Die Ausbildung der städtebaulichen Reform-Strategie im "Verein für öffentliche Gesundheitspflege" 1874-1900


Seminar Paper, 1993

11 Pages


Excerpt


Chronik des Vereins

1867 regten auf der "Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte" in Frankfurt a. M. Georg Varrentrapp und Gustav Spieß die Gründung einer speziellen Sektion für die öffentliche Gesundheitspflege an. " Ihre Aufgabe (der Mediziner ??) eben so gut ist, die äußeren Ursachen der Krankheiten zu ergründen und diese selbst zu verhüten, als ihr Wesen zu erkennen und zu heilen."1 Um die praktischen Seiten der öffentlichen Gesundheitspflege auszuleuchten, sollte die Versammlung, der bisher nur Ärzte, Chemiker und Meteorologen angehörten, nun um Ingenieure und Verwaltungsfachleute erweitert werden. Beim darauffolgenden Treffen im Jahr 1868 wird die Resolution zur Gründung dieser Sektion im zweiten Anlauf verabschiedet. Schon bald nach den ersten Sitzungen der neuen Abteilung wurde aber klar, daß eine Gruppe um Varrentropp, Wiebe und Hobrecht die Sektion vorrangig als Forum zur Propagierung der Mischkanalisation im aktuellen Streit um die Einführung moderner Kanalisationstechnik nutzten wollten.2

Die Arbeit dieser Sektion erregte in den Folgejahren zunehmend den Unmut der übrigen Versammlungsteilnehmer. Viele Wissenschaftler standen dem neuen politisch-agitatorischen Stil der Sektion ablehnend gegenüber und hielten er für bedenklich wie in der Sektion üblich über wissenschaftliche Fragen abzustimmen.

1869 richtet die Sektion eine Petition an den Reichstag des Norddeutschen Bundes mit der Forderung ein Gesetz über die Aufbewahrung und Fortschaffung menschlicher Exkremente zu erlassen, doch dem Reichstag erschien ein solches Gesetz zu früh.?? Im gleiche Jahr gründet sich außerhalb der Versammlung der Naturforscher und Ärzte auf regionaler Ebene der "Niederheinische Verein für öffentliche Gesundheitspflege", dem bald andere in Magdeburg, Berlin, Nürnberg, Bremen, Braunschweig und Breslau folgen sollten. Unter der Herausgabe von Georg Varrentrapp erschien von nun an bis 1914 die "Deutsche Vierteljahresschrift für Öffentliche Gesundheitspflege". Die Zeitschrift informierte und diskutierte alle Fragen der Hygiene, die Ärzte und Ingenieure gleichermaßen betrafen. 1873 initierten James Hobrecht, Max von Pettenkofer, Georg Varrentrapp und viele namhafte Bürger- und Oberbürgermeister3 die Gründung des "Vereins für öffentliche Gesundheitspflege". Die Gründung des Vereins wurde notwendig, da innerhalb der Sektion für öffentliche Gesundheitspflege bei der Naturforscherversammlung Hygienefragen nur unter pathologischen und physiologischen Aspekten diskutiert wurden und die praktischen Fragen der Technik und Verwaltung nicht genügend berücksichtigt wurden. Der neue Verein sollte nun Ärzte, Techniker und Verwaltungsexperten zur praktischen Arbeit zusammenfassen. Der Verein zählte bei seiner Gründung 230 Mitglieder, deren Zahl im Laufe der achtziger Jahre auf etwa 1000 anstieg.

Gerade in den Anfangsjahren gebiert? sich der Verein als eine Art Lobby der Mischkanalisationsbefürworter. Durch ausführlichste Informationen über die technischen Bedingungen bei der Kanalisation sollte die Umsetzung der Mischlösung vorangetrieben werden. Das konkrete politische und soziale Umfeld, in dem die neue Kanalisationstechnik durchgesetzt werden sollte, wurde mitgedacht, um die Kanalisationsfrage im kommunalpolitischen Handlungsfeld entscheidbar zu machen. Durch die Aktivitäten des Vereins wurde in vielen Städten erst ein Diskussion über Stadtreinigung in Gang gesetzt. Bald schon erweiterte sich der Diskurs darüber hinaus auch auf andere Bereiche der Hygiene. Der Verein zur öffentlichen Gesundheitspflege wurde zu einem Zusammenschluß von Fachhygienikern wie Ärzten und Naturwisenschaftlern, führenden Persönlichkeiten der staatlichen und lokalen Verwaltung und nach und nach gesellten sich auch die Spitzenmänner der Städtebaureform dazu.

