Die Figur des Don Juan in der Generación del 98 am Beispiel der Sonatas von Ramón del Valle-Inclán


Trabajo Escrito, 2000

12 Páginas, Calificación: Sehr Gut


Extracto


1.Einleitung

Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist es zu untersuchen, inwiefern Valle-Inclán in seinenSonatasmit dem Graf von Bradomín eine Variante des literarischen Don Juan-Typus geschaffen hat. Diese Frage wird in diesem Rahmen nicht vollständig beantwortet werden können. Es hängt stets von den Kriterien ab, die im Einzelnen herangezogen werden, um zu einem endgültigen Schluß zu kommen, wie zum Beispiel Salvador de Madariaga, wenn er über Molières Theaterstück sagt: "Der Don Juan an sich aber ist ein Fehlschlag.", oder wenn er den Graf von Bradomín "donjuanesk, aber nicht Don Juan" nennt, dann wird deutlich, daß es Auffassungen gibt, die ein klar gezeichnetes Konzept der Figur aus der Literatur- und Theatertradition herauslesen und eine so feingliedrige Abgrenzung zu rechtfertigen suchen.

In dieser Hinsicht soll im allgemeinen die Problematik eines fest umrissenen literarischen Charakters ausgeleuchtet und im konkreten am Beispiel derSonatas-genauer der Sommerund Wintersonate- erläutert werden, wie auch eine freie, von der strengen Motivvorgabe losgelöste künstlerische Darstellung den Stoff neu aufleben lassen und auch zur Problematisierung vorgängiger Behandlungen beitragen kann.

Im einzelnen heißt das, daß zunächst im zweiten Kapitel mit der Erörterung begonnen wird, warum sich der Don-Juan-Stoff als der meist bearbeitete Stoff der Literaturgeschichte so unvergeßlich bis in unsere Alltagsmythologie hinein über Generationen weitergetragen und so viele Kunstschaffende zu Neuinszenierungen angeregt hat.

Dann wird im dritten Kapitel in Anlehnung an verschiedene klassische Varianten und die Urfassung Tirso de Molinas dargelegt, welche Charaktereigenschaften dem Don Juan zugeschrieben, bzw. in welche Handlungsmuster er eingebunden wird, und wie er sich dadurch von anderen ihm verwandten Figuren, wie z.B Casanova, abgrenzt. Im vierten Kapitel werden einige Gesichtspunkte zum Ideenhintergrund Valle-Inclans herangezogen, welche die Konzeption des Graf von Bradomín in einer Epoche verdeutlicht, die noch unter dem unmittelbaren philosophischen Einfluß Nietzsches und Schopenhauers verstanden werden muß.

Das fünfte Kapitel beschäftigt sich schließlich mit dem Marques de Bradomín und diskutiert vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Kapitel die Sonderstellung dieses Don Juan, die durch die Charakterisierung Valle-Inclans selbst eigetlich schon antizipiert war: "El más admirable de los Don Juanes:feo, católico, sentimental"

2. Der Mythos Don Juan

Es ist von äußerster Wichtigkeit, die Don-Juan-Figur nicht auf den literarischen Rahmen beschränkt zu betrachten, denn die unzähligen Varianten haben ein überdimensionales Netz von Kunstwerken und Alltagsmythen gesponnen, was den Don-Juan nicht nur in greifbaren Kunstwerken, sondern auch in den Köpfen, man ist geneigt zu sagen "eines jeden Menschen" zu einer allgegenwärtigen Gestalt werden läßt.

Ohne die Urfassung Tirso de Molinas zu kennen, kann ein Film von Fellini oder ein modernes Theaterstück genauso wie eine Anspielung in der Alltagssprache die Legende zu Wort kommen lassen.

Ungeachtet der fundamentalen Bedeutung, die die Don Juan-Figur in der Literaturgeschichte einnimmt ist wesentlicher Grund für ihre Berühmtheit, daß, wenn sie über die banale Vorstellung des gutaussehenden und erfolgreichen Schürzenjägers hinaus interpretiert wird, einfache, aber zentrale Fragen aufwirft, wie z.B.: Ist der Don-Juan-Mann fähig zu lieben oder will er die Frauen seines Begehrens lediglich besitzen? Oder: Welches seltsame Geheimnis verbirgt sich hinter dieser geheimnisvollen Anziehungskraft oder ist diese eine bloße Schimäre unserer Einbildung? Auch Fragestellungen, die für die Psychologie von Interesse sind, werden durch den Stoff aufgeworfen, wie z.B. das Opfer-Täter Verhältnis zwischen Don Juan und seinen Frauen.

