Tauschringe im Kontext gesellschaftlicher Transformation. Von der ergänzenden Nebenökonomie zur wachsenden Versorgungsautarkie?


Bachelorarbeit, 2017

67 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichni

Hinweis

Vorwo

1. Einleitung
1.1 Impulsgebende und verortende Worte
1.2 Problemdarstellung
1.3 Fragestellung, Zielsetzung und Erkenntnisgewinn

2. Heranführung an den Gegenstand
2.1 Spezifikation des Problems
2.2 Spezifika und historische Beleuchtung von Tauschringen
2.3 Normative Einbettung

3 Barrieren und Bedingungen
3.1 Int
3.1.1 Trittbrettfahrertum und opportunistische Verhaltensweisen
3.1.2 Relevanz von sozialen Kompetenzen und Einzelpersonen
3.1.3 Motive und Mitglieder von Tauschringen: Hetero- oder Homogenität?
3.1.4 Aktivität und Größe
3.1.5 Erstes Zwischenfazit
3.2 Extern
3.2.1 Kategorisierung
3.2.2 Sozioökonomische und -kulturelle Rahmenbedingungen
3.2.3 Politische und rechtliche Rahmenbedingungen
3.2.4 Zweites Zwischenfazit

4. Potenziale und Entwicklungspfade
4.1 Int
4.1.1 Konzeptionelle Notwendigkeiten
4.1.2 Unternehmerische Entwicklungspfade
4.2 Extern
4.2.1 Strategie und Zusammenwirken verschiedener Entwicklungspfade
4.2.2 Politisches Handeln

5. Fazit: Das Transformationspotenzial von Tauschringen, Ausblick und

Reflexio

Literatu

„Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht, als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein.“

Smith, Adam (1994, orig. 1759): Theorie der ethischen Gefühle. Hamburg: Meiner, S. 1 f.

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Motive der Partizipation an Tauschringen

Tabelle 2: Kennzeichnende Merkmale der Gemeinschaftswährungen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Der einfache Wirtschaftskreislauf mit Modifizierung

Hinweis

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die zusätzliche Formulierung der weib­lichen Form mehrheitlich verzichtet. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstan­den werden soll und auch immer das feminine Geschlecht impliziert.

Vorwort

Der Mehrzahl der Ökonominnen und Ökonomen mag die eingangs zitierte Aussage in der Bachelorarbeit eines Wirtschaftsstudenten überraschen, gar fehl am Platz erschei­nen. Auch der Urheber der Aussage könnte für Verblüffung sorgen, ist er doch für scheinbar gegensätzliche Aussagen und Themenfelder bekannt. So scheint das Zitat auch mit der Frage im Gegensatz zu stehen, die der Antrieb für diese Arbeit ist: Wie funktioniert Wirtschaft? Denn diese Frage veranlasste mich zu der Wahl meines Studi­enfachs. Was soll diese Frage mit der zitierten Aussage zu tun haben? Womöglich bietet die vorliegende Arbeit Aufschluss. Doch einen Hinweis möchte ich schon an dieser Stelle geben. Mit seinem Werk „The great transformation“ gab Karl Polanyi mir eine bis dahin völlig unbekannte Antwort auf meine , Studienfrage’. Der ökonomische Tausch funktionierte in etlichen Kulturen, Jahrhunderte lang ohne einen universellen Markt, indem reziproke Austauschverhältnisse innerhalb von Völkern und über Völker­grenzen hinweg aufrechterhalten wurden (Polanyi 1977, orig. 1944). Die viel bekann­tere Aussage Smiths, welche die „unsichtbare Hand des Marktes“ (Smith 1776) als die Erklärung für meine Frage heranzieht, scheint also mitnichten die einzige Antwort zu sein.

Bevor in diese allgemeine Frage spezifischer eingetaucht wird, möchte ich mich bei einigen Menschen bedanken. Allen voran bei meinem Mentor Lars Hochmann, der mir den Raum dafür gab, meinem Anliegen zu folgen, mir entscheidende Impulse gab und mich dabei gleichsam soweit zurechtwies, wie es notwendig war. Dann möchte ich mich bei meiner großen Schwester Hannah Lewald bedanken, die mir das Selbstvertrauen gibt, Projekte wie eine Bachelorarbeit anzugehen. Außerdem möchte ich mich bei mei­nem besten Freund Fynn Arvid Ackenhausen bedanken, der in mir einerseits die Neu­gier auf allerlei Fragen dieser Art und andererseits die Leidenschaft, immer wieder neue Antworten zu suchen, weckt, auf dass wir diese weiterhin gemeinsam finden. Durch all diese Menschen (und natürlich weitere) konnte ich viele tolle Gedanken aufgreifen und auch den einen oder anderen selber entwickeln, auf dessen Resultat ich, um ehrlich zu sein, etwas stolz bin. Abschließend möchte ich mich noch bei Marius Rommel und Herrn Frebel für die wertvollen Anmerkungen bedanken.

Beim Schreiben dieses Vorworts komme ich mir etwas anmaßend vor, denn schließlich handelt es sich hier lediglich um eine Bachelorarbeit. Ohne diesen Umstand schönreden zu wollen, also im vollen Bewusstsein der wirklichen Tragweite dieser Arbeit, ist doch für mich persönlich immer das, was ich zu der jeweiligen Zeit tue am wichtigsten, wes­halb es mir selbst für den Moment ganz besonders und bedeutsam erscheint.

