Das Spiel mit und gegen Zeit. Spannungserzeugung in der Serie „Haus des Geldes“

Eine Analyse des vielschichtigen Einsatzes von Zeit


Seminararbeit, 2020

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Die Handlung

2. Narratologische Erzählung

3. Der Faktor Zeit in Serien

4. Die Narration in Haus des Geldes

5. Zeitstempel in Haus des Geldes für die Zuschauer/innen

6. Auswirkung der Zeit auf die Polizei

7. Auswirkung der Zeit auf die Räuber/innen

8. Zeit als filmisches Mittel

9. Fazit

10. Literaturverzeichnis
10.1 Medienverzeichnis

1. Einleitung

Filme und Serien über Bankraube laufen üblicherweise nach einem oft festgelegten Schema und einer geläufigen Choreografie ab. Die Verbrecher/innen dringen in eine Bank ein, nehmen mitunter Geiseln und wollen den Tatort möglichst schnell und erfolg­reich mit der Beute wieder verlassen. Die Polizei arbeitet dagegen oft auf Zeit, um die Täter zu zermürben. La casa de papel oder auch Haus des Geldes (Spanien 2017-2019) stellt dagegen keine solch klassische Räubererzählung dar, denn es wird keine einzelne Person beraubt, sondern gleich das gesamte spanische Finanzsystem (SOIEOI, TC: 00:10:53 - 00:10:58). Wie Kapitel 1.1 zu entnehmen, geht es den Verbrecher/innen in ihrem Handeln darum, möglichst viel Zeit in der Banknotendruckerei zur Verfügung zu haben, um Geld im Milliardenwert drucken zu können.

Ich habe euch in einer unserer ersten Stunden gesagt, dass wir niemandem etwas stehlen werden. [...] Das war gelogen. Denn eine kleine Sache werden wir doch stehlen müssen. Und zwar werden wirZeit stehlen. Die derPolizei. (S01E10, TC: 00:31:44 - 00:32:03).

Der Faktor Zeit ist demnach zentrales Element dieser Serie und daher für eine genauere Analyse besonders reizvoll. Nach einer kurzen Übersicht über die Handlung der Serie beschäftigt sich diese Arbeit zunächst mit theoretischen Grundlagen der Narration und der damit einhergehenden Zeitlichkeit in Serien. Im Anschluss wird die Fragestellung untersucht, wie der Faktor Zeit auf unterschiedlichen Ebenen der Serie dargestellt wird, um anhand dieser aufzeigen zu können, dass das vielschichtige Spiel mit Zeit elementa­rerer Bestandteil der Spannungserzeugung und damit einhergehend für den Erfolg der spanischen Serie verantwortlich ist. Um einen Einstieg im Folgenden zu erleichtern, wird nun zunächst die Serie in Kürze vorgestellt, um den weiteren Verlauf der Arbeit vorzu­bereiten.

1.1 Die Handlung

Mithilfe einer zuvor vom Professor (Alvaro Morte) ausgewählten achtköpfigen Gruppe soll die staatliche Banknotendruckerei Madrids überfallen und Geldscheine im Milliar­denwert gedruckt werden. Der Plan der Gruppe sieht vor, so lange wie möglich die No­tendruckerei zu besetzen, damit in dieser Zeit durch den Zugriff auf die Drucker so viel Geld wie möglich gedruckt werden kann. Die Zielsumme liegt dabei bei 2,4 Milliarden Euro (SOIEOI, TC: 00:05:19 - 00:05:21). Als Chef und Gehirn der achtköpfigen Gruppe hält der Professor mit dem Filmnamen Sergio Marquina die Idee bereit, dass der Gewinn der Geldschöpfung dem Staat, also der Gemeinschaft zugutekommen soll. Dass allerdings nur die Bande die gedruckten Milliarden erhält, ist neben der Geiselnahme das wahre Verbrechen. Als Gegenspieler fungiert die spanische Polizei, die zunächst von einem ge­wöhnlichen Bankraub mit Geiselnahme ausgeht, dann jedoch feststellen muss, dass es den Tätern/-innen nicht um die in der Bank gelagerten Millionen geht, sondern um einen viel größeren Coup und sie versucht den Plan der Bande zu durchkreuzen. Darauf entwi­ckelt sich ein Kampf zwischen Jägern und Gejagten um Zeit. Dass Zeit in Serien nicht allein in Erscheinung tritt, sondern vor allem an Geschehnisse gebunden ist, wird im fol­genden Kapitel verdeutlicht.

