Zum Spannungsfeld Individualisierung, Leistungsbewertung und soziale Gemeinschaft in heterogenen Lerngruppen


Epreuve d'examen, 1998

91 Pages


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

2. AUFWACHSEN IN DER BRD
2.1. FAMILIE, ERZIEHUNG UND LEBENSPLANUNG
2.2. AUßERFAMILIÄRE, SOZIALE KONTAKTE
2.2.1. ZU ERWACHSENEN
2.2.2. ZU ANDEREN KINDERN UND JUGENDLICHEN
2.3. FREIZEIT UND FREIZEITVERHALTEN
2.4. SCHULE
2.5. GESELLSCHAFT

3. ANFORDERUNGEN AN SCHULE
3.1. WAS SICH SCHÜLERINNEN WÜNSCHEN
3.2. SCHULE ALS SPIEGEL DER GESELLSCHAFT
3.2.1. SCHULE ALS ORT DER DEMOKRATIE
3.2.2. VORBEREITUNG AUF FREIHEIT UND SELBSTVERANTWORTLICHES LEBEN
3.3. SCHULE ALS LERNORT
3.3.1. AUFGABEN
3.3.2. INHALTE
3.3.3. METHODEN
3.4. SCHULE ALS ORT SOZIALER BEGEGNUNG UND KOOPERATION
3.4.1. SOZIALISATION, SOZIALER TREFFPUNKT
3.4.2. LEBENSWERTE GESTALTUNG / LEBENSRAUM
3.4.3. SCHULE ALS ORT DER GLEICHBERECHTIGUNG
3.4.4. ÖFFNUNG DER SCHULE
3.5. SCHULE ALS ORT DER COURAGE

4. INDIVIDUALISIERUNG
4.1. UNTERRICHT IN HETEROGENEN GRUPPEN
4.2. DIFFERENZIERUNG
4.2.1. INDIVIDUALISIERUNG DURCH ÄUßERE DIFFERENZIERUNG?
4.2.2. BINNENDIFFERENZIERUNG

5. SOZIALE GEMEINSCHAFT
5.1. RAHMENBEDINGUNGEN FÜR SOLIDARITÄT IN DER GEMEINSCHAFT
5.2. MÖGLICHKEITEN DER VERWIRKLICHUNG IM UNTERRICHT
5.2.1. KONTAKT ERMÖGLICHEN DURCH WENIGER LEHRERZENTRIERUNG
5.2.2. PARTNER- / GRUPPENARBEIT
5.2.3. GEMEINSAME ERFAHRUNGEN
5.2.4. KLASSENUNTERRICHT
5.2.5. INTERAKTIONSÜBUNGEN

6. LEISTUNGSERZIEHUNG UND LEISTUNGSBEURTEILUNG
6.1. LEISTUNG
6.1.1. LEISTUNG WIRD AN EINER NORM GEMESSEN
6.1.2. LEISTUNG BEWEGT SICH IN BESTIMMTEN DIMENSIONEN
6.2. LEISTUNGSERZIEHUNG IM UNTERRICHT
6.2.1. GESELLSCHAFTLICHES LEISTUNGSPRINZIP
6.2.2. RÜCKMELDUNG
6.2.3. UMGANG MIT FEHLERN
6.3. LEISTUNGSBEWERTUNG
6.3.1. ZIELE DER LEISTUNGSBEWERTUNG
6.3.2. TRANSPARENZ DER LEISTUNGSBEWERTUNG
6.3.3. LEISTUNGSBEWERTUNG DARF NICHT MITTELPUNKT DER SCHULE WERDEN
6.4. ARTEN DER LEISTUNGSBEWERTUNG
6.4.1. ZIFFERNZENSUREN
6.4.2. VERBALE BEURTEILUNGEN
6.5. GESETZLICHE GRUNDLAGEN UND PÄDAGOGISCHER SPIELRAUM ZUR LEISTUNGSBEWERTUNG IN SACHSEN-ANHALT
6.5.1. LEISTUNGSNACHWEISE
6.5.2. GRUNDSCHULE
6.5.3. FÖRDERSTUFE
6.5.4. SEKUNDARSCHULE
6.5.5. SONDERSCHULEN

7. ZUSAMMENFASSUNG

8. LITERATURVERZEICHNIS

9. ANHANG

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Maßstäbe zur Leistungsbewertung (J ÜRGENS, 1997, PREUSS, 1994)

Abbildung 2: Erweiterter Lern- und Leistungsbegriff

Abbildung 3: Anzahl der vorgeschriebenen Klassenarbeiten in der Grundschule

Abbildung 4: Anzahl der vorgeschriebenen Klassenarbeiten in der Förderstufe

Abbildung 5: Anzahl der vorgeschriebenen Klassenarbeiten in der Sekundarstufe

Abbildung 6: Anzahl der zensierten schriftlichen Lernkontrollen in der Schule für Lernbehinderte

HINWEISE FÜR LESERINNEN UND LESER

VERWENDETE SCHRIFTARTEN

- Times New Roman, Standard, Größe: 12 Punkte

habe ich verwendet für den fortlaufenden Text, es ist abschnittsweise gekennzeichnet, um wessen Meinung es sich handelt, Textpassagen ohne Kennzeichnung geben meine eigene Meinung wieder.

- Times New Roman, Kursiv, Gr öß e: 12 Punkte

habe ich hauptsächlich verwendet für Zitate, aber auch für die Untertitel in den Literaturhinweisen.

- Times New Roman, Fett, Größe: 12 Punkte

habe ich verwendet, um Haupttitel (von Büchern und Artikeln aus Zeitschriften) kenntlich zu machen. Außerdem um an einigen Textstellen Hervorhebungen zu machen.

- Times New Roman, Fett, Kursiv, Gr öß e: 12 Punkte

habe ich verwendet, um im Kapitel 6 „ Leistungserziehung und Leistungsbewertung “ Zitate aus SIMONEIT, Max: Fort mit der Schulzensur Das Beurteilen von Schülerleistungen, Berlin, Bernard & Graefe, 1952 hervorzuheben.

- Tahoma, Standard, Größe 11 Punkte

habe ich im Kapitel 6 „Leistungerziehung und Leistungsbewertung“ zur Wiedergabe der Erlasse des MK verwendet.

WEITERE HINWEISE

- Verfasser habe ich im Text durch GROSSBUCHSTABEN gekennzeichnet, in den Literaturhinweisen nicht.

- Am Ende jedes Kapitels befinden sich die ausführlichen Literaturangaben für das vorangegangene Kapitel, in den einzelnen Absätzen innerhalb des Kapitels verweise ich an entsprechenden Stellen darauf mit einem verkürzten Literaturhinweis. Am Schluß der Arbeit befindet sich das Gesamtliteraturverzeichnis.

- Im Anhang werden einige Begriffe erläutert, die im Text mit­ gekennzeichnet sind.

1. Einleitung

Kindheit heute hat sich im Verlauf des Jahrhunderts rasant verändert. Schule trifft auf diese Veränderungen und muß sich auf diese einstellen. Aber auch von anderen Seiten werden Anforderungen an die Schule in der heutigen Zeit gestellt:

Hochschulen und Arbeitgeber klagen darüber, daß die AbgängerInnen der Schulen zuwenig Flexibilität, Kreativität und Selbständigkeit mitbringen. Eltern klagen über Erziehungs- probleme. Verschiedene Stimmen in der Gesellschaft klagen über Jugendkriminalität, Verrohung, Oberflächlichkeit und darüber, daß für die Jugend nur „Party machen“ und Spaß zählt.

Schule kann zwar nicht zur Reparaturwerkstatt aller gesellschaftlichen Probleme werden, aber Schule muß sich den veränderten Bedingungen stellen und im Rahmen der sich bietenden Möglichkeiten einen positiven Beitrag zur Erziehung der Kinder und Jugendlichen leisten. Offener Unterricht­ und eine Öffnung der Schule sind Wege, die beschritten werden können, um eine lebenswerte Schule zu ermöglichen, die ihre SchülerInnen ernst nimmt und auf ihrem Lernweg begleitet und unterstützt.

Eine möglichst große Individualisierung des Unterrichts für das einzelne Kind ist immer wieder eine Forderung, die einerseits aus täglicher Unterrichtspraxis erwächst und sich andererseits daraus ergibt, daß es homogene Lerngruppen de facto nicht gibt: Jedes Kind kommt mit einem individuellen Lern- und Lebensweg in die Schule.

Möchte ich als Lehrerin allen SchülerInnen in meiner Lerngruppe so gerecht wie möglich werden, kann dies aufgrund der Heterogenität nur durch größtmögliche Individualisierung des Unterrichts geschehen. Hier ergeben sich zwei große Spannungspunkte:

1. Individualisierung kann nur insoweit erfolgen wie die Gemeinschaft es zuläßt. Sonst führt Individualisierung leicht Egoismus.
2. Leistungsbewertung müßte in diesem Zusammenhang neu bedacht werden und außerdem mit vorhandenen gesetzlichen Grundlagen in Einklang gebracht werden.

Neben der Diskussion um Leistungsbewertung im allgemeinen, werde ich versuchen, folgende Frage in dieser Arbeit zu beantworten:

Wie kann ich als Lehrerin einer Schule in Sachsen-Anhalt eine den Zielen des Offenen Unterrichts↑ folgende Leistungsbewertung ermöglichen und trotzdem gesetzlichen Auflagen gerecht werden?

Da ich in meiner späteren Unterrichtspraxis einen Offenen Unterricht­ ermöglichen will, der sowohl den einzelnen Schüler / die einzelne Schülerin in ihrer Einmaligkeit als auch das positive Zusammenleben fördert, ist es für mich notwendig, mich auch mit dem Problem der Leistungsbeurteilung zu befassen. Ich möchte, daß meine SchülerInnen sich von mir ernst genommen fühlen. Sie sollen Offenheit spüren. Eine solche Atmosphäre kann durch Notengebung vergiftet werden. Was tue ich aber, wenn ich gesetzlich zur Notengebung verpflichtet bin?

In der Literatur, die sich mit offenem, schülerzentriertem­ Unterricht befaßt, wird nur selten das Thema der Leistungsbewertung aufgegriffen, deshalb habe ich mich auch für dieses Thema entschieden.

2. Aufwachsen in der BRD

Im Verlauf dieses Jahrhunderts haben sich in der Kindheit und der Jugendzeit viele Veränderungen in verschiedenen Bereichen und auch aus verschiedenen Gründen ergeben. Die neuen, anderen Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen müssen in der Gestaltung von Schule Berücksichtigung finden.

2.1. Familie, Erziehung und Lebensplanung

Die Familienstrukturen haben sich geändert: Es gibt kaum mehr Großfamilien, die Kinderzahl in den Familien ist gesunken. 60% der Familien haben heute Kind oder gar kein Kind, während noch im Jahre 1900 60% der Familien vier oder mehr Kinder hatten. In der durchschnittlichen Kleinfamilie in der Bundesrepublik mit 1,3 Kindern können soziale Kontakte nicht in dem Maße geübt werden wie es mit mehreren Geschwistern oder in einer Großfamilie möglich wäre. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, HERZ in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992 u.a.)

Den Kindern kommt eine neue Rolle in der Familie zu: die einzelnen Kinder werden immer wichtiger. Kinder werden nicht mehr als ökonomische Versicherung gesehen, sondern sie haben vor allem eine „psychologische Nutzenfunktion“. Sie sind häufiger lange geplant und gewollt. Daher erhalten sie intensive Zuwendung. Auf Einzelkindern lasten daher heute die hohen Erwartungen der Eltern. Die Aufmerksamkeit der Eltern, die sich früher auf vier oder mehr Kinder verteilte, lastet nun auf einem einzigen. Häufig haben diese Kinder dann auch für die Freizeitgestaltung einen Terminkalender, ein Muß sind Ballet, Tennisspielen, Reiten, Erlernen von mindestens einem Musikinstrument...

Es spricht für sich, daß in einer repräsentativen Umfrage in Hamburg 10% der GrundschülerInnen Medikamente erhält, die entweder der Schlaf-Wach-Rhythmus regulieren oder die Leistung steigern sollen. 35% der Eltern wäre bereit zu einer solchen Medikation, wenn sie den schulischen Erfolg des Kindes sicherstellen würde. (FEND, HERZ und BECKER in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

Biographien, auch die der Kinder und Jugendlichen, haben häufig wenig Kontinuität. Immer wieder müssen Umbrüche gewollt und ausgehalten werden. Kinder erleben die Trennung der Eltern oder die der Eltern ihrer Freunde. Ein großer Teil der Kinder lebt in „Ein-Eltern- Beziehungen“.

Sie müssen lernen mit Trennungen umzugehen. Mit neuen Familienmitgliedern müssen neue Regeln des gemeinsamen Zusammenlebens ausgehandelt werden. Kinder haben reale Ängste vor Trennungen von Angehörigen und auch von Freunden (durch Umzüge etc.) Kinder und Jugendliche müssen sich mit schwierigsten Bedingungen in der Realität auseinandersetzen, instabile, oft gestörte Familienbeziehungen werden erlebt. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, PREUSS, 1994)

Die Eltern der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahre sind zu 47% im Westen und zu 81% im Osten beiderseits erwerbstätig, oder das alleinerziehende Elternteil ist erwerbstätig. Besonders von den Kindern und Jugendlichen, deren Eltern berufstätig sind, wird erwartet, daß sie zeitig selbständig werden. Früh müssen sie lernen einzukaufen, zu kochen, zu putzen oder zu telefonieren. Eigenständigkeit bringt Kinder und Jugendliche dazu, ihre Wünsche, Fragen und Meinungen kennenzulernen und zu artikulieren. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, HOLTAPPELS in Pädagogik 7-8/97, Ganztagsschule: Konkurrenz oder Entlastung für Familien?)

Andererseits läßt sich meines Erachtens auch der umgekehrte Trend beobachten: Kinder und Jugendliche werden überbehütet und sind selbst in alltäglichen Dingen (Essen zubereiten, Einkaufen...) überfordert und unselbständig.

Kinder und Jugendliche heute erleben mehr und mehr liberalere Erziehungsziele der Eltern. Die Formen des Umgangs in den Familien haben sich verändert. Die früher übliche Hierarchie: der Vater als Familienoberhaupt, dann die Mutter und an unterster Stelle die Kinder, von denen vor allem Gehorsam verlangt wurde, hat sich verändert hin zu mehr Demokratie, zu Verhandlungen im täglichen Leben. Es gibt Vereinbarungen über Schlafenszeiten und Taschengeld, Strafen bei Nichtbeachtung der Regeln.

Damit geht auch ein ungezwungeneres Verhältnis mit Körperlichkeit und Sexualität einher. Eltern sehen in der Aufklärung eine wichtige Erziehungsaufgabe, während früher bewußt Lügenmärchen erzählt wurden oder über Sexualität überhaupt nicht geredet wurde. Mädchen und Jungen werden zunehmend zu mehr Gleichberechtigung erzogen. Mädchen werden selbstbewußter, Jungen eher unsicherer, da die Erziehungsziele für Jungen sehr unklar geworden sind und erwachsene Vorbilder, die eine Leitlinie darstellen könnten, rar sind. Das Eltern-Kind-Verhältnis ist partnerschaftlicher geworden. Gleichzeitig stieg aber auch das Konfliktpotential an. Besonders während der Pubertät gibt es starken Widerstand der Heranwachsenden gegenüber den Eltern. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, FEND in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

Die Lebensgestaltung kann vom Individuum aktiv übernommen werden. Die Möglichkeiten und Chancen scheinen unbegrenzt. Allerdings gilt das nicht für alle Kinder und Jugendlichen. Denn, wer dem Idealbild der Gesellschaft nicht entspricht, wird auch schnell an den Rand gedrängt. Mit den Chancen und Möglichkeiten steigen auch die Risiken. - Was passiert, wenn ich eine Chance nicht nutze? Es müssen permanent Entscheidungen getroffen werden, die gleichzeitig alle anderen Alternativen ausschließen. (FEND in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

2.2. Außerfamiliäre, soziale Kontakte

Immer mehr wird von Kindern und Jugendlichen der kooperative Umgang in der Gemeinschaft erwartet, während gleichzeitig natürliche Übungsmöglichkeiten, z.B. mit Geschwisterkindern verwehrt bleiben. (FEND in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

Kinder sind heute gezwungen, sich intensiv um soziale Kontakte zu bemühen, sonst laufen sie Gefahr, in die soziale Isolation zu geraten. Sie müssen schon früh lernen, sich auf andere einzulassen und andere zu respektieren. (PREUSS-LAUSITZ, 1993)

2.2.1. zu Erwachsenen

Kinder und Erwachsene leben kaum noch außerhalb institutionaler Gegebenheiten mit- einander. Erwachsene sind LehrerInnen, TrainerInnen usw., außer den eigenen Eltern, wenn denn beide noch vorhanden sind, ist es Kindern und Jugendlichen kaum möglich, verläßliche, andauernde Beziehungen zu knüpfen. Damit fallen auch Vorbilder für spätere Lebensgestaltung und -planung aus. Die Verschiedenartigkeit menschlicher Lebensentwürfe ist nicht mehr erfahrbar und erlebbar. Daher erfolgt die Orientierung mehr als früher an den Gleichaltrigengruppen, die ihre eigenen Vorstellungen zum Leben entwickeln und ausprobieren. (BECKER in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

2.2.2. zu anderen Kindern und Jugendlichen

Durch die kleineren Familien verringern sich die Möglichkeiten, Kontakte zu anderen Kindern aufzubauen. Auch können sich Kinder und Jugendliche nicht mehr so ohne weiteres treffen. Es ist notwendig, daß sie sich verabreden, an welchem Ort zu welcher Zeit sie sich sehen wollen, da viele Termine in der Freizeit bereits festgelegt sind. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, HOLTAPPELS in Pädagogik 7-8/97, Ganztagsschule: Konkurrenz oder Entlastung für Familien?)

2.3. Freizeit und Freizeitverhalten

Kinder und Jugendliche haben heute eine Menge materiellen Reichtums zur Verfügung. Besonders in den Bereichen der technische Geräte und modischen Kleidung kennen sie sich besser aus als Eltern und Erzieher. Technische Geräte haben bei Kindern einen hohen Stellenwert. Grundschulkinder gehen selbstverständlich mit dem Kassettenrecorder um, um z.B. Hörspiele abzuspielen. In vielen Kinderzimmern finden sich auch Stereoanlage, Computer und Fernseher. Kinder und Jugendliche haben vielfach auch Zugang zum Telefon und anderen Kommunikationsmedien (Quix, Internet etc.). Ebenfalls üblich sind die Computerspiele im Taschenformat (Gameboy u.a.) sowie tragbare Musikabspielgeräte (Walkman, Discman, Radio). Die Kinder und Jugendlichen sind von der Geschäftswelt als zahlungskräftige, leicht zu gewinnende Kundschaft entdeckt worden. Die Werbestrategien sind entsprechend. (PREUSS-LAUSITZ, 1993)

Die Welt hat sich über die verschiedenen Medien für Kinder und Jugendliche geöffnet. Die Nutzung der Medien ermöglicht den Kindern und Jugendlichen vielfältige Erfahrungen, aber die Medien sorgen auch für eine sinnliche Überflutung, so daß Teilaspekte immer wieder herausgehoben werden und das Weltbild keine Einheit mehr bildet, sondern in viele kleine Teile zerfällt.

Die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen verändern sich von mehrdimensionalen zu zweidimensionalen Erlebniswelten. Auge und Ohr erfahren Anregung, die anderen Sinne bleiben ungenutzt. Wie duftet die Blume die auf dem Fernsehschirm gezeigt wird? Wie fühlt es sich an, über eine Wiese mit nackten Füßen zu laufen? Wie sind die originalen Größenverhältnisse von Tieren in der Landschaft?

Außerdem findet eine „Einwegkommunikation“ statt. Mit dem Fernseher oder dem Computer kann man nicht streiten und sich nicht versöhnen. Fragen bleiben unbeantwortet. Aufgrund des verstärkten Medienkonsums und aufgrund dessen, daß Kindheit heute gekennzeichnet ist von vorgesetzten, ausgewählten und pädagogisierten Erfahrungen, werden primäre Erfahrungen, die auf den eigenen Erkundungsdrang der Kinder und Jugendlichen zurückgehen, zurückgedrängt. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, HERZ in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992).

Kinderspiel findet immer weniger im unmittelbaren Wohnumfeld der Kinder statt. Während es früher Treffpunkte auf der Straße gab, an denen sich immer Spielpartner fanden, findet das Kinderspiel heute zunehmend in geschlossenen Räumen statt (Wohnung, Sporthalle, Musikschule etc.) und außerdem an häufig weit entfernt liegenden Orten, die die Kinder und Jugendlichen nicht zu Fuß erreichen können. Sie sind angewiesen auf öffentliche Verkehrsmittel oder Hinbringen und Abholen durch die Eltern. Sie erweitern also nicht nach und nach ihren Aktionsradius, sondern sie lernen verschiedene Einzelorte ohne deren Vernetzung kennen. Zwar werden immer noch Straßen und Plätze von Kindern und Jugendlichen als Aufenthaltsorte und Spielplätze „erobert“, aber mit stark abnehmender Tendenz. Immer mehr Verkehrsbelastung und bauliche Eintönigkeit verhindern, daß sich Kinder und Jugendliche mit ihrer nächsten Umwelt identifizieren. (PREUSS-LAUSITZ, 1993)

Die Betreuung der Kinder und Jugendlichen ist z.B. wegen der Berufstätigkeit der Eltern nicht immer in ausreichendem Maße gewährleistet. Zumal immer weniger Familien mit mehr als zwei Generationen unter einem Dach leben. Eine Oma, eine Großtante oder ein Opa sind nicht in greifbarer Nähe. Die Betreuung der Kinder wird daher häufig von Betreuungspersonen geleistet, die nicht zur Familie gehören. Besonders Kinder alleinerziehender Elternteile verbringen einen großen Teil ihrer Zeit bei Betreuungspersonen, in Betreuungseinrichtungen oder allein zu Hause. Die Freizeitgestaltung ist in hohem Maße von den Tagesrhythmen der Erwachsenen abhängig. (HOLTAPPELS in Pädagogik 7-8/97, Ganztagsschule: Konkurrenz oder Entlastung für Familien?)

2.4. Schule

Verschiedenheit in ihrer ganzen Breite macht sich in Reaktionen und Verarbeitungsweisen der SchülerInnen auf Lerninhalte bemerkbar, so sind viele schulische Themen aus dem Fernsehen bereits bekannt. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, HOPF in Grundschule 2/96, Welchen Lernbegriff braucht die Grundschule? u.a.)

