DIE SIMPSONS - Die erfolgreichste Zeichentrickserie aller Zeiten und ihre kritische Betrachtung der amerikanischen Medien


Trabajo de Seminario, 1998

33 Páginas, Calificación: 1


Extracto


Inhalt:

1. Einleitung

2. Beschreibung der Serie
2.1 Die Serie
2.2 Die Charaktere
2.2.1 Die Familie
2.2.2 Die übrigen Bewohner Springfields
2.3 Die Hintergründe
2.4 Sonstiges zur Serie

3. Die behandelten Themen
3.1 Gewalt und Fernsehen
3.1.1 Itchy & Scratchy
3.1.2 Inhalt der Simpsons-Folge
3.1.3 Der Bezug zur Forschung
3.1.4 Die Darstellung in der Serie
3.2 Konstruktion medialer Wirklichkeit
3.2.1 Inhalt der Simpsons-Folge
3.2.2 Der Bezug zur Forschung
3.2.3 Die Darstellung in der Serie
3.2.4 Stellungnahme
3.2.5 Eine weitere Folge

4. Abschluß

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In modernen Comedy-Serien werden immer wieder ernste und teilweise auch umstrittene oder brisante Themen angesprochen. Auch die amerikanische Zeichentrickserie Die Simpsons bildet diesbezüglich keine Ausnahme. Auffällig ist hier der Sarkasmus und die Ironie, derer sich diese Serie bedient und so auf humoristische Art und Weise Themen anschneidet, die vor allem auch aus medienpädagogischer Sicht interessant sind. Beispiele für solche Themen sind „Gewalt und Medien“ oder „Medien als Instrumente der Wirklichkeitskonstruktion“.

Dabei ist von Interesse, wie diese Themen behandelt werden, welche Standpunkte und Argumente jeweils hervorgebracht werden, und welches Fazit in einer Zeichentrickserie aus diesen Themen gezogen wird. Diesbezüglich stellt sich die Frage, inwiefern sich die in der Serie angesprochenen Argumente mit der Diskussion des entsprechenden Themas in der medienpädagogischen Forschung decken.

Bei der Fernsehserie Die Simpsons handelt es sich um ein umfangreiches Produkt. Zum besseren Verständnis des Humors, mit dem sich diese Serie mit den Themen auseinandersetzt, ist ein Maß an Vorkenntnissen über Inhalte und Hintergründe vorteilhaft. Diese sollen im folgenden kurz vermittelt werden.

2. Beschreibung der Serie

2.1 Die Serie

Die Simpsons ist eine Zeichentrick-Fernsehserie, produziert wird sie von Gracie Films für Twentieth Century Fox und das Fox Network. Ort der Handlung ist die amerikanische Kleinstadt Springfield. Im Mittelpunkt der Serie steht die Familie Simpson und deren Erlebnisse. Rund um die Familie gibt es eine Vielzahl weiterer Charaktere, die genau wie die Familie selbst ein fester Bestandteil der Serie sind. Die Serie läßt sich in die Sparte Comedy einordnen.

Ein großer Anteil der Witze erfordert mediale und soziale Vorbildung, z. B. wenn Filme parodiert oder Persönlichkeiten aus Medien oder der Geschichte karikiert werden. Dementsprechend ist als Zielgruppe der Serie ein älteres Publikum anzunehmen, das über eine relativ hohe Allgemeinbildung verfügt. Aber auch für Kinder und Jugendliche ist die Serie, hauptsächlich wegen der situationskomischen Umsetzung, attraktiv.

Die Serie startete am 19. April 1987 als eine Reihe von kurzen Zwischeneinspielungen (auch “bumpers” oder “shorts” genannt) für “The Tracey Ullman Show”, eine amerikanische Late Night Show.

Die Produktion an der eigenständigen Fernsehserie Die Simpsons begann im April 1989. Am 17. Dezember desselben Jahres hatten die erste 25minütige Episode TV-Premiere, und ab dem 14. Januar 1990 wurde die Serie jeden Sonntag im Vorabendprogramm ausgestrahlt.

In Deutschland wurden die Simpsons Anfang der 90er Jahre zunächst wöchentlich im ZDF ausgestrahlt, inzwischen laufen sie täglich auf Pro 7.

Heute gelten Die Simpsons als die erfolgreichste amerikanische Comedy-Serie. Sie schaffte es, die Cosby-Show als die beliebteste Fernsehshow Amerikas abzulösen; und mit bisher 229 Episoden in 10 Staffeln sind Die Simpsons die Zeichentrickserie mit den meisten Folgen. Bei der 49. Emmie -Award Verleihung im vergangenen Jahr wurden Die Simpsons in drei Kategorien mit dem begehrten Fernsehpreis ausgezeichnet, und im nächsten Jahr werden Die Simpsons mit einem eigenen Stern auf dem “Walk of Fame” in Hollywood verewigt.

Die Simpsons stellen einen karikaturesken Schnitt durch die amerikanische Bevölkerung dar. Jede soziale Schicht und Randgruppe findet man in dieser Serie “verarbeitet”. Ereignisse und Charaktere werden in ihrer sozialen Bedeutung oft in übersteigerter Form gezeigt. Auf den ersten Blick erscheint die Serie vulgär und gewaltverherrlichend, aber gerade dieses Groteske ist es, was die außergewöhnliche Individualität der Serie ausmacht, der man erst auf den zweiten Blick ansieht, wie genau sie durch Ironie viele Themen unserer modernen Gesellschaft auf den Punkt bringt.

2.2 Die Charaktere

2.2.1 Die Familie

Die Familie Simpson verkörpert eine amerikanische Durchschnittsfamilie der unteren Mittelklasse. Sie besteht aus 6 Mitgliedern, Vater, Mutter, drei Kindern, wovon eines noch ein Baby ist, und dem Großvater. Während der Großvater in einem Altenheim untergebracht ist, bewohnt der Kern der Familie ein bescheidenes Eigenheim in einem Vorstadtviertel.

Der Vater - Homer J. Simpson

Homer ist etwa 40 Jahre alt, er erfüllt mit 1,83 Meter die durchschnittliche Körpergröße und gehört mit knapp 120 kg auch zu den 20 Prozent der übergewichtigen Amerikanern. Er hat das College besucht, aber nie abgeschlossen. Er arbeitet als Sicherheitsinspektor im örtlichen Kernkraftwerk und hat umgerechnet ein Bruttomonatseinkommen von 2736,48 DM. Er ist mit seinem Leben zufrieden. Er ist faul und gefräßig, liegt am liebsten mit einer Dose Bier und eine Tüte Chips vor dem Fernseher. Er ist nicht sehr intelligent und wird oft als Versager dargestellt, der aber trotz seines Ungeschicks ungünstige Situationen immer wieder zu seinen Gunsten wenden kann.

Die Mutter - Marjorie “ Marge ” Simpson, geb. Bouvier Marge ist Hausfrau und hat mit den drei Kindern viel zu tun. Sie war auch auf dem College, hat es aber im Gegensatz zu ihrem Mann abgeschlossen. Die Geburt ihres ersten Kindes änderte ihre beruflichen Pläne. Auch sie ist im großen und ganzen glücklich mit ihrem Leben. Sie ist die perfekte Mutter, auch wenn die Bemutterung den Kindern manchmal zu viel wird. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes Homers “bessere Hälfte”. Sie ist gläubig und der allsonntägliche Kirchgang ist für sie selbstverständlich. Weiterhin ist sie sehr pflichtbewußt und besieht viele Dinge realistischer als ihr Mann. Ohne sie wäre Homer “aufgeschmissen”, denn sie umsorgt ihn wie eines ihrer Kinder.

Der Erstgeborene - Bartholomew Jo-Jo Simpson, “ Bart ”

Bart ist zehn Jahre alt und ein Anarchist. In der Schule fällt er wegen seiner schlechten Leistungen genau so sehr auf wie wegen seines provokanten Benehmens und seiner Streiche. Er ist frech, vorlaut und kann schlecht mit Autoritäten umgehen. Er hält sich selbst für dumm, seine mangelhaften Zensuren sind aber wohl eher auf Faulheit und Desinteresse zurückzuführen. Er ist sogar ein recht aufgeweckter Junge und zeigt dann viel Einsatz, wenn ihn etwas wirklich interessiert. Er mag Comics und Süßigkeiten, und hat ansonsten in seiner Art sehr viel Ähnlic hkeit mit seinem Vater. Sein großes Vorbild ist der Fernseh-Clown Krusty, den er verehrt.

Das “Sandwich-Kind” - Lisa Simpson

Lisa ist mit Abstand die intelligenteste in der Familie. Sie ist mit ihren acht Jahren anders als ihre Altersgenosse. Sie verbringt ihre Zeit in der Bibliothek, ist sehr belesen und gebildet. Sie ist sogar überdurchschnittlich intelligent und “lebt” fürs Lernen. Sie ist wie ihre Mutter sehr pflichtbewußt und für ihr Alter erstaunlich selbständig. Ihre große Leidenschaft ist das Saxophonspielen, was sie mit Eifer betreibt. Manchmal leidet sie unter ihrer Intelligenz, und sie fühlt sich von allen anderen isoliert. Dabei spielt auch eine Rolle, daß sie das mittlere Kind ist, ein sog. “Sandwich-Kind”.

Das Baby - Margeret “ Maggie ” Simpson

Maggie ist erst knappe zwei Jahre alt. Sie spricht nie ein Wort und kann ohne ihren Schnuller nicht leben. Den Schnuller hat sie in jeder Einstellung im Mund; in einer Folge gar holt sie sich den vorher weggenommenen Schnuller unter großem Risiko zurück.

Der Großvater - Abraham “ Ape ” Simpson

Abraham ist Homers Vater. Er ist senil und redet oft wirr, weshalb ihn die Familie nicht ernst nimmt. Seine Frau hat ihn bereits in den 60ern verlassen, weil sie eine Friedensaktivistin war und in den Untergrund abtauchen mußte. Der Großvater ist ein Querulant, darum versucht die Familie, so wenig Zeit wie möglich mit ihm verbringen zu müssen.

2.2.2 Die übrigen Bewohner von Springfield

Neben den Mitgliedern der Simpsons Familie gibt es eine Reihe anderer Charaktere, die das Bild dieser Kleinstadt bedeutend prägen.

Die wichtigsten dieser Figuren möchte ich an dieser Stelle nur kurz umreißen:

Familie Flanders - Die Nachbarn der Simpsons

Die Flanders sind die übertrieben gläubigen Nachbarn der Simpsons. Der Glaube steht im Mittelpunkt ihres Lebens. Sie befolgen die christlichen Glaubenssätze sogar strenger als der Pfarrer der Stadt. Ihnen geht es materiell besser als den Simpsons, ihr Leben folgt geordneteren Bahnen.

Patty und Selma - Marges Schwestern

Patty und Selma sind zwei alte Jungfern. Sie leben zusammen und sind Kettenraucherinnen. Sie verabscheuen Homer und versuchen einen Keil zwischen Marge und Homer zu treiben.

Mr. Burns - Der Besitzer des Atomkraftwerks

Er ist ein alter Mann, der es aufgrund seiner Skrupellosigkeit zu Reichtum gebracht hat. Er ist jedoch körperlich unfähig, das Alltagsleben ohne Hilfe zu bewältigen.

Wyland Smithers - Mr. Burns’ Assistent

Er hilft Mr. Burns in allen Lebenslagen und ist ihm treu ergeben. Auf seine Homosexualität wird in der Serie zwar überaus deutlich hingewiesen, aber nie ausgesprochen. So wird beim Zuschauern eine Erwartungshaltung induzierten, jedoch wird es in der Serie bewußt vermieden diese Vermutung zu bestätigen.

Chief Wiggum - Der Polizeichef

Er ist extrem inkompetent und übergewichtig, wie alle Polizisten der Serie.

Krusty der Clown - Ein Fernsehclown

Er ist der lokale Star im Kinderfernsehen. An seiner Figur werden oft kritische Reflexionen über das Fernsehen festgemacht.

Kent Brockman - Der Nachrichtensprecher

Er ist der lokale Nachrichtensprecher und Sensationsjournalist.

Mr. Skinner - Der Schuldirektor

Er ist mit 42 Jahren noch Jungfrau, kann seine Erlebnisse in Vietnam immer noch nicht vergessen, läßt sich von seiner Mutter tyrannisieren, bei der er noch lebt. Er ist ein Pedant und ist übermäßig bestrebt, bei möglichen Besuchen des Oberschulrats einen guten Eindruck zu machen.

Moe - Der Barkeeper

Er ist der geizige Barkeeper in Homers Stammkneipe. Er ist falsch und redet schlecht über Leute hinter deren Rücken, auch über Homer.

Barney Gumble - Homers Trinkbruder

Barney ist ein alter Freund von Homer. Er ist permanent alkoholisiert und stets in Moe’s Bar anzutreffen. Ansonsten scheint er keiner weiteren Beschäftigung nachzugehen.

Marvin Monroe - Der Psychologe

Er ist angesehener Psychologe, der gern von jedermann zu Rate gezogen wird.

“ Itchy & Scratchy ” - Das Serienäquivalent zu “Tom und Jerry”

Itchy und Scratchy (zu Deutsch: “jucken und kratzen”) ist eine Zeichentrickserie in der Serie, in der die Maus, Itchy, und die Katze, Scratchy, sich gegenseitig “bis aufs Blut bekriegen”. In der Regel versucht die Maus die Katze ohne jeglichen Grund auf möglichst brutale Art und weise zu töten, was ihr auch mit Erfolg gelingt. Die Katze ist dabei meist unschuldig, und wird nur selten aus Notwehr gewalttätig.

Die Kinder in der Serie idolisieren diese Zeichentrickserie, die gelegentlich auch zur Selbstreflexion der Serie dient.

