Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Position Michael J. Zimmerman
2.1 Argumentation in Stufen
2.2 Das Argument des moralischen Zufalls
2.3 Situationsbezogener Zufall
3 Die Debatte um den moralischen Zufall
3.1 Moralischer Zufall
3.2 Absurdität des Kontrollprinzips
3.3 Diskussion der Lösungsansätze
4 Zufall – Wahrscheinlichkeit und Kontrolle
5 Fazit
6 Literatur
1 Einleitung
Das gegenwärtige Strafrecht in Deutschland kennt zwei Arten der Strafe: Freiheitsstrafen und Geldstrafen. Im Allgemeinen verstehen wir unter Strafe die Zufügung eines Übels, als Reaktion auf eine unerwünschte Handlung. Dem Bestraften geschieht etwas Unangenehmes und der Strafende muss jemandem ein Übel zufügen. Deshalb muss es eine gute Begründung dafür geben, dass der Staat zum Strafen berechtigt ist.
Die Sichtweise des amerikanischen Philosophen Michael J. Zimmerman zum Thema der Rechtfertigung staatlicher Strafen gibt Anlass zum Nachdenken. In seinem Buch „The Immorality of Punishment“ argumentiert er dafür, die Strafpraxis vollkommen abzuschaffen, da staatliches Strafen nicht zu rechtfertigen und stets unmoralisch sei (vgl. Zimmerman 2011). Seinen Ausführungen zufolge darf niemals irgendjemand für irgendein Verbrechen bestraft werden. Davon nimmt Zimmerman, trotz seiner jüdischen Herkunft, selbst die Naziverbrecher nichts aus. Er begründet seine These damit, dass niemand für etwas verantwortlich gemacht werden kann, wenn es sich seiner Kontrolle entzieht und damit dem Zufall unterliegt. Damit spricht er sich gegen die Existenz des moralischen Zufalls aus und hält an einem extremen Kontrollprinzip (vgl. Nelkin 2013) fest.
Die eher kontraintuitive Konsequenz aus der Argumentation Zimmermans führt dazu, das Kontrollprinzip anzuzweifeln und in Erwägung zu ziehen, den Einfluss des Zufalls auf moralische Urteile zuzulassen. Da jedoch sowohl die strikte Anwendung des Kontrollprinzips als auch die strikte Akzeptanz des moralischen Zufalls erhebliche Probleme mit sich bringt, scheint es notwendig, für eine Mischform zu argumentieren oder zumindest die Unterschiede in den Kategorien des moralischen Zufalls zu analysieren. Dafür wird in dieser Arbeit zunächst gezeigt, dass für Zimmermans Schlussfolgerung das Argument zum situationsbezogenen moralischen Zufall von besonderer Relevanz ist.
Obwohl seine Argumentation schlüssig ist, wird seine These von vielen nicht akzeptiert, da es den meisten Menschen nicht recht ist, die staatliche Strafpraxis vollkommen abzuschaffen. Deshalb muss geprüft werden, ob Zimmermans Annahmen auch so getroffen werden können. Seine These gründet sich auf die Annahme, dass das sog. Kontrollprinzip (vgl. Nelkin 2013, Kapitel 1) uneingeschränkt anzuwenden und die Existenz des moralischen Zufalls abzulehnen ist. Deshalb wird im nächsten Schritt zum einen geklärt, was in der Philosophie unter „moralischer Zufall“ verstanden wird, um dann letztendlich festzustellen welche Probleme der Begriff des moralischen Zufalls in sich birgt.
