Der Kampf der Kulturen als Folge der Globalisierung?


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 1999

20 Pages, Note: 1


Extrait


Gliederung

1. Einleitung

2. Strukturelle Globalisierung und Kulturelle Fragmentierung
2.1. Globalisierung und ihre unmittelbaren Auswirkungen
2.2. Neue Nationalismen als Folge des Globalisierungsprozesses
2.3. Rekulturalisierung - Reaktion auf die Globalisierung?

3. Huntingtons Theorie vom Kampf der Kulturen
3.1. Das Zivilisationsparadigma Huntingtons
3.2. Gibt es einen "Kampf der Kulturen"? - Reaktionen auf Huntingtons Thesen

4. Fazit

5. Literatur

1. Einleitung - Wie wird die Welt im nächsten Jahrhundert aussehen?

Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Weltreiches wurde unzweifelhaft eine neue Ära der Weltpolitik eingeleitet. Die alte geopolitische Ordnung des Kalten Krieges tritt von der Szene ab und eine neue Ordnung wird geboren, die der vertrauten Welt des 20. Jahrhunderts vermutlich nur wenig gleicht. Das Schicksal der Menschheit wird im nächsten Jahrtausend von einer neuen Runde von Gewinnern und Verlierern bestimmt. Doch wer wird gewinnen und wer verlieren? Wie wird die kommende Weltordnung aussehen?

Die bipolare Konstellation existiert nicht mehr, aus dem Ost-West-Konflikt, dem "Kampf der Ideologien", ging die westliche liberale Demokratie als alleiniger Sieger hervor, und mit ihr trat der bisher so erfolgreiche Kapitalismus der freien Märkte seinen Siegeszug um die Welt an. Nach dem 2. Golfkrieg, der die Staatengemeinschaft gegen einen Aggressor vereinte, sah US-Präsident Bush in Anlehnung an eine Idee Franklin D. Roosevelts die "Neue Weltordnung" kommen, in der (unter Führung der USA) internationale Organisationen wie die UNO Stabilität garantieren sollten. Der amerikanische Politologe Francis Fukuyama sprach gar vom "Ende der Geschichte", von einer Welt, in der alle Völker in Frieden, Demokratie und Marktwirtschaft glücklich ohne Konflikte zusammenleben.

Ungeachtet aller Vorhersagen entwickelt sich die Welt jedoch weiter, wobei diese Entwicklung keineswegs konfliktfrei bleibt, wie das letzte Jahrzehnt gezeigt hat. Die Frage ist nun, welcher Art die Spannungen in der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts sein werden. Im Sommer 1993 erregte der Harvard-Politologe Samuel Huntington erhebliches internationales Aufsehen mit seiner These, "...daß die Konflikte in der neuen Ära im wesentlichen nicht ideologischer oder wirtschaftlicher Natur sein werden. Die bedeutenden Spaltungen der Menschheit und die hauptsächlichen Konfliktherde werden im Bereich der Kultur liegen." Nach Huntington ist die postideologische Welt in sieben oder acht Zivilisationen eingeteilt, die ausschließlich auf kultureller Ebene definiert sind. Die zukünftige Weltpolitik werde vom Kampf zwischen diesen Zivilisationen bestimmt sein. In seinem Aufsatz wurde die Überschrift ("Clash of Civilizations") noch mit einem Fragezeichen versehen, während im danach erschienenen gleichnamigen Buch das Dogma vom Krieg der Zivilisationen als unumstößliches Merkmal der "Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert" beschrieben wurde.

Auf Huntingtons These vom "Kampf der Kulturen" erhob sich sofort eine weltweite Polemik, wobei sich die Gegner des Kultur- oder Zivilisationsparadigmas schließlich durchgesetzten. Sie warfen Huntington eine ganze Reihe von fundamentalen Fehlinterpretationen und Vereinfachungen der weltpolitischen Realität vor. Auch der Vorwurf wurde laut, daß Huntington, der als langjähriger Berater des US- Außenministeriums "...in jenem Dunstkreis des administrativ-beratenden Typus von Wissenschaft agiert, welche in ihren Denkfabriken aufs engste mit der Macht und den US-amerikanischen Hegemonialinteressen verfilzt ist," pure Ideologie im Sinne der führenden Schichten in den USA betreibe. Seine Thesen würden die Enttäuschung der westlichen Eliten über das Scheitern der Moderne in vielen Teilen der Welt zum Ausdruck bringen.

Bei aller Berechtigung, die man der harten Kritik an Huntingtons Zivilisationsparadigma zugestehen muß, machten zahlreiche Autoren deutlich, daß die derzeitigen politischen Konflikte durchaus eine bedeutende kulturelle Dimension aufweisen (etwa Bosnien, Tschetschenien, Naher Osten, Südsudan, Kaschmir, Sri Lanka, Kosovo).

Die rasch fortschreitende Globalisierung auf technischem, ökonomischem und ökologischem Gebiet führt dazu, daß auch die einzelnen Wertesysteme der verschiedenen Kulturen miteinander kollidieren. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu untersuchen, ob und wie weit es auch auf kulturellem Gebiet zu einer Globalisierung kommt, oder ob das Vordringen besonders von westlicher Demokratie und freier Marktwirtschaft in andere Teile der Erde eher eine gezielte Abwehrhaltung hervorruft. Es stellt sich die Frage, ob die strukturelle Globalisierung mit einer kulturellen Fragmentierung einhergeht.

Und wenn diese kulturelle Fragmentierung existiert, ist sie dann derart konfliktlastig, daß sie als zentrale Bestimmungsgröße für die Weltpolitik im nächsten Jahrhundert gelten kann? Zur Auseinandersetzung mit dieser Frage werde ich mich auf die Theorie Huntingtons beziehen, deren Kern der "Kampf der Kulturen" ist. Hierbei ist vor allem zu klären, welche Auswirkungen die These vom Zivilisationskrieg hat. Hilft sie der Politik bei der Lösung globaler Krisen oder wird sie womöglich zur "self- fulfilling prophecy", wenn sie von Politikern ernstgenommen wird? Ist sie rassistisch und provoziert Fremdenfeindlichkeit? Und schließlich ist zu fragen, ob nicht ein "Ethno-nationalismus", der durch die Angst vor den Folgen der Globalisierung hervorgerufen wird, die Theorie vom Kampf der Zivilisationen als Ideologie benötigt.

2. Strukturelle Globalisierung und kulturelle Fragmentierung

2.1. Globalisierung und ihre unmittelbaren Auswirkungen

Seit einigen Jahren ist ein Begriff immer wieder in der öffentlichen Debatte zu finden - die Globalisierung. In den Medien werden mit dem Schlagwort von der Globalisierung einerseits Ängste geschürt, andererseits wird von ungeahnten neuen Möglichkeiten gesprochen.

Bei der Globalisierung handelt es sich offenkundig um einen Prozeß, der bereits im sogenannten "langen 16. Jahrhundert" begann, als die europäischen Seefahrer große Teile der außereuropäischen Welt für sich entdeckten und der internationale Warenhandel einen enormen Aufschwung erfuhr. Warum spricht man aber erst in den letzten Jahren von Globalisierung? Erst durch die Kommunikations- und Verkehrstechnologien der unmittelbaren Vergangenheit ist die Globalisierung zu einem Vorgang geworden, an dem alle Menschen teilhaben können. Sie wurde damit erst richtig global. Immer mehr politische, soziale und vor allem wirtschaftliche Aktionen von Menschen sind heute in globale Zusammenhänge eingebunden.

Wodurch nun ist heute die Globalisierung gekennzeichnet? Man kann sie anhand von vier Kennzeichen identifizieren:

1. Instant-Kommunikation rund um die Erde ist zu einem Alltagsphänomen geworden und breitet sich immer mehr aus;

1. die Reichweite militärischer Waffen ist planetarisch geworden;

1. Produktion, Handel und Dienstleistungen sind nicht nur weltweit immer mehr vernetzt, sie spalten sich auch zunehmend in Untervorgänge auf, die an verschiedenen, mitunter Tausende von Kilometern voneinander entfernten Orten ablaufen;

1. ökologische Katastrophen haben erdumfassende Konsequenzen.

