, innerhalb der nach dem Ende der bipolaren Blockkonfrontation stattfindenden Neuordnung in Europa, einen für Österreich gangbaren Weg zu finden. Die Frage des NATO-Beitritts, der Aufhebung der Neutralität Österreichs sowie eines Europäischen Sicherheitssystems stehen hier im Brennpunkt, wobei zwar noch keine Entscheidung gefallen ist, doch jede Variante auch innerhalb der SPÖ-Führung ,,denk-bar".

Nach Ansicht von vielen Autoren wurde der Grundsatz der immerwährenden Neutralität Österreichs bereits über Bord geworfen, so schreibt Karl Ucakar:

,,...dies bedeutet die Aufgabe einer Reihe von Errungenschaften ... Die Neutralität als wichtiger Faktor nicht nur derösterreichischen Identität, sondern auch des europäischen Sicherheitssystems, ... nimmt in diesen Dispositionen der Bundesregierung einen geringeren Stellenwert ein." 61

Tatsächlich dürfte sich die SPÖ von den althergebrachten Grundsätzen ihrer sicherheitspolitischen Konzeption verabschiedet haben. Nicht unwesentlich ist in diesem Zusammenhang, wie sich eine solche Entwicklung auf die Identität einer tradítionellen Arbeiterpartei auswirken wird. Ob der Widerstand gegen die sicherheitspolitische Neuorientierung Österreichs innerhalb der SPÖ ähnlich wie Nennings Volksbegehren 1969 als anachronistische Anti-Fortschrittsbewegung in die Parteigeschichte eingehen wird, oder ob sich die SPÖ tatsächlich in den Grundfesten verändert hat, dies wird die Zukunft zeigen.

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JOCHUM, Manfred: Die Erste Republik; Braumüllerverlag; Wien; 1983

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KLECATSKY, Hans u. MORSCHER, Siegbert: Die Österreichische Bundesverfassung; Manz[3], Wien, 1985

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LANDESVERTEIDIGUNGSAKADEMIE/Wissenschaftskommission beim Bundesminister für Landesverteidigung: Sicherheitspolitisches Umfeld und Streitkräfteentwicklung; Eigenverlag; Wien; 1996

MAISLINGER, Andreas: Jusos ins Bundesheer! in: Die Zukunft vom Juli 1980, S 22

NATO PRESSE- und INFORMATIONSDIENST: NATO-Handbuch; Eigenverlag; Brüssel, 1995

RUMERSKIRCH, Udo: Stand der Diskussion zur Heeresreform in: Österreichische Militärische Zeitschrift 4/1990, S 330-334; Wien, 1990

SKUHRA, Anselm: Österreichische Sicherheitspolitik in: DACHS u. a. (Hg.): Handbuch des politischen Systems Österreichs; S 658-673; Manz[2] ; Wien; 1992

SOZIALDEMOKRATISCHE PARTEI ÖSTERREICHS: Sozialdemokratie 2000, Vorschläge zur Diskussion über die Zukunft Österreichs; Eigenverlag, Wien, 1989

SOZIALDEMOKRATISCHE PARTEI ÖSTERREICHS: Sozialdemokratische Positionen - Das neue Programm der österreichischen Sozialdemokratie; Entwurf; zur Verfügung gestellt von der SPÖ, Internationales Referat, Wien

SOZIALDEMOKRATISCHE PARTEI ÖSTERREICHS: SPÖ-Positionen beschlossen vom Bundesparteivorstand am 09 12 1996 in: Europa-Perspektiven 1/97 (Sicherheit in Europa); Wien; 1997

SOZIALISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS/Zentralsekretariat: Das neue Parteiprogramm der SPÖ; Vorwärts-Verlag; Wien, 1978

VRANITZKY, Franz: Regierungserklärung vor dem Nationalrat am 30 11 1994; zur

Verfügung gestellt vom Internationalen Referat der SPÖ über eMail: international@spoe.or.at

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1 SKUHRA, in: DACHS u. a. (Hg.), 1992, S 658

2 LVAk (Hg.), 1996, S 3

3 SKUHRA, in: DACHS u. a. (Hg.), 1992, S 658

4 BÖHNER, 1976, S 26 (Anhang)

5 ebd.

6 DIETRICH, 1983, S 423

7 vgl. BVG vom 26 10 55, BGBl. 211/1955

8 SKUHRA in: DACHS u. a. (Hg.),1992, S 660

9 LVAk (Hg.), 1996, S 27

10 SPÖ, 1978, S 1

11 BÖHNER, 1976, S 152

12 JOCHUM, 1983, S 56

13 COLERUS, 1981, S 366

14 ebd.