Themenkomplexe

-Amtliche Statistik und Gesundheitsverwaltung

Die Statistik bildet den Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Erkenntnis, die durch konkrete behördliche Maßnahmen in die Praxis umgesetzt werden kann. Mit eigens dafür entwickelten Fragebögen4 wurde versucht den Zustand der Individuen und der Gesellschaft zu erfassen. Das aus den statistischen Werten konstruierte Gesellschaftsgefüge erleichtert die gezielte Planung unterschiedlichster Kontrollstrategien und Ordnungsmaßnahmen. Innerhalb des Vereins werden Modelle für den Aufbau von Gesundheitsbehörden und die Erstellung von Bauordnungen entwickelt.

-Herstellung von Bildungs- und Reproduktionsbedingungen der Arbeits- und Wehrkraft des Volkes in Schule, Fabrik, Wohnung und Kaserne

In diesem Bereich leistete der Verein wenig Eigenständiges, diente aber dazu, die ausländischen Fortschritte durch Berichte über Ausstellungen und Kongresse in Deutschland bekannt zu machen. Im Verein selbst versuchte man durch Beobachtung und statistische Untersuchung der Lebensbedingungen das jeweilige "Naturbedürfniß" an Nahrung, Licht, Luft und Raum in allen Lebenslagen zu ermitteln, um die so gewonnenen Quantitäten zu Normen zu erheben. Es wurden Maße für die Größe von Schulbänken ermittelt, die Einteilung der Arbeitszeit innerhalb der Woche und ihre Verteilung auf die Familienmitglieder untersucht. Kleinste bauliche Bedingungen für sanitäre Anlagen wurden ebenso fixiert, wie die Standortfrage von Friedhöfen, Fabriken und Schlachthöfen im Bezug auf Geruchs- und Lärmbelästigungen erörtert wurde. Ein großes Augenmerk richtete der Verein der Volksernährung, wobei es hier nicht mehr um das Problem einer quantitativ ausreichenden Versorgung ging, sondern eine qualitative Untersuchung und Normierung der zunehmend in Massen produzierten und vermarkteten Lebensmittel im Vordergrund stand. Daraus sollten gesetzliche Bestimmungen abgeleitet werden, die zu starke Verfälschungen der Lebensmittel5 und Vergiftungen durch Konservierungs- und Schadstoffe verhindern.

-Kontrolle, Disziplinierung und Absonderung der Leistungsunfähigen und -unwilligen

Angeregt wurde eine Reform der Gesetzgebung und ein Ausbau jener Orte und Institutionen, die die Aufgabe hatten, schädliche soziale Elemente von der gesunden Öffentlichkeit fernzuhalten. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern erkannte man einen Nachholbedarf und wünschte sich ein stärkeres Engagement des Staates in der Armenfürsorge, eine Verschärfung der polizeilichen Kontrollen über Prostitution und andere "anomale" Erwerbstätigkeiten und Verbesserungen im Gefängniswesen. Für Gefängnisse wie auch für Asyle, Bordelle und Irrenanstalten wurden gesundheitliche Standards entwickelt und daraus Vorschläge für die Architektur der Gebäude und ihren Standort innerhalb der Stadt abgeleitet. In dieser Frage präferrierte der Verein eine strategisch weiträumige Streuung dieser sogenannten Problembereiche über die ganze Stadt.

-Gesundung der Stadt durch Infrastrukturmaßnahmen und durch eine Neuordnung der sozialen Verhältnisse und städtischen Funktionen

Wesentliche Grundlage bildet die contagonistische Theorie über die Entstehung und Verbreitung epidemischer Krankheiten. Demnach wird Krankheit als Fäulnisprozeß begriffen und eine Ansteckung erfolgt direkt durch den Kontakt mit einer kranken Person, mit menschlichen Ausscheidungen oder mit den letztlich unerklärbaren Miasmen.6 Diese Miasmen sind als eine Art Fäulnisgestank zu verstehen, der aus dem Boden aufsteigt und die Krankheitskeime in die Häuser trägt. Um die Entstehung von Krankheiten zu verhindern, sollte im privaten Bereich die individuelle Hygiene durch Anleitung zur richtigen Körperreinigung verstärkt werden. Beim Ausbruch einer Erkrankung gilt es ansteckungsverdächtige Personen zu kontrollieren und gegebenenfalls zu isolieren. Eine stärkere Durchlüftung der Wohnungen und der gesamten Stadt schützt vor der schädlichen Wirkung der Miasmen und die damit auch erhöhte Sauerstoffzufuhr stärkt den Körper. Aus dem Sauerstoff entsteht zudem unter Sonneneinstrahlung das gesundheitlich wichtige Ozon, dem keimtötende Eigenschaften zu gesprochen wurden und das die schädliche Feuchtigkeit in den Häusern reduziert.

