Die Entwicklung des britischen Westminster Modells


Trabajo de Seminario, 1995

10 Páginas, Calificación: 2


Extracto


INHALT

1. Die ungeschriebene Verfassung
1.1. Statute Law
1.2. Common Law
1.3. Customs and Conventions
1.4. Rule of Law und Parlamentssouveränität

2. Die Entwicklung des Parlamentarismus
2.1. Anfänge des Parlamentarismus
2.1.1. Gesetzliche Grundlagen
2.1.2. Grundlagen des Parlamentarismus
2.2. Die Magna Charta und das Parlament bis 1688
2.3. Die Glorious Revolution
2.4. Das Parlament im 19. Jahrhundert
2.5. Die Demokratisierung

3. Das politische System Großbritanniens heute
3.1. Die Regierungsbildung
3.2. Das Kabinett
3.3. Die Parteien

4. Resumee

Literaturverzeichnis

1. Die ungeschriebene Verfassung

Großbritannien gehört zu den wenigen Ländern, die keine geschriebene Verfassung besitzen. Im Gegensatz dazu gehört die Bundesrepublik zu den Staaten, die eine schriftliche Verfassung haben. Ihre Verfassung ist im Grundgesetz niedergeschrieben.

In Großbritannien gibt es jedoch verschiedene schriftlich fixierte Verfassungsnormen wie Gesetzesvorschriften, Konventionen und offizielle Erläuterungen zu gesetzlichen Vorschriften. Diese Komponentenergeben jedoch noch keine systematische Verfassung. ,,Dieses bemerkenswerte Fehlen eines zusammenhängenden Verfassunngsdokuments hängt mit der allmählichen Entwicklung des britischen Regierungssystems zusammen, mit dem - beinahe - bruchlosen Übergang von feudalen zu liberal-bürgerlichen und schließlich sozialstaatlichen Verhältnissen auf dem Wege über - meist gerade noch rechtzeitig erfolgende - Reformen."1

Die ungeschriebene britische Verfassung kann man nach drei verschiedenen Rechtsquellen unterscheiden: Statute Law, Common Law und die Customs and Conventions of the Constitution. ,,Alle drei Rechtsquellen haben ihre Bedeutung und ihr Eigengewicht. Aber alle drei werden überragt von der Suprematie, der Vorherrschaft des Parlaments."2

1.1.Statute Law

Das Statute Law wurde durch die Parliament Acts geschaffen, um die Rechte der Bürger und die Befugnisse politischer Institutionen zu fixieren. Zu diesem Statute Law gehören Parlamentsgesetze mit verfassungsrechtlichem Charakter wie zum Beispiel die Habeas Corpus Amendment Acts von 1679 und 1815, die Bill of Rights von 1689, die Act of Settlement von 1701 sowie die Wahlgesetze von 1832, 1867, 1884, 1919 und 1948. Das Wahlrecht, das von 1832 bis 1948, immer weiter ausgedehnt wurde, und den Schutz des Einzelnen vor willkürlicher Verhaftung, gehören zu den wichtigsten verfassungsrechtlichen Bestimmungen.3 Die Gesetze von 1911 und 1949 haben das Vetorecht des Oberhauses eingeschränkt und die Überlegenheit des Unterhauses festgelegt.

Das Statute Law sind somit die ,,gesetzten Parlamentsrechte, das heißt, vom Parlament verabschiedete und ins Statute Book eingetragene Gesetze"4.

1.2.Common Law

Das seit den ältesten Zeiten überlieferte und durch die laufende Rechtsprechung allmählich modifizierte Common Law ist in keinem Buch niedergeschrieben, sondern kommt durch Gerichtsentscheidungen lediglich ,,zum Ausdruck",5 da meist nach älteren Präzedenzfällen entschieden wird.