Globalisierung bezieht sich also keineswegs - wie häufig angenommen - ausschließlich auf die Ökonomie. Doch der wirtschaftliche Aspekt bleibt die "driving force" der Globalisierung. Das Zeitalter des "organisierten Kapitalismus" ist vorbei. Zunehmende Währungs-, Schulden- und Ölkrisen in den 60er und 70er Jahren führten dazu, daß die staatliche Kontrolle über Wirtschaft und Finanzwelt zurückgefahren wurde. Liberalisierung und Entstaatlichung galten als gute Mittel zur Krisenbewältigung. Die Technologieentwicklung besonders auf dem Gebiet der Informations- und Medientechnik wirkte als Katalysator der Globalisierung. Der Kapitalismus wurde von immer mehr Fesseln befreit, gleichzeitig aber wurden die existentiellen Grundlagen für das erfolgreichste Wachstumsmodell der Industrienationen, der sozialen Marktwirtschaft, unterminiert. Aus Angst, den weltweiten Anschluß zu verpassen, geben die Nationalstaaten immer mehr Kontrolle zugunsten kapitalfreundlicher Anpassung ab.

Die weltwirtschaftliche Verflechtung nimmt seit dem Ende der 80er Jahre in deutlich erhöhtem Tempo zu. Arbeitnehmer, die "routinemäßige Produktionsdienste" ausführen, also Beschäftigte in der Industrieproduktion oder in routinemäßigen Dienstleistungen (z.B. Eingabe von Daten in Computersysteme), bieten standardisierte Produkte an, die international gehandelt werden. Damit sind sie austauschbar und weltweiter Konkurrenz unterworfen. Im Gegensatz dazu sind die Produkte aus "kunden-bezogenen Diensten" nicht standardisiert, sondern auf spezifische Probleme fixiert. Damit befinden sich die hier Beschäftigten in einer privilegierten Position. Kritiker der Globalisierung sprechen bereits von der 20:80- Gesellschaft, in der zwanzig Prozent der Bevölkerung alle notwendigen Leistungen erbringen, während die restlichen, überflüssigen 80 Prozent mit "Brot und Spielen" bei Laune gehalten werden.

Die so ausgelöste soziale Differenzierung ist ebenfalls global. Sie findet sowohl zwischen Staaten als auch innerhalb der Staaten statt. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Industrienationen deutet auf eine zunehmende Spaltung der Gesellschaften hin. In der Dritten Welt gibt es Regionen, die über die notwendigen politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen verfügen, um sich am Weltmarkt durchsetzen zu können, während andere weiter marginalisiert werden und zurückfallen.

Die zunehmende weltweite Liberalisierung von Handel und Produkion, die sich verdichtende Kommunikation, verstärkte berufliche und private Mobilität sowie das Wachsen globaler und lokaler Probleme, die vom Nationalstaat nicht mehr bewältigt werden können, führt auch zur Gefährdung des sozialstaatlichen Ausgleichs in den Industrieländern. Gesellschaftliche Entwicklungen im Norden werden zunehmend abhängig von neuen Entwicklungen im Süden. Dabei spielt vor allem der fortschreitende internationale Differenzierungsprozeß eine Rolle. Sowohl die Konkurrenz von erfolgreichen Ländern und Regionen wie auch die Verelendung in nicht erfolgreichen Gebieten stellt eine Herausforderung für den Norden dar.

Während in den reichen Ländern vielen Menschen der soziale Abstieg droht, erhalten große Teile der Bevölkerung in armen Ländern gar nicht erst die Chance, am weltweiten Wohlstand teilzuhaben. Der "neue Reichtum" vieler Schwellenländer erweist sich bei genauerer Betrachtung als sehr regional begrenzt. Das angebliche Wirtschaftswunder Chinas beispielsweise spielt sich in einigen wenigen Sonderwirtschaftszonen entlang der Küste und in den Metropolen ab, während auf dem Land, wo noch immer 80 % der Chinesen wohnen, weiterhin Lehmhütten-Dörfer dominieren, in denen die Menschen ihr Trinkwasser mit Eimern vom Brunnen holen müssen. Ein weiteres gutes Beispiel ist das indische Hightech-Zentrum Bangalore. Dort siedeln in extra dafür geschaffenen Industrieparks die weltgrößten Elektronikkonzerne ihre Niederlassungen an und bieten zahlreichen Menschen Arbeit und soziale Absicherung, wie man sie bisher in Indien nicht kannte. Damit vergrößert sich allerdings die soziale Kluft innerhalb des Landes, denn im nationalen Maßstab profitiert nur ein verschwindend geringer Teil der Bevölkerung davon.

Zu den Merkmalen des Globalisierungsprozesses gehören auch ein wachsendes Wohlstandsgefälle, wachsende Ungleichheiten im Bildungswesen sowie Rückschritte im Hinblick auf die sozialen Menschenrechte. Von einer Homogenisierung oder gar Harmonisierung der Lebensumstände und der gesellschaftlichen Verhältnisse kann also keine Rede sein. Vielmehr ist auch in "...einer nomadischen Welt der permanenten Wanderung von Waren, Ideen und Menschen die Tendenz zur Wahrung kollektiver kultureller Identitäten und damit zur Abgrenzung von anderen kulturellen Traditionen und Gruppen..." zu beobachten.

2.2. Neue Nationalismen als Folge des Globalisierungsprozesses

Die bipolare Konstellation der Weltpolitik, in deren Zentrum ein Kampf zweier Ideologien stand, drängte bis zu ihrem Ende 1990 Nationalismen in den Hintergrund. Die Zunahme sozialer Differenzierungsprozesse und der Rückzug staatlicher Macht sowohl im reichen Norden wie auch im armen Süden führt nun wieder verstärkt zum Auftreten neuer Nationalismen.

Betrachtet man die weite Verbreitung von Nationalismus in den letzten zweihundert Jahren, seit der Entstehung des modernen Nationalstaates, so muß man fragen, warum Nationalismen derart populär waren und sind. Wo also liegt der vermeintliche Nutzen von Nationalismen? Denn daß Millionen von Menschen Opfer einer nicht argumentativ nachvollziehbaren Irrationalität seien, ist als Begründung unzureichend. In der Untersuchung der Entstehungsursachen neuer Nationalismen unterscheidet Senghaas drei markante Typen. Diese drei Arten sind nicht lokal begrenzt, sondern kommen in den unterschiedlichsten Kulturkreisen vor:

1. Als ersten Typus beschreibt Senghaas den Nationalismus der Besitzstandswahrung. Diese Art von Nationalismus war bisher vor allem auf der innerstaatlichen Ebene relevant, wo entwickelte Regionen die rückständigen Regionen des Landes nicht weiter alimentieren wollten. Beispiele wären die nationalistische Lega Nord, die für eine Abspaltung des Nordens als der italienischen Nation kämpft. Gleichermaßen sorgte dieser Nationalismus für den Beginn des Zerfalls Jugoslawiens, als das relativ hochentwickelte Slowenien die staatliche Unabhängigkeit als einzigen Ausweg zum ständigen Ressourcenabfluß in die weniger entwickelten Regionen Jugoslawiens sah. Doch nicht nur ökonomische Interessen, sondern auch kulturelle Identität soll durch Nationalismus gewahrt bleiben. So schlug der russische Bürgerrechtler Solschenizyn 1989 vor, Rußland solle sein sowjetisches Imperium abstoßen und die eigenen kulturellen Interessen wiederentdecken und neu aufbauen.

Eine neue Spielart des Nationalismus zur Besitzstandswahrung tritt verstärkt in den Industriestaaten als Resultat der oben beschriebenen Folgen der Globalisierung auf. Die zunehmende Konkurrenz aus den sogenannten Billiglohnländern, derer sich der westeuropäische, nordamerikanische oder japanische Arbeitnehmer erwehren muß, ist ein wesentlicher Faktor für den zunehmenden Abbau des Sozialstaates. Die Folge davon ist die weitere Abschottung gegenüber Fremden und wachsender Einfluß radikaler, fremdenfeindlicher Parteien, von denen es innerhalb der EU mittlerweile eine ganze Reihe gibt. Die deutsche DVU ist dort besonders stark, wo sich viele Menschen als Verlierer empfinden, obwohl es gerade dort (z.B. Sachsen-Anhalt) einen sehr geringen Anteil von ausländischen Immigranten gibt. Als weitere Beispiele sind die FPÖ in Österreich oder die Front National des französischen Rechtspopulisten Le Pen zu nennen.