Erst in der Schule sind die Kinder von heute gezwungen, sich in den Rahmen einer sozialen Gruppe einzufügen. Dort ist aber meist kein Platz für vorsichtige freundschaftliche Beziehungen, denn das Zusammensein wird durch den straffen Stundenplan erzwungen, auch ein zeitweiliger Rückzug ist den SchülerInnen nicht möglich. (FEND in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

Kinder und Jugendliche verbringen heute mehr Zeit in der Schule als in allen Generationen zuvor, und trotzdem sind sie unvorbereitet auf das Leben später. Die einstige Drohung: „Du mußt etwas lernen, damit du später etwas wirst.“ zieht heute nicht mehr, da die Arbeitslosigkeit alle mehr oder weniger bedroht - egal wie hoch der Ausbildungsstand ist. (HERZ in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

2.5. Gesellschaft

In der heutigen Gesellschaft verschafft sich Pluralität und Veränderung Raum, so daß es „Normalbiographien“ nicht mehr gibt und kollektive Wertmaßstäbe in der Gesellschaft aufgehoben werden. (HOPF in Grundschule 2/96, Welchen Lernbegriff braucht die Grunschule?)

Kinder und Jugendliche erleben Widersprüche: Sie erfahren z.B., daß Wissenschaft und Technik sowohl Segen als auch Fluch bedeuten können. Kinder und Jugendliche sind wachsenden, ökologischen Bedrohungen ausgesetzt. Umweltbelastungen wie Lärm und Dreck sind für sie täglich erfahrbar. Sie haben häufiger Allergien oder andere umweltbedingte Krankheiten. Kinder und Jugendlichen werden desillusioniert von ihren Vorstellungen an eine „schöne, heile Welt“. Sie erfahren Not und Zerstörung weltweit, und sie erleben ihre eigene Machtlosigkeit und die der Erwachsenen gegenüber diesen Problemen. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, FEND in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

SchülerInnen müssen mit ihren Bedürfnissen, die sich aus veränderten Familienkonstellationen, veränderten Sozialkontakten, verändertem Freizeitverhalten und teilweise schwierigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ergeben, wiederfinden. Dazu kann Schule einen Beitrag leisten.

Schulzeit muß effektiver genutzt werden, um auf das Leben vorzubereiten. Aber auch mit weiteren Anforderungen, die im nächsten Kapitel erläutert werden, müssen sich Schule und LehrerInnen auseinandersetzen.

Literatur

Holtappels, Heinz Günter: Ganztagsschule: Konkurrenz oder Entlastung für Familien, In: Pädagogik 7-8/97, S.30 - 33

Hopf, Arnulf: Welchen Lernbegriff braucht die Grundschule?, In Grundschule 2/96, S.15 - 18

Preuß, Eckhardt: Leistungserziehung, Leistungsbeurteilung und innere Differenzierung in der Grundschule - Bausteine modernen Grundschularbeit - Anregungen und Hilfen, Bad Heilbrunn, Klinhardt, 1994

Preuss-Lausitz, Ulf: Die Kinder des Jahrhunderts Zur Pädagogik der Vielfalt im Jahr 2000, Weinheim, Basel, Beltz Verlag, 1993

Steffens, Ulrich, Bargel, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch Analysen und Perspektiven für die zukünftige inhaltliche Gestaltung von Schule, Wiesbaden, Konstanz, Hessisches Institut für Bildungsplanung und Schulentwicklung, Arbeitskreis „Qualität von Schule“, 1992

3. Anforderungen an Schule

Von allen Seiten werden Forderungen an Schule und LehrerInnen gestellt, aber als erstes sollen einmal die zu Wort kommen, die von Schule unmittelbar betroffen sind: die SchülerInnen.

Einige Forderungen der SchülerInnen stimmen mit denen der Befürworter des Offenen Unterrichts­ überein, diese werden dann also im Verlauf des Kapitels noch einmal wiederholt und / oder unter anderen Gesichtspunkten dargestellt.

3.1. Was sich SchülerInnen wünschen

Bei einer SchülerInnenuntersuchung (narrative Interviews, 1994) von GREVING stellen sich bei der Einschätzung von LehrerInnen aus SchülerInnensicht drei Hauptkategorien dar, auf die sich die Bewertung bezieht: Unterrichtsmethoden, Noten, persönliche Eigenschaften. Die Erwartungen und Vorstellungen der SchülerInnen enthielten häufig ähnliche Aspekte.

So wird von den LehrerInnen Methodenwechsel erwartet. Positiv werden Unterrichtsmethoden bewertet, bei denen die SchülerInnen selbst aktiv werden können, wie z.B. Gruppenarbeit oder Rollenspiel. Negative Einschätzungen erhalten monotone und standardisierte Unterrichtsverläufe.

SchülerInnen erwarten auch eine große Authentizität bei der Vermittlung von Stoff. Sie wollen spüren, daß die LehrerInnen hinter dem stehen, was sie unterrichten. Sie wollen „angesteckt“ werden von mitgebrachtem Enthusiasmus und das Gefühl haben, daß die LehrerInnen ihren Beruf gern ausüben.

Große Ablehnung finden LehrerInnen, die Sanktionen verhängen und mit schlechten Noten drohen, so daß Angst den Unterrichtsalltag bestimmt.

„ In allen Fächern geht es nicht darum, daßman etwas kann, sondern darum, daßman eine gute Note bekommt, daßdas Zeugnis eben gut aussieht. “ (GREVING, Johannes: Mit Schüleraugen gesehen Was Schüler von Lehrern erwarten , in Pädagogik 11/94, S. 27)

Noten bekommen von den SchülerInnen schlechte Noten. Noten verursachen demnach Angst und Lernblockaden. Außerdem führen sie zu unechtem Verhalten wie Opportunismus und „Duckmäusertum“. Noten an sich werden von den Befragten nicht kritisiert, nur die negativen Begleiterscheinungen und der Mißbrauch einer Machtstellung der LehrerInnen durch Notengebung.

Wichtig ist den SchülerInnen, daß sie die Entstehung der Noten nachvollziehen können. Rückfragen und Kritik sollen erlaubt sein.

SchülerInnen erwarten, daß bestimmte Kriterien zu einer bestimmten Note führen. Aber häufig haben sie nicht den Eindruck, daß ihre Leistung bewertet wird, sondern ihre Haltungen und Meinungen. Notenkriterien sollen für die SchülerInnen überschaubar bleiben:

„ Da hat er sich immer eine riesige Latte von Unterpunkten und Zensuren gemacht, die hat er uns dann um die Ohren geklatscht - das bringt ‘ s aber auch nicht. “ (GREVING, Johannes: Mit Schüleraugen gesehen Was Schüler von Lehrern erwarten , in Pädagogik 11/94, S. 27)

Bei den persönlichen Eigenschaften spielen Humor und Esprit eine große Rolle. Gefragt sind auch LehrerInnen, die nicht so distanziert sind und sich in die Probleme ihrer SchülerInnen hineindenken können. LehrerInnen sollen Kritik ertragen können und nicht erwarten, daß man ihre Meinung zum Thema teilt. SchülerInnen möchten ein partnerschaftliches Verhältnis als Grundlage für gemeinsames Arbeiten. SchülerInnen tolerieren, daß LehrerInnen nicht immer gut gelaunt sein können, aber sie erwarten eine gewisse Konstanz im Auftreten:

„ Wenn Lehrer W gut drauf ist, da ist er der Entertainer, dann juche-juchei wird da Spaßgemacht. Wenn er allerdings wieder schlechte Laune hat, dann darf man gar nichts sagen. “ (GREVING, Johannes: Mit Schüleraugen gesehen Was Schüler von Lehrern erwarten , in Pädagogik 11/94, S. 28)

3.2. Schule als Spiegel der Gesellschaft

Schule steht besonders in der öffentlichen Kritik, wenn Sozialisation im Sinne der Gesellschaft fehlgeschlagen ist. Wenn Kinder und Jugendliche gewalttätig werden, wenn sie Drogen nehmen, wenn sie sich egoistisch verhalten, wenn sie stehlen..., immer dann wird auf das Versagen der schulischen Sozialisation hingewiesen. Das heißt aber im Umkehrschluß auch, daß in der Schule eine Sozialisation stattfinden soll, die den Kindern und Jugendlichen im positiven Sinne Mitgestaltung der Gesellschaft ermöglichen soll. Jedoch darf die Wirkung schulischer Sozialisation auch nicht überschätzt werden. (PREUSS-LAUSITZ, 1993)

3.2.1. Schule als Ort der Demokratie

Wenn Schule mündige BürgerInnen ausbilden will, muß sie Demokratie verwirklichen.

Mitbestimmung und Mitgestaltung des Geschehens muß für alle Lernenden (LehrerIn eingeschlossen) möglich sein. Dazu ist eine „Verhandlungspädagogik“ nötig. Lerninhalte müssen begründet werden; was, wann, wie zu absolvieren ist, wird ausgehandelt. Die Lerngruppe geht mit unterschiedlichen Erwartungen in den Unterricht, jede(r) einzelne (wiederum LehrerIn eingeschlossen) hat ganz bestimmte Vorstellungen vom Unterricht. Wichtig ist - wie bei allen Verhandlungen - einen gemeinsamen Konsens zu finden, mit dem die Vertragspartner leben (und lernen!) können. Kommunikation als basisdemokratisches Mittel muß ihren Platz in der Schule finden und zwar Kommunikation unter allen Beteiligten: SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, WAGNER in lernchancen 4/98 u.a.)

Dabei ist es sinnvoll, das Gespräch in der Klasse als feste Größe in den Unterrichtsablauf einzuplanen. Hier können Arbeitsergebnisse präsentiert, Probleme besprochen werden und positives Konfliktverhalten geübt werden. Jedem wird das Recht eingeräumt, ohne Unterbrechung seine Meinung zu vertreten, seine Klage vorzutragen oder Vorschläge zu unterbreiten. In diesen Gesprächen wird praktische Demokratie geübt. - Jeder hat das gleiche Recht.

3.2.2. Vorbereitung auf Freiheit und selbstverantwortliches Leben

Die Werte einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind bewußt zu machen. Dabei muß deutlich werden, daß Freiheit ohne Ziele und Begrenzungen Orientierunglosigkeit und Maßlosigkeit zur Folge haben kann.

In der Schule muß Leistung gefordert und deutlich gemacht werden, daß man im Leben nicht ohne Anstrengung auskommt. Bildungsziel soll sein, SchülerInnen auf ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung vorzubereiten. Es soll deutlich werden, daß Freiheit Anstrengung mit sich bringt, da getroffene Entscheidungen selbst verantwortet werden müssen. (HERZOG in lernchancen 1/98, Fördern durch Fordern)

3.3. Schule als Lernort

Schule wird nach wie vor in erster Linie als Lernort betrachtet, d.h. dort soll intensive Lernförderung stattfinden. Wie diese Lernförderung aussehen soll, dazu gibt es unterschiedliche Vorstellungen.

3.3.1. Aufgaben

Gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Bedürfnisse sollen von der Schule befriedigt werden. Es sollen wichtige Qualifikationen von den SchülerInnen gelernt werden: Selbständigkeit, Eigenverantwortung, Team-, Sozialkompetenz und Kreativität. (OESTERHEIT in PÄD Forum 6/98, „Werkstatt-Unterricht“ - mehr Lernen durch weniger Belehren)

Aufgabe der Schule ist es, Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen auszubilden und zu schulen. Dabei handelt es sich im besonderen um:

- Fachkompetenz

Schule muß einem ganzheitlichen Bildungsbegriff Rechnung tragen und ist damit nicht nur für die kognitive Bildung verantwortlich, sondern ist auch zuständig für die Entwicklung praktischer und künstlerischer Fähigkeiten. (JÜRGENS, 1997)

- Sozialkompetenz

Schule ist auch verantwortlich für die Entwicklung sozialer, moralischer und politischer Fähigkeiten. (JÜRGENS 1997)

Das Bildungssystem muß Werte vermitteln. Schule muß die Persönlichkeit der SchülerInnen, im Hinblick auf Kritikfähigkeit, Sensibilität und Kreativität ausbilden sowie Werte und soziale Kompetenzen zu vermitteln. Wichtige Gesichtspunkte im täglichen Miteinander sind auch Tugenden wie Verläßlichkeit, Pünktlichkeit und Disziplin. In besonderem Maße soll die Schule ein Ort sein, an dem Platz ist für gegenseitigen Respekt und Zuwendung. (HERZOG in lernchancen 1/98, Fördern durch Fordern, )

Die SchülerInnen müssen in ihren Systemen (Familie, Tischgruppe, LehrerInnen- SchülerInnen-Beziehung...) betrachtet werden und lernen, andere in dieser Weise zu betrachten. (HOPF, Arnulf in Grundschule 2/96, Welchen Lernbegriff braucht die Grundschule?)

- Ichkompetenz

Hier soll Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit gegeben werden, Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu entwickeln oder auszubauen. Erfolgserlebnisse müssen für jedes Kind möglich sein ohne einen ständigen Konkurrenzkampf. Leben und Lernen in der Schule muß so gestaltet werden, daß es angstfrei, lustvoll, ruhig und intensiv gelingen kann. (PREUSS, 1994)

Schule zielt aber auch ab auf zukünftiges Leben und die Gestaltung des Lebens, dabei muß Schule muß sich beispielsweise mit der Tatsache auseinandersetzen, daß sich der Anteil von Arbeit und Freizeit zugunsten von Freizeit ändert. Daraus folgt, daß einer ausschließlichen Berufsorientierung im Unterricht eine Orientierung auf eine sinnvolle Freizeitgestaltung hinzukommen muß. (BOHNSACK in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

- Methodenkompetenz

Kinder und Jugendliche brauchen Wissen, darum, wie etwas organisiert werden kann, welche Wege sie zur Lösung von Problemen einschlagen können, welche Hilfsmittel zur Verfügung stehen und erforderlich sind. Erziehung muß vorbereiten auf eine ungewisse Zukunft, muß Rüstzeug geben, um mit Krisen umgehen zu können. TILLMANN in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

3.3.2. Inhalte

Inhalte von Unterricht sollen nicht mehr von Lehrplänen bestimmt werden, sondern sich auf aktuelle und mögliche zukünftige Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen beziehen. (WALLRABENSTEIN, 1991, JÜRGENS, 1997)

- was Kinder und Jugendliche nicht (mehr) von selbst lernen

In der Schule soll das gelernt werden, was man braucht, um sich in der Welt zurechtzufinden und was man nicht von selbst, durch das Leben, lernt. Da in der täglichen Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen kaum mehr die Möglichkeiten gegeben sind, bestimmte Erfahrungen, wie z.B. elementare soziale Begegnungen, zu machen, ist es notwendig solche Dinge in den Unterricht aufzunehmen.

BECKER formuliert das so:

„ Um welche Erfahrungen geht es? Zum Beispiel darum, daßich wirklich gebraucht werde; daßich für etwas Lebendiges verantwortlich bin; daßRegeln schützen und Gemeinschaft erträglich machen können; daßandere mir zuhören und wirklich wissen wollen, welche Gedanken in meinem Kopf sind; daßich etwas kann (vielleicht kochen oder etwas heilmachen), was wirklich nützliche ist und mir damit zugleich Lebensangst nimmt, indem es mich sicherer macht, daßich auch anderen Lebensaufgaben gewachsen sein werde; daßich imstande bin, aus eigener Kraft etwas heraus zu finden, einer Sache auf den Grund zu gehen. “ (BECKER, Gerold in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch Analysen und Perspektiven für die zukünftige inhaltliche Gestaltung von Schule, Wiesbaden, Konstanz, Hessisches Institut für Bildungsplanung und Schulentwicklung, Arbeitskreis „Qualität von Schule“, 1992, S.90, Hervorhebungen im Original)

Schule muß einen Ausgleich herstellen zur Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen, sie muß z.B. darauf Rücksicht nehmen, daß dem natürlichen Neugier- und Erkundungsverhalten der Kinder nur eingeschränkte Spielräume zur Verfügung stehen. (JÜRGENS, 1997)

Die aktuellen Lebensumstände der Kinder und Jugendlichen bestimmen also die Auswahl der Themen wesentlich mit. Es ist z.B. von entscheidender Bedeutung, ob ich in einer Schule auf einem Dorf oder in einer Großstadt unterrichte, während es in der einen Lerngruppe besonders wichtig sein kann, die Gefahren des Straßenverkehrs zu erkunden, ist es vielleicht in der anderen entscheidender, sich mit Tieren und Pflanzen der Heimatwelt zu beschäftigen.

Eine wichtige Aufgabe von Schule ist auch die Medienerziehung. Durch die Medien wird vor allem eine Bildkultur vermittelt, die häufig unkommentiert stehen bleibt, hier muß Schule einen Beitrag leisten, sie muß aufzeigen, was man aus Bildern entnehmen kann, wie man sie manipuliert usw. Wichtig ist, daß der Medienkonsum nicht unreflektiert und unverdaut bleibt. Auch Nutzung verschiedener Medien für den Unterricht oder als Freizeitgestaltung können Themen sein. (ROLFF in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

- Lebensnähe und Sinnhaftigkeit

Auf der einen Seite soll Schule also Themen aufgreifen, die die SchülerInnen möglicherweise nicht von allein lernen, aber auf der anderen Seite soll Schule praxis- und realitätsbezogen sein, d.h., daß eine Verbindung zwischen Unterrichtsinhalten und aktuellem Lebensbezug muß gegeben sein. (HERZOG in lernchancen 1/98, Fördern durch Fordern)

Schule soll ein Ort sein, an dem sich die Unterrichtsinhalte an den für Kindern und Jugendlichen relevanten Fragestellungen orientieren. Wichtige Fragen zu allgemeinen Problemen sind Fragen zu Themen wie Frieden, Krieg, Umweltzerstörung, Armut. Außerdem kommen Sinnfragen des einzelnen mit z.B. folgenden Themen hinzu: Freundschaft, Sexualität, Gesundheit, Krankheit, Tod Glaube, Berufsfindung, Arbeitslosigkeit, Wohnen, Familiengründung...

Damit geht die Aufgabe der Schule weit über das hinaus, was unter „Sozialisationsfunktion“ verstanden wird. Schule ist ein Ort, an dem sich Lernen „lebensweltlich-ganzheitlich“ vollzieht. Danach kann es auch keine Bildung geben, die realschulspezifisch, sonderschulspezifisch, gesamtschulspezifisch ist, da Kinder und Jugendliche, egal welche Schule sie besuchen, die gleichen Ansprüche an Schule und im Kern die gleichen Probleme und Fragen haben. (PREUSS-LAUSITZ, 1991)

Da eine Zukunftsvision: „Lerne für später!“ nicht mehr unter allen Umständen aufrecht erhalten werden kann, muß Schule eine Sinnhaftigkeit im Lernen für das Hier und Heute herstellen. Als Motivation für das Lernen im Jetzt, reicht der Verweis auf eine ungewisse Zukunft nicht aus. Nur durch aktuelle Sinnhaftigkeit kann eine von innen kommende Motivation für eine Sache erreicht werden. Wenn eine Sache für den einzelnen Sinn macht, dann kann er sie mittragen und nach Kräften unterstützen. (HERZ in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992, JÜRGENS 1997)

3.3.3. Methoden

SchülerInnen sollen die Methoden finden können, die ihnen am besten liegen und mit denen sie für sich selbst am meisten erreichen. (WALLRABENSTEIN, 1991)

- ganzheitliche, sinnliche Ausbildung

Um der Zerstückelung von Erfahrungen entgegenzuwirken, ist es notwendig mehr ganzheitliches Lernen zu fördern. Zusammenhänge müssen deutlich werden. Sinnlichkeit und Eigentätigkeit müssen wichtige Elemente des Unterrichts sein. (WALLRABENSTEIN, 1991)

Dazu muß Schule eine Werkstätte­ sein, um eine ganzheitliche Bildung zu ermöglichen und primäre Erfahrungen ermöglichen. Sie muß auch Raum für Körpererfahrung geben. Sinnliche Erfahrungen, z.B. von Natur, müssen möglich und gewollt sein. (PREUSS- LAUSITZ, 1993, OESTERHEIT in PÄD Forum 6/98, „Werkstattunterricht“ - mehr Lernen durch weniger Belehren u.a.)

Lernen vollzieht sich nicht in kleinschrittigen, aufeinanderaufbauenden Sequenzen, Lernen vollzieht sich manchmal sprunghaft und ohne sich an eine vorgegebene Reihenfolge zu halten. (WALLRABENSTEIN, 1991, HOPF in Grundschule 2/96, Welchen Lernbegriff braucht die Grundschule?)

- Schülerzentrierung ­

Lehrverfahren, die lehrerzentriert­ sind, müssen zugunsten von schülerzentrierten­ aufgebrochen werden. Schule muß auf die verschiedenen Lernausgangslagen und Interessen der SchülerInnen Rücksicht nehmen und diesen in Erziehungs- und Unterrichtsprozessen Rechnung tragen. Dazu gehört die Eigentätigkeit der SchülerInnen. Eigentätigkeit ermöglicht vielfältige Erkenntnisse darüber, wie etwas funktioniert oder wie etwas nicht funktioniert. (JÜRGENS 1997, ROLFF in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992 u.a.)

SchülerInnen werden nicht mehr als Lernobjekt angesehen, sondern als Gestalter ihrer eigenen Lernwelten. Dazu eignen sich offene Lernsituationen, in denen die SchülerInnen zu selbstaufgeworfenen Problemen handeln können. Das gelingt nur in der konsequenten Umgestaltung der Schulveranstaltungen. Es ist notwendig die 45-Minuten-Rhythmen mit ihren sorgfältig geplanten Unterrichtsphasen zu überwinden. Ein echtes Interesse braucht keine Motivationsphase und keine vorgeschriebenen Pausen. (WALLRABENSTEIN, 1991, JÜRGENS, 1997 u.a.)