1. Einleitung

1.1 Impulsgebende und verortende Worte

Diese Bachelorarbeit fällt in eine Zeit der Krisen. Obgleich jede Zeit, zu der Menschen leben, von gewissen Herausforderungen geprägt ist, erscheint uns die aktuelle Krise un­heimlich, unüberwindbar, schlimmer denn je. Doch welche Krise sollte uns auch un­überwindbarer erscheinen als jene, die uns Menschen in diesem Moment beschäftigt (Blom 2017)? Die Größe der Krise führt zu einer entsprechenden Fülle an Antworten. Nie wurde so viel von Innovation gesprochen (Howaldt und Schwarz 2010); jeder scheint die Lösung parat zu haben, mindestens jedoch einen klugen Spruch: „man müsste...“, „man hätte...“, „man sollte ganz einfach...“. Doch im Wirr der Antworten geht eine entscheidende Frage unter: Was ist überhaupt das Problem? Wenn auch die Beantwortung dieser Frage nicht Sinn dieser Arbeit ist, mag es sein, dass sich dennoch der ein oder andere Hinweis offenbaren wird. Sollte es der Fall sein, könnte das maß­geblich vom folgenden Werk geprägt sein. Lars Hochmann machte unlängst einen Ver­such, sich einer Beantwortung dieser entscheidenden Frage anzunähern und entwickelte dabei mitunter den begründeten Verdacht, Verkopfung, Gefühllosigkeit und Leblosig­keit in den (Wirtschafts-)Wissenschaften könnten wesentliche Pfeiler des Problems sein (Hochmann 2016). Die Vergewaltigung von menschlicher und außermenschlicher Na­tur (Hochmann 2016, S. 293 ff.), die wir alle beobachten können, vermögen wir nach seiner Diagnose deshalb auch nicht als solche wahrzunehmen, sodass das Problem ober­flächlich als Sicherung der materiellen Lebensgrundlagen des Menschen verstanden wird. Aufgrund dieses fehlenden Problembewusstseins kommt es unweigerlich dazu, dass der Großteil all der ambitionierten Lösungsvorschläge bei genauerem Hinschauen als „Eskalation des schon Dagewesenen“ (Hochmann 2016, S. 303) einzustufen ist. Die Lösungen in der „drastischen Reproduktion ihrer Ursachen“ (Hochmann 2016, S. 306) zu sehen, sei demnach „bestenfalls zum Scheitern verurteilt“ sind (Paech 2014, S. 11). Doch es ist Bewegung in den (Wirtschafts-)Wissenschaften. Unter dem Schlagwort ei­ner „Transformativen Wirtschaftswissenschaft“ (Pfriem, Schneidewind u.a. 2017) ma­chen sich Ökonominnen und Ökonomen auf, das Problem bei der Ursache zu greifen und neue Wege zu gehen. Dieser Strömung folgt auch die vorliegende Bachelorarbeit. Im ersten Schritt sollen dabei, wie es sich für kritische Wissenschaft gehört, kurz die Werthaltungen klargestellt werden, von deren (vorübergehender) Gültigkeit ich ausgehe (Hochmann 2016, S. 34): mein Verständnis von Mensch, Welt und Wissenschaft. In einem Satz zusammengefasst drückt es folgendes Zitat aus, wie ich diese Welt sehe:

„Wenn es ein A priori dieser Welt gibt, dann wohl dasjenige, das uns die Augen öffnet für die Ambivalenz und Kontingenz realer Phänomene.“ (Hochmann 2016, S. 93)

Es gibt also keine Wahrheit, nur Wahrheiten. Jene Komplexität und Heterogenität der wirklichen Erscheinungen anzuerkennen und dennoch den Versuch zu wagen die Rea­lität in Worte zu fassen, zu begreifen oder gar verändern zu können, ist demnach die Zumutung bzw. der Versuch, den Wissenschaft begeht (ebd., S. 31 ff.). Ebenso komplex ist selbstverständlich auch das Phänomen Mensch, dessen Handeln im Mittelpunkt der Untersuchung dieser Bachelorarbeit steht. Doch auch hier bin ich auf zwei Gedanken gestoßen, die dieses in meinen Augen gut zu greifen wissen: erstens das Bild eines „[...] entwicklungsfähigen Menschen, der seine Makel, die inneren und äußeren, erkenn und daran arbeiten kann und will, zugleich jedoch unfähig ist, diese ohne weiteres abzustellen, geschweige denn abkehrend zu optimieren.“ (Hochmann 2016, S. 111)

Ein wesentlicher Einflussfaktor auf dieses fluide Wesen ist er selbst, seine Mitmen­schen, denn er ist zweitens ein „soziales Geschöpf“ (Chomsky 2016, S. 132). Er handelt also, wie Smith sagt, nicht bloß egoistisch, sondern achtet auch darauf, was der andere tut und fühlt. Und was der andere tut und fühlt, hängt wiederum „entscheidend von den gesellschaftlichen, kulturellen und institutionellen Bedingungen [...]“ (ebd.) ab, die ihn umgeben. Um ein möglichst gutes Verständnis vom Gegenstand, vom Problem und ei­ner Lösung entwickeln zu können, werden in dieser Arbeit deshalb Ansätze und Er­kenntnisse aus den folgenden drei Disziplinen eingebracht: Wirtschaftswissenschaften („das Nützliche), Soziologie („das Wirkliche), Philosophie („das Gute“). Denn was nützt es mir, die Wirklichkeit zu erkennen , wenn ich sie nicht mit meinen Vorstellungen des Guten abgleiche und daraufhin versuche zu verändern (Hochmann 2016, S. 116, 325 ff.)?

Nun ist die Basis dafür geschaffen, im nächsten Kapitel eine spezifische Ausprägung der Krise, in der die Menschheit sich momentan befindet, zu formulieren, sodass eine Lösung in Anschlag gebracht werden kann (Abschnitt 2), die im Abschnitt 3 auf Barri­eren und Bedingungen hin untersucht und daraufhin in Abschnitt 4 weiterentwickelt wird. Münden werden diese Schritte in einer Einschätzung des Veränderungspotenzials des Lösungsvorschlags.

1.2 Problemdarstellung

Diese Arbeit nimmt seinen Anfang beim Problem des Konsumismus. Eine Endlos­schleife aus Erwerbsarbeit und Konsum, welche das westliche Fortschritts- und Versor­gungsmodell bildet, vereinnahmt den wesentlichen Teil der Zeit des Einzelnen. Konsum hat durchaus positive Seiten, eine gewisse materielle Ausstattung ist schließlich Grund­voraussetzung zum Leben.1 In seiner eskalierten Form führt er heutzutage allerdings dazu, dass all die gekauften Dinge zu einem großen Teil gar nicht mehr konsumiert werden können, zumal die Zeit des einzelnen Menschen dafür nicht ausreicht (Sommer und Welzer 2014, S. 20). Eine wachsende Zahl von Gütern, die produziert werden müs- sen,2 stehen einem konstanten Zeitkontingent gegenüber. Die Lösung dieses Problems liegt dann darin, dass der Großteil des Konsumaktes im Kaufen der Gegenstände besteht und nicht mehr in ihrem Verbrauch. An dieser Stelle wird Konsum zu Konsumismus und somit zur „Zeitkrankheit“ (De Graaf, Naylor u.a. 2002), wie im Weiteren näher ausgeführt.