2. Die zweite Art von Nationalismen ist die Abwehr von Überfremdung und Diskriminierung. Der Zerfall der Sowjetunion, ausgehend von ihren baltischen Republiken, ist ein gutes Beispiel. Es gab ökonomische und historische Gründe für die Lostrennung, doch dürfte die von Moskau verfolgte "Russifizierung" der nicht- russischen Republiken die entscheidende Rolle gespielt haben. Der Höhepunkt der Konfrontation findet in den zentralasiatischen islamischen Regionen statt, wo der religiöse Aspekt hinzu kommt. Russischer Einfluß wurde hier als westlich-dekadent abgelehnt. Diese Ideologie wird außerdem als geistiger Hintergrund für die eigene ökonomische Misere verwendet.

3. Als die häufigste Art von Nationalismus beschreibt Senghaas den dritten Typus, den Versuch einer Minderheit, sich gegen den Anpassungsdruck einer Mehrheit zu wehren. Die Beispiele hierfür sind vergleichbar und die Konfliktdynamik in der Regel gleich: Nehmen die Versuche der kulturellen Einebnung zu, so steigert sich auch die Gegenwehr der betroffenen Minderheit. Als aktuelle Beispiele sind die Kurden in der Osttürkei sowie die Kosovo-Albaner zu nennen. Sich stetig verstärkender Assimilierungsdruck von seiten der türkischen bzw. der serbischen Regierung (Verbot der kurdischen Sprache an Schulen bzw. Aberkennung des Autonomiestatus des Kosovo) provozierte in gleichem Maße steigende Abwehr der unterdrückten Bevölkerungsgruppen. Beide Gruppen formierten ihren Nationalismus unter der Regie von mehr oder weniger terroristischen Stoßtrupps (hier die PKK, dort die UCK).

All diese Varianten von Nationalismus haben gemeinsam, daß sie eine Identitätspolitik anstatt kompromißfähiger Interessenpolitik fördern.

Volksgruppenzugehörigkeit, Sprache und Religion stehen im Zentrum der Politik und "Kultur" gewinnt einen hohen Stellenwert.

Im Zuge der Globalisierungsdebatte muß man aber noch eine vierte Art von Nationalismus hinzufügen, den "Entwicklungsnationalismus zur Überwindung von Peripherisierung". Er ist als Defensivreaktion auf unvorteilhafte politische und wirtschaftliche Fremdbestimmung zu verstehen. Entstanden bereits in der Entkolonialisierungs- und Befreiungsbewegung der 60er Jahre, steigt auch heute, lange nach dem Ende der Kolonialreiche, die Bedeutung des Entwicklungsnationalismus. Aufgrund der Zunahme des globalen Charakters der Weltwirtschaft kommt es immer mehr zur Aufteilung der Welt in Zentrum und Peripherie, in Gewinner und Verlierer der Globalisierung. An den Rand gedrängte Regionen oder Bevölkerungsgruppen, sei es innerhalb von Staaten oder auch ganze Staaten selbst, greifen immer häufiger auf den Entwicklungsnationalismus zurück. Zum einen wollen sie damit weiteren Peripherisierungsdruck abwehren, zum anderen soll das eigene Entwicklungsprojekt damit verstärkt vorangetrieben werden. Im Zentrum eines "nationalen" Entwicklungsprogrammes steht der Aufbau einer leistungsfähigen Nationalökonomie und damit die Schaffung einer "nationalen" Identität. Die Programme des türkischen Präsidenten Atatürk, des ägyptischen Präsidenten Nasser oder Nehrus in Indien sind drei herausragende Beispiele.

In der Vergangenheit verstand sich der Entwicklungsnationalismus häufig als sozialistisch. Man betrachtete den sozialistischen Weg als geeignet zur Abwehr weiterer kapitalistischer Durchdringung der eigenen Gesellschaft, auch weil die Sowjetunion lange Zeit als einzige "antiimperialistische Großmacht" galt. In den letzten Jahren hat der Entwicklungsnationalismus der seit 1974 autoritär regierenden malaysischen UMNO unter Premierminister Mahathir Mohamad besonders in Südostasien an Einfluß gewonnen. Mahathir hat vor allem durch antiwestliche Ausfälle von sich reden gemacht, in denen er den angeblichen gesellschaftlichen Verfall in westlichen Staaten anprangert (in seinem Buch "The Voice of Asia" nennt er zerrüttete Familien, dekadente Kunst, Drogenprobleme). Andererseits hat Malaysia unter seiner quasi-diktatorischen Führung einen in der dritten Welt bisher nahezu beispiellosen Wirtschaftsaufschwung erfahren. Durch den wirtschaftlichen Erfolg seiner Politik besitzt er fast uneingeschränkten Rückhalt in der Bevölkerung, trotz seiner oft an Rassismus grenzenden Äußerungen. Mahathir sieht sich selbst gern als pan-asiatischen Führer und versucht stetig, asiatische Werte hervorzuheben ("Das nächste Jahrhundert wird das asiatische Jahrhundert sein.") und gegen sogenannte westliche Werte wie Individualismus und Pluralität abzugrenzen.

Der Globalisierungsprozeß beschleunigt vor allem den ersten und den vierten der genannten Nationalismus-Typen. Die Menschen in den Industriestaaten fürchten im Zeitalter des globalen "Turbo-Kapitalismus" einen Abbau ihrer sozialen Errungenschaften und ihres Wohlstands durch die wirtschaftliche Konkurrenz der Entwicklungsländer, die aufgrund von gering entwickelten oder gar nicht vorhandenen Sozialsystemen massenhaft billigere Arbeitskräfte anbieten können als die reichen Staaten. Die verstärkte Migration und Einwanderung in die Länder der OECD führt außerdem zu der Befürchtung, der Wohlstand könne auch innerhalb der Industriestaaten direkt bedroht werden. Diese Ängste äußern sich in einem verstärkten "Nationalismus zur Besitzstandswahrung", der sich in Europa vor allem durch Wahlerfolge der radikalen Parteien manifestiert, während in den USA der Einfluß der großen Parteien schwindet und eine Zunahme des gegen den demokratischen Staat gerichteten Terrorismus zu beobachten ist.

Im Gegenzug fürchten viele Entwicklungsländer, durch den entfesselten Kapitalismus des Globalisierungszeitalters weiter an den Rand der Weltwirtschaft gedrängt zu werden. Die teilweise Modernisierung der Entwicklungsländer bringt einem Teil der Bevölkerung Bildung und Mobilität und läßt neuerdings auch immer größere Gruppen an der Verbreitung der Informationstechnologien teilhaben. Dadurch werden traditionale Gesellschaften umgebaut und es kommt zu einer Umwertung und Schwächungvion traditionellen kulturellen Werten. Zusammen mit der durch die wirtschaftliche Globalisierung hervorgerufenen fortschreitenden sozialen Differenzierung besonders in Gesellschaften der Dritten Welt ist die Folge ein wachsender Ethnonationalismus, mit dem der als Bedrohung empfundene internationale Einfluß, vor allem aus dem Westen, abgewehrt werden soll.

Nun stellt sich die Frage, inwieweit die Globalisierung der politischen und ökonomischen Strukturen eine gleichzeitige Fragmentierung der Welt auf kultureller Basis bewirkt. Ist es wahr, daß reale und imaginäre Bedrohungen durch die Globalisierung in allen Teilen der Welt eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte und eine "kulturelle Selbstvergewisserung" (Senghaas) zur Folge haben?

2.3. Rekulturalisierung - Reaktion auf die Globalisierung?

Im Zuge der Internationalisierung von Produkten und neuen Technologien, hier seien vor allem die Massenkommunikation und der dramatische Verfall der Kosten für Transport und Kommunikation über weite Distanzen erwähnt, wird "...kulturell die Herausbildung weltweit ähnlicher Geschmacksmuster und Konsumgewohnheiten" gefördert. "Der Prozeß der Verstärkung von Interdependenzen zwischen nationalen Gesellschaften verwandelt sich in einen Prozeß globaler Vergesellschaftung," wobei die zu beobachtende "kulturelle Homogenisierung weniger das Ergebnis direkter Vernetzung ist als die Folge eines sich vereinheitlichenden Konsums von Kulturgütern (wie Filme, Fernsehen, Musik)." Die weltweite Angleichung der Konsumnormen ist darauf zurückzuführen, daß immer mehr Menschen in allen Teilen der Welt Zugang bekommen zu westlichen, besonders amerikanischen Fernsehserien und Filmen, und daß die Weltkonzerne (global players) noch immer größtenteils aus den westlichen Industriestaaten stammen. Vor allem Aspekte der amerikanischen Instant-Kultur verbreiten sich rasend schnell in die entferntesten Winkel der Erde, da sie größtenteils dem kapitalistischen Unternehmergeist in einer von Anfang an multikulturellen Gesellschaft entsprungen sind und im Vergleich zu traditionellen nationalen Kulturen besonders leicht zu adaptieren ist.