William Blackstone definiert das Common Law als ,,Bräuche (Customs), die in keinem geschriebenen Gesetz oder Verordnung niedergelegt sind, sondern auf urvordenklichen Gebrauch (immortal usage) sich stützen". Auf dem Wege über die allmähliche Veränderung des Common Law übt die Rechtsprechung in England einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Verfassungsentwicklung aus.6 Das Common Law wird, ,,wie es in den Gerichtsentscheidungen zum Ausdruck kommt, fixiert und tradiert, aber durch die ständige weitergehende Rechtsprechung auch allmählich umgestaltet."7

1.3.Customs and Conventions

Die Customs and Conventions of the Constitution sind, wie das Common Law, nicht schriftlich fixiert. Sie gelten jedoch als die wichtigsten Normen für das Verhalten der Krone, des Parlaments, der Speaker, des Kabinetts und der Opposition.8 Da es keine Gerichtshöfe gibt, vor denen man auf Einhaltung der Customs and Conventions klagen kann, ist die Macht der öffentlichen Meinung zum Hüter der britischen Verfassung und damit vor allem ihres demokratischen Aspekts bestellt. Viele sehr wichtige britische Verfassungsbestimmungen beruhen ausschließlich auf derartigen Customs and Conventions. Zum Beispiel wird die Kabinettszusammensetzung aus Unterhausabgeordneten und Lords durch die Customs and Conventions bestimmt.

Eine andere Art von Konventionen soll die ,,Übereinstimmung zwischen der Tätigkeit von Parlamentsmehrheit und Regierung einerseits und öffenlicher Meinung andererseits garantieren. Es gibt keine legal verbriefte Volkssouveränität, die erwachsene Bevölkerung hat lediglich das Recht der Parlamentswahl, aber keinen Rechtstitel darauf, daß die von ihm gewählten Parlamentsmehrheiten und von ihnen getragene Regierungen den Volkswillen zum Ausdruck bringen."9

Eine dritte Art von politischen Konventionen sichert das bessere Funktionieren der einzelnen Institutionen. An die Customs and Conventions hat ,,man sich zu halten, wenn man von der Öffentlichkeit anerkannt werden will."10

1.4.Rule of Law und Parlamentssouveränität

Die drei Quellen der britischen Verfassung werden in die beiden Grundprinzipien Rule of Law und Souveränität des Parlaments unterschieden. ,,Die Gesetzesbindung politischen und administrativen Handelns (Rule of Law) zeichnet sich aus durch eine Definition von Handlungsfeldern und -möglichkeiten durch Gesetze, die gleiche Anwendung dieser Gesetze und die Möglichkeit des einzelnen, durch Gerichtsentscheide Interpretationen von gesetzlichen Regelungen zu erhalten. Wesentlich ist der flexible Charakter der Rule of Law" 11 . Die Handlungsmöglichkeiten von staatlichen Autoritäten werden durch diese Gesetzesbindungen eingeschränkt, der Inhalt der Gesetze bleibt jedoch offen. Das zweite Grundprinzip der britischen Verfassung ist die Souveränität des Parlaments. In Großbritannien gibt es keine dem Parlament übergeordnete Instanz, wie zum Beispiel in der Bundesrepublik das Bundesverfassungsgericht, das die Verfassungskonformität von Parlamentsbeschlüssen überprüfen kann. Das britische Parlament hat vielmehr das Recht, jedes beliebige Gesetz zu beschließen oder abzuschaffen, ohne daß ein Gremium oder eine Person außerhalb des Parlaments das gesetzmäßige Recht hat, dagegen einzuschreiten.

2. Die Entwicklung des Parlamentarismus

2.1. Anfänge des Parlamentarismus

2.1.1. Gesetzliche Grundlagen

Die ersten Versammlungen mit parlamentarischem Charakter findet man in der britischen Geschichte schon um 1066. Die Könige hatten neben sich einen Rat, dem die Edelsten und Weisesten des Landes angehörten. Diese wurden Witan oder Witenagemont 12 genannt. Ihre Funktion war jedoch geringfügig und sie hatten in erster Linie beratende Funktion. Mit der Eroberung durch die Normannen im 11. Jahrhundert wurde das Feudalsystem eingeführt. Aus diesen frühen Ansätzen entwickelten sich die Versammlungen weiter in Richtung eines parlamentarischen Rates. ,,Aus den direkten Vasallen der Krone - normannischen wie einheimischen - wurde eine Curia Regis gebildet, die dreimal jährlich zusammen trat, um den König zu beraten, Recht zu sprechen und Subsidien13 für den König zu bewilligen."14 Schon im 13. Jahrhundert wurde diese Versammlung auf Vertreter von Grafschaften, Marktflecken und Städten ausgedehnt. Diese erweiterte Form der Curia Regis wurde Great Council genannt, und führte zur Entstehung des englischen Repräsentativsystems. Die Ritter- und Bürgerschaft sowie die Grafschaften mußten einen Repräsentanten wählen, der ihre Interessen in der Versammlung zu vertreten hatte.