15 BÖHNER, 1976, S 176

16 So heißt es am 13 02 1947 in einem Artikel der ,,Arbeiter-Zeitung": ,,...Deshalb brauchen wir trotz aller

Gegengründe eine Einrichtung, der wir den Schutz der Republik und ihrere Bürger Anvertrauen können - eine demokratische, republikanische Armee!.."; vgl. Dietrich, 1983, S 10

17 DIETRICH, 1983, S 31

18 ebd.

19 gem. Artikel 79, Abs. 2 ist das Bundesheer auch bestimmt ,,...a) zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit sowie der demokratischen Freiheiten der Einwohner...b) zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Innern überhaupt"

20 BÖHNER, 1976, S 221

21 Sten. Prot. des NR, VIII. GP, 5. Sitzung, 18. Juli 1956, S 148

22 DIETRICH, 1983, S 79

23 Vgl. KERNIC, 1988, S 20

24 BÖHNER, 1976, S 233

25 KERNIC, 1988, S20

26 KREUZER, 1964, S2

27 EGER, 1981, S 106

28 BÖHNER, 1976, S 316

29 ebd., S 376

30 DIETRICH, 1983, S 526

31 SPÖ, Zentralsekretariat, 1978, S15

32 KERNIC, 1988, S 34

33 MAISLINGER, 1980, S 22f

34 SKUHRA, in: DACHS, u. a. (Hg.), 1992, S 665

35 KLECATSKY-MORSCHER, (Hg.), 1985, S 178

36 SKUHRA, in: DACHS u.. a. (Hg), 1992, S 664

37 KERNIC, 1988, S 20

38 SPÖ-Bundesparteitag, 1989, S 9

39 ebd.

40 ebd.

41 II-10139 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XVII. Gesetzgebungsperiode

42 ebd.

43 RUMERSKIRCH, 1990, S 330

44 vgl. Artikel 23f B-VG, BGBl. 1013/1994

45 VRANITZKY, 1994, S 21

46 ebd., S 22

47 SPÖ-Internationales Referat, 1997, S 9

48 ebd. S 11

49 ebd S 11

50 NATO-Presse- und Informationsdienst, 1995, S 250

51 IES, 1997, S 7

52 SPÖ-Internationales Referat, 1997, S 5

53 UCAKAR in: DACHS u. a. (Hg),1992, S 226

54 EINEM in: Die Presse, vom 27 11 97, S 7

55 GUSENBAUER in: Die Presse, vom 03 11 1997, S 5

56 ebd.

57 ebd

58 SPÖ-Tentrale Programmwerkstatt, 1995, S42

59 ebd.

60 KLIMA, Ansprache des Bundeskanzlers am 09 07 97 in Madrid, Entwurf, S2

61 UCAKAR in: DACHS u. a. (Hg),1992, S 226

Excerpt out of 23 pages

Details

Title
Die Sozialdemokratische Partei Österreichs und ihre Haltung zur Landesverteidigung seit der Ersten Republik
Course
Seminar aus österreichischer Regimelehre und Politik: Politische Parteien 408020
Author
Year
1998
Pages
23
Catalog Number
V94970
ISBN (eBook)
9783638076500
File size
517 KB
Language
German
Notes
Zum Begriff der &quot,Sicherheitspolitik&quot,, &quot,Wehrpolitik&quot,, &quot,Landesverteidigung&quot,, Rahmenbedingungen österreichischer Sicherheitspolitik, Nationale Determinanten, Der Staatsvertrag von Wien und die immerwährende Neutralität, Sicherheitspolitisches Umfeld 1945-1997, Der Kurs der SPÖ in wehr- und sicherheitspolitischen Fragen, Die Zeitvor und während der Ersten Republik, Die Anfangszeit der zweiten Republik (1945-1955), Die Zeit der Koalition (1956-1966), Die Zeit der Opposition (1967-1970), Die Zeit der Alleinregierung (1970-1983), Die Zeit der Koalitionen (1983-dato)
Keywords
Sozialdemokratische, Partei, Haltung, Landesverteidigung, Ersten, Republik, Seminar, Regimelehre, Politik, Politische, Parteien
Quote paper
Rainer Frank (Author), 1998, Die Sozialdemokratische Partei Österreichs und ihre Haltung zur Landesverteidigung seit der Ersten Republik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94970

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