Doch mit der "McWorld" (Benjamin Barber) halten nicht nur Hollywood, McDonalds und Coca Cola Einzug in fremde Kulturen, sondern auch traditionell westliche Werte wie Individualismus, moderne Menschenrechte und moderne Demokratie. In Europa führten zahlreiche Faktoren dazu, daß die traditionale agrarische Gesellschaft, die durch Unmündigkeit und Immobilität gekennzeichnet war, frühzeitig zerbrach. Das System des Feudalismus verhinderte politisch träge Großreiche, Aufklärung und Reformation sorgten für geistig-kulturellen Fortschritt und es kam früh zum ökonomischen und kulturellen Wettbewerb unter den Nationen, der schließlich in der Industriellen Revolution und im modernen Nationalstaat mit liberaler Demokratie resultierte. Im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte hat sich die westliche Form der Demokratie immer weiter in der Welt ausgebreitet. Heute nutzt der Westen sogar seine militärische und wirtschaftliche Macht, um dieses System weiter zu verbreiten. So machen die westlichen Industriestaaten beispielsweise eine weitere Vergabe von Krediten an Rußland von der Demokratisierung des Landes und der Entstaatlichung der russischen Wirtschaft abhängig. Auch im Dialog mit China werden die Menschenrechte von westlichen Politikern, wenn auch vorsichtig, immer wieder angemahnt.

In der Verbindung von durch die Globalisierung hervorgerufenen sozialen Differenzierungen mit dem Vordringen zumeist westlicher Werte und Kultur in nicht- westliche Regionen sehen nun viele Theoretiker neue Probleme für die Weltpolitik heraufziehen. Sie unterstellen dem mit der Globalisierung einhergehenden Trend zur Fragmentierung einen bedeutenden kulturellen Aspekt. Von dem Göttinger Islamwissenschaftler Bassam Tibi stammt die These: "...daß wir es mit einer Gleichzeitigkeit von struktureller Globalisierung und kultureller Fragmentierung zu tun haben." Die an die Peripherie gedrängten Teile der Bevölkerung sowohl in den reichen wie in den armen Ländern der Welt würden ihre Frustrationserfahrungen in aggressive Reaktionen übersetzen, die sich in den "Ideologien des post-bipolaren Zeitalters, also dem religiösen Fundamentalismus und dem ethnischen Nationalismus" manifestieren. Angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Krise und der daraus resultierenden Verringerung der Lebensaussichten würden identitätsstiftende Begründungen gern angenommen. Der Rückbezug auf Kultur und vor allem auf Religion wird angeblich als einzig gangbarer Ausweg empfunden. Dabei richte sich die Rückbesinnung auf die eigenen kulturellen Quellen besonders gegen das Vordringen der westlich geprägten Moderne.

Die Instrumente der westlichen Moderne (Wissenschaft, Technik, Massenwohlstand, Demokratie, Menschenrechte) können als unabdingbare Voraussetzung für die Globalisierung angesehen werden. Ohne moderne Technologie sowie eine erfolgreiche Wirtschaft in einer freiheitlich orientierten Gesellschaft, die die breite Masse der Bevölkerung am technischen Fortschritt teilhaben läßt, hätte die Ökonomie nicht die Grundlagen bekommen, auf denen sie die Globalisierung eingeleitet hat. Globalisierung wurde also von der neoliberalen, transnationalen wirtschaftlichen Elite in Gang gesetzt, deren Vertreter in den westlichen Industriestaaten sitzen.

Man kann also zusammenfassend bemerken, daß die Globalisierung vom Westen ausging, und daß die durch sie hervorgerufene weitere soziale Spaltung der Gesellschaften Gegenreaktionen hervorruft, die gegen den zeitgleichen Export besonders von westlichen Ideen und Werten gerichtet sind. Tibi entwickelte den Begriff von der "halben Moderne", nach der viele Entwicklungsländer streben. Er unterscheidet zwischen kultureller und institutioneller Moderne: Die institutionelle Moderne - Wissenschaft und Technik sowie deren Errungenschaften - seien sehr wohl willkommen, während die Einflüsse der kulturellen Moderne - freiheitliche Grundwerte und westliche Kultur - zurückgedrängt und bekämpft werden.

Von Politikexperten werden dazu hauptsächlich die islamischen Länder als Beispiel angeführt. Dort ist die Rückbesinnung auf die kulturelle Quellen gerade in den letzten Jahren besonders stark. Wachsender religiöser Fundamentalismus ist zu beobachten. Betrachtet man die islamischen Länder im Hinblick auf ihre Wirtschaftsentwicklung und ihre internationalen ökonomischen Verflechtungen, so kann man feststellen, daß viele Länder, die durchaus zu den Gewinnern der Globalisierung gehören, eine starke Rekulturalisierung erfahren haben und sich von westlichen Werten abzusetzen versuchen (z.B. Malaysia). Dies trifft auch für nichtislamische Staaten zu. So ist in China derzeit zu beobachten, wie sich das Land weiterhin gegen Demokratisierung wehrt und sich mit der Einhaltung der Menschenrechten schwertut. Andererseits stellen auch völlig marginalisierte Länder, die in der globalisierten Welt kaum noch eine Rolle spielen, wieder verstärkt kulturelle Traditionen in das Zentrum ihrer Politik (z.B. Afghanistan).

Es scheint also keinen zwangsläufigen Zusammenhang zu geben zwischen Globalisierungsfolgen und dem Trend zur Rekulturalisierung. Natürlich führt eine Ausgrenzung von großen Teilen der Bevölkerung leicht zu deren politischer Radikalisierung. Durch die Folgen der fortschreitenden sozialen Differenzierung in unserer globalisierten Welt besteht diese Gefahr durchaus. Doch die gegenwärtig zu beobachtende Rückbesinnung auf traditionelle kulturelle Werte ist eher das Mittel einer Politik, die die Ängste der Menschen vor den Auswirkungender Modernisierung nutzt, um eine massenwirksame Herrschaftsideologie zu begründen. Inszenierte Tradition wird für aktuelle politische Ziele instrumentalisiert, die in den verschiedenen Ländern durchaus unterschiedlich sind. "Kultur wird dabei leicht zur Magd der Diktatur."

3. Huntingtons Theorie vom Kampf der Kulturen

3.1. Das Zivilisationsparadigma Huntingtons

Während ich mich bisher vorrangig auf Instrumentarien aus den Entwicklungsländern bezogen habe, möchte ich nun anhand der Theorie von Samuel Huntington beschreiben, wie die Ängste vor den Folgen der Globalisierung aus der Perspektive der Industriestaaten instrumentalisiert werden können.

Huntington prognostiziert nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes internationale Beziehungen, die gänzlich anderen Kriterien unterworfen sind als bisher. Die bipolare Konstellation der gegeneinander gerichteten Wertesysteme (liberale Demokratie und Sozialismus) hätte die wahre Natur der internationalen Beziehungen verdeckt. Diese sei in Wahrheit kulturell definiert. Die Weltpolitik im nächsten Jahrhundert, so behauptet er, würde nicht von ideologischen oder ökonomischen, sondern vorrangig von kulturellen Aspekten bestimmt. Die Zivilisationen sind - im Gegensatz zu den drei Welten des Kalten Krieges - real und natürlich. Sie spiegeln die natürliche Fragmentierung der Welt wider.

Huntingtons vieldiskutierter Aufsatz über den "Clash of Civilizations" enthält vier Kernaussagen:

1. Es gibt Zivilisationen.
2. Der Zusammenprall der Zivilisationen ist eine neue Konfliktform.
3. Diese ist kulturell bestimmt.
4. Die Frontlinien zwischen den Zivilisationen sind die Schlachtfelder der Zu- kunft.

Huntington (ebenfalls sein deutscher Kollege Bassam Tibi) sieht die Welt in Zivilisationen oder Kulturkreise eingeteilt. Eine Zivilisation definiert Huntington als die größte kulturelle Einheit, die höchste Stufe kultureller Identität, die sich definiert durch objektive Elemente wie Sprache, Geschichte und Institutionen, vor allem aber durch Religion und subjektive Selbstidentifikation der Menschen. Die großen Zivilisationen können dabei auch Subzivilisationen haben. So unterteilt sich der westliche Kulturkreis beispielsweise in einen europäischen und nordamerikanischen Teil, der Islam in seine türkische, arabische und malayische Subzivilisation.