Die Versorgung basiert auf der Kombination von hochspezialisierter Arbeit mit dem Fremdbezug von Gütern und Dienstleistungen. Das ist an sich nicht problematisch. Zu­nächst bedeutete die kommerzialisierte Fremdversorgung Tauschgerechtigkeit und der durch die Spezialisierung ermöglichte zunehmende Wohlstand war mit enormen indivi­duellen Freiheitsgewinnen und Entfaltungsmöglichkeiten verbunden. Jedoch verselbst­ständigte sich der Prozess,3 sodass neben den einstmaligen Errungenschaften zusehends Schattenseiten identifiziert werden, die es aus Sicht diverser Wissenschaftler anzugehen gilt (Pfriem 2015, S. 87, Paech 2014, Sommer und Welzer 2014).

Heute ist die Fremdversorgung soweit vertreten, dass handwerkliche Fähigkeiten ver­kümmern, Selbstversorgung diskriminiert wird, gar unmöglich scheint und damit auch Selbstwirksamkeit selten erfahrbar ist. Die daraus resultierende Abhängigkeit steht im Gegensatz zur Individualisierung, die so weit fortgeschritten ist, die Individuen so indi­viduell und ,unabhängig' voneinander sind, dass Verbindungen gekappt sind und eine zunehmende Vereinsamung zu beobachten ist. Im „Hamsterrad der Selbstverwirkli­chung“ (Paech 2014) verliert das Individuum völlig die Orientierung, Depressionen nehmen zu: der Soziologe Alain Ehrenberg (2004) spricht vom „erschöpften Selbst“. Den Zustand einer solchen Gesellschaft beschreibt Fromm (1976, S. 15) folgenderma­ßen:

„Wir sind eine Gesellschaft notorisch unglücklicher Menschen: einsam, von Ängsten gequält, deprimiert, destruktiv, abhängig - Menschen, die froh sind, wenn es ihnen gelingt, die Zeit totzuschlagen, die sie ständig zu sparen versu­chen.“

Die besondere Problematik am Konsumismus liegt also in seinen Folgen für das Zu­sammenleben von Menschen. Im sozialen Leben nimmt der Einzelne vornehmlich die Rolle des „konsumtorischen Subjekts“ (Pfriem 2011b) ein. Im Supermarkt an der Kasse zu stehen, Geld und Besitz anzuhäufen oder das eigene Auto mit dem seines Nachbarn zu vergleichen, sind auch Formen von Sozialität, doch welche Qualität haben diese? Durch die umfassende Transformation sozialen Handelns in Konsum kommt es zu einer passiven Lebensweise, die Erich Fromm (1976) ausführlich beschreibt und als „Haben­modus“ bezeichnet. Ihm zufolge entspräche sie lediglich einem Teil der Natur des Men­schen, seinem Überlebensinstinkt, während sie den anderen wichtigen Teil verdränge: seinem Streben nach „Eins-Sein“, seinem Bedürfnis „zu geben, zu teilen, zu lieben“ (ebd., S. 101 ff.). Hierfür ist in einer Gesellschaft, die vornehmlich Haben, Konkurrenz und Aneignung praktiziert, allerdings kein Platz. Diese Qualität von Sozialität, die in einem endlosen materiellen Steigerungswettbewerb mündet, verdrängt also einen wich­tigen Faktor eines guten Lebens (Pfaller 2011, S. 37, 44, Skidelsky und Skidelsky 2013, S. 132).

Zusammenfassend soll die Problematik noch einmal mit einem Bild verdeutlicht wer­den. Die Konsumgesellschaft besteht aus passiven, voneinander getrennten Individuen, die alle nur Zuschauer des um sie herum inszenierten Films sind, der sich bis in die Unendlichkeit immer überladener und schneller dreht. Angesichts dieses kruden Indivi­dualismus, dieser Beziehungslosigkeit - zur Welt, zur Natur, zu den Mitmenschen - dieser seelischen Verarmung - macht Wilson (2006, S. 91) den Vorschlag, die momen­tane Epoche „Eremozoic Era - the Age of Loneliness“ zu nennen.

1.3 Fragestellung, Zielsetzung und Erkenntnisgewinn

Das westliche Versorgungsmodell beruht also auf Praktiken, die in Richtung Gegenei­nander, Abhängigkeit und Vereinsamung weisen. Es stellt sich daher die Frage, wie ein Versorgungmodell aussehen könnte, welches diese Symptome adressiert. Anders ge­fragt: wie könnten sozioökonomische Strukturen aussehen, die dem Individuum Raum zu aktiver Entfaltung geben und dabei den Sinn für Kollektivität erhalten? Von der Wis­senschaft entdeckt und von Aktivisten in praxi getestet, tun sich bereits vielverspre­chende Lösungswege auf. Eine dieser Lösungen stellen Tauschringe dar. Dieses alter­native oder ergänzende4 sozioökonomische System wird von Beteiligten und wenigen Wissenschaftlern5 als hoffnungsvoll gesehen. Es ist allerdings unklar, inwiefern die as­soziierten Ziele erreicht werden, bzw. ob gesamtgesellschaftliche Relevanz erlangt wer­den kann. Damit eröffnen sich die für diese Bachelorarbeit zentralen Fragestellungen: Welche Barrieren verhindern ihre Verbreitung? Welche Kräfte wirken dagegen? Um einer Beantwortung näher zu kommen, ist gleichfalls interessant, welche Ziele sie über­haupt verfolgen, welche Arten es gibt und wie sie sich von anderen alternativen Syste­men abgrenzen. Tauschringe sind beispielsweise eng verwandt mit Regionalwährungen. Auf diese wird in der vorliegenden Arbeit zwar nicht genauer eingegangen, jedoch auf ihr Verhältnis, welches durchaus interessante Implikationen im Zusammenhang der Chancen von Tauschringen zulässt.