2 Position Michael J. Zimmerman
2.1 Argumentation in Stufen
In seinem Buch „The Immorality of Punishment“ argumentiert Zimmerman für die Abschaffung von Strafe. Dafür legt er im ersten Teil des Buches den Fokus darauf, die relative und absolute Straftheorie als Rechtfertigungen für die Strafpraxis abzulehnen, wobei er die Vergeltungstheorie für diejenige hält, die die Strafpraxis noch am besten begründen kann. Deshalb entwickelt er im zweiten Teil zwei Argumente, die – unabhängig davon, ob die Vergeltung von Verbrechen für eine gute Begründung für eine Strafpraxis gehalten wird – zu dem Schluss führen, dass die staatliche Strafpraxis niemals moralisch gerechtfertigt sein könne und somit immer abzulehnen sei (vgl. Zimmerman 2011, S. 119). Zimmerman möchte erreichen, Strafe unabhängig von jeglichem Strafzweck abzulehnen, um die Gefahr abzuwenden, seine These, Strafe gehöre abgeschafft, verwerfen zu müssen (vgl.). Denn bei Überwindung der Schwierigkeiten, die die Vergeltungstheorie mit sich bringt, wären seine Argumente im ersten Teil des Buches zu schwach. Seine – wie er selbst sagt – „bedeutsamen“ Argumente (vgl. Zimmerman 2015, S. 117; Zimmerman 2011, S. 122) befinden sich im zweiten Teil des Buches. Zimmerman nennt sie:
(1) Das Argument der Unwissenheit (Argument from Ignorance)
(2) Das Argument des moralischen Zufalls (Argument from Luck)
Sie zielen darauf ab, die Schuld und damit die Verantwortlichkeit eines Täters zu negieren. Wenn es wahr ist, dass niemand an etwas schuld ist, dann ist Strafe per se nicht rechtfertigbar, sei der Strafzweck noch so gut begründet.
Zu (1): Zimmermans behauptet, dass nur ein geringer Teil der Menschen schuldfähig sein kann, da es den meisten an Wissen über das Unrecht der Tat mangelt und sie diesen Mangel nicht willentlich verursacht haben. Eine Parallele zum deutschen Strafrecht wäre die Praxis, Personen nicht zu bestrafen, die eine Straftat unter starkem Einfluss von Drogen begangen haben, weil sie z.B. halluzinierten. Statt der Strafe wird bspw. eine Therapie angeordnet (vgl. §§ 63, 64 StGB).
Das Argument from Ignorance soll hier nicht weiter von Interesse sein, da Zimmerman damit – wie er selbst sagt – nicht behaupten kann, dass das Strafen stets nicht zu rechtfertigen ist. Akzeptiert man seine Argumentation, führt dies lediglich dazu, dass viele Fälle staatlicher Strafen moralisch verwerflich sind. „It is very likely that many individual acts of legal punishment […] were or would be partly moraly wrong and very serious so“ (Zimmerman 2011, S. 119). Viele Fälle bedeuten aber nicht alle Fälle und das reicht nicht aus, um die Strafpraxis vollkommen abzulehnen (vgl. ebd.).
Das Argument (2) ist für den weiteren Verlauf von Zimmermans Argumentation von größerer Bedeutung, da sie zu seiner radikalen These führt, dass Strafe abgeschafft werden müsse, da die Möglichkeit besteht, dass niemand schuldig ist.
2.2 Das Argument des moralischen Zufalls
Zimmerman unterscheidet zwei Kategorien des moralischen Zufalls und lehnt sich damit an die Ausführungen Thomas Nagels (vgl. Nagel 2012, S. 55ff) zum Thema „Moralischer Zufall“ an: Die Bezeichnungen Zimmermans im englischen sind:
(2a) Resultant Luck (resultatsbezogener Zufall)
(2b) Situational Luck (situationsbezogener Zufall)
Zur Illustration seines Gedankengangs erzählt Zimmerman Geschichten zu den Personen Ben und Jen und Bill und Jill. Wobei Bills und Jills Geschichte stets unverändert bleibt und die Geschichte von Ben und Jen jedes Mal anders verläuft, jedoch immer gleich ausgeht. Die unterschiedlichen Ausgangssituationen, die zum gleichen Resultat führen, nämlich, dass Jen am Leben bleibt, ordnet Zimmerman den zwei Kategorien des moralischen Zufalls zu.