Immer wird ein Zusammenhang zwischen individueller Gesundheit bzw. Krankheit und der komplexen städtischen Umwelt konstruiert. Die materiellen Elemente der Stadt, wie Boden, Luft, Raum und Wasser werden zu den Hauptträgern der Krankheitserreger erklärt. Durch städtebaulichen und ingenieurswissenschaftlichen Um- und Ausbau der Stadt kann die Volksgesundheit gehoben werden. Dem kollektiven Bedürfnis nach Luft, Licht und Sauberkeit sollen neue städtische Infrastrukturen entgegenkommen. Durch Abfallbeseitigung und Kanalisation, mit der richtigen Wasserver- und entsorgung, dem Ausbau der Straßen und einer gezielten Durchlüftung und Besonnung von Wohnung und Stadt ..?

STÄDTEBAU

Mietskaserne

Im Verein für öffentliche Gesundheitspflege wurde vor allem in den Anfangsjahren unter Themen wie "Einfluß der verschiedenen Wohnungen auf die Gesundheit ihrer Bewohner, soweit er sich statistisch nachweisen läßt" versucht verschiedene Wohnungstypen zu kategorisieren und zu bewerten. Dabei wurden zunächst die einzelnen Wohnungen in ihrer stadträumlich Umgebung verortet. Als Kriterien dienen zum Beispiel die Dichte der Bebauung, Höhenlage oder das Verhältnis des Hauses zur Straße und sein Hof. Anschließend wird die Qualität der einzelnen Wohnungen anhand von Indikatoren wie Ventilation, Licht, Raumgröße, Feuchtigkeit und Geruch eingeschätzt. Die so eingegrenzten Wohnungstypen wurden dann in Beziehung zur Häufigkeit epidemischer Krankheiten und Sterblichkeit gesetzt. Als am für die Gesundheit schädlichsten stellten sich dabei die feuchten, dunklen Kellerwohnungen und die überfüllten, engen höheren Etagen heraus. Im Ganzen betrachtet zeigt sich die Mietskaserne7 als der neue "Hauptfeind der Gesundheit".

Es wird der Ruf nach Weiträumigkeit und einer flachen Bauweise laut. Nur Weiträumigkeit garantiert Licht und Luft. "Um den Gebäuden und einzelnen Wohnungen genügend Licht und Luft zuzuführen, ist für eine entsprechende Breite der Straßen, mäßige Höhe der Gebäude und richtiges Bebauungsverhältnis des Einzelgrundstücks Vorkehrung zu treffen."8 Im Einzelnen formulierten sich daraus folgende Anforderungen an den Städtebau, die vor allem bei der Planung von Neubaugebieten einzuhalten seien. Diese sollten ausschließlich in offener bzw. halboffener Bauweise angelegt werden, wobei etwa ein Drittel des Baugrundstücks freizuhalten sei. Die Gebäudehöhe sollte der "mäßigen" Straßenbreite entsprechen, aber keinesfalls vier Stockwerke überschreiten. Die einzelnen Baublöcke waren möglichst klein zu halten, um Hintergebäude überflüssig zu machen. Zudem sollten vor jedem Haus Vorgärten angelegt werden. Falls sich Kellerwohnungen nicht zu vermeiden seien, sollten doch Bedingungen geschaffen werden, die für eine ausreichende Belüftung und Sonnenbelichtung sorgen. Die Wohnungen sollten mit allen sanitären Einrichtungen in sich abgeschlossen sein. Untervermietung und insbesondere das Einquartieren von Schlafgängern sollte untersagt werden, um damit einen Weg der Krankheitsübertragung auszuschließen und nebenbei ganz allgemein "Sitte und Moral zu heben".9

Eine Art Wohnungspolizei sollte die Normeneinhaltung durch die Hausbesitzer und die Wohnungsbenutzung durch die Mieter kontrollieren. Hierbei sollte der Zustand der Wohnung, der Grad der Überfüllung und die sittlichen Verhältnisse überwacht werden. Die Arbeit der Wohnungsinspektoren bestünde darin Wohnungen in schlechtem Zustand zu registrieren, mit den Hausbesitzern zu verhandeln und wenn nötig, Verbesserungen zu erzwingen oder gar Räumungen vorzunehmen.