Frei von ideologisch bedingtem Zwang, können die einzelnen Kulturen sich nun ungestört entfalten. Dabei müsse es zum Konflikt zwischen ihnen kommen. Konflikte und Kriege fanden zunächst zwischen Monarchen statt. Dann, seit der Entstehung des modernen Nationalstaates nach der Französischen Revolution, gab es Konflikte zwischen Völkern und Nationen. Später, seit der russischen Oktoberrevolution, bildete sich der Gegensatz zwischen Ost und West heraus, der die Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte. Während bisherige Konflikte hauptsächlich Konflikte innerhalb der westlichen Zivilisation waren, werden sie nun globalisiert, indem sie zwischen den großen Kulturkreisen stattfinden, so sagt Huntington. "Die Konflikte zwischen den Zivilisationen werden die letzte Phase der Evolution der Konflikte in der modernen Welt sein."

Seine These, daß es zwangsläufig zu einem "Kampf der Kulturen" kommen wird, begründet Huntington anhand von sechs Argumenten:

1. Die Unterschiede zwischen den Kulturen sind grundlegend. Da sich die Kulturen hauptsächlich über Religion definieren, muß es auch fundamentale Unterschiede in solch wesentlichen Punkten wie bei der Auffassung von Gott und Mensch und bei der Interpretation von Rechten, Freiheit und Autorität geben.

1. Die Welt wird kleiner. Die zunehmenden Interaktionen zwischen den Menschen verstärken das Zivilisationsbewußtsein eher als daß sie es vermindern. Hier führt Huntington an, daß zum Beispiel Europäer negativer auf japanische Investoren reagieren würden als auf amerikanische oder europäische.

1. Die fortschreitende Globalisierung, die sich in ökonomischer Modernisierung und sozialen Veränderungen deutlich macht, entfernt die Menschen von langen kulturellen Identitäten. Die entstehende Lücke wird von Religion gefüllt, es kommt zum "Revival of Religion". Dabei stellt Huntington fest, daß die Fundamentalisten meist jung und gebildet sind.

1. Der Westen besitzt eine "duale Rolle" im neuen Weltsystem. Einerseits sei er auf dem Gipfel seiner ökonomischen, politischen und militärischen Macht, andererseits sei er zunehmend mit dem anti-westlichen "zurück-zu-den- Wurzeln"-Phänomen in nicht-westlichen Kulturen konfrontiert (Hinduisierung Indiens, Re-Islamisierung des Nahen Ostens, innerer Konflikt Rußlands zwischen westlichen und traditionell russischen Aspekten etc.). Dabei geht paradoxerweise die Abkehr von westlichen Werten mit einer Verbreitung westlicher Lebensstile einher.

1. Kulturelle Unterschiede (Was bist du?) sitzen tiefer und sind daher schwieriger zu lösen als politische und ideologische Differenzen (Zu welcher Seite gehörst du?).

1. Das Kulturbewußtsein wird durch zunehmende ökonomische Regionalisierung gefördert. Diese ist aber nur erfolgreich auf der Basis einer gemeinsamen Kultur (zum Beispiel die EU oder die chinesisch dominierte Region Hongkong- Singapur-Übersee-chinesen-China). So seien islamische Länder aufgrund ihrer nicht-westlichen Kultur ohne Chancen auf eine EU-Aufnahme.

In den Mittelpunkt seiner Theorie vom "Kampf der Kulturen" stellt Huntington die Behauptung, der Zivilisationskonflikt laufe auf eine Konfrontation des Westens mit dem Rest der Welt hinaus. Der Westen sei heute auf dem Gipfel seiner Macht, er ist politisch, wirtschaftlich wie auch militärisch ohne ernsten Rivalen. Über den IMF, die Weltbank und den UN-Sicherheitsrat steuert der Westen die Weltpolitik in seinem Interesse. Zudem erklärten westliche Politiker immer wieder, sie handelten für die "internationale Staatengemeinschaft". Sie nutzten internationale Institutionen, um westliche Politik und westliche Werte zu verbreiten. Dabei stoßen sie zunehmend auf Widerstand nicht-westlicher Staaten, die sich gegen den "Menschenrechts- imperialismus" wehren.

Dabei versteht sich der Westen als universelle Kultur, und tatsächlich würden oberflächliche Aspekte der westlichen Kultur auch übernommen, aber nicht grundlegende Merkmale wie Liberalismus, Individualismus, Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, Marktwirtschaft oder die Trennung von Staat und Kirche. Besonders im Islam, der sich ebenfalls als universelle Kultur empfindet, sieht Huntington den zukünftigen Hauptrivalen des Westens um die Vorherrschaft in der Welt. Der Islam, sich heute bereits mit allen angrenzenden Zivilisationen in Konflikt befindet, zeichne sich zudem durch außergewöhnliche Militanz und weitverbreiteten Fundamentalismus aus. "Der islamische Block hat blutige Grenzen". Die sich angeblich abzeichnende Zusammenarbeit islamischer Staaten mit China, das dabei ist, zur Weltmacht zu erwachen, stellt für Huntington die große zukünftige Herausforderung der westlichen Staaten dar. Der Westen muß sich darauf einstellen, daß die Weltpolitik nicht länger ein Spiel innerhalb der westlichen Welt bleibt. Die Folgerungen, die sich daraus ergeben, sind eine verstärkte Zusammenarbeit des Westens mit seiner Peripherie (Osteuropa und Lateinamerika, verstärkte Kooperation innerhalb der OECD und eine Begrenzung der militärischen Stärke Chinas und der muslimischen Staaten. Vor allem jedoch fordert Huntington, daß der Westen seine militärische und ökonomische Dominanz bewahren müsse,auch unter Ausnutzung internationaler Institutionen wie der westlich dominierten UN.

3.2. Gibt es einen "Kampf der Kulturen"? - Reaktionen auf Huntingtons Thesen

In der nach der Veröffentlichung von Huntingtons Thesen entbrannten und scharf geführten Debatte waren seine Kritiker in der überwältigenden Mehrheit. Allerdings scheint ein Blick auf die aktuelle Weltlage zumindest auf den ersten Blick das Zivilisationsparadigma Huntingtons in einigen Aspekten zu bestätigen. Politische Konflikte haben tatsächlich meist eine bedeutende kulturelle Komponente, die sich in den meisten Fällen über die Religion definiert, wie von Huntington richtig erkannt wurde.

Der Prozeß der Entkolonialisierung, der in vielen Ländern gewaltsam verlief (z.B. Algerien, Indochina, Tschetschenien, Kosovo u.a.) war vom Auftreten starker Nationalismen geprägt, die sich auch kulturell von der beherrschenden fremden Kolonialmacht abzugrenzen suchten. Diese Entwicklungsnationalismen waren auf die Wiedererringung kultureller Selbstbestimmung gerichtet. Das Rückbesinnen auf eigene traditionale kulturelle Werte ist hier jedoch als Mittel zu sehen, das dazu diente, das eigentliche Ziel, die nationale Unabhängigkeit und den Aufbau einer eigenen Nationalökonomie, zu erreichen. Es wurde von den führenden Vertretern der Unabhängigkeitsbewegung erkannt, daß mit der Betonung eigener kultureller Aspekte eine Identität herzustellen ist, die die Menschen leicht zum Widerstand gegen die fremde Macht mobilisieren kann.

Samuel Huntington sieht die Welt in naher Zukunft vor allem bedroht durch einen Konflikt zwischen dem Westen einerseits und den islamischen Staaten und China andererseits. Bei einem Blick auf die aktuelle Weltlage ist zu beobachten, daß zwischen diesen Blöcken tatsächlich zahlreiche Konflikte bestehen. Viele islamische Staaten und seit seinem wirtschaftlichen Aufstieg zunehmend auch China sind mit der derzeitigen politischen, ökonomischen und militärischen Führungsrolle der westlichen Staaten (besonders der USA) in der Welt nur bedingt einverstanden. Es bleibt die Frage, ob es sich dabei primär um einen Wertekonflikt oder Kulturkonflikt handelt, wie ihn Huntington oder Tibi sehen, oder ob machtpolitische und ökonomische Faktoren dahinter stehen und Kultur nur dazu dient, die Menschen für ein bestimmtes Ziel zu mobilisieren.

