Rechtstheoretische Konzepte und ihre Begründungsfiguren


Hausarbeit, 2020

15 Seiten, Note: 16


Leseprobe


Gliederung

A. Erläuterung des geltungsbegründenden Konzeptes der „Grundnorm“ Kelsens
I. Kelsens Reine Rechtslehre
1. Kelsens Methodendualismus
2. Kelsens Stufenbau der Rechtsordnung
II. Kelsens „Grundnorm“ als Vermeidung eines infiniten Geltungsregresses
1. Die Unabdingbarkeit einer geltungsbegründenden Norm
2. Denkzweck der „Grundnorm“
3. Die „Grundnorm“ als Kunstgriff und die damit einhergehende Angreifbarkeit

B. Verzicht der Systemtheorie auf Begründungsfiguren sowie die Herleitung der Geltung des Rechts bei Luhmann
I. Die Systemtheorie als dehumanisierendes Konzept
1. Entstehung und Entwicklung
2. Die Allgemeine Systemtheorie Luhmanns
3. Verzicht der Systemtheorie auf Begründungsfiguren
II. Luhmanns Herleitung der Geltung des Rechts

C. Frage nach der Notwendigkeit rechtstheoretischer Begründungsfiguren innerhalb der heutigen Rechtstheorie
I. Volk und Individuum als politische Einheit
1. Carl Schmitts subjekt-orientierte Verfassungslehre
2. Legitimation durch das Volk
II. Die Obsoleszenz klassischer Begründungsfiguren

Literaturverzeichnis

Schriftliche Quellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Erläuterung des geltungsbegründenden Konzeptes der „Grundnorm“ Kelsens

I. Kelsens Reine Rechtslehre

Mit seiner Reinen Rechtslehre vertrat Hans Kelsen (1881-1973) auf exemplarische und zugleich konsequenteste Weise das im 19. Jahrhundert aufkommende Gedankengut des Rechtspositivismus.

Die namensgebend an Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ angelegte Reine Rechtslehre sah es dabei als ihr primäres Ziel an, die Jurisprudenz zu einer autarken und von äußeren Einflüssen, wie der Ethik oder Psychologie, unberührten Wissenschaft zu erhöhen.1 Kelsen selbst konstatierte als methodisches Grundprinzip seiner Theorie die Befreiung der Rechtswissenschaft von „allen ihren fremden Elementen“ und kritisierte die bis dato erfolgte Hinnahme einer solchen Vermengung.2

Diese Erhöhung der Jurisprudenz strebte nach einer faktischen Gleichstellung mit anderen Wissenschaften und erreichte ihr Ziel nicht zuletzt durch die klare Trennung von Recht und Moral.3

1. Kelsens Methodendualismus

Kelsen stützte die faktische Richtigkeit des Rechtspositivismus auf eine durch den Neukantianer Hermann Cohen formulierte Theorie der strikten Trennung zwischen dem „Sein“, dem faktisch Bestehenden, sowie dem „Sollen“, dem Normativen, wobei sich die Rechtswissenschaft lediglich mit der Sphäre des Seins oder des „Sein-werdens“, sprich den (gesetzten) Rechtsnormen, zu befassen habe.4

Weiterhin leitete er hieraus die sog. „Trennungsthese“ ab, nach welcher Recht und Moral zwei voneinander unabhängig zu betrachtende Systeme sind.5 Ginge man nämlich von einer Ableitung des Rechts aus der Moral aus, so bedürfte es in logischer Schlussfolgerung einer absoluten und allgemeingültigen Moral, welche wiederum absolute Gerechtigkeit innehaben müsste. An diesen absoluten Moralgrundsätzen fehle es jedoch bis heute, weshalb aus ihnen auch kein Recht entstehen könnte.6

Während das Individuum folglich im Naturrecht Recht durch Gerechtigkeit erlangt, so wird im positiven Recht Gerechtigkeit durch Recht erlangt.7

2. Kelsens Stufenbau der Rechtsordnung

Im Gegensatz zu naturrechtlichen Ansätzen bedarf es dabei im Rahmen der rechtspositivistischen Normbegründung weder einer außergesetzlichen Begründungsform noch einer deduktiven Ableitung des Rechts von übergesetzlichen Maßstäben.