2.1.2. Grundlagen des Parlamentarismus

Im Jahre 1429 wurde durch die Election of Knights Act in den Grafschaften eine erste Wahlrechtsverordnung geschaffen, die die Entwicklung des Repräsentativprinzips dokumentiert. Die Election of Knight Act hatte bis zur ersten Reform Act 1832 Gültigkeit. König Edward I. (1272-1307) berief im Jahre 1295 das sogenannte Modell-Parlament zusammen, um sich für einen Krieg gegen Schottland und Frankreich die nötigen Mittel bewilligen zu lassen. ,,Außer den gewählten Rittern der Grafschaften und den je zwei Bürgern aus den Städten und Marktflecken wurden auch Vertreter des niederen Klerus einberufen."15 In diesem Modell-Parlament waren erstmals alle Stände vertreten: neben 64 geistlichen und 48 weltlichen Würdenträgern aus jeder Grafschaft und Stadt je zwei Vertreter16. Das Statut von York von 1322 verbannte die Geistlichkeit wieder aus dem Parlament. Erst 1664 gewann die niedere Geistlichkeit ihr Wahlrecht zurück.

Um 1300 wurde erstmals der Begriff Parlament für die vom König einberufene Versammlung erwähnt. Nach der Teilung des Parlaments in zwei Häuser im 14. Jahrhundert, erhielt das House of Commons immer mehr Machtbefugnisse. Denn durch die wachsende wirtschaftliche Bedeutung des Bürgertums und der Grafschaften, war der König bei Steuervorlagen mehr und mehr auf die Zustimmung des Unterhauses angewiesen. Das Oberhaus verlor zunehmend an Bedeutung. . Im House of Commons berieten sich Ritter, Bürger und die Mitglieder aus den niederen Ständen, im House of Lords versammelten sich der Hochadel.

2.2. Die Magna Charta und das Parlament bis 1688

Die Magna Charta Libertatum (1215) gilt als Basis für die Entwicklung des modernen englischen Rechtsstaates. König Johann Ohneland (1199-1216) ordnete sich diesem Recht unter, obwohl er absoluter Herrscher war. Diese Unterordnung war der erste Schritt zur konstitutionellen Monarchie. In der Magna Charta wurde zum Beispiel festgelegt, daß Schildgelder und ähnliche Forderungen vom König nur mit Zustimmung des Parlaments erhoben werden durften. Das Grundprinzip war no taxation without representation.17,,No free man shall be arrested or be imprisoned or disseised or outlawed or exiled or in many way victimised, neither will we attack him or send anyone to attack him, except by the lawful judgement of his peers or by the law of the land" (Art. 39 der Magna Charta Libertatum)18. Dieser Artikel garantiert dem Bürger Schutz vor der Willkür des Staates und ist,und geht schon in dieser frühen Zeit von Gedanken aus, wie sie beispielsweise im Artikel 1 GG der Bundesrepublik formuliert sind.

,,Dies schien der endgültige Sieg des Parlaments und eine Anerkennung der Freiheitsrechte der Magna Charta zugunsten aller englischen Untertanen zu sein."19

Durch das Steuerbewilligungsrecht erreichte das Unterhaus auch das Gesetzgebungsrecht. Die Krone wurde durch den vergrößerten Machtbereich des Unterhauses immer abhängiger von dessen Mittelbewilligung, die im Kriegsfall notwendig waren. Im Gegenzug zur Zustimmung verlangte das Unterhaus die Erfüllung der eigenen Forderungen, die in Form von Petitionen vorgetragen wurden. Dadurch sicherten sie sich den Einfluß auf Gesetzgebung und festigten gleichzeitig die Position des Parlaments im Verfassungssystem.