- KlassenlehrerInnenprinzip

SchülerInnen brauchen (in der Schule) Orientierung und Überschaubarkeit. Dazu ist es nötig dauerhafte soziale Kontakte zu knüpfen. Deshalb ist ein häufiger LehrerInnenwechsel zu vermeiden. Günstig wirkt es sich aus, wenn der / die KlassenlehrerIn die meiste Zeit seines / ihres Unterrichtsbudget in seiner / ihrer Klasse verbringt. Für den in den in Klasse 5 vermehrt einsetzenden Fachunterricht eignet sich das sogenannte Teamkleingruppenmodell. Eine möglichst geringe Anzahl von LehrerInnen versorgt eine Jahrgangsstufe mit Fach- und Klassenunterricht. So werden gezielte Absprachen im Team möglich und sorgen dafür, daß verschiedene Vorhaben und Fächer aufeinander abgestimmt werden. (WAGNER in lernchancen 4/98 Disziplin und Schulprofil Erfahrungen einer Stadtteilschule)

3.4. Schule als Ort sozialer Begegnung und Kooperation

Wenn man Ziele wie Entwicklung von Solidarität verwirklichen will, muß man Zwischenmenschlichkeit Raum geben, rasche Gespräche zwischen Tür und Angel können nicht zu Dialogen werden. Wichtig ist nicht nur der Dialog zwischen LehrerInnen und SchülerInnen, sondern auch Eltern, Schulorganisatoren und interessierte Menschen im Umfeld der Schule sollen in den Dialog mit einbezogen werden und letztendlich Schule mitgestalten und verändern. (HERZ in WALLRABENSTEIN, 1991, PREUSS-LAUSITZ, 1993 u.a.)

3.4.1. Sozialisation, sozialer Treffpunkt

Die Schule wird von der Bildungseinrichtung immer mehr zur Erziehungsinstanz. Sie muß eine Erziehung als familienergänzende und -unterstützende Maßnahme leisten.

(HERZOG in lernchancen 1/98, Fördern durch Fordern)

Eltern erwarten ein Betreuungsangebot für ihre Kinder, damit Familie und Beruf in Einklang gebracht werden können. (HOLAPPELS in Pädagogik 7-8/97, Ganztagsschule: Konkurrenz oder Entlastung für Familien?)

Schule kann bei der großen Menge an unterschiedlichen Lebenserfahrungen der Kinder und Jugendlichen nicht nur ein Ort zur Wissens- und Fähigkeitsvermittlung sein. Der Schule kommt mehr als früher die Aufgabe zu, sozialer Treffpunkt und Begegnungsstätte zu sein. Schule soll ein Lebensort sein, an dem sich Kinder und Jugendliche wohl fühlen. (PREUSSLAUSITZ, 1993, JÜRGENS, 1997 u.a)

Jugendzeit ist praktisch gleichbedeutend mit Schulzeit, da ein großer Teil, wenn nicht der größte Teil der Jugendzeit in der Schule (oder mit Hausaufgaben, für Arbeiten lernen etc.) verbracht wird. Schule wird damit auch der bevorzugte Ort für soziale Beziehungen. Hier werden Freundschaften mit Gleichaltrigen gewonnen und erprobt. Dazu müssen den Kindern und Jugendlichen ausreichend Spiel- und Erfahrungsmöglichkeiten eingeräumt werden. (HERZ in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992, PREUSS-LAUSITZ, 1993 u.a.)

3.4.2. Lebenswerte Gestaltung / Lebensraum

Um Kindern eine Schule zu bieten, in der sie leben und sich wohl fühlen können, muß eine räumliche Gestaltung zu einer behaglichen Atmosphäre beitragen. Damit man verschiedenen unterrichtlichen Ansprüchen gerecht werden kann, muß eine den Bedürfnissen angepaßte Variabilität in der Raumgestaltung und der Sitzordnung möglich sein.

LehrerInnen lernen, den Raum als Instrument pädagogischer Möglichkeiten zu nutzen und SchülerInnen lernen, die angemessene äußere Form für ihr jeweiliges Lernvorhaben zu finden. Die Mobilität ist aber nicht nur eine Äußerlichkeit, sondern wird zum Lebensgefühl. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, PREUSS, 1994)

Um einem großen Konfliktpotential von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen, muß die Gestaltung der Pausen in den Schulen neu überdacht werden. Sinnvoll ist eine Trennung von Ruhe- und Aktivitätszonen. Pausen sind den individuellen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen anzupassen. Die einen wollen lieber ein hohes Maß an Bewegung verwirklichen, während die anderen Entspannung und Zurückgezogenheit suchen. Beides muß möglich sein. Zur Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse können beitragen: Sitzbänke und Gärten auf dem Schulhof, kleine Gesprächszimmer, schalldichte Übungsräume, Schülerbücherei... (WAGNER in lernchancen 4/98, Disziplin und Schulprofil Erfahrungen einer Stadtteilschule, WALLRABENSTEIN, 1991 u.a.)

3.4.3. Schule als Ort der Gleichberechtigung

Eine Schule, die ihren SchülerInnen offen gegenübertritt, schließt aus, daß „klassische“ Sanktionen seitens der LehrerInnen den Unterrichtsalltag begleiten wie z.B. Abbrechen einer Debatte, obwohl die besseren Argumente fehlen, Lächerlichmachen, Ignorieren, unangemeldete Klassenarbeiten und Prüfungen... (PREUSS-LAUSITZ, 1993)

LehrerInnen sind zu Offenheit aufgefordert:

- Offenheit gegenüber dem Kind mit seinen individuellen Fähigkeiten
- Offenheit bezüglich des eigenen (pädagogischen) Standpunktes
- Offenheit gegenüber den Sachgehalten der Bildung
- Offenheit hinsichtlich der Planung und Gestaltung des Unterrichts

Die LehrerInnenrolle ändert sich hin zu gemeinsamem Lernen und partnerschaftlichem Umgang miteinander. (WALLRABENSTEIN, 1991, PREUSS, 1994 u.a.)

Emotionale Belastungen und Mindererfahrungen müssen sich in der Schule wiederfinden. Schule ist verantwortlich für die Ausbildung einer emotional und sozial stabilen Persönlichkeit, deshalb muß sie Raum geben für Gefühle und Empfindungen (die vielleicht an anderer Stelle keinen Platz haben). Das Gespräch, der Dialog ist notwendig und dazu ist wiederum die Gleichberechtigung der Beteiligten nötig. (PREUSS-LAUSITZ, 1993)

LehrerInnen müssen lernen im Hintergrund zu bleiben, beratend zur Seite zu stehen und Vertrauen zu entwickeln, daß SchülerInnen von sich aus lernen können und wollen. LehrerInnen müssen bereit sein, ihren SchülerInnen Verantwortung zu geben. Nötig ist aber nicht nur eine veränderte Rolle von LehrerInnen, sondern auch von Schulaufsicht und Schulleitung. Diese müssen den am Lernprozeß Beteiligten ebenfalls beratend zur Seite stehen. (WALLRABENSTEIN, 1991, OESTEHEIT in PÄD Forum 6/98, „Werkstatt- Unterricht“ - mehr Lernen durch weniger Belehren u.a.)

3.4.4. Öffnung der Schule

Um Schule aus der Lethargie zu reißen ist ein Schulleben notwendig, das auch die Öffnung zur Umwelt und zum Stadtteil / zur Gemeinde beinhaltet. Eine Öffnung kann erfolgen zu Einrichtungen wie z.B. Jugendhilfe, Polizei oder Sportvereinen.

Öffnung der Schule meint auch, eine zeitliche und räumliche Öffnung von Schule. Schule soll eine wichtige Einrichtung ihres Wohnviertels sein mit möglichen Aktivitäten außerhalb der Unterrichtszeit und Nutzung durch die Gemeinde am Nachmittag und am Abend. Schulen müssen zu Begegnungsstätten werden, in der Vielfalt ausdrücklich bejaht wird, so daß hier Treffpunkte nicht nur für SchülerInnen und LehrerInnen, sondern für Alt und Jung, für Frauen und Männer, für Menschen mit oder ohne Behinderungen, für Deutsche und AusländerInnen... entstehen. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, WAGNER in lernchancen 4/98, Disziplin und Schulprofil Erfahrungen einer Stadtteilschule u.a.)

3.5. Schule als Ort der Courage

Nach all den Anforderungen, die an Schule und nicht zuletzt auch an die LehrerInnen gestellt werden, kann es leicht zu einem Gefühl der Überforderung und demzufolge zum Rückzug kommen.

Auch und gerade in der Pädagogik ist die Haltung „ich kann ja doch nichts bewegen“ die falsche, denn z.B. in der Schule kann ein Kind erfahren, daß es gebraucht wird, daß es etwas kann, daß es sich lohnt mit anderen zusammenzuarbeiten und vieles mehr. Damit hat sich nicht gleich die Gesellschaftsordnung verändert, aber viele kleine Schritte in die richtige Richtung können einiges bewegen.

Literatur

Greving, Johannes: Mit Schüleraugen gesehen Was Schüler von Lehrern erwarten, In: Pädagogik 11/94, S. 25 - 28

Herzog, Roman: Fördern durch Fordern, In: lernchancen 1/98, S. 4/5

Holtappels, Heinz Günter: Ganztagsschule: Konkurrenz oder Entlastung für Familien?, In: Pädagogik 7-8/97, S. 30 - 33

Hopf, Arnulf: Welchen Lernbegriff braucht die Grundschule?, In Grundschule 2/96, S.15 - 18

Jürgens, Eiko: Leistung und Beurteilung in der Schule Eine Einführung in Leistungs- und Bewertungsfragen aus pädagogischer Sicht, 3. unveränderte Auflage, Sankt Augustin, Academia Verlag, 1997

Oesterheit, Detlev: „Werkstatt-Unterricht“ - mehr Lernen durch weniger Belehren, In: PÄD Forum 6/98, S. 256 / 257

Preuß, Eckhardt: Leistungserziehung, Leistungsbeurteilung und innere Differenzierung in der Grundschule - Bausteine modernen Grundschularbeit - Anregungen und Hilfen, Bad Heilbrunn, Klinhardt, 1994

Preuss-Lausitz, Ulf: Die Kinder des Jahrhunderts Zur Pädagogik der Vielfalt im Jahr 2000, Weinheim, Basel, Beltz Verlag, 1993

Steffens, Ulrich, Bargel, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch Analysen und Perspektiven für die zukünftige inhaltliche Gestaltung von Schule, Wiesbaden, Konstanz, Hessisches Institut für Bildungsplanung und Schulentwicklung, Arbeitskreis „Qualität von Schule“, 1992

Wagner, Gerd: Disziplin und Schulprofil Erfahrungen einer Stadtteilschule, In: lernchancen 4/98, S. 23 - 30

Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht Ratgeber für Eltern und Lehrer, Reinbek, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1991

4. Individualisierung

Um einer veränderten Kindheit und vielfältigen Lebens- und Lernmustern sowie möglichst vielen Anforderungen an Schule gerecht zu werden, ist es notwendig, auf die Bedürfnisse jedes Schülers und jeder Schülerin individuell einzugehen.

Schule muß abrücken von der Vorstellung, daß eine einheitliche Bildung für alle nach einem Curriculum in einem einzigen Wertesystem für Kinder und Jugendliche Sinn oder sogar Freude macht. Dazu gehört, daß weder implizit noch explizit eine Kultur, eine Lebensweise oder ein Geschlecht als höherwertig dargestellt wird. Der Durchschnittsschüler, an dem sich das Tempo, der Inhalt und die Methoden des Unterrichts orientieren, hat ausgedient. Vielfältigkeit sollte nicht als schwierige Ausgangslage gesehen werden, um zu einem Ziel zu gelangen, sondern als Gewinn und Anregung zugleich, viele Wege zu gehen und vielfältige Ziele zu erreichen. (PREUSS-LAUSITZ, 1993)

4.1. Unterricht in heterogenen Gruppen

In der Schullandschaft Deutschlands gibt es schon einige Ansätze dazu, Heterogenität zu befürworten und durch entsprechende schulische Veränderungen in ihrem „So-Sein“ zu unterstützen. Offensichtlich sind Integrationsklassen heterogen zusammengesetzt bezüglich Gesundheit - Krankheit oder mehr oder weniger großen Leistungsfähigkeit. Eine Förderung der SchülerInnen, die letztendlich bei allen die gleichen Fähig- und Fertigkeiten in gleichem Umfang entwickelt, hat hier wohl keiner im Sinn. In Montessori-Klassen wird altersgemischten Klassen unterrichtet; auch hier also Heterogenität. Außerdem gibt es Schulen, an denen bewußt SchülerInnen aus unterschiedlichen Herkunftsländern unterrichtet werden, so daß sich eine Heterogenität hinsichtlich der Nationalität und / oder der Kultur ergibt. Aber auch viele Grundschulen, die sich als „Schule für alle Kinder“ verstehen, machen sich Pluralität und die unterschiedlichen Lernausgangslagen mehr und mehr bewußt.

Aber auch da, wo Vielfalt und Heterogenität negiert werden, gibt es sie.

„ Pluralisierung und Individualisierung gehen quer auch zu sozialen Gruppen (Nationalität, Geschlecht, Leistung, Religion, Behinderung / Gesundheit). “ (PREUSS-LAUSITZ, Ulf, Die Kinder des Jahrhunderts Zur Pädagogik der Vielfalt im Jahr 2000 , Weinheim, Basel, Beltz Verlag, 1993, S. 53) Eine Einteilung in verschieden Schultypen für bestimmte Gruppen von SchülerInnen erreicht keine Homogenität.

Eine altersmäßige Homogenität in den Jahrgangsklassen, gibt es de facto nicht. Kinder können schon mit 5 ½ Jahren auf Wunsch der Eltern eingeschult werden, auf Wunsch der Eltern kann aber genauso die Zurückstellung um ein Schuljahr erfolgen, so daß es möglich ist, daß in der ersten Klasse bereits ein Altersunterschied von 2 Jahren besteht. Das ist fast ein Drittel der gesamten Lebenszeit der Kinder. Selbst, wenn man also annimmt, daß die Entwicklung bei allen Kindern eines Alters gleich verläuft, ist Homogenität nicht gegeben. (KNAUER in EBERWEIN, Hans (Hg.): Lernen und Lernbehinderungen, 1996)

Jede Klasse, ob Gymnasialklasse oder Sonderschulklasse besteht aus Individuen und ist damit heterogen, da jede(r) SchülerIn seine / ihre eigene Biographie und Lerngeschichte mitbringt.

Der klassische Frontalunterricht­, der sich ja an Homogenität orientiert, schadet nicht nur schwächeren SchülerInnen, sondern in ebenso großem Maße guten SchülerInnen. Sie werden häufig unterfordert und in ihrem Lernfortschritt gebremst. (SCHÖLER, 1993) Menschen unterscheiden sich in ihrem Bedürfnis nach Bewegung, genauso wie in ihrem unterschiedlichen Bedürfnis nach Kommunikation bei der Lösung eines Problems. Beim Lernen gibt es visuelle oder eher auditive Typen. Verschiedene Biorhythmen schaffen unterschiedliche Leistungskurven. Dennoch wird von Schulkind erwartet, daß es mit anderen zusammen im Gleichschritt funktioniert. ((KNAUER in EBERWEIN, Hans (Hg.): Lernen und Lernbehinderungen, 1996)

Es ist notwendig an der individuellen Lernausgangslage der SchülerInnen anzuknüpfen, schon und besonders bei der Einschulung, denn diese Kinder können bereits auf eine sechsjährige Lerngeschichte zurückblicken. Bisher haben sie weitgehend selbständig, natürlich mit Unterstützung von Bezugspersonen, ihre Lerninhalte und das Lerntempo gestaltet. Sie haben Strukturen und Muster zur Bewältigung ihrer Erfahrungen entwickelt.

Z.B. gibt es fast in jeder 1. Klasse sind Kinder, die bereits lesen oder schreiben können oder zumindest verschiedene Ansätze dazu mitbringen (Schreiben des eigenen Namens etc.). Warum sollen diese Kinder Schrittchen für Schrittchen im Fibellehrgang lesen und schreiben lernen? (KNAUER in EBERWEIN, Hans (Hg.): Lernen und Lernbehinderungen, 1996, WALLRABENSTEIN, 1991 u. a.)

Die Förderung eines jeden Kindes setzt voraus, daß dieses in seiner Einmaligkeit wahrgenommen und akzeptiert wird. Die Gesellschaft soll sich von der Idee lösen, daß alle die gleichen Begabungen haben. Alle SchülerInnen sollen die Möglichkeit haben, sich mit ihren Vorlieben und Abneigungen in der Klasse wiederzufinden. In Gesprächen mit dem Kind, den Eltern oder anderen Erziehungspersonen kann ermittelt werden, welche vertrauten Gegenstände, Gesten oder Rituale im Leben des Kindes bisher wichtig waren. (PREUSS, 1994, SCHÖLER, 1993 u.a.)

4.2. Differenzierung

4.2.1. Individualisierung durch äußere Differenzierung?

Das deutsche Bildungssystem, das vielfältig und vielgliedrig ist, ermöglicht nach Meinung unseres Bundespräsidenten jedem / jeder eine individuelle Förderung. Durch einen Ausbau mit noch mehr Differenzierung in den einzelnen Schulformen kann man schließlich allen SchülerInnen gerecht werden.

Es muß die Frage gestellt werden: „ Welche Schule sichert welchem Kind die beste Förderung? “ (HERZOG in lernchancen 1/98, S. 5)

4.2.2. Binnendifferenzierung

Ich denke jedoch, daß eine weitere äußere Ausdifferenzierung des bisherigen Systems nicht den unterschiedlichen Bedürfnissen der SchülerInnen gerecht werden kann. Eine äußere Differenzierung wird immer unzureichend bleiben:

Man stelle sich vor, daß es zukünftig verschiedene Biologiekurse gäbe für SchülerInnen mit Diabetes oder SchülerInnen, die sich glutenfrei ernähren müssem, damit deren Bedürfnissen im Hinblick auf Inhalte, die mit Ernährung zu tun haben, besser entsprochen wird. Diese Kurse würden dann noch nach verschiedenen Leistungsstufen untergliedert... Letztendlich würde eine äußere Differenzierung dazu führen, daß nur noch ein(e) SchülerIn in einer Lerngruppe übrigbliebe.

Da jeder Mensch zu verschiedenen Gruppen gehört, ist eine eindeutige Zuordnung zur einen oder anderen Lerngruppe nicht möglich. - Ich hätte bereits starke Schwierigkeiten mich selbst einer Lerngruppe zuzuordnen, denn ich gehöre z.B. zur Gruppe der Frauen, der RadfahrerInnen, der VegetarierInnen, der StudentInnen, der ExamenskandidatInnen, der Internet-User, der Menschen mit weißer Hautfarbe, der Übergewichtigen, der Deutschen, der Europäer, der Bahnfahrer, der BrillenträgerInnen, der Blondinen, der Rechtshänder, der Wessis, ...

Eine Einordnung aufgrund von Merkmalen wird auf diese Weise ad absurdum geführt. Ein Ausweg, um Individualität trotzdem gerecht zu werden, ist die Binnendifferenzierung.

Nach KLAFKI und STÖCKER (1976) muß innere Differenzierung im Unterricht stattfinden, wenn „ Unterricht jeden einzelnen Schüler optimal fördern will. “

- Möglichkeiten der Binnendifferenzierung

Innere Differenzierung betrachtet das ganze Kind und versucht die optimale Förderung im Sinne individueller und sozialer Entwicklung. Differenzierung kann im Unterricht auf verschiedene Weisen geschehen: (PREUSS, 1994)

- durch Variation des Lernangebots

Dies kann in unterschiedlichen Weisen erfolgen. Es ist möglich zusätzliche Aufgaben mit gleichem oder höherem Schwierigkeitsgrad anzubieten. Außerdem kann eine „fakultative Variation“ erfolgen, das heißt, daß den SchülerInnen die Wahlfreiheit bei der Bearbeitung der Aufgaben überlassen wird. (PREUSS, 1994)

- durch Variation der Lernziele

Ein Lernzielraster, das bestimmte Richtungen vorgibt, in die sich das Lernen entwickeln soll, hilft bei der Festlegung unterschiedlicher Lernziele. (PREUSS, 1994)

- durch Variation der Unterrichtsmethoden

Von dem / der Lehrenden wird eine vielfältige Methodenkenntnis und -analyse erwartet, so daß den SchülerInnen zum geeigneten Zeitpunkt eine geeignete Methode offeriert werden kann. Dazu ist es möglich Unterrichtsfolgen oder -stufen zu ändern, verschiedene Sozialformen zu ermöglichen, unterschiedliche Aktionsformen zu finden. (PREUSS, 1994)

- durch Variation des Medienangebots

Unterschiedliche Lehr- und Lernmaterialien werden mit unterschiedlichen Sinnen wahrgenommen und eröffnen so viele Lernwege. (PREUSS, 1994)

- durch Variation der Leistungsbeurteilung

Die Leistungsbeurteilung soll so gestaltet sein, daß sie Information und Lernhilfe für die SchülerInnen darstellt und eine ermutigende Komponente hat. Selbstkontrollmöglichkeiten spielen hier auch im Hinblick auf das Selbstkonzept des Schülers / der Schülerin eine große Rolle. (PREUSS, 1994)

- durch Variation der Hausaufgabengestaltung

Hausaufgaben müssen auf die Möglichkeiten der Bewältigung durch die SchülerInnen abgestimmt sein. Die oben aufgeworfenen Fragen nach Lernzielen, Methoden und Medien sind auch für häusliche Aufgaben von Bedeutung. (PREUSS, 1994)

- LehrerInnenurteil zur Binnendifferenzierung

LehrerInnen nehmen die Notwendigkeit zur Differenzierung wahr, aber die Umsetzung im Unterricht findet nicht in umfänglichem Maße statt. Zu den Gründen wurden LehrerInnen in fünf Berliner Gesamtschulen befragt. ROEDER stellt die Ergebnisse in der Zeitschrift für Pädagogik 2/97 (S.241 -259) dar in seinem Artikel: Binnendifferenzierung im Urteil von Gesamtschullehrern. Die folgenden Zusammenfassungen und Zitate sind diesem Artikel entnommen.

Zur äußeren Differenzierung im Kurssystem sprach sich eine Lehrerin aus, weil dort die besseren SchülerInnen nicht von den leistungsschwächeren behindert würden und die schwächeren SchülerInnen durch die Anwesenheit der „Überflieger“ nicht demotiviert würden.

