Parteiorganisation am Beispiel der SPD


Seminar Paper, 1999

15 Pages


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Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

GESCHICHTE DER SPD - WIRKUNGEN AUF DIE STRUKTUR ÜBERBLICK: PARTEIAUFBAU DER SPD

ORTSVEREINE

UNTERBEZIRKE / KREISE

BEZIRKE / LANDESVERBÄNDE BUNDESGREMIEN

ARBEITSGEMEINSCHAFTEN DEMOKRATIE IN DER SPD

ZWISCHEN TRADITION UND ALLTAGSGESCHÄFT - EINE SCHLUßBETRACHTUNG

BIBLIOGRAPHIE
Primärquellen
Sekundärquellen
Internetquellen

Einleitung

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) ist die älteste Partei, die derzeit eine Fraktion im deutschen Bundestag stellt. Im Jahre 1875 aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein" von Ferdinand Lassalle und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei" von August Bebel entstanden, hat die SPD eine sehr wechselhafte Geschichte hinter sich gelassen. Mit der Übernahme der Regierungsgewalt und der Parlamentsmehrheit an der Spitze einer gemeinsamen Koalition mit Bündnis 90 / die Grünen richten sich gerade an die SPD Erwartungen in bezug auf Modernität und Handlungsfähigkeit. In diesem Zusammenhang spielt die Frage eine Rolle, ob die Struktur der SPD den allgemeinen Erfordernissen unserer Zeit sowie dem Selbstverständnis der Partei ausreichend angepaßt ist.

Traditionell sieht sich die SPD vor allem als Vertretung des Arbeiterstandes, der breiten Bevölkerungsschichten. Sie fordert die wirkliche Gleichheit der Lebensverhältnisse in einem geeinten Deutschland"1 und steht zum Sozialstaat mit Leistungen für Menschen, denen es wirtschaftlich und sozial schlecht geht, mit einer weitgehenden Vollbeschäftigung und vielem mehr. Auch diese traditionelle inhaltliche Nähe an der Basis wirft die Frage auf, ob diese Bürger- und Parteibasisnähe auch von der parteiinternen Struktur unterstützt wird. Da die SPD somit ein durchaus relevantes Untersuchungsobjekt darstellt, untersucht diese Arbeit zunächst ihren Aufbau als Beispiel der Organisation einer Partei in unserer heutigen Zeit. Am Beispiel einiger anderer Parteien werden die Unterschiede zu diesen herausgearbeitet. Diese Unterschiede werden gleich an Ort und Stelle, nicht in separaten Abschnitten erwähnt.

Dieser Arbeit liegen vor allem zwei Werke als Basistexte zugrunde, namentlich eine Broschüre der SPD über Geschichte, Ziele und Organisation" sowie Das politische System der Bundesrepublik Deutschland" von Wolfgang Rudzio (siehe Literaturverzeichnis). Da viele der Informationen aus diesen beiden Quellen stammen und sich zudem vielfach vermischen, werden sie nicht mehr gesondert ausgewiesen. Informationen ohne Quellenangabe stammen also aus diesen beiden Werken. Ergänzend stammen einige, ebenfalls nicht gesondert ausgewiesene Informationen von den Internetseiten der SPD.

Geschichte der SPD - Wirkungen auf die Struktur

Nur gering ist der Einfluß der Geschichte der SPD2 auf ihre Parteiorganisation, wie sie sich heute präsentiert. Im Jahr 1875 entstand die SPD aus der Fusion zweier bis dahin bestehenden Organisationen, dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein", angeführt von Ferdinand Lassalle, und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei von August Bebel. Beide Ursprungsvereine hatten sich mit einer sozialistisch-marxistischen Grundidee gegründet. Sie vertraten den Anspruch, die Bedürfnisse der Arbeiterschaft zu vertreten, die zu jener Zeit politisch unterrepräsentiert war. Immer stärkerer Druck der etablierten politischen Kräfte führte zu diesem Zusammenschluß. Das erste Parteiprogramm, im Mai 1875 beschlossen, war von Wilhelm Liebknecht ausgearbeitet worden.