Vielmehr versteht sich das ius positivum als Ermessensausübung des Gesetzgebers, welches keiner rückwärtigen Legitimation, etwa durch das ius divinum oder das Naturrecht bedarf. Die Geltung des herrschenden Rechts begründet sich mithin lediglich auf der Einhaltung der formell-rechtlichen Kriterien des Gesetzgebungsverfahrens.

Weiterhin nimmt Kelsen ein in sich geschlossenes Rechtssystem mit hierarchischem Aufbau an. Die Geltung einer Norm kann folglich nicht aus der Sphäre des Seins abgeleitet werden, sondern innerhalb des Systems bestehende Normen können sich zum Zwecke der Legitimation lediglich auf die jeweils ranghöhere Norm beziehen. Basiert die Erzeugung einer Norm folglich auf der „durch eine andere Norm bestimmte[n] Weise“, so „stellt diese den unmittelbaren Geltungsgrund für jene dar.“8

Gleichzeitig führt diese in sich geschlossene Dynamik des Rechtssystems zu der Problematik des sog. infiniten Regresses, wonach jede geltungsbegründende Norm für die ihr hierarchisch untergeordneten Normen einen Geltungsgrund aufweisen können muss.

II. Kelsens „Grundnorm“ als Vermeidung eines infiniten Geltungsregresses

1. Die Unabdingbarkeit einer geltungsbegründenden Norm

Um diesem infiniten Geltungsregress entgegenzuwirken proklamiert Kelsen das Bestehen einer „Grundnorm“, welche als ranghöchste Norm alle ihr hierarchisch untergeordneten Normen legitimiert. Sie wird nicht durch eine Autorität gesetzt9, da diese wiederum einer Handlungslegitimation bedürfte und besitzt weiterhin keinen Inhalt, sondern ihr Bestehen wird zum inneren legitimatorischen Abschluss der Rechtsordnung als vorausgesetzt angesehen.

2. Denkzweck der „Grundnorm“

Diese inhaltsneutrale und nicht weiter „deduzierbare Urnorm“10 stellt dabei eine transzendentallogische Voraussetzung zur Geltungsbegründung der Rechtspositivität11 und den „obersten Geltungsgrund“12 des Rechtssystems dar. Damit sorgt sie für die Erfüllung einer „erkenntnistheoretischen Funktion“13 sowie die Stiftung der Einheit des Erzeugungszusammenhangs.14

Gleichzeitig lässt sich durch diese innerkausale Verknüpfung jeder Inhalt einer Rechtsnorm legitimieren, insofern dieser sich auf eine ranghöhere Norm und damit letztlich auf die Grundnorm zurückführen lässt.

3. Die „Grundnorm“ als Kunstgriff und die damit einhergehende Angreifbarkeit

Da die Grundnorm jedoch keine Setzung durch eine Autorität und damit keine rechtliche Legitimation erfährt, stellt sie eine „fiktive Geltungsgrundlage“ dar und sich gleichzeitig als Kunstgriff Kelsens heraus. 15 Kelsen selbst ist sich dessen bewusst und relativiert deshalb seine anfängliche Bezeichnung der Grundnorm als Hypothese zu einer Fiktion.16

Während Kelsens Reine Rechtslehre somit als sekundäres Ziel das Aufstellen einer Theorie zur Geltungsbegründung einer positiven Rechtsordnung verfolgt, stellt die Grundnorm das Gerüst seiner Lehre dar, welche er wiederum, ähnlich der Last der Welt auf den Rücken des Riesen Atlas, baut.17