Sehr stark wurde die Entwicklung des Parlaments von der Tudor -Herrschaft (1485 - 1603) beeinflußt. In dieser Zeit verlagerte sich die Macht zu Gunsten des Königs, aber dennoch konnten sich auch die Tudors nicht über das Parlament hinwegsetzen. Unter König Heinrich IV: (1509 - 1547) wurde die parlamentarische Gesetzgebung verändert, denn man erkannte die Notwendigkeit, Britannien von der katholischen Kirche zu lösen. Das Reformationsparlament (1529 -1536) erließ 1534 die Supreme Act, die dem Parlament ein größeres politisches Gewicht verlieh. Seit dieser Zeit gelten Parlamentsstatute als höchstes Recht in Großbritannien.

1627 wurde vom Parlament die Petition of Rights verabschiedet, die dem Parlament noch einmal seine Unabhängigkeit vom Monarchen bestätigte. In der Zeit von 1603 - 1649 und 1660 - 1688 kam es unter der Herrschaft der Stuarts zu einem Konflikt zwischen Krone und Parlament. Die Stuarts strebten ein absolutistisches Königshaus an, wie es auf dem Festland weitverbreitet war. Der König sollte nicht mehr durch Parlamentsbeschlüsse und die Gesetzestexte (s.o.) eingeschränkt werden können. Mit diesem Ziel regierte König Karl I. (1606 - 1649) mit absolutistischen Mitteln elf Jahre lang, von 1629 bis 1640, ohne auch nur ein einziges Mal das Parlament einzuberufen. Er führte ohne Zustimmung des Parlaments 1629 Zwangsanleihen ein, um die chronische Finanznot des Königshauses einzudämmen. ,,Wo sich Widerstand gegen die neue Abgabe erhob, antwortete der König mit Verhaftungen. Wo seine Gefängnisse dafür nicht Platz boten, ging er mit Zwangseinquartierung vor und ließ die Kosten für den Unterhalt seiner Soldaten von den Quartieropfern tragen."20

Zwischen 1649 und 1660 wurde die Monarchie von Thomas Cromwell abgeschafft und Großbritannien zur Republik erklärt. ,,Ziel des Parlaments im Bürgerkrieg war ursprünglich nur die Einschränkung der Macht der Krone, aber die Ereignisse drängten über diese limitierte Zielsetzung hinaus."21 Thomas Cromwell, der von Jakob II. abgesetzt wurde, versuchte - wie Karl I. - ohne ein Parlament zu regieren. 1660 wurde auf Drängen des Parlaments die Monarchie wieder eingeführt. Das Parlament teilte sich in zwei Richtungen, die Whigs und die Tories (siehe unten). Der Verfassungskonflikt erreichte seinen Höhepunkt im englischen Bürgerkrieg. Der Konflikt führte zur Verabschiedung der Habeas Corpus Amendment Act 1679. ,, An Act for the better securing the liberty of the subject and for prevention of imprisonment beyond the seas."22 Sie stellt eine erste gesetzliche Fixierung spezifischer bürgerlicher Grundrechte dar.

König Jakob II. (1685 - 1688) versuchte ebenfalls absolutistisch zu regieren. Der Verfassungskonflikt konnte erst nach seiner Flucht 1688 mit der Berufung Wilhelm III. von Oranien als neuem König beigelegt werden.

2.4. Die Glorious Revolution

,,Wenn man den durch eine holländische Invasion unter geringer Teilnahme der Engländer herbeigeführten dynastischen Wechsel von 1688/89 als Glorious Revolution bezeichnet, so ist die Verwendung des Revolutionsbegriffs allenfalls dadurch gerechtfertigt, daß die monarchische Herrschaft ihren Charakter veränderte. Sie wurde mehr als zuvor durch Parlamentsgesetze eingehegt und war faktisch bereits in hohem Maße parlamentarisch legitimiert."23

1689 wurde die Bill of Rights verabschiedet. ,,An dem faktischen Supremat des Parlaments konnte nun nicht mehr gezweifelt werden, das Geldbewilligungsrecht stand fest. Im Laufe des 18. Jahrhunderts sollte sich ein immer ausschlaggebender Einfluß des Parlaments auf die Auswahl der königlichen Ratgeber ergeben."24

Nachdem Wilhelm III. von Oranien ohne Thronerben starb, folgte Anna, die Tochter Jakobs II. auf den Thron. Nach ihrem Tod erlangten die Erben von Kurfürstin Sophie von Hannover den Thron. Diese Erbfolge wurde vom Parlament durch die Act of Settlement 1701 festgelegt. Seit dieser Zeit hält das Haus Hannover, das seit 1917 Windsor genannt wird, den englischen Thron.