Daran schließt sich auch die Frage an, inwiefern sich Tauschringe vom bisherigen Wirt­schaften unterscheiden. Tauschringe sind, genauer gesagt, Formen der wirtschaftlichen und sozialen Interaktionen von Haushalten (Heinze 2000, S. 349). Ihre Rolle wird im wissenschaftlichen Diskurs deshalb bereits als sehr beschränkt verortet. Dem vorherr­schenden Paradigma in der Forschung nach können Tauschringe die „formelle Ökono­mie“6 in keiner Weise ersetzen können (Offe und Heinze 1990, S. 271 ff.). Das ist an­gesichts ihrer Eigenschaft als Zusammenschluss privater Haushalte, sowie der mangelnden Verbreitung von Tauschringen eine realistische Annahme. Weiterhin im­pliziert diese These, dass nicht annährend Versorgungsautonomie angestrebt werden kann, was aus denselben Gründen legitim ist. Im Kontext einer gesellschaftlichen Trans­formation stellt sich an dieser Stelle allerdings die Frage, welche Vorteile Tauschringe dann überhaupt bürgen. Denn Welzer und Sommer (2014, S. 68, 215, 219) argumentie­ren in diesem Kontext, dass die derzeit notwendige gesellschaftliche Transformation eben nur Gestalt annähme, wenn sich erstens alternative soziale Praktiken herausbilde­ten, die zweitens autarke Versorgungssysteme hervorbrächten und in der Konsequenz eine wachsende Unabhängigkeit und damit eine Verschiebung von Herrschaftsverhält­nissen zur Folge hätten. Bloße „ergänzende Nebenökonomien“ (Wagner 2009, S. 250, Offe und Heinze 1990, S. 308) wären in diesem Kontext sinnlos, weil sie die „formelle Ökonomie“ nicht tangieren. Eben dieses Problem ist jedoch für die Transformationsfor­schung zentral: wie können vorherrschende ökonomische Regime, die „formellen Öko­nomien“, verändert werden? Anhand der Transformationsforschung werden Tausch­ringe in dieser Arbeit untersucht. Der von führenden Wissenschaftlern postulierte Annahme, sie könnten die „formelle Ökonomie“ nicht ersetzen, wird dabei zwar nicht widersprochen, zumal sie der vorliegenden Empirik entsprechen. Gleichwohl wird ver­sucht, diese These dahingehend weiterzuentwickeln, dass ihre Relevanz hinsichtlich ei­ner gesellschaftlichen Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft in den Blick gerät. Die formulierte, zentrale Frage nach Barrieren wird, an die Transforma­tionsforschung angelehnt, durch zwei spezifische Fragen konkretisiert. Das Kapitel der internen Barrieren fragt nach der Qualität der sozialen Praxis, während die externen Barrieren nach Veränderungen von Herrschaftsverhältnissen sucht. Zusammengefasst: Inwieweit handelt es sich um eine soziale Praktik, die es vermag, Abhängigkeiten zu reduzieren, oder anders: inwieweit bieten Tauschringe eine Alternative zur konsumto­rischen Versorgung? Weitergehende Fragen wären dann: Wie kann diese unter dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung weiterentwickelt werden? Wie kann eine dafür notwendige Verschiebung von Herrschaftsverhältnissen erreicht werden?

Ziel dieser Untersuchung ist es also, den Bedingungen und Möglichkeiten und damit dem Transformationspotenzial von Tauschringen auf den Grund zu gehen. Sollten un­überwindbare Grenzen vorliegen, oder gar keine Herrschaftsverhältnisse tangiert wer­den, müsste die Sinnhaftigkeit von Tauschringen abgelehnt werden. Es wird damit ge­prüft, ob sie tatsächlich eine vielversprechende Lösung sind. Damit schwingt auch die allgemeinere Frage mit, welche Kräfte notwendig sind für gesellschaftliche Verände­rung. Das von mir erhoffte Ergebnis dieser Arbeit läge darin, Tauschringe als eine Säule von Heterotopien einzuordnen, die eine wachsende Versorgungsautarkie ermöglichen und somit jene gesellschaftliche Transformation voranbringen. Daran anschließend lie­ßen sich Entwicklungspfade und konkrete Handlungsempfehlungen für verschiedene Akteure ableiten, die sich einer solchen gesellschaftlichen Transformation widmen (z.B. Aktivisten, Politiker oder Unternehmer).

Das kann abschließend in einer These zusammengefasst werden: Tauschringe stellen eine sinnvolle, alternative soziale Praktik der wirtschaftlichen Interaktion von Privat­haushalten dar, die Tendenzen der Vereinsamung und Diskriminierung von Selbstver­sorgung entgegenwirken und so einen Beitrag zur Transformation in eine nachhaltigere Gesellschaft leisten.

2. Heranführung an den Gegenstand

Um eine erste Annäherung an einen komplexen Gegenstand zu ermöglichen, wird das Problem spezifiziert, ein kurzer Überblick über Tauschringe geschaffen sowie ein rah­mengebendes Konzept eingeführt.

2.1 Spezifikation des Problems

Damit eine mögliche Antwort auf diese Fragen in Anschlag gebracht werden kann, soll zunächst das Problem nochmals spezifiziert werden, indem auf die Frage nach der Qua­lität der Sozialität näher eingegangen wird. Gedrängel an der Kasse, Neid auf den Besitz der Mitmenschen, Anhäufen von Reichtum: diese alltäglichen Praktiken werden durch Misstrauens- und Konkurrenzdenken geprägt. Durch Wahrnehmung des anderen als Gegner werden allerdings die „zentralen menschlichen Lustmöglichkeiten“ genommen, denn diese sind an „Bedingungen der Geselligkeit“ (Pfaller 2011, S. 37) geknüpft. Schließlich bedeutet ein gutes Leben für das soziale Wesen Mensch „ein Leben in Ge­sellschaft mit anderen“ (Skidelsky und Skidelsky 2013, S. 132). So verbindet die Indi­viduen in ihrem Streben nach sozialem Anschluss paradoxerweise vor allem eines: ihr gegenseitiger Antagonismus (Fromm 1976, S. 107 f.). Doch warum genau wird konsu­miert? Hierin liegt die Krux, woraus sich ein Ansatz zur Lösung des Problems ableiten lässt. Bereits Veblen (1986, orig. 1899) erklärte dieses Phänomen mit dem Konzept des „demonstrativen Konsums“. Demnach würde eben nicht nur konsumiert, um materielle Bedürfnisse zu befriedigen, sondern hauptsächlich zur persönlichen Identifikation und zur Wahrung einer sozialen Stellung. Es wird also konsumiert, um sozial anschlussfähig zu bleiben. Neueste Erkenntnisse gehen noch darüber hinaus. Demnach würden durch den Konsum Ohnmachtsgefühle und Unsicherheitserfahrungen kompensiert, die sich in Folge zunehmender Erwerbsarbeit, Flexibilisierung und wachsender Ungleichheiten er­geben (Fischer und Sommer 2011, S. 185). Im Ausgleich zur entfremdeten Arbeit macht der Konsum Wirkungsmacht erfahrbar (ebd.). So entsteht eine Schleife aus Konsum und Erwerbsarbeit, die ihre gravierende Problematik darin entfaltet, dass die Befriedigung des Sicherheitsbedürfnisses bereits während des Kaufaktes ihren Höhepunkt erreicht und nicht während der Nutzung des Produkts (Fischer und Sommer 2011, S. 186). Kon­sumismus meint also eine Entzweckung des Konsums. Fischer und Sommer (ebd., S. 188 f.) folgern, dass gerade in diesem sozialen Grund für Konsumismus auch Hoffnung auf Veränderung liegt, denn er dient eben nicht der Befriedigung „elementarer physi­scher Bedürfnisse“ (ebd., S. 189), die kaum beeinflusst werden können. Das Streben nach sozialem Anschluss ist ebenso wenig veränderlich, wohl aber die Art, wie dieses Bedürfnis befriedigt wird. Andere Strukturen, die andere Praktiken des sozialen An­schlusses beinhalteten, würden daher potenziell eine Lösung des Konsumismus-Prob- lems auf Sicht kommen lassen.