B. Verzicht der Systemtheorie auf Begründungsfiguren sowie die Herleitung der Geltung des Rechts bei Luhmann

I. Die Systemtheorie als dehumanisierendes Konzept

Im Rahmen der Systemtheorie kommt es zu einer Unterteilung komplexer Phänomene in unterschiedliche Systeme, um Mithilfe dieser Vorhersagen über die Entstehungen und Verhaltensweisen der Phänomene prognostizieren zu können. Unter dem Begriff des Systems versteht sich dabei ein Zusammenhang faktisch vollzogener, sozialer Operationen.18

1. Entstehung und Entwicklung

Bereits in der griechischen Philosophie gab es ein solches systemtheoretisches Denken, so findet sich der Gedanke der Trennung in unterschiedliche Gattungen bereits bei Platon19 und auch Aristoteles hat zwischen dem „pan“, der gewissen Menge sowie dem „holon“, der Ganzheit unterschieden.20 Eine Unterscheidung dieser zwei Begriffe ermöglichte er mithilfe einer Differenzierung: Mache „die Anordnung keinen Unterschied“ so sei eine Vielheit als Menge zu bezeichnen, ansonsten als Ganzheit.21 Auf diesen Begriff der Ganzheit stützt sich dabei das heute vorherrschende strukturale Systemkonzept, welches wiederum als Grundstein für die allgemeine Systemtheorie gilt.22

Ein weiterer Baustein der Systemtheorie findet sich in der von L. v. Bertalanffy um 1930 entwickelten Allgemeinen Systemlehre, welche infolge der, zwischen wissenschaftlichen Vertretern der Physik und Biologie aufkommenden, Debatte zur richtigen Betrachtung komplexer Phänomene, entstand.23 Mithilfe von Bertalanffys Modell der „organisierten Komplexität“, welches konstatiert, dass innerhalb eines Systems kein linearer Ablauf von Einzelphänomenen vonstattengeht, sondern diese in Wechselbeziehung zueinanderstehen, wird eine genauere Beschreibung der Vernetzung innerhalb des Systems ermöglicht.

2. Die Allgemeine Systemtheorie Luhmanns

Auch Niklas Luhmann (1927-1998) griff diesen Gedanken auf und entwickelte daraufhin mehrere systembasierte Theorien, welche eine abstrakte Betrachtungsweise des empirisch Feststellbaren ermöglichten.

a. Die Systemtheorie der Gesellschaft

So unterschied Luhmann die Gesellschaft in verschiedene Systeme, welche unter den Aspekt des Psychischen, mithin des Bewusstseins, sowie des Sozialen, der Kommunikation, betrachtet werden können. Jedem System kommt eine bestimmte Funktion zu, wodurch die Systeme per se nicht als Einheit fungieren, jedoch miteinander verkoppelt sind, da „die jeweils eine Systemart […] notwendige Umwelt der jeweils anderen [ist]“.24

Diese sozialen Systeme werden durch systemspezifische Kommunikation25 gebildet und können sich nur mithilfe dieser verständigen, weshalb die Gesellschaft als ein operativ geschlossenes und autopoietisches System zu betrachten ist.26 Die operative Geschlossenheit eines Systems wird dabei von seiner Fähigkeit zur Selbstreproduktion, mithin der Möglichkeit der selbstständigen Herstellung eigener Operationen, abhängig gemacht.27

Weiterhin kommt es hierdurch zur Bildung einer antihumanistischen Theorie, da der Mensch aus der Konsequenz der Systemtheorie heraus als Einheit verschwindet. So wird er in ein lebendes System, bestehend aus dem Körper mit seinen Organen, sowie in ein psychisches System, das Bewusstsein, unterschieden.28

b. Die Systemtheorie des Rechts

Auch das Recht verstand Luhmann als eigenes System und demnach als Subsystem der Gesellschaft, wobei es pars pro toto für diese steht. An ihm lassen sich allgemeine Prozesse demonstrieren und es ist durch seine gesamtgesellschaftliche Funktion mitkonstitutiv für diese.29 Es erfüllt die Funktion der „Stabilisierung normativer Erwartungen“ und erbringt hierin eine Verhaltenssteuerung sowie Konfliktlösung von Ereignissen innerhalb des Systems der Gesellschaft.30

