Plenzdorf, Ulrich - Die Legende vom Glück ohne Ende


Exposé / Rédaction (Scolaire), 1980

10 Pages


Extrait


Fach Deutsch: einstündiges Referat über Ulrich Plenzdorf "Die Legende vom Glück ohne Ende"

-1- Glück muß der Mensch haben

Glück muß der Mensch haben. Es gehört zu einem erfüllten menschlichen Leben: Edgar, der junge Held in Pl. 1972 uraufgeführten Theaterstüc k „Die neuen Leiden des jungen W.”, hatte zu wenig Glück und auch Paulas Glück im Film „Paul und Paula” dessen Szenarium Plenzdorf ebenfalls verfaßte, war letztlich begrenzt.

Der Roman „Legende vom Glück ohne Ende” setzt sich aus 2 Teilen zusammen:
1.) Die Legende von Paul und Paula, die 1973 verfilmt wurde (Pl. schrieb das Drehbuch)
2.) Legende vom Glück ohne Ende als die Fortsetzung der Geschichte von Paul

Zunächst eine kurze Erläuterung zum Begriff LEGENDE,

- aus dem Lateinischen

- und heißt soviel wie das zu Lesende.

Legende - das bedeutet seit uralten Zeiten „die wunderbare Erzählung aus dem Leben der Heiligen”.

Richtig ist, dass die Legende vom Glück ohne Ende eine wunderbare Geschichte ist. Mit Paul und Paula baut Pl. diese auf - das Glück, das anvisiert ist, ist durchaus ernst gemeint. Zugleich aber wird die Legende zerstört - Paul und Laura machen es deutlich. Pl. zeigt aber keine Menschen, die Heilige sind, sondern lotet Menschen unseres Alltags danach aus, was Anna Seghers einmal die „Kraft der Schwachen” nannte.

-2- Das Buch zum Film? Ja und nein!

Zum Film:

-1973 Berlin -> Häuser brechen ein -> Titelsong der Puhdys: „WENN EIN MENSCH LEBT ” Text: Plenzdorf ->in Liebesnacht: „GEH ZU IHR UND LASS DEINEN DRACHEN STEIGEN” Text: Puhdys

JA, weil die große und bedingungslose Liebe Pauls und Paulas, die den Film Heiner Carows so ansehenswert gemacht hatte, auf den Seiten dieses Buches erneut anschaulich wird.

JA, weil die satirische Schärfe gegen alles, was dieser Liebe entgegensteht, und auch die leicht absurde Heiterkeit der legendenhaften Anlage, die diesen Film frisch und bissig wirken ließen, hier adäquat in Prosa umgesetzt sind.

Pl. Drehbuch zum Film hatte offensichtlich über Fabel, Episoden und Figurencharakteristiken hinaus schon die Tonlage mitgegeben. FAZIT: Wer am Film Freude hat, liest auch dieses Buch mit Genuß.

Es sind aber auch beträchtliche UNTERSCHIEDE zu verzeichnen:

Das betrifft

1. die Tatsache, dass der Autor die Geschichte weitergesponnen hat.

Nicht Paulas Tod steht am Ende, sondern der überlebende Paul hat neue Glücks- und Unglücksfälle zu bestehen, bevor er im Helldunkel legendärer Ungewißheit verschwindet.

Ein

2. wesentlicher Unterschied besteht darin, dass vieles, was im Film poesievolle Andeutung blieb, nun mit Mitteln des Worts im Klartext erscheint (Türbelagerung). Die Philosophie, die in der Geschichte steckt, tritt deutlicher hervor. Der Anspruch wird gedanklich vertieft. Pl. erweist sich als aufklärerischer Schriftsteller. Diese Verbindung eines durchaus rationalen Elements mit der Phantastik des Legendenhaften ist auf besondere Weise reizvoll. Allerdings verschieben sich die Proportionen gelegentlich zu sehr zugunsten rhetorischer Überzeugung, vor allem im 2. über die Handlung des Films hinausgehenden Teil.

-3- Glück im Unglüc k

In diesem Spannungsfeld bewegen sich im Tragikomischen wie Heiter-Idyllischen auch die Schicksale der 3 Menschen.

Beschrieben werden die wunderbare Liebe zwischen Paul und Paula und die nichterfüllte zwischen Paul und Laura. Pl. läßt diese Liebesgeschichte, eine der schönsten der neueren DDR-Literatur, von einem Rentner oder einer Rentnerin, „meine Person” genannt, erzählen.