China, das sich immer mehr als Weltmacht fühlt, versucht seit langem, ein weltpolitisches Gegengewicht gegen die Vormachtstellung des Westens und vor allem der USA darzustellen. Im Kosovo-Krieg hat China schon früh das Vorgehen der (westlich dominierten) NATO gegen Serbien verurteilt. Als dann die chinesische Botschaft in Belgrad irrtümlich getroffen wurde, hat sich gezeigt, wie leicht anti- westliche Stimmungen in China geschaffen werden können, die sich sowohl gegen westliche Einrichtungen als auch Personen richten, die dann Symbolcharakter annehmen. Dabei ist offensichtlich, daß den Chinesen nicht am fernen, weltpolitisch unbedeutenden kleinen Volk der Serben gelegen ist, sondern daß man in China die militärische und politische Macht der NATO-Staaten mit Argwohn betrachtet. Hinzu kommt, daß die chinesische Führung einen weltpolitischen Präzedenzfall im Hinblick auf eigene unterdrückte Minderheiten (z.B. Tibeter, Uiguren, Moslems) fürchtet.

Auf der anderen Seite stehen die Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen in China, die man ständig im Westen hört und durch die sich die Regierung in Peking provoziert fühlt. Führende westliche Politiker fordern ein härteres Vorgehen gegenüber China. Chris Patten, der letzte Gouverneur der britischen Kronkolonie Hong Kong, schreibt: "Das Beste, was wir in den nächsten Jahren tun können, ist eine Politik zu verfolgen, die dieses Land aktiv in die Weltpolitik einbindet, aber zu unseren Bedingungen."

Die größte Bedrohung allerdings sehen die Verfechter des Zivilisationsparadigmas in der zunehmenden Radikalisierung islamistisch-fundamentalistischer Bewegungen. Dazu kommt, daß die Solidarität unter den Anhängern des Islam in aller Welt tatsächlich bemerkenswert ist. Seit der Gründung des Staates Israel, der als westliches Konstrukt (als säkulare liberale Demokratie) inmitten der islamischen Welt besteht, kam es bereits vier Mal zum Krieg einer mehr oder minder starken arabischen Allianz gegen dieses Land. Daran waren Staaten wie Libyen, der Irak oder der Sudan beteiligt, die nicht einmal eine gemeinsame Grenze mit Israel besitzen, wohl aber eine gemeinsame Religion und Kultur mit sich von Israel bedroht fühlenden Ländern. Selbst in Pakistan, Indonesien und Malaysia besteht ein Einreiseverbot für Israelis. Gleiches konnte man im Kosovo-Krieg feststellen, wo Freiwillige aus zahlreichen muslimischen Staaten auf Seiten der albanischen Befreiungsarmee UCK kämpfen. Der türkische Autor Orhan Pamuk sagte dazu im April 1999: "Im Kosovo schlägt heute das Herz aller Moslems. Dort hat unsere kollektive Seele ihr Zuhause."

Ähnlich verhält es sich mit der Wiederentdeckung des alten Pan-Slawismus in Rußland während des Kosovo-Krieges und seiner daraus resultierenden solidarischen Haltung gegenüber Serbien. Hier war zeitweise sogar von einer Union mit Jugoslawien die Rede. All diese Beispiele aus der Weltpolitik der letzten Jahre scheinen - oberflächlich betrachtet - Huntingtons These vom Kampf der Kulturen zu bestätigen. Doch bei differenzierter Untersuchung stellt man fest, daß bei allen Konflikten eine Vielfalt von Ursachen vorhanden ist und daß die kulturelle Komponente nicht allein steht, auch wenn ihre Existenz nicht bestritten werden kann. Vielmehr wird Huntington vorgeworfen, daß er mit der Betonung von Kultur und "Zivilisation" als Hauptursache von Abgrenzung und Konflikt in der Politik etwas auf Platz Eins setze, was erst auf dem zweiten oder gar dritten Platz kommen dürfe. Auch wenn zweitrangige Faktoren bei der Eskalation von Konflikten eine wichtige Rolle spielen würden, da sie die Eskalation beschleunigen, dürfe man hier jedoch nicht Ursache und Wirkung verwechseln.

In Huntingtons Theorie findet der Kampf der Kulturen sowohl auf der Makro- wie auch auf der Mikroebene statt, d.h. einerseits zwischen Staaten, die zu unterschiedlichen Zivilisationen gehören, und andererseits innerhalb der Nationalstaaten zwischen gesellschaftlichen Gruppen, die verschiedenen Kulturen angehören. Auf der Mikroebene kann man den Kulturkampf leicht als das klassische Minderheitenproblem identifizieren. Dabei steht Religion oder Kultur selten am Ausgangspunkt des Konflikts, sondern es handelt sich um soziale und ökonomische Diskriminierung einer Minderheit. Eine Lösung des Problems ist für die Angehörigen dieser Minderheit nicht in Aussicht, so daß in Nationalismus und Rekulturalisierung ein Ausweg gesucht wird. Meist ist die Diskriminierung sogar auf dem Gebiet der Kultur selbst zu finden, indem beispielsweise bestimmte Minderheitensprachen nicht mehr an Schulen gelehrt werden. Damit will die regierende Mehrheit eventuellen sozialen und ökonomischen Ansprüchen von vorn herein entgegenwirken. Wird dann die Unmöglichkeit sozialer Aufwärtsmobilität als kollektives Schicksal erlebt, so ist eine Politisierung von Kultur die Folge. Der Kulturgehalt von innerstaatlichen Konflikten ist also oft durchaus real, er ist aber abhängig von sozialen und wirtschaftlichen Inhalten des jeweiligen Konflikts, die dem kulturellen Aspekt vorausgehen. Vergleicht man dabei verschiedene Beispiele, so fällt auf, daß "Kultur" hier austauschbar wird, der Konflikt wird nicht durch spezifische Kulturinhalte geprägt. Es ist unerheblich, ob sich die Kurden durch die Türken benachteiligt fühlen, die Kosovo-Albaner durch die Serben, die Moslems auf Mindanao (Philippinen) durch die Christen, die Tschetschenen durch die Russen usw. Alle diese Beispiele haben gemeinsam, daß es machtpolitische und damit wirtschaftliche Ursachen für den Konflikt gibt und daß jeweils beide Seiten Kultur und vor allem Religion für sich instrumentalisieren. So werden Identitäten geschaffen, durch die die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ihre Anhänger zusammenhalten und mobilisieren können.

Die Schaffung von Identitäten ist auch das Ziel einer weiteren Form von "Kultur- Konflikten" auf der Mikroebene, d.h. im innerstaatlichen Bereich. Dabei handelt es sich um die Machtkämpfe zwischen Fundamentalisten und Modernisierern, die schon lange in vielen Gesellschaften in Entwicklungsländern zu beobachten sind. Gerade die Globalisierung, die eine rasante Zunahme des Austausches von Ideen und Werten zwischen den Kulturen bewirkt, führt auch zur Verschärfung dieses Gegensatzes. Mit der sozialen Differenzierung, die der Prozeß der Globalisierung vorantreibt, dringen gleichzeitig westliche Werte, Normen und Lebensstile in viele Länder der Dritten Welt ein und werden so zum Ziel von Fundamentalisten. Auch hier wird der kulturelle Aspekt instrumentalisiert, er spielt eine bedeutende Rolle, ist zunächst aber keineswegs primär.

Auf der Makroebene unterstellt Huntington den Zivilisationen inhärente Kampfneigungen, für die er allenfalls oberflächliche Beispiele anführt, die er aber nicht hinreichend begründet. Eine substantielle Analyse von Kultur und Kulturkonflikt unterbleibt in seinen Schriften. Vor allem bei der Einschätzung des Islam mache er den großen Fehler, islamischen Fundamentalismus mit islamischer Religion gleichzusetzen. Mit dieser scharfen Vorverurteilung des Islam würden westliche Politiker, wenn sie Huntington folgen würden, sich den "Kampf der Kulturen" selber schaffen. Die Gefahr liegt nämlich darin, daß das Szenario einer vermeintlichen "islamische Bedrohung" entworfen wird, die den Fundamentalisten, die innerhalb der islamischen Welt durchaus in der Minderheit sind, in die Hände arbeitet.