Diese Erkenntnis lässt sich auch und gerade vonseiten der Diskussion um nachhaltigen, verantwortungsvollen Konsum gewinnen und damit unterstützen. In seiner identitäts­stiftenden Funktion scheint Konsum auch auf diese Ebene übertragbar. Durch Kauf von ressourcensparenden Produkten, etwa einem „3-Liter-Auto“ (Paech 2014, S. 73), ver­mag der Konsument sich selbst als „nachhaltig“ zu präsentieren. Für die Einstufung, ob er tatsächlich (mehr oder minder) „nachhaltig“ lebt, ist vielmehr die Nutzung des Ge­genstands ausschlaggebend. Paech (2014, S. 97 ff.) schlägt deshalb vor von der Objekt- zur Subjektorientierung, also zur Nachhaltigkeitsbewertung anhand von Lebensstilen, überzugehen.

Nun ist deutlich geworden, was Pfriem (2011b, S. 102 ff.) folgendermaßen auf den Punkt bringt. Es gilt im Gegensatz zu den im Mittelpunkt der Nachhaltigkeitsdebatte stehenden „Alternativen im Konsum“ (Bio-Lebensmittel, energiesparende Häuser, Au­tos, usw.) Antworten in „Alternativen zum Konsum“, zu suchen, die im Gegensatz zum passiven Konsum stehen. Es geraten damit Tätigkeiten in den Blick, die Wirkungsmacht und sozialen Anschluss bieten, die also sinn- und identitätsstifend sind. Damit sind nicht irgendwelche Tätigkeiten gemeint, nur um irgendwie aktiv zu sein (Skidelsky und Skidelsky 2013, S. 22), sondern jene, die der persönlichen Neigung des Individuums entspringen, denn „Sinn bedeutet Tätigkeit ohne äußeren Zweck“ (ebd., S. 21). Diese Aktivitäten zielten insbesondere darauf ab, sozialen Anschluss zu bieten.

2.2 Spezifika und historische Beleuchtung von Tauschringen

Die Darstellungen des Problems machen deutlich: es bedarf alternativer sozialer Prak­tiken, die Raum für Miteinander bieten sowie sinn- und identitätsstiftend sind. In diesem Kontext scheinen Tauschringe ein hoffnungsvolles soziales Phänomen zu sein. Zum Einstieg wird der Gegenstand nun grob beleuchtet. Dabei wird zum einen die aktuelle mehrheitlich vertretene Meinung der Wissenschaft zu ihrer Sinnhaftigkeit dargelegt und zum anderen erfolgt eine kurze historische Einbettung. Dies dient lediglich der ersten Annäherung an ein soziales Phänomen, das zwar nur schwer greifbar, doch deshalb nicht weniger lohnenswert ist.

Tauschringe (im Englischen LETS) sind eine Form lokaler Austauschnetzwerke.7 In Zusammenschlüssen von 50 bis 1200 Personen (in Deutschland) werden mithilfe einer eigenen Verrechnungseinheit, die z. T. an Landeswährungen angelehnt sind, Güter und Dienstleistungen getauscht (Kristof, Nanning u.a. 2001). Meistens jedoch (Deutschland: in 70 Prozent der Fälle) dient eine Zeitwährung zur Verrechnung, wobei die geleisteten Stunden gleichwertig sind, unabhängig von der ausgeübten Tätigkeit (Köstler 2007, S. 394). Wie werden dann Güter ausgetauscht? Dieses Problem ergibt sich in den meisten Fällen nicht, zumal Tauschringe stark dienstleistungsorientiert sind (Kristof, Nanning u.a. 2001, S. 5) und wird ansonsten durch Kombination mit Zahlung der Materialkosten durch Bargeld gelöst. Damit stehen Tätigkeiten im Vordergrund, die zwar hauptsächlich unprofessioneller Art sind, gleichwohl entsprechen sie den für eine Lösung des Konsu- mismus-Problems formulierten Anforderungen, denn sie basieren auf persönlichen Fä­higkeiten und Neigungen. Offe und Heinze (1990, S. 309 f.) sprachen hierbei von „vo­raussetzungslosen Jedermannstätigkeiten“.8 Es werden deshalb zwar die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und die Aktivierung von Selbsthilfe betont, ihr allerdings keine Er­setzung der formellen Wirtschaft zugetraut. Vielmehr postulierten Offe und Heinze be­reits 1990 (S. 308), dass Tauschringe allenfalls „ergänzende Nebenökonomien“ seien. Von aktueller Forschung aus dem deutschsprachigen Raum wurde das bestätigt (Wagner 2009, S. 251). Gleichwohl sehen sie in ihnen eine „soziale Technologie“ (Heinze 2000), welche Herausforderungen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik begeg­nen könnten. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wurden im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen erste Tauschringe in Deutschland getestet und untersucht (Offe und Heinze 1990, S. 11), was eine Gründungswelle initiierte.