Bemerkenswert bei den Simpsons sind die Konsequenz und die Genauigkeit, die den Charaktern der Figuren zugrunde liegen. Jede Figur hat einen ganz spezifischen Charakter, an dem sie zu identifizieren ist. Dies war jedoch nicht von vorn herein in diesem Maße festgelegt. Die Persönlichkeiten der Figuren unterlagen im Laufe der Folgen einem ständigen aber geradlinigen Entwicklungsprozeß.

2..3 Die Hintergründe

Matt Groening, der geistige Vater der Simpsons, bestätigte in einem Fernsehinterview mit Oprah Winfrey persönlich die alte Legende, daß er diese Familie in ca. 15 Minuten erfunden habe, und zwar während er im Vorzimmer von James L. Brooks' wartete, dem heutigen Produzenten der Fernsehserie.

Groening gab dem Vater der Familie den Namen seines eigenen Vaters, gleichermaßen hat die Mutter der Simpsons, Marjorie, den gleichen Spitznamen, Marge, wie Groenings Mutter Margeret, nach der außerdem auch die jüngste Tochter der Simpsons, Maggie, benannt ist.

Der Name Bart als Abkürzung für Bartholomew stellt ein Anagramm für das englische Wort “brat” dar, was sinngemäß so viel wie “rotzfrecher Lümmel” bedeutet, und den Charakter dieser Figur auch überaus trefflich beschreibt.

Weiterhin hat Groening auch nicht willkürlich eine Stadt namens Springfield als Schauplatz der Zeichentrickserie ausgewählt.

Zum einen fiel die Wahl auf Springfield, weil Springfield einer der am meisten vorkommenden Städtenamen in den USA ist. Außerdem hieß die Stadt, in der die Familie Anderson in der SitCom Father Knows Best wohnte, auch Springfield.

2.4 Die Vorgehensweise

Im folgenden sollen nun exemplarisch einige der in den Simpsons behandelten Themen vorgestellt werden, die für die Medienpädagogik bedeutend sind. Dabei wird von Interesse sein, wie diese Themen in der Zeichentrickserie präsentiert werden und wie das Thema erörtert wird. Dann sollen diese Themen aus der aktuellen medienpädagogischen Sicht betrachtet werden und abschließend soll unter dem Aspekt der daraus gewonnen Kenntnisse die Art der Darstellung in der Serie bewertet werden.

3. Die behandelten Themen

Wie bereits erwähnt, werden in den Episoden immer wieder brisante gesellschaftliche Themen angesprochen. Eines dieser kontroversen Themen, Gewalt und Fernsehen, soll Gegenstand der Untersuchung sein.

3.1 Gewalt und Fernsehen

Eine Folge, in der das Thema “Gewalt und Fernsehen” behandelt wird, ist die 22. Folge “Das Fernsehen ist an allem Schuld”4. Diese soll Grundlage der folgenden Untersuchungen sein.

3.1.1 Itchy & Scratchy

Wie bereits angesprochen, existiert innerhalb der Simpsons eine Zeichentric kserie “Itchy & Scratchy”. Diese Zeichentrickserie persifliert die “Tom & Jerry” Cartoons. Jedoch bestehen bei “Itchy & Scratchy” einige Unterschiede zu ihrer Vorlage. Zum einen ist die Katze in den “Tom & Jerry” - Cartoons darauf aus, die Maus zu fangen, wogegen sich die Maus aber stets zu helfen weiß. Bei “Itchy & Scratchy” fügt die Maus der Katze scheinbar grundlos Gewalt zu. Bei den “Itchy & Scratchy” Cartoons hingegen, die in den Simpsonsfolgen mit großer Regelmäßigkeit zu sehen sind, jagt die Maus die unschuldige Katze wie es scheint aus purem Sadismus. Außerdem kommt bei “Tom & Jerry” oft zum Ausdruck, daß zwischen der Katze und der Maus eine Haß-Liebe besteht. Das ist bei “Itchy & Scratchy” nicht der Fall, hier handelt es sich um reinen Haß.

Zum anderen treten sich Tom & Jerry mit einem großen Gewaltpotential. Allerdings bleiben selbst die extremsten Gewaltanwendungen für die Figuren stets ohne größere Folgen. Außer einer Beule oder einem verrußten Gesicht und einem versenkten Schwanz fügen sie dem Gegner keine Verletzungen zu. Im Gegensatz dazu bleibt bei “Itchy & Scratchy” die Anwendung roher Gewalt nicht ohne Folgen für die Zeichentrickfiguren, sondern das Zeigen von Blut, Gedärmen und abgerissenen Gliedmaßen sind für die “Itchy & Scratchy” Cartoons der Simpsons charakteristisch.

Die Kinder in der Simpsons-Serie vergöttern die Cartoons. Sie sind von den gezeigten Gewaltakten begeistert und lachen über sie. Dabei heroisieren sie die hinterlistige Maus. Sehr auffällig ist, daß nicht nur der freche Bart diese Serie mag, sondern auch die Streberin Lisa. Trotz ihrer extrem pazifistischen Einstellung, die ihr z.B. verbietet, Fleisch zu essen, amüsiert sie die Serie.

3.1.2 Der Inhalt der Folge 22

Diese extrem gewalttätige Zeichentrickserie wird in der Folge 22 dazu benutzt, das Thema “Gewalt und Fernsehen” aufzugreifen.

Dabei steht folgendes Ereignis im Mittelpunkt: Das einjährige Baby Maggie sieht in einem

“Itchy & Scratchy” Cartoon, wie die Maus auf die Katze einschlägt. Daraufhin schlägt Maggie ihren Vater mit einem Hammer nieder.

Die besorgte Mutter erkennt die Parallelen zur Zeichentrickserie und startet eine Kampagne gegen die Serie. Mit einem öffentlichen Protest erreicht sie, daß jegliche Form von Gewalt aus der Serie entfernt wird. Die Katze und die Maus machen sich von nun an Geschenke, und sind nett zueinander. Dies hat zur Folge hat, daß die Kinder das Interesse an der Serie verlieren. Sie entdecken die anderen Schönheiten der Welt wieder, und spielen bspw. in der Natur.

Doch als die Öffentlic hkeit, gegen eine Ausstellung von Michelangelos David protestiert, weil es sich bei der nackten Statue um Pornographie handle, spricht sich Marge Simpson gegen ein Verbot aus, da es sich um Kunst handle. Dabei erkennt sie bei sich selbst einen logischen Widerspruch in ihrer Argumentation. Ihrer Ansicht nach handelt es sich bei dem nackten David um Kunst, bei Itchy und Scratchy aber um sinnlose Gewalt. Als sie ihren eigenen Widerspruch öffentlich anerkennt, wird die Ausgangssituation der Folge wiederhergestellt, die Trickserie behält ihre alte Brutalität.

3.1.3 Der Bezug zur Forschung

Zunächst ein Blick auf die Schlüsselszene, in der die Diskussion ihren Lauf nimmt, der sog. “plot point”: Marges Schlußfolgerung würde auch in der Wirklichkeit als Argument gegen Gewalt in Film und Fernsehen hervorgebracht werden. Es scheint für sie offensichtlich, daß Kinder aggressive und gewalttätige Verhaltensmodelle, die ihnen im Fernsehen gezeigt werden, imitieren. Es gibt Zahlen, die besagen, daß ein Kind zwischen dem 5. und dem 14. Lebensjahr ca. 16.000 Mal am Bildschirm miterlebt, wie ein Mensch über einen anderen mit Gewalt siegt oder ihn gar tötet (Reinhard Abeln 1989, S. 18 ff.). Immer wieder liest man erschreckende Nachrichten von Jugendlichen, die Morde begangen haben, welche aufgrund des Tathergangs oder sogar aufgrund der Täteraussagen in direkten Zusammenhang mit bestimmten Horrorfilmen gebracht werden.

In Anbetracht solcher Tatsachen scheint ein direkter Zusammenhang zwischen der Verbreitung von Mediengewalt und gewalttätigen Handlungen von Jugendlichen und Kindern, wie ihn einzelne Wissenschaftler postulieren, unumstößlich (vgl. Glogauer 1993, S. 115). Neue Erkenntnisse und Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben jedoch gezeigt, daß es sich bei der Proble matik der Mediengewalt um ein weitaus komplexeres Wirkungsfeld handelt, als man meinen mag. Die Resultate der Forschung zeigen, daß Kausalitätszuschreibungen nach dem Motto “weil das Kind das-und-das im Fernsehen gesehen hat, hat es so-und-so reagiert” bei weitem nicht so einfach sind, wie Glogauer oder auch Abeln (Abeln 1989) es suggerieren. (vgl. Heinz Moser 1995 S.165 ff.)

An dieser Stelle ist es wichtig, einen grundlegenden Trend zu erwähnen, der sich auf die allgemeine Verarbeitung von Medienerlebnissen bezieht und sich in den letzten Jahren herausgebildet hat. Die neueren qualitativ-methodologischen Forschungsansätze betonen nämlich stärker als die früheren quantitativ-empirischen Ansätze, “daß die Rezeption von Medienereignissen kein passiver Vorgang ist, sondern spezifische kognitive, emotionale und soziale Verarbeitungsleistungen von Seiten des Rezipienten erfordert.” (H. Moser 1995, S.144) Mit anderen Worten: Man geht heutzutage mehr als früher davon aus, daß ein Rezipient nicht bloß passiv von einem Medienerlebnis beeinflußt wird, sondern daß alles Erlebte nur dann bedeutungsvoll wird, wenn der Zuschauer ihm von seinem persönlichen Standpunkt aus aktiv eine Bedeutung zuweist. Die Rezeption von Medienereignissen wird vielmehr als Interaktionsprozeß gesehen und weniger als bloße Reaktion auf ein Signal.

So fand beispielsweise die Forschungsgruppe um Charlton/Neuman 1990 im Rahmen qualitativer Untersuchungen mit ihrer “strukturanalytischen Rezeptionsforschung” heraus, daß sich bereits Vorschulkinder häufig der Medien als “soziale Regulatoren” bedienen. Damit ist gemeint, daß Kinder Medien gezielt nutzten, um ihre aktuelle soziale Situation zu beeinflussen. Es wurden also Nutzungsstrategien für den Mediengebrauch bei Kindern festgestellt, “die meist unbewußt realisiert werden, aber faktisch eine Neugestaltung der Interaktion mit sich bringen”. (H. Moser, S.147, 1990)

Diese Erkenntnis von der aktiven Rolle des Rezipienten ist wichtig, wenn man beispielsweise die Wirkung von gewalttätigen Verhaltensmodellen in den Medien wie im folgenden untersuchen will.

In Zusammenhang mit unserem Beispiel stellt sich unter dieser Prämisse nämlich die Frage nach den Gründen, weshalb ein Rezipient ein gesehenes Ereignis auswählt und ihm eine spezifische Bedeutung zuweist. Warum hat das Baby ausgerechnet das Verhalten dieser Szene imitiert?

An dieser Stelle werden die Erkenntnisse der Aggressionsforschung für die Medienforschung interessant. Will man nämlich die Frage erörtern, ob und inwiefern Gewaltmodelle aus den Medien von Rezipienten imitiert werden, so gilt es vor allem herauszufinden, wodurch gewalttätiges Verhalten überhaupt ausgelöst wird.

In der Aggressionsforschung gibt es im Prinzip drei klassischer Ansätze: der triebtheoretische, der lerntheoretische und der frustrationstheoretische. Von diesen Ansätzen ergab sich jedoch keiner allein als ausreichend fähig, das Phänomen der Gewalt bündig zu erklären. Nach einigen konzeptionellen Reformulierungen hat sich im Laufe der Zeit jedoch eine deutliche Hauptströmung herausgebildet, die davon ausgeht, daß aggressives Verhalten aus Umweltfaktoren und Lerneffekten resultiert (vgl. H. Moser 1995 S.166).

Eine oft als atavistisch bezeichnete Hypothese ist die auf triebtheoretischen Voraussetzungen beruhende “Katharsis-Theorie”. Grundlage für diese Theorie bildet die sog. Ventil- oder Dampfkessel-Theorie. Dabei geht man davon aus, daß Aggression ein angeborener Trieb ist. Aufgestaute Aggressionen können sich demnach durch bestimmte Auslöser plötzlich entladen. Auch heute wird noch gern so argumentiert, daß der menschliche Aggressionstrieb mittels eines Verschiebungsmechanismusses auf den Bereich künstlicher Medienrealitäten abgelenkt würde und so auf sozial unschädliche Weise ausgelebt werden könne. Allerdings gibt es eine große Zahl von Ansichten, die gegen die Katharsis-Theorie sprechen, weshalb dieser Erklärungsansatz heutzutage in dieser Form weniger akzeptiert ist.

Eine weiterer Ansatz ist die sog. Frustrations-Aggressions-Hypothese, die, wie der Name schon sagt, auf einem frustrationstheoretischen Ansatz basiert. Auch diese These wurde im Laufe der Zeit einige Male reformuliert und geht - kurz gesagt - davon aus, daß Frustration unter anderem Anreize zu Aggressionen geben kann, die sich dann aber erst durch einen geeigneten Auslöser in aggressivem Verhalten äußern. Aufgrund einer angeblichen Ausuferung der Begriffe „Aggression“ und „Frustration“ wurde dieser These jedoch ein Hang zur Tautologie vorgeworfen (vgl. Kaufmann 1970) und sie gilt als insgesamt recht abgeschwächt.