Die Möglichkeit der praktischen Umsetzung von Binnendifferenzierung wird immer wieder bestritten, so sagt ein Lehrer: „ Und eine Binnendifferenzierung, so wie es dort gewünscht wird, ist sicherlich etwas sehr Erstrebenswertes, aber etwas, was man nicht durchführen kann auf die Dauer. Das kann man vielleicht einen Tag machen, aber nicht länger. “ Der Aufwand sei für binnendifferenziertes Arbeiten einfach zu hoch. So ein Lehrer: „ Da ich für eine Stunde binnendifferenziert eine Woche brauche, habe ich die letzte binnendifferenzierte Stunde in meiner Lehramtsanwärterzeit gehalten. “ Schwierig gestalte sich auch die Unterschiedlichkeit in der Selbständigkeit, dazu eine LehrerIn: „ Also im G-Kurs (Grundkurs) stehe ich vorne an der Tafel und mache Schritt für Schritt. Die F-Schüler (Fortgeschrittenen-Kurs) machen dasalleine. Sie müssen alleine auf die Formel kommen. Ich gebe vielleicht einen Tip, eine Idee, und sie kommen darauf alleine. “ Außerdem werden Disziplinprobleme und Schwierigkeiten im Sozialverhalten als Gründe genannt, die die Umsetzung von Binnendifferenzierung scheitern lassen. Helfersysteme funktionieren nur bedingt. Dazu ein Lehrer: „ Das setzt entscheidend voraus, daßSie die besseren Schüler so weit gebracht haben, daßsie selbst solche Sicherungsphasen begreifen als Chance für sich, in einer anderen Weise was zu lernen. “ Ein weiterer Punkt, der bei den LehrerInnen Entscheidungen gegen die Binnendifferenzierung hervorbringt, ist die Tatsache, daß sich LehrerInnen durch den Lehrplan so sehr unter (zeitlichen) Druck gesetzt fühlen, daß sie lieber bewährte Unterrichtsmethoden verwenden, als sich auf Experimente einzulassen.

Leistungsdifferenzierung z.B. in naturwissenschaftlichen Fächern oder Mathematik beschränkt sich häufig darauf, daß Zusatzaufgaben für bessere SchülerInnen angeboten werden. Am häufigsten wird von den LehrerInnen Binnendifferenzierung so durchgeführt, daß in Stillarbeitsphasen schwächere SchülerInnen besondere Zuwendung erhalten. Außerdem kommen individuelle Arbeitsblätter zum Einsatz und motivierte SchülerInnen können Referate halten über für sie interessante Themen. Gruppenarbeit findet sich in den naturwissenschaftlichen Fächern hauptsächlich zur Durchführung von Experimenten statt.

Die Maßnahmen zur Binnendifferenzierung werden häufig in unterrichtlichen Standardsituationen eingesetzt. Eine größere Heterogenität bezüglich der Leistung in einer Gruppe führt entgegen der Erwartungen nicht zu vermehrter Individualisierung, sondern führt die LehrerInnen zurück zu „bewährten“ Unterrichtsmodellen. Dagegen zeigt sich, daß in Gruppen mit ähnlichen Leistungsvoraussetzungen, z.B. des Wahlpflichtunterrichts eher von den LehrerInnen differenziert gearbeitet wird. (ROEDER in Zeitschrift für Pädagogik, 2/97, S. 241 - 259)

Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, daß Binnendifferenzierung nur möglich ist, wenn bestimmte Rahmenbedingungen auch verändert und mitbedacht werden. Dazu gehört auch, daß in einer Lerngruppe ein Gefühl für soziale Gemeinschaft entwickelt wird. Das ist das Thema des folgenden Kapitels.

Literatur

Herzog, Roman: Fördern durch Fordern, In: lernchancen 1/98, S. 4/5

Knauer, Sabine: Behindert die Schule das Lernen? - Oder: Die meisten Kinder lernen lesen, schreiben, rechnen - trotz des Unterrichts, in: Handbuch Lernen und Lern-Behinderungen, S. 315 - 335, Hrsg. Hans Eberwein, 1996)

Preuß, Eckhardt: Leistungserziehung, Leistungsbeurteilung und innere Differenzierung in der Grundschule - Bausteine modernen Grundschularbeit - Anregungen und Hilfen, Bad Heilbrunn, Klinhardt, 1994

Preuss-Lausitz, Ulf: Die Kinder des Jahrhunderts Zur Pädagogik der Vielfalt im Jahr 2000, Weinheim, Basel, Beltz Verlag, 1993

Roeder, Peter M.: Binnendifferenzierung im Urteil von Gesamtschullehrern, In: Zeitschrift für Pädagogik, 2/97, S. 241 - 259

Schöler, Jutta: Integrative Schule - Integrativer Unterricht, Reinbek, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1993

5. Soziale Gemeinschaft

Individualismus kann nur funktionieren, wenn gleichzeitig Solidarität geübt wird, denn die Entwicklung der Persönlichkeit erfolgt zwischen Individualisierung und sozialer Gemeinschaft, oder wie MEAD es ausdrückte: zwischen „ ganz anders sein “ und „ sein wie alle anderen “. Individuelle Förderung darf nicht dazu führen, daß sich der einzelne unbeschränkt entfaltet, sondern sie muß dazu führen, daß der einzelne sich verantwortlich zeigt gegenüber der Gemeinschaft. (JÜRGENS, 1997, HERZOG in lernchancen 1/98, Fördern durch Fordern u.a.)

Bildung zeichnet sich nicht durch die Höhe des Leistungsstandes aus, sondern durch einen konstruktiven und sozialen Umgang mit unterschiedlichen Kompetenzen. Damit ist Bildung auf allen Stufen der Kompetenz nötig und möglich. Für PädagogInnen ist es eine Herausforderung, den Ausgleich zu finden zwischen Individualität und sozialer Gemeinschaft und daraus ein produktives, positives Klima zu entwickeln. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, SCHLÖMERKEMPER in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

5.1. Rahmenbedingungen für Solidarität in der Gemeinschaft

Um Ansprüche in der Erziehung wie Respekt für andere, Verantwortung für sich selbst und Schwächere erfüllen zu können, ist es notwendig Schule neu zu überdenken. In der „Trutzinger Erklärung“ der Theodor Heuss Stiftung (in Zusammenarbeit mit Evangelischen Akademie Trutzing) vom 21. -23. November 1997, in lernchancen 1/98, S. 5 heißt es dazu: Schule „ muß

1. selbst als eine Gemeinschaft erfahren werden können, in der Menschen füreinander und für die gemeinsame Sache einstehen ...
2. darum klein genug sein: Einen Übergang von der Kleinfamilie zu den Großstrukturen der Gesellschaft darstellen ...
3. die Vielfalt der Menschen, der sie umgebenden Gesellschaft enthalten, so daßman in ihr lernen kann, Unterschiede wahrzunehmen und zu bejahen: Achtung vor der Würde des Einzelnen, für die Person ...
4. die Freiheit haben,über ihre Ordnungen selber zu befinden, und die Pflicht, der Ö ffentlichkeitüber ihre Maßnahmen und Tätigkeiten Rechenschaft zu geben ...
5. die Schülerinnen und Schüler auf die Welt vorbereiten, wie sie ist und voraussichtlich sein
wird, ohne sie der Welt zu unterwerfen, wie sie ist und zu werden sich anschickt, d.h. ihnen ermöglichen, die Sachverhalte Systeme und Systemzwänge zu verstehen, sie zu steuern und zu verändern ...
6. Verständnisprozesseüber unsere Lebensziele, Lebensverhältnisse, Lebenskonflikte in Gang setzen
7. die Verantwortung für das eigene Lernen und den eigenen Lebensweg zunehmend in die Hand der Schülerinnen und Schüler zu legen
8. Sie wird also Solidarität nicht lehren, sondern erfahrbar machen: was das ist, warum wir sie brauchen, wozu sie taugt. “

5.2. Möglichkeiten der Verwirklichung im Unterricht

5.2.1. Kontakt ermöglichen durch weniger Lehrerzentrierung

Je weniger lehrerzentriert­ der Unterricht sich gestaltet, desto mehr Kontakt wird unter den SchülerInnen möglich. Damit können die SchülerInnen untereinander in einen Dialog treten. Die SchülerInnen erlernen die gegenseitige Wertschätzung und Achtung. (PREUSS, 1994, SCHÖLER, 1993)

In der Freien Arbeit­ z.B. haben SchülerInnen die Möglichkeit, sich für ihre Lernvorhaben Verbündete zu suchen oder aber allein zu arbeiten. Kontakte sind dann freiwillig und (zunächst) ungelenkt.

5.2.2. Partner- / Gruppenarbeit

Einen wertvollen Beitrag für die Verantwortung in der Gemeinschaft kann Gruppen- oder Partnerarbeit leisten. Hierbei steht später die gemeinschaftlich erbrachte Leistung im Mittelpunkt des Interesses. Nicht der / die Einzelne steht mit seiner / ihrer Arbeit im Vordergrund, sondern, das, was durch Kooperation und Solidarität mit anderen entstanden ist. Bei einer Theateraufführung etwa reicht es nicht, daß ein(e) TeilnehmerIn mit seiner / ihrer Vorführung glänzt, sondern es ist notwendig, daß alle ihren Beitrag leisten (Bühnenbild, Beleuchtung, Texten...). (JÜRGENS, 1997)

Um sich im solidarischen Miteinander zu üben, müssen Gruppen gebildet werden. Dabei kann nicht ohne weiteres gesagt werden, welche SchülerInnen, über welchen Zeitraum hinweg, an welchem Thema gemeinsam arbeiten sollen. Prinzipiell sollte die Zusammensetzung der Gruppen und auch die Dauer ihrer Zusammenarbeit offen und flexibel bleiben. Wichtige Formen der Gruppenbildung sollen jedoch hier erläutert werden: (PREUSS, 1994)

- Freie Gruppenbildung

Den SchülerInnen wird die Wahl der Gruppe weitgehend frei gestellt, dabei spielen persönliche Neigungen und Interessen eine wichtige Rolle. Diese Form der Gruppenbildung eignet sich besonders für Formen der Freien Arbeit­. (PREUSS, 1994)

- Gebundene Gruppenbildung

Diese Gruppen werden nach ihrer Lernausgangslage mit ähnlichem Leistungsstand zusammengesetzt. Die Zusammensetzung erfolgt in der Verantwortung des Lehrers / der Lehrerin. Diese Art der Gruppenbildung eignet sich für lehrgangsmäßigen Unterricht und Förderunterricht. (PREUSS, 1994)

- Heterogene Gruppenbildung

Die Gruppenbildung erfolgt vordergründig in der Eigenverantwortung der SchülerInnen, wird aber auch vom Lehrer / von der Lehrerin gelenkt, besonders dann, wenn die soziale Integration eine wichtige Rolle spielt. Heterogene Gruppen sind immer dann sinnvoll, wenn unterschiedliche Begabungen zu einem fruchtbaren Ergebnis führen können (z.B. in der Projektarbeit­). (PREUSS, 1994)

- Homogene Gruppenbildung

Die Gruppen bilden sich von den SchülerInnen aus aufgrund von (etwa) gleicher Lernausgangslage oder gleichen Interessen. Die Gruppenzusammensetzung eignet sich wie die gebundene Gruppenbildung dazu, nächste oder neue Lernschritte zu vermitteln oder an einem selbstgewählten Thema zu arbeiten. (PREUSS, 1994)

5.2.3. gemeinsame Erfahrungen

Gemeinsamkeit findet statt aufgrund von gemeinsamen Alltagserfahrungen. Zur Umsetzung dieser Vorstellung gehört auch ein didaktisches Konzept, das einen bedeutsamen Unterrichtsgegenstand für alle auf die unterschiedlichsten Weisen zugänglich macht. Alle SchülerInnen sollen die Möglichkeit haben, über dieselbe Sache zu kommunizieren und mit ihr /an ihr zu handeln. (PREUSS-LAUSITZ, 1993, SCHLÖMERKEMPER in STEFFENS, Ulrich, BARGEL, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch, 1992)

z.B. bei der Durchführung und Gestaltung von Projekten↑ ergeben sich viele Möglichkeiten und Notwendigkeiten, sich miteinander zu verständigen und sich auch anschließend über den gemeinsamen Erfolg zu freuen.

Man sollte auch Gelegenheiten nutzen, die nicht in erster Linie mit Schule zu tun haben: Gemeinsamkeit kann auch gestärkt werden durch gemeinsames Singen, gemeinsame Feste o.ä..

Gemeinsame Bezugspunkte sind aber auch die Regeln des Zusammenlebens und Rituale, die ein Miteinander ermöglichen und genußvoll machen. (PREUSS-LAUSITZ, 1993) Rituale können z.B. sein, daß die neue Woche mit einem Gesprächskreis begonnen wird oder daß jeden Monat einmal Geschichten vorgelesen werden.

5.2.4. Klassenunterricht

Eine weitere Möglichkeit der Verwirklichung von solidarischem Handeln im Unterricht ist der Klassenunterricht. Der Klassenunterricht ist eine Unterrichtsform, die der sozialen Gemeinschaft Rechnung trägt. Der Klassenunterricht ist nicht zu verwechseln mit Frontalunterricht ↑, in dem die Klasse vom Lehrer / von der Lehrerin als Masse gesehen wird und im Gleichschritt durch ein Thema geführt wird. Klassenunterricht soll vielmehr heißen, daß der / die LehrerIn und alle SchülerInnen einer Klasse untereinander in Beziehung treten können und in dem alle Beteiligten für das Unterrichtsgeschehen verantwortlich sind. Jede(r) soll persönliche Zuwendung erhalten und sich mit seiner Individualität angenommen fühlen. Das Klassengespräch bietet vielfältige Möglichkeiten, sich selbst zu erfahren und andere in ihrer Eigenheit zu erleben und ernstzunehmen. Ein dialogisches Miteinander wird möglich. (PREUSS, 1994)

Es ist sinnvoll den Klassenunterricht nicht fortlaufend durchzuführen, sondern Vereinbarungen über Zeiten Freier Arbeit↑, verschiedenen Differenzierungsphasen und gemeinsamen Unterrichtsphasen zu planen. Damit gerät der Klassenunterricht mit seiner wertvollen Aufgabe nicht ins Hintertreffen, sondern erfährt eine Beständigkeit durch Regelmäßigkeit. Es ergibt sich ein sinnvoller Wechsel von individualisierten und gemeinschaftlichen Unterrichtsphasen. (PREUSS, 1994)

Das Klassengespräch ist auch Ort für „Metaunterricht“. Hier können Maßnahmen, Realisierungen besprochen und reflektiert werden. Es kann durch das Gespräch ein vertieftes Verständnis für unterschiedliche Leistungsfähigkeit erreicht werden. (PREUSS, 1994)

5.2.5. Interaktionsübungen

Interaktionsübungen ermöglichen, sich selbst und andere wahrzunehmen, ohne daß z.B. ein konkreter Konflikt im Vordergrund steht. Hier wird eine Erprobung von Verhalten und durch die nötige Distanz auch Reflexion möglich.

In der Wiesbadener Gesamtschule „IGS Kastellstraße“ gibt es ein eigenes Unterrichtsfach für Erfahrungen mit sozialer Interaktion, das Fach „Wir über uns“, das in den Jahrgängen 5, 7 und 9 jeweils zwei Stunden in der Woche unterrichtet wird. Hiervon berichtet HELD in Pädagogik 1/98 in seinem Artikel Sich selbst und die Klasse besser kennenlernen Erfahrungen mit Interaktionsübungen, S. 12 - 16.

„Wir über uns“ strebt z.B. folgende Lernziele an:

- Verbesserung der Wahrnehmungsfähigkeit
- Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben und Empfinden
- Entwicklung von Empathiefähigkeit
- Selbstachtung und Toleranz für andere
- Aufbau eigener Wertvorstellungen

Themen für „Wir über uns“ sind z.B. „Selbstbild und Fremdbild“, „Fähigkeiten und Stärken“, „Körperbewußtsein“, „Selbstkonzept und Lebensplanung“, „Liebe und Freundschaft“.

Für den Unterricht gilt generell, daß die Teilnahme an den Übungen freiwillig erfolgt, außerdem werden Gruppenregeln entwickelt, deren Einhaltung für dieses sensible Unterrichtsfach sehr wichtig sind. Dazu gehört, daß man andere ausreden läßt, andere Meinungen zuläßt usw.

Im „Blitzlicht“ zu Beginn der Sitzung wird von jedem / jeder kurz gesagt, wie er / sie sich fühlt. Das dient der Bewußtwerdung der eigenen Gefühle und der Einstellung auf die Befindlichkeit der Gruppenmitglieder. Auf den „Heißen Stuhl“ kann sich jeder / jede setzen, um zunächst zu erfahren, was die einzelnen Gruppenmitglieder an ihm / ihr mögen. Später wird vorsichtig auch negative Kritik angebahnt. Dabei kann aber der / die SchülerIn entscheiden, wieviel negative Kritik er / sie zulassen will und kann.

Phantasiereisen werden angeboten zur Entspannung und Besinnung auf die eigene Person, aber auch um zu erkennen, daß alle unterschiedliche Phantasien entwickeln und daß alle Phantasien gleich wertvoll sind. Besonderen Gesprächsanlaß ergibt die Hauptübung, die vom täglichen Thema bestimmt ist.

Am Schluß wird im „ Schlussblitzlicht “ noch über die Erfahrungen der jeweiligen Sitzung kurz reflektiert. So und durch Interviews am Schluß des Schuljahres wird das Feedback für den / die LehrerIn gestaltet. Das Fach „Wir über uns“ wird nicht benotet. (HELD in Pädagogik 1/98, Sich selbst und die Klasse besser kennenlernen Erfahrungen mit Interaktionsübungen)

Ich finde die Idee, solchen Interaktionsübungen ein eigenes Unterrichtsfach zu widmen, grundsätzlich gut. Ein zweiter Schritt wäre dann aber wichtig: Es müssen Bezugspunkte in anderen Fächern oder sozialen Situationen aufgegriffen werden. Nach und nach muß der sensible Umgang mit sich selbst und den MitschülerInnen ein echtes Bedürfnis werden.

Individualisierung und soziale Gemeinschaft können im Unterricht gemeinsam verwirklicht werden, jedoch ist das eine ohne das andere kaum möglich. Es kommt auf die Rahmenbedingungen an. Ich kann nicht erwarten, daß soziales Miteinander ohne demokratisches Handeln möglich ist. Dieses muß jedoch bei vielen SchülerInnen erst noch entwickelt werden. Gelingt es dann, Demokratie zu verwirklichen, wird auch gleichzeitig eine weitere wichtige Anforderung an Schule erfüllt, nämlich die SchülerInnen auf ein selbstbestimmtes, verantwortungsvolles Leben vorzubereiten.

Soziale Gemeinschaft ist meines Erachtens nicht in erster Linie abhängig davon, ob es bestimmte Einrichtungen wie Klassenunterricht oder gemeinsame Feste gibt, sondern davon, wie sehr sich SchülerInnen ernst- und angenommen fühlen. Dazu ist es notwendig, daß ich als Lehrerin verhandlungsbereit und offen bin, mich nicht nur hinter leeren Phrasen verstecke und im Grunde doch nur meine eigene Meinung akzeptiere.

Literatur

Jürgens, Eiko: Leistung und Beurteilung in der Schule Eine Einführung in Leistungs- und Bewertungsfragen aus pädagogischer Sicht, 3. unveränderte Auflage, Sankt Augustin, Academia Verlag, 1997

Held, Peter: Sich selbst und die Klasse besser kennenlernen Erfahrungen mit Interaktionsübungen, In Pädagogik 1/98, S. 12 - 16

Herzog, Roman: Fördern durch Fordern, In: lernchancen 1/98, S. 4/5

Preuß, Eckhardt: Leistungserziehung, Leistungsbeurteilung und innere Differenzierung in der Grundschule - Bausteine modernen Grundschularbeit - Anregungen und Hilfen, Bad Heilbrunn, Klinhardt, 1994

Preuss-Lausitz, Ulf: Die Kinder des Jahrhunderts Zur Pädagogik der Vielfalt im Jahr 2000, Weinheim, Basel, Beltz Verlag, 1993

Schöler, Jutta: Integrative Schule - Integrativer Unterricht, Reinbek, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1993

Steffens, Ulrich, Bargel, Tino (Hg.): Schulentwicklung im Umbruch Analysen und Perspektiven für die zukünftige inhaltliche Gestaltung von Schule, Wiesbaden, Konstanz, Hessisches Institut für Bildungsplanung und Schulentwicklung, Arbeitskreis „Qualität von Schule“, 1992

6. Leistungserziehung und Leistungsbeurteilung

In der Schule sollen Kinder und Jugendliche dazu angespornt werden, Leistungen zu erbringen, um ihre Entwicklung voranzubringen. Außerdem müssen die erbrachten Leistungen auch eine Beurteilung erfahren, damit alle am Lernprozeß Beteiligten mit den erzielten Leistungen umgehen können.

Konventionelle Verfahren der Leistungsmessung und Leistungsbeurteilung schaffen es zumeist nicht, SchülerInnen zu ermutigen und anzuspornen. Nicht nur der Unterricht muß sich den individuellen und sozialen Bedürfnissen der SchülerInnen anpassen, sondern auch die Leistungsmessung und -bewertung. Jedoch wird in Deutschland - im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern - an der Notengebung als Leistungsbewertung festgehalten. Diese Tatsache macht es besonders schwierig, als LehrerIn Individualisierung, soziale Gemeinschaft und Leistungsbewertung unter einen Hut zu bringen.

6.1. Leistung

6.1.1. Leistung wird an einer Norm gemessen

Eine Leistung bezieht sich immer auf eine bestimmte Norm. Bevor ein Verhalten als Leistung gewürdigt wird, ist es notwendig, eine Norm dafür zu konstituieren. Es ist notwendig zu bestimmen, was, wann, warum geleistet werden soll, und welche pädagogischen und sachlichen Leistungen gefordert werden. (JÜRGENS, 1997, PREUSS, 1994)

Die Ergebnisse der Leistungsmessung werden anhand eines Maßstabes bewertet. Man unterscheidet grundsätzlich drei idealtypische Bewertungsmaßstäbe:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Maßstäbe zur Leistungsbewertung (JÜRGENS, 1997, PREUSS, 1994)

- Der intraindividuelle Maßstab zeigt die Lernentwicklung eines Individuums in einem bestimmten Zeitabschnitt (Unterrichtseinheit, Schuljahr, Projektzeit ↑, Woche...). Dieses Modell eignet sich besonders, wenn man an der Lerngenese des einzelnen Kindes anknüpfen will, wenn man also nicht davon ausgeht, daß das Kind als „tabula rasa“ eingeschult wird. Der erreichte Ist-Stand ist Ausgangspunkt für weitere Förderung. Jedoch ist die ausschließliche Anwendung des individuellen Bezugssystems nicht realistisch, weil eine Orientierung an Lehrplänen und Lernzielen verbindlich und vor allem weil sich mit bestimmten Bewertungen auch Berechtigungen verknüpfen, z.B. der Schulabschluß. (JÜRGENS, 1997, PREUSS, 1994)

- Der interindividuelle Maßstab wird häufig verwendet, um daraus prognostische Aussagen abzuleiten. Das ist deshalb so problematisch, weil als Bezugsgröße häufig der Klassendurchschnitt gewählt wird, d.h. die Bewertung des einzelnen hängt in starkem Maße davon ab, wie leistungsstark die Gruppe insgesamt ist. Ein und dieselbe Leistung eines / einer SchülerIn könnte in einer Klasse (der gleichen Schulform) als durchschnittlich, in einer anderen als über- oder unterdurchschnittlich bewertet werden. (JÜRGENS, 1997, PREUSS, 1994)

- Mit dem kriteriumsorientierten Maßstab wird vor allem der Erfolg pädagogischer Maßnahmen ermittelt (Haben die Lernanreize auch zum Lernerfolg geführt?). Es wird davon ausgegangen, daß alle SchülerInnen einer Gruppe das gleiche Lernziel erreichen müssen.