Für eine Beurteilung künstlerischer Werke ist es daher unerläßlich, diese einfachen Konzepte des Don Juan in die Argumentation -wenn auch nur zwischen den Zeilen einzubeziehen.

3. Don Juan als literarisches Symbol

Im obigen Kapitel wurde dargelegt, daß die klare Definition der Don-Juan-Figur angesichts der Fülle künstlerischer Ausgestaltungen und seines unentwegten Fortlebens in der alltäglichen Kommunikation ein nahezu sinnloses Unterfangen scheint. Constantinescu stellte einige Positionen bekannter Sekundärliteratur einander gegenüber um die undefinierbare, gegensatzreiche Bandbreite erbrachter Don-Juan- Charakterisierungen aufzuzeigen.

Vor diesem Hintergrund erklären sich die Anstrengungen mancher Kritiker, wie z.B. José Ortega y Gasset oder Salvador de Madriaga, die unter dem Wust der Don-Juan-Varianten, der konturlos gewordenen, von vagen Attributen überschütteten Gestalt wieder zu klarer und prägnanter Form verhelfen wollen, indem sie die Genealogie der Figur zu ihrem Geburtsort nach Spanien zurückverfolgen.

Dieses Streben ist auch verständlich und hat seinen Sinn, nämlich den Don Juan Typus als besondere Figur von jedem beliebigen Liebhaber eines Romans oder verwandten Figuren, wie z.B. Casanova oder Dandy zu unterscheiden, und in jeder Epoche die Wesensmerkmale unter den jeweils neuen Bedingungen mit Feingefühl herauszuarbeiten. Nichtsdestoweniger ist dies kein Grund, dem Autor eines literarischen Werkes vorzuhalten, er habe einen "entfremdeten" oder ungeieigneten Don Juan entworfen, der nicht mit der klassischen Motivvorlage harmoniere. Diesbezüglich verteidigt Virginia Gibbs den Entwurf Valle-Inclans:"Mucho se ha escrito negándole a Bradomín el carácter de Don Juan arquétipo, labor que nos parece un tanto vana, pues cadaépoca tendrásus Don Juanes cuyos rasgos generales cederán ante la manera histórica de percibir las relaciones humanas y las relaciones entre el ser, su Dios, y su demonio."

Hier könnte man nun als These vorbringen, daß es im allgemeinen nicht so sehr auf die Spezifizierungen einer Don Juan Figur ankommt, denn diese haben in der Literaturgeschichte ein äußerst mannigfaltiges Spektrum gezeigt, sondern daß die eindeutige Bezugnahme zum historischen Stoff, d.h. Variation der Motive und Gestaltung einer verwandten Figurenkonstellation zur"renovación del mito"beiträgt. Die Beurteilung der Gelungenheit würde dann als Frage der Asthetik und Dramatik von einer anderen Warte aus beurteilt werden müssen.

Es soll dies jedoch nicht heißen, daß der Don Juan als Casanova und umgekehrt verstanden werden kann. Diese beiden Legenden z.B. sind höchst unterschiedlich definiert, was allerdings jedem der Autoren, die den Don-Juan-Stoff aufgegriffen haben mit höchster Wahrscheinlichkeit durchaus bewußt war.

4. Zum Ideenhintergrund Valle-Inclans

Um einen groben Grundriß der politischen und philosophischen Haltung Valle-Incláns zu zeichnen, soll die Darstellung im folgenden Kapitel auf zwei Hauptaspekte reduziert werden: Zum einen der Einfluß Nietzsches auf den Autor derSonatasund zum anderen Valle-Incláns Zugehörigkeit zu, bzw. Sonderstellung in derGeneración del 98.

