Personalmangel im öffentlichen Dienst. Herausforderungen für strategische und nachhaltige Personalgewinnung in Zeiten von Wettbewerb, Digitalisierung und Arbeit 4.0


Bachelorarbeit, 2020

123 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhalt

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Einführung in das Thema
1.2 Forschungsfrage
1.3 Forschungsmethode und Gender-Erklärung
1.4 Gang der Arbeit

2. Demografischer Wandel und sein Einfluss auf den Personalbedarf des öffentlichen Dienstes
2.1 Demografische Entwicklung in der EU und in Deutschland
2.2 Derzeitiger Stand der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Deutschland
2.3 Prognostizierter Personalbedarf des öffentlichen Dienstes in Deutschland

3. Externe Einflüsse und Treiber für die Personalgewinnung.
3.1 Wertewandel der Generationen
3.2 Digitalisierung
3.3 Globalisierung
3.4 Wissensgesellschaft

4. Faktoren für eine erfolgreiche Fachkräftesicherung.
4.1 Eingrenzung
4.2 Begrifflichkeiten
4.2.1 Arbeitsbedingungen
4.2.2 Public Service Motivation
4.3 Säulen eines attraktiven öffentlichen Dienstes
4.3.1 Personalführung
4.3.1.1 Führungskräfteentwicklung und Kommunikation
4.3.1.2 Beteiligung und Motivation
4.3.1.3 Arbeitsorganisation, Arbeitsort und -zeit („Arbeit 4.0“)
4.3.2 Chancengleichheit und Vielfalt
4.3.2.1 Familie und Beruf
4.3.2.2 Demografie und „Kultur des längeren Arbeitens“
4.3.2.3 Inklusion
4.3.2.4 Frauenförderung
4.3.2.5 Gehalt
4.3.2.6 Laufbahnöffnung und -flexibilität
4.3.3 Gesundheit und Resilienz
4.3.3.1 Physische und psychische Gesundheit (Resilienz)
4.3.3.2 Institutionelle Resilienz
4.3.4 Wissen und Kompetenz
4.3.4.1 Qualität und Aktualität der Fach- und Führungskräfteausbildung
4.3.4.2 Lebensphasenorientierte Personalentwicklung
4.3.4.3 Konzept des „Lebenslangen Lernens“
4.3.4.4 Wissenssicherung und -transfer
4.3.5 Zwischenfazit: Bedeutung der Arbeitsbedingungen für die Attraktivität des öffentlichen Dienstes
4.4 Stärken und Schwächen des öffentlichen Dienstes in Deutschland
4.4.1 Stärken
4.4.2 Schwächen
4.4.3 Schlussfolgerungen für die Attraktivität

5. Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Dienstes
5.1 Vorüberlegungen
5.2 Vorschläge für Maßnahmen
5.2.1 Employer Branding verbessern
5.2.2 Auffindbarkeit und Sichtbarkeit erhöhen
5.2.3 Transparente und attraktive Einstiegsmöglichkeiten und Karrierepfade bieten
5.2.4 Innovatives Arbeitsumfeld schaffen
5.2.5 Recruiting-Methoden ausweiten
5.2.6 Bewerbungsprozess optimieren
5.2.7 Trainee-Programme und Mentoring flächendeckend ausbauen
5.2.8 Sorgfältiges Onboarding durchführen

6. Zusammenfassung und Ergebnis

7. Ausblick

Quellen- und Literaturverzeichnis

Anlagen
Anlage 1: Rechtsrahmen flexibler Arbeitszeiten der Berliner Verwaltung
Anlage 2: Statistik der Bundesagentur für Arbeit zur Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung, Stand: 2018
Anlage 3: Durchschnittliche Bruttoverdienste der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Wirtschaftszweigen und Geschlecht 2018
Anlage 4: Netzwerk der Akteure des BGM
Anlage 5: Stufenkonzept des Wissens- und Erfahrungstransfers
Anlage 6: Leitlinien Personal-Management des Bezirksamtes Neukölln von Berlin 2019 / 2020
Anlage 7: Ausgewählte Traineeprogramme im deutschen öffentlichen Dienst
Anlage 8: Bevölkerungsentwicklung weltweit (a) und in Europa (b) zwischen 1950 und 2050 (Prognose)

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Bevölkerung in Deutschland bis 2050 in Millionen

Abbildung 2: Altersstruktur der Erwerbsbevölkerung Deutschlands bis 2050

Abbildung 3: Beschäftigte im öffentlichen Dienst (1991-2018)

Abbildung 4: Beschäftigte im öffentlichen Dienst (Altersstruktur 2018)

Abbildung 5: Fachkräfteengpässe nach Berufsgruppen (2016-2030)

Abbildung 6: Generationentableau

Abbildung 7: Vergleich der Generationen (eigene Darstellung in Anlehnung an Prof. Mörstedt)

Abbildung 8: Wichtige Faktoren bei der Wahl des zukünftigen Arbeitgebers (Auszug)

Abbildung 9: Bevorzugte Informationsquellen

Abbildung 10: Verteilung der Bevölkerung in Deutschland nach Altersgruppen und höchstem Bildungsabschluss (Stand: 2018)

Abbildung 11: Entwicklung des Informationsbereichs von 1882-2010

Abbildung 12: Karriereziele von Absolventen

Abbildung 13: Voraussichtliche Entwicklung des Budgets für ausgewählte behördliche Aufgaben in den nächsten drei Jahren (Stand: 2019)

Abbildung 14: Jobbereiche nach Wichtigkeit

Abbildung 15: Gründe für das Verlassen des öffentlichen Dienstes

Abbildung 16: Anzahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Deutschland von 2004 bis 2018 (in 1.000)

Abbildung 17: Screenshot der Startseite www.wir-sind-bund.de v. 07.07.2020 (Plattform: Windows 10, Browser: Firefox)

Abbildung 18: Screenshot der Startseite www.berlin-braucht-dich.de v. 08.07.2020 (Plattform: Windows 10, Browser: Firefox)

Abbildung 19: Besonders attraktive Branchen für Studierende in % (Werte 2016 in Klammern)

Abbildung 20: Faktoren für die Wahl des künftigen Arbeitgebers in % (Werte 2016 in Klammern)

Abbildung 21: Perspektiven des BGM im Unternehmen

Abbildung 22: Grundannahmen zur Wirkung der Arbeitsbedingungsfaktoren auf die psychische Gesundheit

Abbildung 23: Zusammenhang zwischen Alter und Arbeitsfähigkeit (mit und ohne BGM)

Abbildung 24: Mehrdimensionalität agiler Organisationen

Abbildung 25: Leistungswandel betrifft nicht alle Parameter der Leistungserbringung

Abbildung 26: Bedeutung der Arbeitsbedingungen im Vergleich

Abbildung 27: Screenshot von www.bundeswehrkarriere.de v. 30.07.2020 (Plattform: Windows 10, Browser: Firefox)

Abbildung 28: Screenshots von www.bundeswehrkarriere.de v. 30.07.2020 (Plattform: Android 10, Browser: Chrome)

Abbildung 29: Screenshot vom YouTube-Kanal "BUNDESWEHR EXCLUSIVE" v. 30.07.2020

Abbildung 30: Eigenes Foto v. 01.07.2020 am S-Bhf. Berlin Hohenschönhausen

Abbildung 31: Eigene Aufnahmen v. 03.08.2020 (Außenansicht Gesundheitsamt Lichtenberg links oben und links unten; Außenansicht Hörsalgebäude HWR Berlin rechts oben; Außenansicht Verwaltungsgebäude HWR Berlin rechts unten)

Abbildung 32: Merkmale der Gleit- und Funktionszeit

Abbildung 33: Zusammenhang zwischen Flexibilitätsgrad von Arbeitszeitmodellen und Zielorientierung

Abbildung 34: Screenshot Google-Suchergebnisse v. 05.08.2020

Abbildung 35: Ausgewählte Lösungsansätze für das Recruiting

Abbildung 36: Informationskanäle zur Stellensuche

Abbildung 37: Trainee-Programme als Teil des Talent Managements

Abbildung 38: Wege in den öffentlichen Dienst

Abbildung 39: Zusammenhang zwischen Onboarding-Prozessen und Mitarbeiterfluktuation sowie Termintreue

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

1.1 Einführung in das Thema

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers GmbH beziffert den Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst in Deutschland auf 816.000 unbesetzte Stellen bis 2030. McKinsey & Company prognostiziert im selben Zeitraum eine Personallücke von 731.000 Fachkräften. So viele unbesetzte Stellen im öffentlichen Dienst? Wie kann das sein? Gilt der öffentliche Dienst – trotz des etwas „eingestaubten“ Image – nicht im Allgemeinen als „sicherer Hafen“ und ist die Tätigkeit für „Vater Staat“ nicht ein krisensicherer Job, bei dem man nur gekündigt wird, wenn man den berühmten „goldenen Löffel“ stiehlt? Offenbar liegen die Gründe für das Ausbleiben der Bewerber nicht ausschließlich in verbesserungsbedürftigen Stellenanzeigen und dem „stiefmütterlichen“ Umgang mit dem Thema Personalgewinnung. Hier muss also etwas tiefer gegraben werden. Die Autoren beziehen daher flankierend auch Aspekte der Personalbindung und -entwicklung in ihre Betrachtungen mit ein, um das komplexe Konzept der Fachkräftesicherung möglichst umfassend betrachten und genauer abbilden zu können. Diese Arbeit soll nicht nur derzeitige und zukünftige Herausforderungen beschreiben, vor denen die Personalgewinnung im öffentlichen Dienst steht, sondern auch konkrete Handlungsempfehlungen aussprechen, um der Verschärfung der angespannten Fachkräftesituation entgegenzuwirken.

