Die Schreibmotivation Einhards beim Verfassen der Vita Karoli. Eine Untersuchung von Theorien in der Literatur


Hausarbeit, 2020

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


„Die Schreibmotivation Einhards beim Verfassen der Vita Karoli"

Einleitung

Karl der Große ist der mit Abstand berühmteste Herrscher des frühen Mittelalters. Viele Autoren haben sein Leben und Wirken beschrieben. Die bekannteste Biographie stammt von Einhard. Seine Vita Karoli ist eine Schlüsselquelle der Karolingerzeit1. Für einige ist sie sogar ein Stück Weltliteratur2. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass die Vita Karoli3 - wie von Matthias Tischler sorgfältig recherchiert - in insgesamt 123 Handschriften überliefert ist4. Sie ist damit eines der populärsten mittelalterlichen nichtreligiösen Werke5.

Die Sekundärliteratur zur Vita Karoli ist reichhaltig. Darunter gibt es Untersuchungen über die Entstehungszeit der Vita Karoli aber auch Untersuchungen über die Motive, die Einhard zum Verfassen der Vita Karoli veranlasst haben. Oft sind dabei die Überlegungen zu den Absichten Einhards bei der Schaffung der Vita Karoli eng verwoben mit den Überlegungen zur Datierung der Vita.

Nachfolgend sollen - unabhängig von der Datierung des Werks - die Schreibmotivation, die Absichten und die Beweggründe Einhards bei der Verfassung der Vita Karoli untersucht werden. Hierzu werde ich die Meinung der in diesem Zusammenhang wichtigsten Autoren6 darstellen. Untersucht werden die Ausführungen von Leopold von Ranke, Siegmund Hellmann, Martin Lintzel, Helmuth Beumann, Karl Hauck, Heinz Wolter, Matthew Innes und Rosamond McKitterick, David Ganz, Matthias Tischler, Janet L. Nelson, Gereon Becht-Jördens, und Steffen Patzold.

Man ist versucht auch selbst eine Idee zu entwickeln, was Einhard zur Abfassung der Vita Karoli motiviert haben mag. Allerdings ist angesichts der Vielzahl der Interpretationsmöglichkeiten und der in der Regel gewichtigen Argumente für die jeweilige Meinung für den Proseminaristen Zurückhaltung geboten. Leben und Wirken von Einhard7

Einhard wurde um 770 als Sohn einer adeligen Familie im Maingau geboren. Er war kleinwüchsig. Sein Wesen soll lebhaft und liebenswürdig gewesen sein. Er war sowohl technisch als auch künstlerisch begabt8.

Er wurde im Kloster Fulda, dem Bildungszentrum Ostfrankens, erzogen und kam - auf Empfehlung des dortigen Abtes Baugulf - im Jahre 791 (evtl. aber auch erst 792 oder 794) an die Palastschule am Hof Karls des Großen in Aachen. Alkuin, der Leiter der Palastschule, übertrug Einhard schon bald die Aufsicht über die mathematischen und literarischen Studien Karls des Großen. Dadurch entwickelte sich eine Freundschaft zwischen Einhard und Karl sowie dessen Familie. Karl machte Einhard auch zum Aufseher über die königlichen Pfalzbauten und die kunstgewerblichen Werkstätten. 806 reiste Einhard im Auftrage Karls nach Rom, um vom Papst dessen Zustimmung zur Reichsaufteilung zu erbitten. Das zeigt, dass Einhard auch mit politischen Aufgaben betraut wurde. Im Jahre 813 setzte sich Einhard dafür ein, dass Karls Sohn Ludwig zum Mitkaiser gekrönt wurde.

Nach dem Tod Karls bleibt Einhard als geschätzter und angesehener Berater am Hofe Ludwig des Frommen. Für seine Dienste erhält er von Ludwig diverse Schenkungen, u.a. Güter in Michelstadt und im heimatlichen Maingau9. Er ist damit einer der wenigen Männer, die unter Karl dem Großen von Einfluss waren und dann auch am Hofe Ludwig des Frommen ihre Position wahren konnten10. Im April/Mai 830 zieht sich Einhard aus dem aktiven politischen Geschehen zurück und verbringt seine Tage in dem von ihm gegründeten Kloster Seligenstadt. Er stirbt 840.