Von diesem Moment an durchlebte die SPD, bis 1890 noch Sozialistische Arbeiterpartei" geheißen, eine sehr wechselhafte Geschichte. 1878 brachte Bismarck die sog. Sozialistengesetze" in den Reichstag ein, der es verabschiedete. Diese Gesetze zogen das Verbot der SPD und der ihr nahestehenden Gewerkschaftsorganisationen nach sich. Die SPD mußte so während der gesamten Geltungsdauer des Gesetzes - bis ins Jahr 1890 hinein - im Verborgenen operieren. Bei den Wahlen im Jahr 1890 wurde sie dann erstmals stärkste Partei des Reichstages mit einem Stimmenanteil von 19,7 Prozent (1881: 6,1%). Noch immer vertrat sie die radikale Theorie, durch die internationale Solidarität der Arbeiter" den Imperialismus der Herrschenden" bekämpfen zu wollen und bekannte sich weiter zum Marxismus. Die Partei opponierte gegen die konservative Politik des Kaisers. Ein inhaltlicher Konflikt ergab sich beim Ausbruch des ersten Weltkrieges aus der Frage, wie sozialistische Ideale, Friedenswille und Vaterlandstreue vereinbar seien. Dieser Konflikt spaltete die SPD: diejenigen, die keine weiteren Kriegskredite mehr genehmigen wollten, spalteten sich ab und gründeten die USPD. Die USPD integrierte auch die Spartakusgruppe um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Nach dem Krieg übernahm zunächst die SPD in Koalition mit der USPD die Regierungsverantwortung; diese Koalition zerbrach allerdings wenige Monate später wieder. Auch zu Anfang der Weimarer Republik war die SPD mehrfach an der Regierungsbildung beteiligt.

Leistete die SPD in den früheren 30er Jahren dieses Jahrhunderts noch organisiert Widerstand, so war ihr das unter der Herrschaft Hitlers kaum mehr möglich. Die Einflußkreise der SPD arbeiteten zwar größtenteils weiter oppositionell, doch waren sie Ziel ideologischer Verfolgung. Direkt im Juni 1933 verbot Innenminister Frick die SPD. Der Vorstand der SPD arbeitete daher zunächst im Exil weiter. Nach dem zweiten Weltkrieg beteiligte sich die SPD am Aufbau eines neuen Staatssystems; den von der Sowjetunion forcierten Zusammenschluß mit der KPD lehnte sie allgemein ab. Dennoch vertrat die SPD weiterhin sozialistische Ideale. Bei den Wahlen zum ersten Reichstag unterlag sie allerdings der CDU, die sich zu marktwirtschaftlichen Idealen bekannte, diese in Deutschland einführte, sie in den nachfolgenden Jahren ausbaute und somit Fakten schaffte, die im nachhinein kaum reversibel waren. Derartig gezwungen fand sich die SPD auch damit zurecht. Auf ihrem Bad Godesberger Sonderparteitag im Jahr 1959 nennt sie zwar weiterhin den Sozialismus als Dauerziel, was ihn aber gleichzeitig als aktuelle Forderung praktisch aus dem Programm nimmt. In Bad Godesberg verabschiedeten die Delegierten ein Grundsatzprogramm, welches bis heute gültig ist. Es enthält folgende Grundsätze: Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie, Abgrenzung gegenüber dem Kommunismus, Schutz und Freiheitsrechte des einzelnen Bürgers, Streben nach sozialer Gerechtigkeit, Solidarität gegenüber den Schwachen und Förderung von Wissenschaft und Bildung. Auch einige Regierungsbeteiligungen festigten die Systemtreue der SPD, die sich somit vorläufig inoffiziell vom Sozialismus verabschiedet hatte.

Heute versteht sich die Partei - basierend auf dieser Geschichte - als eine staatskonforme Partei, die die Interessen der Arbeiterschaft vertritt. Die Frage, in welchem Maße sie dieser Rolle gerecht wird und welche Rolle die Arbeiterschaft als Zielgruppe heute noch spielt, wäre näher zu untersuchen und sei hier zunächst dahingestellt.

Genaue Hinweise auf die Entstehung der heutigen Struktur liefert die Geschichte allerdings nicht. Sie scheint sich aber parallel zu den anderen Parteien nach 1945 gebildet zu haben. Hier spielten sicherlich die Prozesse eine Rolle, die mit Entstehung und Wirkung des Parteiengesetzes einhergingen.