Durch die Einbeziehung der Erzählerfigur sind dem Autor wahrhaftige Zeichnungen von Menschen dieser Stadt gemeint ist Berlin und deren Milieu gelungen. Weniger das Elend als das Anziehende der alten Straßen und Häuser, soweit Luftkrieg und Neuplanung sie stehen ließen, kommt zur Geltung. Nostalgie feiert Triumph.

Aber unverkennbar vollzieht sich die Handlung vor dem Hintergrund bedeutsamer Änderungen: das alte Berlin weicht unaufhaltsam dem neuen.

Dieser Vorgang wird so nüchtern festgestellt, wie die Realität des Sozialismus insgesamt die selbstverständliche Basis der Darstellung ist, des Glücks und des Unglücks der Menschen, ihrer Freuden und Leiden, ihrer ganzen Menschlichkeit, von der diese Darstellung - bejahend und kritisch - zeugt.

Man spürt, dass der Verfasser aus genauer Kenntnis heraus geschrieben hat. Pl. nimmt damit die Möglichkeiten frühester literarischer Äußerungen, der Legende, auf, um die Geschichten noch wundersamer, als sie in Wirklichkeit geschehen sind, zu erzählen.

Das praktiziert er bis hinein in die Erzähltechnik, die durch die ursprüngliche Dreiheit von Erzähler, Ereignis und Leser (= früher Zuhörer) gekennzeichnet ist. Er nutzt vor allem die Volkstümlichkeit einer einfachen und schlichten Sprache, die dazu beitragen soll, dass das Buch einen breiten Leserkreis gewinnt.

-4- Paul und Paula

Paul und Paula kennen sich schon seit ihrer Kindheit; sie leben Haus gegenüber Haus in der Berliner Singerstraße und sehen sich fast täglich. Ihre Wege trennen sich als Paul zu studieren beginnt.

Nach dem Studium bei der Armee nimmt er eine verantwortungsvolle Stellung im Staatsapparat ein, ist mit Ines verheiratet und hat einen Sohn. Paula arbeitet in einer Kaufhalle, ist wieder alleinstehend, hat 2 Kinder, einen Sohn und eine Tochter.

Es bedarf jenen Abends, an dem sich Paula entscheidet, ein letztes Fass aufzumachen, bevor sie ihr Leben in ruhigere und sichere Bahnen zu lenken gedenkt (-> evtl.Heirat mit dem etwas ältlichen Reifen-Saft) - und an dem sie auf Paul trifft, der von der Vision seines künftigen verspießerten Lebens in dieselbe Bar getrieben wird, in der Paula ihren Abschiedsauftritt veranstaltet:

Hier springt der Funke über! Zufall solcher Art hat in diesem Buch wichtige Funktionen.

„Es ist Schicksal gewesen”

Paul und Paula erkennen sich im ursprünglichen Sinne des Wortes:

„Paula wußte von Anfang an, dass es die große Liebe war...”

Aber die Geschichte wäre nicht so schön wie sie ist, wenn damit bereits alles gelaufen wäre. Die Konflikte, die diese Liebe zu bestehen hat, beginnen erst.

Die Intensität des Gefühls wird groß darstellbar, indem sich Widerstände auftun, die keineswegs leicht zu überwinden sind. Unterschiedliche Lebensumstände und konträre Lebensauffasungen erweisen sich als ernsthaftes Hemmnis.

Paul ist Akademiker und hoffnungsvoller Kader in verantwortlicher Stellung. Er kann sich „bei seiner Funktion und seiner Laufbahn keine Scheidung leisten”, um Paula zu heiraten.

Paula hingegen traut dem Frieden nicht, als Paul sich schließlich doch über alles das hinwegsetzt, bietet ihr doch Reifen-Saft, der etwas ältliche, aber zuverlässige und reichlich wohlhabende Geschäftsinhaber, einen angenehmen Ausweg aus der Misere ihrer Existenz als alleinstehende Mutter mit 450 Mark im Monat.

Und schwerer noch als die Überwindung dieser sozialen Unterschiede ist der Abbau gegensätzlicher Auffassungen vom Leben.

Paul unterwirft sich den Anforderungen seiner Karriere, tut, was von ihm verlangt wird, führt ein Leben, „das ganz und gar den Normen entspricht”.

Paula hingegen lebt so wie sie es will, sagt, was sie meint, paßt sich in keiner Weise an.

Zusammen mit ihren körperlichen Vorzügen und ihrer Fähigkeit zur bedingungslosen Hingabe macht gerade das die Anziehungskraft ihrer Persönlichkeit aus.