Dieser Maßstab überprüft quasi wie eine Liste zum Abhaken: Lernziel erreicht oder nicht erreicht. Eine Notengebung aufgrund dieses Modells ist eigentlich nicht möglich, da die Frage, ob ein Lernziel erreicht wurde, nur eine Antwort zuläßt. Ein Lernziel kann nur erreicht oder nicht erreicht worden sein; eine Einteilung („gut“, „sehr gut“...erreicht) ist nicht möglich. (JÜRGENS, 1997, PREUSS, 1994)

6.1.2. Leistung bewegt sich in bestimmten Dimensionen

Leistung resultiert nicht ausschließlich aus Begabung oder angeborenen Fähigkeiten, vielmehr entsteht Leistung auch immer in einem bestimmten Kontext. Weil Leistung sowohl anlage- als auch umweltbedingt ist, ist es notwendig, von einem dynamischen Leistungsbegriff auszugehen: Die Heranwachsenden nutzen nur einen Teil ihres „Lern- und Entwicklungs- potentials“ aus. Schule soll sowohl diesen Teil fördern soll, als auch den latent vorhandenen. Leistung meint nicht nur das Ergebnis, daß von einem Schüler / einer Schülerin vorliegt, sondern vor allem auch den Weg, der dort hingeführt oder der vom eigentlichen Ziel weggeführt hat. Die Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand zählt ebenfalls zur Leistung. (JÜRGENS, 1997)

PREUSS (1994) beschreibt, um den Sinn und Zweck von prozeß- und produktorientierter Leistungsbetrachtung deutlich zu machen, das Beispiel einer Sportstunde:

Horst und Werner sollen an eine Reckstange springen. Horst hat eine große, athletische Figur und erfüllt die Aufgabe mit Leichtigkeit. Werner dagegen ist klein und schwächlich. Er strengt sich ungemein an, springt so häufig hoch, daß ihm der Schweiß ausbricht, aber er kann das Ziel nicht erreichen. Die Reckstange liegt für Werner zu hoch. Bei Horst läßt sich vermuten, daß er bei dieser Reckhöhe noch unterfordert ist. PREUSS stellt die Frage, wer von beiden die größere Leistung vollbracht hat. Nicht nur das Ergebnis einer Anstrengung darf bewertet werden, sondern auch die Anstrengung selbst, der Weg zu dem Ergebnis muß berücksichtigt werden. (PREUSS 1994, JÜRGENS in Grundschule 2/96, Leistungserziehung durch pädagogische Beurteilungsprozesse)

Die pädagogische Sichtweise macht es notwendig, sich von der reinen Ergebnissicht zu lösen, sondern Anstrengungen und persönliche Fortschritte in die Bewertung mit einzubeziehen.

Gleichzeitig liefert dieses Beispiel auch die Veranschaulichung, warum Binnendifferenzierung notwendig ist. Nämlich, damit eine dauernde Über- oder Unterforderung vermieden wird und mit den Anforderungen da angesetzt wird, wo eine Steigerung der persönlichen Leistung möglich oder wahrscheinlich wird.

Da Leistungen zunehmend im sozialen Kontext erbracht werden (Partner- oder Gruppenarbeit), ist dies auch relevant bei der Betrachtung der Leistung: Es muß sowohl die Leistung des Einzelnen, als auch die Leistung der Gruppe Eingang in die Bewertung finden. Dahinter steht vor allem eine Erziehung zu kooperativem, solidarischen Handeln, eine Erziehung zur Hilfe gegenüber Schwächeren oder Benachteiligten. (JÜRGENS in Grundschule 2/96, Leistungserziehung durch pädagogische Beurteilungsprozesse)

6.2. Leistungserziehung im Unterricht

6.2.1. gesellschaftliches Leistungsprinzip

Das Leben in einer Leistungsgesellschaft macht es nicht zwingend notwendig, daß sich Schule diesen Leistungsbegriff zu eigen macht. Schule hat ein Recht auf eine eigene Lernkultur; sie muß sich nicht zum Knecht bestehender Realitäten machen.

Auch, wenn die Gesellschaft vorgibt, daß es im Leben um Macht, Auslese, Konkurrenz, Anpassung und daß es allein um Ergebnisse geht, kann dies nicht der Weg sein, Kinder und Jugendliche auf einen Weg zu einer verantwortlichen, selbständigen Persönlichkeit zu bringen. (JÜRGENS in Grundschule 2/96, Leistungserziehung durch pädagogische Beurteilungsprozesse)

SchülerInnen bringen unterschiedliche Begabungen mit, entscheidend ist es, die Umweltbedingungen so günstig wie möglich für eine weitere Entwicklung zu gestalten. Und um die Selbstachtung des Kindes zu fördern, ist es notwendig, daß Erfolgserlebnisse möglich sind, das Kind braucht das Gefühl, etwas zu können. (PREUSS, 1994, JÜRGENS in Grundschule 2/96, Leistungserziehung durch pädagogische Beurteilungsprozesse)

Ein pädagogisch veränderter Leistungsbegriff ist untrennbar mit der Aufgabe verbunden, Lernumwelten und Lerninhalte „sinnstiftend“ zu gestalten. Denn ein veränderter Leistungsbegriff geht mit einer veränderten Einstellung gegenüber den Lernenden aus: Der / die Lernende möchte sich (sinnvollen) Leistungsanforderungen freiwillig stellen und Leistungsfreude entwickeln und an seiner / ihrer Lernentwicklung wachsen. (JÜRGENS, 1997)

6.2.2. Rückmeldung

Leistung bedeutet, daß sich eine Entwicklung und ein Zuwachs an individuellen und sozialen Kräften vollzieht. Durch individuelle Leistungserziehung und Leistungsbewertung soll das Selbstwertgefühl von Kindern und Jugendlichen gestärkt werden. (PREUSS, 1994)

In Integrationsklassen z.B., die ja Heterogenität bewußt in Kauf nehmen, werden die SchülerInnen darin bestärkt, ihre eigene Leistungsfähigkeit zu bewerten und einen Weg zu finden, sich nicht zu wenig und nicht zu viel zuzutrauen. (SCHÖLER 1993)

SchülerInnen wollen in ihrem Tun bestätigt, zu neuem angespornt werden. Das kann mit einem interindividuellen oder kriteriumsorientierten Maßstab (siehe Kapitel 6.1.1.) nicht erreicht werden. Durch den intraindividuellen Maßstab kann aber jeder Lernerfolg, auch wenn er in anderen Maßstäben gemessen die Skala nach unten oder oben sprengen würde, gewürdigt werden. So kann die Selbstachtung des Kindes entwickelt und erhalten werden. Es muß eine Verbindung von Anstrengung und Erfolg sichtbar werden, damit das Kind ein positives Selbstkonzept von sich entwerfen kann. (JÜRGENS, 1997)

Die Anwendung von Beurteilungsverfahren ist für den Unterricht unerläßlich. Es ist notwendig, daß das Kind oder der Jugendliche erfährt, wo er steht und wie sein Lernweg sich weiter gestalten kann, das heißt auch, daß sich an eine Beurteilung auch eine Beratung anschließen muß. (JÜRGENS in Grundschule 2/96 Leistungserziehung durch pädagogische Beurteilungsprozesse)

6.2.3. Umgang mit Fehlern

Eine pädagogische Leistungserziehung macht den Blick auf Lernprozesse auch deshalb notwendig, damit Fehler, die von den Lernenden gemacht werden, einen anderen Stellenwert erhalten. Fehler machen heißt, daß SchülerInnen auf der Suche sind nach Lösungsmöglichkeiten. Fehler machen bedeutet nicht, daß sie versagen, sondern daß sie sich auf den Weg gemacht haben. (PREUSS 1994)

Der Umgang mit Fehlern in der Bewertung ist von entscheidender Bedeutung. Fehler sollen ein Signal an die Lehrenden aussenden über die Entwicklung der SchülerInnen.

Wird ein Fehler eines Schülers oder einer Schülerin dazu mißbraucht, ihn / sie als VersagerIn abzustempeln, kommt es nicht selten zu einer Generalisierung der Stigmatisierung, die sich fataler Weise auf das Selbstkonzept des Schülers / der Schülerin so negativ auswirken kann, daß sich die schlechte Bewertung durch den / die LehrerIn über kurz oder lang bewahrheitet. Wird jedoch der Fehler als Ansatz für eine Förderdiagnostik benutzt, gelingt es womöglich durch gezielte Fördermaßnahmen, die Lernentwicklung voranzubringen. (PREUSS 1994)

Kindgemäß ist ein selbstverständlicher Umgang mit Fehlern. Jeder Mensch macht Fehler, jeder darf Fehler machen, ja Fehler werden regelrecht begrüßt als Möglichkeit sich mit einem Thema vertieft auseinanderzusetzen. Eine wichtige Möglichkeit, sich mit Fehlern zu beschäftigen, sind Materialien - wie z.B. die von MONTESSORI, die die Möglichkeit zur Selbstkontrolle bieten. Kinder und Jugendliche können hier selbst ermitteln, wo sie Flüchtigkeitsfehler gemacht haben und wo sie etwas noch nicht verstanden haben. (PREUSS 1994)

6.3. Leistungsbewertung

6.3.1. Ziele der Leistungsbewertung

Schule vergibt Noten als „Zugangsberechtigungen“ z.B. in Form von Abschlußzeugnissen, Versetzungszeugnissen, andererseits soll sie die persönliche Entfaltung des Einzelnen fördern.

Leistungsbewertung erfolgt im Hinblick auf verschiedene Zielsetzungen: (JÜRGENS, 1997)

1. Leistungsbewertung erfolgt, um eine Grundlage zur Entwicklung und zur Korrektur von Lernsituationen zu ermöglichen. Es geht dabei darum, die individuelle Förderung der SchülerInnen zu verbessern und inhaltliche und organisatorische Planung von Lernprozessen zu optimieren. (JÜRGENS, 1997)
2. Leistungsbewertungen erfolgen, um daraus Entscheidungen für oder gegen eine bestimmte Schullaufbahn zu begründen. (z.B. Sonderschulzuweisung, Zuweisung einer weiterführenden Schule, Zuweisung zu unterschiedlich anspruchsvollen Fachkursen...). Auf der Grundlage der Leistungsbewertung wird selektiert. (JÜRGENS, 1997)
3. Leistungsbewertungen erfolgen, um den SchülerInnen eine Orientierungshilfe im Lernprozeß zu geben. Sie sollen offenlegen, wo der / die einzelne steht, welche Ziele er / sie schon erreicht hat. Leistungsbewertungen sollen von den Lernenden selbst vorgenommen werden können, der Vergleich soll sich an den drei Maßstäben orientieren (intraindividueller, interindividueller, kriteriumsorientierter, siehe Kapitel 6.1.1.).

6.3.2. Transparenz der Leistungsbewertung

Es ist notwendig, für die am Lernprozeß Beteiligten Leistungsbewertung durchschaubar und nachvollziehbar zu gestalten. In erster Linie müssen den SchülerInnen die Bewertungs- kriterien offengelegt werden, aber auch den Erziehungsberechtigten. SchülerInnen sollten in starkem Maße in den Beurteilungsprozeß mit eingebunden werden. Sie müssen in der Lage sein, anhand von vorgegebenen Kriterien, ihre eigene Leistung und auch die von MitschülerInnen differenziert zu beurteilen. (DETHLEFS in Pädagogik 7-8/98, Projektunterricht in der gymnasialen Oberstufe Erfahrungen mit Leistungsbewertung und Ergebnissicherung)

6.3.3. Leistungsbewertung darf nicht Mittelpunkt der Schule werden

Als pädagogische Grundsätze im Hinblick auf Leistungsbewertung können gelten:

Leistungsbeurteilungen dürfen Lernen nicht verhindern, sondern müssen es unterstützen, deshalb sollten sie nicht zur Disziplinierung mißbraucht werden. Statt dessen sollen Leistungsbewertungen die Leistungen der SchülerInnen anerkennen und zu neuen Leistungen ermutigen. Leistungsbeurteilungen sollten erfolgen mit dem Bemühen, die Gesamtpersönlichkeit des / der einzelnen zu fördern. (JÜRGENS 1997)

Schule soll Lern- und Lebensraum sein, deshalb kann das Lernen in der Schule nicht auf (kontrollierbare) Leistung reduziert werden. Über wichtige Lebensfragen kann nicht nachgedacht werden, wenn dabei im Hinterkopf nur die Bewertung eine Rolle spielt. (JÜRGENS, 1997)

6.4. Arten der Leistungsbewertung

6.4.1. Ziffernzensuren

Nicht erst in der neuen pädagogischen Diskussion sind die Ziffernzensuren in Verruf geraten. Beleg dafür ist z.B. das Buch von Max SIMONEIT: Fort mit der Schulzensur Das Beurteilen von Schülerleistungen, Berlin, Verlag Bernard & Graefe, 1952. Es geht „ um eine ausführliche Untersuchungüber die Entartung der Schulzensur, die gleichzeitig Anregungen zur zweckm äß igen und menschlichen Bewertung von Schüler-Leistungenüberhaupt geben soll. “ (S. 5)1

- Noten müssen bleiben!?

Ohne Noten wird es in der Schule nach Meinung unseres Bundespräsidenten keine Anstrengung mehr geben und ohne Anstrengung kann keine Leistung vollbracht werden. „ Es gibt keine Bildung ohne Anstrengung: Wer die Noten aus den Schulen verbannt, schafft Kuschelecken, aber keine Bildungseinrichtungen, die auf das nächste Jahrtausend vorbereiten. “ (HERZOG in lernchancen 1/98, S. 4)

Heide BAMBACH (1994, S. 109) erwidert: „ Jeder Mensch wird von dem Wunsch bewegt, die Dinge seines Lebens zu meistern; bei wem dies nicht der Fall ist, dessen Gemüt ist beschädigt worden. Der Wunsch nach der eigenen Meisterschaft als Antrieb für Bestleistungen ist aber nicht gleichzusetzen mit einem Konkurrenzsystem, das auf Verlierer zielt. Das Notensystem zielt auf Verlierer. “

Und Max SIMONEIT noch etwas emotionaler: „ In diesem Stil der Schulzensierungäußert sich ein Geist, der nicht zu den guten Geistern der Erziehung gehört: Er ist kühl, eilig, unpersönlich, unlebendig, autoritär, sogar ein wenig anmaßend, - damit auch unkindlich, fremd, ja fast feindlich. Auch die gute Zensur hat manches von diesem Geist. “ (S. 14)

- Zensur

Eine Zensur ist eine Kurzform eines Urteils über das Verhalten von SchülerInnen, das dargestellt sein kann durch eine Ziffer, einen Buchstaben, ein Adjektiv oder andere Symbole [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Durch die Zensur wird lediglich eine Rangstufe gekennzeichnet. An der Zensur kann nicht der Abstand zur nächsthöheren oder nächstniedrigeren Zensur abgelesen werden, d.h. für Ziffernzensuren z.B., daß das Verhalten, das mit 1 bewertet wurde, als besser eingestuft wurde als das mit 2 bewertete. Die Ziffer sagt aber nichts darüber aus, um wieviel das eine Verhalten besser ist als das andere. Arithmethische Operationen (wie sie im Schulalltag gemacht werden) wie das Bilden eines Mittelwertes aus den Noten sind daher formal-logisch unzulässig. (JÜRGENS, 1997, PREUSS, 1994 u.a.)

Die Zensur ist damit zur Bewertung schulischen Lernens denkbar ungeeignet, da nur festgestellt wird, ob der Lernerfolg größer oder kleiner als der der MitschülerInnen war, nicht aber ob und welche Lernfortschritte erzielt wurden.

Ziffernzensuren geben den Anschein von Gerechtigkeit und Vergleichbarkeit. Ziffernzensuren haben Legitimationscharakter: sie werden herangezogen, um eine Versetzung zu rechtfertigen, um eine Empfehlung für eine bestimmte Schulform auszusprechen, um einen bestimmten Schulabschluß zu rechtfertigen. (SCHÖLER, 1993)

- Funktionen von Zensuren

- Zensuren als Motivation

„ ... sie (die Zensur) soll nunmehr den Zögling anregen und aktivieren, aber auch belohnen und strafen,... “ (S. 16)

SchülerInnen mit guten Zensuren werden durch die Zensuren nicht unbedingt zum Lernen angeregt und SchülerInnen mit schlechten Zensuren vergeht die Lust am Lernen leicht. (SCHÖLER, 1993)

- Legitimation

„ ... nur, wenn den Erziehern keine andere Beurteilungsmöglichkeit als die der Zensur zur Verfügung stünde. Es gibt aber die Möglichkeit, die Schüler individualitätsgem äß zu beschreiben und ihre Geeignetheit für die nächsthöhere Stufe von dieser Individualitätsbeschreibung aus zu entscheiden. “ (S. 13)

Leistungsmessung und -bewertung erfolgen nicht nur im engen pädagogischen Kontext, sondern auch dann, wenn Laufbahnentscheidungen für SchülerInnen getroffen werden müssen (z.B. Zuweisung zu einer anderen Schulform, Versetzung etc.), wenn präventive Maßnahmen eingeleitet werden sollen (z.B. ein spezieller Förderunterricht) oder wenn Unterrichtserfolg (in Hinblick auf Veränderungen) gemessen werden soll. (JÜRGENS, 1997)

„ Und Objektivität: weshalb soll eine Zahl objektiver sein als ein wertendes BeschreibungsUrteil? “ (S. 13)

Schon allein durch die Berechtigungsfunktion, die Zensuren haben, ist ihr Einfluß auf den Einzelnen sehr hoch. Deshalb wird auch von der Gesellschaft erwartet, daß die Zensurengebung mit höchstmöglicher Objektivität durchgeführt wird. Je wichtiger ein Urteil ist, desto stärker sollen die Bemühungen des / der Beurteilenden gegen subjektive Willkür sein. Verschiedene Prüfer sollen zu dem gleichen Ergebnis kommen, d.h. ein Prüfungsverfahren sollte so gestaltet sein, daß Durchführung und Ausführung bei allen Prüfenden gleich sein muß. (INGENKAMP, 1989)

In der Testtheorie werden an einen Test verschiedene Gütekriterien angelegt, daß heißt ein Testverfahren wird um so besser beurteilt, je größer Objektivität, Reliabilität und Validität sind. Im Amtseid des Lehrers / der Lehrerin findet sich zwar, daß LehrerInnen Gerechtigkeit üben müssen, jedoch nicht, daß sie an Objektivität gebunden sind. Genau diese Objektivität wird aber vom Deutschen Bildungsrat (1970) verlangt. (PREUSS, 1994)

Die Objektivitätskriterien für Durchführung, Auswertung und Interpretation eines Testes können für nicht für die Durchführung, Auswertung und Interpretation einer Klassenarbeit angewandt werden, da ein(e) KlassenlehrerIn nicht einfach austauschbar ist. Er oder Sie ist auch während der Klassenarbeit eine wichtige Bezugsperson, denn er / sie kennt die Stärken und Schwächen seiner / ihrer SchülerInnen. (PREUSS, 1994)

- weitere Funktionen

ZIELINSKI (1975) schreibt der Notengebung verschiedene Funktionen zu:

- Rückmeldung für den / die LehrerIn über den Unterrichtserfolg
- Rückmeldung für den / die SchülerIn über den eigenen Leistungsstand
- Noten dienen als Bericht für die Erziehungsberechtigten
- Anreiz, um sich mit dem Lernstoff zu beschäftigen
- Noten dienen zur Disziplinierung; durch schlechte Noten sollen Leistungsunwillige bestraft werden
- Noten dienen der Sozialisierung; SchülerInnen müssen sich mit anderen Leistungsnormen als im Elternhaus auseinandersetzen
- Noten sind Grundlage für Selektions- und Förderungsmaßnahmen
- Zuteilung und Berechtigung zu weiterem sozialen Aufstieg (oder Verwehrung desselben) - Chancenausgleich soll durch „gerechte“ Notengebung erfolgen

Manche Funktionen bedingen sich und andere widersprechen sich auf heftigste, z.B. Anreizfunktion und Disziplinierungsfunktion sowie Chancenausgleichsfunktion und Selektionsfunktion. Es wird deutlich, daß eine Zensur unmöglich allen Funktionen gerecht werden kann. Außerdem ist es schwierig vorstellbar wie ein Symbol z.B. dem / der Lernenden Aufschluß darüber geben kann, an welchem Punkt im Lernprozeß er / sie steht. (JÜRGENS, 1997)

BRÜTTING (1981) bezeichnet als einzige Funktion, der die Ziffernzensur gerecht wird, „die Informationsverdichtungsfunktion in Form einer rationellen Informationsverschlüsselung“.

- Zensuren zeigen nicht, was in ihnen steckt

„ Ihre Konzentriertheit (die der Zensur), jene Verdichtung zu einem Zahl- oder Prädikatsbegriff also, bedeutet aber nur Verlust an Lebendigkeit der Wertung, die durch diese Verdichtung geradezu erstickt wird. “ (S.13)

Ein(e) SchülerIn, die bereits bei Schuleintritt lesen und schreiben kann, kann in Ziffernzensuren ausgedrückt eine 1 erhalten, aber was drückt das über seine / ihre Leistungsfähigkeit aus? (SCHÖLER, 1993)

Noten erfüllen nur sehr unzureichend die ihnen zugeschriebenen Funktionen, z.B. Berichtsfunktion oder Rückmeldefunktion können sie nur sehr unzureichend erfüllen. (JÜRGENS, 1997)

- Zensuren zeigen nicht, was nicht in ihnen steckt

Viele Leistungen werden im gängigen Notensystem überhaupt nicht erfaßt, wenn z.B. ein(e) SchülerIn es schafft, das erste Mal allein den Schulweg zu bewältigen.