Auf der Suche nach den Gründen für die Imitation von Gewaltdarstellungen sind die Forschungen des amerikanischen Psychologen Albert Bandura wohl die bekanntesten. Von einem lerntheoretischen Ansatz ausgehend, verfolgte er die Annahme, daß ein Faktor, der das Imitieren von gewalttätigen Verhaltensmodellen mitbestimmen könnte, das sog. Bekräftigungsprinzip ist. D. h. wenn in einem Film Gewaltanwendung deutlich als negativ dargestellt wird, dann neigen Kinder weniger dazu, dieses Verhalten nachzuahmen als bei einer wertfreien oder gar positiven Darstellung. In zahlreichen Experimenten untersuchte Bandura diesen Zusammenhang, wobei er Kindern Filme mit verschiedenen Konsequenzen für aggressives Verhalten zeigte und sie danach beim Spielen beobachtete. Daraus zog Bandura folgendes Fazit: „Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen stützen die Annahme, daß Imitation teilweise abhängig ist von den Verhaltenskonsequenzen für das Modell. Kinder, die Belohnung aggressiver Modelle erlebten, zeigten mehr Aggressionsnachahmung und gaben auch häufiger an, daß sie dem erfolgreichen Aggressor nacheifern würden als die Kinder der zweiten Experimentalgruppe [Bestrafung aggressiven Verhaltens]; letztere ahmten weder das Modellverhalten nach, noch zeigten sie eine Präferenz, dem Modell nachzueifern“ (Bandura u.a. 1973, S.69).

An dieser Stelle setzt auch Grant Nobel ein, der bemängelt, daß die bekannten Grundlagen wie sie z. B. Banduras liefert, stets zu kritiklos übernommen worden seien („In Front of the small Screen“ Banduras 1975). Ein Schwerpunkt seiner Kritik richtet sich dabei gegen die Laborexperimente, mit denen man versuchte, die Auswirkungen von Fernsehgewalt auf Rezipienten zu untersuchen. Die Versuchsanordnungen seien stets im selben Stil von Bandura übernommen worden, ohne dabei abgeändert oder überarbeitet zu werden. Dies schränke die Repräsentativität der Methoden zur Messung von Aggression ein. Weiterhin beanstandet Nobel die oft unnatürliche Untersuchungssituation (Kleinkinder, die getrennt von den Eltern gewalttätige Filme schauen), die Repräsentativität der Versuchspersonen (Mittelstandskinder, Psychologiestudenten), sowie die Repräsentativität der gezeigten Filme, die dem natürlichen Fernsehangebot zu fremd gewesen wären (Noble 1975, S. 133).

Außerdem unterstellt Nobel seinen Kollegen eine Überbewertung des Faktors der Imitation von aggressivem Verhalten. In eigenen Experimenten beobachtete er, daß die Kinder im Spiel kaum mehr als fünf Prozent der Zeit zur Imitation verwendeten, nur acht Prozent um überhaupt etwas Filmbezogenes umzusetzen und in auch nur 19 Prozent der Spielzeit kamen Aggressionen zum Ausdruck.

Ein sehr interessanter Aspekt an Nobles Untersuchungen war, daß er dokumentierte, wie sich verschiedenartig dargestellte Gewalt im Film auf das Spielen der Kinder auswirkte. Dabei unterschied er vier Arten von Gewaltdarstellung: Filme mit realistisch dargestellter Gewalt, in denen das Opfer gezeigt wurde; Filme mit realistisch dargestellter Gewalt, ohne daß das Opfer zu sehen war; Filme mit stilisierter Gewalt, in denen das Opfer gezeigt wurde und schließlich Filme mit stilisierter Gewalt, ohne daß das Opfer zu sehen war.

Dabei beobachtete er, daß Filme, in denen der Blick auf das Opfer nicht versperrt war, die Kinder schocken. Ebenso wirkten die Kinder verstört, die realistisch dargestellte Gewalt gesehen hatten. Die Kinder, die Filme mit stilisierter Gewalt ohne Blick auf das Opfer gesehen hatte, schienen hingegen phantasievoller zu spielen.

So zeigten auch andere Feldexperimente im klaren Kontrast zu den Laborexperimenten, daß aggressive Jungen nach gewalttätigen Filmen weniger aggressiv waren als vorher. Ruhigere Kinder verhielten sich hingegen kaum anders, nachdem sie solche Filme gesehen hatten (H. Moser 1995, S. 171).

Diese Ergebnisse führten Nobel zu einem Rehabilitationsversuch der Katharsis-Theorie. Denn nur die Katharsis-Theorie vernachlässige als einziger Ansatz nicht die Frage nach dem Nutzen, den Rezipienten aus aggressiven Medienmodellen ziehen. Denn nach diesen Erkenntnissen helfen gewalttätige Verhaltensmodelle im Fernsahen Kindern anscheinend dabei, ihre aggressiven Impulse abzubauen.

Eine wichtige Akzentuierung erhält diese Diskussion weiterhin durch die Psychologen George R. Bach und Herb Goldberg, die ebenfalls triebtheoretisch argumentieren. Sie bemängeln die stets destruktive Charakterisierung von Aggression. Außerdem klagen sie an, daß oftmals schon Verhalten als aggressiv interpretiert werde, was eigentlich nur nicht passiv oder zurückhaltend ist. Sie betrachten Aggression als eine notwendige Lebensenergie, die aus gesellschaftlich moralischen Gründen unterdrückt wird, was die Projektion auf andere Ziele zur Folge hat (vgl. Bach/Goldberg 1981, S.15 ff.). Auch wenn Bach und Goldberg teilweise der Argumentation auf einer populärpsychologischen Ebene beschuldigt werden, so ist dieser Ansatz meiner Ansicht nach nicht zu vernachlässigen, da er einen wichtigen Aspekt anspricht: Die Tatsache, daß Aggressivität im Rahmen der Selbstbehauptung gerade bei Kindern nicht unnatürlich ist und deshalb auch nicht negativ zu deuten sein muß.

Keines der klassischen Interpretationsmuster ist also ausreichend. „Die ursprüngliche Annahme eindeutiger und einfach formulierter Gesetzmäßigkeiten zwischen anstoßenden Reizen und damit verbundenen Verhaltenskonsequenzen mußten immer mehr abgeschwächt und differenziert werden. Offensichtlich sind so viele Einflußfaktoren zu berücksichtigen, daß einfache Interpretationsmuster dadurch unterlaufen werden“ (H. Moser 1995, S. 174). Es gibt bei diesen Ansätzen jedoch noch eine weitere Schwierigkeit. „Die bisherige Forschung geht hier nämlich von Automatismen aus, die kaum vom Bewußtsein gesteuert werden.“ (H. Moser 1995, S. 174 )

Im Gegensatz dazu bieten die kognitionstheoretischen Ansätze, aggressives Verhalten zu interpretieren, einen derzeit neuen Forschungszugang. Sie heben die kognitiven Anteile des Verhaltens hervor. D. h. man geht ähnlich wie bei attributionstheoretischen Ansätzen davon aus, daß aggressives Verhalten auf einen Reiz hin durch ein Zutun des Aggressiven ausgelöst wird. In diesem Sinne schlägt Heinz Moser eine Reformulierung der Katharsis-Theorie vor, da man hinter dem Ausleben aggressiver Impulse eine Verarbeitung von Erlebnissen vermuten könnte.

Im Hinblick auf Medienerlebnisse könnten die Verarbeitung aggressiver Verhaltensmodelle so die Wahrscheinlichkeit aggressiver Reaktion senken (vgl. Moser 1995, S. 175). Ein in diesem Rahmen sehr relevantes Interpretationsmodell sind die skripttheoretischen Überlegungen. Diese Theorie basiert auch auf kognitiven Zuschreibungen und lehnt dabei auch weder lern- noch frustrationstheoretiche Ansätze ganz ab.

Die Skript-Theorie geht davon aus, daß soziales Verhalten zu einem großen Teil durch kognitive Skripts bestimmt wird. Mit Skripts sind dabei Verhaltensstrategien und Schemata gemeint, die in unserem Gedächtnis gespeichert werden, und bei Bedarf wieder abgerufen werden können. Vor allem Kinder und Jugendliche speichern ständig Algorithmen für soziale Probleme. Gelernt werden diese Skripts durch Beobachtung des Problem-Löseverhaltens anderer, wobei das Fernsehen eine Hauptrolle spielt.

Sehen Kinder oft Gewalt im Fernsehen, so eine verhaltenstheoretische Betrachtungsweise, könnten dies das Anlegen aggressiver und gewalttätiger Skripts zur Lösung von Problemen verstärken. Je häufiger Kinder solche Skripts anlegen und im Spiel erproben, desto häufiger könnten sie später auf solche Skripts zurückgreifen und desto aggressiver könnten sie später sein (vgl. van Evra 1990, S. 97).

Ein weiterführender Versuch, die Skript-Theorie zu beschreiben, ist die Auffassung von Skripts als eine Art elementare Verhaltensprogramme. Bei dieser stärker kognitivistisch ausgerichteten Skript-Auffassung geht man im Prinzip davon aus, daß alle erlernten Skripts die Gesamtheit unserer Erfahrungen ausmachen. Beobachtbares Verhalten wird dabei nur als Äußerung von Skripts aufgefaßt. Wird man mit einer Situation konfrontiert, so wird ein bereits gelerntes Skript aktiviert, das mit dieser Situation in Zusammenhang steht. Genau so bestimmen Skripts die Verarbeitung und Aneignung neuer Erfahrungen (vgl. Howard Gardner 1993).

Dabei geht man nicht nur davon aus, daß Skripts neu aufgenommen werden, sondern auch daß sie ständig verändert und angepaßt werden. Genau wie es auch sein kann, das ein Skript nie aufgerufen wird. Außerdem setzt man vor die endgültige Aufnahme eines Skripts eine Phase des Probehandelns, in der spielerisch neu gelernte Skripts auf ihre Lösungstauglichkeit für Probleme überprüft werden. Im Hinblick darauf geht man auch davon aus, daß der Lernprozeß von Skripten dem Bewußtsein des Trägers nicht entzogen sein muß.

Alles in allem sieht man, um was für eine komplexe Problematik es sich bei der Untersuchung der Auswirkungen von Mediengewalt handelt.

Die Meinungen gehen immer noch weit auseinander, und trotz oder gerade wegen der neuen Erkenntnisse der letzten Jahre wäre es gewagt, zu pauschale Bewertungen abzugeben. Allerdings resümiert Heinz Moser aus seiner Betrachtung der Entwicklungen in der Aggressionsforschung: „Wenn gewalttätiges Verhalten in Fernsehen und Gesellschaft gehäuft auftritt und als erfolgreiche Problemlösung akzeptiert wird, dürfte dies auch dazu führen, daß entsprechende Skripts für Kinder und Jugendliche attraktiver werden“. Gewalttätige Modelle könnten unter spezifischen Voraussetzungen die Gewaltbereitschaft des Rezipienten aufgrund häufigeren Aufrufens entsprechender Skripts zwar erhöhen, aber häufig würde auf diese Art und Weise Gewalt als Lösung auch verworfen werden.

Außerdem merkt Moser an, daß es billig wäre, „das Fernsehen als Sündenbock zu schelten“ und daß erst noch zu erforschen gelte „[…] auf welche Art und Weise Gewalt im fiktionalen Bereich von den Zuschauern verarbeitet werde“(H. Moser 1995, S. 178 ff.).

3.1.4 Die Darstellung in der Serie

In der betreffenden Folge kann man trotz der humoristischen Auseinandersetzung mit diesem Thema zumindest auf den zweiten Blick einige der oben aufgezeigten Forschungsergebnisse und Interpretationsansätze wiedererkennen. Denn trotz des karikaturesken und stark überspitzten Charakters der Diskussionen innerhalb der Serie läßt sich erkennen, daß grundlegend auf verschiedene Positionen eingegangen wird.

Beispielsweise wird verdeutlicht, daß der lebhafte Bart die gewalttätigen Itchy & Scratchy Trickfilme liebt. Dies deutet den vermuteten kathartischen Effekt an, den auch Grant Noble beobachtete, wenn aggressive Kinder nach dem gucken entsprechender Filme weniger aggressiv waren. Bart scheint im Sinne der Dampfkessel-Theorie diese aggressiven Filmerlebnisse so zu verarbeiten, daß für ihn die Wahrscheinlichkeit aggressiver Reaktionen sinkt. Diesbezüglich auch auffallend ist die gleichermaßen große Vorliebe seiner Schwester Lisa. Sie ist Pazifistin und Vegetarierin hat aber eine ähnliche Vorliebe für diese Filme. Damit erinnert sie an den von Bach und Goldberg betonten Aspekt der Aggression als einer notwendigen Lebensenergie. Sie als Streberin, die mit ihren 8 Jahren bereits Gedichte oder Saxophonspielen zur emotionalen psychischen Hygiene benutzt, unterdrückt ihre Aggressionen im alltäglichen sozialen Miteinander. Auch sie scheint beim Rezipieren der Itchy & Scratchy Cartoons eine Art kathartischen Effekt zu verspüren.

Die kommt besonders in einer Szene zum Ausdruck, als die Mutter Marge den Kindern verbietet die Zeichentrickfilme zu schauen, weil sie sie für zu gewalttätig hält.

Marge: Ihr werdet diese Zeichentrickfilme nicht mehr gucken! Nie mehr!

Lisa: Aber Mom, wenn Du uns diese Zeichentrickfilme wegnimmst werden wir ohne jeglichen Sinn für Humor aufwachsen und Roboter sein.

Bart: Wirklich? Was für Roboter?

Mit dieser Aussage verweist Lisa auf die erwähnte Funktion der Medien als soziale Regulatoren. Denn nicht selten wird in der Fachliteratur ein „entwicklungsförderndes Verstehen“ betont, nachdem Jugendliche beispielsweise dazu tendieren offengelassene Tabuthemen der Erwachsenenwelt aufzugreifen, um selbst erwachsen werden zu können (vgl. Ress 1990, S. 158).

Weiterhin glaubt Marge Simpson nach dem Angriff des Babys auf den Vater einen direkten linearen Zusammenhang zwischen der Verbreitung von Mediengewalt und gewalttätigen Handlungen von Kindern erkannt zu haben.

Marge entscheidet sich einen Brief zu schreiben.

Liebe Macher sinnloser Gewalt,

Ich weiss das wird zunächst verrückt klingen, aber glaube die Zeichentrickfilme die sie unseren Kindern zeigen beinflussen ihr verhalten auf negative Weise. Bitte versuchen Sie die psychotische Gewalt in ihrem ansonsten guten Programm zu verringern.