Die Idee von lokalen Tauschsystemen ist nicht neu. Ihre Vorläufer finden sich in Theo­rien aus dem 19. Jahrhundert (wichtigste Denker: Owen, Proudhon und Gesell), die aus sozialer Notlage und Kritik am Geldsystem heraus entstanden. Gesells Freigeldtheorie bietet dabei die umfassendste Arbeit.9 Diese sah die Eigenschaften des Geldes, die zu Spekulation und Ungleichheiten führen, als die wesentliche Ursache für wirtschaftliche und soziale Verwerfungen. Um diesen entgegenzuwirken, sollte Geld auf seine Tausch­funktion reduziert werden, indem es nur lokal handelbar ist und nicht verzinst wird, sodass u. a. die Umlaufgeschwindigkeit erhöht wird. Das bekannteste Beispiel für frühe Freigeldexperimente ist die Tiroler Gemeinde Wörgl, die während der Weltwirtschafts­krise in den 1930er Jahren sogenannte „Arbeitsbestätigungsscheine“ einführte. Löhne aus der öffentlichen Hand wurden in dieser Währung ausgezahlt und man konnte in nahezu allen Geschäften Wörgels damit einkaufen. Der Versuch dauerte 14 Monate an, bis das Notgeld von der österreichischen Zentralbank verboten wurde. Während dieses Zeitraums stieg die Arbeitslosigkeit in Österreich um 10 Prozent an, wohingegen sie in Wörgl um 25 Prozent sank (Kristof, Nanning u.a. 2001, S. 18). In der Nachkriegszeit um 1945 wurden solche Systeme ebenfalls eingesetzt. Sie verschwanden allerdings mit der positiven wirtschaftlichen Entwicklung (Wagner 2009, S. 32). Dann tauchten sie 1983 in Kanada wieder auf. In einer kleinen Stadt führte Michael Linton die „Green Dollars“ (Wagner 2009, S. 35) ein, die an den kanadischen Dollar angelehnt, jedoch nicht konvertierbar waren. Innerhalb des Systems geleistete Arbeiten wurden in dieser Währung entlohnt, was insbesondere Arbeitslosen eine Verbesserung ihrer Situation er­möglichte. Nach seinem Scheitern machte Linton das System in Europa bekannt, wes­halb Wagner es als „Ur-LETS“ bezeichnet und damit zu dem Vorläufer der deutschen Tauschringbewegung macht (ebd.). Ein weiterer Impulsgeber der heutigen Tauschringe ist der Anwalt Edgar Ellen Cahn, welcher in den USA in Bezug auf die Zerstörung nachbarschaftlicher Gemeinschaften die „Time Credits“ einführte, wobei der Fokus hier weniger auf wirtschaftlicher Unabhängigkeit als auf Hilfe unter Nachbarn und somit der Gemeinschaftsbildung liegt (Cahn 2001). Als letztes historisches Beispiel ist noch Ar­gentinien zu nennen. Dort bildeten sich ab den 1995er Jahren viele kleine Tauschsys­teme, die im Verlauf der Finanzkrise immer mehr Zulauf bekamen. Sich immer weiter ausdehnend, schlossen sich die vielen kleineren Tauschsysteme letztlich zu zwei Grö­ßeren zusammen, und verwendeten von diesem Zeitpunkt eine einheitliche, gedruckte Parallelwährung: die Creditos. Diese Parallelwährung wurde zu einem wesentlichen Pfeiler des Wirtschaftssystems: als sich die Krise zuspitzte, wurde sie zeitweilig von etwa sieben Prozent der Argentinier verwendetet, sodass diese ihre Grundversorgung sichern konnten. Da die Währung von Produkten aus der regulären Wirtschaft abhängig war, ereilte auch sie die Folgen der Hyperinflation, sodass das Tauschsystem letztend­lich ebenfalls zusammenbrach (Wagner 2009, S. 37 f.).

Die zwei unterschiedlichen Wurzeln Cahn und Linton offenbaren den zweigeteilten Charakter von Tauschringen: sie sind einerseits wirtschaftliche Zweckgebilde und an­dererseits Orte sozialen Austauschs (Köstler 2007). Letzterer wird in bisheriger For­schung hauptsächlich betrachtet und betont. Tauschringe förderten Austausch, Kommu­nikation und Kreativität und führten so zu einem lebendigen Gemeinwesen, weshalb Douthwaite und Diefenbacher (1998, S. 105) von einem „virtuellen Dorf“ sprechen. Damit schaffen Tauschringe Sozialkapital (Coleman 1988), welches insbesondere sozi­aler Isolation entgegenwirkt (Heinze 2000, S. 348) und Selbstversorgungspotenziale ak­tiviert (Wagner 2009, S. 250). Auch in der englischsprachigen Forschung wird die Schaffung von Sozialkapital besonders hervorgehoben (vgl. u.a. Seyfang 2006, Gregory 2009). Der große Gewinn von Tauschringen wird darin gesehen, dass die Beziehungen der Mitglieder dahingehend kultiviert werden, dass sich neue Muster des Vertrauens und der Reziprozität bilden.

Tauschringe scheinen also der Problematik der Beziehungslosigkeit und Diskriminie­rung von Selbstversorgung durchaus Abhilfe verschaffen zu können. Nichtsdestotrotz gibt es keinen Grund zu großer Euphorie, denn sie sind nach wie vor eine Randerschei­nung: In Deutschland kann von maximal 500 Tauschringen ausgegangen werden, die höchstens 40.000 Mitglieder umfassen (Wagner 2009, S. 252). Zudem ist bis dato völlig unklar, welche Qualität diese sozialen Zusammenkünfte haben. Gibt es wirklich einen Mehrwert für die gesamte Gesellschaft - oder sind Tauschringe nur ein Ort für vorüber­gehenden Eskapismus bestimmter sozialer Gruppen (Campana, Chatzidakis u.a. 2017, S. 177)? Die bisherige Schilderung ist außerdem sehr oberflächlich und verallgemei­nernd. Bei 3.418 alternativen Tauschsystemen weltweit (Seyfang und Longhurst 2013) ist von einem sehr heterogenen Phänomen mit unterschiedlichen Zielen und Ausrich­tungen auszugehen. Damit dieses heterogene Phänomen genauer und vor allem sinnhaf­ter beleuchtet werden kann, muss ein normativer Bezugspunkt angeführt werden.