Zuerst beschäftigt sich Zimmerman mit resultant luck (2a) . Hiermit ist die Art Zufall gemeint, die die Folge eines Verhaltens beeinflusst (vgl. Zimmerman 2011, S.127). Zimmerman erzählt folgenden Geschichte (vgl. ebd., S 125):
Ben und Bill trachten jeweils nach dem Leben einer weiblichen Person. Bill möchte Jill erschießen und damit tödlich verletzen und Ben hat den Vorsatz, Jen auf die gleiche Weise, nämlich durch Erschießen, zu töten. Beide haben die gleiche Entscheidung getroffen, jedoch gelingt das Vorhaben nur Bill, denn Ben scheitert, weil etwas ungeplant dazwischenkommt. Ben gelingt es nicht, Jen zu töten, da gerade in dem Moment, in dem er den Abzug drückt und der Schuss sich löst, ein Vogel in die Schusslinie fliegt, dieser Anstelle von Jen getroffen wird und leblos zu Boden stürzt. Damit ist eine Situation des resultant luck beschrieben. Ein zufälliges und äußeres Ereignis, über dessen Entstehen die handelnde Person keine Macht bzw. Kontrolle hatte, stört die beabsichtige Folge einer begangenen Handlung. Hier sind auch andere Ereignisse denkbar. Jen hätte sich bspw. bücken können oder ein LKW hätte vorbeifahren können.
Ist man nun ein konsequenter Vertreter der Existenz moralischen Zufalls (vgl. Kapitel 3), so wäre es angebracht, Ben nicht genauso scharf zu verurteilen wie Bill. Ben hat ja schließlich niemanden getötet. Aber warum sollten wir Ben mit einem milderen Urteil davonkommen lassen? Ben hätte Jen ja getötet, wenn nichts dazwischengekommen wäre. Und das Ereignis, das den Erfolg seiner Handlung bzw. Absicht verhindert hat, unterlag dem Zufall und nicht seiner Kontrolle. Ist es nicht falsch Ben und Bill unterschiedlich zu beurteilen, obwohl sie das gleiche Ziel verfolgten?!
Zimmerman vertritt die Ansicht, dass es resultant luck deshalb nicht geben kann und man Ben und Bill gleich zu bewerten und zu bestrafen habe, da sie sich gleich schuldig gemacht haben auch wenn sie nicht denselben Erfolg zu verzeichnen haben (vgl. Zimmerman 2011, S.125). Da die Ablehnung oder Akzeptanz von resultant luck jedoch lediglich darüber entscheidet, ob die Täter bei der Strafzumessung in dem Fall der Ablehnung gleich oder im Falle der Akzeptanz unterschiedlich behandelt werden und man damit nicht zu dem Schluss kommen kann, Strafe ganz allgemein abzulehnen, muss die Analyse des situational luck in den Mittelpunkt gerückt werden.
2.3 Situationsbezogener Zufall
Argumentiert Zimmerman beim Fall resultant luck dafür, dass ein versuchtes Verbrechen gleich zu strafen sei wie ein erfolgreich begangenes Verbrechen, zeigt er im nun folgenden Fall des situational luck, dass selbst ein nicht versuchtes Verbrechen genauso zu strafen sei wie ein erfolgreich begangenes Verbrechen. Mit Hilfe dieser Einsicht gelangt Zimmerman zu dem Schluss, dass wir eigentlich gar nichts steuern können und deshalb nicht bestraft werden dürfen. Somit handelt es sich hierbei um das wichtigste Argument zur Stützung seiner These.
Das, was Zimmerman situational luck nennt, sind bei Thomas Nagel zwei verschiedene Arten des moralischen Zufalls: circumstantional luck und constitutinal luck (vgl. Nelkin 2013; Zimmerman 2011, S. 127). Zimmerman vereint diese beiden Kategorien zum „ situational luck “.
Er verändert Bens Situation auf zwei verschiedene Weisen: In der ersten Version, muss Ben gerade in dem Moment niesen, in dem er den Abzug drücken wollte (vgl. Zimmerman 2011, S. 137). Diese Situation soll beschreiben, was Nagel unter circumstancial luck (vgl. Nagel 2012, S. 49) versteht: Eine äußerlich bestehende Situation verhindert, dass eine Handlung überhaupt ausgeführt werden kann. Das Niesen verhindert in diesem Fall, dass der Abzug von Ben gedrückt werden konnte. Die unterbliebene Ausführung der Handlung unterscheidet diesen Fall vom Fall des resultant luck. Man kann aber davon ausgehen, dass Ben die gleiche Entscheidung getroffen hätte wie Bill und tatsächlich den Abzug gedrückt hätte, hätte er die Möglichkeit dazu gehabt. Bill hatte die Möglichkeit und hat Jill getötet. Ben hatte die Möglichkeit nicht und hat es deshalb nicht geschafft Jen zu töten und, dass er nicht die Gelegenheit dazu hatte, Jen zu töten konnte er nicht steuern, es war Zufall. Somit sind beide aus denselben Gründen gleich zu beurteilen wie im Fall resultant luck. Ben kann zwar nicht für etwas verantwortlich gemacht werde, da nichts Schlimmes passiert ist, jedoch ist er trotzdem an sich tadelnswert, denn er hätte die gleiche Entscheidung wie Bill getroffen, wenn nichts dazwischengekommen wäre. Somit gleichen sich die Fälle von Ben und Bill hinsichtlich der kontrafaktischen Aussage (vgl. ebd., S. 138).