Mit freundlichen Grüssen, Marge Simpson.

Doch derartig grobschlächtige Schlußfolgerungen verbieten sich in Anbetracht dieses komplexen Themenbereiches.

Mit ihrer These stößt sie dennoch bei anderen Eltern auf fruchtbaren Boden, die diese Zusammenhänge nachvollziehen können. Als sie ihre Ansicht aber letztendlich im Fernsehen vertritt, trifft sie zunächst auf Widerspruch.

Marge wir in die Talkshow ‘Smartline' eingeladen.

Kent: Hallo, ich bin Kent Brockman, und willkommen zu einer neuen Ausgabe von `Smartline'.

Sind Zeichentrickfilme zu gewalttätig für Kinder? Die meissten Leute würden sagen: “Nein, natürlich nicht, was ist das für eine dumme Frage?”

So wird sie auch mit dem von Moser zumindest nicht vernachlässigten Argument konfrontiert, daß das Fernsehen nicht zu pauschal als Sündenbock für gewalttätiges Verhalten von Kindern herangezogen werden sollte.

Nach einem Itchy & Scratchy Cartoon beginnt die Diskussion...

Meyers: Ich habe etwas Nachforschung betrieben und etwas überraschendes herausgefunden... Es gab auch in der Vergangenheit schon Gewalt, lange bevor Zeichentrickfilme erfunden wurden. Kent: Ich verstehe. Faszinierend.

Meyers: Ja, und wissen sie noch was, Kent? Die Kreuzzüge zum Beispiel. Unglaubliche Gewalt, viele Tote, das verdammte Ding ging 30 Jahre!

Kent: Und das war bevor Zeichentrickfilme erfunden wurden? Meyers: Ja, das ist richtig, Kent.

Ein in der Serie zu Rate gezogener Psychologe spielt Marges Befürchtungen ebenso herunter, ohne sich dabei jedoch speziell zu diesem Thema zu äußern.

Dr. Marvin Monroe gibt seinen Senf dazu...

Marvin:Nun, Kent, für mich verblassen die Blödeleien zweier

Zeicehentrickfiguren im Vergleich zu den zermürbenden Problemen mit denen ein Psychater jeden Tag konfrontiert wird. Ich meine Sachen wie Frauen die zu viel Lieben, die Angst vor dem Gewinnen, Sex-Sucht usw..

Aber die pauschale Ablehnung der von Marge geäußerten Bedenken ist nicht so verwunderlich. So warnt beispielsweise Elmar Ress in bezug auf Horrorvideos davor, davon auszugehen, daß Jugendliche dieses Filme mit den gleichen Augen wie Erwachsene sehen würden. Dies würde in der pädagogischen Diskussion zu Entrüstung und Panik führen, und im Ruf nach dem Gesetzgeber Enden. Es wird betont, daß es gelte die unterschiedlichen Bedeutungen zu ermessen, die zum einen Jugendliche und zum anderen Erwachsene diesen Produkten zumessen (vgl. Ress 1990, S. 154 ff.).

Auch auf die moderneren skripttheoretischen Überlegungen wird des öfteren angespielt.

So wenn der Produzent der Itchy & Scratchy Filme nach der von Marge Simpson in Bewegung gebrachten elterlichen Boykottwelle mit seinen Mitarbeitern überlegt, was man tun könne.

Mr. Meyers schaut sich die Aufzeichnung in seinem Büro an, und hält anschliessend eine Besprechung.

Meyers: Der Schneeball Marge Simpson! Wir müssen sie stoppen! Aber wie?

Mann #1: Einen Amboss auf sie fallen lassen?

Mann #2: Ihr ein Klavier auf den Kopf werfen.

Frau: Sie mit TNT vollstopfen, ihr ein Streichholz in den Hals werfen und wegrennen?

Meyers: Alle Eure wohlklingenden Diplome und Titel, und mehr fällt euch nicht ein? Ihr macht mich krank!

Die Mitarbeiter, die Tag für Tag diese Filme produzieren, haben die in den Trickfilmen verwandten Skripte in ihr eigenes Repertoire übernommen. Wenn auch sehr überspitzt dargestellt spricht diese Szene gerade das Fazit Mosers an, der bei einem gehäuften Auftreten gewalttätigen Verhaltens eine gesteigerte Attraktivität dieser Skripte befürchtet.

Ähnliches kommt in einer Szene zum Ausdruck, als der Produzent Marge anruft, um sie nach einer gewaltlosen Lösung für ein Problem zu fragen.

Meyers fragt Marge nach einer nicht-gewalttätigen Lösung für einen Cartoon.

Meyers: [erklärt am Telephon] Itchy hat Scratchy sein Eis gestohlen, und...

Zeichner: Oh, machen Sie ein Kuchen draus. Kuchen sind einfacher zu zeichnen.

Meyers: [zum Zeichner] Okay, einen Kuchen! [zu Marge] Wie auch immer, Scratchy ist verständlicher

Weise aufgebracht.

Marge: Aha.

Meyers: Nun dachten wir uns Scratchy könnte Itchy einfach packen und in ein Fass Säure stossen.

Marge: Könnte Itchy seien Kuchen nicht mit Scratchy teilen? Dann könnten beide Kuchen haben.

Meyers: [geht zum storyboard, überlegt, geht zurück] Es ist anders, das muss ich Ihnen lassen...

Hier wird ebenfalls mit der Befürchtung gespielt, daß bei zu häufigem Erleben von Gewalt als Lösungsmöglichkeit öfters gewalttätige Sequenzen in Skripts eingebaut werden.

Die von Ress angesprochene unterschiedliche Bedeutung, die Erwachsene und Kinder Medienprodukten zumessen, wird auch offensichtlich, als ein „entschärfter“ und gewaltloser Itchy & Scratchy Film gezeigt wird. Das die Kinder kein Interesse an dem gewaltlosen Film haben spricht ebenfalls die von Ress erwähnte Faszination von Tabuthemen an. Dieses Interesse wird danach nicht mehr erfüllt.

Lisa: Es scheint als hätten Itchy und Scratchy ihre Bissigkeit verloren...

Marge: Nun, ich denke es beinhaltet eine Nette Botschaft übers Teilen. Bart: Ich denk das ist für’n Arsch.

Homer wird von Maggie überrascht, aber sie gibt ihm nur ein Glas Limonade (wie zuvor im Trickfilm). Die Kinder geben auf.

Marge: Wollt ihr den nicht den Rest vom Trickfilm gucken?

Bart: Neee. Komm Liz.

Lisa: Vielleicht kann man auf diesem Planeten noch was anderes tun...

Die Szene wiederholt sich vor den Fernsehern der ganzen Stadt (zu den Klängen der ersten 53 Takten von Beethovens 6. Synphonie) verlassen die Kinder die Häuser, reiben sich die Augen, und beginnen glückliche kindertypische Spiele.

Hier kommt auch die erwähnte Phase von Probehandeln zum Ausdruck, die bei der Aneignung von skriptmäßig gebundenen Verhaltensmustern eine Rolle spielen soll. Das Baby Maggie sieht im Trickfilm, daß die Maus der Katze ein Glas Limonade gibt, woraufhin sie Homer ein Glas Limonade gibt. Zusammen mit dem vorangegangene Angriff auf ihren Vater wird durch diese Imitation eines freundlichen Verhaltens nun deutlich, daß sie die gesehenen Modelle imitiert, um sie auf ihren Nutzen hin zu überprüfen.

Etwas außerhalb des Themas befindet sich die Konklusion dieser Folge, als Marge erneut im Fernsehen auftritt, und sich gegen ein Verbot der Ausstellung Michelangelos Davids ausspricht. Der Psychologe Dr. Marvin Monroe argumentiert daraufhin von der künstlerischen Seite her, und kritisiert Marges logischen Widerspruch, wenn sie die eine Form von Freiheit des künstlerischen Ausdrucks anerkennt aber die andere nicht.

Aber auch solche Aspekte werden beispielsweise von Roland Eckert angesprochen, der Gefühle wie „Lust am Grauen“ zu anthropologischen Grundausstattung des Menschen zählt. Die Inszenierung ekelerregender Geschichten hat eine lange Kulturgeschichte, und sogar Aristoteles

stellte schon die magische Anziehungskraft möglichst naturgetreuer Abbildungen widerlicher Kreaturen und Leichnamen fest. So scheint es auch gerechtfertigt zumindest bei bestimmten derartiger Medienprodukte als eine Kunstform reden zu dürfen, obgleich es sich diesbezüglich mit der Akzeptanz in der breiten Masse noch in Maße hält.

3.1.5 Stellungnahme

Alles in allem erkennt man in dieser Folge zumindest für eine Zeichentrickserie eine durchaus umfassende Bearbeitung der Problematik der Mediengewalt. Dieser Folge jedoch eine aufklärerische Intention zuzusprechen würde ich als zu weit gehend empfinden. Ich finde es sogar fraglich, ob die dargestellten Positionen das Resultat themenbezogener Recherchen sind oder vom Autor intuitiv aufgrund seines Allgemeinwissen über diese Problematik verfaßt wurden.

Man könnte zwar geneigt sein einzuwenden, daß diese Diskussion zu oberflächlich behandelt sei, und es sich dabei nur um ein kurzes Ansprechen verschiedenster Aspekte einer komplexen Wissenschaft handelt. Nichts desto trotz finde ich die Auseinandersetzung mit dieser Thematik in einer 20 minütigen Zeichentrickfolge bemerkenswert.

Meiner Ansicht nach zielt diese Folge aber in erster Linie noch auf etwas anderes hinaus. Die gewalttätigen Itchy & Scratchy Cartoons könnten als eine Anspielung auf die Tom & Jerry Zeichentrickfilme zu verstehen sein. Bei genauerem Hinsehen verbirgt sich hinter Tom & Jerry nämlich ein ähnlich geartete Gewalt. Nicht selten kommt es vor, daß Jerry Tom mit einem Schwert in Scheiben schneidet, woraufhin Tom Jerry in der nächsten Szenen schon wieder unversehrt Jagd. Der einzige Unterschied, der zwischen dem Original Tom & Jerry und der Simpsons-Karikatur Itchy & Scratchy existiert, ist die Tatsache das in den Originalen kein Blut zu sehen ist. Auch scheint Itchy eine überspitzte Darstellung von Jerry zu sein, da er die Katze nicht nur wie sein Vorbild gerne ärgert, sondern Spaß daran hat sie möglichst grausam zu töten. Der Hintergrund der Itchy & Scratchy Serie und speziell diese Folge der Simpsons könnten meiner Meinung nach als Anspielung darauf gemeint sein, daß sich Zeichentrickfiguren wie Tom & Jerry, Roadrunner und der Kojote usw. eigentlich nicht mit weniger Gewalt entgegen treten, als ihr Serienäquivalent in den Simpsons. Der einzige Unterschied besteht darin, wie Realistisch die Gewalt dargestellt wird. Und genau wie bei Itchy & Scratchy sind es immer die Sympathieträger (Jerry, Roadrunner, Itchy), die ihren Jägern mit eigentlich noch mehr Gewalt zu Leibe rücken, als diese selbst. Diese Zeichentrickserien verkörpern ein Hochmaß der stilisierten Gewalt, wie sie nach Noble oder auch Moser Kindern helfen sollen phantasievoller zu Spielen.

Ich persönlich zweifle allerdings an, ob es die stilisierte Gewalt ist, die diesen vermeintlich kathartischen Effekt bei Kindern bewirken sollen. Denn es stellt sich mir die Frage, ob Kinder diese Stilisierung überhaupt verstehen. Sehen Kinder wirklich wieviel Gewalt diese Trickfilme enthalten. Sind aggressive Jungen wirklich deshalb ruhiger, nachdem sie Filme mit stilisierter Gewalt gesehen hatten, weil ihnen die Verarbeitung der aggressiven Filmerlebnisse helfen eigene Aggressionen abzubauen. Oder waren die Jungen einfach nur von den Filmen fasziniert und auch deshalb noch unmittelbar danach noch ruhiger und phantasievoller, weil sie von dem gerade gesehen begeistert waren.

Ich kann an dieser Stelle kein Urteil fällen, aber könnte man ein auf ähnliche Weise phantasievolleres Spielen nicht auch beobachten, wenn Kinder einen gewaltfreien Film sehen würden, der aber ebenso unterhaltsam und interessant für sie ist?

Weiterhin frage ich mich, ob die Imitation von gewalttätigem Verhaltensmodellen wie Banduras aber auch Noble sie beobachteten wirklich ein Verarbeiten und Auseinandersetzen mit dem Gesehen implizieren. Gewalttätige Kinder neigen nun einmal dazu Medienerlebnis nachzuspielen, und identifizieren sich dabei auch gerne mit der Hauptperson (vgl. Theunert u.a. 1992, S. 158 ff.). Wenn in einem Film gewalttätiges Verhalten als positiv hervorgehoben wird so wie in Banduras Versuchen, dann erscheint der Aggressor als die übermächtige Hauptfigur. Dabei könnte die Belohnung des aggressiven Handelns für die Identifikation der Kinder mit dem Aggressor nur indirekt eine Rolle spielen. Nicht weil das aggressive Verhalten für gut erklärt wird, sondern weil der aggressive Charakter in den Mittelpunkt gerückt wird und eine Hauptrolle wird. Wenn Kinder sich mit dieser Hauptperson im Spiel identifizieren und ihre Handlungen einfach nur nachspielen, weil ihnen der Film Anstöße für neue Spielideen gegeben hat, könnten sie dies ebenso in dem Bewußtsein tun, daß das gespielte Verhalten „nicht gut“ ist. Auch in Kinderspielen gibt es Rollenaufteilungen in gut und Böse, und es sind nicht immer die aggressiveren Jungen, die den Part des Bösen übernehmen wollen. Auch wenn Kinder neue Verhaltensmuster in Form von Skripten oftmals im Spiel auf ihre Lösungstauglichkeit für reale Probleme testen, könnten sich Kinder in einem Großteil ihrer Spiele der Bedeutung ihres Spielinhalts bewußt sein. Denn es ist sehr wahrscheinlich, daß durch die Erziehung der Kinder oft schon entsprechende Skripts vorhanden sind, die sie zumindest ansatzweise wissen lassen, wie sie Aggressives verhalten zu bewerten haben. Dafür könnten beispielsweise die unspektakulären 19 Prozent Spielzeit sprechen, die Kinder in Nobles Experimenten für filmbezogene Themen aufbrachten. Ich halte es für möglich, daß das Spielverhalten von Kindern in dieser Hinsicht vielleicht immer noch überbewertet wird, und Kinder sich genau so gut darüber im klaren sein können, daß sie spielen, und ihr Spielverhalten für reale Lösungen unangemessen wäre.