Auch nach den Reformen von 1688 behielt der König die alleinige Exekutivgewalt, obwohl sie vom Parlament kontrolliert wurde. Im 17. Jahrhundert teilten sich die Mitglieder des Parlamentes in zwei Richtungen. Zuerst nannten sie sich Court und Country, später nannten sie sich Whigs und Tories (vergleiche oben). Die staatskirchentreuen Tories vertraten ein Ideal der Einheit von Staat und Kirche und die Lehre vom göttlichen Recht der Krone. Ihnen gegenüber stellten die Whigs ihre Vorstellungen von Freikirchen. Sie vertaten die Ansicht, daß der Staat nur durch menschliche Übereinkunft entstanden sei. ,,Die Glorreiche Revolution von 1688/89 war der Form nach whiggistisch, d.h. Widerstand; dem Inhalt aber und der Masse ihrere Träger nach toristisch, d.h. auf Erhaltung des Bestehenden gerichtet."25 Die Mehrheit der Lords unterstützte die Glorious Revolution. Daraufhin erreichten die Whigs die Mehrheit.

2.4. Das Parlament im 19. Jahrhundert

,,Die eigentliche Blütezeit der britischen Parlamentarismus war das 19. Jahrhundert, oder noch genauer die Zeit bis zur dritten Reform von 1884, durch die proletarische Massen in den Genuß des Wahlrechts kamen. Trotz der Herausbildung ideologisch orientierter Parteien und trotz einer zunehmenden Verbürgerlichung der Wählerschaft wie der Abgeordneten, blieb doch während dieser ganzen Periode das Unterhaus ein vornehmer Adelsklub, in dem die jüngeren Söhne der Magnaten und aufstrebenden Bürger sich zusammenfanden."26 Die insgesamt drei Wahlrechtsreformen waren für die britische Bevölkerung von sehr großer Wichtigkeit, da sich durch diese Reformen die Zahl der Wahlberechtigen enorm vergrößerte, und so auch die Interessen der armen Wählerschaft auf die Politik anders als vorher Einfluß ausübten. 1846 entstand durch die Vereinigung von konservativen Freihändlern mit den Whigs die Liberal Party.

,,Die allgemeinen Gegensätze einerseits der Rationalismus der Whigs, die den Staat auf einem menschlichen Vertrag gegründet sehen wollten, andererseits der Mystizismus der Tories, die ihn als eine gottgewollte naturgegebene Einrichtung betrachteten, blieben als Grundstimmung und Tendenzen erhalten, nicht nur in Religion und Literatur, sondern auch in der Politik, schon deshalb, weil in den breiteren Massen die alten Gefühle lebendig geblieben waren. Der religiöse und prinzipgebundene Ursprung der Parteien erhielt sich aus der Nötigung, den Gefühlen der breiten Massen entgegenzukommen."27 Die Gesamtzahl der Wahlberechtigten vor der Wahlrechtsreform von 1832 betrug etwa 500.000, nach der Reform stieg die Zahl auf etwa 720.000 an. Die Wahlkreise wurden neueingeteilt, neue Mandate für Städte und Großstädte wurden geschaffen und zahlreiche Kleinstwahlkreise aufgelöst.

In den Jahren zwischen 1841 und 1868 gab es neun Kabinette, da weder die Tories noch die Whigs eine klare Mehrheit erzielen konnten. Deswegen wurden Minderheitskabinette eingerichtet.28 Die Wahlrechtsreformen von 1867/68 und 1884/1885 zusammen mit der Ballot Act von 1872 bewirkten die Einführung der geheimen Abstimmung.

1867 bekamen die Handwerker und Händler der Lower-Middle Class das Wahlrecht.

