Antisemitismus und Kritische Theorie

Der Antisemitismusbegriff bei Theodor W. Adorno und antisemitische Ressentiments in der AfD


Hausarbeit, 2020

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Antisemitische Verschwörungstheorien

1. Theodor W. Adorno: „Studien zum autoritären Charakter“
1.1 Vergesellschaftung
1.2 Die Kapitalistische Vergesellschaftung als Ursprung von Totalität
1.3 Antisemitismus als autoritärer Charakter
1.4 Antisemitische Projektion
1.4.1 Ich-bezogene antisemitische Projektion
1.4.2 Gesellschafts-bezogene antisemitische Projektion

2 Antisemitische Ressentiments in der AfD
2.1 Antisemitische Verschwörungstheorien in der AfD
2.2 Projektion antisemitischer Weltbilder auf Migranten

3 Fazit

4 Literaturverzeichnis

1 Antisemitische Verschwörungstheorien

Verschwörungstheorien haben aktuell Hochkonjunktur und sind in aller Munde. Konspirative Erklärungsmuster, die versuchen komplexe oder nicht greifbare Sachverhalte, Krisen oder Konflikte zu erklären, gab es allerdings schon immer. Der Mythos der jüdischen Weltverschwörung ist ein Klassiker unter den landläufigen Verschwörungstheorien. Dabei wird angenommen, dass „die Juden“ sich als Kollektiv gegen die Welt verschworen haben und die Weltherrschaft anstreben würden. (Baldauf, 2015) In Zeiten von Corona haben antisemitische Verschwörungstheorien besonders starken Auftrieb bekommen, wie die Recherche- und Informationsstelle für Antisemitismus (RIAS) vor einigen Monaten mitteilte. Durch die globale Pandemie erhielten anti-jüdische Verschwörungstheorien nicht nur im Internet, sondern auch auf den Corona-Demonstration zunehmend Auftrieb. (Die Zeit, 2020) Die Logik, die allen antisemitischen Verschwörungstheorien zugrunde liegt, beruht darauf, dass verunsichernde widersprüchliche, ökonomische oder politische Ereignisse in der modernen Gesellschaft auf einen großen Masterplan gegen alle Nicht-Jüdinnen und Nicht-Juden zurückgeführt werden. Dabei wird ein apokalyptisches Bild der Zukunft gesponnen: Um die totale Weltverschwörung gegen alle Nicht-Jüdinnen – und Juden zu verhindern, muss ein Kampf der „Guten“ gegen die „Verschwörer“ stattfinden. (vgl. Amadeu Antonio Stiftung) Im Zeitraum vom 17. März bis 17. Juni wurden der RIAS insgesamt 123 Coronoa-Demonstrationen bekannt, bei denen es zu antisemitischen Äußerungen kam. Den Großteil der antisemitischen Äußerungen machten antisemitische Post-Schoa Aussagen, im Sinne einer Holocaustrelativierung und der moderne anti-jüdische Verschwörungstheorien, aus. Vor dem Hintergrund des bereits erwähnten Gut-Gegen-Böse Manichäismus wurden „die Juden“ als Drahtzieher und Schuldige für die Covid-19-Pandemie benannt. So wurden unter anderem auch gängige antisemitische Mythen aufgegriffen und „die Zionisten“, „die Rothschilds“ oder „die Soros“ beschuldigt. (RIAS 2020: 8 f.)

Die Tendenz, dass offen antisemitische Äußerungen wieder salonfähig werden, steigt schon seit einigen Jahren. So stieg im Jahr 2019 zum Vorjahr nicht nur die Zahl der antisemitischen Delikte, sondern auch die der antisemitischen Straftaten um 13 Prozent. (Tagesschau, 2020) Durch das Herunterfahren des öffentlichen Lebens während der Pandemie, verlagerten sich die judenfeindlichen Äußerungen jedoch ins Internet. Dort verbreiteten sich die Verschwörungstheorien ungehindert und zogen wie ein Lauffeuer durch die Online-Welt. Dass offener, wie verdeckter Antisemitismus in Deutschland zunimmt zeigt sich nicht nur an Verschwörungstheorien. Mit dem Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) in den Bundestag und in Länderparlamente, haben auch anti-jüdische und anti-zionistische Ressentiments Einzug auf politischer Ebene erhalten. So warnte zuletzt das Bundesamt für Verfassungsschutz vor der judenfeindlichen Programmatik der Partei, die durch einige Mitglieder, wie Björn Höcke oder Wolfgang Gedeon, verbreitet wird. (Schindler, 2020)

Aufgrund der steigenden antisemitischen Tendenzen in gesellschaftlicher wie politischer Hinsicht, ist das Ziel dieser Arbeit die Entstehung antisemitische Weltbilder und Ressentiments zu untersuchen. Um dieser Untersuchung einen theoretischen Rahmen zu geben, wird der Antisemitismusbegriff der Kritischen Theorie näher beleuchtet. Zur Begriffsbestimmung wird dabei Bezug genommen auf die „Studien zum autoritären Charakter“ von Theodor W. Adorno um anschließend zu analysieren, wie und in welchen Formen Antisemitismus in der AfD vorliegt. Die Notwendigkeit dieser Untersuchung ergibt sich aus der Tatsache, dass die AfD aus Bundes- und Landesebene in fast allen wichtigen politischen Ämtern und Parlamenten vertreten ist und somit einen erheblichen Einfluss hat auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung.