In diesem Sinne möchte ich mit einem etwas aus dem Kontext genommen Standpunkt Heinz Mosers schließen: „Schon Kinder und Jugendliche haben einen kognitiven Zugang zu solchen Skripts; sie verstehen es in ihrer Mehrheit kritischer damit umzugehen, als dies in der Gewaltdiskussion von Pädagogen oft unterstellt wird“ (Moser 1995, S.178).

3.2 Konstruktion medialer Wirklichkeit

In Folge 102, „Die Babysitterin und das Biest“5 steht ein Thema im Mittelpunkt, das vor allem in den Publizistik- und Kommunikationswissenschaften in den letzten Jahren und Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Es geht dabei um die verzerrte Darstellung wirklicher Sachverhalte durch die Medien und deren Auswirkungen.

3.2.1 Inhalt der Simpsons-Folgen

Auf einer Süßigkeitenmesse hat Homer Simpson die Gummi-Venus von Milo gestohlen, ein Gummi-„Bärchen“ in Form des berühmten Kunstwerkes. Am Abend fährt Homer die emanzipierte Babysitterin nach Hause. Als sie gerade aus dem Wagen aussteigt sieht er, daß sie auf der Gummi-Venus gesessen hat, und eben diese noch an dem Gesäß der Babysittern haftet. Nach der Venus lüstern zieht Homer die Süßigkeit von der Hose des Mädchens, die die Situation allerdings fehlinterpretiert. Die Babysitterin beschuldigt Homer öffentlich der sexuellen Belästigung. Homer rechtfertigt sich in einem Fernsehinterview, allerdings wird das Interview so umgeschnitten, daß er seine Schuld zuzugeben scheint. Damit beginnt eine öffentliche Demontage Homers durch gezielte Falschdarstellungen der Medien. Homer kann seine Unschuld schließlich jedoch beweisen, da der Schulhausmeister Willy die betreffende Situation mit seiner Videokamera gefilmt hat, woraus eindeutig hervorgeht, daß Homer nur an der Gummi-Venus interessiert war.

Homers Ruf ist wieder hergestellt, dafür nehmen sich die Medien jedoch nun Hausmeister Willy vor, den sie als Perversen darstellen.

3.2.2 Der Bezug zur Forschung

Bei der Frage nach der Wirkung von Massenmedien wird die Forschung oftmals ein linearkausaler Denkansatz zugrunde, bei denen man die Medien in erster Linie als Instanz zur Übertragung von Informationen vom Kommunikator, z.B. dem Fernsehsender, zum Rezipienten, dem Zuschauer, auffaßt.

Dabei hat sich gerade heutzutage das genaue Gegenteil dieser Sichtweise zu einem grundlegenden Problem der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft herauskristallisiert, ein Problem, daß in dieser Form schon vor über hundert Jahren in den Anfangen der Massenkommunikationsforschung festgestellt wurde. Man kommt heutzutage nämlich nicht mehr umher die Medien auch als „Wirklichkeitsproduzenten“ zu betrachten, „ohne deren Existenz sich vieles überhaupt nicht ereignen würde“ (Burkhart 1995, S. 259).

Es gehört zwar zum Credo der berichterstattenden Medienbranche unabhängig, objektiv und überparteilich zu sein, und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben sich dies sogar zur Verpflichtung gemacht, aber „[…] es steht wohl außer Zweifel, daß das Bild der Welt, wie es in unseren Köpfen besteht und wie es letztlich unser Handeln leitet, in einem hohen Masse von den Massenmedien geprägt ist“ (Roland Burkhart 1995, S. 259).

Bis in die Gegenwart hinein gibt es eine Unmenge von Untersuchungen, die immer wieder der Frage nachgegangen sind, ob die Realität in den Medien angemessen wiedergegeben wird, oder ob die Medienrealität nur ein verzerrtes Abbild der Wirklichkeit ist. So kommt Winfried Schulz nach einer Analyse der umfangreichen Forschungsliteratur zu dem Schluß, daß die Massenmedien die Wirklichkeit in der Regel nicht repräsentieren. Dementsprechend hart geht Schulz mit der Objektivität der Massenmedien ins Gericht: „Die Berichte der Medien sind oft ungenau und verzerrt, sie bieten manchmal eine ausgesprochen tendenziöse und ideologisch eingefärbte Weltsicht. Die in den Medien dargebotenen Wirklichkeit repräsentiert in erster Linie Stereotype und Vorurteile der Journalisten, ihre professionellen Regeln und politischen Einstellungen, die Zwänge der Nachrichtenproduktion und die Erfordernisse medialer Darstellung. Sie läßt nur bedingt Rückschlüsse zu auf die physikalischen Eigenschaften der Welt, die Strukturen der Gesellschaft, den Ablauf von Ereignissen, die Verteilung der öffentlichen Meinung“ (Schulz 1989, S. 139).

Diese Einschätzung spricht für sich, daß die Realität, wie wir sie in den Medien erleben, durchgängig verzerrt ist und höchsten ansatzweise ein Bild der Wirklichkeit wiedergibt.

Wie kommt es aber trotz aller erstrebenswerten journalistischen Normen wie Objektivität und Neutralität zu einer derartigen Realitätsverfremdung durch die Medien? Dazu liefert beispielsweise Winfried Schulz der Forschung einen Ansatz, der von zwei grundlegend unterschiedlichen Prämissen bezüglich. der gesellschaftlichen Stellung der Medien ausgeht und so zwei Antworten offeriert.

Bei der ersten Prämisse nimmt Schulz einen prinzipiellen Gegensatz zwischen Massenmedien auf der einen Seite und der rezipierenden Gesellschaft auf der anderen Seite an. Dabei wird den Medien eine passive Rolle als neutrale Instrumente zur Verbreitung und Speicherung von Informationen zugesprochen. Die Aufgabe der Medien wird darin gesehen die Wirklichkeit möglichst genau widerzuspiegeln um den Rezipienten ein möglichst genaues Bild zu geben. Ausgehend von dieser Prämisse liegt die Gefahr darin, daß die Medien die von ihnen verzerrt wiedergegeben Wirklichkeit in den Köpfen der Rezipienten zur absoluten Wirklichkeit avancieren lassen könnte.

Bei der zweiten Prämisse geht Schulz dagegen nicht von einer Trennung zwischen Massenmedien und Gesellschaft aus, sondern sieht sie dann als einen integralen Bestandteil der Gesellschaft. Dabei betrachtet er die Medien als „eine Instanz der Selektion und Sinngebung, die aktiv in die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit eingreifen“ (nach Burkhart 1995, S. 162; vgl. Schulz 1985b, S. 68). In diesem Bild sind die Medien aktiv an dem sozialen Prozeß des kollektiven Bemühens zur Konstruktion von Wirklichkeit beteiligt. Damit ist gemeint, daß die Wirklichkeit, die jeder einzelne wahrnimmt ein Produkt unseres sozialen Interagierens ist, an dem die Medien durch Auswahl, Verarbeitung, Interpretation und anschließend Veröffentlichung von Ereignissen in hohem Masse beteiligt sind.

Die Wirklichkeit die uns umgibt ist demnach für uns stets nur durch Prozesse der Informationsverarbeitung erfahrbar, und kann nie in ihrer Reinform wahrgenommen werden, sondern aufgrund der Informationsverarbeitungsprozesse immer nur verzerrt und beeinflußt. Da man die Wahrheit, so wie sie ist, nach diesem Modelldenken nicht ermitteln kann man auch nicht feststellen wie verzerrt eine Darstellung ist, und handlungsleitende journalistische Normen wie Objektivität, Neutralität und Wahrheit bekommen einen leichten Beigeschmack von Utopie.

Wie die im Folgenden noch anzusprechende Forschung allerdings gezeigt hat, ist das der ersten Prämisse zugrundeliegende und vielfach verbreitete Alltagsverständnis von den Medien als passive Mittler der Wirklichkeit als naiv zu entlarven. Verschiedene Forschungstraditionen begründen argumentativ, daß die Medien als Teil der Wirklichkeit auch aktiv ein Vorstellung der Wirklichkeit konstruieren, so wie es in der zweiten Prämisse angenommen wird (vgl. Burkhart 1995, S. 272).

Die zentrale Frage, „wie gut oder schlecht die Medien die Wirklichkeit wiedergeben“ läßt sich ausgehend von der zweiten Prämisse jedoch dahingehend reformulieren, „nach welchem Schema die Medien die Wirklichkeit konstruieren“.

Der Schlüssel zur Anwort dieser Frage liegt in den Kriterien der Selektion und Interpretation seitens der Journalisten.

Die Selektion ergibt sich daraus, daß es den Nachrichtenmedien aus sozusagen informations- logistische Gründen einfach nicht möglich ist, über alle täglich stattfinden Ereignisse zu berichten. Nachrichtenmedien reagieren damit auf die von den Nachrichtenagenturen einfließende Informationsflut, die sie nur zu einem Bruchteil an die Rezipienten weiterleiten können. So ergibt sich die Notwendigkeit der Entscheidung, welches Ereignis zu einer Nachricht wird, und welches unerwähnt bleibt. Für veröffentlichungswürdig gehaltene „Ereignisse werden erst dadurch zu Nachrichten, daß sie aus der Totalität und Komplexität des Geschehens ausgewählt werden. Nur durch die Unterbrechung und Reduktion der raum- zeitlichen Kontinuität und der Ganzheit des Weltgeschehens läßt sich Realität umsetzen in Nachrichten“ (Burkhart 1995, S. 264). Aufgrund dessen ist die Vorstellung, die Medien bildeten die Wirklichkeit ab, schlichtweg falsch. Es ist in den Kommunikationswissenschaften weithin anerkannt, daß mediale Berichterstattung lediglich Interpretationen eines kleinen und aus dem Zusammenhang gerissenen Teils der Wirklichkeit darstellt.

Die empirische Erforschung dieser Selektions- und Interpretationsprozesse geht dabei schon bis in die 50 Jahre zurück.

David Manning White (1950) konzentriert sich in dem von ihm begründeten Ansatz, der sog. Gatekeeper-Forschung, auf die als „Gatekeeper“ (engl. Pförtner, Schleusenwärter) bezeichneten Entscheidungsträger innerhalb einer Redaktion, die für die Nachrichtenauswahl verantwortlich sind. White bemerkte dabei die Relevanz rein subjektiver Entscheidungskriterien für die Nachrichtenauswahl. Nach Weiterentwicklung dieses Ansatzes durch andere Kommunikationsforscher erkannte man weitergehend den Einfluß sog. "institutioneller“ Faktoren (vgl. Robinson 1973). Diese Faktoren bezeichnen die Stellung des Journalisten innerhalb einer Nachrichtenbürokratie und seiner Position in der Redaktionshirarchie. Diese Faktoren sind auch gerade im Hinblick auf die Interpretation von Ereignissen bedeutsam, da ja im Endeffekt doch jeder Redaktion eine bestimmte Hauspolitik zugrunde liegt, die auch an die Mitarbeiter vermittelt wird (vgl. Robinson 1973, S. 347). Außerdem muß jeder Artikel auf dem Weg zur Veröffentlichung auch den Rotstift des Chefredakteurs passieren. Eine Analyse Robinsons (1970) ergab ein sehr differenziertes Bild der Nachrichtenverarbeitung. Demnach existieren für die Reduzierung des Materials insgesamt 11 „Durchlass-Stellen“, von denen immerhin 5 als wirklich „Schleusenwärter“ mit Entscheidungsfunktion zu sehen sind.

Eine unter der Bezeichnung „News Bias“ (engl. Nachrichtenbeeinflussung) bekannte Forschungsrichtung beschäftigt sich hingegen mit der Messung von Unausgewogenheiten und Einseitigkeit der Medienberichterstattung und deren Ursachen. Dabei führten experimentelle Studien sowie Inhaltsanalysen und Journalisten Befragungen zur Bestätigung der Vermutung, daß „die Nachrichtengebung einseitig der jeweiligen redaktionellen Linie folgte […]“ (Burkhart 1995, S. 267).

Eine dritte Forschungstradition ist schließlich die „Nachrichtenwert-Theorie“. Im Gegensatz zur gatekeeper-Forschung werden dabei nicht nur die letzten Instanzen beobachtet, sondern bereits die Wahrnehmung der Ereignisse. Dabei geht man von Nachrichtenfaktoren als bestimmte Merkmale eines Ereignisses aus, die seinen Nachrichtenwert und seine Publikationswürdigkeit bestimmen. Anhand dieser Nachrichtenfaktoren wählen Journalisten dann bestimmte Ereignisse aus, weil sie glauben sie entsprächen dem Interesse des Publikums. Einar Östgaard (1965) unterscheidet dabei zunächst noch die drei elementaren Faktoren Einfachheit, Identifikation und Sensationalismus.