4.1.Nietzsche

Die Tatsache, daß dieGeneración del 98im allgemeinen sich oft auf Nietzsche gewissermaßen als "Geistesvater" zu berufen pflegte, macht verständlich, warum Valle-Inclán in einer modernen Variante der Don Juan-Figur den Bogen der Handlung nicht der klassischen Vorgabe gemäß, wie z.B. Zorilla, der sehr nah an das Muster Tirso de Molinas herankommt, über eine religös-harmonische Ordnung, die von einem unbesonnenen Frevler zerstört wird, gespannt hat. Es bedarf diesbezüglich keiner expliziten Zitate um den Einfluß Nietzsches deutlich werden zu lassen, es reicht, sich die allgemein bekannte Grundhaltung des "Umkehrers aller Werte" und dessen Verherrlichung der vorsokratisch-griechischen Kultur im Gegensatz zur dekadenten christlichen Religion, deren Ursprung er bis zu Platons Ideenlehre zurückführt, bewußt zu machen.

Ungeachtet der Bedenken, daß "[die] philosophische Auseinandersetzung mit dem Denken Schopenhauers und Nietzsches [...] in ihrer Ernsthaftigkeit (auch der Lektüre der Originaltexte) und Folgewirkung sehr unterschiedlich eingestuft [wird]",kann man durchaus behaupten, daß die nachhaltige Wirkung, die Nietzsches Schriften auf das gesamte europäische Denken ausgeübt hat, sich auch im Werk Valle- Incláns unübersehbar niedergeschlagen hat. Wenn der Erzähler Bradomín in denSonatasausruft "Sólo dos cosas han permanecido siempre arcanas para mí: El amor de los efebos y la música de ese teutón que llaman Wagner", so handelt es sich lediglich um ein Detail, das als Einsprengsel einen Bezug zur Philosophie Nietzsches herstellen läßt. In diesem Fall könnte die Quelle heuristisch auf Nietzsches WerkDie Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musikzurückverfolgt werden. Erstens weil der Ephebe darin als schöner Jüngling und Symbol desErosfür eine nicht gezwungenermaßen homosexuelle, wohl aber freizügigere und dem Genuß wohlgesonnene Sexualultur steht, und zweitens weil das Werk nahezu als eine Wagners Musik gewidmete Verehrerschrift gelesen werden kann.

Weit wichtiger ist es, auf einen zentralen -um nicht zu sagen abgenutzten- Begriff der Philosophie Nietzsches einzugehen, der auch in der Sekundärliteratur über Valle-Inclan viel diskutiert, und dessen Problematik durchaus richtig erkannt worden ist: Der Nihilismus. Auch hier kann man als Beispiel die Stimme des Erzählers Bradomín anführen: "-Hay en mi vida algo perdonable. -Los hombres como yo todo lo perdonan."

Der Frankfurter Soziologe Habermas äußert sich stets sehr kritisch zu "[...]Nietzsches radikaler, sich ihrerseits totalisierend überschlagenden Vernunftkritik[...]", weil das Problemlösung intendierende Argument und die eristische Begründung nicht in einem abwägenden Für und Wider zueinander in Beziehung gesetzt werden können, was zur Folge hat, daß die konstruktive Kritik, die nur über die Diskussion und das Wort ausgedrückt werden kann, gegenüber der grundsätzlichen Vernunftskepsis ohnmächtig ist. Inwieweit diese Kritik gerechtfertigt ist, müßte an anderer Stelle erörtert werden, aber in jedem Fall trifft sie die Schwierigkeit im Wesentlichen. "Nichts ist wahr und alles ist erlaubt" und "Ich hab' mein Sach' auf Nichts gestellt" haben sich als Vorzeigephrasen der nihilistischen Weltauffassung herauskristallisiert und zeigen gleichzeitig die Problematik, die mit ihnen einhergeht. Hierbei muß jedoch beachtet werden, daß diese überspitzten Formulierungen weder Nietzsches Philosophie, noch die Grundhaltung ValleIncláns in keinster Weise wiedergibt. Sie zeigen lediglich die Aporie, in welche der Nihilismus gerät, wenn er konsequent zu Ende gedacht wird und dadurch an die Schwelle bedingungsloser Indifferenz gerät. Diesen Punkt hat Virgina Gibbs sehr deutlich hervorgehoben, indem sie die Funktion der Ironie im Werk Valle-Incláns untersuchte: "Sería fácil aferrarse a la tendencia de aquellos estudiosos de la ironía que, siguiendo a Kierkegaard, ven como consequencia última y necesaria de la visión irónica la aceptación del más puro nihilismo, la extensión constante de la ironía hasta borrar para siempre todo significado, juicio y creencia." Wohingegen also der unerbitterliche Nihilismus eine Geringschätzung alles Menschlichen impliziert, findet sich bei Nietzsche doch ein unermüdliches Streben nach wahren Werten, und auch die Ironie Valle-Inclans ist alles andere als enttäuschte Abkehr von allem Weltlichen -wie der Intellektuelle, der aus Enttäuschung (Enttäuschung pejorativ im Sinne einer frustrierten Hoffnungslosigkeit gemeint) zum Zyniker wird-, sondern vielmehr eine ernsthafte Suche nach neuen etischen und moralischen Werten. Diese Interpretation der ironisierten Erzälinstanz des Graf von Bradomín vertritt auch Virginia Gibbs: "De esta manera, al ironizar su papel de narrador [...] el narrador se acerca a una apreciación de la vida en general que podemos denominar nihilista. Pero, finalmente, [...Valle-Inclán] ofrece la posibilidad de una reconstrucción ética y moral, que pudiera reemplacar el nihilismo ahistórico de Bradomín por la visión de un posible mundo mejor."