Überblick: Parteiaufbau der SPD

Die Gremien der SPD und somit auch ihre Aktivitäten existieren auf vier Ebenen: die lokale Ebene (Ortsvereine), der regionalen Ebene (Unterbezirke, Kreise), der überregionalen Ebene (Bezirke, Landesverbände) sowie auf der Bundesebene. Die einzelnen Ebenen sind in der Regel dadurch miteinander verwoben, daß jede Ebene die Gremien der nächsthöheren Ebene wählt bzw. Vertreter in diese Gremien schickt. Dennoch arbeiten diese einzelnen Ebenen relativ eigenständig, haben in der Regel eigene Geschäftsstellen und kümmern sich um ihre jeweiligen Belange. Es ist daher sinnvoll, jene Ebenen jeweils einzeln zu betrachten, was in den nachfolgenden Kapiteln geschieht.

Trotzdem haben diese Ebenen gewisse Gemeinsamkeiten, die ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Zunächst ist festzustellen, daß die meisten Ebenen jeweils einen sehr ähnlichen internen Aufbau vorweisen, der teilweise durch das Parteiengesetz vorgegeben ist. Jede einzelne Ebene verfügt über eine Mitglieder- bzw. Vertreterversammlung, bei welchen in den untersten Ebenen die Einzelmitglieder der Parteien, bei den höheren Ebenen die gewählten Delegierten der jeweiligen nächstniedrigeren Ebene zusammenkommen, ergänzt von Vertretern des Vorstandes der jeweiligen Ebene. Diese Versammlung ist das oberste Organ des jeweiligen Gebietsverbandes" (§9 Parteiengesetz). Sie entscheidet über die politische Richtung der jeweiligen Ebene und über Satzungsfragen, wählt ihren Vorstand, die Vertreter für weitere Ämter innerhalb der selben Ebene und die Delegierten für die nächste Ebene. Der Vorstand ist das Exekutivorgan. Er trifft kurzfristige Entscheidungen mit geringerer Tragweite, verwaltet die Finanzen, organisiert Aktivitäten und repräsentiert die Partei bzw. ihre jeweilige Untergliederung nach außen und nach innen. Oft wird, gerade auf Bundesebene, dieser Vorstand noch einmal unterteilt, so daß ein Teil des Vorstandes schneller Entscheidungen fällen kann und somit handlungsfähiger wird. Bei der SPD ist dies auf Bundesebene das Präsidium.

Bevorzugt in den überlokalen Ebenen gibt es in vielen Parteien zusätzlich einen allgemeinen Parteiausschuß, bei der SPD auf Bundesebene als Parteirat" bezeichnet. Seine Bedeutung und Bezeichnung ist bei den Parteien unterschiedlich; in der SPD hat er auf der Bundesebene vor allem beratende Funktion (s. u.).

Weiterhin haben die meisten Ebenen eigene Parteischiedsgerichte, welche vor allem über Streitigkeiten bezüglich der Satzung zu entscheiden haben. Meist können sie Ordnungsmaßnahmen verhängen (Parteiausschluß, Rügen, befristete Funktionsverbote etc.). In der Regel besteht im Streitfall die Möglichkeit, beim Schiedsgericht der nächsthöheren Ebene in Berufung zu gehen. Bezüglich der Schiedsgerichte weist die SPD keinen erwähnenswerten Unterschied zu anderen Parteien auf.

Wahlen zu den einzelnen Gremien und die Wahl der Delegierten für die jeweils nächsthöhere Ebene finden bei allen Parteien prinzipiell geheim statt. In manchen Fällen wird dieses Vorgehen gar von den Wahlgesetzen vorgeschrieben.