2. Narratologische Erzählung

Haus des Geldes strukturiert sich durch einen spezifischen Umgang mit Zeitlichkeit als konstitutivem Moment ihrer Ästhetik und Narration. Fragen nach der Ästhetik der Zeit­lichkeit eignen sich in besonderer Weise, um der Komplexität von TV-Serien Rechnung zu tragen, die bei den Zuschauerinnen und Zuschauern auf großes Interesse und Anerken­nung stoßen (Schabacher 2010, 7). Die Ästhetik der Zeitlichkeit ist dabei grundlegend durch „Sukzessivität“ (ebd.) geprägt: Eine Serie wird in einzelne Folgen geteilt, deren chronologische Ordnung häufig für das Verständnis der gesamten Geschichte notwendig ist. Jede Folge führt die Erinnerung an ihre Vorausgegangene mit sich und lässt manchmal auch auf ihre Nachfolger vorausblicken. Gabriele Schabacher unterscheidet dabei in Ih­rem Werk „Previously on...“ Zur Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer TV-Serien (2010) zwi­schen series und serial'. Eine series besteht aus in sich abgeschlossenen Episoden, wäh­rend Serien wie Haus des Geldes das Beispiel einer unendlich weitererzählbaren Fortset­zungsserie bilden, diese Weitererzählung aber nicht beliebig eingesetzt werden kann, son­dern ihrerseits Schließungen enthält (serial) (8). Durch Verzweigungen innerhalb der Handlungsstränge werden Kontinuitäten, wie beispielsweise ihre narrativen Konstrukti­onen, die in Haus des Geldes durch sogenannte Zeitstempel (Seite 11 der Arbeit) zusam­mengehalten werden, für den/die Zuschauer/in erfahrbar gemacht. Die Vielschichtigkeit einer Serie stellt dabei oft die Bedingung, vergangene Ereignisse neu ins Gedächtnis zu rufen und benötigt daher das „previously on“ (ebd.). Bei diesem Mittel handelt es sich um ein Serienprodukt, welches zum Verständnis der Handlung dienen soll. Es besteht aus zusammengerafften Szenen einer oder mehrerer vorheriger Folgen. Das previously on dient den Zuschauem/-innen, die die Serie bis dahin verfolgt haben, als Gedächtnis-Auf­frischung, bei der aus den insgesamt vorhandenen Informationen spezifische herausge­griffen werden, die für die aktuelle Episode zentral sind. Zuschauer/innen hingegen, die die Serie zuvor nicht angeschaut haben, können mithilfe des previously ons die Zusam­menhänge der Serie verstehen und ermöglicht ihnen einen Ersteinstieg. Meist wird hierbei auch auf textueller und bildlicher Ebene gearbeitet, sodass die gezeigten Szenen von einer Erzählstimme oder Paratexten begleitet werden. Haus des Geldes nutzt zu Beginn der neuen Folge oft auch den Zusammenschnitt vorheriger Szenen, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer/innen auf gewisse Inhalte zu lenken und durch die Präsentation des Vo­ranschreitens der Zeit einen Spannungsaufbau zu suggerieren. Diese vorgenommene Se­lektion des Serienwissens bildet nicht nur eine Hilfestellung für den/die Zuschauer/in, sondern ist eine „unverzichtbare Aktualisierung“ (ebd.) der Kontexte, ohne die diese zum Teil nicht zu verstehen wären. So gesehen ist das previously on kein Beiwerk, sondern integraler Bestandteil der Episode.

Bei filmischen Erzählungen steht die narrative Ordnung im Fokus. Ma­tias Martinez unterteilt in seinem Handbuch der Erzählliteratur die Narrative in drei Di­mensionen: Zum einen unterscheidet er die Sprachhandlung von dem Erzählinhalt, denn während die Sprachhandlung in einem bestimmten Kontext zwischen einem Erzähler und einem oder mehreren Rezipienten/innen stattfmdet, fasst der Erzählinhalt Figuren, Orte und Ereignisse zu einer Geschichte zusammen. Die dritte Einheit schließt das „Wie“ (Martinez 2011, 1) des Erzählens mit ein und formt die Gestaltungsweise der Erzählung (ebd.). Bei der Geschehensdarstellung liegt die Sinnstiftung zugrunde, bei der zwei Fak­toren eine wesentliche Rolle spielen: Die histoire und der discours. In den 1960er Jahren übersetzte der strukturalistische Erzähltheoretiker Tzvetan Todorov das Begriffspaar his­toire und discours aus dem Russischen und gab den beiden von Boris To masevskij defi­nierten Gegensätzen. fabula und sjuzet damit eine neue Bestimmung (ebd.). Nach Todorov lässt sich die dargestellte Geschichte (histoire) als die tatsächliche Story verstehen, die aus allen Ereignissen, Personen, Perspektiven und Orten besteht und eine bestimmte Re­alität evoziert. Die Ebene des discours dagegen besteht nach Todorov aus der Darstellung der Erzählung. Diese Erzählung könne auch durch sprachliche, filmische oder mediale Darstellung dargestellt werden und müsse nicht nur an einem Buch fixiert werden (Martinez nach Todorov 1966, 132).