Welchen Lernfortschritt bedeutet es für ein aufbrausendes und Ich-bezogenes Kind, wenn es seine erste Versöhnung vollzieht und dabei über den eigenen Schatten springt?

Werden immer nur verbal-kognitive Fähigkeiten zur Notengebung herangezogen, werden alle übrigen Fähigkeiten vernachlässigt. Die verschiedenen Dimensionen der Leistung finden normalerweise keine Berücksichtigung in der Schulnote. Die Anstrengung für ein bestimmtes Ergebnis, der soziale Kontext, in dem es entstanden ist und die vorhandene Begabung werden außen vor gelassen.

- Abhängigkeit der Note

Die Erteilung einer Note ist von verschiedenen Faktoren abhängig: von der Vergleichsgruppe, von Erwartungen und Vorurteilen, von Sympathie und Antipathie, vom / von der PrüferIn, von der Gewichtung der Kriterien, von formalen Aspekten und von weiteren Kriterien.

- von der Vergleichsgruppe

Besonders problematisch bei der Zensurengebung ist die Tatsache, daß immer wieder die Klasse oder Lerngruppe als Vergleichsmaßstab herangezogen wird. So entstandene Noten dürften nicht zu prognostischen Aussagen herangezogen werden, da die Bezugsnorm unbekannt ist. (JÜRGENS, 1997)

Die Note, die ein(e) SchülerIn erhält, hängt in starkem Maße davon ab, wie leistungsstark seine / ihre Bezugsgruppe ist. Außerdem erfolgt die Zensurenverteilung in der Klasse fast immer nach der Normalverteilung (2% entfallen auf die Noten 1 und 6; 14% auf die Noten 2 und 5, 34% auf die Noten 3 und 4). Die Zensur bildet eine Rangfolge in der Klasse ab, die aber darüber hinaus keine Aussagekraft hat. Es ist nicht einmal möglich, innerhalb einer Schule SchülerInnen der gleichen Klassenstufe anhand ihrer Noten zu vergleichen. (INGENKAMP, 1989)

Die Klasse als Bezugsgruppe stellt immer wieder ein Problem dar. Dazu ein Lehrer: „ Ich habe da eine 9. Klasse, in der sitzen fünf, sechs Koryphäen drin ... und das sind ausnahmslos Mädchen, die sich gegenseitig auch so ein bißchen hochkitzeln. Und sitzen also fünf Leute drin, die unteres Leistungsniveau sind, und die sind also in der Gruppe fürchterlich frustriert ... Ich habe immer, wenn ich Tests schreibe, folgenden Zensurenstand: fünf bis sechs Einsen, fünf bis sechs Fünfen, und dazwischen das Mittelfeld ist also sehr dünn gesät. “ (ROEDER in Zeitschrift für Pädagogik 2/97, Binnendifferenzierung im Urteil von Gesamtschullehrern)

Man kann sagen, daß Messen an der Vergleichsgruppe Heterogenität nahezu verhindert.

- von Erwartungen und Vorurteilen

Die Notengebung hängt auch von Faktoren wie Vorurteilen oder Erwartungen ab. In einer Untersuchung von WEISS (1964) wurden LehrerInnen zur Benotung von zwei Schüleraufsätzen aufgefordert. Einem Schüler wurden positive Eigenschaften zugeschrieben, dem anderen eher negative und obwohl die Aufsätze willkürlich den beiden Schülern zugeordnet wurden, erhielt der „gute“ Schüler eine signifikant bessere Bewertung.

Eine negative Einschätzung eines Schülers / einer Schülerin kann zu immensen Urteilsverzerrungen führen, so daß es häufig zu einer Negativspirale kommt, die dazu führt, daß sich das Bild vom „schlechten Schüler“ verfestigt und verdichtet. Beim Prüfer kann es im Sinne einer Wahrnehmungsabwehr dazu kommen, daß Verhalten, das entgegengesetzt den Erwartungen verläuft, ausgeblendet wird. (JÜRGENS, 1997)

- von Sympathie und Antipathie

Zensurengebung ist sehr stark von Sympathie und Antipathie verbunden. HADLEY (1977) und PETILLON (1978) stellten fest, daß SchülerInnen, die bei ihren MitschülerInnen und LehrerInnen als beliebt gelten, durchschnittlich bessere Noten erhielten.

- vom / von der PrüferIn

Die Zensierung schriftlicher Arbeiten fällt aber vielen Untersuchungen zu Folge sehr unterschiedlich aus, wenn sie von unterschiedlichen PrüferInnen gelesen wird. Besonders bemerkenswert bei diesen Untersuchungen ist es, daß nicht nur in muttersprachlichen Aufsätzen eine große Streubreite besteht, sondern auch in anderen Fächern. STARCH und ELLIOT fanden schon zu Beginn des Jahrhunderts, daß in einer Prüfungsarbeit in Geometrie die Zensurenstreuungen größer waren als bei der Beurteilung von Aufsätzen.

Zusammenfassend zu den Forschungsergebnissen äußert sich COFFMANN:

1. Verschiedene Prüfer geben der gleichen Arbeit unterschiedliche Zensuren.
2. Derselbe Prüfer erteilt unterschiedliche Noten zu verschiedenen Zeitpunkten.
3. Je mehr Freiheit das Thema der Arbeit einräumt, desto größer werden die Differenzen.

- von der Gewichtung der Kriterien

„ Die Vergleichbarkeit ist ein Irrtum, weil so verdichtete und dadurch abstrakte Wertungen im Falle des Lehrers A meist etwas anderes als in dem des Lehrers B bedeuten,... “ (S. 13)

HAECKER (1971) arbeitete bei einer Befragung von 64 LehrerInnen heraus, daß in Mathematik folgende Bewertungskriterien sehr unterschiedlich gewichtet wurden und damit auch unterschiedliche Bewertungen zur Folge hatten: Sauberkeit, Schrift, formalmechanisches Rechnen, Finden des Lösungsansatzes, mathematisches Denken.

- von formalen Aspekten

Auch, wenn nur der Inhalt einer Arbeit gewertet werden soll, schleichen sich Schrift und Form, Orthographie und Grammatik unmerklich in die Beurteilung mit ein. Außerdem erweist es sich als nicht unerheblich an welcher Stelle die Arbeit korrigiert wird, ob als erste oder später. (INGENKAMP, 1989)

- von weiteren Kriterien

Unterschiede in der Bewertung derselben Arbeit resultieren auch aus unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Schulen, unterschiedlichen Ausbildungsständen der LehrerInnen und der Unfähigkeit zwischen eng beieinanderliegenden Gütegraden zu differenzieren. (INGENKAMP, 1989)

6.4.2. verbale Beurteilungen

Verbale Beurteilungen unterliegen natürlich ebenso Beurteilungsfehlern wie Zensuren auch, aber sie erwecken auch nicht den Anschein von Objektivität und Sachlichkeit. Außerdem enthalten sie - idealerweise - einfach mehr Informationen darüber, worauf sich die Beurteilung bezieht.

- Ermutigen

Für eine Erweiterung der Ich-, Sozial-, und Sachkompetenz ist es notwendig, daß der / die SchülerIn handelnd Erfahrungen machen kann. Diese Erfahrungen sollen ihn / sie zu Anstrengungen herausfordern, ihn / sie aktivieren und motivieren und ermutigen weiter zu machen. Leistungserziehung trägt einen Teil dazu bei, indem sie Hilfestellung gibt, Impulse setzt und ein Stück des Lernweges begleitet. (PREUSS, 1994)

Für eine gute Note kommt es nicht darauf an, einen Sachverhalt erlebt und durchdrungen zu haben. Häufig ist nichts weiter gefragt, als Faktenwissen im Rahmen einer Klassenarbeit aufzuschreiben. Was zu dem Ergebnis geführt hat, ob Nachhilfestunden, Eselsbrücken oder Spickzettel ist uninteressant. Es zählt allein das Ergebnis. Es ist dagegen unwichtig, ob dem Schüler / der Schülerin eine Woche später einfällt, was er für Fehler gemacht hat oder ob er eine Woche später noch etwas von dem niedergeschriebenen Wissen reproduzieren kann. (SCHÖLER 1993)

Wenn bei der Beurteilung einer SchülerInnenleistung das Augenmerk auf den Prozeß gelenkt wird, dann stellt sich die Frage, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, einen geistigen Prozeß in den „Käfig“ einer Zensur, einer Ziffer von 1 bis 6 einzusperren. (PREUSS, 1994)

- Dänemark

In Dänemark (und z.B. auch in Italien) erhalten die SchülerInnen bis zum Ende der achten Klasse keine Ziffernzensuren, sondern einen individuellen Entwicklungsbericht an die Familie. Schule wird in Dänemark weniger durch das Leistungsdenken beherrscht als in Deutschland. Auch nach der achten Klasse der „Folkeskole“ spielen Zensuren eine untergeordnete Rolle.

Die Schule in Dänemark hat sich zur Aufgabe gemacht, daß dort das Leben in der Gemeinschaft erlernt wird. Außerdem wird vermittelt, daß jede(r) Einzelne verantwortlich ist für seinen Bildungsprozeß, für seinen Weg zu einer reifen, verantwortungsvollen Persönlichkeit. (MEYER in Friedrich Jahresheft 1996, Prüfen und Beurteilen, SCHÖLER, 1993)

- Arten der Berichtszeugnisse

BRENNER / RAMSEGER (1985) unterscheiden nach einer nicht repräsentativen Untersuchung von 450 Zeugnissen dreier Grundschulen das normative, das schöne, das deskriptive und das entwicklungsbezogene Berichtszeugnis.

1. das normative Zeugnis

Wertmaßstäbe und Ansprüche werden von außen an den / die SchülerIn herangetragen; häufig werden die Beurteilungen Zensuren angenähert, dem Kind werden „gute“ oder „befriedigende“ Leistungen bescheinigt. Mögliche Ursachen für Erfolg oder Mißerfolg werden nicht benannt.

2. das schöne Zeugnis

Der / die SchülerIn wird im Zeugnis „schöngeredet“, dafür enthält es wenig Konkretes und wenig Informationen.

3. das deskriptive Zeugnis

Mit der Bemühung um größtmögliche Objektivität entsteht das deskriptive Zeugnis, das sich wie ein „nüchterner Tatsachenbericht“ liest. Es fehlen Hinweise zur Veränderung, das Zeugnis beschreibt den / die SchülerIn zu statisch.

4. das entwicklungsbezogene Zeugnis

SchülerInnen werden in ihrer Lernsituation beschrieben, so daß auch Wechselwirkungen aufgezeigt werden. Möglichkeiten zu erfolgreiche(re)m Weiterlernen werden eröffnet und reflektiert. Den pädgogischen Intentionen kommt es am nächsten. Leider ist es in der Praxis nur äußerst selten zu finden.

ULBRICHT (1993) zu dem Schluß, daß eine Verbalbeurteilung keine Garantie für eine pädagogische Beurteilung ist, sondern, daß in der Praxis häufig den Idealvorstellungen nicht entsprochen wird.

- Probleme der Wortgutachten

An Wortgutachten werden hohe Erwartungen geknüpft. Mittlerweile gibt es kein Bundesland mehr, daß bereits im ersten Schuljahr Noten erteilt. Allerdings ist die Praxis verbaler Beurteilungen nur wenig erforscht. SCHMIDT (1981) stellte bei einer Untersuchung von Zeugnissen in den ersten vier Schuljahren in Niedersachsen fest, daß eine differenzierte Lernprozeßbeschreibung aus den Verbalurteilen (1. und 2. Klasse) nicht hervorging. Die Beschreibung der Leistungen bezogen sich hauptsächlich auf die Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen. (JÜRGENS, 1997)

Viel zu selten werden SchülerInnen in ihren Lernumwelten beschrieben, sie werden isoliert betrachtet. In Wortgutachten finden sich viele stereotype Formulierungen, so daß die Aussagen unpräzise wirken. Es fehlen Angaben, welche Lernziele (mit welchen Mitteln) angestrebt wurden und welche in dem entsprechenden Beurteilungszeitraum erreicht wurden. (JÜRGENS, 1997)

Zu der obengenannten Untersuchung gehört eine LehrerInnenbefragung, aus der hervorgeht, daß sich die Beurteilenden mit dem Schreiben sehr schwer tun. Nur 30% begrüßen die Wortgutachtenregelung.

Für SCHMIDT ist das Verbalurteil ein Schritt in die richtige Richtung, es wird aber den hochgesteckten Ansprüchen nicht gerecht. Für ihn ist deshalb ein ausführliches Elterngespräch einer langen verbalen Beurteilung vorzuziehen. (JÜRGENS, 1997)

- Forderungen für Wortgutachten

Forderungen, die sich für JÜRGENS (1997) aus den Untersuchungen ergeben:

1. Verbale Beurteilungen sollten Beschreibungen und Beobachtungen zu Lernprozessen und Bedingungskonstellationen beinhalten.
2. Unterricht und diagnostisches Handeln muß zusammen geplant werden, um genügend Daten für die Verfassung einer verbalen Beurteilung zu haben.
3. Für die Adressaten des Wortzeugnisses (SchülerInnen, Eltern) müssen genaue Anhaltspunkte und eindeutige Informationen deutlich werden.

Das Verbalzeugnis sollte eine Diagnose, eine Prognose und pädagogische Entscheidungen zur Förderung des Schülers / der Schülerin enthalten. Empfehlungen zum Schreiben sind:

- Lieber das Verhalten eines Schülers / einer Schülerin beschreiben, als Dispositionen festzulegen.
- Lieber einen interaktionalen Kontext beschreiben, als individuelle Fähigkeiten.
- Lieber eine Entwicklung aufzeigen, als von einem Ist-Zustand zu berichten.
- Diagnostik soll kein Selbstzweck sein, sondern Fördermöglichkeiten aufzeigen.

„ Jedes Zeugnis sollte so formuliert werden, daßder Leser die wohlwollende Haltung dem Kinde gegenüber erspüren kann. “ Dabei soll es nicht darum gehen, Verhalten zu beschönigen oder zu verschleiern, sondern es soll deutlich werden, daß jedes Kind Stärken hat und diese auch von den LehrerInnen anerkannt werden. (STOLLE, Günther in Grundschule 2/96, Wie sag ich’s Überlegungen zur Rolle der Sprache beim Zeugnisschreiben, S. 22)

Wichtig ist es, daß Zeugnisse möglichst fehlerfrei und ohne Widersprüche formuliert werden. Das heißt vor allem, daß positive und negative Bemerkungen nicht miteinander verquickt werden und daß Situationen, in denen ein bestimmtes Verhalten auftritt, möglichst klar geschildert werden. (STOLLE, Günther in Grundschule 2/96, Wie sag ich’s Überlegungen zur Rolle der Sprache beim Zeugnisschreiben, S. 22)

Die verwendete Ausdrucksweise muß für die Leser des Zeugnisses (also vor allem für die SchülerInnen und Eltern) verständlich sein. Pädagogische Fachbegriffe oder Phrasen tragen nicht dazu bei, daß Sachverhalte erhellt werden. Auch im pädagogischen Alltag ganz selbstverständlich gewordene Begriffe wie „Analyse“ oder „Synthese“ haben in einem Zeugnis nichts verloren. (STOLLE, Günther in Grundschule 2/96, Wie sag ich’s Überlegungen zur Rolle der Sprache beim Zeugnisschreiben, S. 22)

Abstufungen in der Beurteilung sollten nur vorsichtig eingesetzt werden. Bei der Verwendung von Wörtern wie „überwiegend“, „teilweise“, „oft nicht“, „recht“, „relativ“... sollte drüber nachgedacht werden, ob sie nicht weggelassen werden oder durch eine konkretere Beschreibung („am frühen Morgen“, „beim Spielen in der Bauecke“, „während den Freiarbeitsphasen“...) ersetzt werden können. Besonders bei der Beschreibung des Leistungsstandes sollte auf solche Formulierungen verzichtet werden.

Dagegen sind solche Einschränkungen bei der Beschreibung von Lern- und Sozialverhalten notwendig, um unzulässige Verallgemeinerungen zu verhindern. Bei der Verwendung von „sich bemühen“ schwingt immer ein negativer Anteil mit: Er / Sie bemüht sich, erreicht damit aber nichts. (STOLLE, Günther in Grundschule 2/96, Wie sag ich’s Überlegungen zur Rolle der Sprache beim Zeugnisschreiben, S. 22)

Etikettierungen in Form von Eigenschaftsbeschreibungen sind zu vermeiden; in Zeugnissen wird keine Charakterisierung verlangt, es ist nur notwendig Verhalten zu beschreiben und zu bewerten. (STOLLE, Günther in Grundschule 2/96, Wie sag ich’s Überlegungen zur Rolle der Sprache beim Zeugnisschreiben, S. 22)

- Leistungsmessung im Offenen Unterricht ­

Um überhaupt Wortgutachten zu erstellen, müssen Daten über erbrachte Leistungen gesammelt werden. Die Auswahl der Daten muß sich aus den Anforderungen des Offenen Unterrichts↑ ergeben und damit dem pädagogischen Leistungsbegriff folgen. Offene Lernformen zielen darauf ab, ...

... selbständiges Denken zu entwickeln.

... persönliche Interessen zu entfalten.

... die eigene Lebenswirklichkeit zu erschließen.

... einen verantwortungsvollen Umgang miteinander zu fördern.

Offene Lernformen verlangen eine Handlungskompetenz in verschiedenen Bereichen, die mehr ist als die Beherrschung eines lehrplanmäßigen Stoffes. (BENDLER in Pädagogik 3/95, Leistungsbeurteilung in offenen Unterrichtsformen Qualität ohne Kontrolle?)

Zur Beurteilung dieser Handlungskompetenz ist gezielte Beobachtung unerläßlich. Dazu sollte ein Kriterienraster erstellt werden, das einen erweiterten Lern- und Leistungsbegriff umfaßt, aber gleichzeitig übersichtlich und handhabbar bleibt.

Es muß offenbar sein, daß jedes Raster unvollkommen bleibt, und daß man Gefahr läuft in ihm eine abgeschlossene Beurteilung zu sehen. Mathematische Meßgenauigkeit liegt nicht vor und will auch nicht erreicht werden. (BENDLER in Pädagogik 3/95, Leistungsbeurteilung in offenen Unterrichtsformen Qualität ohne Kontrolle?)

BENDLER zeigt einen erweiterten Lern- und Leistungsbegriff auf, der auf offene Unterrichtsformen anzuwenden ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Erweiterter Lern- und Leistungsbegriff

(nach BENDLER in Pädagogik 3/95, Leistungsbeurteilung in offenen Unterrichtsformen Qualität ohne Kontrolle?, S. 12)

Alle Anforderungen, die der Offene Unterricht­ stellt, müssen auch Eingang in die Bewertung finden und dazu müssen auch in allen Bereichen Beobachtungen erfolgen, um die entsprechenden Daten zu erhalten. (BENDLER in Pädagogik 3/95, Leistungsbeurteilung in offenen Unterrichtsformen Qualität ohne Kontrolle?)

- Entstehung eines Lernentwicklungsberichtes (IGS Göttingen-Geismar)

In der Gesamtschule IGS Göttingen-Geismar erhalten die SchülerInnen zum Abschluß eines Schuljahres die sogenannten Lernentwicklungsberichte. HOFFMANN (in PÄD Forum, 6/98, Nicht jedem das Gleiche - aber jedem das Seine 22 Jahre Praxis in der Lerndiagnose und Lernförderung) beschreibt die Erfahrungen, die an seiner Schule mit Lernentwicklungsberichten gemacht worden sind. Lernentwicklungsberichte (LEB) orientieren sich am pädagogischen Leistungsbegriff, das heißt, daß neben Lernergebnissen die Prozesse eine ebenso wichtige Rolle spielen. Wichtig sind auch die sozialen Aspekte des Lernens. (HOFFMANN in PÄD Forum 6/98, Nicht jedem das Gleiche - aber jedem das Seine 22 Jahre Praxis in der Lerndiagnose und Lernförderung)

Zur Erstellung der LEB werden intensive Gespräche geführt, dazu werden verschiedene Daten zur Auswertung herangezogen: Teamsitzungen mit Beratungen über fächerübergreifende Lernziele, Tutorengespräche, Lernhefter (Tests, Freiarbeitsmaterialien, Kommentare zur Mitarbeit, Selbsteinschätzungen aus den Tischgruppenabenden). Ein Team von 2-3 LehrerInnen, die einen Großteil des Fachunterricht abdecken, beraten über den Aussageschwerpunkt des LEB. (HOFFMANN in PÄD Forum 6/98, Nicht jedem das Gleiche - aber jedem das Seine 22 Jahre Praxis in der Lerndiagnose und Lernförderung) Die LEB bestehen aus drei Teilen:

1. Zusammenarbeit und Besonderheiten der Tischgruppe
2. individueller Teil, der auf die einzelnen SchülerInnen eingeht
3. SchülerInnenbericht über eigene Lernerfahrungen.

Der LEB ist sehr zeitaufwendig, aber durch die intensive Auseinandersetzung wirkt sich diese Arbeit auch positiv auf Veränderungen in Unterricht und Erziehung aus.

Das ungute Gefühl, das sonst bei Leistungsbewertungen hochkommt, wird hier nach Aussagen der LehrerInnen vermieden oder vermindert. (HOFFMANN in PÄD Forum 6/98, Nicht jedem das Gleiche - aber jedem das Seine 22 Jahre Praxis in der Lerndiagnose und Lernförderung)

- Lernentwicklungsbericht in der Bielefelder Laborschule

Am Ende des Schulhalbjahres werden die „Berichte zum Lernvorgang“ ausgegeben und intensiv von den SchülerInnen gelesen, denn sie enthalten mehrere Seiten, die ihnen und ihren Lernprozessen und -ergebnissen der letzten Wochen und Monate gewidmet sind. Die Berichte sind kein endgültiges Urteil, denn, wenn die Lernenden nicht mit bestimmten Beschreibungen einverstanden sind, haben sie die Möglichkeit, sich mit ihren LehrerInnen über eine Änderung zu verständigen. (VON DER GROEBEN in Pädagogik 2/96, Gemeinsam lernen und individuell bewerten? Zum Umgang mit der Leistungsmessung in der Bielefelder Laborschule)

Bei der Formulierung der Berichte tritt der Lehrer / die Lehrerin nicht in den Hintergrund wie bei einer Ziffernzensur, sondern ein Verhältnis zum / zur Lernenden wird deutlich. Ein kommunikativer Prozeß findet statt. (VON DER GROEBEN in Pädagogik 2/96, Gemeinsam lernen und individuell bewerten? Zum Umgang mit der Leistungsmessung in der Bielefelder Laborschule)

Eine mehrperspektivische Betrachtung wird durch den Bericht ermöglicht: Bezugspunkte für den Lehrer / die Lehrerin sind z.B. das individuelle Leistungsvermögen, die Gruppe, die Sache. Die Berichte bestehen aus:

- einem Portrait der Gruppe (denn das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile)
- einem individuellen Bericht, der aber auch soziale Kontexte berücksichtigt

(BAMBACH, 1994, VON DER GROEBEN in Pädagogik 2/96, Gemeinsam lernen und individuell bewerten? Zum Umgang mit der Leistungsmessung in der Bielefelder Laborschule)

Heide BAMBACH (1994) schreibt ihren SchülerInnen Berichte in Briefform. Es wird deutlich, wie wichtig ihr die Entwicklung jedes einzelnen Kindes ist. Nicht eine Rubrik nach der anderen wird „abgehandelt“, sondern wichtige Ereignisse und Entwicklungen werden in den Mittelpunkt gerückt.