1.2 Forschungsfrage

Es reicht heutzutage offenbar nicht mehr aus, sich auf dem Status „sicherer Arbeitgeber“ auszuruhen. Um im „war for talents“ mit der Privatwirtschaft zu bestehen, muss der öffentliche Dienst eine wettbewerbsfähige Arbeitgebermarke aufbauen und auch die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen, um effektiver und effizienter zu werden. Es geht nicht mehr nur darum, Personal auszuwählen, sondern aktiv zu werden und Personal zu gewinnen. Das heißt, dieses muss auch aufgebaut, weiterentwickelt und langfristig an die Organisation gebunden werden. Da Nachwuchskräfte heutzutage die „Qual der Wahl“ haben (Bewerbermarkt), darf nicht mehr auf eine Bewerbung gewartet werden. Vielmehr müssen, ergänzend dazu, proaktive Handlungsstrategien zur Bewerberansprache genutzt werden, um den Kandidaten als erster zu erreichen. Gleichzeitig altert sowohl die Stammbelegschaft des öffentlichen Dienstes als auch der Bewerberpool, aus dem das Personal rekrutiert werden könnte. Rückläufige Geburtenzahlen kommen hierbei erschwerend hinzu. Jüngere Generationen werden plötzlich zu „Goldstaub“. Der demografische Wandel schlägt beim öffentlichen Dienst aufgrund der relativ geringen Personalfluktuation besonders hart zu. Umso größer ist der Handlungsdruck, möglichst schnell und nachhaltig an dieser Situation etwas zu ändern und geeignete Maßnahmen zur Fachkräftesicherung zu treffen. Doch welche Voraussetzungen müssen hierfür aus personeller und organisationaler Sicht geschaffen werden? Die Antworten auf diese und weitere Fragen haben die Autoren in Vorbereitung auf die vorliegende Arbeit außerordentlich interessiert, was zu folgender Forschungsfrage geführt hat:

Wie kann eine strategische und nachhaltige Personalgewinnung in Zeiten von Wettbewerb, Digitalisierung und Arbeit 4.0 gelingen?

1.3 Forschungsmethode und Gender-Erklärung

Als wissenschaftlichen Zugang haben sich die Autoren für die Literaturanalyse entschieden, um sich dem Forschungsgegenstand ganzheitlich und spezifisch nähern zu können. Das Vorgehen beinhaltet die Literatursuche, Literaturauswertung und die Analyse und Interpretation im Kontext der Forschungsfrage. Die ausgewählte Literatur wird reduziert und anschließend in Themenclustern gebündelt. Bisherige Forschungsarbeiten zur Thematik „attraktiver öffentlicher Dienst“ fokussieren sich zumeist in ihren Handlungsempfehlungen auf die Schaffung einer starken Arbeitgebermarke oder andere Einzelaspekte und vernachlässigen nach Ansicht der Autoren andere wichtige parallele „Baustellen“ und gesellschaftliche Entwicklungen sowie Trends, welche sich zusehends abzeichnen. Die Autoren versuchen hier, möglichst viele Einzelaspekte auf eine Meta-Ebene zu heben, diese gleichgewichtet zu betrachten und aus den gewonnenen Erkenntnissen einen Mix aus Handlungsempfehlungen zu generieren. Die vorliegende Arbeit basiert im Wesentlichen auf folgenden Studien und Abschlussarbeiten: Molnar (2014), Detemple und Höhn (2018), Klunker (2009), Next:Public Beratungsagentur (Hrsg., 2019), Balzer et al. (Hrsg., 2020). Ausgewählt wurde die Literatur im Schwerpunkt nach Kriterien wie Aktualität, Trends sowie kurz- und langfristige Handlungsempfehlungen. Das Hauptaugenmerk der Studien liegt dabei auf der Identifikation und Deskription von Attraktivitätsmerkmalen sowie auf Verbesserungsvorschlägen für öffentliche Arbeitgeber. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Bachelorarbeit die Sprachform des generischen Maskulinums verwendet. Die Autoren weisen darauf hin, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.

1.4 Gang der Arbeit

Auf dem Weg zur Beantwortung der Forschungsfrage führt die vorliegende Arbeit den Leser durch fünf Kapitel. Im ersten Teil geben die Autoren eine Einführung in die Thematik, formulieren die Forschungsfrage und stellen ihr methodischen Vorgehen dar. Um sich der Forschungsfrage zu nähern, soll in Kapitel zwei zunächst der demografische Wandel als Hauptursache für den erhöhten Personalbedarf im öffentlichen Dienst beschrieben werden, um den kausalen Wirkmechanismus darzustellen. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, werden vier Einflüsse und Treiber vorgestellt und diskutiert, welche an diesen „natürlichen“ Prozess anknüpfen und eine Herausforderung für die Personalgewinnung im öffentlichen Dienst darstellen. Die Betrachtungen aus Kapitel zwei und drei bilden den Hintergrund für Kapitel vier. Hier sollen wesentliche Erfolgsfaktoren beleuchtet werden, die aus Sicht der Autoren essenziell sind, damit eine strategische und nachhaltige Personalgewinnung gelingen kann. Dabei werden entsprechende Handlungsfelder untersucht und thematisch zu Herausforderungen – oder anders ausgedrückt – „Säulen eines attraktiven öffentlichen Dienstes“ zusammengefasst. Ergänzend dazu werden ausgewählte Handlungsfelder hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen diskutiert. Aus diesen Handlungsfeldern werden in Kapitel fünf konkrete Vorschläge für kurzfristige Maßnahmen abgeleitet, die geeignet erscheinen, die Chancen gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen (Vgl. Kap. 3) zu nutzen und deren Risiken zu minimieren. Im sechsten Kapitel wird kurz und prägnant der Forschungsgegenstand reflektiert, die Arbeitsergebnisse präsentiert und kritisch hinterfragt, um damit die Forschungsfrage zu beantworten. Abschließend soll ein Ausblick auf mögliche zukünftige Forschungvorhaben in Bezug auf das Themenfeld „Fachkräftesicherung“ gegeben werden. Hierbei sollen Grenzen und Möglichkeiten aufgezeigt werden, die Gegenstand von weitergehenden Untersuchungen sein könnten.

2. Demografischer Wandel und sein Einfluss auf den Personalbedarf des öffentlichen Dienstes

Pro Sekunde werden weltweit ca. drei Kinder geboren. 2017 lebten bereits 7,3 Mrd. Menschen auf diesem Erdball. Um 1900 waren es noch etwa 1,5 Mrd.1 Menschen. Diese Zahlen stehen offenbar im Widerspruch zu aktuellen Medienberichten, in denen doch ständig die Rede von einem Bevölkerungsrückgang in Deutschland ist. Die Antwort hierauf ist einfach: Zwar steigt die Anzahl der Weltbevölkerung stetig an, jedoch ist dieses Phänomen hauptsächlich in Entwicklungs- und Schwellenländern zu beobachten (vgl. Anl. 8). In Industrieländern ist die Geburtenzahl tendenziell rückläufig.2 Doch der demografische Wandel beschreibt nicht nur eine Veränderung der Bevölkerungszahl, sondern auch Änderungen in dessen Altersstruktur. Kurz gesagt: Den Industrieländern geht der Nachwuchs aus. Während sich Schwellen- und Entwicklungsländer auf eine breite Basis junger Menschen stützen können, erreichen Bewohner von Industriestaaten oftmals ein hohes Alter bei zeitgleich rückläufigen Geburtenzahlen.