Und auf diesem Boden wachsen auch die phantastischen Gerüchte, die sich über Paul und Paula mit Windeseile verbreiten.

Wenn sich die in ihr Liebesglück versunkene Paula eine halbe Stunde lang ohne Kittel und Kleid an ihre Kaufhallenkasse setzt, ist das schon ein Fakt heiter poetischer Verfremdung. Aber Pl. gibt sich damit nicht zufrieden.

„Die wildesten Gerüchte sind im Umlauf gewesen”

Es hieß z.B., in der Singerhalle soll eine Verkäuferin irre geworden sein und unter dem Abgesang unzüchtiger Lieder die Waren umsonst verteilt haben, und das nackt. Auch das reicht Pl. nicht aus, er spitzt satirisch hinzu:

„Oder es hieß, im Warenhaus soll eine Verkäuferin durch den Werkefunk Schiebereien der Leitung mit Mangelwaren aufgedeckt und die Leitung vor versammelter Kundschaft gezwungen haben, sich zur Strafe bis aufs Hemd auszuziehen und eine Stunde lang Kampflieder zu singen.”

Pl. zieht bei diesen Darstellungen alle Register seines unerschöpflichen poetischen Witzes.

„Paula war nicht zu dressieren”, das wird Paul bald bewußt. Er kann aus ihr keine „Konfirmistin” (einer Meinung sein) machen, sondern muß vielmehr seine eigenen Prinzipien aufgeben, wenn er seine Liebe retten will.

Wir sehen nun den verheirateten Paul um die junge Paula ringen. Ein Glanzstück des Erzählers ist die Belagerung von Paulas Tür, da ist Pl. voll da, er verschenkt nichts, gibt, was die Szene verlangt. Alltägliches wird mit dem Glanz des Besonderen versehen. die Liebe zerstört sich nicht durch Sentimentalität, nicht, als Paul seine Herzen malt, noch später.

Das ewige Sujet: Kriegen sie sich oder nicht?, das hier spannungsvoll entwickelt wird, erhält durch die Ernsthaftigkeit und Bedeutsamkeit dieser Fragen, die Paul und Paula sich zu beantworten haben, ein Gewicht, das aus der Trivialität herausführt.

Nicht zuletzt trägt dazu aber auch die Rigrosität bei, mit der Paula ihre Liebe lebt: Um den Preis des Lebens bringt sie das Kind zur Welt, das daraus hervorgeht. Ihr Tod ist tragisch, indem er jeglicher Zufälligkeit entbehrt (Paula schlägt alle Warnungen des Arztes in den Wind!).

-5- Fortsetzung der Lebensgeschichte von Paul

Nach Paulas Tod kehrt sich die Konfliktsituation um: Paul lebt dahin, ohne Ziel, ohne Wunsch. Bis eines Tages Laura in Gestalt von Paula in der Kaufhalle auftaucht. Das Glück scheint wiederzukehren. Doch das, was den Inhalt der Liebe zwischen Paul und Paula ausmachte, nämlich Toleranz und Tätigsein im Rahmen eigener Wünsche und Bedürfnisse, verkehrt sich im Zusammenleben mit Laura ins Gegenteil.

Sie möchte, dass Paul seine alte Stellung wieder einnimmt, und kämpft verständlicherweise darum, dass Paul in ihr Laura und nicht Paula sieht.

Das Leben beider wird zu einem Kampf mit - und gegeneinander. Paul empfindet immer stärker, dass die Ähnlichkeit Lauras zu Paula nur äußerlich und dem Namen nach existiert.

Ihre Auffassungen vom Leben sind Paulas entgegengesetzt. Die Konstellation zwischen ihr und Paul ist dieselbe wie die anfängliche zwischen Paul und Paula.

Während Paul nun Paulas Vermächtnis fortführt, ist Laura weitgehend den Unarten der gesellschaftlichen Konventionen angepaßt. Zu einer neuerlichen grundsätzlichen Lösung des Konflikts kommt es jedoch nicht.

Paul kann mit Laura auf die Dauer nicht gemeinsam leben. Das Verhältnis zwischen Paul und Laura ist dem zwischen Paul und Paula als Schablone aufgelegt, um die Nichtübereinstimmung zu demonstrieren.

Nach einer Betriebsfeier, auf der ihm ein auf Karriere bedachter Kollege zuflüstert, dass Laura nur die Aufgabe bzw. den Auftrag hatte, ihn in sein früheres weitgehend vorgegebenes Leben zurückzuführen, geht er betrunken in die GARAGE, montiert an seinem alten Auto und erleidet einen Unfall, der eine Querschnittslähmung auslöst.