Einhards Vita Karoli

Einhard war aufgrund seiner Tätigkeit für Karl den Großen literarisch gebildet und kannte deshalb auch die Literatur der Spätantike. Wohl bereits in Fulda stieß Einhard auf die Kaiserbiographien Suetons11. Diese spätantiken Biographien lieferten Einhard das methodische Rüstzeug für die Schaffung seiner säkularen Biographie Karls des Großen - die Vita Karoli12. Die Vita Karoli besteht aus 33 Kapiteln, beginnt mit einem Vorwort Einhards (Praefatio) und endet mit dem wortwörtlich wieder gegebenen Testament Karls des Großen13. Das Jahr der Entstehung der Vita Karoli ist heftig umstritten und liegt wohl irgendwo zwischen 817 und 830/833. Mit der Vita Karoli schuf Einhard die Biographie einer weltlichen Persönlichkeit , was für das Mittelalter, das bis dato nur die Hagiographie kannte, einer Neuentdeckung gleichkam14. Er hat damit eine Gattung antiker Geschichtsschreibung zu neuem Leben erweckt und der Zukunft als Norm vermittelt15.

Daneben war Einhard vermutlich auch für die Abfassung der Reichsannalen verantwortlich und hat eine Reihe von weiteren literarischen Werken geschaffen, wie z. B. die „Translatio sanctorum Marcellini et Petri“16.

Die Schreibmotivation Einhards beim Verfassen der Vita Karoli

Die vorstehend genannten Autoren kommen bei der Untersuchung von Einhards Schreibmotivation und Absichten zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Sei es aufgrund der Analyse der von Einhard selbst stammenden Erklärungen in seiner Praefatio zur Vita Karoli, sei es aufgrund der Analyse des Textes der Vita Karoli oder dritter Texte oder sei es durch Analyse der Umstände der Zeit, in der die Vita Karoli entstanden ist. Das sich ergebende Bild ist äußerst vielfältig und soll nachstehend in chronologischer Reihenfolge Autor für Autor beschrieben werden. Im Anschluss daran werde ich zeigen, wie sich die wissenschaftlichen Meinungen zur Schreibmotivation Einhards über die Zeit entwickelt und verändert haben. Am Ende des Textes zeigt eine Übersicht die verschiedenen Meinungen.

Leopold von Ranke

Im Jahre 1854 beschäftigt sich Leopold von Ranke mit der historischen Literatur des 9. Jahrhunderts und kam dabei zu dem Schluss, dass Einhard die Vita Karoli aus persönlicher Dankbarkeit gegenüber Karl dem Großen schrieb und sich damit selbst unvergesslich machte17. Einhard ging es nicht um die strenge Exaktheit der berichteten Tatsachen sondern um eine „angenehm zusammenfassende Darstellung"18.

Siegmund Hellmann

Einhards Beweggründe sind nach Hellmann (1932) deutlich in der Praefatio zur Vita Karoli festgehalten: Einhard war der Überzeugung, dass ihm als Augenzeuge und Zeitgenossen von Karl dem Großen die Aufgabe zufiel, das Andenken Karls zu bewahren und Unberufenen bei der Erinnerung an Karl den Großen zuvor zu kommen19. Ob Einhard außerdem mit der Vita Karoli dem Nachfolger Ludwig „ein mahnendes und warnendes Bild vorhalten" wollte, lässt Hellmann offen20.

Einhard kannte die Kaiserbiographien Suetons und nahm sie als Vorbild. Sueton hat aber bei Einhard nicht die Idee einer Biographie Karls des Großen hervorgerufen. Der Gedanke, Karl ein Denkmal zu setzen, war in ihm schon lebendig. „Nur das wie stand noch nicht fest"21.

In der Vita Karoli findet sich kein Wort über die kirchlichen Aktivitäten Karls. Hellmann mutmaßt deshalb, dass „Einhard vielleicht zu den stillen Kritikern von Karls Kirchensystem gehörte"22.

Martin Lintzel

Der viel zitierte Autor hat im Jahre 1933 eine genaue Datierung des Entstehens der Vita Karoli versucht. In diesem Zusammenhang kommt er zu dem Schluss, dass in der Vita Karoli eine wortlose aber doch unverkennbare Kritik an Ludwig dem Frommen zu sehen ist23. Lintzel deutet hierzu auf diverse Textstellen der Vita Karoli, in denen das Verhalten Karls des Großen als vorbildlich geschildert wird, ein Verhalten, das gleichzeitig im Gegensatz zum Verhalten Ludwigs des Frommen steht. Die Aussage, dass Karls Taten in der „modernum tempus" - also in der Zeit Ludwigs - kaum nachzuahmen sind, spricht in dieselbe Richtung. Einhard will - so Lintzel - mit seiner Vita Karoli Ludwig dem Frommen den Spiegel der Vergangenheit vorhalten. Auch wird Ludwig der Fromme nur an zwei Stellen in der Vita erwähnt und dort weder mit Lob noch mit schmückenden Beiworten bedacht24. Auffällig ist auch die Betonung der Verehrung und Dankbarkeit für Karl in der Vita Karoli, während solcherlei Ehrerbietung für Ludwig, an dessen Hof Einhard bei Abfassung der Vita Karoli lebte und arbeitete, völlig unterbleibt. Indem er Ludwig ignorierte und stattdessen die Eigenschaften Karls hervorhob, die Ludwig fehlten, übte er Kritik an Ludwig dem Frommen25.