Lena Schüch stellt in ihrem Werk Zeiten erzählen: Ansätze - Aspekte - Analysen (2015) fest, dass bei der Discours- und Geschichtsebene das erzählte Geschehen und des­sen Darstellungjeweils eigene Zeitlichkeit besitzen. Schüch unterscheidet hier zwischen der Zeit des Erzählens und der Zeit des Geschehens, auf die im nächsten Kapitel dieser Arbeit näher eingegangen wird. Bei der Unterscheidung zwischen histoire und discours und deren Beziehung zueinander wird zunächstjedoch auf narrativer Ebene eine Vermitt­lung der beiden genannten Zeitebenen benötigt: Die Erzählinstanz. Wichtig hierbei ist unter anderem der Modus, der den Grad der Mittelbarkeit behandelt. Dieser gibt an, wie sehr sich ein Erzähler in die Erzählung einmischt, wie detailliert die Schilderungen und die Präsentation von Worten und Gedanken sind und befasst sich mit der Perspektivierung des Erzählten. Genette schreibt in seinem Werk Die Erzählung (1998), dass es bei der Perspektive um die so genannte Fokalisierung geht, die eine Form der „Informationsre­gulierung“ (132) darstellt. Der Erzähler kann durch die Wahl oder Nichtwahl eines Fokus die Vermittlung der narrativen Informationen beeinflussen (ebd.) und somit auch Einfluss auf die Erzählzeit nehmen. Genette stellt drei unterschiedliche Fokalisierungstypen auf, die durch das Verhältnis des Erzählwissens zu seinen Figuren bestimmt sind: Nullfokali- sierung, externe und interne Fokalisierung (34). Bei der sogenannten Nullfokalisierung weiß der Erzähler mehr als die Figuren der Geschichte und liefert damit dem/der Zu- schauer/in Informationen, die keine der Figuren in der Erzählung haben kann; somit ist das Blickfeld der Erzählung sehr groß und nicht durch eine bestimmte Sichtweise einge­schränkt. Eine interne Fokalisierung liegt dagegen vor, wenn der Erzähler genauso viel wie eine Figur weiß und somit die Möglichkeit hat, Einblicke in das Innere der Figur zu geben. Wenn der Erzähler weniger als die Figur weiß, also nur von außen durch die Ka­meraperspektive objektiv betrachten kann, dann liegt die sogenannte externe Fokalisie­rung vor (35).

Bei der Frage, wer die Informationen vermittelt, geht es um die Stimme, die er­zählt. Durch diese erfährt der/die Rezipient/in weitere emotionale Inhalte über den/die Erzähler/in und mit diesen die Verknüpfung mit der eigentlichen Geschichte, ihren Inhal­ten und ihren Figuren (Franz 2010, 39). Weiterhin ist bei der Analyse der Erzählinstanz zu unterscheiden, in welchem Maße der Erzähler am Geschehen beteiligt ist. So lassen sich zwei Arten der Beziehung von Erzähler und Figuren unterscheiden. Kommt der Er­zähler selbst in der Geschichte vor, nennt man ihn einen homodiegetischen Erzähler. Ist er nicht Teil ihrer, liegt eine heterodiegetische Stellung des Erzählers zum Geschehen vor (Martinez/Scheffel 2016, 85).

Die Erzählinstanz scheint somit Einfluss auf die von Schüch genannte Zeit des Erzählens und die Zeit des Geschehens zu nehmen. Um den Unterschied der beiden Zeit­ebenen zu erläutern, bedarf es im Folgenden einer genaueren Betrachtung des Faktors Zeit.