Exaktheit und Flexibilität

Innerhalb des Vereins werden lediglich relative Größen formuliert, die die Balance zwischen hygienischen Ansprüchen und pivatökonomischen Zwängen anstreben. (Häufig wurden innerhalb des Vereins auch gegensätzliche Empfehlungen vertreten. Breite Straßen-Große Blöcke/Enge Straßen-kleine Blöcke). Gegen Ende des Jahrhunderts verloren die hygienischen Norm zusehends an Exaktheit und gewinnen an Willkürlichkeit und "Flexibilität". Die Kleinwohnungsfrage, der zunehmende Zwang zur billigen Neubaulösung und die dringliche Vermehrung des Bestandes an billigen Wohnungen setzten die Vorgaben der Hygieniker zunehmend unter Druck. Nach und nach stellt sich der sozio-ökonomische Standpunkt beim Wohnungsbau dem hygienisch-wissenschaftlichen Anspruch entgegen. Während anfänglich ein Drittel der Gesamtfläche in neuen Wohnbezirken von der Bebauung frei bleiben sollte, war später nur noch die Rede von einem "angemessenen Theil des gesamten Flächeninhalts"10. Kellerräume sollten weiter als Wohnraum genutzt werden, die Beschränkung der Geschoße stieg von vier auf fünf und bis zu sechs an und die empfohlene Mindestraumhöhe sank von 3 auf 2,5 Meter. Selbst das "Naturbedürfnis" an Raum wurde bei Erwachsenen von 12 auf 10 Kubikmeter abgesenkt, wobei Schlafgängern grundsätzlich ein niedrigeres "Naturbedürfnis" nach Licht und Luft zugebilligt wird.

Bebauungsplan

"Insbesondere ist bei Abmessung der Straßenbreite und Baublöcke dahin zu streben, daß für die verschiedenen Baubedürfnisse geeignete Straßen und Bauplätze gewonnen, Hinterwohngebäude nach Möglichkeit vermieden, kleinere Wohnhäuser begünstigt werden. Es sind vorzusehen: Breite Vehrkehrsstraßen, mittlere und schmale Wohnstraßen; große Blöcke für Fabrikbauten und Landhäuser, mittlere für bürgerliche Wohn- und Geschäftshäuser, kleine für die Wohnungen der minder begüterten Volksklassen. Bestehende Stadtbaupläne sind zu prüfen und im vorstehenden Sinne, soweit möglich, zu verbessern."11 Ende der 70er Jahre tauchen erste konkrete Forderungen nach städtebaulichen Normen auf. (Vergleich Abb. ?)12 Es sollte ein gemischtes Wegesystem mit ca. (ABB.!) 30, 20 und 12 Meter breiten Straßen angelegt werden. Höhere Häuser durften nur an den 30 oder 20 Meter breiten Vekehrstraßen plaziert werden, an den engeren Straßen entsteht ein inneres Gebiet für gesundes und bequemes Wohnen mit niedrigen Häusern.

Bebauungsplan und Bauordnung wurden als zentrales Instrument zur Durchsetzung baulich- sanitärer Interessen angesehen. Mit einer Bauordnung versuchte man durch eine Normierung der Minimalwohnung Kontrolle über die Mietskasernen zu bekommen. Innerhalb eines Bebauungsplans sollten das Straßensystem, die Gebäudehöhe und der Standort die stadträumlichen Bezüge der Wohnbauten regeln. Der Verein forderte einen zweistufigen? Bebauungsplan mit öffentlichen Enteignungsbefugnissen auf lokaler Ebene. Nur durch Zonenenteignung, Um- und Zusammenlegung der entsprechenden Flächen könne eine zügige Stadterweiterung betrieben werden und die längst fällige Sanierung innerstädtischer Gebiete in Angriff genommen werden. Die Gemeinden werden aufgefordert "sich in den Besitz der zur Durchführung des Bebauungsplanes nöthigen Grundstücke einschließlich der zur Bebauung ungeeigneten Grundstücksreste im Wege des Enteignungsverfahrens zu setzen, (...) ungesunde Stadtgegenden durch ausgedehnte Enteignungsbefugnisse ohne unverhältnismäßige Kosten umzugestalten. Endlich ist das Recht der Enteignung nicht bebauungsfähiger Grundstückstheile, sowie das Recht , behufs der Ermöglichung einer zweckmäßigen Bebauung die Umlegung von Grundstücken im Zwangsverfahren herbeizuführen, den Interessenten gesetzlich zu verleihen."13

