Nachhaltige Entwicklung - Analyse eines vielschichtigen Begriffs


Zwischenprüfungsarbeit, 2000

33 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Historische Entwicklung des Begriffs „Nachhaltige Entwicklung“

III Debatte um die Wuppertaler Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“
Die Studie
Die Kritik
Bewertung der Debatte

IV. Soziologie und Nachhaltige Entwicklung

V. Ausblick: Was kann, darf, muss und soll Nachhaltige Entwicklung leisten?

VI Diskussion der Arbeit

VII Literaturverzeichnis

I Einleitung

Wer die Diskussion um „Nachhaltige Entwicklung“ nur am Rande verfolgt, wird möglicherweise den irreführenden Eindruck gewinnen, es handele sich hierbei um einen feststehenden Begriff. Jedoch ist nicht nur der damit beschriebene Sachverhalt klärungsbedürftig und der begriffliche Geltungsbereich einzugrenzen, sondern bereits die Verwendung der Bezeichnungen „Nachhaltigkeit“ und „Nachhaltige Entwicklung“ (als Übersetzung der englischen Begriffe „sustainability“ und sustainable development“) ist längst nicht einheitlich[1], auch wenn sich diese seit einigen Jahren immer mehr durchsetzen konnten.[2]

Doch mag nun die Rede sein von „Zukunftsfähigem“, „Naturverträglichem“ oder „Dauerhaft-Umweltgerechtem“, so wird in der Regel nicht bestritten, dass man trotz aller Meinungsverschiedenheiten in Ansätzen, Schlussfolgerungen oder Weltanschauungen über das gleiche Thema verhandelt.

Aber welcher Natur ist dieses Thema eigentlich, auf welcher Ebene wird verhandelt? Ist es „nur“ eine Idee, eine Wunschvorstellung von einer „besseren Welt“, oder existiert schon ein Konzept zur Umsetzung konkreter Maßnahmen? Soll ein neues Wirtschaftssystem entstehen, eine neue Ideologie, oder kann daraus eine Ergänzung oder gar Konkurrenz zu gängigen soziologischen Modernisierungstheorien entstehen? Ist bei der Beantwortung dieser Fragen politischer Pragmatismus oder ein neues Wissenschaftsverständnis oder beides vonnöten?

Nicht nur die inhaltliche Einigung auf den verschiedenen Diskussionsebenen erscheint also schwierig, sondern auch die Frage, welche dieser Ebenen angesprochen, welcher Komplexitätsgrad dem Begriff Nachhaltige Entwicklung zugeordnet werden sollte oder muss. Dies lässt vermuten, dass eine ausschließlich mangelnden Willen und Trägheit von Politik, Wirtschaft und (Natur- sowie Sozial-) Wissenschaften unterstellende Kritik – beispielsweise von verschiedenen Umwelt- und Naturschutzverbänden - wenn schon nicht falsch ist, so doch zu kurz greift.

Eblinghaus & Stickler sehen in seiner Uneindeutigkeit und seinem „Kompromißcharakter“ sogar den Grund für seine Attraktivität und seine Fähigkeit, als Leitbild zu fungieren.[3] Sie beziehen sich dabei u.a. auf Görg (1995), der sich kritisch mit diesem ‚catch-all-terms‘-Begriff auseinandersetzt: „Verspricht doch der Begriff Allen alles Mögliche und Vielen geradezu Unmögliches – vor allem die Auflösung vermeintlicher oder tatsächlicher Gegensätze. Allen voran desjenigen, der im zusammengesetzten Begriff geradezu paradigmatisch „versöhnt“ ist: Als Leitbild zielt er auf die Überwindung des sich krisenhaft zuspitzenden Gegensatzes zwischen der Entwicklungsdynamik des globalisierten Kapitalismus und dem Zustand der natürlichen Umwelt. Als umfassende Kompromißformel verspricht der Begriff die Aussöhnung von Nord und Süd, von Ökonomie und Ökologie, von Gegenwart und Zukunft.“[4]

Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, zunächst einige der Diskussionsstränge und Definitionen von Nachhaltiger Entwicklung aufzugreifen und einander gegenüberzustellen. Dies soll zum einen anhand der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ als ein Beispiel eines konkreten Konzeptualisierungsversuchs geschehen (Kap. III), zusätzlich sollen noch einige Stimmen aus den Sozialwissenschaften zu Worte kommen (Kap. IV). Danach sollen zusammenfassend mögliche Schritte angedacht werden, die zu einer einheitlicheren Verwendung des Begriffes Nachhaltige Entwicklung und unter dieser Voraussetzung vielleicht auch zu tragfähigeren und erfolgversprechenderen Handlungs- und Umsetzungskonzepten führen könnten (Kap. V). Den Abschluß bilden einige Gedanken zur Einordnung der Arbeit inklusive eines abschließenden persönlichen Kommentars (Kap. VI).

Zuerst jedoch soll es in Kapitel II darum gehen, noch einmal die wichtigsten Schritte in der Geschichte des Begriffs Nachhaltige Entwicklung zu skizzieren.

II Historische Entwicklung des Begriffs „Nachhaltige Entwicklung“

Der ‚ursprüngliche‘ Begriff der Nachhaltigen Entwicklung ist nicht ein erst während des einsetzenden Umweltdiskurses in den siebziger Jahren entstandener Neologismus. In der Land- und Forstwirtschaft findet das Prinzip der „forstlichen Nachhaltigkeit“ bereits seit dem 18. Jahrhundert Verwendung, worunter in erster Linie eine Aufforstung von durch Übernutzung entstandener Ödflächen und eine Verjüngung der durch Wild und Weidevieh heruntergekommenen Mittelwaldungen verstanden wird.[5]

Für die heutige internationale Diskussion über die weltweite Umweltproblematik wird übereinstimmend der 1972 veröffentlichte Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“[6] als eine wichtige Grundlage verstanden. Dieser betrachtet die Welt über Nationen oder regionale Grenzen hinweg als eine Einheit und macht für die Entwicklung der Erde bis zum Jahre 2010 fünf wichtige Trends mit weltweiter Wirkung aus:

Die beschleunigte Industrialisierung; das rapide Bevölkerungswachstum; die weltweite Unterernährung; die Ausbeutung der Rohstoffreserven; die Zerstörung des Lebensraums.[7]

Sollten diese Trends unverändert anhalten, so prognostizieren die AutorInnen das Erreichen der absoluten Wachstumsgrenzen der Erde innerhalb der nächsten 100 Jahre. Sie betonen aber auch, dass eine Änderung der Tendenzen und der Beginn einer Herstellung eines ökologischen und ökonomischen Gleichgewichtszustandes jederzeit möglich sei.[8]

Seit der Veröffentlichung des Berichts „Our common future“ 1987 der 4 Jahre vorher von der UN-Vollversammlung eingesetzten „Brundtlandt-Kommission“[9] setzt sich zunächst der englische Terminus „sustainable development“, und daran anschließend Nachhaltige Entwicklung als eine mögliche deutsche Übersetzung, immer mehr durch.[10] Im Mittelpunkt des Berichts stehen sowohl die Untersuchung der Beziehung von Wirtschaftswachstum und Umweltschutz als auch die Suche nach einem Ausgleich zwischen den Interessen von Industrie- und Entwicklungsländern.[11] Die dort gemachten Analysen und Vorschläge sind aufgrund allerdings noch weit davon entfernt, ein konkretes oder (politisch) verbindliches Konzept Nachhaltiger Entwicklung darzustellen. Dies könnte m. E. unter anderem daran liegen, dass Wert auf die (tatsächlich erfolgte) einstimmige Verabschiedung des Berichts durch die UN gelegt wurde und dafür innere Widersprüche und Kompromissformeln in kauf genommen wurden.