Winfried Schulz faßt diese Merkmale im Hinblick auf die journalistische Subjektivität und die oben erwähnte erkenntnistheoretische Ansicht der in die Gesellschaft integrierten Massenmedien als „journalistische Hypothesen“ über die Wirklichkeit auf (vgl. Schulz 1976, S.30). Nach diesem Verständnis macht den Nachrichtenwert eines Ereignisses das aus, was Journalisten über diesen Teil der Realität als berichtenswert ermessen. Der journalistische Sinn der Nachrichtenfaktoren liegt demnach darin, die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen; es geht also um Einschaltquote bzw. Auflagenzahlen und somit um Profit. Schulz unterscheidet insgesamt die 18 Nachrichtenfaktoren „Dauer“, „Thematisierung“, „räumliche Nähe“, „politische Nähe“, „kulturelle Nähe“, „Relevanz“, „regionale Zentralität“, „nationale Zentralität“, „persönlicher Einfluß“, „Prominenz“, „Überraschung“, „Struktur“, „Konflikt“, „Kriminalität“, „Schaden“, „Erfolg“, „Personalisierung“ und „Ethnozentrismus“ (vgl. Schulz 1976, S.32 ff.).

Mittlerweile bestätigen eine Vielzahl empirischer Befunde (vgl. Staab 1990, S. 42 ff.) diesen Merkmalen eine hohe Erklärungskraft und lassen somit auf einen generellen Einfluß dieser Nachrichtenfaktoren auf die Selektionsentscheidungen von Journalisten schließen.

Diese drei Forschungsrichtungen bestätigten das oben angesprochen Bild von einer „Wirklichkeit als mediale Konstruktion“, und vor allem die letztere zeigt das die Nachrichtenfaktoren eine Art allgemeinverbindlichen Konsens im Journalismus bzgl. der Selektion und auch Interpretation von Ereignissen darstellen.

Bisher wurde jedoch nur die „kausale“ Betrachtungsweise von der Konstruktion medialer Wirklichkeit angesprochen. Dabei wurde auf eine mögliche Intentionalität journalistischen Handelns nicht eingegangen. Jedoch zeigte sich gerade in der „News Bias-Forschung“, daß Journalisten durch bewußtes oder unbewußtes einseitiges Berichten Nachrichten gezielt als Mittel zum Zweck zur Unterstützung bestimmter Ziele einsetzten. Auch Schulz bezeichnet Nachrichtenfaktoren als subjektive Thesen der Journalisten über die Publikationswürdigkeit eines Ereignisses. Dementsprechend postuliert Hans Matthias Kepplinger eine „finale“ Betrachtungsweise der Nachrichtenwert-Theorie. Er sieht die Selektionsentscheidung nicht bloß als reaktionäres Handeln, sondern unterstellt Journalisten bei der Nachrichtenauswahl bewußt und zielgerichtet zu verfahren, und bezeichnet dies als „Instrumentelle Aktualisierung“ (nach Burkhart 1995, S. 273; vgl. Kepplinger 1984, 1989a, 1989b). Diese Sichtweise faßt die Nachrichtenauswahl als eine an bestimmten Absichten orientierte Mittelwahl auf. Diesen Prozeß, daß Journalisten ein Ereignis aufgrund der zu erwartenden Publikationsfolgen auswählen, nennt Kepplinger „überformte Kausalität“ (vgl. Staab 1990, S.97). Auf diese Weise können die Medien beispielsweise eine politische Entscheidung bzgl. eines Problems präformieren.

Noch weiter geht die Ansicht, daß die Medienwirklichkeit, die die Rezipienten erreicht, nicht nur selektiert, interpretiert und konstruiert ist, sondern sogar von außermedialen Instanzen bewußt zum Zweck der Berichterstattung inszeniert. Unter inszenierter Realität versteht Kepplinger eine Steuerung der Medien von Außen durch die Nachrichtenauswahl. Veranstalter von geplanten und arrangierten Ereignissen machen sich ihre Kenntnis der Nachrichtenfaktoren zunutze, und versuchen dadurch die Nachrichtengebung in ihrem Interesse zu beeinflussen. Kepplinger unterscheidet dabei zwei verschiedene Arten von inszenierten Ereignissen. Zum einen sog. „Pseudoereignissen“, die nicht spontan stattfinden, sondern nur zum Zweck der Publikation geplant und arrangiert wurden wie beispielsweise Tagungen, Demonstrationen oder Pressekonferenzen (Kepplinger 1992a, S. 49; vgl. auch Daniel Boorstin 1961, S. 31 ff. ). Zum anderen spricht er von sog. „Mediatisierten Ereignissen“, die auch ohne Medienpräsenz stattfinden würden, aber dennoch wegen der erwarteten Berichterstattung besonders mediengerecht aufbereitet werden, so z.B. Parteitage, Olympiaden oder auch Preisverleihungen (Kepplinger 1992a, S. 52).

Die zuweilen kunstvolle Inszenierung dieser Ereignisse ist das Werk sog. Publik-Relations- Fachleute, wie man sie heutzutage in jedem namhaften Unternehmen findet. Aber vor allem in der Politik ist dieser Umgang mit den Medien stark vertreten. Als Ursprung wird diesbezüglich oft der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf von 1968, in dem die Nachrichtenmedien zum ersten mal erkannten, „daß sie von einer professionellen Wahlkampfregie instrumentalisiert wurden“ und „ daß sie subtil benutzt und zum ausführenden Organ eines technokratischen Kommunikationsmanagements degradiert waren“ (Plasser/Sommer 1991, S. 93; zit. nach Burkhart 1995, S. 278). Sommer und Plasser sprechen von diesem Wahlkampf sogar als einem Wendepunkt in der Politik, da sich bei Politik seither im Prinzip um geplante und professionell gesteuerte Kommunikation handele. Nicht zuletzt spielt auch das Fernsehen eine entscheidende Rolle dabei, kann man beispielsweise durch einen einzigen Fernsehauftritt Millionen Menschen erreichen. Aber wie gesagt suchen heute die meisten Unternehmen und Vereinigungen durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit nach Möglichkeiten zur Selbstdarstellung in den Medien.

Wie groß der Einfluß der Öffentlichkeitsarbeit auf die Medien ist zeigte beispielsweise eine Untersuchung von Barbara Baerns (1979), mit der sie zur Erhärtung der sog. „Determinierungsthese“ beitrug. Diese geht davon aus, daß die Festlegung von medialen Themen so wie ihre publizistische Aufbereitung nicht autonom durch Journalisten erfolgt, sondern durch die Primärkommunikatoren, die Öffentlichkeitsarbeiter, determiniert wird (vgl.

Nissen/Menningen 1975, S. 168). Demnach ist „die Vorstellung des eigenständig recherchierenden Journalisten der selbständig Nachrichten und Informationen produziert, mit einigem Recht als Mythos zu entlarven“ (Burkhart 1995, S. 283). So gibt es Untersuchungen, die zeigen, daß 75 bis 90 Prozent des Pressematerials auf direktem Einfluß externen Quellen basiert. Dieses Material wird oft unkommentiert und lediglich leicht überarbeitet veröffentlicht wurde. Andernfalls wird die Qualität der Kommentare oft als bescheiden eingestuft (vgl. Nissen/Menningen 1977; Knoche 1968, Knoche/Schulz 1969).

Die Konstruktion von medialer Realität erfolgt also nicht unmittelbar durch die Medien selbst, sondern wird vielmehr von der Öffentlichkeitsarbeit gesteuert. In Anbetracht dieser Erkenntnisse gerät der Journalismus und seine normativen Ideologien von Objektivität und Unabhängigkeit erneut in einen heftigen Konflikt mit der Realität und seiner Abhängigkeit von den als Informanten dienenden Primärkommunikatoren.

Allerdings ist diese Abhängigkeit keineswegs einseitig zu verstehen, vielmehr handelt es sich um eine Symbiose, denn die Öffentlichkeitsarbeiter sind an der Publizierung ihrer Betreffe ebenso interessiert wie die Journalisten an den Informationen. Diesbezüglich wird der oben erwähnten Determinierungs-These oft eine überspitzte Darstellung dieses Sachverhalts nachgesagt. So gibt es ebenso Untersuchungen die zeigen, daß immer noch eine Vielzahl von Artikeln auf Eigenrecherchen beruhen, daß vorgefaßte Public -Relation-Texte nicht so kritiklos übernommen werden, wie es den Anschein hat, und daß Pressemitteilungen oft sogar die Skepsis und den Recherche-Eifer von Journalisten erhöhen (vgl. Saffarina 1993, S. 417). Mit dieser Einschränkung könnte man den Stand der Dinge so beschreiben, daß Öffentlichkeitsarbeiter als außermediale Wirklichkeitskonstrukteure die journalistische Berichterstattung bis zu einem gewissen Grad unter Kontrolle haben (vgl. Burkhart 1990, S. 285/289).

Ein gar nicht mal so neuer aber neuerdings verstärkt beachteter Ansatz zum Auseinandersetzen mit der Konstruktion medialer Wirklichkeit stellt der Konstruktivismus dar, der an dieser Stelle aber nur kurz erwähnt werden soll. Der Konstruktivismus faßt alle philosophischen und erkenntnistheoretischen Strömungen zusammen, die sich mit dem individuellen Zutun des Subjekts zum Prozeß des Erkennens von Wirklichkeit beschäftigen. Angelehnt an die Worte Immanuel Kants geht diese Sichtweise davon aus, daß wir die Welt wie sie ist gar nicht erfassen können, und das die Konstruktion der Wirklichkeit nur in unserem Kopf stattfindet, was wiederum aufgrund unterschiedlichster subjektiver Voraussetzungen bei jedem anders ausfällt. Somit steht in dieser Disziplin auch weniger die zu erkennende Wirklichkeit im Mittelpunkt, sondern vielmehr der Erkenntnisprozeß selbst. Aus dieser Sichtweise folgert Schmidt: „Wirklichkeit ist in einer von Massenmedien geprägten Gesellschaft also zunehmend das, was wir über Mediengebrauch als Wirklichkeit konstruieren, dann daran glauben und entsprechend handeln und kommunizieren“ (Schmidt 1987, S. 18; zit. nach Burkhart 1995, S. 293). Mit anderen Worten zeigen die Medien nur Wirklichkeitsangebote, denen erst noch eine Bedeutung zugemessen werden muß. Medienangebote sind keine Abbilder von Wirklichkeit, sondern Angebote, die bei jedem Rezipienten eine individuelle, aber aufgrund ähnliche Voraussetzungen bei allen Rezipienten eine ähnliche Konstruktion von Wirklichkeit auslösen. Besonders im Hinblick auf die oft angesprochenen Glaubwürdigkeit wird bei dieser Perspektive betont, daß man Mitteilungen nicht nach dem schwarzweiß Schema „wahr“ oder „unwahr“ bewerten soll, sondern es gelte sich bewußt zu machen, daß es verschiedene Versionen der Wirklichkeit gibt (vgl. Haller 1994, S. 283 ff.).

Allerdings ist auch die Kritik an dieser Sichtweise groß. Vor allem kritisiert man die Konzentration dieses Ansatzes auf das Individuum, die Burkhart auf eine „allgemeine Verunsicherung über die Gültigkeit theoretischer Konzepte in der Sozialwissenschaften“ zurückführt (Burkhart 1995, S. 301).

So umstritten dieser Ansatz auch sein mag, die Diskussionen um ihn sind noch in vollem Gange, und eine tendenzielle Bewertung an dieser Stelle mit Sicherheit noch verfrüht.

3.2.3 Die Darstellung in der Serie

In der angesprochenen Folge wird zunächst die von der „News Biass-These“ erfaßte Problematik angesprochen. Die Darstellung und Interpretation von Ereignissen durch die Medien wird in dieser Episode als überaus einseitig dargestellt. Außerdem verhalten sie die Medien sehr voreingenommen. Der sexuellen Belästigung beschuldigte Homer wird zu einem Interview in die Sendung „Rock Bottom“ (zu Deutsch sinngemäß: „Bis man auf Fels stößt“ ) geladen. Dort kriegt er jedoch nicht die Chance die Angelegenheit aus seiner Sicht zu schildern, sondern es bestand von vorn herein die Absicht ihn als den Schuldigen darzustellen.

Homer wird von Godfrey Jones in einer Videoaufzeichnung interviewt.

Homer: Also, jemand musste die Babysitterin nachhause fahren. Dann bemerkte ich, dass sie auf der Gummi-Venus sass, also habe ich sie mir hinterher genommen. Oh, wenn ich nur an ihren süssen, süssen Geschmack denke...[stöhnt lustvoll] Ich wünschte ich hätte noch eine, jetzt sofort. [wieder bei der Sache] Aber der wichtigste Punkt ist…

Jones: Das war wirklich grossartig Mr. Simpson. Wir haben alles was wir brauchten.

Homer: Ok. Sagen sie, können sie mich dem Waldmenschen vorstellen? Ich mag seinen Stil.

Homer und der Rest seiner Familie gucken den Bericht in "Rock Bottom" im Fernsehn.

Homer: Jaahaa! Hier kommt der lange Arm der Gerechtigkeit!

Jones: Heute in "Rock Bottom", wir decken eine Sex-Farm für Sex Süchtige auf.

Bauer: Und ich betone nochmal, ich bau‘ hier nur Sauerampfer an.

Mann: Aha. Und wo sind die Nutten?

Bauer: [deutend] Gleich dahinten. [bemerkend] Uuups. Jones: Aber zürst: [Ein Photo der Babysittern mit ihren Eltern bei ihrer Diplomverleihung] Sie war eine ausgezeichnete Universitätsstudentin, die ihr Leben den Kindern widmete. [Zeitlupenaufnahme von Homer wie er in die Hosentasche greift und seine Autoschlussel sucht] Bis zu jener Nacht als ein extrem schwergewichtiger Perverser namens Homer Simpson Ihr einen Schnellkurs in Sittenlosigkeit gab.

"Ah, Unsinn," beschwert sich Homer als das Interview gezeigt wird.