Huntingtons Argumente bestärkten vor allem in den USA und in Westeuropa viele Menschen in ihrer Fremdenfeindlichkeit. Die These vom "Kampf der Kulturen" machte den Islam als "absoluten Feind" des Westens hoffähig. Wie sehr, das zeigten die amerikanischen Medien kurz nach dem Attentat in Oklahoma vom 19. April 1995, als sie sofort ein "islamisches Netz" hinter dieser Tat vermuteten. Bis man herausfand, daß die Täter aus den eigenen - weißen und christlichen - Reihen stammten.

Huntington erwähnt in seinem Artikel ausschließlich die "blutigen Grenzen des Islam". Desgleichen könne man aber auch von den blutigen Grenzen des Christentums (auf dem Balkan und im Kaukasus) und von den blutigen Grenzen des Hinduismus (in Kaschmir und Sri Lanka) sprechen. Die "blutige Grenze des euroamerikanischen Einflußbereichs" wäre die Bruchlinie zwischen Nord und Süd, zwischen Zentrum und Peripherie der Weltwirtschaft.

Da Huntington lange Zeit als Berater des US-Außenministeriums fungierte und somit dem Zentrum der westlichen Macht sehr nahe steht, bleibt zu fragen, ob er mit seiner These ein bestimmtes Ziel verfolgt, ob es sich also um eine Ideologie handelt. Mit Ideologie ist hier eine Menge oder ein System von Ideen gemeint, das zur Interpretation der Welt in einer bestimmten, interessengeleiteten und damit verfälschenden Sichtweise dient. Vor allem in der Formel "Der Westen gegen den Rest" sehen viele Politikexperten den Kern einer Ideologie, die darauf abzielt, die Vormachtstellung der westlichen Industriestaaten, und hier besonders der USA, in der Welt zu erhalten. Diese Ideologie richtet sich ebenfalls auf zwei Ebenen. Auf der Makroebene kann man sie als Ausdruck von Angst vor den globalen Folgen der Globalisierung werten. Das Zentrum wehrt sich gegen Angriffe der Peripherie (Nationalismus zur Besitzstandswahrung, siehe Kapitel 2.2.). Die Globalisierung bedeutet schließlich eine Herausforderung für die erfolgreichen westlichen Volkswirtschaften und damit die Sozialsyteme und die Demokratie. Weiterhin erfahren im Zuge des Globalisierungsprozesses - aufgrund ihrer erstarkenden Wirtschaftskraft - Staaten von bisher geringer Bedeutung einen Aufstieg zu wichtigen Faktoren in der Weltpolitik. Dies trifft besonders für die Staaten Ost- und Südostasiens zu, aber auch für Indien und Brasilien. Durch diese unerwünschte Konkurrenz wird die derzeit noch unabgefochtene Hegemonialstellung der westlichen Saaten und der USA in der Welt bedroht werden. Darum "muß der Westen seine wirtschaftliche und militärische Stärke beibehalten, die nötig ist, um seine Interessen gegenüber anderen Kulturen zu schützen."

Die These vom "Kampf der Kulturen" impliziert auch einen Ideologieverdacht, der sich auf die Mikroebene, d.h. auf die Innenpolitik westlicher Staaten und vor allem der USA, bezieht. Huntington warnt vor unkontrollierter Migration und vor den Folgen einer multikulturellen Gesellschaft. Sein Zivilisationsparadigma basiere auf einer Verallgemeinerung der sozio-ökonomischen Entwicklung in den USA,stellen vor allemlinke Kritiker fest. Er behauptet: "Was im Inneren einer Kultur vorgeht, ist für ihre Widerstandsfähigkeit gegen zerstörerische Einflüsse von außen ebenso entscheidend wie für das Aufhalten des inneren Zerfalls." Im Innern der US- amerikanischen Gesellschaft sehen viele Weiße die amerikanischen Grundwerte durch die starke Einwanderung nicht-weißer Minderheiten bedroht. Die Veränderungen der ethnischen Zusammensetzung der US-Gesellschaft haben zur Folge, daß die Kräfte der sozialen Differenzierung und der politischen Fragmentierung wachsen. Diesen US-internen Clash of Civilizations übertrage Huntington auf die Weltpolitik, der innere Feind (die ethnischen Minderheiten) wird dem äußeren Feind (fremde Kulturen) gleichgesetzt. Damit könne das Zivilisationsparadigma als Ausdruck von Angst vor den äußeren und inneren Folgen der Globalisierung gewertet werden.

Huntingtons Kritiker werfen ihm vor, ein viel zu einfaches Weltbild zu konstruieren. Er ziehe viel zu grobe kulturelle Bruchlinien und vor allem fordere er mit seinen Ausführungen den Westen zum Widerstand auf gegen eine angebliche Offensive des Islam. Was Huntington ausser acht lasse, seien die globalen Destruktionskräfte des durch die Globalisierung entfachten "neomodernen Imperialismus", der westliche Wertesysteme und die Folgen des grenzenlosen Kapitalismus in alle Teile der Welt exportiere, von denen die meisten darauf nicht vorbereitet seien. Das geht so weit, daß einige Experten gegen Huntingtons Thesen anführen, es gäbe nur noch eine einzige Zivilisation, nämlich die des kapitalistischen Systems, und die gesellschaftlichen Konflikte seien Bürgerkriege ganz neuer Art. In dieser neuen universalen Zivilisation werde es keine Kriege mehr zwischen einzelnen Nationen oder Zivilisationen geben, sondern, bei ständig wachsender sozialer Ungleichheit, zunehmend gewalttätige Konfrontationen zwischen Insidern und Outsidern, zwischen Gewinnern und Verlierern der neuen Herrschaft der freien Märkte.

4. Fazit

Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Vermischung aller Einflüsse aus allen Gesellschaften. Dieses Ineinander vermischt sich immer schneller im Zeitalter der Globalisierung mit der Verbreitung des westlichen Städtemodells, der allgemeinen Übernahme der westlichen Staatsform und vor allem mit dem Siegeszug der Massenmedien und der Massenkommunikation, die dafür sorgen, daß in allen Teilen der Welt identische Verhaltensmuster sowie Konsum- und Unterhaltungsnormen propagiert werden. Damit entsteht weltweit eine immer einheitlichere Vorstellungswelt.

Ein Kampf der Kulturen, wie ihn Samuel Huntington oder Bassam Tibi vorhersagen, ist nicht in Sicht. Bei genauer Betrachtung erweisen sich die politischen Konflikte, die es heute in der Welt gibt, als Konfrontationen mit einer Vielzahl von Ursachen. Sie besitzen durchaus eine bedeutende kulturelle Komponente, doch Kultur tritt immer erst hinzu, wenn bereits ein Konflikt besteht. Dieser Konflikt ist meist ökonomischer oder machtpolitischer Art.

Indem die Verfechter des "Clash of Civilization" die globalen Destruktionskräfte des sich im Zuge des Globalisierungsprozesses ausbreitenden neoloberalen Kapitalismus aus dem Blickfeld verdrängen, definieren sie Gewalt rein als kulturelle Gewalt. Damit wird die von ihnen vorgenommene Interpretation der Weltpolitik extrem einseitig und läßt die entscheidenden Faktoren zur Entstehung von Konfrontation außen vor. Es ist nicht abzustreiten, daß Kultur als Mittel zur Bildung von Identität in modernen Konflikten eine bedeutende bis maßgebliche Rolle spielt. Doch eine "Rückkehr zu den Quellen", eine Rückbesinnung auf traditionale Wertvorstellungen findet immer erst dann statt, wenn eine Gruppe, ganz gleich wie stark sie ist, ihre ökonomischen Grundlagen und/oder ihre politische Macht bedroht sieht. So werden soziale Konflikte zu kulturellen Konflikten. Sicher ist, daß durch die Globalisierung neue Nationalismen heraufbeschworen werden. Der Globalisierungsprozeß erzeugt eine fortschreitende soziale Differenzierung in Gewinner und Verlierer. Sie findet sowohl zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen innerhalb der Industriestaaten statt als auch zwischen den Industriestaaten und Entwicklungsländern. Mit zunehmender wirtschaftlicher Verflechtung und Einbeziehung zahlreicher Dritte-Welt-Länder in die Weltwirtschaft - auch wenn nur als "verlängerte Werkbank" - kommt es auf innerstaatlicher wie auf globaler Ebene zu einer Verschärfung der Verteilungskämpfe. Von der Globalisierung profitiert in den Entwicklungsländern nur eine hauchdünne Schicht gut ausgebildeter Arbeitnehmer. Als treffendes Beispiel wäre die indische Elektronik- Metropole Bangalore zu nennen, in der zahlreiche indische Computerfachleute zu im regionalen Vergleich sehr hohen Löhnen beschäftigt werden. Gleichzeitig werden aber die umliegenden Regionen vernachlässigt, somit weitet sich die soziale Differenzierung aus. Da durch die globale Massenkommunikation zahlreiche kulturelle Aspekte zwischen den verschiedensten Nationen ausgetauscht werden, kommt es leicht zu Abwehrreaktionen, die"...auf der einen Seite den Fundamentalismus und auf der anderen Seite den Fremdenhaß schüren."