Hiermit soll nun deutlich geworden sein, daß dieses Paradox eines lebensbejahenden Nihilismus nicht, wie es von der formalen Hinsicht her den Anschein hat, ein unsinniger Widerspruch, sondern ein in sich gespannter Ausdruck ist, der ein banales Lebensprinzip durchscheinen läßt: Um neuzuschaffen müssen manchmal die Grundmauern eingerissen werden.

4.2. Valle-Inclán und die Generación del 98

Im geschichtlichen Kontext des Ausgangs aus der Kolonialzeit, um genauer zu sein, nachdem am 10. Dezember 1898 der Insel Kuba ihre Unabhängikeit anerkannt wurde, hat Spanien einen schweren wirtschaftlichen und für die Vormachtstellung in Lateinamerika äußerst schweren Schock erlitten. Dies war sicherlich mit einer der Auslöser, warum viele Kunstschaffende Spaniens diese Zeit als eine Zeit der Krise und des intellektuellen Stillstands empfanden. Vor diesem Hintergrund sollte sich eine neue intellektuelle Einheit formen, die in ihrer Genese an dieQuerelle des anciens et des modernes erinnert. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß es sich bei der Generación del 98um"a fresh upsurge of criticism from this group of young intellectuals"handelte, wird deutlich, daß die Gruppe aus einem Generationenkonflikt erwachsen ist. Dies darf jedoch nicht zu der Annahme verleiten, die Gruppe sei eine verschmolzene Einheit mit statischer Konfiguration gewesen.

Es liegt auf der Hand, daß allgemeine Aussagen über eine solche intellektuelle Gruppe oder Gemeinschaft Gefahr laufen, die Vielfalt und Heterogenität zu ignorieren und das jeweils individuelle Schaffen von oben herab ungerecht zu beurteilen.

Shaw sagt über dieGeneración del 98:"In brief, the generation made the mistake of seeking an abstrakt and philosophical answer to the pressing practical and concrete problems posed by the state of Spain."Es ist hier nicht Ziel und Zweck, über die Angemessenheit dieser Aussage zu urteilen. Aber eine solche Beurteilung darf nur nach sorgfältiger Betrachtung der einzelnen Mitglieder und nach klarer Definition der Zugehörigkeitskriterien erfolgen. Das hat Shaw auch getan: Er nannte drei Kriterien der Mitgliedschaft, erstens:"Participation in a personal quest for renewed ideals and beliefs",zweitens:"interpretation of the problem of spain"und drittens:"acceptance of the role of creative writing primarily as an instrument for the examination of these problems"Interessant in bezug auf Valle-Inclán ist der Schluß den er daraus zieht:"On this basis neither Benavente nor Valle-Inclán fits it."