3. Der Faktor Zeit in Serien

'Zeit ist Geld - dieses Sprichwort gibt den Inhalt von Haus des Geldes treffend wieder. Nicht nur die komplexe Narration skizziert den Grund für den Erfolg der Serie, sondern auch ihr spezifischer Umgang mit dem Komplex der Zeitlichkeit. Ausgehend von der narratologischen Unterscheidung von Erzählzeit und erzählter Zeit, werden die im Rah­men der Erzählzeit extensiv und systematisch eingesetzten Techniken der Darstellung von Zeitlichkeit in Haus des Geldes aufgezeigt, die eine lineare Nacherzählbarkeit der Serie nahezu unmöglich machen. Schüch separiert auf der Discours- und Geschichts­ebene das erzählte Geschehen und dessen Darstellung und stellt dabei heraus, dass sowohl die Geschichte als auch ihre Erzählung eigene Zeitlichkeit besitzen und somit von einer „doppelten Zeitlichkeit“ (2015, 30) ausgegangen werden könne: Aus dem Zusammen­spiel der Zeit des Erzählens und der Zeit des Geschehens ergeben sich drei Analyse-Kri­terien, bestehend aus Dauer und Frequenz des Geschehens sowie der Reihenfolge, in der das Geschehnis wiedergegeben wird. Schüch fasst diese Kategorie mit dem Begriff „Ord­nung“ (ebd.) zusammen. Folglich kann eine Narration in Hinblick auf ihre Dauer in un­terschiedlichen Geschwindigkeiten stattfinden. Als Beispiel hierfür kann die Zeitraffung herangezogen werden, die als filmisches Mittel dazu genutzt wird, das Vergehen der Zeit anzuzeigen. Das Fortschreiten der Zeit wird dabei nur als ein Rahmen für Erzählinhalte genutzt und folgt keiner zeitlichen, sondern einer zeitunabhängigen räumlichen oder the­matischen Ordnung (Meyer 2012). So ist es möglich, die Geschichte eines Jahres bei­spielsweise innerhalb weniger Sekunden zu erzählen. Der discours ist dabei inhaltlich kleiner als die histoire. Als Gegenbeispiel zur Raffung fungiert die Dehnung, bei der eine Sekunde der Story beliebig in die Länge gezogen werden kann, dass der discours größer ist als die histoire. Durch die Zeitraffung und -dehnung ergibt sich somit eine alternative Zeitanschauung, bei der die Vorgänge in ihrer zeitlichen Strukturiertheit verändert wer­den (Becker 2004, 21). Für beides gilt, dass sie in der konkreten Zeitjeweils an das Zu­rücksinken in die Vergangenheit oder die Intensität des Erlebten gebunden sind und damit beliebig in Serien eingesetzt werden können (Becker 2004, 98). Als Maßstab für die Nut­zung der doppelten Zeitlichkeit kann die Relevanz für das Geschehen, oder auch die Her­vorhebung dramatischer Ereignisse gesehen werden und dirigiert so die Aufmerksamkeit der Zuschauer/innen und erzeugt Spannung.

Zudem lassen sich im Rahmen des erzählten Geschehens und im Rahmen der Er­zählweise die Zahl der Wiederholungen ihres Ereignisses sowie ihrer Darstellung be­trachten. Aus dieser Betrachtung heraus ergeben sich folgende Möglichkeiten: Wieder­holt oder einmalig wird ein einmaliges Ergebnis erzählt, wiederholt oder einmalig wird ein wiederholtes Ereignis erzählt (Martinez/Scheffel 2016, 48). Aus diesen Eventualitäten lassen sich drei Typen von Wiederholungsbeziehungen formen: Eine Erzählung wird als singulativ definiert, wenn ein Ereignis einmal gezeigt wird. Ereignisse werden demnach genauso oft erzählt, wie sie geschehen. Dagegen werden bei iterativen Frequenzen meh­rere Ereignisse in einer Erzählung zusammengefasst und bei den repetitiven Frequenzen ein einmaliges Ereignis mehrfach erzählt. Das repetitive Erzählen bewirkt dabei eine be­sondere Aufmerksamkeit der/des Lesers/in (Jannidis, 2005), da durch das wiederholte Erzählen eines einmaligen Ereignisses eine besondere Wichtigkeit suggeriert wird.