Homer: Also, jemand musste die Babysitterin nachhause fahren. Dann bemerkte ich, dass sie auf… [Schnitt] …ihren süssen… [Schnitt] hinter… [Schnitt] sass. [Schnitt] …o habe ich sie mir genommen [Schnitt] süssen hinter…. [Schnitt] Wenn ich nur an ihren süssen [Schnitt] hinter… [Schnitt] Ich wünschte ich hätte… [Schnitt] süssen [Schnitt] süsse [Schnitt] s-s-süsse [Schnitt] hinter….

Jones: So, Mr. Simpson: sie gebn also zu ihren Hintern angefasst zu haben. Was haben sie zu ihrer Verteidigung vorzutragen?

Homer: [lüsternd guckend in einer offenstichtlichen Standbildaufnahme] Jones: Mr. Simpson, ihr schweigen macht es nur noch schlimmer. [Standbild von Homer als er aufsteht]

Nein, Mr. Simpson, lassen sie ihren Ärger nicht an mir aus. Gehen sie weg! Gehen sie weg! Mist… Mister Simpson… neeeiiiiin!

Mann: [hastig gesprochen] Dramatisiert - muss nicht so stattgefunden haben.

Die Medien ziehen dabei alle Register der Kunst, um die gutbürgerliche und tugendhafte Babysittern als um so hilfloseres Opfer darzustellen und Homer Simpson als einen verrohten Widerling. Das Interview von Homer wurde umgeschnitten und verfälscht. Ebenso ist die Zeitlupenaufnahme von Homer bezeichnend, als er nach seinen Autoschlüssen sucht. Diese Aufnahmen, die ich hier leider nicht zur Verfügung stellen kann, lassen Homer sehr hinterhältig und unsympathisch erscheinen. Hier kommt auch ein Aspekt zum tragen, den Burkhart anspricht, nämlich die Tatsache, daß Ereignisse erst durch die Unterbrechung der raum- zeitlichen Kontinuität zu Nachrichten werden. Dies wurde bei dem Umschneiden des Interviews in überspitztem Masse angewandt. Es gibt kein Wort, daß Homer nicht gesagt hat, allerdings sind die Worte aus dem Kontext gerissen und anders zusammengefügt. Gleichermaßen verhält es sich mit den Aufnahmen Homers, als er die Autoschlüssel sucht. Alleine schon durch die Situation in der Homer gefilmt wurde und dann das Anwenden medialer Trickmittel wie der Zeitlupe erlangen die Bilder in dem Zusammenhang in dem sie gezeigt werden eine vollkommen andere Bedeutungsebene.

Auch im folgenden ist dies der Fall.

Am nächsten morgen. Homer kommt aus der Dusche und sieht Hubschrauber durch sein Badezimmerfenster gucken. Er gerät in Panik und rutscht aus, als gerade ein Foto gemacht wird.

Das Bild erscheint am Abend in den Nachrichten.

Sprecher: Neues vom Simpson-Skandal: Homer schläft nackt in einem Sauerstoffzelt, weil er glaubt, dass ihm dies sexülle Energie verleiht. Homer: Hey - das ist eine Halbwahrheit! [er schaltet zu einer Talkshow um]

Frau: [weinend] Ich kenne Homer Simpson nicht, ich…, ich habe Homer Simpson nie getroffen oder hatte irgendeine Art von Kontakt zu ihm, aber… [sie weint unkontrollierbar] - Es tut mir leid, ich kann nicht weiterreden. Moderatorin: Das ist schon in Ordnung, ihre Tränen sagen mehr, als wahre Beweise jemals könnten.

Eine andere Talkshow.

Ansager: Heute bei "Ben": Mütter die sich wegen des gemeinsamen Hasses auf Homer Simpson wieder mit ihren ausgerissenen Töchtern versöhnen. Und hier ist ihr Gasgeber Ben. [ein Bär mit einem Mikrophon auf dem Kopf kommt heraus]

Frau: Ich habe nur eine Sache zu sagen: Lasst uns weniger Homer Simpsons haben und mehr Geld für öffentliche Schulen. [sie kriegt stürmischen Beifall]

Wieder ein anderer Kanal:

Ansager: Und nun zurück zum Spielfilm: "Homer S.: Portrait eines Arsch- Grabschers", mit Dennis Franz.

Homer: Ooh, "Portrait"! Klingt geradezu klassisch. [Schaut den Rest der Familie an] Etwa nicht?

[im Film fährt der Hauptdarsteller wie irre und lacht, während die Babysitteriin schreit]

[eine Katze sitzt mitten auf der Strasse]

"Babysitterin": Nein, Mr. Simpson! Eine Katze ist ein Lebewesen. "Homer": Das ist mir egal. [überfährt die Katze]

[fährt ein paar Mülltonnen und bleibt stehen] "Homer": Und nun nehm‘ ich mir was süsses.

"Babysitterin": Nein, Mr. Simpson, das ist sexuelle Belästigung. Wenn sie nicht aufhören werde ich so laut schreien, dass die ganze Nation es hört! "Homer": [lacht] Mit einem Mann im Weissen Haus? [lacht] Unwahrscheinlich! [lacht mehr]

-- unbeinflusste Medienberichterstattung, wie immer, "Homer Bad Man"

Die einseitige Berichterstattung, das äußern von Mutmaßungen und das Unterstellen von Aussagen zie lt bewußt darauf ab Homer bei den Zuschauern zu diskreditieren. Auch das Herstellen von Verbindungen, wie mit der beinahe kollabierenden Frau, die mit Homer eigentlich nichts zu tun hat, oder das Nennen von Homer Simpson in einem Atemzug mit einem politischen Problem, wie dem Geldmangel für öffentliche Schulen, projiziert ein zunehmend schlechtes Bild auf Homer.

Ein anderer Kanal, Kent Brockman berichtet aus einem Hubschrauber.

Kent: Das ist die 57 Stunde Live-Berichterstattung von dem Simpson-Anwesen. Vergessen sie nicht um 20.00 Uhr die Higlights des heutigen Tages einzuschalten. Sehen sie wann die Müllabfuhr kam, und wann Marge Simpson die Katze rausgelassen hat...vielleicht, weil Homer das Tier belästigt hat, wir wissen es nicht.

[im studio] Nun einige Ergebnisse unserer Telefonaktion: 95% aller

Zuschauer glauben das Homer Simpson schuldig ist. Natürlich ist dies nur eine Fernsehumfrage, die nicht gesetzlich bindend ist ausser Gesetzentwurf 304 wird verabschiedet, wofür wir alle beten.

-- Eine traurige Bemerkung über die amerikanische Gesellschaft, "Homer Bad Man"

Dies entspricht auch dem was Kepplinger als „instrumentelle Aktualisierung“ bezeichnet. Die Journalisten stimmen die Inhalte ihrer Sendungen auf den aktuellen „Homer-Simpson-Skandal“ ab, und das stets in negativer Weise. Damit zielen sie auf bestimmte Publikationsfolgen ab, nämlich die öffentliche Diffamierung des vermeintlichen Triebtäters.

Weiterhin wird auch die achrichtenwert-Theorie mit einbezogen. So sind verschiedene Nachrichtenfaktoren für die Publikationswürdigkeit bei diesem Fall maßgebend. Zum einen wäre da die räumlichen Nähe zu erwähnen, da sich alles in Springfield abspielt, aber auch die der Kriminalität von Homers vermeintlichen Vergehen und der Schaden der Babysitterin. An der oben zitierten Stelle wird ein weiterer von Kepplinger angeführter Punkt sehr deutlich angesprochen. Durch wiederholtes Thematisieren bestimmter Probleme unter stets den gleichen Gesichtspunkten definieren die Medien nämlich zentrale Aspekte eines Problems, und können somit politische Entscheidungen präformieren (vgl. Burkhart 1995, S. 275). Auch könnte man die Berichterstattung über den sog. Simpsons-Skandal wieder als zweckorientierte Mittelwahl auffassen. Man könnte den Medien unterstellen, durch die dermaßen negative Darstellung dieses Falles die Zustimmung zu dem erwähnten Gesetzentwurf zu provozieren. Dies lehnt an das an, was Kepplinger Nicolai Hartmann folgend als „überformte Kausalität“ bezeichnet. Die Medien haben sich dem Fall Homer Simpson eventuell nur deshalb so intensiv angenommen, weil sie bei der Auswahl dieses Ereignisses vielleicht schon die möglichen Folgen auf die Entscheidung über den spezifischen Gesetzentwurf im Auge hatten.

Bei dem Folgenden Auszug greifen die Medien bei der Darstellung wieder in die Trickkiste, um Filmmaterial zur gezielten Steuerung des Meinungsbildungsprozesses der Rezipienten einzusetzen.

Bei "Rock Bottom", Godfrey Jones entschuldigt sich.

Jones: Auf unserer verrückten Jagd nach Sensationen machen wir Medienleute manchmal Fehler. "Rock Bottom" möchte folgende Richtigstellungen bekanntgeben.

[eine Liste läuft sehr sehr schnell vorbei]

Bart: Wow! V8-Saft besteht nicht zu einem Achtel aus Benzin. Homer: Und Ted Koppel ist ein Roboter!

Lisa: Da bist Du, Dad!

Alle: Jaaa!

Jones: Morgen bei "Rock Bottom":

[Zeitlupe von Willy wie er in Godfreys Büro geht] Er ist ein Ausländer der perverse Bilder von ihnen macht, wenn sie es am wenigsten erwarten. Er ist "Rowdy Roddy Peeper"...

Homer: Oh, dieser Typ ist krank!

Marge: Hausmeister Willy hat dich gerettet, Homer.

Homer: Aber hör doch nur mal die Musik! Er ist abgrundtief böse!

Marge: Aber hat dir dieses Erlebnis nicht gezeigt, dass Du nicht alles glauben darfst, was Du hörst?

Homer: Marge, meine Freundin, ich habe gar nichts gelernt. [Die Familie geht weg]

Homer: [umarmt den Fernseher] Lass uns nie wieder streiten.

-- Die Lektion war umsonst "Homer Bad Man"

[Ende von Akt drei. Zeit: 20:56]

Die Aussage Homers ist bezeichnend. Obwohl Homer Hausmeister Willy kennt beurteilt er ihn anhand der von den Medien konstruierten Wirklichkeit über ihn. Hier geschieht genau das, wo Schulz die Massenmedien als Gefahr sieht. Die verzerrte Medienrealität wird in Homers Kopf zur einzig wahren Realität überführt. Es wird deutlich was Burkhart anspricht, wenn er sagt, daß die Realität durch die Medien in „Reinkultur“ gar nicht erfahrbar sei. Die Darstellung von Hausmeister Willy in Zeitlupe und Musikuntermahlung liefert ein falsches Bild des Sachverhalts, auf das Homer hereinfällt. Und gerade davor warnt auch die konstruktivistische Perspektive, wenn postuliert wird, daß das Mißtrauen gegenüber der von Medien abgebildeten Realität auch vor Bildern nicht halt machen sollte. So neigt man dazu Bildern ungefragt Authentizität zu unterstelle n. Dabei gibt es gerade bei den visuellen Nachrichtenmedien „die Tendenz, die eigenen Medialität unsichtbar zu machen“ (Schmidt 1994, S. 14). Oft sehr komplizierte Nachbearbeitungsschritte des Filmmaterials wie beispielsweise der Schnitt bei Homers Interview, Zeitlupen oder Musik erscheinen den Rezipienten heutzutage schon als natürliche Wahrnehmungsformen, und so kommt es daß Fernsehberichte aufgrund ihrer nahezu perfekten technischen Qualität oft sogar „als noch ‚realer‘ als die Realität erfahren werden“ (Spangenberg 1992, S. 19; vgl. auch Burkhart 1995, S. 297).

3.2.4 Stellungnahme

In dieser Folge tritt meiner Ansicht die weiter oben erwähnte Ansicht Schulzs deutlich in den Vordergrund, nämlich daß die Medien als integraler Bestandteil unserer Gesellschaft zu betrachten sind, die aktiv an der Konstruktion der Wirklichkeit beteiligt sind. An eingehenden Beispielen wird hier veranschaulicht, wie die Medien eine, wenn auch falsche, Realität konstruieren. Es wird deutlich wie die Medien arbeiten, wie Ereignisse selektiert und interpretiert werden, sowie sie auch zum Erreichen von antizipierten Publikationsfolgen instrumentalisiert werden. Bei dieser Episode kann man davon ausgehen, daß es sich um eine Anspielung auf die amerikanische Medienkultur handelt. So finden sich im Drehbuch kurze Szenenunterschriften, wie etwa: „Eine traurige Bemerkung über die amerikanische Gesellschaft, ‚Homer Bad Man‘“ oder „unbeeinflußte Medienberichterstattung, wie immer, ‚Homer Bad Man‘". Diese Kommentare des Autors zu der von ihm verfaßten Geschichte sprechen für sich. Diese Folge steht meiner Ansicht nach exemplarisch für eine Reihe solcher Medienereignisse, bei denen durch entsprechend einseitige und zweckgerichtete Berichterstattung Personen negativ (oder auch positiv) dargestellt wurden. Dabei sei beispielsweise an den O.J. Simpson- Fall erinnert, und am aktuellsten ist in dieser Hinsicht mit Sicherheit die Clinton-Lewinsky- Affäre.