Gleiches trifft für die Industrienationen zu, in denen eine wachsende Anzahl von Menschen ihre Arbeitsplätze an Billigarbeiter in den Entwicklungsländern abgeben muß. Es ist empirisch belegbar, daß in wirtschaftlichen Krisenzeiten die Fremdenfeindlichkeit größer wird. Hier wäre als Beispiel Sachsen-Anhalt zu nennen, wo deutschlandweit die höchste Arbeitslosenquote besteht und gleichzeitig rechtsradikale Parteien ihre größten Wahlerfolge einfahren. Die Migration aus der Peripherie in die Zentren der Weltwirtschaft, die in Zeiten der Globalisierung weiter zunehmen wird, kann hier leicht als Gefahr angesehen werden.

In beiden Fällen kommt es zu einer Rekulturalisierung. Im ersten Fall als sogenannter Entwicklungsnationalismus, im zweiten Fall als Nationalismus zur Besitzstandswahrung (Senghaas). Daß die reichen Staaten und die Gewinner der Globalisierung Angst haben vor einer Konfrontation mit den Verlierern, seien dies nun Nationalstaaten oder gesellschaftliche Gruppen, ist verständlich. Die Thesen von Samuel Huntington kann man als Ausdruck dieser Angst werten. Er beschwört die Gefahren, die der westlichen Kultur, - die derzeit weltweit politisch, ökonomisch und auch militärisch führend ist - von einem Aufstieg anderer Zivilisationen zu Weltmächten drohen. Seine Forderung nach einer scharfen Durchsetzung der weltpolitischen Interessen des Westens auch in Zukunft bestätigt, daß der "Kampf der Kulturen" als Ideologie fungiert, mit der die Gewinner der Globalisierung eine Konfrontation mit der Peripherie (sowohl von außen als auch von innen) frühzeitig abwehren wollen. Offensichtlich versprechen sich die Verfechter des Zivilisationsparadigmas davon auch eine Einflußnahme auf die Politik führender westlicher, vor allem US-amerikanischer Politiker.

Es besteht jedoch die Gefahr, daß der Zusammenprall der Kulturen damit erst recht zur Realität wird. Wenn nicht-europäische Völker dämonisiert werden, treibt man sie den Fundamentalisten regelrecht in die Arme, "...werden doch bei erfahrener Ablehnung durch die westliche Welt anti-westliche Werte attraktiv."

Der reale Kampf der Kulturen findet längst innerhalb der Gesellschaften in allen Ländern statt. Es handelt sich dabei vielmehr um ökonomischen Dualismus als um einen multipolaren zwischen einer Vielzahl von Kulturen.

Heute ist jeder Fleck der Erde ein Grenzgebiet. Niemand kann sich mehr in der Sicherheit einer geschlossenen Kultur wiegen, es ist kaum möglich, sich vor anderen Kulturen zu schützen. Die gegenseitige Durchdringung der Kulturen, die durch die Globalisierung weiter gefördert wird, bleibt dabei notwendig, damit es nicht zur Postulierung irgendeiner kulturellen, ethnischen oder religiösen Reinheit kommt. "Und auch, um zu verhindern, daß ein Westen, der sich in der Defensive wähnt, paranoische Allmachtsphantasien entwickelt."

Literatur

1. Attali, Jacques: Millenium, Gewinner und Verlierer in der kommenden Weltordnung, D ü sseldorf 1992

1. Betz, Joachim/Hein, Wolfgang: Globalisierung und der Weg zur Weltgesellschaft: Herausforderung aus dem S ü den - ein Problemaufri ß , in: NORD-S Ü D aktuell 3. Quartal 1996, S. 466-481

1. Caglar, Gazi: Der Mythos vom Krieg der Zivilisationen, Eine Replik auf Samuel P. Huntingtons "Kampf der Kulturen", Hannover 1997

1. Fricke, Dietmar: "Islamischer Fundamentalismus" und "Bev ö lkerungsexplosion", in: GEP 5 (1994) S. 728-737

1. Huntington, Samuel: The Clash of Civilisations? in: Foreign Affairs, 1993/3, S. 22-49

1. Huntington, Samuel: Kampf der Kulturen, Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, M ü nchen 1996

1. J ä ger, Thomas u.a. (Hrsg.): Regionale Gro ß m ä chte, Internationale Beziehungen zwischen Globalisierung und Zersplitterung, Opladen 1994

1. Martin, Hans-Peter/Schumann, Harald: Die Globalisierungsfalle, Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand, Reinbek 1998

1. Monath, H./Soldt, R: Der w ü ste Mahner, Interview mit dem US-Politologen Samuel Huntington, in: TAZ Nr. 4316 vom 18.5.1994, Seite 10

1. Ramonet, Ignacio: Krieg der Zivilisationen? in: Le Monde Diplomatique Nr. 4645 vom 16.6.1995, Seite 1

1. Senghaas, Dieter: Die fixe Idee vom Kampf der Kulturen, in: K. Peter Fritzsche/Frank H ö rnlein (Hrsg.): Frieden und Demokratie, Festschrift zum 60. Geburtstag von Erhard Forndran, Baden-Baden 1998

1. Senghaas, Dieter: Wohin driftet die Welt? Frankfurt am Main 1994 1. Tibi, Bassam: Krieg der Zivilisationen, Hamburg 1995

1. Tibi, Bassam: Strukturelle Globalisierung und kulturelle Fragmentierung, in: IP 1996/1 S. 29-37

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Der Kampf der Kulturen als Folge der Globalisierung?
Cours
Proseminar: Erklärungsmodelle internationaler Beziehungen
Note
1
Auteur
Année
1999
Pages
20
N° de catalogue
V95168
ISBN (ebook)
9783638078474
Taille d'un fichier
387 KB
Langue
allemand
Mots clés
Kampf, Kulturen, Folge, Globalisierung, Proseminar, Erklärungsmodelle, Beziehungen
Citation du texte
Jens Kayser (Auteur), 1999, Der Kampf der Kulturen als Folge der Globalisierung?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95168

Commentaires

  • invité le 3/3/2005

    kritik.

    lies mal erstmal "wolfsgessellschaft" von carl-friedrich berg, danach kannst du dadrueber disskutieren!

  • invité le 24/10/2002

    aktuell.

    gut und verstaendlich geschrieben, dachte v.a. bei der darstellung des konflikts islam - westliche welt an 11. september. also die kulturkomponente scheint sich doch als tragfaehig zu erweisen, aber ist sie jetzt haupt-konflikt-ursache oder spielt sie in einem anders ausgeloesten konflikt nur mit. von Bassam Tibi habe ich vor laenderer zeit schon mal ein buch gelesen, worin er meint, dass sich der fundamentalismus und die ablehnung des westens verstaerken wuerde. das scheint ja einzutreten. wieder woanders habe ich mal gelesen, dass der fundamentalismus eine reaktion auf die versagte entwicklung sei. also bei islam- westen doch wieder wirtschaftliche globalisierung als ausloeser? das passt in anderer form auch wieder auf Iraq: kampf um energieresourcen, doch diesmal ohne kultur: die Iraqi hassen nicht die westliche kultur, sind nicht fundamentalistisch.

  • invité le 18/6/2001

    Der Kampf der Kulturen als Folge der Globalisierung?.

    Lesenswert - besonders für Abiturienten, die als mündliches Prüfthema Globalisierung und Huntington bewältigen müssen. Aber auch für jeden, der sich über die Lage der Welt Gedanken machen mag. Allerdings muss man wie für beinahe jede wissenschaftliche Arbeit Lese-Ausdauer mitbringen - "Beinahe-Wiederholungen"!

  • Etwas einseitig gegen Huntington, doch gut geschrieben und äußerst lesenswert.

    Der Autor läßt die Gegner Huntingtons Clash of Civilizations-Ansatzes recht einseitig zu Wort kommen. Die Arbeit ist jedoch gut geschrieben, gibt einen informativen Überblick und ist somit dennoch äußerst lesenswert.

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