JoséMartinez Ruiz Azorínwar, wenn auch nicht zwingendermaßen derjenige, der den Namen der Gruppe geprägt hat, doch in gewisser Weise der Begründer der Gruppe. Man kann behaupten, daß seine intellektuelle Grundhaltung für die Mitgliedschaft von essentieller Bedeutung war. Shaw schreibt bezüglich Azorín:"What struck him most about his companiona was their disinterested, semi-Romantik idealism [...]."Es wundert also nicht, warum Valle-Inclán nicht zu der Gruppe gepaßt haben soll, denn seinen Stil kann man in einer bestimmten Hinsicht durchaus "romantisch nennen". Es handelt sich zwar um eine Art kritische Romantik, denn der Graf von Bradomín ergießt sich an vielen Stellen derSonatasmehr in verklärten Projektionen seines eigenen schwärmerischen Gefühlslebens, als daß er die Realität mit Hinblick auf ihre nüchternen Aspekte betrachtet. Und es steht auch außer Frage, daß die Bezeichnung des Graf von Bradomín alssentimentalironisch gemeint ist. Doch das ändert nichts an der Tatsache, daß Valle-Inclán diesen Stil bewußt wählte, weil es ihm gefiel, in verfeinerten Art unter Verwendung ästhetischer, teils hypersensibler Worte zu schreiben. Dieser Stil wurde jedoch besonders in den Jahren um 1888 mit "Modernismus" und "Dekadenz" in Verbindung gebracht. Grob gesagt lautete der Vorwurf gegen die zu Exotismus und Extravaganz neigenden Schriftsteller, daß sie die Realität fliehen, anstatt sich mit den konkreten Problemen der modernen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Man hat ValleInclán"el usode conceptos religiosos con un fin afrodisíaco"vorgeworfen. Und das paßte nicht in ein Konzept, welches eine Poetik propagierte, die der klaren Idee vor schöngeistigem Schmuckstil den Vortritt lassen wollte.

5. Der Graf von Bradomín als Don Juan

Zunächst bietet es sich an, die drei Attributefeo, católicoundsentimentalzu betrachten, welche dem Graf von Bradomín schon bevor er in bestimmten Handlungssituationen zu anderen Figuren in Beziehung gesetzt wird eine skurrile Mischung von Charaktereigenschaften zuweisen.

Ein häßlicher Don Juan ist in sich schon so widersprüchlich, daß klar auf der Hand liegt, warum der Don-Juan-Stoff nicht nach klssischer Vorgabe bearbeitet, sondern durch ein Prisma moderner Sichtweisen gebrochen ist.

Bezüglich der klaren Konfessionszuweisungkatholischist es naheliegend, sich das tiefkatholische Spanien zur Geburtsstunde der Don-Juan-Legende zu vergegenwärtigen. Strenge Lehre des christlichen Dogmas und rigide religiöse Disziplin waren Garanten für den Ausweg aus Barbarei und Unordnung. Der Don Juan Tirso de Molinas erweist sich als, wenn auch nicht atheistischer, doch aber als ein den moralischen Schranken strotzender Rebell, der die Reue mit seinem "Que largo, me lo fiais."noch auf sich warten läßt. Dieses Motiv greift Valle-Inclán in ironisierender Weise auf. In der Sommersonate kann man sich das an der Klosterszene, als er derMadre Abadesaund den zwei Laienschwestern begegnet, verdeutlichen. Es zeigt sich, daß der Graf von Bradomín eingehend mit der Etikette religiöser Gepflogenheiten vertraut ist. Auf den Gruß "¡Ave María Purísima!"weiß er spontan zu entgegnen:"¡Sin pecado concebida!"12. Die Ironisierung kommt nun dadurch zustande, daß sich hinter der Fassade ergebenen Respekts gegenüber der Würde religiöser Konventionen ein seinen erotischen Phantasien erliegender Graf von Bradomín zeigt, der sich sehnt, die keusche Bande zu durchbrechen:"La Madre Abadesa, con su hábito blanco, estaba muy bella, y como me parecía una gran dama, capaz de comprender la vida y el amor, sentíla tentación de pedirle que me acogiese en su celda, pero fue sólo una tentación."Als er sich schließlich doch erdreist, ihr durch einen einfachen Handkuß seine Ehrerbietung erweisen zu wollen, wird er schlicht abgelehnt: "-Aqui solamente se la besamos al Señor Obispo [...]13