Eine nähere Spezifizierung des Begriffes liefert Herman Daly etwa drei Jahre später, auf den die unten genannten drei Regeln zum Umgang mit globalen Ressourcen, trotz zeitgleicher Veröffentlichung mit Peace & Turner, zurückgeführt werden.[12] Wegen ihrer grundlegenden Bedeutung als Kriterien für eine notwendige Reduktion der weltweiten Stoff- und Energieumsätze seien diese im Folgenden genannt:

1. Die Nutzungsrate sich erneuernder Ressourcen darf deren Regenerationsrate nicht überschreiten.
2. Die Nutzungsrate sich erschöpfender Rohstoffe darf die Rate des Aufbaus sich regenerierender Rohstoffquellen nicht übersteigen.
3. Die Rate der Schadstoffemissionen darf die Kapazität zur Schadstoffabsorption der Umwelt nicht übersteigen.[13]
Diese Regeln wurden seither vielfach in ähnlicher oder modifizierter Form übernommen. Eine Erweiterung um eine vierte Regel findet sich unter anderem bei der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ (1994) und in der von BUND und Misereor herausgegebenen Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie GmbH:
4. Das Zeitmaß der menschlichen Eingriffe muß in einem ausgewogenen Verhältnis zum Zeitmaß der natürlichen Prozesse stehen, sei es der Abbauprozesse von Abfällen, der Regenerationsrate von erneuerbaren Rohstoffen oder Ökosystemen.[14]

Einen neuen Grad offizieller Verbindlichkeit erhielt das Vorhaben Nachhaltige Entwicklung 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro, bei der Staats- und RegierungsvertreterInnen aus etwa 180 Ländern ein umfangreiches Handlungsprogramm für das 21. Jahrhundert (Agenda 21) im Sinne Nachhaltiger Entwicklung unterzeichneten. Grundlegend für dieses Dokument ist die „Einsicht, dass tiefgreifende ökologische, soziale und wirtschaftliche Probleme wie etwa Umweltzerstörung, Überbevölkerung, ungerechte Verteilung der Güter, Arbeitslosigkeit oder Kriminalität in wechselseitigem Zusammenhang stehen und nicht voneinander getrennt zu lösen sind.“[15]

Seither sind unzählige Versuche verschiedener gesellschaftlicher Akteure zu verzeichnen, den Begriff der Nachhaltigen Entwicklung weiter mit Leben zu füllen, ihn zu konkretisieren, zu theoretisieren oder (meist im Rahmen des Agenda 21-Prozesses) auf den verschiedenen Ebenen konzeptuell umzusetzen. Zu wenige konzertierte Aktionen, ein ungenügender Vernetzungsgrad der Akteure aus den Gesellschaftsbereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und bürgerliche Gesellschaft, der Mangel an einheitlichen und verbindlichen Grenzwerten als Symbol für die divergierenden Vorstellungen über Dringlichkeiten und einzuschlagenden Wege, und viele andere Probleme lassen die bisher bereits erzielten Erfolge allerdings als noch nicht ausreichend und zu wenig zielgerichtet erscheinen.

III Debatte um die Wuppertaler Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“

Zur Annäherung an die vielen Facetten des Begriffs Nachhaltige Entwicklung erscheint es sinnvoll, zunächst exemplarisch einige Positionen und Veröffentlichungen innerhalb der öffentlichen Diskussion darzustellen. Dies soll hier am Beispiel der vom BUND und Misereor in Auftrag gegebenen Studie „Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung“ des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH und der daran anschließenden Debatte versucht werden, um Differenzen im Verständnis von Nachhaltiger Entwicklung herauszuarbeiten und zueinander in Beziehung zu setzen.