Die kontrafaktischen Aussagen spielen ebenfalls im Beispiel zur Situation, die Nagel constitutional luck nennt, die entscheidende Rolle. Dieser Zufall betrifft das Innere eines Menschen, die Zusammensetzung seines Charakters. Ben entwickelt in diesem Fall erst gar nicht die Absicht, Jen zu töten. Er hat einen ruhigen und ausgeglichenen Charakter, wodurch es ihm nicht schwerfällt, über Jens ständige Beleidigungen hinwegzuschauen (vgl. ebd. S.138). Bill dagegen ist impulsiv und sensibel. Ihn stören die Beleidigungen von Jill so sehr, dass er sich der Absicht, Jill zu töten, nicht erwehren kann. Der Ausgangspunkt ist hier die Persönlichkeit, die einer Person z.B. aufgrund einer bestimmten genetischen Zusammensetzung in Kombination mit der Erziehung und dem sozialen Umfeld, zukommt (vgl. Nelkin 2013). Diese Faktoren entziehen sich der Kontrolle eines jeden Menschen. Wir können nicht bestimmen in welcher Familie, in welchem Staat, zu welchem Zeitpunkt wir geboren werden. Ebenso wenig entscheiden wir darüber, wie unsere DNA zusammengesetzt ist. Zimmerman muss hier annehmen, dass unsere Persönlichkeit unsere Absichten hervorbringt bzw. unsere Entscheidungen beeinflusst, wenn er zu dem Schluss kommen will, dass die Entscheidungen nicht durch uns kontrolliert werden. Wir können demnach also nichts für unsere getroffenen Entscheidungen, da diese sich auf unsere Persönlichkeit gründen und unsere Persönlichkeit zufälliger Natur ist. Aus diesem Grund kann niemand für seine Taten verantwortlich gemacht werden. Zimmerman zufolge bestehe die Möglichkeit, dass in einer anderen Realität, in der Ben ein eher impulsiver und sensibler Mensch ist, er die Entscheidung, Jen zu töten, ebenfalls treffen könnte und auch höchstwahrscheinlich würde. Bill hingegen, hätte möglicherweise nicht die Absicht gehabt Jill zu töten, wäre er z. B. in einer liebevollen Familie aufgewachsen.
Seine Ausführungen zum situational luck und auch zum resultant luck führt Zimmerman zu folgendem Argument zusammen, er nennt es Argument 9 (vgl. ebd. S. 139, eigene Übersetzung):
(P1) Person A tut etwas auf eine Art und Weise (diese beinhaltet, dass sie es unter Kontrolle hat, sie diese Kontrolle ausübt und sie dies in einer gefestigten geistlichen Verfassung tut), so dass sie sich schuldig im Grad X gemacht hat.
(P2) Wenn
i. die Ausführung einer Handlung in einer bestimmten Art und Wiese genügt, um schuldig im Grad X sein zu können,
ii. jemand etwas tun würde, wenn er oder sie dazu in der Lage wäre und
iii. die Person keinen Einfluss darauf hat, nicht in der Lage dafür zu sein, diese Handlung durchführen zu können,
ist diese Person ebenfalls schuldig im Grad X.
(P3) Person B würde die gleiche Handlung auf die gleiche Wiese vollziehen wie Person A, wäre sie in der Lage, dies zu tun und nicht in der Lage zu sein, diese Sache zu tun, unterliegt nicht der Kontrolle von Person B.
(K) Also ist Person B im gleichen Grad schuldig wie Person A.