2.3 Normative Einbettung

In Kapitel 1.3 wurde von einer gesellschaftlichen Transformation gesprochen, die Som­mer und Welzer forcieren. Innerhalb des von ihnen 2013 gegründeten „Norbert Elias Center for Transformation Design & Research“ erforschen sie vor dem Hintergrund ei­nes rasanten Anstiegs des Rohstoffverbrauchs sowie der Emissions- und Abfallmengen und den damit verbundenen Umweltproblemen, wie eine Transformation hin zu einer zukunftsfähigen Gesellschaftsform in den frühindustrialisierten Ländern gelingen könnte (Norbert Elias Center 2016). Dabei nehmen sie die aus den Naturwissenschaften stammende neueste alarmierende Erkenntnis zum Ausgangspunkt, dass bereits drei der neun Bereiche eines „safe operating space for humanity“ (Rockström, Steffen u.a. 2009) überschritten seien: im Klimawandel, dem Biodiversitätsverlust und im Stickstoff- und Phosphatkreislauf. Zur Lösung herrschen technische Ansätze vor (Sommer und Welzer 2014, S. 71 ff.), die zusammenfassend auf „Grünes Wachstum“ abzielen, jedoch als „Mythen“ (ebd., S. 86) zu entlarven seien. All diese Ansätze würden den Pfad der ex­pansiven Entwicklung moderner Gesellschaften nicht verlassen, was jedoch angesichts der empirisch vorliegenden Grenzen unausweichlich ist. Um die „strukturellen Nicht­Nachhaltigkeit“ (Sommer und Welzer 2014, S. 37) des westlichen Wirtschafts- Gesell- schafts- und Kulturmodells wirkungsvoll hin zur Nachhaltigkeit zu transformieren, set­zen Sommer und Welzer daher den Ansatz einer „reduktiven Moderne“, der eine dras­tischen Senkung der Naturverbräuche10 beinhaltet, zentral (Sommer und Welzer 2014, S. 11). Es handelt sich bei der Transformationsforschung um die Aufgabe, gesellschaft­liche Veränderungsprozesse so zu gestalten und dessen Barrieren, Bedingungen und Möglichkeiten soweit auszuloten, dass der bisherige Expansionspfad verlassen und durch einen reduktiven Pfad schrittweise ersetzt werden kann (ebd., S. 11, 43 ff.). Damit widmet sie sich keinem geringeren Anliegen, als der Bewahrung des erreichten zivili­satorischen Standards (Demokratie, Freiheit, Wohlstand etc.) trotz oder gerade durch eine Überwindung der für das Erlangen dieser Standards angewandten Methode: der Wachstumswirtschaft (Sommer und Welzer 2014, S. 46 f). Zu transformieren sind da­bei nicht nur einzelne Bereiche, sondern nahezu Praktiken aller Lebensbereiche, wie der Wirtschaft, der Mobilität, Ernährung, Besitz, Beziehungsstrukturen etc. (ebd., S. 37 f.). Wie kann einer solch großen Herausforderung begegnet werden? In Anlehnung an Norbert Elias werden zunächst zwei verschiedene Arten gesellschaftlichen Wandels un­terschieden: Transformationen, die entweder mit oder ohne Veränderung der gesell­schaftlichen Strukturen vonstattengehen (Sommer und Welzer 2014, S. 55). Anhand verschiedener historischer Fälle werden weitere Unterscheidungsmerkmale und wich­tige Lehren ausgearbeitet. So gibt es Beispiele von Transformationen mit oder ohne visionärem Hintergrund, d. h. es wurde entweder bewusst auf etwas hingearbeitet wie z. B. bei der Abschaffung der Sklaverei, oder aber der Wandel trat nicht willentlich auf wie im Falle der industriellen Revolution (Sommer und Welzer 2014, S. 60 f.). Die gesellschaftliche Transformation in eine „reduktiven Moderne“, so argumentieren Som­mer und Welzer (2014, S. 55, 61, 68), sei eine Transformation, die erstens die Strukturen und somit die Herrschafts-, Produktions- und Reproduktionsverhältnisse verändert, zweitens intentional, von Visionen begleitet ist und drittens primär eine Transformation des Sozialen ist, zumal sich erst hier entscheidet, „wie eine Gesellschaft aussehen soll, in der man leben will“ (ebd., S. 68). Mit anderen Worten: jene gesellschaftliche Trans­formation gelingt nicht durch eine produktseitige isolierte Optimierung der einzelnen Lebensbereiche (Wirtschaft, Mobilität, Ernährung etc.), sondern indem soziale Prakti­ken tief- und übergreifend verändert werden. Es geht schließlich um Alternativen zum Konsum.

Doch warum sollte eine gesellschaftliche Transformation hin zu einer „reduktiven Mo­derne“ angestrebt werden? Und vor allem in welche Richtung soll diese weisen? Kon­sumismus, das macht Norbert Bolz (2002) klar, könnte auch als eine rationale Strategie eingeordnet werden, den Weltfrieden zu erreichen und zu erhalten. Doch zu welchen Kosten würde dieser erreicht - und vor allem: welche Qualität hätte er? Die Umwand­lung aller Gesellschaften nach dem Prinzip des „Hyperkonsum“ (Sommer und Welzer 2014, S. 20), wie es die führenden Industrieländer sind, hätte fatale ökologische Folgen, wenn die materiellen Voraussetzungen überhaupt gegeben wären. Der wesentliche Punkt jedoch ergibt sich aus dem beschriebenen Problem: Konsumismus bringt gesell­schaftlich nicht erstrebens- bzw. wünschenswerte Ergebnisse hervor: überforderte Indi­viduen, die in beziehungslosen, leblosen Formen von Sozialität existieren Zusammen­ über leben. Es wird deutlich: Konsumismus kann nur infolge eines Werturteils abgelehnt werden. Die Frage nach zukünftigen Gesellschaftssystemen macht daher eine Orientie­rungshilfe, ein Leitbild, unabdingbar.