Wenn die Kritik an Ludwig dem Frommen gleichwohl sehr moderat und indirekt ausgefallen ist, hat dies sicher auch damit zu tun, dass Einhard ein vorsichtiger und diplomatischer Berater war26. Nur so konnte er wohl auch die politischen Wirren in der Zeit Ludwig des Frommen unbeschadet überstehen.

Helmut Beumann

Der Autor zitiert 1951 als Motive für die Schaffung der Vita Karoli die Freundschaft Einhards zu Karl und dessen Kindern und den Dank den Einhard Karl schuldet. Dieses „doppelte“ Verhältnis zu Karl dem Großen ist gleichsam der moralische Auftrag für Einhard zur Schaffung der Vita Karoli. Hinzu kommt, dass Einhard als Augenzeuge bester Sachkenner war und ihn auch deshalb die Pflicht traf, Leben und Taten Karls des Großen für die Nachwelt zu erhalten. Auch wenn Einhards literarische Fähigkeiten für eine angemessene Darstellung Karls des Großen nach eigener Aussage nicht ausreichen, will Einhard dieses Risiko auf sich nehmen. Nur so kann ein Vergessen verhindert27 und eine Schilderung durch Unberufene28 vermieden werden.

Daneben sieht Beumann auch den Versuch Einhards, mit der Vita Karoli die Profanliteratur (genauer: die Profanbiographie) gegen die hagiographische Literatur zu verteidigen und gegen die kirchliche Gesinnung seiner Zeit anzukämpfen. Dies war in einer Zeit, in der unter Ludwig dem Frommen eine strenge kirchliche Richtung bei Hofe Einzug hielt, sicher keine Selbstverständlichkeit29.

Karl Hauck

Hauck hat in einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1974 die bisherige Diskussion des Einhard-Bogens zusammengefasst. Der Einhards-Bogen ist ein bauliches Monument der Karolingerzeit. Einhard ließ den Bogen als Sockel für ein Steinkreuz im Servatius-Stift in Maastricht errichten.

Im Rahmen der Diskussion über die Datierung des Einhard-Bogens kommt Hauck zu dem Schluss, dass die Vita Karoli zu den Reformschriften gehörte, die den Hof von Ludwig dem Frommen in 828/29 beschäftigten. Dabei sieht er die „Vita als Denkmal der Schlussphase von Einhards karolingischem Hofdienst"30. Das wird man wohl so verstehen müssen, dass Einhard mit der Vita Karoli noch einmal - in letzter Anstrengung - versuchte, Reformen am Hofe Ludwig des Frommen anzustoßen, bevor er sich in das Kloster Seligenstadt zurückzog.

Heinz Wolter

Heinz Wolter vertritt 1984 die Ansicht, dass Einhard mit der Vita Karoli einerseits Karl dem Großen ein Denkmal setzen wollte andererseits aber auch Kritik an Ludwigs Herrschaft üben und „dem Sohn seines bewunderten Helden (...) das Vorbild seines Vaters entgegenhalten wollte“31.

Außerdem geht Wolter der Frage nach, ob Einhard mit der Vita Karoli indirekt auch die kirchliche Gesinnung seiner Zeit angreifen bzw. sich von ihr distanzieren wollte32. Beumann hatte diese Ansicht aus der Praefatio und einem Vergleich der Vita Karoli mit der Vita Sancti Martini des Sulpicius Severus entwickelt. Wolter sieht aber weder in der Praefatio noch in dem Vergleich mit der Vita Sancti Martini Anhaltspunkte für einen solchen verdeckten Angriff33. Allerdings stellt Einhard - so Wolter - sehr wohl das fränkisch-germanische Ideal persönlicher Herrschaft bei Karl dem Großen gegen die theokratisch- institutionelle Staatsauffassung unter Ludwig dem Frommen34.