Zunächst müssen für die Untersuchung wichtige theoretische definitorische Begriffe der Antisemitismustheorie erläutert werden. Dafür wird im ersten Kapitel das Werk „Studien zum autoritären Charakter“ von Theodor W. Adorno und die Antisemitismustheorie der kritischen Theorie dargelegt. Im Anschluss an dieses Kapitel wird im zweiten Abschnitt untersucht, ob und wie sich antisemitische Ressentiments innerhalb der AfD äußern. Im letzten Kapitel wird ein abschließendes Fazit gezogen.

1. Theodor W. Adorno: „Studien zum autoritären Charakter“

1.1 Vergesellschaftung

Angetrieben von dem Ziel eine kritische Analyse der modernen Gesellschaft zu forcieren, entstand im Jahre 1923 die „Kritische Theorie“ im Zuge der Gründung des Instituts der Sozialforschung in Frankfurt.1 Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse sind nur einige der herausragenden Theoretiker, die als Urheber und Vertreter der kritischen Theorie große Aufmerksamkeit durch ihre kritischen gesellschafts- und erkenntnistheoretischen Werke erfuhren. (Knapp 2010: 190) Im Wesentlichen kann das grundlegende Axiom, auf dem die kritische Theorie fußt, wie folgt beschrieben werden: Es basiert auf der Anknüpfung an die Freud’sche Psychoanalyse (Adorno 2018: 7), vertritt eine rekurrierende wie auch kritische Auffassung zu Hegels Phänomenologie2 und hat Wurzeln in der marxistischen Tradition (Knapp 2010: 190). Dabei ist die kritische Theorie, wie der Name bereits vermuten lässt, immer Gesellschaftskritik und verweist darauf, dass diese Kritik nicht von außen an die Gesellschaft herangetragen werden kann, sondern nur durch immanente Selbstreflektion begründet werden kann. (Knapp 2010: 190) In Bezug auf Antisemitismus folgert Markl in seinem Werk „Beschädigtes Leben und Judenhass“, dass die Kritik an eben diesem immer einher geht mit einer radikalen Kritik an der Gesamtgesellschaft. (Markl 2006: 144) Daher ist es existenziell sich zuerst eine Übersicht über das Welt- und Menschenbild der kritischen Theorie zu verschaffen. Im nächsten Abschnitt werden daher kurz das generelle Weltbild und Menschenverständnis der Kritischen Theorie, insbesondere das von Adorno, wiedergegeben.

1.2 Die Kapitalistische Vergesellschaftung als Ursprung von Totalität

Um zu verstehen, wie Adorno die Entstehung von antisemitischem Gedankengut überhaupt herleitet, muss man sich einen groben Überblick über das generelle Weltbild der kritischen Theorie verschaffen. An Marx anknüpfend, geht Adorno davon aus, dass die kapitalistische Produktion als Selbstzweck fungiert. Dabei wird der Profit um seiner selbst willen produziert, während er bereits Voraussetzung seiner eigenen Produktion ist. (Weyand 2001: 69) In dieser sich selbst erhaltenden und reproduzierenden Schleife ist das Individuum jedoch nur Mittel zum Zweck. Für das Individuum ist die Selbsterhaltung durch Produktion zwar Selbstzweck, gesamtgesellschaftlich betrachtet ist der Zweck von Produktion jedoch nicht das Überleben des einzelnen Individuums, sondern die Produktion um der Produktion willen. (Weyand 2001: 75) Roger Behrens schreibt dazu in seinem Buch „Handbuch Soziologische Theorien“:

„Die repressive Tendenz des Kapitalismus manifestiert sich nicht allein in politisch-ökonomisch bestimmbarer Ausbeutung der Arbeiter durch die Mehrwertproduktion, sondern in einer allgemeinen Logik der Unterdrückung; Herrschaft verselbständigt sich gleichsam zu einem universellen Verblendungszusammenhang.“ (Behrens 2009: 210)

Die kapitalistische Vergesellschaftung bezeichnet also die Herrschaft der Gesellschaft über das Individuum. Durch die immerwährende Unterdrückung des Subjektes ist es deshalb besonders empfänglich für autoritäre Strukturen. Adorno beschreibt, dass sich die Charakterstrukturen des Menschen unter dem Druck der ökonomischen und sozialen Umweltbedingungen entwickeln und deshalb nur im Kontext ebenjener gesellschaftlicher Umweltfaktoren analysiert werden können. (Adorno 2018: 5 ff.)