Als problematisch nennen einige Autoren das innerparteiliche Mehrheitswahlrecht, welches innerhalb fast aller Parteien, mit Abmilderung nur bei den Grünen, herrscht und daher auch bei der SPD praktiziert wird. Es bietet einer geschlossen agierenden Mehrheit von Stimmberechtigten die alleinige Entscheidung über die personelle Besetzung von Ämtern, so daß Vertreter von Minderheiten kaum eine Chance haben. Die Grünen heben dieses Verfahren teilweise auf, um den beiden großen Strömungen, den Realos" und den Fundis", zu möglichst gleichen bzw. ihrem innerparteilichen Anteil entsprechenden Bedingungen zu verhelfen. Die allgemeine Struktur mit Wahlabhängigkeiten wird anschaulich in Grafik 1 zusammengefaßt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein weiterer interessanter Faktor ist die Zusammensetzung der Mitglieder, besonders der Funktionsträger der SPD wie auch anderer Parteien. Oftmals werden Partei- und Fraktionsämtern bevorzugt von Mitgliedern von Interessenverbänden besetzt, die in der jeweiligen Partei ein Forum für ihre Interessen ausmachen. Andersherum lassen die Parteien ihre Funktionen gerne durch solche Interessensvertreter besetzen, da diese oft über hohes Engagement und Fachkenntnis verfügen. So sind die Funktionen bei der FDP und der CDU/CSU überdurchschnittlich häufig mit Vertretern von mittelständischen und Unternehmensverbänden, bei den Grünen vorzugsweise mit Mitgliedern der Umweltschutzorganisationen besetzt. In den Parteiämtern der SPD sind vergleichsweise viele Funktionsträger der im DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund, rund 9,4 Mio. Mitglieder bundesweit) zusammengeschlossenen Gewerkschaften sowie der Sozialverbände zu finden. Vertreter aus Arbeitnehmerverbänden, die nicht dem DGB angehören (Deutsche Angestelltengewerkschaft, Deutscher Beamtenbund, Christlicher Gewerkschaftsbund, zusammen rund 1,8 Mio. Mitglieder bundesweit), sind eher in der CDU/CSU zu finden. Auch die Stammwählerschaft der SPD stammt zu großen Teilen aus Arbeitnehmer- und Gewerkschafterkreisen.3 Daraus ergibt sich für die SPD eine spezifische Ausrichtung: parallel zur Zusammensetzung ihrer Mitgliederstruktur sind ihre Hauptthemen und ihre politische Sichtweise oftmals stärker als bei anderen Parteien an den Interessen der Arbeitnehmerschaft orientiert. So erklärt sich auch die massive Wahlhilfe des DGB für die SPD im Bundestagswahlkampf 1998.

Ortsvereine

Die unterste Ebene der Parteihierarchie sind die Ortsvereine, welche flächendeckend die Betreuung der breiten Masse der Parteimitglieder übernehmen. In fast jedem Ort existiert ein Ortsverein, viele größere Städte weisen sogar mehrere solcher Ortsvereine auf. Bundesweit existieren rund 12500 dieser Ortsvereine. Sie sind relativ unabhängig und wählen sich jeweils einen eigenen Vorstand. Die Ortsvereine wählen und kontrollieren die Stadt- bzw. Gemeinderatsfraktion. Sie stellen außerdem die Delegierten für die Unterbezirksparteitage. Mit der Summe von rund 12500 Ortsvereinen wird die SPD bundesweit nur noch von der CDU mit 13111 (1991) Ortsvereinen übertroffen; mit der CSU zusammen (weitere 2900 Ortsvereine) ergibt dies eine Summe von rund 16000 Ortsvereinen, also eine quantitative Dominanz der C-Parteien". Die anderen Parteien bleiben hier deutlich zurück: so haben die FDP 3408, die Grünen rund 1600 Ortsverbände. Die PDS gliedert sich in 6630 lokale und betriebliche Basisorganisationen". Keine Partei hat in jeder möglichen Gemeinde je einen eigenen Ortsverband, die großen Parteien können allerdings generell genug Mitglieder rekrutieren, um in einigen Städten jeweils mehrere Ortsvereine zu bilden oder bestehende aufzuteilen.4