Tobias, einem Junge, der große Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens hatte, schreibt sie am Ende des vierten Schuljahres:

„ Auch das Lesen hast Du geschafft! Plötzlich war es da - nach all den jahrelangen Mühen. Du kannst etwas, das mancher Erwachsene mühsam trainieren muß, nämlich beim bloßen Überfliegen eines Textes wissen, was ungefähr drinsteht. Auf diese Weise hast Du Dir - unterstützt durch das sehr genaue Studium von Abbildungen - ein außergewöhnlich hohes Sachwissen (zum Beispielüber Indianer und Delphine und Wale) zusammengelesen; Dein großes Vorwissen aus Filmen hat den Sinn des Gelesenen gestützt. Jeder, der Dich diskutieren und erklären hört, mußDich für eine wahre Leseratte halten. Großgedruckte Buch- oder Übungstexte kannst Du jetzt auch genau Wort für Wort richtig lesen;... “ (S.81)

Bei dieser Beschreibung wird deutlich, was Tobias erreicht hat und wo er im nächsten Schuljahr weiter machen kann.

Ein wichtiges Ereignis war für Steffen offensichtlich ein Klassenfahrt:

„ Lieber Steffen,

Du hast in diesem Schuljahr mehrere große und wichtige Selbstüberwindungen geschafft: Zum Beispiel hast Du Dich entschlossen, mit der Gruppe nach Emsdetten zu fahren, zum Beispiel hast Du inzwischen Mut, Deine eigenen Texte in der Versammlung vorzulesen und erträgst die ,Sagen und Fragen ‘ hierzu mit Gelassenheit.

Die Tage in Emsdetten hast Du unbeschwert und ohne Heimweh verbracht. Bis kurz vor der Fahrt war zu befürchten, daßDu Dich weigern würdest mitzufahren;... “ (S.194) Mit Hinblick auf subjektive Wichtigkeit für Schüler und Lehrerin wurde hier ein Ereignis im Schulleben an die erste Stelle des Zeugnisses gestellt, das bei eine(m) andere(n) überhaupt nicht erwähnt werden muß.

In den Bericht der Bielefelder Laborschule werden auch immer zwischenmenschliche Dinge aufgenommen:

„ Die Rechenmappe, die Du für Kalle erfunden und gezeichnet hast, ist für ihn weitaus reizvoller als die gedruckten Schulbücher. Und die Tatsache, daßer mit Deinen Aufgabenstellungen gut zurechtkommt, zeigt, wie gut Du Dich in Kalles Schwierigkeiten hineingedacht hast. “ (S. 210)

„ In der Gruppe gibt es viele Kinder, denen Du ganz besonders lieb bist. Und ganz sicher helfen die Dir gerne, mit den Anforderungen zurechtzukommen. Ralf z.B. ist ein sehr, sehr geduldiger und geschickter Helfer beim Rechnen, und er kann Deine Hilfe bei Rechtschreibübungen gebrauchen. Und Helen ist ein Mädchen, das besonders gut nachempfinden kann, wie es in Dir drinnen aussieht. “ (S.231)

(BAMBACH, 1994)

6.5. Gesetzliche Grundlagen und pädagogischer Spielraum zur Leistungsbewertung in Sachsen-Anhalt

Nach Einblicken in die Thematik der Leistungsbewertung komme ich nun zu den gesetzlichen Grundlagen in Sachsen-Anhalt, die wie in anderen Bundesländern auch Spielräume zulassen, die ich gern Abschnitt für Abschnitt aufzeigen möchte.1

Zusätzlich zu den verwendeten Erlassen, werden in den Gesamtkonferenzen der einzelnen Schulen Beschlüsse zur Leistungsbewertung gefaßt, die bei meinen Überlegungen keine Berücksichtigung finden. Die gefaßten Beschlüsse müssen für Eltern und SchülerInnen durchschaubar sein.

Von den SchülerInnen werden im Verlauf eines Schuljahres verschiedene freiwillige oder verlangte Leistungen erbracht. Die Leistungen werden zu Zeugnisnoten zusammengefaßt.

„ Die Notengebung ist eine pädagogische Ermessensentscheidung des Lehrers. “ (Runderlaß des MK vom 25.05.1994)

Zunächst geht aus diesem Abschnitt hervor, daß in Sachsen-Anhalt eine Notengebung erforderlich ist. Es müssen auch in den Zeugnissen Noten erteilt werden.

Der für mich wichtigste Satz ist das vorstehende Zitat: Letztendlich liegt die Entscheidung über eine Note im Ermessen der LehrerIn.

6.5.1. Leistungsnachweise

Unter Leistungsnachweisen versteht man zensierte Klassenarbeiten und andere Formen der Überprüfung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten. Die Leistungsnachweise dienen der Erfüllung von vier Funktionen:

1. Rückmeldung für die SchülerInnen
2. Rückmeldung für den / die LehrerIn (evt. Veränderung des Unterrichts)
3. Bericht für die Erziehungsberechtigten
4. Grundlage für die Bewertung der SchülerInnenleistungen

Anforderungen sind so zu stellen, daß „ auch die Fähigkeit, Wissen anzuwenden sowie die auf fundiertem Wissen beruhende Fähigkeit zu selbständigem Denken und begründetem Urteil nachgewiesen werden muß. “ (Runderlaß des MK vom 25.05.1994) Dieser Anforderungsbereich soll mit ansteigender Klassenstufe zunehmen.

In Sachsen-Anhalt müssen von den SchülerInnen Leistungsnachweise erbracht werden, die verschiedene Funktionen erfüllen sollen. Zensuren für diese Leistungsnachweise können, wie schon in der vorherigen Diskussion deutlich wurde, diese Funktionen nicht erfüllen. Besonders die Rückmeldung für die SchülerInnen (aber auch für die Eltern) sollte mehr beinhalten als eine Zensur: Konkrete Hinweise, was bei einem Leistungsnachweis gut gelungen ist, was als nächstes in Angriff genommen werden kann sind eine pragmatischere Rückmeldung.

Eine reine Faktenabfrage ist in den Leistungsnachweisen nicht gefragt, das heißt, daß Formen der Leistungsnachweise gefunden werden müssen, in denen ganzheitliche Aufgabenstellungen erfüllbar sind.

- Klassenarbeiten

Alle SchülerInnen einer Klasse oder eines Kurses fertigen Klassenarbeiten unter gleichen Bedingungen und unter Aufsicht an. Normalerweise müssen Klassenarbeiten eine Woche vorher angekündigt werden.

Die Anforderungen der Klassenarbeiten können den gesamten behandelten Unterrichtsstoff umfassen, der Schwerpunkt sollte aber auf dem Unterrichtsstoff der letzten Unterrichtswochen liegen und möglichst eine abgeschlossene Unterrichtseinheit umfassen. Die vorliegende Leistung in den Klassenarbeiten muß ohne fremde Hilfe erbracht sein. In einer Gruppenarbeit muß der individuelle Beitrag eines Schülers /einer Schülerin deutlich erkennbar und bewertbar sein.

Die Bewertung erfolgt an den allgemeinbildenden Schulen der Schuljahrgänge 3 bis 10 in ganzen Noten nach dem Sechs-Noten-System.

Klassenarbeiten sind umgehend zu korrigieren. In jeder Arbeit werden Rechtschreib-, Interpunktions- und Grammatikfehler anzustreichen. Auf Formmängel sollte ebenfalls hingewiesen werden. Alle Korrekturen müssen so vorgenommen werden, daß sie den SchülerInnen Hinweise auf gelungene Teile und Schwächen sowie Fehler geben, damit sie Anhaltspunkte für weiteres Lernen erhalten.

Die korrigierte und benotete Arbeit wird besprochen, und die Bewertungskriterien werden erläutert. Bei minderjährigen SchülerInnen erhalten die Erziehungsberechtigten zu Hause Einsicht in die Arbeit (mit Notenspiegel versehen). Sie haben auch ein Recht auf Erläuterung der Bewertungskriterien.

Für Klassenarbeiten als Leistungsnachweise gibt es die umfangreichsten Bestimmungen, aber davon sollte man sich nicht abschrecken lassen, denn auch hier gibt es pädagogischen Spielraum. Klassenarbeiten sind offensichtlich dafür da, damit SchülerInnen individuelle Leistungen zeigen können, aber es können auch Gruppenarbeiten angefertigt werden. Alle SchülerInnen sollen die gleichen Bedingungen zum Anfertigen einer Klassenarbeit erhalten.

„Gleiche Bedingungen“ sind jedoch meines Erachtens interpretierbar:

Es könnte z.B. heißen, daß alle SchülerInnen die Arbeit dann schreiben, wenn sie sich bereit dazu fühlen. So könnten die SchülerInnen bestimmen, wann sie sich genug mit einem Thema befaßt haben, um dann eine Klassenarbeit zu schreiben.

Es könnte auch heißen, daß alle SchülerInnen die Arbeit schreiben, wenn sie sich ausgeruht und gesund fühlen, was wieder unterschiedliche Zeitpunkte zur Folge hätte.

Die SchülerInnen dürfen keine unerlaubten Hilfsmittel verwenden. Aber es ist nicht festgelegt, welche Hilfsmittel zu den erlaubten zählen und welche nicht. Es spricht also bei einem Diktat nichts dagegen, den SchülerInnen Wörterbücher zur Verfügung zu stellen. So können sie die Wörter nachschlagen, bei denen sie sich unsicher sind. - Von mir verlangt ja auch niemand, daß ich diese Arbeit ohne Wörterbuch schreibe. Sinnvoll ist es natürlich für die LehrerIn zu wissen, welche Wörter nachgeschlagen wurden, um daraus eventuelle Fördermaßnahmen abzuleiten.

Möglich ist es auch, eine Vielzahl von Hilfsmitteln, z.B. zum Lösen einer Matheaufgabe zur Verfügung zu stellen und den SchülerInnen die Entscheidung zu überlassen, ob sie diese Hilfsmittel benutzen - oder nicht. Außerdem sollten sie ihr Arbeitsheft und auch ihr Mathematikbuch verwenden können.

Außerdem ist natürlich zu sagen, daß das, was für die Korrekturen im Hinblick auf Rechtschreibung, Form etc. gilt, auch für die gesamte Arbeit gelten sollte, nämlich, daß die SchülerInnen Hinweise zu gelungenen Teilen und Schwächen erhalten (dazu kann auch der intraindividuelle Maßstab verwendet werden).

„Bewertungskriterien“ sind auch nicht automatisch für alle gleich, nur müssen die angewandten Bewertungskriterien für die Eltern und SchülerInnen deutlich werden.

Das Sechs-Noten-System ist verbindlich, aber das heißt nicht, daß der gesamte Rahmen (nach unten) ausgeschöpft wird:

LehrerInnen finden Wege, um dem Elend der Zensurengebung zu entgehen:

„ Sofort machbar ist erstens: Ich kappe das untere Drittel unserer Skala. Fünfen und Sechsen werden nicht einmal mehr gedacht Daßein Lehrer Fünfen und Sechsen austeilen müsse, steht nirgends geschrieben. Ich halte die Meinung für falsch, wenn man sechs Ziffernkärtchen in seinem Punktrichterkasten habe, müsse man auch alle ziehen “ (SENNLAUB, 1980, S.102 / 103)

„ Diesmal haben drei der Meinen „ mangelhaft “ in der Mathe-Arbeit. Drei von 32 sind nicht

viele? Es sind fast zehn Prozent. Ein veritabler Mißerfolg meines Lehrens und ihres Lernens. ... Wer zwingt mich eigentlich, mich zum Gefangenen dieser bestußten Skala zu machen? Wer zwingt mich sie an Kindern zu exekutieren? Vier Tage lang während der Freiarbeit setze ich mich mit den Dreien jeweils 20 Minuten zusammen, erkläre undübe mit ihnen. Dann schreiben sie die Arbeit noch einmal. Diesmal klappt es. Seither gibt es keine Fünfen und Sechsen mehr. Im Falle des Falles steht gar keine Note darunter, und das heißt: Das machen wir noch mal! “ (SENNLAUB 1983, S.139 / 140)

- andere Formen der Leistungsnachweise

Die anderen Formen der Leistungsnachweise werden vom Lehrer / von der Lehrerin „ in freier Einschätzung “ (Runderlaß des MK vom 25.05.1994) bewertet; auch hier sollen die Kriterien der Notengebung transparent gemacht werden.

- Haus- und Kurzarbeiten

Hausaufgaben werden in der Regel nicht benotet, sie sollten aber anerkannt werden und bei der Beurteilung der Schülerleistung mit einfließen. Die Anzahl und die Art der Durchführung der Haus- und Kurzarbeiten wird in die Verantwortung des Lehrers / der Lehrerin gelegt.

- Mündliche Leistungsnachweise

Zu den mündlichen Leistungsnachweisen zählen alle spontanen oder auf Verlangen erbrachten mündlichen Äußerungen von SchülerInnen während einer Unterrichtsstunde oder einer Unterrichtssequenz. Die Bewertung mündlicher Leistungen von SchülerInnen, die sich im Unterricht nicht beteiligen, kann erst erfolgen, wenn sie zur Beteiligung aufgefordert wurden. Transparenz in der Notengebung sollte auch hier gewährleistet sein.

„ Auch bei der Bewertung der mündlichen Leistung sind die drei Anforderungsbereiche Reproduktion, Transfer und problemlösendes Denken zu berücksichtigen. Das bedeutet, daßLeistungen im jeweils höheren Anforderungsbereich entsprechend zu würdigen sind. Das bedeutet aber auch, daßder Unterricht grundsätzlich so angelegt sein muß, daßalle drei Anforderungsbereiche entsprechend dem Entwicklungsstand der Schüler berücksichtigt werden. “ (Runderlaß des MK vom 25.05.1994)

- Fachspezifisch-praktische Leistungsnachweise

Die Leistungsnachweise werden vorwiegend in Sport, aber auch in musischen, praktischen sowie experimentellen Fächern gefordert. Eine Überbewertung der metrisch meßbaren Leistungen ist zu vermeiden. Bei der Ermittlung der Noten für das Stoffgebiet werden die „ individuellen Leistungsvoraussetzungen, der Lernfortschritt sowie das soziale Lernverhalten pädagogisch “ (Runderlaß des MK vom 25.05.1994) berücksichtigt. Die Stoffleistungsnote kann um maximal 1 Note angehoben oder gesenkt werden.

Bei den „anderen Formen der Leistungsnachweise“ habe ich als Lehrkraft eine freie Hand: Hier kann ich gemäß meinen Vorstellungen von Gleichberechtigung und Demokratie in der Schule mit den SchülerInnen über Art und Weise der Leistungsnachweise und deren Bewertung verhandeln. - Letztendlich müssen jedoch auch hier Noten erteilt werden, aber ein anzuwendender Maßstab ist auch hier nicht obligatorisch. Ich kann mich auch und gerade hier am intraindividuellen Maßstab orientieren. Wenn ich so verfahre, muß ich natürlich die Eltern darüber informieren, wie die Noten zustande kommen, damit klar ist, warum z.B. am Ende der Grundschulzeit trotz guter Noten nicht der Besuch des Gymnasiums empfohlen wird.

6.5.2. Grundschule

Den SchülerInnen wird das Recht auf Leistungsfeststellung eingeräumt. Die Leistungsfeststellung erfolgt in der Verantwortung der unterrichtenden LehrerInnen. In der Grundschulzeit sind Leistungsmessung und -bewertung wichtige Mittel, um SchülerInnen zu ermutigen und bei ihnen eine positive Lernhaltung zu entwickeln.

Das erste Notenzeugnis wird am Ende der 2. Klasse (mit Noten in einigen Fächern) erteilt. Die Anfangszeit in der Grundschule soll dazu genutzt werden die Freude am Lernen zu entwickeln und die SchülerInnen an die Anforderungen der Schule zu gewöhnen. Vor dem ersten Notenzeugnis erhalten die Kinder - auch um der Informationspflicht gegenüber den Eltern genüge zu tun - einen Bericht mit sachlichen Aussagen über Arbeitsund Sozialverhalten sowie Aussagen über die Leistungen.

Dazu gehören folgende Einzelbereiche:

a) „ Verhaltensbereich;

Aussagen zum Verhalten gegenüber Mitschülern, Lehrern und zum Umgang mit Gegenständen und Sachen;

b) Arbeitsbereich;

Aussagen zum Arbeitsverhalten in der Klasse, in der Gruppe und bei Einzelarbeit, z.B.über Ausdauer, Aufmerksamkeit und Sorgfalt;

c) Lernbereich;

Aussagenüber die Leistungsfähigkeit des Schülers, z.B.über Sprachverständnis und Rechenfertigkeiten.

Weitere, insbesondere für die Eltern wichtige Informationen können hinzugefügt werden. “

(Runderlaß des MK vom 29.07.1993)

Im ersten Notenzeugnis erfolgt außer den Noten für einige Fächer ein Bericht über die Leistung in den übrigen Fächern sowie außerdem der Bericht über Arbeits- und Sozialverhalten.

In den Klassen 3 und 4 sollen vielfältige Formen der Leistungsmessung angewendet werden. Die Bewertung der Leistungen soll dann auch dazu dienen, den SchülerInnen konkrete Möglichkeiten zur Leistungsverbesserung aufzuzeigen.

Klassenarbeiten werden in den ersten beiden Schuljahren nicht geschrieben. In der 3. und 4. Klasse werden die SchülerInnen langsam an diese Form der Leistungsnachweise herangeführt. Das betrifft die Fächer Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachunterricht; eine Bearbeitungszeit von 45 Minuten darf nicht überschritten werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Anzahl der vorgeschriebenen Klassenarbeiten in der Grundschule

In den Schuljahrgängen und den Fächern, in denen Leistungsnachweise in Form von Klassenarbeiten erbracht werden, geht das Ergebnis der Klassenarbeiten bis zu 50% in die Note des Jahreszeugnisses ein.

In der ersten Grundschulzeit kann ich ohne Einschränkungen die Ziele des Offenen Unterrichts verfolgen, da ich den SchülerInnen keine Noten erteilen muß und die Leistungsbewertung auf Freude am Lernen abzielen soll. Die SchülerInnen erhalten einen Lernbericht, den ich im Sinne der vorher genannten Lernentwicklungsberichte verfassen kann.

Klassenarbeiten brauche ich nur in Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachunterricht schreiben zu lassen. Halte ich Klassenarbeiten für eher kontraproduktiv, orientiere ich mich an der Mindestanzahl. Denke ich, daß eine größere Anzahl den einzelnen Arbeiten den Schrecken nimmt, kann ich die maximale Anzahl ausschöpfen.

Für die Zeugnisnote werden die Noten der Klassenarbeiten mit bis zu 50% berücksichtigt. Ich habe aber auch die Möglichkeit sie mit 20 oder 30% zu berücksichtigen.

In der Grundschule habe ich als LehrerIn große Freiheiten, wichtig ist nur, sie auch zu nutzen.

6.5.3. Förderstufe

Leistungen im wahlobligatorischen Unterric ht werden nicht bewertet.

Während der Projektwochen behandelte Inhalte sollen in die Leistungsbewertung aufgenommen werden. Während der Projektwochen sind keine Klassenarbeiten zu schreiben. Nach Abschluß der Projektwochen können die Inhalte Teil einer Kla ssenarbeit werden oder sie werden in „ andere Formen der Leistungsnachweise “ (Runderlaß des MK vom 25.05.1994) einbezogen.

Die Bearbeitungszeit für Klassenarbeiten liegt in der Regel bei 45 Minuten; In Deutsch (Aufsatz) kann die Bearbeitungszeit auch 2 Unterrichtsstunden betragen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Anzahl der vorgeschriebenen Klassenarbeiten in der Förderstufe

Projektwochen bieten meiner Meinung nach einen guten Anlaß, um Pflichtklassenarbeiten zu reduzieren. Ein Thema, das handelnd und in seinen Zusammenhängen erfahren wurde, verspricht eine erfolgreiche Bearbeitung des Klassenarbeitsthemas (besonders in Hinblick auf eine persönliche Stellungnahme).

6.5.4. Sekundarschule

Für LehrerInnen besteht die Möglichkeit (besonders im 5. Schuljahrgang), SchülerInnen, die lese- und rechtschreibschwach sind „ vor allem im Fach Deutsch Hilfe und Unterstützung bei schriftlichen Leistungsnachweisen zu geben,... “ (Runderlaß des MK vom 29.07.1993) Dazu können FachlehrerInnen „ im Einzelfall differenzierte Aufgaben stellen, mehr Zeit einräumen oder von der Benotung absehen und die Arbeit mit einer Bemerkung versehen, die den Lernstand bzw. Lernfortschritt aufzeigt und den Schüler zur Weiterarbeit ermutigt. “

(Runderlaß des MK vom 29.07.1993)

In Fremdsprachen wird besonders im 1. Halbjahr der 7. Klasse ein ähnliches pädagogisches Handeln empfohlen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Anzahl der vorgeschriebenen Klassenarbeiten in der Sekundarstufe

In den Fächern, in denen 2 oder mehr Arbeiten im Schuljahr geschrieben worden sind, gehen die Klassenarbeitsergebnisse mit 40 - 60% in die Gesamtnote ein. In den Fächern, in denen nur eine Klassenarbeit geschrieben wurde höchstens zu 50%.

Eine individuelle Aufgabenstellung und Leistungsbewertung ist für SchülerInnen mit LeseRechtschreibschwäche ist ausdrücklich erlaubt und sollte auch genutzt werden. - Nicht nur im Fach Deutsch und in den Fremdsprachen.