Die Überlegung, dass es einen Zusammenhang zwischen Ideologie und soziologischen Faktoren gibt, untersucht Adorno in seinem Werk „Studien zum autoritären Charakter“ mit Hilfe qualitativer wie quantitativer Sozialforschungen, welche im nächsten Abschnitt zusammengefasst werden.

1.3 Antisemitismus als autoritärer Charakter

Während des ersten Weltkrieges, als die Ideologien des Faschismus und Nationalsozialismus das gesamte damalige Europa fest im Griff hatten, schloss sich 1945 eine Forschergruppe um Theodor W. Adorno, Else Frenkel-Brunswick, Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford im Exil in den Vereinigten Staaten zusammen, um den Ursprung anti-demokratischer und autoritärer Gesinnung in der Gesellschaft zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden gesammelt und 1949 in dem Werk „The Authoritarian Personality“ veröffentlicht. Dabei entwickelten Adorno et. Al verschiedene standardisierte statistische Skalen, anhand derer sie die Empfänglichkeit des Individuums für faschistisches Gedankengut messen wollten. Anlässlich zu Adornos 70. Geburtstag wurde die fast tausend Seiten lange Arbeit teilweise ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel „Studien zum autoritären Charakter“ veröffentlicht. (Adorno 2018: IX Vorrede)

Zu Beginn seiner Studien hinsichtlich faschistischer Tendenzen stellt Adorno fest, dass Antisemitismus dabei eine zentrale Rolle spielt. Der Mitbegründer der Frankfurter Schule stellte sich demzufolge die Frage wie es sein kann, dass einige Personen Ideologien wie dem Faschismus oder Antisemitismus verfallen, andere aber nicht. Ausgangspunkt seiner Untersuchungen sind dabei zwei zentrale Thesen: „(1) dass der Antisemitismus wahrscheinlich keine spezifische oder isolierte Erscheinung ist, sondern Teil eines breiteren ideologischen Systems, und (2) dass die Empfänglichkeit des Individuums für solche Ideologien in erster Linie von psychologischen Bedürfnissen abhängt.“ (ebd.: 3)

Angelehnt an Freuds sozialpsychologische Theorie definiert Adorno diese psychologischen Bedürfnisse als Charakterstrukturen. Er folgert: „Charakterkräfte sind im wesentlichen Bedürfnisse (Triebe, Wünsche, emotionale Bedürfnisse), die ihn ihrer Eigenart, ihrer Intensität, ihrem Befriedigungsmodus und ihren Objektanbindungen von einem zum anderen Individuum variieren […]“ (ebd.: 7) Er beschreibt die Charakterstruktur als Determinante ideologischer Präferenzen, welche jedoch nicht statisch sind sondern von Umweltfaktoren, wie der bereits erwähnten kapitalistischen Vergesellschaftung, beeinflusst werden. (ebd.: 7)

Basierend auf der Annahme der kritischen Theorie, dass Gesellschaftskritik nicht nur von außen betrachtet werden kann, sondern interne Prozesse dabei analysiert werden müssen. Deshalb versucht Adorno Antisemitismus in seinen Studien die interne Dynamik sowie externe Einflüsse zu erfassen. Um die Strukturen und Dynamiken eines autoritären Charakters zu ergründen, kamen bei Adornos Studien quantitative und qualitative Methoden zum Einsatz. Um antidemokratische Züge in der Charakterstruktur messen zu können, entwickelte er verschiedene Einstellungsskalen um ideologische Trends auszuwerten. Der Fokus lag dabei auf Antisemitismus (A-S-Skala), Ethnozentrismus (E-Skala) und politisch-wirtschaftlicher Konservatismus (PEC-Skala) und Faschismus (F-Skala). (ebd.: 37 ff.)

[...]


1 Aus diesem Grunde wird sie auch „Frankfurter Schule“ genannt. (Knapp 2010: 190)

2 Vgl. hierzu: Theodor W. Adorno (1963): Drei Studien zu Hegel.

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Details

Titel
Antisemitismus und Kritische Theorie
Untertitel
Der Antisemitismusbegriff bei Theodor W. Adorno und antisemitische Ressentiments in der AfD
Hochschule
Universität Passau
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
14
Katalognummer
V956753
ISBN (eBook)
9783346301192
ISBN (Buch)
9783346301208
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Antisemitismus, Theodor W. Adorno, Afd
Arbeit zitieren
Laura Eckert (Autor:in), 2020, Antisemitismus und Kritische Theorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/956753

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