Insgesamt wuchs die gesamte Wählerschaft um ca. 1 Million Wahlberechtigte an. 1885 wurde der Grundsatz der annähernd gleichmäßigen zahlenmäßigen Repräsentation eingeführt.29 Vorher wurden nur Mitglieder der Oberschicht mit der Funktion der Repräsentation betraut. Durch diese Reform wurde das Recht, Repräsentanten zu wählen, einem immer größeren Teil der Bevölkerung zugesprochen. Somit wurde dieser alte demokratische Aspekt, der schon lange in den USA und Frankreich angewandt wurde, in das britische Regierungssystem eingeführt.

2.5. Die Demokratisierung

Die Wahlrechtsreformen von 1832, 1867/68 und 1884/85 führten zur schrittweisen Einführung des demokratischen Wahlrechts, aber erst mit der Wahlrechtsreform von 1948 wurde in Großbritannien das ungleiche Wahlrecht entgültig abgeschafft.30

1919 erhielten erstmals auch Frauen das allgemeine Wahlrecht. Frauen durften im Alter von 30 Jahren zur Wahl gehen, während die Männer ab dem 21. Lebensjahr wählen durften. 1928 wurde durch eine neue Reform das Alter der wahlberechtigten Frauen auch auf 21 herabgesetzt, somit gab es keine Unterschiede mehr zwischen der männlichen und weiblichen Wählerschaft. Erst 1948 wurde das sogenannte Universit ä tswahlrecht, d.h. daß nur Inhaber eines Diploms bzw. eines Geschäftes außerhalb seines Wohnortes zur Wahl gehen durften, abgeschafft.31 Die Umwandlung des britischen Wahlrechts in ein demokratisches Wahlrecht wurde also schrittweise durch mehrere Wahlrechtsreformen durchgeführt.

3. Das politische System Großbritanniens heute

3.1. Die Regierungsbildung

An der Regierungsbildung ist das Unterhaus nun nicht mehr direkt beteiligt, sondern der König beauftragt die Partei mit der Regierungsbildung, die bei der Wahl die Mehrheit der Parlamentssitze gewonnen hat. Die Parteiführer werden von den Fraktionen gewählt. In der Labour Party beispielsweise wählt die Versammlung der Abgeordneten im Ober- wie im Unterhaus des Parlaments den Parteiführer.32,,Alle Minister müssen entweder dem Unter- oder dem Oberhaus angehören. Seit 1922 gilt die Konventionalregel, daß der Premierminister dem Unterhaus angehört."33 1911 wurde durch die Parliament Act die Entmachtung des Oberhauses beschlossen, indem das absolute Vetorecht des Oberhauses in ein suspensives34 Vetorecht umgewandelt wurde.

3.2. Das Kabinett

König Georg III. (1760 - 1727) nahm als letzter König an Kabinettssitzungen teil. Seither übernimmt das Kabinett die gesamte Regierungsarbeit. Die exekutive Entscheidungsgewalt wurde seit der Mitte des 19. Jahrhunderts allein vom Kabinett ausgeübt. Zeitgleich entstand der Posten des Premierministers. Sowohl Premierminister wie auch Kabinett sind vom Parlament abhängig, da im Parlament die Mehrheit für Gesetzesbeschlüsse stimmen muß. Der Übergang von der kostitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Monarchie konnte so ohne formelle Gesetzesänderungen oder Schaffung neuer Statute erfolgen. Das Kabinett formiert sich aus 20 Mitgliedern. ,,Dazu gehören der Schatzkanzler, der Außenminister, der Verteidigungsminister, der Innenminister, der Lordkanzler und der Staatssekretär für Schottland. Über die Frage, welche anderen Minister dem Kabinett angehören sollen, entscheidet der Premierminister je nach der zeitweiligen Bedeutung ihres Ressorts."35 Der Premierminister kann während der Legislaturperiode eine Regierungsumbildung vornehmen.