2.1 Demografische Entwicklung in der EU und in Deutschland

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Bevölkerung in Deutschland bis 2050 in Millionen3

Auch die Europäische Union wird in Zukunft eine geänderte Altersstruktur aufweisen. Die Anzahl erwerbsfähiger Personen wird sich deutlich reduzieren bei gleichzeitigem Anstieg von Rentnern und Pensionären. Bis 2050 wird das Verhältnis von Personen über 65 Jahren zur arbeitsfähigen Bevölkerung (15‑64 Jahre) bei etwa 51 % zu 49 % liegen. Als ursächlich sind hier hauptsächlich sinkende Geburtenzahlen bei zeitgleich steigender Lebenserwartung zu nennen.4 Dies wird perspektivisch dazu führen, dass es zu Engpässen auf dem Arbeitsmarkt kommen wird. Deutschland ist von dieser Entwicklung ebenfalls betroffen (vgl. Abb. 1). Hier ist ein Absinken der erwerbsfähigen Bürger um knapp elf Millionen Personen zwischen 2010 und 2050 zu erkennen. Gleichzeitig steigt der Anteil der Personen über 65 Jahre im gleichen Zeitraum um etwa sieben Millionen. Dies hat ein „Altern“ des Arbeitskräfteangebotes insgesamt zur Folge (vgl. Abb. 2). Während 2005 der Anteil der Beschäftigten, welcher in der „letzten Phase“ ihrer Erwerbstätigkeit (50 - 64 Jahre) noch 30 % betrug, stieg dieser 2020 bereits auf 40 % an. Der Anteil der „Berufsanfänger“ (20 - 29 Jahre) sank im gleichen Zeitraum um 2 %.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Altersstruktur der Erwerbsbevölkerung Deutschlands bis 20505

Hieraus lässt sich ableiten, dass ein großer Teil der erwerbsfähigen Bevölkerung in nächster Zeit in den Ruhestand oder in Rente geht und es zeitgleich an Nachwuchs mangelt, der die Lücken ausfüllt. Hinzu kommt, dass das reine Auffüllen vakanter Stellen nicht ausreichen wird. Das steigende Durchschnittsalter der Bevölkerung dürfte auch bei den Verwaltungen dafür sorgen, dass zusätzliche öffentliche Aufgaben erfüllt werden müssen. Man nehme z. B. die Alten- und Krankenpflege. Mehr alte Menschen bedeuten unweigerlich auch einen höheren Bedarf an diesen Dienstleistungen, was wiederum einen steigenden Personalbedarf innerhalb der zuständigen Verwaltungen mit sich bringt.

Im Speziellen ergeben sich hieraus nach Auffassung des Bundesministeriums des Innern für Bau und Heimat (BMI) folgende Auswirkungen:

1. deutlicher Anstieg des Altersdurchschnitts der Stammbelegschaft,
2. eingeschränkter Rekrutierungsspielraum bei jüngeren Alterskohorten (insb. Hochqualifizierte),
3. Verknappung und Verteuerung von jungen Fachkräften,
4. steigende Wahrscheinlichkeit von regionalen und qualifikatorischen Ungleichgewichten zwischen Arbeitskraftangebot und -nachfrage.6

Die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Fachkräftesituation ist andauernder Forschungsgegenstand der Bundesregierung. Ein Fachkräftemangel ist laut Bundesregierung dann gegeben, wenn „[…] die Nachfrage nach Fachkräften nicht bzw. nicht ausreichend gedeckt werden kann.“, wobei dies „[…] gesamtwirtschaftlich zutreffen oder sich bspw. nur auf berufsfachliche oder räumlich und/oder zeitlich begrenzte Teilarbeitsmärkte beziehen“7 kann. Die Autoren beziehen sich im Folgenden auf den Teilmarkt des öffentlichen Dienstes.

2.2 Derzeitiger Stand der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Deutschland

Als „öffentlicher Dienst“ sind bei nachfolgenden Betrachtungen alle Arbeitgeber des unmittelbaren öffentlichen Dienstes (z. B. Ministerien, Ämter, Behörden etc.) sowie öffentlich-rechtliche Arbeitgeber (z. B. kommunale Eigenbetriebe) zu verstehen. Personal der Einrichtungen in privater Rechtsform zählen in dieser Betrachtung nicht zum öffentlichen Dienst, da hier die statistische Datenlage für eine vergleichende Betrachtung unzureichend erscheint.8 Die zahlenmäßige Entwicklung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Nachwendezeitraum zeigt die Auswirkungen deutlich (vgl. Abb. 3). Hier ist ein enormer Rückgang der Beschäftigten im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erkennbar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Beschäftigte im öffentlichen Dienst (1991-2018)9

Erschwerend kommen langjähriger Personalabbau, Rationalisierungs- und Sparmaßnahmen, Privatisierung von Post und Bahn sowie Reduzierung der deutschen Streitkräfte hinzu.10 Wie aus Abb. 3 hervorgeht, umfasste der öffentliche Dienst 1991 demnach knapp 6,7 Mio. Beschäftigte. Dies waren etwa 17,3 % aller Erwerbstätigen (ca. 38,9 Mio.) in Deutschland zu diesem Zeitpunkt. Im Jahre 2018 sieht das Verhältnis jedoch schon anders aus. Hier sind es, gerechnet auf 44,7 Mio. Erwerbstätige, nur noch ca. 10,7 %.11 D. h., dass bei steigender und alternder Bevölkerung der Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst stetig abgenommen hat. Doch wie sieht die genaue Altersstruktur des öffentlichen Dienstes aus? Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) hat dies genauer aufgeschlüsselt (vgl. Abb. 4). Hier zeigt der Altersvergleich deutlich, dass die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten im öffentlichen Dienst hierzulande zwischen ca. 45 und 66 Jahren oder gar älter ist. Auf kommunaler Ebene betrifft dies eher Frauen, auf Bundesebene eher Männer. Aus der Alterszusammensetzung leitet sich ein enormer Personalbedarf in den kommenden Jahren ab, denn ein Großteil der Beschäftigten erreicht demnach in den kommenden Jahren das Renten- bzw. Pensionsalter. Die Lücken innerhalb der Personallandschaft müssen also aus einem immer kleiner und älter werdenden Pool an potenziellen Nachwuchskräften geschlossen werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Beschäftigte im öffentlichen Dienst (Altersstruktur 2018)12

Dieser Fakt wird die Personalabteilungen der öffentlichen Arbeitgeber vor enorme Herausforderungen stellen, die es zu bewältigen gilt. Die Rekrutierungschancen des öffentlichen Dienstes werden dann umso stärker von der Attraktivität als Arbeitgeber abhängen. Die alternde Gesellschaft wird es notwendig machen, auch im Bereich älterer Arbeitnehmer zu rekrutieren.

2.3 Prognostizierter Personalbedarf des öffentlichen Dienstes in Deutschland

Anzunehmen ist, dass der prognostizierte Fachkräftemangel der nächsten Jahre, z. B. durch Effizienzgewinne der Digitalisierung sowie Zuwanderung, etwas abgeschwächt wird. Demnach lässt sich hieraus nicht ohne weiteres eine „Eins-zu-Eins-Nachbesetzung von frei werdenden Stellen […] rechtfertigen“.13 Punktuell könnten beispielsweise Meldebehörden von der Digitalisierung profitieren, sodass eine Nachbesetzung bestimmter Positionen zukünftig aufgrund automatisierter Prozesse obsolet werden dürfte. In welcher Qualität sich der Mangel zukünftig bemerkbar machen wird und welche Funktionsbereiche davon besonders betroffen sein werden, ist jedoch schwer auszumachen.14 Zweifelsfrei ist jedoch, dass die Änderungseffekte der altersmäßigen Zusammensetzung der Belegschaften im öffentlichen Dienst einen erhöhten Personalbedarf zur Folge haben werden. Die OECD geht davon aus, dass der soziale Sektor besonders dringend zusätzliches Personal benötigen wird. Am stärksten werden hierbei die Bereiche Bildung und Gesundheit betroffen sein, da hier eine große Zahl an erfahrenen Beschäftigten aus Altersgründen aus dem Dienst ausscheiden wird.15 Aufgrund der zunehmenden Komplexität, Zentralisierung sowie Digitalisierung der Verwaltung wird des Weiteren auch im Bereich der IT-Fach- und Führungskräfte die Nachfrage an qualifiziertem Personal deutlich steigen. Versuche, das Problem zu quantifizieren, starteten u. a. die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) mit ihrer Studie „Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst“ (2018) sowie die Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey & Company mit der Studie „Die Besten, bitte: Wie der öffentliche Sektor als Arbeitgeber punkten kann“ (2019). Die Studien liefern erwartungsgemäß abweichende Zahlen. Fraglich ist, ob bei den Berechnungen die bereits genannten abmildernden Effekte berücksichtigt wurden oder, ob es sich dabei um eine reine „Lagefeststellung“ unter der Annahme gleichbleibender Stellenstrukturen handelt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Fachkräfteengpässe nach Berufsgruppen (2016-2030)16