Unterbezirke / Kreise

In den meisten bundesdeutschen Kreisen, kreisfreien Städten und Regionen gibt es die nächsthöhere Ebene der SPD, die Kreise bzw. Unterbezirke. Insgesamt 350 unterbezirkseigene Geschäftsstellen mit hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind regionale Ansprechpartner für Fragen aller Art. Unterbezirke können mehrere Kreise beinhalten. Darin unterscheidet sich die SPD von anderen Parteien, deren Kreisverbände sich in ihrem Einflußgebiet an den administrativen Kreisgrenzen orientieren. Bei vielen kleineren Parteien ist diese Ebene die unterste, da sie oft nicht genug interessierte Mitglieder haben, die jeweils Ortsverbände bilden könnten. Diese Ebenen übernehmen bei den kleineren Parteien folglich eine Sammelfunktion der Basismitglieder. Die meisten Kreisverbände insgesamt haben folgerichtig die Grünen mit 510 Verbänden. Danach folgt die FDP mit 450, die CDU mit 367 und die SPD mit 350 Kreisverbänden. Die geringere Zahl der SPD gegenüber der Konkurrenzpartei CDU erklärt sich auch daher, daß sich die SPD mit der Einteilung ihrer Unterbezirke nicht streng an die administrativen Kreisgrenzen hält, sondern teilweise mehrere Kreise und kreisfreie Städte zu Unterbezirken zusammenzieht.

Die Mitglieder des Unterbezirksparteitags entsenden Delegierte zum Bezirksparteitag. Außerdem entscheiden sie über ihre jeweiligen Direktkandidaten in den einzelnen Wahlkreisen.

Bezirke / Landesverbände

Die nächsthöhere Stufe sind die Länder bzw. deren Unterteilungen, zusammen Bezirke" genannt. Meist umschließt ein Bezirk ein ganzes Bundesland, einige bevölkerungs- und mitgliederstarke Länder sind bei der SPD jedoch in mehrere Bezirke unterteilt.

Bezirksgeschäftsstellen gibt es in allen Landeshauptstädten sowie in Bielefeld, Braunschweig, Dortmund, Frankfurt (Main), Kassel, Koblenz, Köln, Neustadt an der Weinstraße, Oldenburg und Stade. Jede Bezirksgeschäftsstelle verwaltet einen Bezirk.

Auch mit dieser Einteilung setzt sich die SPD von den anderen Parteien ab, die aber generell kaum einem festen Schema folgen. Allein die FDP orientiert sich auf dieser Organisationsebene an den administrativen Grenzen der Bundesländer, die CDU orientiert sich an den Ländergrenzen, wie sie zur Zeit ihrer Gründung bestanden, kennt also noch die Regionen Hannover, Oldenburg und Braunschweig als eigene Landesverbände. Die Bezirksparteitage entsenden Delegierte in Parteitag und Parteirat auf Bundesebene. Außerdem bestimmen sie die Zusammensetzungen der Landeslisten für Landtags- und Bundestagswahlen.

Bundesgremien

Das höchste Entscheidungsgremium der SPD auf Bundesebene ist, wie es auch §9 Parteiengesetz vorschreibt, der Parteitag. Alle zwei Jahre treffen hier 440 Delegierte aus den Bezirken die wesentlichsten, langfristigen Parteientscheidungen. Außerdem wählt er die Bundesschiedskommission, die Kontrollkommission und den Parteivorstand. Dem Parteitag gehören außer den gewählten Delegierten auch die Mitglieder des Parteivorstandes an. Der Parteivorstand besteht aus 45 Personen, darunter ein Vorsitzer, fünf stellvertretende Vorsitzende, ein Bundesgeschäftsführer und eine Schatzmeisterin. Er wählt aus seiner Mitte das Parteipräsidium als geschäftsführenden Vorstand, bestehend aus 13 Mitgliedern. Präsidium und Vorstand sind die Exekutive der Partei und gleichzeitig Entscheidungsgremium für kurzfristig zu entscheidende Fragen. Vor wichtigen Entscheidungen des Parteivorstandes muß der Parteirat gehört werden, der ebenfalls von den Bezirksdelegierten gewählt worden ist und aus 110 Mitgliedern besteht. Dem Parteitag gehören ergänzend zu den gewählten Delegierten auch die sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden in Bund und Ländern, Ministerpräsidenten und Mitglieder der Bundesregierung an. Auch die vom Parteitag bestimmte Kontrollkommission kontrolliert den Vorstand. Dessen Entscheidungsgewalt ist daher begrenzt.

