Erklärt Vertrauen die Einstellung zum bedingungslosen Grundeinkommen? Sozialkapital unabhängig der Gerechtigkeitsprinzipien als Erklärungsansatz


Bachelorarbeit, 2018

59 Seiten, Note: 1,0

L. Michaelis (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Forschungsgegenstand - Das bedingungslose Grundeinkommen

3. Theoriehintergrund
3.1. Sozialkapitaltheorie nach Robert D. Putnam
3.1.1. Entstehung Sozialkapital
3.1.2. Wirkung Sozialkapital
3.1.2.1. Generalisiertes Vertrauen
3.2. Soziale Gerechtigkeit
3.2.1. Startchancen
3.2.2. Leistung
3.2.3. Bedarf
3.2.4. Gleichheit
3.2.5. Zielbeziehungen

4. Hypothesenformulierung

5. Forschungsstand

6. Daten und Methoden
6.1. Erhebungsform, -verfahren und -inhalt
6.2. Operationalisierung

7. Darstellung der Ergebnisse
7.1. Deskriptive Statistik
7.1.1. Bedingungsloses Grundeinkommen
7.1.2. Sozialkapital
7.1.3. Gerechtigkeitsprinzipien
7.2. Analyse bivariater Zusammenhänge
7.2.1. Bedingungsloses Grundeinkommen und Sozialkapital
7.2.2. Bedingungsloses Grundeinkommen und Gerechtigkeitsprinzipien
7.3. Analyse multivariater Zusammenhänge
7.3.1. Darstellung der Ergebnisse der logistischen Regressionsanalyse
7.3.1.1. Block I
7.3.1.2. Block II
7.3.1.3. Block III
7.3.1.4. Block IV
7.3.2. Multikollinearität

8. Zusammenfassende Interpretation und Diskussion der Ergebnisse

9. Fazit

Anhang

Literaturverzeichnis

1. Einführung

Unsere heutige Gesellschaft ist geprägt von einem manifestierten Fortschrittsgedanken. Die wohl größte Entwicklungstendenz zeichnet sich offenkundig durch die voranschreitende Digi­talisierung ab. Sie wird als eine der größten Herausforderungen unserer westlichen Gesell­schaften postuliert. Der technische Fortschritt ist schon seit der Industrialisierung ein großes Thema, doch heutzutage scheint der Einfluss auf die Arbeitsgesellschaft noch drastischer und schneller als zuvor zu verlaufen. Etliche Zukunftsprognosen könnten einem guten Science­Fiction-Film entstammen. Sie kündigen eine bevorstehende Zeit an, in welcher die menschli­che Arbeitskraft durch Informationstechnologien und Roboter ersetzt wird. Dieser umschrie­bene Trend mündet in einer ansteigenden Angst um den Verlust von Arbeitsplätzen, niemand möchte gesellschaftlich abgehängt werden. Um die Vorteile der voranschreitenden Digitalisie­rung spüren zu können, wird es Zeit für neue Ideen bezüglich unserer, durch die Arbeit struk­turierten, Gesellschaft. In der öffentlichen Diskussion wird nicht mehr nur eine Debatte darüber geführt, wie die alten Strukturen besser angepasst werden können, sondern es werden Ideen für eine neue Strukturierung gesammelt. Großer Fortschritt bedeutet auch gleichzeitig Verän­derung. Eine Idee, die in diesem Kontext oft genannt wird, ist die Konzeption eines bedin­gungslosen Grundeinkommens. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens entstand nicht erst im Zuge des 21. Jahrhunderts, sondern erfreut sich einer längeren Geschichte. So weit wie die Geschichte der Idee in die Vergangenheit ragt, so ausdifferenziert sind auch die Meinungen über die möglichen Konsequenzen. Immer und immer wieder war sie Bestandteil von geführten Diskussionen über gesellschaftliche Zukunftsszenarien. Bis zum jetzigen Zeit­punkt hat sie allerdings noch keinen Durchbruch verzeichnen können.

In Folge dessen werde ich, im Rahmen meiner Bachelorarbeit, eine empirische Untersuchun­gen durchführen, welche die Einstellung zum bedingungslosen Grundeinkommen als For­schungsgegenstand nimmt. Als möglichen Erklärungsansatz werde ich das Sozialkapital, in Form des generalisierten Vertrauens, nach Robert D. Putnam, theoretisch herausarbeiten und in die empirische Analyse integrieren. Ergänzend dazu werden unter anderem die Gerechtig­keitsprinzipien als Kontrollinstanz angeführt. Ziel der Ausarbeitung ist es, herauszustellen, ob die Einstellung zum bedingungslosen Grundeinkommen deutlich durch den Grad des vorhan­denen generalisierten Vertrauens erklärt werden kann. Die Daten beruhen auf einer eigen durchgeführten quantitativen Online-Befragung. Die Auswertung erfolgt mit STATA und deckt deskriptive, bivariate und multivariate, in Form einer binär logistischen Regressionsanalyse, statistische Verfahren ab.