PwC beziffert die Lücke mit 816.000 Fachkräften bis 2030.17 McKinsey berechnet im selben Zeitraum dagegen einen etwas optimistischeren Personalbedarf von etwa 731.000 Beschäftigten.18 Unberührt von etwaigen abmildernden Effekten ist jedoch der allgemeine Trend klar erkennbar: Die Personallücke des öffentlichen Dienstes wird bis 2030 enorm anwachsen (vgl. Abb. 5). Dieses wachsende Ungleichgewicht zwischen Arbeitskräfteangebot und -nachfrage führt dazu, dass sich der öffentliche Dienst bei der Personalgewinnung perspektivisch umorientieren und „aggressiver“ vorgehen muss. Sofern die geforderten Qualifikationen vom potenziellen Bewerber erfüllt sind, befindet sich dieser nämlich heutzutage in einer äußerst attraktiven Situation: Er kann sich den Arbeitgeber quasi aussuchen, denn es gibt deutlich mehr unbesetzte Stellen als Bewerber (Bewerbermarkt). Diese Situation wird sich, wie bereits aufgezeigt, jedoch in den kommenden Jahren verschärfen. Privatwirtschaftliche Arbeitgeber weisen derweil eine wesentlich heterogenere Altersstruktur als der öffentliche Dienst auf. Dies resultiert u. a. aus den Einstellungsstopps und Rationalisierungsmaßnahmen der 1990er Jahre sowie einer Vielzahl unbesetzter Stellen in Ermangelung geeigneter Bewerber.19 Das Ergebnis: Öffentliche Arbeitgeber müssen wesentlich mehr Energie in die Personalgewinnung stecken als ihre „zivilen Mitstreiter“. Sie müssen zukünftig eine Kehrtwende vom „passiven“ Rekrutierungsansatz zu einer aktiven Bewerberansprache einleiten. „Aktive Personalgewinnungsinstrumente“ werden von zivilen Firmen bereits seit mehreren Jahren erfolgreich angewandt. Der öffentliche Dienst scheint jedoch einige der aktuellen Entwicklungen der Personalgewinnung „verschlafen“ zu haben. Hinzu kommt auch noch, dass der öffentliche Dienst natürlich versucht – wie alle anderen Marktteilnehmer auch – einen gesunden Mittelweg zwischen quantitativer und qualitativer Personalgewinnung zu gehen. D. h., es sollen nicht nur ausreichend, sondern auch die richtigen Bewerber eingestellt werden, um die Qualität der Arbeit aufrecht zu erhalten. Im besten Fall sollen diese auch noch mit vollem Herzblut hinter den ihnen übertragenen Aufgaben stehen. Doch wie findet man den „richtigen“ Bewerber? Welche Kanäle nutzt dieser, um sich über potenzielle Arbeitgeber zu informieren? Wie kann sich der öffentliche Dienst herausragend positionieren, um im Mitbewerberumfeld der Arbeitgeber zu bestehen? Was hat ein potenzieller Bewerber für Anforderungen an einen zukünftigen Arbeitgeber? Zusammengefasst: Wie wird der öffentliche Dienst attraktiver für potenzielle Nachwuchskräfte?

Diese und weitere Fragen sollen im Folgenden beleuchtet werden. Hierzu ist es wichtig, sich einmal die Rahmenbedingungen anzugucken, welche neben dem demografischen Wandel auf den Arbeitsmarkt wirken und demnach auch direkt oder indirekt Einfluss nehmen auf eine erfolgreiche Personalgewinnung.

3. Externe Einflüsse und Treiber für die Personalgewinnung

3.1 Wertewandel der Generationen

Ein möglicher Erfolgsfaktor für eine gelungene Rekrutierung könnte in der tiefergehenden Betrachtung des Wandels der persönlichen Werte- und Normvorstellungen der jeweiligen Generation liegen. Wichtig ist zu verstehen, dass jede Generation andere Vorstellungen einer lebensphasenorientierten und attraktiven Arbeitswelt hat. Um dies erfolgreich mit dem Erfordernis heterogen zusammengesetzter Belegschaften im Sinne eines funktionierenden Wissensmanagements in Einklang zu bringen, bedarf es einer zielgruppenorientierten Ansprache der jeweiligen Bewerber und auch die Einhaltung der versprochenen Benefits nach erfolgter Einstellung. Entsprechende Wertversprechen dürfen dann wiederum keine „Lippenbekenntnisse“ bleiben, sondern müssen von der jeweiligen Unternehmung gelebt werden.20 Zeitgleich ist das Budget der öffentlichen Verwaltung zur Umsetzung geeigneter Maßnahmen durch Reglements im jeweiligen Haushalt weitestgehend festgeschrieben. Dies stellt eine enorme Herausforderung dar, denn die Wertvorstellungen als auch gewohnten Arbeitsweisen der jeweiligen Generation differieren teils enorm. Die verschiedenen Generationen befinden sich derzeit in unterschiedlichen Phasen innerhalb ihrer Lebensspanne und müssen deshalb individuell und lebensphasenorientiert betrachtet werden, da jede Generation eine andere prägende Phase der Sozialisation durchlief. Im Folgenden sollen schwerpunktmäßig vier Generationen betrachtet werden (vgl. Abb. 6): Babyboomer (1956-65), Generation X (1966-80), Generation Y (1981-95) und Generation Z (ab 1996). Diese wurden ausgewählt, weil sie aus Sicht der Autoren den Kern des potenziellen Bewerberpools darstellen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Generationentableau21

Während die geburtsstarken Jahrgänge der Babyboomer allmählich das Ende ihres Erwerbslebens erreichen, finden sich die Generationen Y und Z gerade am Anfang der Karriere wieder. Generation X ist demnach etwa am Scheitelpunkt der Karriere angelangt. Hieraus ergeben sich aber individuelle Erfordernisse des (attraktiven) Arbeitgebers, mit den Personengruppen umzugehen (vgl. Abb. 7). Während es für ältere Generationen eine Selbstverständlichkeit darstellt, Hierarchien zu akzeptieren, fällt es jüngeren Mitmenschen offenbar schwerer, in solchen Strukturen zu arbeiten. Sie wollen auf Augenhöhe behandelt werden und sehen im Chef eher einen Mentor als einen Vorgesetzten. Die persönliche Sichtweise auf die Arbeit wandelt sich von „leben, um zu arbeiten“ hin zu „arbeiten, um zu leben“. Das Private steht im Fokus und die Arbeit muss dazu passen. Weiterhin stellt die Nutzung von modernen Medien für ältere Generationen eher ein „Problem“ dar, was ggf. zu Schulungsbedarfen führt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Vergleich der Generationen (eigene Darstellung in Anlehnung an Prof. Mörstedt)22

Diese Generationsspezifika müssen bei der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen sowie Unternehmenskommunikation unbedingt bedacht werden, um effektiv alle in Frage kommenden Generationen anzusprechen und ein effektives generationsübergreifendes Miteinander zu gestalten. Hier könnte sich der öffentliche Dienst beispielsweise professionellen Employer-Branding-Agenturen bedienen.

3.2 Digitalisierung

Erschwerend zur alternden und schrumpfenden Gesellschaft und Stammbelegschaft sieht sich die öffentliche Verwaltung mit einem weiteren globalen Trend konfrontiert: der Digitalisierung. Unter Digitalisierung ist hierbei nicht das Umwandeln von analogen in digitale Signale zu verstehen (z. B. die Digitalisierung von Videokassetten auf DVD), sondern die digitale Abbildung von Arbeitsprozessen sowie die Entstehung neuer digitaler Produkte, Geschäftsmodelle und Dienstleistungen mithilfe moderner Technologie. Hierbei bietet die Digitalisierung zwar das Potenzial, „[…] Leistungen und die damit verbundenen Prozesse effektiver und effizienter zu gestalten“, erfordert zeitgleich aber auch eine „[…] zukunftsfähige IT-Infrastruktur, eine ‚Digitale Haltung‘ und ein gemeinsames Verständnis von Digitalisierung. Dazu gehört es, die Digitalisierung ganzheitlich mit ihren technologischen, organisatorischen und gesellschaftlichen Aspekten zu betrachten und die einzelnen Systeme […] sowie deren Abhängigkeiten untereinander zu (er)kennen“23 anstatt blind auf den „Trend“ Digitalisierung aufzuspringen. Dies erfordert gut geschultes Personal, was sich wiederum in der Ausgestaltung der Anforderungen an die Personalgewinnung niederschlagen muss. Da Generation X und jünger zukünftig den Hauptbewerberpool abbilden werden, ältere Generationen jedoch vor dem Hintergrund eines Wissenstransfers nicht ins Hintertreffen geraten dürfen, muss auch in der Unternehmenskommunikation mit Bewerbern klar ersichtlich sein, dass fehlende Qualifikationen nachgeschult und vorhandene Qualifikationen durch den „Arbeitgeber öffentlicher Dienst“ entwickelt und ausgebaut werden. Weiterhin muss der öffentliche Dienst dem gut geschulten Personal auch entsprechende Arbeitsmittel und Rahmenbedingungen an die Hand geben. Besonders in den Bereichen Work-Life-Balance, Aufstiegschancen und Flexibilisierung der Arbeitszeit kann die Digitalisierung ihre Stärken ausspielen. Gerade für den akademischen Nachwuchs jüngerer Generationen scheinen diese Faktoren äußerst wichtig zu sein (vgl. Abb. 8).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8: Wichtige Faktoren bei der Wahl des zukünftigen Arbeitgebers (Auszug)24