Arbeitsgemeinschaften

Eine Sonderstellung innerhalb der5 Partei bilden zehn Arbeitsgemeinschaften, die ebenenübergreifend operieren, meist sogar selbst mehrere Aktivitätsebenen bilden. Wohl die bekannteste dieser Arbeitsgruppen sind die Jusos, die Jungsozialist(inn)en, die Jugendorganisation der Partei. Als Sammelbecken der Parteijugend von 14 bis 35 Jahren arbeiten die Jusos relativ eigenständig, beschäftigen sich selbst mit einer breiten Themenpalette und verschaffen sich innerhalb der Partei Gehör. In jüngster Zeit war, gerade auch im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt, die bisherige Juso-Bundesvorsitzende Andrea Nahles häufiger im Visier der Medien. Zudem bestehen an vielen Unis Juso- Hochschulgruppen.

Nur selten richtet sich die Medienöffentlichkeit hingegen auf die anderen Arbeitsgemeinschaften: die Arbeitsgemeinschaften für Arbeitnehmerfragen (AfA), für altere Menschen (SPD 60 plus), für sozialdemokratische Gesundheitspolitik (ASG), für Bildung (AfB), für Selbständige (AGS), für ehemals verfolgte Sozialdemokraten (AvS), für Lesben und Schwule (Schwusos, neu), die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen und die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF). Alle diese Arbeitsgemeinschaften dienen der Rekrutierung neuer Mitglieder, da sie einerseits eigene Öffentlichkeitsarbeit machen und so auch Interessierte ihrer jeweiligen Fachthemen ansprechen und andererseits auch Nichtmitgliedern zugänglich sind und somit einen Einstiegspunkt in die SPD bilden. Diese Partizipationsmöglichkeit von Parteilosen wird relativ breit genutzt. Gleichzeitig aber sollen die Arbeitsgemeinschaften eine Sammelfunktion für Mitglieder der Partei bilden. Sie bilden die eigentlichen inhaltlichen Arbeitsgruppen der Partei und sollen die Meinungen der breiten Masse der Mitglieder bündeln und einbringen. Diesem Anspruch werden diese Arbeitsgemeinschaften aber nicht gerecht; ihre Popularität bei den Parteimitgliedern ist nur gering. 1978 beispielsweise bezeichneten sich nur rund 26 Prozent der unter 35jährigen Parteimitglieder selbst als Jusos, die Identifikationsquote der potentiellen Mitglieder der jeweiligen anderen Arbeitsgruppen lag noch niedriger. Nur 16% der Frauen der Partei bekannten sich zur Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft für Frauen, und nur 8% der Parteiarbeitnehmer fühlte sich der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen zugehörig.

Demokratie in der SPD

Generell kann der organisatorische Aufbau der SPD in so fern als demokratisch angesehen werden, als sich alle Parteiorgane vom Mitgliederwillen mehr oder weniger direkt ableiten, Mitglieder- und Delegiertenversammlungen auf den einzelnen Ebenen allen anderen Parteigremien übergeordnet sind und judikative Funktionen von eigenen, unabhängigen Gremien (Schiedsgerichte) wahrgenommen werden. Problematisch ist hierbei teilweise die Wahl von Delegierten über mehrere Ebenen, von Delegierten, die nicht an den Willen der Parteibasis gebunden sind. Die direkten Einflußmöglichkeiten der breiten Basis auf die oberen Ebenen geschieht so nur indirekt über mehrere Mittelsmänner, deren Versammlungen und deren Delegierten.

Zusätzlich erfährt das Wahlsystem in vielen Parteien Einschränkungen, um bestimmte Gruppen zu fördern. So haben die Grünen eine Frauenquote" von 50%, was bedeutet, daß die Hälfte der zu besetzenden Ämter von Frauen besetzt werden muß. Auch die SPD hat eine solche Regelung, allerdings mit einem Mindestprozentsatz von 40%. Weitere Einschränkungen existieren in der SPD nicht; andere Parteien sehen noch eine Trennung von Amt und Mandat (Grüne) oder eine Ämterrotation (Grüne, PDS) vor.