6.5.5. Sonderschulen

- Schule für Lernbehinderte

Für die Leistungsbewertung werden fachspezifische Lernkontrollen herangezogen, diese können mündlich oder schriftlich erfolgen.

- Grundstufe

Klassenarbeiten sind in der Grundstufe nic ht vorgesehen. In den Schuljahrgängen 1 - 4 stützt sich die Leistungsbewertung hauptsächlich auf Beobachtungen der SchülerInnen. Im 3. und 4. Schuljahr sollen die SchülerInnen an kurze schriftliche Lernkontrollen (höchstens 30 Minuten) herangeführt werden. Eine Zensierung der schriftlichen Lernkontrollen setzt erst im 2. Halbjahr des 3. Schuljahrganges ein. Dabei sollen Umfang, Anforderungsgrad und Anzahl der schriftlichen Lernkontrollen zunehmend größer werden.

Für das pädagogische Vorgehen gilt für die Grundstufe in der Schule für Lernbehinderte das gleiche wie für das Vorgehen in der Grundschule: ungehinderte Praktizierung offener Unterrichtsformen. - Jedoch für die gesamte Grundstufe, da „kurze, schriftliche Lernkontrollen“ nicht den Anforderungen von Klassenarbeiten entsprechen müssen.

- Mittel- und Oberstufe

Ab dem 5. Schuljahrgang werden vermehrt schriftliche, zensierte Lernkontrollen geschrieben. In den Jahrgängen 5 bis 9 darf der zeitliche Umfang von schriftlichen Lernkontrollen 2 Unterrichtsstunden nicht überschreiten.

In anderen Fächern / Fachbereichen als den angegebenen sollen keine schriftlichen Lernkontrollen erfolgen.

Abbildung 6: Anzahl der zensierten schriftlichen Lernkontrollen in der Schule für Lernbehinderte

Leistungsbewertung muß zur Ableitung sonderpädagogischer Fördermaßnahmen führen. Und andersherum sollen die Ergebnisse sonderpädagogischer Fördermaßnahmen in die Leistungsbewertung aufgenommen werden.

Bei der Leistungsbewertung soll Ermutigung der SchülerInnen im Vordergrund stehen; erst nachrangig wird der Leistungsstand eines Schülers / einer Schülerin in Hinblick auf Versetzung und Abschluß bewertet.

Da bei der Leistungsbewertung sonderpädagogische Fördermaßnahmen und Ermutigung der SchülerInnen im Vordergrund stehen sollen, kann hier meiner Meinung nach nur der intraindividuelle Maßstab zur Leistungsbewertung angewendet werden.

- Schule für Geistigbehinderte

Die individuelle Lernentwicklung steht sowohl bei Planung und Durchführung des Unterrichts in der Schule für Geistigbehinderte als auch bei der Leistungsbewertung im Vordergrund.

Von der Schule sind über die einzelnen SchülerInnen Beobachtungsbögen zu führen, die Beobachtungen in Unterrichtssituationen und in freien, ungelenkten Situationen enthalten sollen, außerdem werden Arbeitsergebnisse aus verschiedenen Lernbereichen gesammelt. Ziel ist eine Lernstandsbeschreibung in den Bereichen Verhalten, Arbeit und Lernen. Dabei ist von den individuellen Förderplänen auszugehen, besonders, da die Zusammenfassung der SchülerInnen in Unter-, Mittel, und Oberstufe nach Alters-, nicht nach Entwicklungsstufen geschieht.

Die Formen der Leistungsbeurteilung sollen den SchülerInnen und Erziehungsberechtigten geeigneter Weise deutlich gemacht werden.

In der Schule für Geistigbehinderte kann ich im Sinne einer rückmeldenden Bewertung individuelle Lernentwicklungsberichte schreiben.

- Sonstige Sonderschulen

„ Form und Anzahl der Leistungsfeststellungen und Leistungsbeurteilungen werden von pädagogischen Gesichtspunkten bestimmt. “ (Runderlaß des MK vom 29.07.1993)

Sonstige Sonderschulen richten sich bei Klassenarbeiten in den entsprechenden Schuljahrgängen grundsätzlich nach den Vorgaben der Regelschulen.

Entsprechend der Art der Behinderung sollen bei Klassenarbeiten dieäußeren Bedingungen, insbesondere Dauer, etwaige Pausen oder gegebenenfalls zusätzliche Hilfsmittel, so gestaltet werden, daßNachteile auf Grund der Behinderung nach Möglichkeit ausgeglichen werden. “

(Runderlaß des MK vom 25.05.1994)

Vorrangiges Ziel ist es, durch Leistungsfeststellung und -beurteilung Lernbereitschaft und ein positives Selbstbild zu fördern.

Die Leistungsbeurteilungen erfolgen individuell. Mit zunehmendem Alter und Bildungsgang erfolgt die Orientierung am angestrebten Schulabschluß.

Der Unterricht muß eine ausreichend große bewertungsfreie Zeit beinhalten.

In den übrigen Sonderschulen gilt auch grundsätzlich Ermutigung und Lernfreude durch die Leistungsbewertung zu erreichen, d.h., daß ich hier (noch) mehr pädagogischen Freiraum als in den entsprechenden Regelschulformen, da ich mich ja im Zweifelsfall nur „zunehmend“ den Anforderungen der Regelschulen annähern muß.

Literatur

Bambach, Heide: Ermutigungen. Nicht Zensuren., Lengwil am Bodensee, Libelle Verlag, 1994

Bambach, Heide, Barnitzky, Horst, von Ilsemann, Cornelia, Otto, Gunter: Prüfen und Beurteilen zwischen Fördern und Zensieren, Seelze, Friedrich Jahresheft XIV, 1996

Bendler, Alfred: Leistungsbeurteilung in offenen Unterrichtsformen Qualität ohne Lernkontrolle?, In: Pädagogik 3/95, S. 10 - 13

Dethlefs, Beate, Christiane: Projektunterricht in der gymnasialen Oberstufe Erfahrungen mit Leistungsbewertung und Ergebnissicherung, In: Pädagogik 7-8/98, S. 17 - 22

Herzog, Roman: Fördern durch Fordern, In: lernchancen 1/98, S. 4/5

Hoffmann, Bernd: Nicht jedem das Gleiche - aber jedem das Seine 22 Jahre Praxis in der Lerndiagnose und

Lernförderung, In: PÄD Forum 6/98, S.255

Ingenkamp, Karlheinz (Hg.): Die Fragwürdigkeit der Zensurengebung Texte und Untersuchungsberichte , 8. Auflage, Weinheim, Basel, Beltz Verlag, 1989

Jürgens, Eiko: Leistungserziehung durch pädagogische Beurteilungsprozesse, In: Grundschule 2/96, S. 8 - 11

Jürgens, Eiko: Leistung und Beurteilung in der Schule Eine Einführung in Leistungs- und Bewertungsfragen aus pädagogischer Sicht, 3. unveränderte Auflage, Sankt Augustin, Academia Verlag, 1997

Land Brandenburg: Verbale Beurteilung in der Grundschule Berlin, Union-Druckerei GmbH, 1993

Preuß, Eckhardt: Leistungserziehung, Leistungsbeurteilung und innere Differenzierung in der Grundschule - Bausteine modernen Grundschularbeit - Anregungen und Hilfen, Bad Heilbrunn, Klinhardt, 1994

Roeder, Peter M.: Binnendifferenzierung im Urteil von Gesamtschullehrern, In: Zeitschrift für Pädagogik, 2/97, S. 241 - 259

Runderlaß des MK vom 28.07.93: Leistungsbewertung an allge meinbildenden Schulen und Schulen des Zweiten Bildungsweges, SVBl. LSA, S. 371

Runderlaß des MK vom 29.07.93: Leistungsbewertung an allgemeinbildenden Schulen und Schulen des Zweiten Bildungsweges, SVBl. LSA, S. 375

Runderlaß des MK vom 25.05.1994: Leistungsbewertung an allgemeinbildenden Schulen und Schulen des Zweiten Bildungsweges, SVBl. LSA, 7/94

Schöler, Jutta: Integrative Schule - Integrativer Unterricht, Reinbek, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1993

Simoneit, Max: Fort mit der Schulzensur Das Beurteilen von Schülerleistungen, Berlin, Verlag Bernard & Graefe, 1952

Stolle, Günther: Wie sag ich’s... Überlegungen zur Rolle der Sprache beim Zeugnisschreiben, In: Grundschule 2/96, S. 21 - 23

von der Groeben, Annemarie:Gemeinsam lernen und individuell berwerten? Zum Umgang mit der Leistungsmessung in der Bielefelder Laborschule, In Pädagogik 2/96, S. 26 - 30

Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht Ratgeber für Eltern und Lehrer, Reinbek, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1991

7. Zusammenfassung

Schule braucht immer wieder Veränderungen, um verschiedene Anforderungen zu erfüllen, aber besonders, um den Bedürfnissen ihrer SchülerInnen zu entsprechen. Offener Unterricht­ zeigt einen Weg hierfür.

Die Ziele des Offenen Unterrichts­ zu verfolgen, stellt sich als nicht ganz einfache, aber auch nicht unmögliche Aufgabe dar. Durch eine Gestaltung des Unterrichts mit Phasen der Gemeinsamkeit und Phasen der Individualisierung kann ich den sozialen und individuellen Bedürfnissen der SchülerInnen gerecht werden. Dabei gibt es keine Patentrezepte, aber der feste Wille, den SchülerInnen verhandlungsbereit und offen gegenüberzutreten, ist eine durch nichts zu ersetzende Grundvoraussetzung.

Diskussionen um Formen des Offenen Unterrichts­ werden am heftigsten geführt, wenn es um die Fragen der Leistungsfeststellung und Leistungsbewertung geht. Dabei steht oft allen Reformbewegungen im Unterricht entgegen, daß im Vordergrund die Leistungen stehen, die quantitativ abprüfbar sind oder scheinen.

Dagegen steht ein Leistungsbegriff, der als Produkt aus ungezwungenem Lernen, schöpferischer Aktivität, Verantwortlichkeit sowie Selbständigkeit erwächst und der unbedingt einen ausschließlich verbal-kognitiven Leistungsbegriff vervollständigen muß.

Um Leistungen zu bewerten, ist Transparenz wichtig. Der / die LehrerIn muß Bewertungskriterien offenlegen und einsehbar machen. Diskussionen und Einwände sind erlaubt. SchülerInnen lernen auch, sich anhand bestimmter Kriterien ein Urteil über die eigene Leistung zu bilden. Um nicht ganz die Forderung nach Objektivität aus den Augen zu verlieren, die ja - bei der Kritik an den Zensuren gezeigt - vielen Einflüssen unterliegt, ist es notwendig, umfangreiche Beobachtungen durchzuführen, Arbeitsergebnisse zu sammeln und die SchülerInnen zu Selbstbeurteilungen zu veranlassen.

In Sachsen-Anhalt komme ich als LehrerIn (zumindest der höheren Klassen) um Notengebung nicht herum, obwohl Zensuren als Mittel der Leistungsbewertung offensichtlich ungeeignet sind. Wenn von mir ausdrücklich Ziffernzensuren verlangt werden, heißt das nicht, daß ich nicht trotzdem Berichte schreiben kann und sollte, (vgl. auch SCHÖLER, 1993) um den SchülerInnen eine echte Rückmeldung über ihre Leistungen zu ermöglichen. Dies kann z.B. in Form eines persönlichen Briefes geschehen.

Auch habe ich die Möglichkeit in einem partnerschaftlichem Klima in der Klasse auch meine Misere zu erläutern. Ich kann klar machen, daß ich nicht der Ansicht bin, mit der Erteilung von Noten eine gerechte Beurteilung zu erreichen und daß ich, wenn ich den intraindividuellen Maßstab in der Leistungsbewertung anlege, daß dann eine 2 bei einem Schüler / einer Schülerin etwas anderes bedeutet als bei einem / einer anderen.

Ganz wichtig ist es, die eigene pädagogische Freiheit weitestgehend auszunutzen, dazu muß man die gesetzlichen Grundlagen genau kennen und den Mut haben, diese nach den eigenen Zwecken zu deuten.

Nicht klar ist es, wie ich, wenn ich Noten für einzelne Fächer geben muß, fächerübergreifende Ziele mit in die Bewertung mit eingehen lasse: Geht z.B. Kooperationsbereitschaft nur in die Note des Faches Fach Deutsch ein - oder in alle Fächer?

Geht man vom individuellen Lernfortschritt aus, erteilt man möglicherweise eine 1, wenn ein Fortschritt erreicht wurde. Oder doch nur eine 2, damit der Schüler / die SchülerIn die Möglichkeit hat, sich weiter zu steigern als ich es vorhergesehen habe? Wie ermittle ich die „Stufe der nächsten Entwicklung“? Schätze ich die Leistungsfähigkeit meiner SchülerInnen zu gering ein, erhalten sie gute Noten, ohne tatsächlich Fortschritte zu erzielen. Schätze ich die Leistungsfähigkeit meiner SchülerInnen zu hoch ein, sind schlechte Noten die Folge. Was ich bei einem Schüler / einer Schülerin tun soll, wenn es zu einem deutlichen Leistungsabfall kommt, so daß auch mit dem intraindividuellen Maßstab nicht möglich ist Erfolge zu verzeichnen? Wenn ein(e) SchülerIn womöglich unter einer Hirnatrophie leidet und davon auszugehen ist, daß er / sie jeden Tag weniger leisten kann?

Trotz Schwierigkeiten und offener Fragen, kann für mich eine Realisierung des Offenen Unterrichts­ nicht unversucht bleiben, nur weil ich meine, daß dafür einige Rahmenbedingungen nicht günstig sind. Mit einer optimistischen Haltung - und was die Leistungsbewertung und ihre gesetzlichen Grundlagen angeht: einer kreativen Interpretation - kann ich mich auf den Weg machen.

Ich erhalte sogar von unerwarteter Stelle Rückendeckung, denn in den Stellenanzeigen der Wirtschaft finden sich immer wieder Ausschreibungstexte wie der folgende:

„ Neben der qualifizierten Ausbildung erwarten wir ein hohes Maßan Selbständigkeit, analytischem Denkvermögen und Eigeninitiative sowie Bereitschaft zur Teamarbeit. “

Das heißt also, daß Fachkenntnisse nur das absolute Minimum der Anforderungen an die BewerberInnen sind, darüber hinaus werden immer wieder die sogenannten Schlüsselqualifikationen abgefragt. Diese finden sich in veränderter Form in Zielen des Offenen Unterrichts wieder: Methodenkompetenz, Sozialkompetenz, Ichkompetenz - Fachkompetenz wird ja als gegeben vorausgesetzt. (BECK in Pädagogik 2/96, Schlanke Produktion, Schlüsselqualifikationen und schulische Bildung)

Auch die Frage der Leistungsbewertung wird dabei angerissen:

„ Was spricht bei Gruppenarbeit gegen gemeinsame Noten? “ (P. HAASE, Personalchef bei VW, in Der Spiegel 23/92, S.53)

Allerdings beziehen sich Aussagen führender Wirtschaftsvertreter hauptsächlich auf die Ausbildung von Abiturienten, die später im hohen und mittleren Management eingesetzt werden sollen. Häufig verstehen einzelne Unternehmen unter Begriffen wie „Kreativität“, „Kooperation“ oder „Teamgeist“ ganz andere Dinge als Pädagogen. (TILLMANN in Pädagogik 6/93, „Leistung muss auch in der Schule neu definiert werden“ Ein neuer Reformdialog zwischen Pädagogik und Wirtschaft?)

Literatur

Beck, Herbert: Schlanke Produktion, Schlüsselqualifikationen und schulische Bildung, In: Pädagogik 2/96, S. 13 - 15

Schöler, Jutta: Integrative Schule - Integrativer Unterricht, Reinbek, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1993

Tillmann, Klaus-Jürgen: „Leistung muss auch in der Schule neu definiert werden“Ein neuer Reformdialog zwischen Pädagogik und Wirtschaft? In: Pädagogik 6/93, S. 6 - 8

8. Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

9. Anhang

FREIE ARBEIT

Während der Freien Arbeit dürfen sich die SchülerInnen aus einem Angebot von Lernmöglichkeiten in einer vorbereiteten Umgebung etwas auswählen. Sie sind allerdings auch in dieser Zeit verpflichtet, etwas zu tun. Nur haben sie die Möglichkeit, eine eigene Entscheidung zu treffen. Eine einmal begonnene Aufgabe muß zu Ende geführt werden, auch wenn der Weg zum Ziel über Frustrationen führt. Hier wird geübt, die eigene Leistungsfähigkeit einzuschätzen. Es wird deutlich, wenn sich die SchülerInnen zuviel zugemutet haben oder wenn sie die eigene Leistungsfähigkeit unterschätzt haben. Freie Arbeit ist eine Form des schülerzentrierten­ Unterrichts.

FRONTALUNTERRICHT

Frontalunterricht ist ein lehrgangsorientierter Unterricht, bei dem LehrerInnen die Unterrichtssituation durch Demonstrationen und Vorträge gestalten. Die SchülerInnenaktivität ist meist sehr gering. Frontalunterricht ist eine Form von lehrerzentrierten­ Unterricht

LEHRERZENTRIERUNG

Die Planung, Gestaltung und Durchführung des Unterrichts wird von den LehrerInnen vorgenommen. Interaktion zwischen den SchülerInnen (zum Unterrichtsthema) ist eher selten.

OFFENER UNTERRICHT

WALLRABENSTEIN versteht den offenen Unterricht als einen „ ...Sammelbegriff für unterschiedliche Reformansätze in vielfältigen Formen inhaltlicher, methodischer und organisatorischer Ö ffnung mit dem Ziel eines veränderten Umgangs mit dem Kind auf der Grundlage eines veränderten Lernbegriffs. “ (WALLRABENSTEIN, 1991, S.54) Die unterschiedlichen Reformansätze beziehen sich auf bewährte pädagogische Traditionen von PESTALOZZI, MONTESSORI, GAUDIG, PETERSEN, KERSCHENSTEINER, FREINET.

Die inhaltliche Dimension meint, die Öffnung für Inhalte und Erfahrungen aus der unmittelbaren Lebenswelt der Kinder.

Die methodische Dimension umfaßt die Öffnung für neue Lernformen bezieht die Mitgestaltung des Unterrichts durch die Kinder mit ein.

Die organisatorische Dimension bezieht sich auf die Öffnung für veränderte Unterrichtsabläufe und Organisationsformen des Unterrichts wie Freie Arbeit­, Projekte und Wochenpläne. Die Öffnung der Schule erfolgt nicht nur nach innen (durch Veränderung des Unterrichts), sondern genauso nach außen, d.h. zu ihrer Umwelt hin.

PROJEKT

Das ist ein „ konkretes, zeitlich und räumlich von anderen abgrenzbares Geschehen, das bei einem Problem seinen Anfang nimmt und mit dessen Lösung endet. “ (HÄNSEL, 1988)

Projekte helfen, soziale Regeln des Miteinander-Lernens zwischen dem einzelnen und der Gruppe zu entwickeln. Sie erlauben Kindern durch die Fülle der praktischen Möglichkeiten, individuelle Neigungen und Interessen zu folgen. Sie führen zu neuen, in Lehrplänen nicht enthaltenen Erkenntnissen und Wissenszusammenhängen. Sie fördern die Fähigkeit, auch andere als die eigenen Perspektiven, Erfahrungen und Meinungen zu einem Lerngegenstand zu akzeptieren. Sie fordern aktives Lernen heraus und ermutigen zur Selbstgestaltung der Arbeit. Das Projekt ist eine Art von schülerzentriertem­ Unterricht.

SCHÜLERZENTRIERUNG

Schülerzentrierung meint die Hinwendung zu den Interessen und Bedürfnissen der SchülerInnen. Überall, wo Inhalte von SchülerInneninteresse geleitet werden, wo Methoden ermöglicht werden, die eine hohe Eigenaktivität erlauben, dort finden wir einen schülerzentrierten Unterricht.

WERKSTATTUNTERRICHT

Wenn der Klassenraum, eine sinnvolle Form der Aneignung, der Beobachtung, des Begreifens, des Tätigseins und des Nachdenkens beim Schüler / bei der Schülerin motiviert, wird sein Werkstattcharakter deutlich. Es gibt offenen Lernzonen sowie spezielle Lernecken (z.B. Leseecke, Kartenregale, Spielecke, Klassendruckerei, Forschertische, Experimentier- ecke, Kochecke, Pflanzenecke). Hier gilt es, daß die SchülerInnen gemeinsam den Klassen- beziehungsweise Lebensraum planen und gestalten. Der Schulraum wird dadurch „ihr“ Erlebnisort, mit dem sie sich identifizieren können. Werkstattunterricht ist eine Art von schülerzentriertem­ Unterricht.

Erklärung

Ich versichere, daß ich die Arbeit selbständig verfaßt und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.

Braschwitz, den 12.01.1999

(Stefanie Plener)

[...]


1 alle weiteren Zitate aus diesem Buch erfolgen ebenfalls im Schriftschnitt Fett Kursiv

1 Meine Kommentare sind in der Schriftart Times New Roman geschrieben. Alle Informationen, die in der Schriftart Tahoma geschrieben sind, geben die folgenden Erlasse wieder:
- Runderlaß des MK vom 28.07.93: Leistungsbewertung an allgemeinbildenden Schulen und Schulen des Zweiten Bildungsweges, SVBl. LSA, S. 371
- Runderlaß des MK vom 29.07.93: Leistungsbewertung an allgemeinbildenden Schulen und Schulen des Zweiten Bildungsweges, SVBl. LSA, S. 375
- Runderlaß des MK vom 25.05.1994: Leistungsbewertung an allgemeinbildenden Schulen und Schulen des Zweiten Bildungsweges, SVBl. LSA, 7/94

Fin de l'extrait de 91 pages

Résumé des informations

Titre
Zum Spannungsfeld Individualisierung, Leistungsbewertung und soziale Gemeinschaft in heterogenen Lerngruppen
Université
Martin Luther University  (Institut für Rehabilitationspädagogik)
Cours
Institut für Rehabilitationspädagogik
Auteur
Année
1998
Pages
91
N° de catalogue
V95801
ISBN (ebook)
9783638084796
Taille d'un fichier
750 KB
Langue
allemand
Mots clés
Spannungsfeld, Individualisierung, Leistungsbewertung, Gemeinschaft, Lerngruppen, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg, Institut, Rehabilitationspädagogik
Citation du texte
Stefanie Plener (Auteur), 1998, Zum Spannungsfeld Individualisierung, Leistungsbewertung und soziale Gemeinschaft in heterogenen Lerngruppen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95801

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