Folgt man Zimmermans Ausführungen bis hier hin, bleibt die Frage offen, ob man nun jeden bestrafen sollte oder niemanden bestrafen kann, und zwar deshalb, weil jeder unter bestimmten, vom Zufall abhängigen Umständen einen Mord begehen könnte oder auch nicht könnte oder sogar eine Heldentat vollbringt (vgl. Zimmerman 2011, S. 140f). Die möglichen guten und die möglichen schlechten Taten könnte man ja gegeneinander aufwiegen und es bliebe dann nur das bestehen, was tatsächlich passiert. Zimmerman entkräftet den von ihm selbst eingebrachten Einwand auch selbst, indem er den schlechten Taten ein stärkeres Gewicht beimisst (vgl. Levi 2015, S. 109). Außerdem, muss man unter diesen Bedingungen annehmen, dass stets die Möglichkeit besteht, dass kein Verbrechen geschieht (vgl. Zimmerman 2011, S. 144f). Aufgrund dieser Annahme und dem juristischen Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten nach dem Motto von William Blackstone „It is better that ten guilty persons escape, than that one innocent suffer“ (zitiert nach Zimmerman 2011, S. 147) zieht Zimmerman die Konsequenz, dass niemand bestraft werden darf. Dafür muss Zimmerman allerdings voraussetzen, dass Unschuldige nicht bestraft werden sollten. Diese Voraussetzung trifft er bereits zu Beginn seiner Ausführungen in „ The immorality of punishment “ mit der These über die schwache Version der Immunität (vgl. ebd. S. 69) , die besagt, dass der Unschuldige es nicht verdient, bestraft zu werden. Die Begründung dazu liefert Zimmerman in dem er feststellt, dass die persönlichen Nachteile des unschuldig Bestraften größer sind, als die Nachteile, die entstehen, wenn man es versäumt einen Schuldigen zu strafen (vgl. ebd. S. 147).
Man kann annehmen, dass über die getroffene Voraussetzung Zimmermans Einigkeit herrscht. Zumindest ist es schwer vorstellbar, dass jemand mit der Forderung, Unschuldige zu bestrafen, durchkommen würde, da es keinen Grund für die Strafe gibt und sie willkürlich wäre. Selbst in grausamen Diktaturen, wird Schuld benötigt, um jemanden bestrafen zu können. Ob die Schuldgründe vernünftig sind, ist in dem Rahmen nicht von Bedeutung. Damit ist sein Argument (vgl. ebd. S. 148) zunächst schlüssig und lautet zusammengefasst:
(P1) Gegeben, dass der Zufall allgegenwärtig ist, hängt es von vielen kontrafaktischen Wahrheiten ab, von denen niemand jemals ausreichend Informationen erhalten kann, ob jemand jemals schuldig oder unschuldig (oder beides) hinsichtlich eines Verbrechens sein kann.
(P2) Wenn P1 wahr ist, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass jeglicher Vollzug staatlicher Strafe, die jemals jemand begangen hat, begeht oder begehen wird, bedeuten würde, dass jemand bestraft wird, der es nicht verdient, bestraft zu werden (auch wenn es miteinschließt oder miteinschließen würde, dass jemand bestraft wird, der es auch verdient).
(P3) Es ist moralisch deutlich wichtiger, darauf zu verzichten, jemanden zu bestrafen, der es nicht verdient, als jemanden zu bestrafen, der es verdient.
(P4) Wenn P3 und P2 wahr sind, dann ist jeder einzelne Vollzug staatlichen Strafens, den jemals jemand begangen hat, begeht oder begehen wird moralisch falsch.
(K) Also ist jeder einzelne Vollzug staatlichen Strafens, den jemals jemand begangen hat, begeht oder begehen wird moralisch falsch.
Die Konklusion ist jedoch eher kontraintuitiv. Dabei ist besonders der Inhalt der ersten Prämisse (P1) diskussionswürdig. Kann man wirklich festlegen, dass die Kontrolle so weit reichen muss, um für etwas zur Verantwortung gezogen werden zu können? Um das zu entscheiden, ist es nötig, sich die Debatte um den moralischen Zufall näher anzusehen und in diesem Zusammenhang die strikte Anwendung des oft spontan akzeptierten Kontrollprinzips zu hinterfragen.
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