Matthew Innes/ Rosamond McKitterick

Innes und McKitterick vertreten in einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1994 die Ansicht, dass Einhard gegenüber Ludwig dem Frommen, dem er nach dem Tod Karls des Großen in Jahre 814 bis zu seinem Rückzug vom Aachener Hof 830 als Berater diente, loyal eingestellt war. Ludwig hat Einhard auch mit Gütern reich beschenkt. Innes/McKitterick vermuten, dass diese Schenkungen durchaus eine Gegenleistung für das Schreiben der Vita Karoli gewesen sein könnten35. Die Vita Karoli scheint für die Autoren damit ein Werk zu sein, mit dem das Ansehen Ludwigs des Frommen in der Öffentlichkeit gefördert werden sollte. Laut Innes/McKitterick: „it was learned imperial image making“36.

So beschreibt die Vita Karoli ausführlich die Krönung Ludwigs in Jahre 813 und stützt die Reformbemühungen in den Jahren 816/17 ebenso wie die „ordinatio imperii“ von 817. Aufschlussreich ist insoweit auch der letzte Satz der Vita Karoli, der die gewissenhafte Erfüllung des Testaments durch Ludwig den Frommen beschreibt und ihn als Nachfolger nach göttlichem Willen bezeichnet.

David Ganz

Ganz vertritt 1997 die Ansicht, dass Einhard die Vita Karoli aus Dankbarkeit und Freundschaft gegenüber Karl dem Großen und dessen Familie geschrieben hat. Er bezieht sich dabei auf den Inhalt der von Einhard geschriebenen Praefatio. Ein weiterer Grund für Einhard war, dass niemand besser in der Lage war, die Wahrheit über das Leben von Karl dem Großen zu berichten als er, der viele Jahre an der Seite Karls verbracht hatte37. Auch wenn Einhard nicht das schriftstellerische Niveau eines Cicero zu haben glaubte, wollte er lieber in einem schlechten Stil berichten, als Karls Leben und Taten in Vergessenheit geraten zu lassen38.

In einer Veröffentlichung aus dem Jahre 2005 ergänzt der Autor, dass es Einhard nicht um die Schaffung eines Fürstenspiegels ging. Dazu gibt es nicht genügend Hinweise. Es ging Einhard vielmehr darum, Karl den Großen unvergesslich zu machen39.

[...]


1 Patzold 33

2 Becht-Jördens 337; Tischler 1

3 Die Frage, ob „Vita Karoli" der originale Werk-Titel ist, soll hier nicht weiter untersucht werden

4 Tischler 20ff

5 Nelson 302

6 Französischsprachige Autoren konnte ich wegen fehlender Kenntnisse der französischen Sprache nicht umfassend berücksichtigen

7 Die korrekte historische Schreibweise des Namens (Einhard, Einhart, Einhardus,Eginhard etc) soll hier nicht weiter untersucht werden

8 Brunhölzl 318

9 Fleckenstein 1737

10 Lintzel 38

11 Brunhölzl 319

12 Wolter 295

13 Der Inhalt der Vita Karoli kann aus Platzgründen nicht weiter ausgeführt werden. Die Seminararbeit geht davon aus, dass der Leser den Inhalt der Vita Karoli kennt!

14 Ganz (2) 39; so auch Innes/ McKitterick 203/4 und Brunhölzl 319

15 Becht-Jördens 339

16 Hellmann 160/161

17 Ranke 96

18 Ranke 97

19 Hellmann 166

20 Hellmann 167

21 Hellmann 169

22 Hellmann 186

23 Lintzel 37

24 Lintzel 36

25 Wolter 310

26 Lintzel 38/39

27 Beumann 339

28 Beumann 342

29 Beumann 345

30 Hauck 31

31 Wolter 317

32 Wolter 297

33 Wolter 302

34 Wolter 317

35 Innes McKitterick 206

36 Innes McKitterick 207

37 Ganz (1) 305ff

38 Ganz (1) 308

39 Ganz (2) 49

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Schreibmotivation Einhards beim Verfassen der Vita Karoli. Eine Untersuchung von Theorien in der Literatur
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Veranstaltung
Proseminar Karolingerreich
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
21
Katalognummer
V950597
ISBN (eBook)
9783346293220
ISBN (Buch)
9783346293237
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einhard Vita Karoli Schreibmotivation Literatur Entwicklung der Literaturmeinungenng
Arbeit zitieren
Klaus Deissenberger (Autor:in), 2020, Die Schreibmotivation Einhards beim Verfassen der Vita Karoli. Eine Untersuchung von Theorien in der Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/950597

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