3.3. Die Parteien

Wenn man das britische Parteiensystem mit dem der Bundesrepublik vergleicht, dann fällt auf, daß sich das Parteiensystem in Großbritannien umgekehrt entwickelt hat, wie in der Bundesrepublik. In Deutschland gab es politische Gruppierungen, die die Einführung demokratischer Institutionen forderte. In Großbritannien waren schon demokratische Institutionen vorhanden, bevor sich aus außerparlamentarischen Organisationen Parteien entwickelten.36 Im 17. Jahrhundert wurde schon zwischen Whigs und Tories unterschieden, jedoch waren diese Gruppen noch nicht als Parteien organisiert. In der Reform von 1832 wurden außerparlamentarische Organistionen legitimiert. Da jeder Wahlberechtigte sich registrieren lassen mußte, wenn er sein Wahlrecht wahrnehmen wollte, entstanden 1832 der den Tories angehörige Carlton Club und 1836 der den Whigs zugehörige Reform Club 37 , die bei der Registrierung halfen.

Als erste Partei wurde 1867 die aus dem Carlton Club hervorgehende National Union of Conservative and Constitutional Associations gegründet, die heutige Conservative Party. 1877 gründete sich die National Liberal Federation, die heutige Liberal Party. In den folgenden Legislaturperioden wechselten sich diese beiden Parteien mit der Regierungsverantwortung ab. Die schon 1846 gegründete Labour Party verdrängte später die Liberal Party im Zweiparteiensystem ab. ,,Die Labour Party gab sich jedoch erst 1918 ein sozialistisches Programm und blieb in vieler Hinsicht ein Annex der Gewerkschaften, die mit ihren kompakten Stimmblöcken die Parteitage beherrschten."38

4. Resumee

Aus der dargelegten Entwicklung der repräsentativen Vertretung und Demokratie in Großbritannien, kann man behaupten, daß England das Mutterland der Demokratie ist. Bis auf kurze Rückschritte fand eine kontinuierliche Weiterentwicklung bis zum heutigen Rechtsstaat statt.

Das Problem bei diesem Westminster Modell ist jedoch, daß es sich nicht auf andere Länder übertragen läßt. Die britischen Kolonien wurden zumeist undemokratisch regiert und hatten auch nicht diesen historischen Hintergrund, um eine Entwicklung, wie die des Mutterlandes, machen zu können. Der Übergang in die Demokratie wurde meist abrupt und gewaltsam durchgeführt. Man konnte nicht von einem gewachsenem Grundkonsens über das Regierungssystem ausgehen. Die Kolonien benötigten eine schriftlich fixierte Verfassung, um das Verhalten der Regierung kontrollieren zu können, und um die indirekten Grundrechte einklagen zu können.

So war auch in der Bundesrepublik gleich der Gedanke der Allierten eine Verfassung zu schaffen, da die öffentliche Meinung und Kontrolle das Hitler-Regime nicht verhindert hatte. Durch das Grundgesetz sollten möglichst viele Bereiche gesetzlich abgesichert werden. Das Bundesverfassungsgericht sollte als Institution geschaffen werden, die die Einhaltung kontrolliert. Das Bundesverfassungsgericht ist unabhängig von dem agigatorisch leicht zu beeinflussenden Volkswillen.

Literaturverzeichnis:

Brunner, Georg:

Vergleichende Regierungslehre. Band I. Uni Taschenbuch, Paderborn 1979.

Doeker, Günther / Wirth, Malcolm:

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Fetscher,Iring:

Großbritannien. Gesellschaft - Staat - Ideologie. Athenäum Fischer Taschenbuch, Frankfurt/M. 1968.

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Hattenhauer, Hans:

Europäische Rechtsgeschichte. Müller Jur., Heidelberg 1994. 2. Auflage

Kluxen, Kurt:

Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des englischen Parlamentarismus. In: Politische Vierteljahresschrift. O.O. 1963.

Rass, Hans H.:

Großbritannien. Eine politische Landeskunde. In: Zur Politik und Zeitgeschichte. Colloqium, Berlin 1969.

Schröder, Hans Chr.:

Die Geschichte Englands. Ein Überblick.

In: Kastendiek/Rohe/Volle (Hg.): Länderbericht Großbritannien. Geschichte - Politik - Wirtschaft - Gesellschaft. Band 327. Campus, Frankfurt/M. 1994.

Sturm, Roland:

Großbritannien. Wirtschaft - Gesellschaft - Politik. Leske & Budrich, Opladen 1991.