Etwa 40 % der Studierenden gaben an, dass diese Bereiche zu den Top-6 zählen, wenn es um die Wahl des zukünftigen Arbeitgebers gehe. Hier muss sich ein moderner Arbeitgeber – also auch der öffentliche Dienst – flächendeckend gut aufstellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese Tendenz bestätigt auch der aktuelle Nachwuchsbarometer öffentlicher Dienst 2019.25 Vor allem Frauen (49 % Frauen, Männer 31 %)26 gaben an, dass eine gesunde Work-Life-Balance eine zentrale Anforderung an einen potenziellen Arbeitgeber sei. Hier kann die Digitalisierung dafür sorgen, dass die Zahl erwerbstätiger Frauen im öffentlichen Dienst stetig steigt, denn u. a. die Möglichkeit des mobilen Arbeitens und damit verbundene flexible Arbeitszeiten unterstützen die Vereinbarkeit von beruflichen und familiären (z. B. Kindererziehung) Erfordernissen. Die digitale Ausgestaltung der Verwaltung zieht also auch eine Reihe anderer positiver Nebeneffekte nach sich und sollte weiter vorangetrieben werden. Auch die Bundesregierung hat diese Effekte erkannt und im Rahmen ihrer Digitalstrategie ihren Standpunkt zur Digitalisierung der Verwaltung wie folgt formuliert: „Moderne Verwaltung braucht eine moderne Ausstattung und die notwendigen Kompetenzen. Nur so kann die Verwaltung den digitalen Wandel mitgestalten und angemessene Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Gesellschaft setzen.“27 Dass die Digitalisierung einen Fokus der Betrachtung darstellt, zeigt u. a. das Inkrafttreten des Onlinezugangsgesetzes (OZG) im Jahre 2017. Ziel des Gesetzes ist es, dass der Bund und die Länder bis 2022 ihre Verwaltungsleistungen auch online mithilfe von Verwaltungsportalen anbieten und diese zu einem gemeinsamen Portalverbund verknüpfen.28 Dies hat zur Folge, dass die Personalgewinnung zukünftig vermehrt auf die Suche nach gut geschultem (IT-)Personal gehen muss. Parallel dazu muss bestehendes Stammpersonal auf die bevorstehenden Herausforderungen des digitalen Wandels durch gezielte Weiter- und Fortbildungen vorbereitet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 9: Bevorzugte Informationsquellen29

Vor dem Hintergrund des Generationswandels sollten zukünftig auch vermehrt digitale Kanäle zur Bewerberansprache genutzt werden. Lediglich ca. 4 % der Bewerber nutzen heutzutage noch Printmedien als Informationsquellen. Weitere 5 % besuchen Karrieremessen. Die absolute Mehrheit sucht Informationen über die Arbeitgeber-Homepage (35 %), bewirbt sich aufgrund persönlicher Empfehlungen (27 %) oder nutzt Karrierewebsites (12 %) zur Informationsgewinnung (vgl. Abb. 9).30 Im krassen Gegensatz dazu steht jedoch die derzeitig (noch) gelebte Rekrutierungspraxis. Immerhin verlangt die Mehrheit der öffentlichen Arbeitgeber nach eigenen Angaben noch eine Bewerbung per Post (86 %) oder per E-Mail (76 %). Eine entsprechende Bewerbung über Webformulare ist derzeit nur bei etwa 36 % der befragten Arbeitgeber im öffentlichen Dienst möglich. Dies ist im digitalen Zeitalter deutlich zu wenig. Die jüngeren Generationen dürften sich hierdurch wenig angesprochen fühlen. Immerhin gaben 65 % der Befragten an, zukünftig häufiger oder viel häufiger Webformulare nutzen zu wollen. Bei etwa 77 % der Befragten befindet sich die Einführung einer Bewerbung via Webformular sogar in Planung.31 Es ist also klar erkennbar, dass die Problematik um eine geeignete Zielgruppenanalyse und -ansprache im digitalen Zeitalter erkannt wurde, jedoch in weiten Teilen noch nicht ausreichend vorangetrieben wird.

3.3 Globalisierung

Der „war for talents“, also der Wettbewerb um die „besten“ Talente auf dem Arbeitsmarkt, findet seit Jahrzehnten nicht mehr auf heimischem „Grund und Boden“ statt. Vor allem international tätige Unternehmen bedienen sich überregionaler oder gar globaler Bewerberpools, um ihre Personalbedarfe zu decken. Die demografische und digitale Entwicklung zwingt auch den öffentlichen Dienst in Zukunft dazu, sich auf überregionalen Arbeitsmärkten nach geeignetem Personal umzusehen. Nicht zuletzt sorgen auch eine „voranschreitende Europäische Integration, die zunehmende Durchdringung mit europäischen Rechtsvorschriften, die Einflussnahme von Ländern und Regionen auf europäischer Ebene und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit“32 dafür, dass die deutsche Verwaltungslandschaft an Komplexität gewinnt. Dies hat auch direkten Einfluss auf die Ausbildung von Nachwuchskräften und die Anforderungen an potenzielle (externe) Bewerber. Während vor der Integration in die EU im Schwerpunkt nationale oder gar regionale Verwaltungskenntnisse vonnöten waren, müssen zukünftige Bewerber wesentlich tiefgreifendere Kenntnisse von internationalen Zusammenhängen aufweisen. Man denke hier beispielsweise an Verwaltungsmitarbeiter in Bürgerämtern, welche mit der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Wahl zum Europaparlament beauftragt sind. Alleinige Kenntnisse von deutschen Kommunal- oder Bundestagswahlen bieten hier zwar eine gute Basis, reichen aber nicht aus. Nicht vorhandenes oder unzureichendes Wissen kann nachgeschult werden, jedoch sollte aus Effizienzgesichtspunkten die Suche nach bereits gut geschultem Personal den Vorrang haben. Welchen enormen Stellenwert die Globalisierung einnimmt, lässt sich u. a. an der Entwicklung der Bildungsabschlüsse der letzten Jahre ablesen (vgl. Abb. 10). Im Altersvergleich zeigt sich deutlich, dass jüngere Generationen eher die Fach- bzw. Hochschulreife anstreben als es noch ihre Eltern oder Großeltern taten. Hier ist davon auszugehen, dass der Großteil von ihnen eine anschließende akademische Hochschul- oder Universitätsausbildung absolvieren wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 10: Verteilung der Bevölkerung in Deutschland nach Altersgruppen und höchstem Bildungsabschluss (Stand: 2018)33

Die „Akademisierung der Arbeitswelt“ hat offenbar Einzug gehalten, um der steigenden Komplexität der gesellschaftlichen Zusammenhänge Rechnung tragen zu können.

3.4 Wissensgesellschaft

Basierend auf einer immer komplexer werdenden Welt stellt die Entwicklung der Gesellschaft von einer Industrie- hin zu einer Wissensgesellschaft eine weitere große Herausforderung für den öffentlichen Dienst dar. Unter Wissensgesellschaft ist hier die „[…] wachsende Bedeutung von Wissen – technologischem Wissen und Handlungskompetenz – in fast allen Lebensbereichen der modernen Gesellschaft […]“34 zu verstehen. Während der wirtschaftliche Schwerpunkt der Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhunderts noch in Produktion und Landwirtschaft lag, löste die fortschreitende Technisierung Anfang der 1960er Jahre beide Bereiche als führenden Wirtschaftszweig der Wertschöpfungskette ab. Wenige Jahre später – gegen Ende der 1970er Jahre – musste auch der Dienstleistungssektor dem Informationssektor weichen (vgl. Abb. 11). Informationen stehen seither im Fokus des Handelsgeschehens. Prominente Beispiele global agierender Unternehmen des Informationszeitalters sind z. B. Google und Facebook. Kerngeschäft beider Multimilliardenunternehmen ist die Verarbeitung von und der Handel mit Informationen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 11: Entwicklung des Informationsbereichs von 1882-201035