Nach tagelanger Suche fanden ihn in der GARAGE der Tanzlehrer, Paul erste Frau, Laura, Collie, meine Person und der Taxifahrer, der damals Paulas Sohn überfuhr.

Danach umsorgt Laura ihn treu und uneigennützig. Doch das Mißverständnis bleibt. Paul macht ungeheure Anstrengungen, um nicht von Laura abhängig zu sein. Er lernt auf Knien, später auf Krücken zu laufen. Collie baut ihm dann noch einen Beidhänder, mit dem er in ganz Berlin bekannt wird.

Und eines Tages ist er verschwunden.

„Man hat noch lange nach Paul gefahndet. Aber nirgendwo ist ein Paul mit Krücken oder auf Knien gesehen worden.” Der unbestimmte Artikel zeigt es an: diesen Paul gibt es nicht mehr, aber als ein sich wieder zu voller Größe aufrichtender Mensch lebt er unter uns.

Es wäre aber auch anzunehmen, dass er mit seinem Zirkusfreund Collie mitgezogen ist, weil so ein Leben seinen Intentionen=Anpassungen von individueller Freiheit und Selbstbestätigung am meisten entsprach.

Die Legende will es so, wenngleich der Hinweis des Titels auf ein „Glüc k ohne Ende” ironischer Hintergründigkeit nicht entbehrt. Ob dieser Schluß allerdings ebenso kunstvoll wirksam wie der tragische des Films ist, muß wohl bezweifelt werden.

-6- Plenzdorfs Grundanliegen

Will man Pl. Grundanliegen auf einen Nenner bringen, dann läßt sich vielleicht sagen:

Er macht Vorschläge für ein alternatives Leben.

Vorbild dafür ist Paula, ihre Ungezwungenheit und Spontanität, ihr offenes Verhalten zu anderen, ihre letztliche Weigerung, sich Umständen anzupassen, die der Entfaltung ihres Wesens hinderlich sind.

Zu diesem Lebensideal gehört es, keine Kompromisse zu schließen, sich herkömmlichen Gebräuchen und einer übermäßigen Organisiertheit des menschlichen Zusammenlebens zu verweigern.

Pl. macht sich am besten im episodischen Detail verständlich: Um diese Vorstellung von einem anderen Leben zum Ausdruck zu bringen, erfindet er z.B.

Pauls „Tick” überall in öffentlichen Gebäuden die Türen zu öffnen als ein Symbol für freies, ungehindertes Umgehen aller mit allen.

„Er ist nicht in dem Sinne auf Jagd nach geschlossenen Türen gegangen, aber wenn er welche entdeckte, machte er sie auf, da konnte kommen, was wollte. In der Gegend um die Singer hatte Paul sich schon durchgesetzt, da gab es keine Kaufhalle, keine Post und sonst kein öffentliches Gebäude mehr, in dem nicht alle Türen offen waren.”

Pl. Vorschläge zielen darauf hin, richtig leben zu lernen. Er geht davon aus, dass in der sozialistischen Gesellschaft, in der die Menschen seines Buches agieren, viele ungenutzte Möglichkeiten vorhanden sind, um die Individuen in höherem Maße zu sich selbst kommen zu lassen, um ihr Miteinander angenehmer zu gestalten.

Aber oft genug sind es auch ganz pragmatische Vorschläge, die der Autor einbringt und deren Nützlichkeit das Alltagsleben bestätigt.

Wer z.B. wissen möchte, wie eine Kaufhalle aussehen und funktionieren sollte, der muß die Seiten 152-158 dieses Buches lesen. Sicher zucken Routiniers und Skeptiker dabei sofort mit den Schultern, und weisen mit erhobenen Zeigefinger auf die objektiven Bedingungen hin. Doch Pl. schreibt nicht zuletzt zu dem Zweck. eingefahrene Verhaltensweisen zu erschüttern.

Dem dienen seine manchmal schockierenden Übertreibungen und die satirische Zugespitztheit vieler Passagen.

Wie schon in Pl. anderen Arbeiten hat auch hier die Geschichte Anwendung verschiedener Sprachebenen, insbesondere die Einbeziehung des im lokalen wurzelnden Jargons, eine wichtige Funktion.