Sturm, Roland:

Staatsordnung und Politisches System. In: Kastendiek/Rohe/Volle (Hg.):

Länderbericht Großbritannien. Geschichte - Politik - Wirtschaft - Gesellschaft. Band 327. Campus, Frankfurt/M. 1994.

Fetscher, Iring: Großbritannien. Gesellschaft - Staat - Ideologie.

Athenäum Fischer Taschenbuch, Frankfurt/M. 1968. S. 88.

Rass, Hans H. Großbritannien. Eine politische Landeskunde.

Colloqium, Berlin 1969 S. 77.

vgl. Fetscher, Iring: a.a.O. S. 89.

Fetscher, Iring: a.a.O. S. 94.

vgl. Fetscher, Iring: a.a.O. S. 88.

vgl. Fetscher, Iring: a.a.O. S. 90.

vgl. Fetscher, Iring: a.a.O. S. 94.

vgl. Fetscher, Iring: a.a.O. S.88.

Fetscher, Iring: a.a.O. S.91.

Fetscher, Iring: a.a.O. S. 94.

Sturm, Roland: Großbritannien. Wirtschaft - Gesellschaft - Politik.

Leske & Budrich, Opladen 1991. S. 183.

vgl. Fetscher, Iring: a.a.O. S. 100.

,,Hilfsgelder" für den König

Fetscher, Iring: a.a.O. S. 100.

Fetscher, Iring: a.a.O. S. 100.

vgl. Brunner, Georg : Vergleichende Regierungslehre. Band I.

Uni Taschenbücher, Paderborn 1979. S. 112.

Doeker, Günther / Wirth, Malcolm: Das politische System Großbritanniens.

Wiss. Autorenverlag, Berlin 1982. S. 16.

Doeker, Günther /Wirth, Malcolm: a.a.O. S. 16.

Hattenhauer, Hans: Europäische Rechtsgeschichte.

Müller Jur., Heidelberg 1994. 2. Auflage. S. 433.

Hattenhauer, Hans: a.a.O. S. 432.

Fetscher, Iring: a.a.O. S. 105.

Händel, Heinrich: a.a.O. S. 282.

Schröder, Hans Chr.: Die Geschichte Englands. Ein Überblick. In: Kastendiek/Rohe/Volle (Hg.):

Länderbericht Broßbritannien. Geschichte - Politik - Wirtschaft - Gesellschaft. Band 237.

Campus, Frankfurt/M. 1994. S. 26.

Fetscher, Iring: a.a.O. S. 107.

Kluxen, Kurt: Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des englischen Parlamentarismus In: Politische Vierteljahresschrift. O.O. 1963. S. 4.

Fetscher, Iring: a.a.O. S. 109.

Kluxen, Kurt:. a.a.O. S. 4.

vgl. Fetscher, Iring: a.a.O. S. 115.

vgl. Fetscher, Iring: a.a.O. S. 105.

vgl. Brunner, Georg: a.a.O. S. 119.

vgl. Brunner,Georg: a.a.O. S. 119.

vgl. Rass, Hans H.: a.a.O. S. 77.

Rass, Hans H.: a.a.O. S. 81.

= aufhebend

Rass, Hans H.: a.a.O. S. 81.

vgl. Brunner, Georg: a.a.O. S. 119.

vgl. Brunner, Georg: a.a.O. S. 119.

Schröder, Hans Chr.: a.a.O. S. 44.

Final del extracto de 10 páginas

Detalles

Título
Die Entwicklung des britischen Westminster Modells
Universidad
University of Bamberg
Calificación
2
Autor
Año
1995
Páginas
10
No. de catálogo
V97319
ISBN (Ebook)
9783638099943
Tamaño de fichero
354 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Entwicklung, Westminster, Modells
Citar trabajo
Ulli Stegmeyer (Autor), 1995, Die Entwicklung des britischen Westminster Modells, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97319

Comentarios

  • visitante el 25/10/2008

    wahlreform....

    ich wäre ihnen sehr dankbar,, wenn sie mir sagen würden, wo ich was über der wahlreform englands im 19 jahr hundert finden kann..
    muss eine hausarbeit schreiben, kann aber bis jetzt nicht so viel finden..

    danke

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Título: Die Entwicklung des britischen Westminster Modells



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