Die Verbesserung der Gesundheitsverhältnisse in der Stadt sollte demnach sehr weitreichende Eingriffe in das Privateigentum rechtfertigen. Die ließ sich jedoch aufgrund der politischen Situation und den bestehenden Interessen im Reich und in den Einzelstaaten nicht realisieren.14

Innerhalb des Vereins verzichtete man darauf eine öffentliche Hygienisierung auch der alten Stadtviertel zu fordern. Die Gründe für diese pragmatische Desinteresse lagen auf der einen Seite in den bereits erwähnten fehlenden Gesetzesgrundlagen für Eingriffe in die Eigentumsstruktur der Gebiete und auf der anderen Seite in den komplizierten Verhältnissen in den Innenstadtvierteln. Die Situation hier war geprägt von unzähligen Grundeigentümerrechten, hohen Bodenpreisen und historisch gewachsenen, verdichteten Bauformen. So lenkte sich der Blick der Reformer auf die zum Teil noch unbebauten Gebiete der Außenstadt, wo sie mit diesen Problemen nur in einer weitaus milderen Form konfrontiert wurden.

Die Stadt wird nach hygienischen Vorgaben in bestimmte Bezirke aufgeteilt, in denen eine bestimmte Bauweise vorgeschrieben wird oder auch der Bau von Industrieanlagen verboten ist. Sämtliche Gewerbe sollten auf mögliche Belästigungen und hygienische Gefahren hin geprüft werden, um ihren Standort innerhalb der Stadt entsprechend günstig festzulegen. Die Stadt in vier Zonen gegliedert: "a) nach den vor Industrie und sozialer Mischung geschützten bürgerlichstädtischen Vierteln und vorstädtischen Villenvierteln; b) nach mittelständischen, ausgedehnten Kleinwohnungs- bzw. Kleinhausbezirken in weiträumiger Umgebung auf dem billigeren Terrain der unmittelbaren Außenstadt; c) nach städtischen Arbeitervierteln mit Kleinwohnungen innerhalb der konzeptionell "reformierten" Mietskaserne in den fest abgegrenzten, mit Industrie "gemischten" Stadtbezirken, bzw. d) nach ländlichen Arbeitervierteln in weiträumiger Umgebung und Bauweise auf dem ferngelegenen Umland, soweit es das städtische Wachstum in etwa "30 Jahren" erreicht hat."15

Vorgeschlagen wird eine Zonung als großräumliches Organisationsmodell für die Großstadt auf der Basis von sozialer Segregation, Funktionentrennung und der Absicherung eines ideellen Bodenwertspiegels.

Bodenwertspiegel

Das Konzept der Arbeit am Bodenwertspiegel geht aus von der Annahme, daß der entscheidende Faktor für die Herstellung einer Wohnung der Grunderwerb sei. Bei einer idealen oder "natürlichen" Verteilung des Bodenwertes einer Gemeinde ist der Preis im Inneren am höchsten und nimmt nach außen gleichmäßig ab (vgl. Abb. ). An den Rändern der Stadt steht demnach genügend preiswerte Fläche zum Bauen billiger Wohnungen zur Verfügung. Die reale Bodenwertverteilung entstanden durch eine einheitliche Bauordnung und

Immobilienspekulation kennzeichnet sich aber durch ein durchgängig hohes Preisniveau im gesamten Stadtraum (vgl. Abb. ). Dies zwingt zu einer größtmöglichen Ausnutzung der Areale, auf denen nun dicht gedrängt hohe Mieten bezahlt werden müssen. Durch das Erlassen einer Zonenbauordung soll der reale Bodenwertspiegel dem als ideal Betrachteten angeglichen werden (vgl. Abb. ). Diese abgestufte Bauordnung, bei der die Geschoße niedrig begrenzt und viele Freiflächen vorgeschrieben werden, verhindert von vornherein eine hohe Rentabilität und Ausnutzung des Geländes. In Folge dessen sinkt der Bodenwert und billiges Bauen wird wieder möglich.