Bei seriellen Erzählungen hat das Medium zuletzt auch die Möglichkeit, die zeit­liche Ordnung (Anachronie) zu verändern. Hier zeigt sich, dass Zeit im Erzählwerk nie allein in Erscheinung tritt, sondern vor allem an Geschehnisse gebunden ist. Anachronie ist ein von Gérard Genette definierter Begriff, mit dem man „Formen von Dissonanz zwi­schen der Ordnung der Geschichte und der Erzählung“ bezeichnet (Genette 2010, 18). Da die Zuschauerinnen und Zuschauer die Zeitfolge- und -Ordnung der Ereignisse durch­schauen sollten, wird mit Verweisstrukturen gearbeitet. In der Geschichte kann dabei ent­weder vorgegriffen werden, indem auf noch folgende Ereignisse verwiesen wird (prolep- tische Anachronie), oder dem/der Zuschauer/in wird etwas vorenthalten. Eine solche Vor­enthaltung nennt sich analeptische Anachronie.

Haus des Geldes arbeitet außerdem mit Rückblenden, bei der aus einer bereits entfalteten Gegenwart in ein vergangenes Geschehen geschnitten wird (Wyborny 2012, 448). Am Ende einer solchen erscheint diese oft als „geplatzte Seifenblase“ (ebd.), nach der wieder das wirkliche Gegenwarts-Geschehen beginnt.

Filmsprache scheint sich demnach als ein wichtiges Mittel zur Darstellung von Zeit herausgestellt zu haben. Um den Faktor Zeit in der Serie Haus des Geldes zu unter­suchen, bedarf esjedoch zunächst zu klären, inwieweit Zeit im Erzählwerk an Gescheh­nisse gebunden ist.

4. Die Narration in Haus des Geldes

Bei der Geschehensdarstellung spielt die Ebene des discours eine wesentliche Rolle. Bei der Vermittlung und Darstellung der Geschichte wird eine Erzählinstanz benötigt: Diese wird in Haus des Geldes durch Tokio (Ursula Corbero) verkörpert. Sie bildet eines der Glieder der Räuberbande und erhält, wie auch alle anderen Figuren in der Serie, einen Städtenamen, der dabei helfen soll, ihre Identitäten zu schützen. Tokio erzählt und kom­mentiert die Geschichte aus eigener Perspektive, weshalb ihre Figur eine homodiegeti- sche Erzählinstanz bildet. Durch diese Technik werden dem/der Zuschauer/in ausschließ­lich Einblicke in ihr Inneres geboten.

Zunächst gleicht diese Erzählweise einer internen Fokalisierung, bei der stark aus dem Blickwinkel der oben genannten Hauptfigur heraus erzählt wird. Bei einer genaueren Betrachtung lässt sich die Erzählungjedoch nicht von einer Nullfokalisierung abgrenzen. Dadurch, dass sie oftmals in der Gegenwart Bezug auf die Zukunft nimmt, scheint sie vom weiteren Verlauf der Handlung zu wissen (SOIEOI, TC: 00:03:34 - 00:03:38) und somit rückblickend beinahe allwissend zu erzählen. So werden dem/der Zuschauer/in durch Tokio als Erzählinstanz Einblicke in einige Handlungsstränge der Polizei oder des sich im Lager befindenden Professors gewährt, die Tokio erst aus einer zurückblickenden Perspektive wissen konnte. Tokio erzählt die Geschichte also zu einem Zeitpunkt nach dem gesamten Geschehen, weswegen sich an dieser Stelle eine Nullfokalisierung mani­festiert. Dadurch, dass es sich nicht um einen Gegenwartserzählung handelt, kann Tokio auf gewisse Informationen zurückgreifen, die in der jeweiligen Situation noch nicht be­kannt sind. Dadurch wird die gegenwärtige Handlung mit Wissen aus der Zukunft ergänzt und erzeugt so Spannung und Neugierde. Als Erzählerin spricht Tokio die Zuschauerin­nen und Zuschauer außerdem oft direkt an oder stellt rhetorische Fragen, die dazu beitra­gen, dass dieser/diese sich schnell als Teil der ganzen Handlung fühlt. Das Gefühl der Inklusion der Zuschauer/innen wird dahingehend verstärkt, dass Tokio sich zwischen den Handlungssträngen oft zu Wort meldet und Zusammenhänge der Geschichte verdeutlicht. Durch die Fülle an ihr zur Verfügung stehenden Informationen, zeigt sich auf der Ebene der Erzählung ihr Einfluss auf die Länge der Erzählzeit. Ein weiteres Gefühl der Inklusion bekommt der/die Zuschauer/in, als alle Figuren der Serie bereits in den ersten acht Minu­ten durch Tokio mit Namen und Vergangenheit vorgestellt werden und trägt dazu bei, dass bereits am Anfang der Serie Sympathien gebildet werden können. Damit dies ge­währleistet werden kann, muss das Opfer des Raubes für gewöhnlich anfangs in Misskre­dit gebracht werden. Ein klassisches Opfer, welches zu Beginn der Serie deskreditiert wird, ist in Haus des Geldes jedoch nicht aufzufinden. Es ist das spanische Finanzsystem, welches der Professor mit seinem Plan hinters Licht führt. Daher fällt es dem Publikum leicht, sich bereits zu Beginn der Serie in die Figuren hineinzuversetzen und mitzufühlen.