Gelegentlich werden auch wichtige Parteientscheidungen, die die Landes- oder Bundesebene betreffen, auf unkonventionellerem Wege getroffen - durch Abstimmungen der Einzelmitglieder. In der SPD hat es solche Abstimmungen beispielsweise 1993 bei der Wahl Rudolf Scharpings zum Fraktionsvorsitzenden und 1995 bei der Ernennung von Frau Stahmer zur Oberbürgermeisterkandidatin von Berlin gegeben. Hierbei ist dann aber oft die Präsentation der Kandidaten in den Medien und der fehlende Austausch von Argumenten entscheidend, so daß sich wiederum die Frage nach der demokratischen Berechtigung dieser Vorgehensweise stellt.

Ebenfalls interessant aus demokratietheoretischer Sicht ist die Tatsache, daß nur ein kleiner Teil der Mitglieder sich überhaupt in Parteigremien einbringt und sich an Wahlen und Abstimmungen sowie generell an der Meinungsfindung beteiligt. Bereits beim Eintritt in eine Partei beabsichtigen durchschnittlich nur etwa die Hälfte der Neumitglieder, sich in der Partei zu engagieren. Diese Bereitschaft sinkt aber, je länger die Mitglieder der Partei angehören. Diesem Trend unterliegt auch die SPD. Nach einer repräsentativen Umfrage unter pfälzischen SPD-Mitgliedern besuchten Mitte der 80er Jahre nur etwa 28 Prozent der Parteimitglieder mindestens einmal im Monat eine Parteiveranstaltung, weitere 29 Prozent gaben an, häufiger als einmal im Jahr an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Dies ist nicht uneingeschränkt repräsentativ für das gesamte Bundesgebiet und die heutige Zeit. Die durchschnittliche Beteiligung liegt heute - auch bedingt durch eine allgemeine Abnahme politischen Interesses in der Bevölkerung - in der Regel unter diesem Niveau.

Dieser Mangel an Beteiligung bedingt nicht nur das Fehlen der Meinungen des größten Teils der Mitglieder bei Entscheidungsprozessen, sondern ergibt auch einen chronischen Mangel von Bewerbern um Ämter aller Art. Dies führt nicht nur oftmals zur Ämterhäufung einzelner Personen, sondern auch dazu, daß in vielen Fällen Kandidaten, die sich überhaupt bereit finden, ein Amt zu besetzen, mangels Gegenkandidaten fast automatisch gewählt werden, unabhängig von ihrer Qualifikation, Popularität oder politischen Ausrichtung. So ergab es sich bei den Kommunalwahlen 1994, daß in einer kleinen nordrhein-westfälischen Gemeinde die Grüne Partei Repräsentanten für 21 Wahlbezirke aufstellen und nach der Wahl sieben Vertreter in Gemeinderat und Ausschüsse entsenden mußte. Da die Partei in dieser Gemeinde nur 22 Mitglieder aufwies, bekam praktisch jedes Mitglied einen Wahlbezirk zugeteilt, und die Amtsbesetzungen wurden ausnahmslos ohne Gegenkandidaten beschlossen6. Bei solchen Verhältnissen wächst auch die Gefahr, daß Personen in Parteiämter oder von der Partei zu besetzende Ämter gelangen, die nicht den Rückhalt der Parteibasis genießen. In abgemilderter Form gilt das auch für viele Untergliederungen der SPD, gerade auch im ländlichen Raum der neuen Bundesländer. Dort ist die Gemeindegröße ebenso gering wie die Mitgliederdichte der Parteien generell. 1991 mußten von der SPD im Osten 10700 kommunale Mandate von insgesamt rund 27000 Mitgliedern besetzt werden7. Teilweise rekrutieren Parteien gar parteilose Funktionsträger.

Weiterer begrenzender Faktor der strukturell angelegten Demokratie ist die Größe der Versammlungen der Parteigremien auf Bundes- und Landesebene sowie in größeren Städten. Dies führt dazu, daß wesentliche Absprachen nicht mehr in den demokratisch direkt legitimierten Gremien, sondern in Ausschüssen, Vorständen und bei informellen Treffen aktiver Mitglieder getroffen werden. Die offiziellen Gremien entscheiden dann nur noch über die Vorlage - in der Regel positiv. Der Ort der tatsächlichen Entscheidungen verlagert sich so nach Meinung von Wolfgang Rudzio und anderen Wissenschaftlern zunehmend in kleinere Führungszirkel". Dies zeigt sich auch daran, daß bei Parteitagen die Mitglieder der Führungsgremien zunehmend größere Anteile an der Gesamtredezeit erlangen.