Aufgrund der zuvor erwähnten Autopietät des Systems bleiben die behandelten Ereignisse jedoch Teil des Gesellschaftssystems und werden nur in das System des Rechts eingebracht, ohne je wirklicher Bestandteil dessen zu sein.31

Innerhalb des Rechtssystems gilt der von Luhmann gesetzte binäre Code ‚Recht/ Unrecht‘, welcher den Ordnungsaufbau des jeweiligen Systems durch Leitunterscheidungen darstellt und eine „rekurrente Vernetzung“32 des Systems ermöglicht.33 Durch eine Konnexität dieses Codes mit Funktionen wird eine Unterscheidung rechtsspezifischer Operationen ermöglicht, welche sich lediglich mit „marginalen Randunschärfen“34 reproduzieren.

[...]


1 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 21

2 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 1

3 Zur sog. „Trennungsthese“ siehe Kelsens Methodendualismus

4 Winkler, Rechtstheorie und Erkenntnislehre, S. 33 ff.

5 Hierdurch betont Kelsen zudem die Notwendigkeit des Unterscheidens zwischen der Geltung sowie der (moralischen) Verbindlichkeit einer Norm

6 Zum sog. Relativismusargument siehe Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 65 ff.

7 Weber-Grellet, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, Rn. 90 f.

8 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 228

9 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 197

10 Dreier, Rechtslehre bei Kelsen, S. 131

11 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 225

12 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 228

13 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 225

14 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 228

15 Rüthers u.a., Rechtstheorie, S. 306 f.

16 Kelsen u.a. , Die Wiener rechtstheoretische Schule, S. 1971 ff.

17 Larenz, Methodenlehre, S. 69 ff.

18 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 44

19 Sophistes, 253 d, in: Jowett, Dialogues

20 Ropohl, Eine Systemtheorie der Technik, S. 71

21 Aristoteles, Metaphysik, 1024a, in: Ropohl, Eine Systemtheorie der Technik, S. 71

22 Ropohl, Eine Systemtheorie der Technik, S. 71

23 Ropohl, Eine Systemtheorie der Technik, S. 72

24 Luhmann, Soziale Systeme (Rn. 7), S. 92

25 Dieser Begriff der Kommunikation unterscheidet sich vom herkömmlichen Sinne der Übertragung einer Informationen durch eine*n Sender*in an eine*n Empfänger*in und setzt sich aus einem intentionalen Moment der Mitteilung, einer Information sowie dem Verstehen dieser zusammen

26 Callieess, Systemtheorie Luhmanns und Teubners, S. 58 f.

27 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 44

28 Gerth, Kleine Einführung in die Systemtheorie nach Niklas Luhmann

29 Dreier, Positivität des Rechts, S. 421

30 Calliess, Systemtheorie Luhmanns und Teubners, S. 60

31 Hijikata, Die Systemtheoretische Begründung des Rechts, S. 366

32 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 67

33 Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, S. 65, 69 f.

34 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 60 f.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Rechtstheoretische Konzepte und ihre Begründungsfiguren
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
16
Autor
Jahr
2020
Seiten
15
Katalognummer
V962493
ISBN (eBook)
9783346323705
ISBN (Buch)
9783346323712
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hans Kelsen, Systemtheorie, Rechtstheorie, Grundnorm, Niklas Luhmann, Carl Schmitt
Arbeit zitieren
Felix Drechsler (Autor:in), 2020, Rechtstheoretische Konzepte und ihre Begründungsfiguren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/962493

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