In der ersten Folge wirdjedoch auch augenfällig, dass der/die Zuschauer/in selten Einblicke in den Plan des Professors oder die Handlungen der Räuber/innen erhält. Ob­wohl Tokio den weiteren Verlauf des Plans kennt, werden dem Publikum Informationen vorenthalten: Der/die Zuschauer/in erkennt das Vorhaben immer erst dann, wenn es auch tatsächlich realisiert wird, was erneut zum Spannungsaufbau führt. Dieser Methode der analeptischen Anachronie bedient sich Produzent Alex Pina auch im weiteren Verlauf der zweiten und dritten Staffel. Zu Beginn der ersten Folge von Staffel eins wird Tokio bei­spielsweise vom Professor auf offener Straße aus einem Auto heraus angesprochen und eingesammelt. Dass er bereits vorher einige Recherchen über sie durchgeführt hat und Bilder von ihrem Elternhaus aufgenommen hat, erfährt der/die Zuschauer/in erst im Nachhinein. Auf das erste Zusammentreffen der beiden folgt ein Sprung aus der Vergan­genheit in die Gegenwart zu dem Zeitpunkt, als sich die achtköpfige Räuberbande in dem Haus befindet, in dem sie die nächsten fünf Monate Zuflucht finden sollen, um ihren Überfall bis ins kleinste Detail durchzusprechen und einzustudieren. Diese fünf Monate werden jedoch zunächst für den/die Zuschauer/in übersprungen, denn in einer nächsten Szene findet er/sie sich dann mittels eines erneuten Zeitsprungs an dem Tag des Überfalls wieder. Ohnejedes Wissen über die geplante Durchführung des Raubes, ist das Publikum ebenso wie die spanische Polizei, die gesamte Zeit unwissend.

Damit die hohe Frequenz an Zeitsprüngen innerhalb der Geschichte den/die Zu- schauer/-in nicht den Anschluss verlieren lässt, bedient sich der Produzent bestimmter Gestaltungmittel, die es dem Publikum ermöglichen, sich innerhalb der Handlungsstränge zu orientieren und so der Erzählung folgen zu können. Zum einen spielt hier die konstante Ortschaft der Banknotendruckerei eine wichtige Rolle, in der sich die gesamte Handlung des Verbrechens abspielt. Auch der Aufenthaltsort des Professors bleibt zunächst gleich. Er sitzt, außerhalb des Geschehens, in einer kleinen abgelegenen Scheune und versucht, die Bande zu steuern, ohne selbst vor Ort anwesend zu sein. Zum anderen sorgt die Kos­tümierung der Gruppe für einen Wiedererkennungswert und nebenbei für eine hohe Kom­merzialisierung der Serie. Durch die Overalls und Dali Masken wird jedoch auch ver­sucht, die Spannung aufrecht zu erhalten, da oft nicht durchschaubar ist, wer sich hinter dem Kostüm verbirgt. Ein weiteres Mittel der Gestaltung, um dem/der Zuschauer/in Ori­entierung innerhalb der Handlungsstränge zu geben, ist der sogenannte Zeitstempel.

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Spiel mit und gegen Zeit. Spannungserzeugung in der Serie „Haus des Geldes“
Untertitel
Eine Analyse des vielschichtigen Einsatzes von Zeit
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Medienkultur und Theater)
Veranstaltung
Television Studies
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
21
Katalognummer
V958293
ISBN (eBook)
9783346299222
ISBN (Buch)
9783346299239
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Haus des Gelses, Narration, Zeit, Spannungserzeugung, Spannung, Serie
Arbeit zitieren
Olivia Schulze Wierling (Autor:in), 2020, Das Spiel mit und gegen Zeit. Spannungserzeugung in der Serie „Haus des Geldes“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/958293

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