Zwischen Tradition und Alltagsgeschäft - eine Schlußbetrachtung

Die SPD unterscheidet sich in den Grundstrukturen organisatorisch kaum von der Organisation anderer Parteien. Dennoch kann sie mit dem Status quo allgemein zufrieden sein: der bestehende Aufbau ermöglicht ihr es, auf allen politischen Ebenen handlungsfähig agieren zu können, gleichzeitig aber alle aktiven Mitglieder in die Parteiarbeit einzubinden. Wer sich in die Parteiarbeit einbringen möchte, kann dies tun: durch Mitarbeit in den Ortsvereinen und durch Teilnahme an den Arbeitsgruppen. Durch die Aufteilung in unterschiedliche Ebenen und die Bildung repräsentativer Organe entsteht eine weitgehende Flexibilität und Handlungsfähigkeit der Partei.

Ihr inhaltliches Profil hat die SPD aber nicht über die Jahre hinweg retten können: von der radikalen sozialistischen Arbeiterbewegung hat sie sich gewandelt zu einer modernen Regierungspartei, die weiterhin tendenziell den Arbeitern nahesteht, ihren politischen Horizont aber verbreitert und entradikalisiert hat. Leichte strukturelle Unterschiede zu anderen Parteien bestehen weiterhin, besonders was die regionale Aufteilung der einzelnen Ebenen angeht. Diese Unterschiede entstammen aber wahrscheinlich weniger politischen Differenzen (zumindest sind diese anhand der Literatur nicht feststellbar), sondern eher der unterschiedlichen Genese der Parteien seit ihrer Gründung bzw. ihrem Wiederaufbau 1949. Dennoch ergeben sich einige Kritikpunkte bezüglich der internen Demokratie der Partei; diese sind aber mehr generell-parteistruktureller Art, beziehen sich also weniger auf die Struktur der SPD als solcher. Dennoch ist es sicherlich nicht falsch, von einer weitgehenden repräsentativen Demokratie innerhalb der SPD wie auch innerhalb der meisten anderen Parteien zu sprechen.

Bibliographie

Primärquellen

- Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Hrsg.), Geschichte, Ziele und Organisation, Bonn 1999.
- Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Hrsg.), Sozialdemokratie in Deutschland, Bilddokumentation zur Geschichte der SPD, o. O. 1997.

Sekundärquellen

- Rudzio, Wolfgang, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, Opladen 1996.
- Rudzio, Wolfgang, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Grundwissen Politik, Bonn 1997.

Internetquellen

- http://www.spd.de, Version vom 05. Mai 1999.

[...]


1 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Hrsg.), Geschichte, Ziele und Organisation, Bonn 1999

2 Vgl. Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Hrsg.), Sozialdemokratie in Deutschland, Bilddokumentation zur Geschichte der SPD, o. O. 1997.

3 Vgl. Wolfgang Rudzio, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, in:

Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Grundwissen Politik, 3. Auflage, Bonn 1997.

4 Wolfgang Rudzio, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, Opladen 1996, S. 159.

5 SPD-Homepage (http://www.spd.de/partei/ags.htm); Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Hrsg.), Geschichte, Ziele und Organisation, Bonn 1999.

6 Nicht zur Veröffentlichung gedachte mündliche Mitteilung eines Parteimitglieds; die betroffene Gemeinde wird daher bewußt nicht genannt.

7 Heinrich Tiemann u. a., Gewerkschaften und Sozialdemokratie in den neuen Bundesländern, zitiert in: Wolfgang Rudzio, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, Opladen 1996.

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Details

Title
Parteiorganisation am Beispiel der SPD
College
University of Bonn
Course
Proseminar: Einführung in das politische System der Bundesrepublik Deutschland
Author
Year
1999
Pages
15
Catalog Number
V95100
ISBN (eBook)
9783638077798
File size
444 KB
Language
German
Keywords
Parteiorganisation, Beispiel, Proseminar, Einführung, System, Bundesrepublik, Deutschland
Quote paper
Malte Hövel (Author), 1999, Parteiorganisation am Beispiel der SPD, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95100

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