Dieser Umschwung der Sektoren innerhalb der Volkswirtschaft steigerte die Notwendigkeit, Wissen nachhaltig zu archivieren und weiterzuentwickeln. Die stetig komplexer werdende Wissensgesellschaft, der technologische Fortschritt, der damit einher geht sowie die „zunehmende Informationsflut und Verkürzung der ‚Verfallszeit‘ aktuellen Wissens“36 machen es also notwendig, dass sowohl vorhandenes als auch neu gewonnenes Personal innerhalb der öffentlichen Verwaltung über die Fähigkeit verfügt, bestehendes und neues Wissen stetig aktiv zu erschließen sowie produktiv anwenden zu können. Hierbei muss der öffentliche Dienst als attraktiver Arbeitgeber sein (zukünftiges) Personal unterstützen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Zentraler Baustein ist hierbei die Konservierung vorhandenen Wissens älterer und erfahrener Mitarbeiter (Wissenstransfer). Hierzu müssen Mitarbeiter und Arbeitgeber stetig eng zusammenarbeiten, denn heutzutage kann sich kein Marktteilnehmer – auch nicht der öffentliche Dienst – leisten, „das Rad neu zu erfinden“. Der Kapitalverlust, der mit dem Verlust von Wissen einhergeht, ist enorm. Wissen muss an dieser Stelle in explizites und implizites Wissen unterschieden werden. Unter implizitem Wissen ist hierbei die Summe aus unbewussten persönlichen Erfahrungen, Verhalten sowie Wertvorstellungen des Wissensträgers zu verstehen. Diese ist nur schwer zugänglich, da es sich im Kopf der entsprechenden Person befindet. Durch Verbalisierung und Erfassen kann ein Teil des impliziten Wissens zugänglich und explizit gemacht werden. Ein großer Teil ist jedoch nicht verbalisierbar und kodifizierbar.37 Eine 2016 von Harris Poll, im Auftrag der amerikanischen Softwarefirma Jive Software durchgeführte Onlinebefragung internationaler38 Wissensmanager ergab, dass „[…] der Verlust des Unternehmensgedächtnisses Unternehmen geschätzt rund 430.000 Dollar39 pro ausgeschiedenem Mitarbeiter kostet – zusätzlich zu den normalerweise anfallenden Rekrutierungskosten für Ersatzmitarbeiter.“40 Bezogen auf den öffentlichen Dienst bedeutet dies eine zusätzliche Belastung des Haushalts und, in letzter Konsequenz, des Steuerzahlers, falls es nicht gelingt, das Wissen ausscheidender Mitarbeiter in angemessener Art und Weise zu sichern. Dieses Geld würde dann an anderer Stelle möglicherweise dringend benötigt werden.

4. Faktoren für eine erfolgreiche Fachkräftesicherung

4.1 Eingrenzung

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass es drei wesentliche Strategien gibt, nachhaltig Personal zu gewinnen: die Bewerberansprache (Personalmarketing), das Setzen von Anreizen (Incentive-Modelle) sowie die Erweiterung der Bewerberpools.41 Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Personalgewinnungsprogramme klar von „Bindungsprogrammen“ wie Personalentwicklung abzugrenzen sind, da die zugrundeliegenden Mechanismen aufgrund sich wandelnder Erwartungen an einen attraktiven Arbeitgeber innerhalb des Erwerbslebens der Mitarbeiter stark variieren.42 Jedoch kann Personalgewinnung und Personalbindung nicht isoliert betrachtet werden, da Anreize bezogen auf perspektivische Mitarbeiterentwicklung zentraler Bestandteil einer gelungenen Bewerberansprache sein sollten. Ziel muss es hierbei sein, den Bewerber zum Mitarbeiter zu machen und ihn langfristig zu binden, um zu verhindern, dass er den öffentlichen Dienst aufgrund nicht eingehaltener Versprechungen wieder frühzeitig verlässt, denn „Nichts ist demotivierender als die Erkenntnis, dass Personalmarketingbotschaft nicht mit der gelebten Praxis […] übereinstimmen“.43 Die hat auch die Bundesregierung bereits im Jahr 2008 erkannt und beschreibt die Brisanz etwaiger Personalgewinnungsmaßnahmen wie folgt: „Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes des Bundes stellen die wichtigste Ressource dar und sichern eine rechtsstaatliche und bürgerfreundliche Verwaltung. […] Um auch künftig qualifiziertes Personal zu gewinnen, ist die Attraktivität des öffentlichen Dienstes weiter zu verbessern.“44 Vor dem Hintergrund der Komplexität des Themenbereiches „Personalmanagement“ untersucht diese Arbeit als Teiluntersuchung im Schwerpunkt Attraktivität ausgewählte Arbeitsbedingungen hinsichtlich der Personalbeschaffung. Wo immer angezeigt und methodisch notwendig, wird es jedoch in Einzelfällen auch zu Ausführungen in Bezug auf Personalbindung kommen.

4.2 Begrifflichkeiten

4.2.1 Arbeitsbedingungen

Im Rahmen dieser Bachelorarbeit werden unter „Arbeitsbedingungen“ alle Faktoren der Arbeitsumgebung verstanden, die einen Einfluss (direkt oder indirekt) auf die Arbeitnehmer haben und dafür sorgen, dass ein Arbeitgeber – hier der öffentliche Dienst – als attraktiv wahrgenommen wird. Hierbei sollen grundsätzlich vier große Themenfelder bzw. „Säulen“ näher beleuchtet werden: „Personalführung“, „Chancengleichheit und Diversity“, „Gesundheit“ sowie „Wissen und Kompetenz“. Ergänzt wird die Untersuchung von „übergreifenden“ Arbeitsbedingungen wie Gehaltsstrukturen oder dem Laufbahnmanagement.

4.2.2 Public Service Motivation

Bei der Bewertung der Attraktivität bestimmter Arbeitsbedingungen muss man jedoch eine entscheidende Variable mit einbeziehen: die sogenannte Public Service Motivation, kurz PSM. Während es für eine bestimmte Personengruppe aus intrinsischer Motivation heraus äußerst attraktiv zu sein scheint, für den öffentlichen Dienst zu arbeiten, müssen andere Bewerbergruppen vermehrt extrinsisch motiviert und „gelockt“ werden. Genannte Personen mit ausgeprägter PSM zeigen insgesamt auch eine höhere Bereitschaft, sich der Tätigkeit mit Hingabe zu widmen, obwohl sie z. B. bei einem privatwirtschaftlichen Arbeitgeber möglicherweise besser entlohnt werden würden. Weiterhin kann beobachtet werden, dass diese Menschen weniger für Anreizsysteme empfänglich sind, die auf eine Steigerung der persönlichen Wohlfahrt ausgelegt sind. Ihnen scheint es eher wichtig zu sein, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Hier stehen also eher altruistische Motive im Vordergrund. Perry und Wise stellten deshalb 1990 auf Grundlage dieser Erkenntnisse folgende drei Hypothesen auf:

1. Je größer die PSM einer Person ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese sich für den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber entscheidet.
2. Es scheint einen positiven Zusammenhang zwischen der PSM und der individuellen Leistung zu geben.
3. Öffentliche Organisationen mit einer hohen PSM sind wahrscheinlich weniger abhängig von Anreizsystemen, die auf die Steigerung des persönlichen Nutzens der jeweiligen Person gerichtet sind, um die individuelle Leistung zu steigern.45

Eine Schweizer Absolventen-Studie von Hirsbrunner (2008) unterstreicht diese Zusammenhänge noch einmal eindrucksvoll. Eine grundsätzliche Übertragung der Ergebnisse auf den öffentlichen Dienst in Deutschland ist nach unserer Bewertung zulässig. Die Studie zeigt u. a., dass diejenigen Absolventen, die an einer Tätigkeit in der Schweizer Bundesverwaltung interessiert waren, deutlich häufiger „Beitrag für die Gesellschaft leisten“ als Karriereziel nannten. Absolventen, die nicht an einer staatlichen Anstellung interessiert waren, fokussierten sich eher auf monetäre Ziele (vgl. Abb. 12).

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Abbildung 12: Karriereziele von Absolventen46

Da der öffentliche Dienst im Vergleich zu seinen „zivilen“ Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt ein relativ enges finanzielles Korsett (Haushaltsbudget) zur Ausgestaltung und Umsetzung von Maßnahmen zur Steigerung des persönlichen Nutzens zur Verfügung hat, sollte bei der Mitarbeitergewinnung demnach der Fokus auf dem geschickten Herausstellen der Individualität des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber liegen. Hier kann z. B. der gesellschaftliche Nutzen, den der Bewerber nach Einstellung erfüllt, in entsprechenden Kommunikationskonzepten verankert und in entsprechenden Personalmarketingmaßnahmen Einfluss finden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 13: Voraussichtliche Entwicklung des Budgets für ausgewählte behördliche Aufgaben in den nächsten drei Jahren (Stand: 2019)47

Immerhin ergab eine Behördenbefragung über alle Verwaltungsebenen hinweg, dass ca. die Hälfte aller Behörden von einem zukünftigen Anstieg von Haushaltsmitteln im Bereich Nachwuchsrekrutierung ausgeht (vgl. Abb. 13). Zusammen mit dem großen Bereich der „Digitalisierung“ und dessen Begleiterscheinungen wie dem Ausbau der IT-Infrastruktur etc. wird der Weiterentwicklung der Personalgewinnung demnach eine enorme Wichtigkeit attestiert.