Hohe Bewußtheit des Sprachlichen beeinflußt sogar den Gang des Geschehens: als Paula im Gespräch mit Saft in einem Satz

„4 Pronomen der 2. Person auf einen Streich” gebraucht:

„Kann ich dich mal bitte um deinen Kamm bitten, wenn du einen bei dir hast?”

Dadurch ist Paul so geschockt, dass er zeitweilig von Paula abläßt.

Die meisten Figuren zeigen sich als Mitgestalter des Lebens. Neue Moralbegriffe werden als echte Werte bewußt gemacht. Der Roman bietet viele überzeugende Skizzen aus der damals sozialistischen Wirklichkeit.
- Anteilnahme der Menschen untereinander,
- Kollegialität der Mitarbeiter in Paulas Kaufhalle und Pauls Dienststelle;
- das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Arzt und Patienten;
- aber auch die Darstellung von Kleinbürgern wie der ersten Frau von Paul und -des Reifen-Saft als Typen einer bestimmten sozialen Schicht Des Gesellschaftsgefüges.

Das Ideal eines Lebens, wie es Paula und später Paul führen, erweist sich als durchaus anziehend in seinen positiven Wertsetzungen, aber es ist in mancher Hinsicht problematisch, in dem, wozu es sich als Alternative versteht.

Zu Recht ist dieses Ideal gegen Spießertum und Prüderie, Korruption und Ungerechtigkeit, Heuchelei und schönfärberische Vertuschung von Mängeln gerichtet.

In den Bemerkungen und Episoden, die solche Erscheinungen - zumeist satirisch-heiter anprangern, zeigt sich der Autor als zielsicherer Kritiker. Er schießt jedoch daneben, wenn die Einordnung in kollektive Übereinkünfte zur Regelung menschlichen Zusammenlebens von vornherein als „Anpassung” beurteilt wird, die der Individualität abträglich ist.

Und wenn Organisation und Ordnung im Bereich der Flaschenrückgabe einer Kaufhalle erstrebenswert scheinen, aber in der nächst höheren Leistungsebene schon nur noch mit den Mitteln komischer Gestaltung in Frage gestellt werden.

Pl. Ideal, das er in diesem Buch vorführt, ist verbunden mit einem Horror gegenüber jeglicher Staatlichkeit. Dienststellen, Ausweise, Polizisten oder gar der „Staatsapparat” sind fast ausnahmslos dazu da, die Möglichkeiten des einzelnen einzuengen oder zu manipulieren. Und sei es eine auf rot geschaltete Verkehrsampel!

Im Gang der Handlung des Buches erlangt dieses Konzept an jener Stelle seinen verhängnisvollen Einfluß, an der deutlich wird, dass Laura nicht zufällig an Paulas Stelle getreten ist, sondern Instrument einer solchen Perfektion schon wieder höchst phantastischen Kaderpolitik ist, die den bürokratischer Gängelei entlaufenen Paul unbedingt wieder in ihr unerbittliches Räderwerk einbauen will.

Die Folgen sind furchtbar. Paul, gerade im Begriff, sich an die etwas spröde Paula-Nachfolgerin zu gewöhnen, verunglückt auf schlimme Weise angesichts des Entsetzens, das ihn ob solcher bösartiger Intrigen ergreift.

Wie soll man diese Konstruktion bewerten?

Pl. gibt selbst einen Hinweis dazu, als er Paul meditieren läßt:

„Wenn alle, die eine fixe Idee haben, mit einem Besen rumlaufen, würde die Besenindustrie zur strukturbestimmenden Industrie werden.” Die Gefahren, in die der Held dieses Buches durch staatlich organisierte Aktionen gerät, sind eine solche fixe Idee. Darüber können auch alle ironischen Brechungen nicht hinwegtäuschen.

Pauls Unfall bringt übrigens ein neues, weiteres Problem ein:

querschnittsgelähmt gehört er zu einer neuen „Randgruppe”, der gegenüber sich die handelnden Figuren und der Charakter der Gesellschaft zu bewähren haben. Eine Probe, die teils bestanden, teils nicht bestanden wird.

Die exakten Beschreibungen der Krankheit fügen sich jedoch in den satirisch-komischen Grundgestus (Grundgedanken) des Werkes nicht überall passend ein. Vor allem wird es dadurch gegen Ende hin zu problemlastig, zu vordergründig.

Wenn diese Tendenz jedoch im Rahmen des Erträglichen bleibt, dann deswegen, weil wörtliche Rede und Dialog hervorragend gemeistert sind.