Auch der Einfluß der Nachrichtenfaktoren wird hervorgehoben. Im Streben nach Aktualität zeigt man halt wie hier 53 Stunden lang live das Haus der betroffenen Person, oder ähnlich lange Auto-Verfolgungsjagden wie im realen O.J. Simpson-Fall. Gerade mit Blick auf die Nachrichtenfaktoren darf meiner Ansicht nach ein Aspekt nicht unterbewertet bleiben. Der Drehbuchkommentar „eine traurige Bemerkung über die amerikanische Gesellschaft“ spricht bei Publikationsfragen einen wichtigen Punkt an, nämlich den Einfluß des Publikums. Die oben von mir zitierte Fachliteratur spricht zwar über die Inszenierung von Ereignissen und der Instrumentalisierung der Medien durch außermediale Instanzen, doch diese Mechanismen lassen sich allesamt auf die Nachrichtenwert-Theorie zurückführen. Wenn Schulz die Nachrichtenfaktoren als „journalistische Hypothesen über die Wirklic hkeit“ (Schulz 1976, S. 30) bezeichnet, unterbetont er die tatsächliche Relevanz dieser Faktoren für das Interesse der Rezipienten. Denn ähnlich wie Großenbacher (1986a) eine Gegenseitige Abhängigkeit zwischen Öffenlichkeitsarbeit und Journalismus sieht, besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen den Medien und der rezipierenden Gesellschaft. Die journalistischen Hypothesen über die Publikationswürdigkeit eines Ereignisses kommen nicht von ungefähr, sondern es handelt sich dabei um erfahrungsbedingte Einschätzungen der Medien über Vorzüge der Zuschauer. Ich habe den Eindruck, daß diesbezüglich den Bedürfnissen der Zuschauer zu wenig Einfluß zugesprochen wird. Gerade in unseren marktwirtschaftlich organisierten Mediensysteme sind die Medien abhängiger vom Publikum als je zuvor. Besonders das Privatfernsehen, daß sich durch Werbung finanziert ist auf entsprechend hohe Einschaltquoten angewiesen, die diesen Sender für Werbende attraktiv machen und die Werbekosten definieren. So ist der weit geläufige Ausdruck „Meinungsmacher“ als Synonym für berichterstattenden Medien wie gesehen zwar recht zutreffend, dennoch glaube ich aber das die Nachrichtenfaktoren stärker vom Publikum definiert werden als dies beispielsweise bei Schulz zum Ausdruck kommt. Mit anderen Worten, Medien und auch die Präkommunikatoren in der Öffentlichkeitsarbeit zeigen uns nicht, was diese uns zeigen wollen, sondern sie sind bemüht uns das zu bieten, was wir sehen wollen. Und das sind den Nachrichtenfaktoren entsprechend keine belanglosen Geschichten von weither, sondern möglichst aktuelle, unerwartete und dramatische Ereignisse aus unserer Nachbarschaft, mit denen wir uns identifizieren können und die außerdem vielleicht noch von globalem Interesse sind. Frei nach dem eher unausgesprochenen journalistischen Grundsatz: „Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht“ läßt sich besonders durch Tragödien und Skandale die Aufmerksamkeit der Menschen gewinnen. Dies findet in der Schlußszene der besprochenen Folge anklang, als der Fernsehjournalist einräumt, daß die Medien auf ihrer täglichen Hatz nach Sensationen (die wir sehen wollen) auch Fehler machen.

Wie von Schmidt/Weischenberg (1994, S. 228) angesprochen werden „Wahrheit“ und „Realitätsnähe“ von „Nützlichkeit“ und „Glaubwürdigkeit“ abgelöst. In dieser Simpsons- Episode ist der Effekt zu beobachten vor dem Schulz warnt. Die Medien bieten den Zuschauern auf Kosten der Authentizität das, was sie sehen wollen, und die nach den Ansprüchen der Zuschauer konstruierte Medienrealität wird von der Bevölkerung als die „wahre“ Wirklichkeit aufgefaßt. Deutlich wird damit ein Armutszeugnis der modernen

Massenkommunikationsgesellschaft gesprochen, einer Gesellschaft, die sich durch Interagieren mit den in ihr enthaltenen Medien ein verzerrtes und falsches Bild der Wirklichkeit konstruiert. Nun kann ich an dieser Stelle die Aussage des Autors über die amerikanische Massenkommunikationsgesellschaft nicht unterschreiben. Dennoch glaube ich, daß in den letzten Jahren auch in Deutschland ein alarmierender Trend zu beobachten ist. Diesbezüglich möchte ich kurz das Beispiel einer Fernsehsendung eines deutschen Privatsenders6 erwähnen, deren vermeintliche Zielsetzung es ist bisher ungeklärte Verbrechen mit Hilfe des Publikums aufzuklären. Im Frühjahr 1998 strahlte diese Sendung einen Filmbeitrag über einen Mordfall aus. Wenige Tage später wurde in einer äquivalenten Sendung einer öffentlich-rechtlichen Anstalt7 über den selben Mordfall berichtet. Obwohl sich beide Sendungen auf die polizeilichen Ermittlungen berufen, und die ständige Präsenz von Kriminalisten im Fernsehstudio durch das Vortäuschen einer engen Zusammenarbeit die Glaubwürdigkeit erhöhen sollen, taten sich dabei gravierende Unterschiede in der Darstellung des Verbrechens auf. So waren sogar der Tathergang und der Tatort in den beiden Beiträgen unterschiedlich. Besonders die mediale Aufbereitung des Filmbeitrags des Privatsenders stand dabei den überspitzten Andeutungen dieser Simpsons-Episode in nichts nach.

In Anbetracht solcher Entwicklungen unserer Berichterstattung und dermaßen verzerrter Realitätsbilder allein schon innerhalb der Medienlandschaft halte ich es für gerechtfertigt vor einem Verlust des Urteilsvermögens der modernen Massenkommunikationsgesellschaft zu warnen. Denn für die Rezipienten könnte es in Zukunft immer schwieriger werden aus den Medienangeboten den Wirklichkeitsgehalt herauszufiltern.

3.2.5 Eine weitere Folge

An dieser Stelle möchte ich noch kurz auf eine weiter Folge eingehen, in der das Thema „inszenierte Realität“ tangiert wird. In Folge 48, „Wer anderen einen Brunnen gräbt“8 spielt Bart der ganzen Stadt einen Streich, der eine Medienlawiene auslöst. Er wirft ein Funkgeräte in einen Brunnen, und täuscht mit dem zweiten Gerät vor ein kleiner Weisenknabe namens Timmy O‘Tool zu sein, der in den Brunnen gefallen ist. Die Medien stürzen sich auf dieses Ereignis, und binnen kürzester Zeit verwandelt sich die Umgebung um den Brunnen in eine Art improvisierten Timmy O‘Tool-Vergnügungs-Park. Barts unentlarvter Streich entwickelt sich zu dem, was Kepplinger wie erwähnt ein „Mediatisiertes Ereignis“ nennt. Das Ereignis, daß ein Junge in den Brunnen gefallen ist wird in Anbetracht des Medieninteresses von Geschäftsleuten und Souvenierverkäufern ausgenutzt. So nimmt z.B. Krusty der Fernsehclown mit einigen weiteren Stars wie Sting ein Lied für den allseits bemitleideten Jungen auf. Als der freche Bart anschließend aber tatsächlich in den Brunnen fällt, als er sein Funkgerät holen will, und der ganze Schwindel auffliegt, verlieren zunächst die Medien das Interesse und daraufhin auch die wirtschaftlichen Interessenten. Nach dem Verlust dieser Sensation beginnt die krampfhafte Suche nach einem Ersatzereignis. Schließlich wird in einer aktuellen Sondermeldung zunächst die Entdeckung eines „Lincoln ähnlichen Eichhörnchens“ gemeldet und später auch die Nachricht, das es überfahren wurde. Dabei handelt es sich in Anlehnung an Daniel Boornstin um die Darstellung eines von den Medien selbst inszenierten Pseudo-Ereignisses (vgl. Boornstin 1961, S. 31 ff.). Die eigentlich belanglose Existenz dieses Eichhörnchens wurde von den Medien zu einem Ereignis erklärt, das lediglich aus Gründen der Berichterstattung als Nachricht aufgegriffen wurde.

Deutlich kommt dabei der hohe Grad der Mediatisierung unserer heutigen Gesellschaft zum Ausdruck, so wie das Hochstilisieren von Ereignissen, denen die Nachrichtenfaktoren nicht von Natur aus anhaften, sondern erst seitens Journalisten zugesprochen werden.

4.0 Abschluß

Es wurde also an zwei bzw. drei exemplarischen Episoden gezeigt, daß sich Die Simpsons für eine Zeichentrickserie zu einen recht hohen Maß mit spezifischen Problemen der Massenkommunikation und deren Gesellschaft auseinandersetzen.

Obwohl oder vielleicht gerade weil Anspielungen häufig sehr überspitzt erfolgen, thematisieren sie die angesprochene Problematik um so trefflicher.

Auch in den meisten anderen Folgen findet einen ähnliche Auseinandersetzung mit Themen statt, die aus kommunikationswissenschftlicher oder medienpädagogischer Sichtweise überaus interessant sind. So wird beispielsweise die Instrumentalisierung von Medien aus politischen oder auch nicht-politischen Themen in mehreren hier ungenannten Folgen angesprochen. Allerdings würde ein konsequentes Aufzeigen der Behandlung dieser Themen den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen.

Natürlich kann man die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Themen innerhalb dieser Zeichentrickserie nicht mit der entsprechenden Diskussion der Fachliteratur vergleichen, dennoch lassen sich viele Erkenntnisse und verschiedene wissenschaftliche Standpunkte wiedererkennen. Auch wenn es sich bei den Simpsons um eine satirische Zeichentrickserie handelt, so läßt sich alles in allem ein stetiger Beigeschmack von Kritik an der modernen (amerikanischen) Kommunikationsgesellschaft nicht verneinen. Ob diese Zeichentrickserie nur als leichte Fernsehunterhaltung aufgenommen und verarbeitet wird, oder ob sie die Menschen nicht vielleicht doch zum Nachdenken anregt ist dabei ein anderes Thema. In diesem Zusammenhang möchte ich mit den Worten von Mark Witherspoon, einem Psychologe aus Dublin, schließen. Witherspoon glaubt, daß wenn schon nicht die Erwachsenen aus dieser Serie lernen, es zumindest für Kinder und Jugendliche einen Nutzeffekt geben könnte: „Ich glaube, Bart ist eher eine Hilfe als eine Behinderung für Jugendliche. Es gibt heute in den Klassenzimmern viele Kinder, die weniger leisten, als von ihnen erwartet wird. Für viele bedeutet das einen Verlust an Selbstrespekt. Deshalb versuchen sie, möglichst nicht aufzufallen, um ja nicht bloßgestellt zu werden. Bart Simpson könnte diesen Jugendlichen helfen, trotz ihrer schwachen Leistungen zu sich selbst zu stehen“

(vgl. http://www.home.ch/~spaw2623/index3.html).

5.0 Literaturverzeichnis

- Burkhart, Roland: „Kommunikationswissenschaft - Grundlagen und Problemfelder“, Böhlau Verlag, Wien, Weimar, 1995
- Moser, Heinz: „Einführung in die Medienpädagogik - Aufwachsen im Medienzeitalter“, Opladen: Leske & Budrich, 1995
- Quelle der Drehbuchauszüge: http://www.snpp.com/episodes.html; “Das Internet- Simpsons-Archiv”; weitgehend wörtliche Übersetzung der engl. Originaldialoge, nicht die dt. Synchronfassung

[...]


4 Originaltitel: “Itchy & Scratchy & Marge”; Folgen-Bezeichnug: 7F09; US-Erstauststrahlung: 20. Dezember 1990

5 Originaltitel: „Homer Bad Man”; Folgen-Bezeichnug: 2F06; US-Erstauststrahlung: 27. November 1994

6 Gemeint ist die Sendung „Fahndungs-Akte“ des Senders Sat.1

7 Hier ist die Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ des ZDF gemeint.

8 Originaltitel: „Radio Bart“; Folgen-Bezeichnung: 8F11; US-Erstaustrahlung: 9. Januar 1992

Final del extracto de 33 páginas

Detalles

Título
DIE SIMPSONS - Die erfolgreichste Zeichentrickserie aller Zeiten und ihre kritische Betrachtung der amerikanischen Medien
Universidad
Otto-von-Guericke-University Magdeburg
Curso
Einführung in die Medienpädagogik
Calificación
1
Autor
Año
1998
Páginas
33
No. de catálogo
V95816
ISBN (Ebook)
9783638084949
Tamaño de fichero
446 KB
Idioma
Alemán
Notas
inklusive vieler Bilder unter folgender URL: http://www.uni-magdeburg.de/carl/publikationen/hausarbeit_simpsons.htm
Palabras clave
SIMPSONS, Zeichentrickserie, Zeiten, Betrachtung, Medien, Einführung, Medienpädagogik
Citar trabajo
Stefan; Krause Carl (Autor), 1998, DIE SIMPSONS - Die erfolgreichste Zeichentrickserie aller Zeiten und ihre kritische Betrachtung der amerikanischen Medien, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95816

Comentarios

  • visitante el 12/8/2001

    I like the Simpsons.

    Ich bin 18 Jahre alt, ein grosser Fan der Simpsons, habe jede Folge der Staffeln 1-9 auf Video und kenne diese Folgen fast auswendig. Zur Zeit schreibe ich eine Arbeit über die Simpsons, in der ich einen Vergleich zwischen der realen amerikanischen Gesellschaft und der in der Zeichentrickserie dargestellten Karikatur dieser Gesellschaft anstelle. Über einen Suchdienst bin ich dann auf dieser Seite gelandet. Als "Simpsonkenner" kann ich den Erkenntnissen dieser Arbeit nur zustimmen obwohl ich von Pädagogik so gut wie keine Ahnung habe. Die Charakteristiken der einzelnen Personen kann ich aber sehr wohl beurteilen, und diese muss ich auch wirklich loben. Ich hätte grosse Mühe, all mein Wissen über diese Personen auf ein paar so präzise Sätze zu reduzieren.

    Ich hätte eine solche Arbeit nie zu Stande gebracht, bin aber dankbar, sie lesen zu dürfen. Sie wird mir bei meiner Arbeit sicher behilflich sein.

    Andy

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Título: DIE SIMPSONS - Die erfolgreichste Zeichentrickserie aller Zeiten und ihre kritische Betrachtung der amerikanischen Medien



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