Auch in derSonata de Inviernospielt der religiöse Rahmen eine sehr wichtige Rolle, denn hier bearbeitet Valle-Inclán das Motiv der Reue, das in der Wintersonate dringlicher geworden ist, da der Graf von Bradomín sich auf Grund seines fortgeschrittenen Alters mit der Stunde des höchsten Gerichts unweigerlich genähert sieht. Es sei daran erinnert, daß Don Juan in der Urfassung Tirso de Molinas die Statue schließlich um Absolution bittet, jedoch der unerbitterlichen Strafe Gottes nicht entgehen kann, d.h. die Reue kam zu spät. Der Moment, den Don Juan vor sich hergeschoben hatte, war also ohne Gnade gekommen. In der Wintersonate wird die Reue des Grafs von Bradomín außer von Fray Ambrosio beinahe von jedem in Zweifel gezogen. Nicht allein dadurch kommen dem Leser schließlich Zweifel, denn manche Situationen stellen sich sehr ironisch dar. Als er beispielsweise mit Fray Ambrosio nach einer kurzen Auseinandersetzung mit der Haushälterin das Haus betritt, schimpft letztere ihnen hinterher:"¡Vaya un barro que traen en los pies!¡Divino Jesús cómo me han puesto los suelos!"Woraufhin der Graf von Bradomín mit "Horror" seinen Frevel einsieht:"Aquellos suelos limpio, encerados, lucientes, puros espejos donde ella se miraba, sus amores de vieja casera, aceraban de ser bárbaramente profanados por nosotros. Me volvíconsternado para alcanzar todo el horror de mísacrilegio, y la mirada de odio que halléen los ojos de la mujeruca fue tal, que sentímiedo."Angesichts dieser Ironie, die keiner weiteren Erklärung bedarf, wird deutlich, daß Valle-Inclán auch in der Wintersonate das religiöse Thema in nahezu spöttischer Weise aufgreift.

Es würde hier zu weit gehen, die Frage zu diskutieren, inwiefern der Graf von Bradomín "im Herzensinnern" wirklich katholisch und ob es zu weit ginge, im Bradomín eine "naturaleza profundmente satánica"zu suchen. Es sei lediglich nochmals auf den Einfluß Nietzsches verwiesen, dessen Philosophie gewissermaßen, um es nach einem seiner Werke zu benennen, "jenseits von Gut und Böse" zu suchen ist, und für den die Dichotomisierungen gut-böse, Gott-Satan, Schwarz-Weiß, etc. Kategorisierungen unseres Geistes sind. D.h. wir ziehen Grenzen, wo es eigentlich nur "Graduierungen" gibt. In dieser Hinsicht ist die Substitution grundlegender metaphysischer Größen, wie z.B. Liebe durch Tod richtungsweisend für die Interpretation:"En la Sonata de Invierno, con su sangriento escenario de guerra, el tema de la Muerte usurpa el primer puesto al del Amor"

Was das letzte Attributsentimentalangeht, so steht es auch im Gegensatz zum Don Juan Tirso de Molinas, dessen Figur sich durch"ausencia total de sentimentalismo [como] característica fundamental y necesaria de D.Juan [...]"kennzeichnet. Es wurde im Kapitel über dieGeneración del 98bereits darauf verwiesen, daß der romantische, sentimentale Stil nicht in das Konzept der Gruppe paßte. Es kam in jener Epoche zunehmender

Industrialisierung und Spezialisierung im Bereich der Arbeit jedoch förmlich zu einer inneren Zerissenheit was eine Sehnsucht nach einem ganzheitlichen und harmonischen Weltbild mit sich brachte. Die Romantik ist dabei, wenn sie sich auch in keinem Fall darauf reduzieren läßt, Mittel, dieses Ganzheitsgefühl zurückzugewinnen und somit der von den Naturwissenschaften entmystifizierten Welt wieder neuen Zauber zu verleihen.

In dieser Hinsicht schreibt Gibbs:"La tradición es mentira y autoengaño, y el romanticismo poético, fachada detras de la cual se oculta no un mundo bello sino el mundo real de sicología, biología y símbolos históricamente determinados."

Über die bis jetzt angesprochenen inhaltlichen Aspekte hinaus darf ein sehr grundlegender Unterschied formaler Natur nicht übergangen werden. Ursprünglich wurde Don Juan ""im Theater geboren", sein Medium ist von Anfang an das Theater gewesen [...]", wohingegen der Graf von Bradomín als Erzähler seine Lebensggeschichte retrospektiv zu einer Legende formt. Während der Don Juan des Theaters seine Legende erst über seine Handlungen und Worte unter Beweis stellen muß, ist sie bei dem Erzähler Bradomín schon vorweggenommen, da hier der Erzähler seine eigene Lebensgeschichte als erzählenswerte Geschichte erachtet und erinnernd die Motive nach seinem Gutdünken in die gewünschte Form bringt. Lopez spricht diesbezüglich von einem""[...] doble distanciamiento de tiempo y espacio" lo cual permite distinguir en principio el Bradomín "ya muy viejo", que narra, del que actua en las distintas Sonatas [...]"