Die Studie

Die hier zu verhandelnde Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ gehört wohl zu den umfangreichsten und nicht nur infolgedessen meistdiskutiertesten deutschen Studien im Bereich Nachhaltiger Entwicklung der letzten Jahre.[16] Laut dem SPIEGEL hätte sie sogar „gute Chancen, zur grünen Bibel der Jahrtausendwende zu werden“, wobei die HerausgeberInnen selbst allerdings ausdrücklich eine solche, insbesondere durch langfristige Gültigkeit exponierte Stellung einschränken mit dem wichtigen und m. E. richtigen Argument: „Die Suche nach Entwicklungswegen, die allen Menschen – heute und in Zukunft – ein gutes Leben ermöglichen, stellt einen Prozeß dar, der niemals abgeschlossen ist.“[17]

Nichtsdestotrotz kann sie als ein Versuch angesehen werden, ein konkretes und umsetzbares Konzept zur Entwicklung einer zukunftsfähigen und Nachhaltigen Gesellschaft zu entwickeln. Ihre Schwerpunkte sind im Wesentlichen zu sehen in der Beschreibung eines möglichen Handlungsrahmens anhand des Schlüsselbegriffs „Umweltraum“[18], Operationalisierungsvorschlägen für ein Umweltindikatorenset, einer Bilanzierung des deutschen Produktions- und Konsumsystems innerhalb globaler Kontexte und in der Zusammenführung teilweise bereits bestehender zu reformulierten bzw. neuen Leitbildern und der damit verbundenen Skizzierung von Umsetzungsstrategien. Die für eine Analyse wichtigsten Punkte der Studie sollen nun noch einmal vorgestellt und kritisch betrachtet werden.

[...]


[1] Dies gilt naturgemäß zunächst nur für den deutschen Sprachraum, wobei ähnliche Schwierigkeiten in anderen Ländern zu erwarten sind (dazu und zu den vielfältigen existierenden Begriffsvarianten s. Kreibich 1996: 39f). Allerdings bleibt anzumerken, dass – eine konsensuale Übersetzung angenommen – eine synonyme Verwendung dieser beiden Begriffe bezgl. ihrer unterschiedlichen Akzentuierung des prozessualen Charakters (vgl.a. Wehling 1997) respektive der Bedeutung des Nord-Süd-Konflikts zu hinterfragen wären. S. a. Kap. II.

[2] Daher und aus Gründen der Verständlichkeit wird im Folgenden nur noch der Begriff „Nachhaltige Entwicklung“ verwendet.

[3] Eblinghaus & Stickler 1996: 37

[4] Görg 1995, zit. n. Eblinghaus und Stickler 1996: 39

[5] S. „dtv-Lexikon“ 1997, Bd. 12

[6] Meadows et al. 1972

[7] Vgl. Meadows et al. 1972: 14

[8] Vgl. Meadows et al. 1972: 17

[9] Benannt nach ihrer norwegischen Vorsitzenden G.H. Brundtlandt, eigentlich „World Commision on Environment and Development.“

[10] Vgl. Kap. I; Brand 1997: 7

[11] S. Olsson, Piekenbrock 1998: 62; Brundtlandt-Bericht 1987

[12] S. z. Bsp.: Meadows 1992: 250; Olsson, Piekenbrock 1998: 241f; Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ 1994: 45ff

[13] Zit. n. Kreibich 1996: 41

[14] Zit. n. BUND/Misereor 1997

[15] Hess. Ministerium f. Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit 1997: 11

[16] Für eine Orientierung über die Inhalte der Studie sei hiermit die im September 1995 erschienene Kurzfassung empfohlen, auf die sich auch einige der nachfolgenden Seitenangaben beziehen.

[17] BUND/Misereor 1997: 434

[18] In Anlehnung an H. Opschoor (1992, 1994). S. a. die niederländische Studie „sustainable netherlands“.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Nachhaltige Entwicklung - Analyse eines vielschichtigen Begriffs
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Soziologisches Seminar)
Note
1
Autor
Jahr
2000
Seiten
33
Katalognummer
V9732
ISBN (eBook)
9783638163552
Dateigröße
557 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zwischenprüfungsarbeit. 361 KB
Schlagworte
Nachhaltige, Entwicklung, Analyse, Begriffs
Arbeit zitieren
M.A. Péter Szász (Autor:in), 2000, Nachhaltige Entwicklung - Analyse eines vielschichtigen Begriffs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9732

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