Diese Idee der Zonenbauordnung gekoppelt an die Bodenwertbildung wurde jedoch früh wieder verworfen, da die reale Entwicklung mit diesem Instrumentarium nicht zu beeinflussen war16. Die Städte wuchsen nämlich nicht ringförmig um einen Stadtkern, sondern breiteten sich eher entlang von Hauptverkehrsstraßen und Bahnlinien aus. Der Bodenwert verteilte sich zudem kleinteiliger und lag z.B. an größeren Straßen, in Nebenzentren und auf Eckgrundstücken höher als im übrigen Quartier. Dort wo abgestufte Bauordnungen die offene oder halboffene Bauweise vorschrieben, kam entweder die Baulust zum Erliegen oder führte zu einer Bebauung durch wohlhabende Schichten, während die weniger Bemittelten weiterhin dicht gedrängt in den alten Stadtteilen wohnten. Diese Konzept der Planung nach Zonen mit einheitlichem Bodenwert wurde in der Folgezeit durch Staffelbauordnungen abgelöst, in der kleinräumlichere Gelände und einzelne Stadtelemente individueller behandelt werden konnten.

Literatur und Quellen

Bullock, N. und Read, J.: The Movement for Housing Reform in Germany and France 1840- 1914. Cambridge 1985.

Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege. Braunschweig 1869-1915 (Bd. 1-47).

Gräfin zu Castell Rüdenhausen, A. und Reulecke J. (Hrsg.): Stadt und Gesundheit. Stuttgart 1990.

Reulecke, J. (Hrsg.): Stadtgeschichte als Zivilisationsgeschichte. Essen 1990.

Rodenstein, M.: Mehr Licht, mehr Luft. Gesundheitskonzepte im Städtebau seit 1750. Frankfurt a. M. 1988.

Rodriguez-Lores, J. und Fehl, G. (Hrsg.): Städtebaureform 1865-1900. Von Licht, Luft und Ordnung in der Stadt der Gründerzeit. Hamburg 1985

Simson, J. v.: Kanalisation und Stadthygiene im 19. Jahrhundert. Düsseldorf 1983. Stübben, J.: Der Städtebau. Darmstadt 1890.

Vogler, P. und Kühn, E.: Medizin und Städtebau. Ein Handbuch für gesundheitlichen Städtebau. München 1957.

[...]


1 Zitat aus dem Umlaufschreiben ??

2 Anmerkung zum Kanalisationstreit Liernsches? Städtereinigungssystem, Tonnensystem

3 z.B. Berlin, Köln, München, Frankfurt a. M., Danzig

4 Befragungsgegenstände: Sterblichkeit, epidemische Erkrankungen, Wohzustände usw.

5 Es wurde z.B. eine jahrelange Debatte über die Zusammensetzung des neu entwickelten Kunstweins geführt

6 Pettenkofer, Mitglied

7 Mietskaserne enstand im Zusammenwirken einer ungehinderter Spekulation, der Berliner Bauordnung von 1853 (Feuerbestimmungen 5,60x5,60m Höfe) und dem Berliner Straßenplan von 1860 (sog. "Hobrechtplan)

8 Rodenstein, S. 128. DVÖGP 1867, S. 107f., 133.

9 Vielleicht Quelle

10 QUELLE

11 Rodenstein, S. 143. DVÖGP 1896, S.13

12 Abbildungsnachweis

13 Rod.-Lor., S. 47. DVföG 1886,39

14 1892 wurde im preußischen Abgeordnetenhaus ein entsprechender Antrag "betreffend die Erleichterung von Stadterweiterungen" gestellt, jedoch abgelehnt. 1902 wurden im Frankfurt a. M. diesbezügliche Gesetze erlassen, jedoch ohne Zonenenteignung

15 Rod.Lor, S. 53. DVföG 1896, 13-73.

16 Zonenbauordnungen: 1891 Frankfurt a. M., 1892 Berlin, 1893 Hamburg, ab 1995 bereits in 50 Städten mehr oder weniger im Gebrauch. 1. Zonenbauordnung 1895 München.? (Rod.- Lor. s. 52)

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Details

Title
Die Ausbildung der städtebaulichen Reform-Strategie im "Verein für öffentliche Gesundheitspflege" 1874-1900
College
Technical University of Berlin
Course
HS "Stadt und Gesundheit"
Author
Year
1993
Pages
11
Catalog Number
V95039
ISBN (eBook)
9783638077194
File size
404 KB
Language
German
Notes
unkorrigierte Fassung
Keywords
Ausbildung, Reform-Strategie, Verein, Gesundheitspflege, Stadt, Gesundheit, Prof, Wolfgang, Hofmann, Berlin
Quote paper
J. Mitterer (Author), 1993, Die Ausbildung der städtebaulichen Reform-Strategie im "Verein für öffentliche Gesundheitspflege" 1874-1900, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95039

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