Wenngleich Pauls Anspruch auf persönliche Freiheit und Unabhängigkeit bis zum Extrem getrieben wird, so macht seine Geschichte jedoch nachhaltig aufmerksam, dass der Mensch nur glücklich sein kann, wenn er die Chance hat, seine Persönlichkeitswerte, seinen Charakter in weitgehender Übereinstimmung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft zu realisieren.

So betrachtet, bedeutet Pauls Verschwinden nicht Abkehr von der Realität, sondern Suche nach neuer menschlicher Gemeinschaft und Bewährung.

Sich als Mensch seinen Möglichkeiten entsprechend voll auszuschöpfen, darin sehe ich das ganze Geheimnis um Pauls Identität.

„Legende vom Glück ohne Ende”

Kurzbiographie:
- 26.10.1934 in Berlin Kreuzberg als Sohn eines Arbeiters geboren
- nach dem Abitur 1954/55 Studium der Philosophie am Franz-Mehring-Institut in Leipzig
- anschließend Bühnenarbeiter
- dem Wehrdienst folgte 1959-1963 Studium an der Filmhochschule in Babelsberg
- arbeitet als Filmdramaturg, Drehbuchautor und Schriftsteller (Szenarist im DEFA-Studio)
- 1973: Heinrich-Mann-Preis der DDR
- 1978: Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis

Werke:
- 1964: Karla (Filmtext)
- 1973: Die neuen Leiden des jungen W.
- 1973: Die Legende von Paul und Paula (Film)
- 1974: Der alte Mann, das Pferd, die Straße (Filmtext)
- 1979: Die Legende vom Glück ohne Ende (Roman als Fortsetzung des Film)
- 1979: Keiner runter, keiner fern (Erzählung)

Kurzinhalt des Romans:

Paul und Paula sind in der Berliner Singerstraße großgeworden. Ihre Wege trennten sich als Paul zu studieren begann.

Paul hat ein bildhübsches Mädchen (Ines) geheiratet und hat eine verantwortliche Stellung im Staatsapparat.

Paula arbeitet in einer Kaufhalle und ist ledige Mutter von 2 Kindern. Nun führte der Zufall Paul und Paula abermals zueinander und keine Macht der Welt konnte sie je wieder trennen. Jetzt türmen sich die Komplikationen, die eine ganz große Liebe mit sich bringt. Trotz Warnungen des Arztes will Paula unbedingt ein Kind von Paul. Sie stirbt bei dessen Geburt.

Hier endet der 1.Teil des Buches, und hier endet die Story, die Legende von Paul und Paula.

Der 2.Teil des Buches ist die Fortsetzung der Legende mit Laura und Paul. Laura nimmt sich des von allem Glück verlassenen Paul und der Kinder an. Es geht aufwärts bis Paul von einem Kollegen etwas erfährt, das zerstörerische Kraft hat. Nach einer Betriebsfeier, auf der ihm jener auf Karriere bedachter Kollege zuflüstert, dass Laura nur die Aufgabe bzw. den Auftrag hatte, ihn in sein früheres, weitgehend vorgegebenes Leben zurückzuführen, geht er betrunken in die Garage, montiert an seinem alten Auto und erleidet einen Unfall, der eine Querschnittslähmung auslöst.

Laura umsorgt ihn treu und uneigennützig. Doch das Mißverständnis bleibt. Paul unternimmt ungeheure Anstrengungen, um nicht von Laura abhängig zu sein. Er lernt auf Knien, später auf Krücken laufen-und eines Tages ist er verschwunden

Gliederung:
1.Glück muß der Mensch haben
2.Das Buch zum Film? Ja und nein!
3.Glück im Unglüc k
4.Paul und Paula
5.Fortsetzung der Lebensgeschichte von Paul
6.Plenzdorfs Grundanliegen

Quellen:
- Junge Welt vom 27.11.1979
- Neues Deutschland vom 30.3.1980
- Neue Deutsche Literatur Heft 8/1980
- Kulturelles Leben Nr.27 (2/1980)
- Sonntag

Fin de l'extrait de 10 pages

Résumé des informations

Titre
Plenzdorf, Ulrich - Die Legende vom Glück ohne Ende
Auteur
Année
1980
Pages
10
N° de catalogue
V95647
ISBN (ebook)
9783638083256
Taille d'un fichier
372 KB
Langue
allemand
Annotations
einstündig
Mots clés
Plenzdorf, Ulrich, Legende, Glück, Ende
Citation du texte
Jens Hackl (Auteur), 1980, Plenzdorf, Ulrich - Die Legende vom Glück ohne Ende, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95647

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