6. Schluß

Es gibt selbstverständlich viele Gesichtspunkte die in dieser Arbeit übergangen wurden. Zum Beispiel, welche Züge die Bradomín-Figur in den verschiedenen Werken Valle-Incláns trägt, Anspielungen auf Personen und Tatsachen des Karlistenkrieges, etc.. Außerdem konnte eine sehr wichtige Frage in die Ausführungen nicht mit einbezogen werden, nämlich die Überlegung, was dieSonatasungeachtet allen Einflusses letzten Endes zu einem literarisch wertvollen Werk macht. Dies mußte ausbleiben, da hierfür eine sorgfältige Analyse von Stil und Form derSonatasunter Hinzuziehung zahlreicher Textbeispiele von Nöten gewesen wäre.

Dennoch wurde der Hintergrund des literarischen Werks ValleIncláns kritisch beleuchtet und auch Stellung zu verschiedenen Diskussionen in der Sekundärliteratur bezogen.

Desweiteren wurde die Figur des Grafs von Bradomín unter Berücksichtigung der literaturgeschichtlichen Entwicklung des Don Juan-Stoffes untersucht und anhand einiger Beispiele die Problematik, die dabei impliziert ist, herausgestellt.

Auf alle Fälle zögere ich nicht zu betonen, daß dieSonatasreich an eindrucksvollen Bildszenen und dank der in Witz und Ironie gebetteten Geschichte des Graf von Bradomín mit Vergnügen zu lesen sind.

7. BIBLIOGRAPHIE

PRIMÄRLITERATUR

Valle-Inclán, Ramón del:Sonatas,Colección Austral,

Decimosexta edición (primera edición 1944), Madrid 1989.

SEKUNDÄRLITERATUR

1. Alonso, Amado: "Estructura de las «Sonatas» de Valle- Inclán", in:Ramón del Valle-Inclán, hrsg.v. Ricardo Doménech, Taurus, Madrid 1988.

2. Bernhofer, Martin:Valle-Inclán und die spanische Kultur im silbernen Zeitalter, Wiss. Buchges., Darmstadt 1992

3. Constantinescu-Iasi, Ioan: "El burlador auf der Bühne. Zur literarischen und szenischen Interpretation der Don-Juan- Figur", in:Cahiers d'histoire des Littératures Romanes / Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte, hrsg.v. Henning Kraus, Universitätsverl.C.Winter, Heidelberg 1997.

4. Gibbs, Virginia:Las Sonatas de Valle-Inclán: kitsch, sexualidad, satanismo, historia,Editorial Pliegos, Madrid. 1993.

5. Habermas, Jürgen:Nachmetaphysisches Denken, Philosophische Aufsätze, Suhrkamp, Frankfurt 1992.

6.Don Juan, Darstellung und Deutung,hrsg.v. Brigitte Wittmann, Wiss.Buchges., Darmstadt 1976.

7. Hinterhäuser, Hans:Fin de siècle, Gestalten und Mythen, Wilhelm Fink Verlag, München 1977.

8. Lopez, Ignacio-Javier:Caballero de Novela, Ensayo sobre el donjuanismo en la novela española moderna, 1880-1930, Puvill Libros S.A., 1988

9. Salper, Roberta L.,Valle-Inclán y su mundo: ideología y forma narrativa, Rodopi, Amsterdam 1988.

10. Shaw, Donald L.:The generation of 1898 in Spain,Ernest Benn Limited, London 1975.

Final del extracto de 12 páginas

Detalles

Título
Die Figur des Don Juan in der Generación del 98 am Beispiel der Sonatas von Ramón del Valle-Inclán
Calificación
Sehr Gut
Autor
Año
2000
Páginas
12
No. de catálogo
V95605
ISBN (Ebook)
9783638082839
Tamaño de fichero
354 KB
Idioma
Alemán
Notas
spanische Literatur
Palabras clave
Figur, Juan, Generación, Beispiel, Sonatas, Ramón, Valle-Inclán
Citar trabajo
Sven Schlarb (Autor), 2000, Die Figur des Don Juan in der Generación del 98 am Beispiel der Sonatas von Ramón del Valle-Inclán, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95605

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