4.3 Säulen eines attraktiven öffentlichen Dienstes

4.3.1 Personalführung

In der heutigen Zeit – und vor dem Hintergrund des Wertewandels der Generationen – ist es wichtiger denn je, dass Führungskräfte sich ausgiebig mit den Bedürfnissen der jeweiligen Mitarbeiter beschäftigen. Gerade die jüngeren Generationen Y und Z sehen sich auf Augenhöhe mit dem Vorgesetzten und möchten wertschätzend behandelt werden und Anerkennung für die geleistete Arbeit erhalten. Ihnen ist wichtig, dass der Vorgesetzte als Vorbild bzw. Mentor auftritt und nicht nur Aufgaben delegiert. Dem Mitarbeiter soll Verantwortung übertragen und die Möglichkeit gegeben werden, sich zu entwickeln. Regelmäßige Kommunikation zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem unterstützt den Entwicklungsprozess zusätzlich, indem z. B. Ziele definiert und deren Erreichen besprochen werden kann.48 Studien wie die Gallup-Studie aus 2017 untermauern dies eindrucksvoll. Hier wird deutlich, dass fachliche Kompetenz und Wissen nicht mehr ausreichen, um sich als gute Führungskraft zu profilieren. Vielmehr sind es soziale Kompetenzen wie das Unterstützen, Fördern oder Motivieren, die in das Aufgabenspektrum einer Führungskraft gehören. Der gesamtwirtschaftliche Schaden, der durch fehlerhaftes Führungsverhalten und dementsprechende Demotivation der Mitarbeiter verursacht wird, wird jährlich auf 105 Milliarden Euro Gewinneinbuße beziffert.49 Führungskräfte nehmen demnach eine entscheidende Schlüsselrolle für den Unternehmenserfolg und ein gutes Arbeitsklima ein und stellen durch einen geeigneten Führungsstil, der die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter fördert, sicher, dass der öffentliche Dienst den immer komplexeren und dynamischeren Anforderungen des gesellschaftlichen Wandels gerecht wird.50

4.3.1.1 Führungskräfteentwicklung und Kommunikation

Um den gestiegenen Aufgaben gerecht werden zu können, müssen Führungskräfte selbstverständlich stetig weiterentwickelt werden und motiviert bleiben, sich selbst weiterzuentwickeln. Hierzu ist es notwendig, ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, die es ihnen erlauben, den eigenen Entwicklungsstand zu reflektieren und daraus Bedarfe abzuleiten. Beispielsweise seien hier drei Werkzeuge exemplarisch genannt: Feedback-Gespräche mit den Vorgesetzten der jeweils höheren Ebene, Führungskräftecoachings und gezielte Weiterbildungsmöglichkeiten. Nur wenn Führungskräfte über ihre eigenen Stärken und Schwächen informiert werden und gemeinsam mit dem Vorgesetzten Lösungswege entwickelt werden, wie Schwächen minimiert und individuelle Stärken gefördert werden können, ist eine vertrauensvolle Führung der Teams, denen zukünftige Mitarbeiter angehören, möglich. Aber auch kommunikative und kooperative Prozesse innerhalb der jeweiligen Führungsebene sind möglichst so zu gestalten, dass man sich über die wichtigsten Eckpfeiler der fachbereichsübergreifenden Zusammenarbeit austauscht, sodass eine Art Wiedererkennungswert für den Nachwuchs erkennbar ist. Die Grundprinzipien der Führungskultur der jeweiligen Behörde sollten in allen Bereichen Einzug halten, denn nichts ist schlimmer, als wenn ein neuer Mitarbeiter in der Einarbeitungsphase mehrere Bereiche durchläuft und feststellen muss, dass in allen Bereichen unterschiedlich geführt wird oder noch schlimmer, dass die jeweiligen Führungskräfte in unterschiedliche Richtungen agieren und grundlegend verschiedene Fokusse in Bezug auf die Umsetzung der vorgegebenen Leitbilder. Ein kontinuierlicher Austausch der Führungskräfte untereinander ist deshalb essenziell. Dies fördert auch maßgeblich ein gutes Betriebsklima.51 Immerhin geben in einer aktuellen Umfrage von Indeed und YouGov aus dem Jahr 2020 fast 60 % der erwerbstätigen Deutschen an, dass ihnen Team und Kollegen sehr wichtig seien (vgl. Abb. 14).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 14: Jobbereiche nach Wichtigkeit52

Ähnliche Zahlen liefert auch eine Studie von McKinsey aus dem Jahr 2019. Hier wurden explizit Führungskräfte der mittleren Führungsebene zu den Gründen befragt, die sie dazu bewogen haben, den öffentlichen Dienst zu verlassen und in die Privatwirtschaft zu wechseln. Etwa ein Drittel der Führungskräfte gab an, dass es an inspirierenden Führungskräften mangele (vgl. Abb. 15). Dies sind alarmierende Zahlen, die zeigen, dass die Führungskräfteentwicklung im öffentlichen Dienst an vielen Stellen noch ausbaufähig zu sein scheint. Ziel muss es sein, eine inspirierende, fordernde, aber auch fördernde Führungskultur zu leben, um neuen Nachwuchs anzuziehen, aber auch bestehende Führungskräfte zu halten und weiterzuentwickeln im Sinne einer mitarbeiterorientierten Führungskultur, die durch Vertrauen und effiziente Kommunikation sowie Kooperation gekennzeichnet ist. Diese Grundprinzipien sollten sowohl in der horizontalen als auch vertikalen Organisationsstruktur Anwendung finden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 15: Gründe für das Verlassen des öffentlichen Dienstes53

4.3.1.2 Beteiligung und Motivation

Moderne Personalführung bedeutet aber noch mehr. Entscheidungsprozesse im öffentlichen Dienst bedürfen stets der Einbindung und aktiven Beteiligung von Beschäftigten und Beschäftigtenvertretungen. Dies sorgt u. a. dafür, dass eine angenehme Atmosphäre geschaffen, Stress abgebaut bzw. verhindert und negative gesundheitliche Folgen abgefedert werden. Den Mitarbeitern wird hier Wertschätzung entgegengebracht, denn das Wissen als „Expertinnen und Experten in eigener Sache“54 kann direkt genutzt werden, um Arbeitsabläufe, Arbeitsbedingungen sowie Informationsflüsse zu optimieren. Die Möglichkeit der Beteiligung muss auch in Form eines Kommunikationskonzeptes für das Personalmarketing nach außen getragen werden. Für zukünftige Nachwuchskräfte dürfte dies ein großartiges Attraktivitätsmerkmal sein, auch „gehört“ zu werden. Aber nicht nur innerhalb der Verwaltung selbst, sondern auch im Verhältnis von Bürgern und Verwaltung ist es sinnvoll, Beteiligungsprozesse zu ermöglichen bzw. auszubauen. Die Bürger wollen zunehmend an Entscheidungsprozessen beteiligt werden und haben eine entsprechende Erwartungshaltung. Dies führt dazu, dass die Anforderungen an die Professionalität der Verwaltung steigen. Eine Stärkung der Bürgerbeteiligung und -orientierung kann dazu beitragen, dass die Akzeptanz des öffentlichen Dienstes in der Bevölkerung steigt und damit auch dessen Image im Ganzen. Positive Effekte auf die Attraktivität des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber sind hier anzunehmen, sodass sich der öffentliche Dienst entsprechend als moderner und attraktiver Arbeitgeber positionieren sollte.55 Als gelungene Beispiele lassen sich z. B. Beteiligungsverfahren des Bundesamtes für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) nennen. Das BMU als oberste Bundesbehörde bezieht in einer Vielzahl seiner Projekte die Bürger mit ein. Sowohl das Abfallvermeidungs- und Ressourceneffizienzprogramm als auch die Endlagerstandortsuche für radioaktive Abfälle seien hier exemplarisch genannt. Stichproben von Bürgern sowie Interessensgemeinschaften wie Verbände und Arbeitgebervertreter der jeweiligen fachspezifischen Branchen werden in das Projektdesign und dessen Durchführung mit einbezogen, sodass eine übergreifende Interessenslage identifiziert und sinnvolle Maßnahmen (z. B. entsprechende Gesetzgebungsverfahren) abgeleitet werden können. Dies sorgt für gegenseitiges Verständnis, eine Vertiefung des Dialoges und eine Stärkung der Akzeptanz des Ministeriums innerhalb der Gesellschaft.56 Diese Vorgehensweise ist ohne Weiteres auf viele andere Verwaltungseinheiten des öffentlichen Dienstes übertragbar und im Wesentlichen unabhängig davon, ob es sich um eine Kommunal-, Landes- oder Bundesverwaltung handelt. Aufgrund der Transparenz, die durch diese Beteiligung erreicht wird, dürfte sich auch eine Vielzahl potenzieller Bewerber angesprochen fühlen, sich in solch partizipativen Behörden zu bewerben, weil sie quasi „live“ miterleben können, dass sich um die gesellschaftlichen Belange aktiv gekümmert wird. Auf Menschen mit einer hohen PSM dürfte dies besonders attraktiv wirken. Einmal gewonnen heißt es, die jeweiligen neuen Mitarbeiter auch zu motivieren, ihre tägliche Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen. Um eine dauerhafte Motivation zu erreichen, das Engagement zu fördern sowie die Leistungsfähigkeit langfristig zu erhalten, gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten. Eine positive Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen ist stets ein Mix aus mehreren Instrumenten, die auf die Erfüllung unterschiedlicher Bedürfnisse der Mitarbeiter abzielen. Einen Auszug aus dem Repertoire der Möglichkeiten bietet der Praxisreport „Verwaltung der Zukunft“ der Initiative Neue Qualität der Arbeit (2014). Hier werden exemplarisch folgende Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, um eine motivationsfördernde Umgebung für Mitarbeiter zu gestalten:

- Erwartungen und Bedürfnisse kennen und Potenziale ausschöpfen,
- Handlungsspielräume schaffen zur Mitgestaltung von Arbeitsabläufen, Arbeitsweisen, Arbeitsmittel oder zeitlicher Abfolgen,
- transparente Entscheidungen treffen,
- Informationen weiterleiten,
- Feedback geben,
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen (z. B. Flexibilisierung der Arbeitszeiten),
- Dialog-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten schaffen,
- Wertschätzung und kollegiales Miteinander fördern,
- Stressprävention durch Vermeidung von Über- und Unterforderung,
- faire Gehaltsstrukturen und Personalpolitik etablieren,
- individuelle (berufliche) Problemlagen durch Unterstützungsangebote auffangen.

Ergänzend hierzu wird empfohlen, begleitende Coaching-Angebote und Mitarbeitergespräche, Sprechstunden oder Gesprächszirkel zu etablieren, um frühzeitig auf Konflikte aufmerksam zu werden, die negative Folgen nach sich ziehen könnten.57 Diese Grundprinzipien der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen sollten stets berücksichtigt und in konkrete Maßnahmen des täglichen Betriebs umgesetzt werden. Ebenso sollte dies essenzieller Bestandteil der jeweiligen Leitbilder sein, die die Verwaltungseinheiten ausgearbeitet haben oder zukünftig noch ausarbeiten werden. Mitarbeitermotivation hat aber auch indirekte Effekte. So dürfte bei hochmotivierten Mitarbeitern die Wahrscheinlichkeit steigen, dass diese in ihrem Freundes- und/oder Bekanntenkreis für ihren Arbeitgeber werben.

[...]


1 Die hier aufgeführten Betrachtungen zu demografischen Effekten auf die Personalgewinnung sind lediglich als Auszug der Gesamtthematik „demografischer Wandel“ zu sehen und sollen den Kern der Problematik darstellen. Demografische Zusammenhänge vollständig abzubilden ist nicht Anspruch dieser Arbeit. Die Autoren empfehlen, hierzu weiterführende Literatur, wie z. B. Schwuchow und Gutmann (2019), heranzuziehen.

2 Vgl. Troger (2019), S. 3 f.

3 Ebd., S. 12.

4 Vgl. Buck (2008), S. 11 f.

5 Ebd., S. 13.

6 Vgl. Buck (2008), S. 13.

7 Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (2011), S. 3.

8 Vgl. Statistisches Bundesamt (2019a), S. 7 f.

9 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2020a).

10 Ebd.

11 Statistisches Bundesamt (2020a), S. 12.

12 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2020b).

13 Lück-Schneider (2016), S. 21.

14 Vgl. Busold (2019), S. 4.

15 Vgl. Buck (2008), S. 10.

16 Detemple/Höhn (2018), S. 23.

17 Vgl. ebd., S. 8.

18 Stern/Klier/Kirchherr/Pethö-Schramm/Susnjara/Ohloff/Sönmez (2019), S. 5.

19 Vgl. Buck (2008), S. 11.

20 Vgl. Stern/Klier/Kirchherr/Pethö-Schramm/Susnjara/Ohloff/Sönmez (2019), S. 13; Immerschitt/Stumpf (2019), S. 9.

21 Klaffke (2014), S. 12.

22 Vgl. Mörstedt (o. J.), S. 5 ff.

23 Stember/Eixelsberger/Spichiger/Neuroni/Habbel/Wundara (2019), S. 4.

24 Simon (2018), S. 12.

25 Vgl. Next:Public Beratungsagentur (2019), S. 14.

26 Simon (2018), S. 13.

27 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (2019), S. 156.

28 Vgl. § 1 Onlinezugangsgesetz (2017).

29 Next:Public Beratungsagentur (2019), S. 18.

30 Vgl. ebd., S. 18.

31 Vgl. Haarhaus/Ahr (2016), S. 11.

32 CIVIC GmbH Institut für internationale Bildung (o. J.).

33 Statista (2018), S. 9.

34 Poltermann (2013).

35 Dostal (1995), S. 5.

36 CIVIC GmbH Institut für internationale Bildung (o. J.).

37 Vgl. Dünser (2019).

38 Die Gruppe der befragten Wissensmanager setzte sich wie folgt zusammen: USA (n=778), Vereinigtes Königreich (n=420), Frankreich (n=559) und Deutschland (n=584).

39 Ca. 382.000 € (Stand: 15.06.2020, 15:44 h, Quelle: www.finanzen.net).

40 Vgl. Poll (2016).

41 Vgl. Klunker (2009), S. 15 zitiert nach: Zempel-Dohmen, Jeanette (2007): Personalmarketing. Personal Recruitment, S. 405.

42 Vgl. Schleiter/Armutat (2004), S. 17.

43 Schleiter/Armutat (2004), S. 17.

44 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2008), S. 1.

45 Vgl. Alonso/Lewis (2001), S. 363 f.

46 Klunker (2009), S. 20 zitiert nach Hirsbrunner (2008).

47 Hammerschmid/Lorenz/Wierwille (2019), S. 19.

48 Vgl. Schmidtke (2019), S. 32 ff.

49 Vgl. Schmidtke (2019), S. 52; Tödtman (2017).

50 Vgl. Molnár (2014), S. 24.

51 Vgl. Molnár (2014), S. 25 f.

52 Indeed Ireland Operations Limited/YouGov Deutschland GmbH (2020), S. 15.

53 Stern/Klier/Kirchherr/Pethö-Schramm/Susnjara/Ohloff/Sönmez (2019), S. 11.

54 Molnár (2014), S. 27.

55 Vgl. Molnár (2014), S. 27.

56 Die aufgezeigten Fakten zu Beteiligungsprozessen basieren auf erworbenen Kenntnissen der Autoren aus den jeweiligen Pflichtpraktika im Rahmen ihres Studiums Bachelor of Arts „Öffentliche Verwaltung“ an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) sowie dem Internetauftritt des BMU unter: www.bmu.de/themen/bildung-beteiligung/buergerbeteiligung. Zugriff am 27.08.2020.

57 Vgl. Molnár (2014), S. 28.

Ende der Leseprobe aus 123 Seiten

Details

Titel
Personalmangel im öffentlichen Dienst. Herausforderungen für strategische und nachhaltige Personalgewinnung in Zeiten von Wettbewerb, Digitalisierung und Arbeit 4.0
Hochschule
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Note
1,8
Autoren
Jahr
2020
Seiten
123
Katalognummer
V957095
ISBN (eBook)
9783346311030
ISBN (Buch)
9783346311047
Sprache
Deutsch
Schlagworte
personalmangel, dienst, herausforderungen, personalgewinnung, zeiten, wettbewerb, digitalisierung, arbeit
Arbeit zitieren
Matthias Pirog (Autor:in)Björn Wessely (Autor:in), 2020, Personalmangel im öffentlichen Dienst. Herausforderungen für strategische und nachhaltige Personalgewinnung in Zeiten von Wettbewerb, Digitalisierung und Arbeit 4.0, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/957095

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