Zwischen den Zeilen der Argumentation von Sommer und Welzer lässt sich ein passen­des herauslesen: das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung. Auch wenn es sich dabei um ein ziemlich breit verwendetes und deshalb verwässertes Konzept handelt (Paech 2006, S. 42), nehme ich es als Basis für meine normative Setzung, die jenen notwendi­gen Rahmen dafür bietet, in welche Richtung sich Gesellschaft und, im speziellen Fall dieser Arbeit, Tauschringe entwickeln sollten bzw. welche Richtung diese Tauschringe unterstützen sollten. Damit „babylonische[n] Sprachverwirrungen]“ (Hochmann 2016, S. 18) vermieden werden, erkläre ich kurz, was ich darunter verstehe. Das von Paech (2006, S. 43) dem „3-Säulen-Modell“11 vorgezogene Kriterium der zeitlichen und räum­lichen Übertragbarkeit von Lebens- und Wirtschaftsstilen, welches schon vom Brund- landt-Bericht genutzt wurde, soll auch für meine Argumentation herangezogen werden. Dieses Kriterium impliziert zum einen die Nutzung der Ressourcen der Erde, ohne mehr zu verbrauchen, als nachwächst und zum anderen die Realisierung gleicher Lebenschan­cen und Überlebensbedingungen für alle Menschen der Erde in Gegenwart und Zukunft. Es wird hierfür allerdings nicht die geläufige utilitaristische Argumentation zu Grunde gelegt, wonach eine nach dieser Definition nachhaltige Lebensweise unbedingt zu er­zwingen ist, um das Überleben der Menschheit zu sichern; diese Weltretter-Mentalität soll hier nicht beschworen werden (vgl. Skidelsky und Skidelsky 2013, S. 171). Das normative Leitbild einer Nachhaltigen Entwicklung ist hier vielmehr eine ethische Set­zung, die ein gutes Leben, nicht Über leben, für alle Menschen und die Wahrung der Natur für sich nicht für den Zweck menschlicher Begierden anstrebt (Skidelsky und Skidelsky 2013, Acosta 2015) . Damit setzt das hier verwendete Konzept der Nachhal­tigkeit die Idee zentral, es allen Menschen zu ermöglichen, „das eigene Leben nach freiem Willen zu gestalten“ (Pfriem 2011b, S. 104). Der nun geschaffene Rahmen ermöglicht es, sinnbehaftet Barrieren und Bedingungen von Tauschringen auszuloten.

3. Barrieren und Bedingungen

Die vorliegende Arbeit ordnet sich also einer gesellschaftlichen Transformation unter dem Leitbild Nachhaltiger Entwicklung zu. Tauschringe scheinen in diesem Kontext eine sinnvolle „soziale Technologie“ (Heinze 2000) zu sein. Doch welche Barrieren stellen sich gegen eine gesamtwirtschaftliche Relevanz solcher Austauschsysteme? Das folgende Kapitel wird dieser Frage auf den Grund gehen, indem es interne sowie externe Barrieren und Bedingungen aufspürt. Die Kategorisierung in intern und extern dient dem besseren Verständnis eines komplexen Phänomens. In der Realität lassen sich beide natürlich nicht voneinander trennen; sie sind miteinander verwoben. Dem wird zumin­dest durch den Versuch, Bezüge herzustellen, versucht gerecht zu werden.

[...]


1 Eine grenzenlos euphemistische Betrachtung von Konsum nimmt Norbert Bolz (2002, S. 15-17) vor. Ihm zufolge würde im Umgreifen von Konsumismus der Weltfrieden dadurch erreicht, dass Individuen Anerkennung durch wirtschaftliche Betätigung anstatt gewaltvolle Akte bekämen. Konsumismus, also der Kauf nicht benötigter Waren, sei nicht als Nachteil, sondern als Vorteil einzustufen, zumal es die für die wirtschaftliche Aktivität notwendigen Produktionsmengen aufrechterhielte. Diese Sicht wird unter 2.3 nochmals relevant.

2 Zumal ansonsten Arbeitsplätze verlorengehen würden (Ulrike Herrmann 2013, S. 242). Dass ausschließ­lich für das Laufen der Wirtschaft produziert würde, entspräche allerdings nicht der heterogenen, ambi­valenten, komplexen Realität. Einfach ausgedrückt handelt es sich vielmehr um ein Wechselspiel. Für eine tiefere Auseinandersetzung, siehe: Hochmann (2016, S. 93 ff.).

3 Die dahinterstehenden Dynamiken sind sicherlich schwer zu rekonstruieren. Zwei sehr gute Versuche machen erstens mit Fokus auf die wissenschaftlichen Entwicklungen Hochmann (2016, S. 67 ff.) und zweitens bzgl. individueller und gesellschaftlicher Entwicklungen Skidelsky und Skidelsky (2013, S. 29ff.).

4 Eine Schlüsselfrage: was können und wollen Tauschringe überhaupt?

5 Das Phänomen der Tauschringe ist noch immer „under-researched“ (Seyfang und Longhurst 2013, S. 65). Es gibt also noch großen Forschungsbedarf.

6 In Kapitel 3.2.1 wird darauf eingegangen, was die „formelle Ökonomie“ sein soll.

7 Später wird noch eine Abgrenzung zu anderen Formen vorgenommen.

8 Hier findet sich eine Liste von vorgeschlagenen Diensten, die überwiegend haushaltsnah sind: Offe und Heinze (1990, S. 309 f.).

9 Werner Onken gab das gesamte Werk Gesells heraus und veröffentlichte auch eigene Schriften, die sich damit auseinandersetzen (siehe u. a. Onken 1999).

10 Sommer und Welzer sprechen von einem Faktor von 5-10 der Energie-, Rohstoff-, und Flächenver- bräuche sowie der Abfall- und Emissionsmengen (Sommer und Welzer 2014, S. 11).

11 Denn dieses ermöglichte erst die Verwässerung, zumal automatisch eine Vielzahl subjektiver Gewich­tungen der drei Säulen erfolgen (Paech 2006, S. 57 f.)

Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Tauschringe im Kontext gesellschaftlicher Transformation. Von der ergänzenden Nebenökonomie zur wachsenden Versorgungsautarkie?
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
67
Katalognummer
V955242
ISBN (eBook)
9783346296665
ISBN (Buch)
9783346296672
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar des Gutachters: "Mit der vorliegenden Bachelorarbeit ist Justus Lewald der Beweis gelungen, dass kritische Wirtschaftswissenschaft, gerade indem sie den Gegenstand zu problematisieren, nicht zelebrieren beginnt, imposante Relevanz entfalten kann. Die Arbeit kommt im Ergebnis als Lehrstück gebildeten Nachdenkens über das daher, was mit dem Ökonomischen gemeint sein könnte. Sie übertrifft auf unterschiedliche Weise und um Längen die Erwartungen, die an eine Qualifizierungsarbeit auf Bachelorniveau zu stellen sind."
Schlagworte
Soziale Innovationen, Tauschringe, Große Transformation, Nachhaltigkeit, Konsumismus, Ökonomie, Unternehmertum, Social Entrepreneurship, Transformationsforschung
Arbeit zitieren
Justus Lewald (Autor:in), 2017, Tauschringe im Kontext gesellschaftlicher Transformation. Von der ergänzenden Nebenökonomie zur wachsenden Versorgungsautarkie?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/955242

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