2. Forschungsgegenstand - Das bedingungslose Grundeinkommen

Die Idee einer bedingungslosen Zusicherung von Gütern wurde erstmals im 16. Jahrhundert von Thomas Morus (1478 - 1535) in seinem Beitrag „Utopia“ umschrieben. In diesem Werk beschreibt er eine Gesellschaft, die ihre Mitglieder, ohne Pflicht der Gegenleistung, mit Gütern der gesellschaftlichen Produktion versorgt (Vasek 2017: S. 16). Dieser Ansatz hat sich seitdem einer stetigen Weiterentwicklung unterzogen. Im Jahr 1986 gründete sich das internationale Netzwerk „Basic Income Earth“, welches einen Rahmen bietet, in dem sich Wissenschaftler, Gewerkschafen und Parteien austauschen, um gemeinsam an einer weiterführenden Variation der Idee zu arbeiten. Ihre Kernkonzeption nennen sie das bedingungslose Grundeinkommen. In Deutschland hat sich, als nationales Mitglied des internationalen Netzwerks, das „Netzwerk Grundeinkommen“ im Jahre 2004 gegründet (Offe 2005: S. 131).

Auf ihrem öffentlichen Auftritt definieren sie das bedingungslose Grundeinkommen als „ein Ein­kommen, das eine politische Gemeinschaft bedingungslos jedem ihrer Mitglieder gewährt. Es soll die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, einen individuellen Rechtsanspruch dar­stellen sowie ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert werden“ (Netzwerk Grundeinkommen o.J.: [Abs. 2]). Der wesentliche Unterschied zu anderen Mindestsicherungssystemen ist, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen an die einzelnen Individuen, ohne jeglichen Gegenleistung, ausgezahlt wird. Es wird als „individuelles Recht“ angesehen, dass jedem, ohne Berücksichtigung der eigenen Lebensverhältnisse, ins­besondere hinsichtlich von familiären oder partnerschaftlichen Beziehungen, von Einkom­mens- und Vermögensverhältnisse und der Verfügbarkeit und Willigkeit der Aufnahme einer Erwerbsarbeit, gewährt wird (Netzwerk Grundeinkommen o.J.: [Abs. 3]).

Van Parijs, ein Mitgründer des internationalen Netzwerks, zählt zu einem der weltweit bekann­testen Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens. In seiner Argumentation (1995) ar­beitet er das Freiheitsideal als zentralen Aspekt heraus. Van Parijs sieht die Idee des bedin­gungslosen Grundeinkommens als eine Ausführung von „realer Freiheit“, also nicht nur die „Freiheit von“, sondern erweitert die „Freiheit zu“ „choose among the various lives one might wish to live“ (Van Parijs 1995: S. 33). Dies impliziert die Möglichkeit, die eigene Lebensweise und die dafür zur Verwirklichung notwendigen Ressourcen frei wählen zu dürfen. Außerdem würde es, seiner Meinung nach, politische Dilemmata, wie Armut und Arbeitslosigkeit in einer effektiven Art und Weise bekämpfen. In seiner Ausarbeitung legitimiert er die Idee, indem er das Motiv des Ressourcenegalitarismus miteinbezieht. Seine Argumentation fundiert auf der Ansicht, dass die Ressourcen nicht gerecht verteilt wurden und eine Umverteilung diesbezüglich statt­finden müsse (Van Parijs 1995: S. 30ff.). Auch den Arbeitsplatz sieht er als knappe Ressource an, die nicht jedem im gleichen Maße zur Verfügung stehe, jedoch den Besitzern überpropor­tionale Vorteile gäbe (Van Parijs 1995: S. 107).

Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist, nicht nur in der breiten Öffentlichkeit, sondern auch innerhalb und zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Fachbereichen, ein strittiges Thema.

Es zeigt sich, dass es sich um ein stark individualistisches Konzept handelt, welches einen gewissen Paternalismus, innerhalb der staatlichen Strukturen, ausschließt (Hohenleitner, Straubhaar 2008: S. 22). Dieser Aspekt spielt bei der Bewertung des bedingungslosen Grund­einkommens, auch gerade in der politischen Diskussion, eine ausschlaggebende Rolle. Denn die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde die Beziehung zwischen dem Staat und dem Individuum neu regeln. Durch die liberale Genealogie der Idee des bedin­gungslosen Grundeinkommens, fokussiert sich die Vorstellung auf die Freiheit des Individu­ums. Diese wird auch gerade durch die emanzipatorischen Wirkungen und die Loslösung vom Staat, durch die Abkündigung von Verpflichtungen gegenüber des Staates, vollzogen. Etliche öffentliche Institutionen würden demzufolge ihre strukturierende Kraft verlieren (Schönherr- Mann 2015: S. 15 ff.). Aber auch gerade die grundlegenden politischen Rechte, wie die öffentli­che Teilnahme und die gesellschaftliche Teilhabe würden durch die Einführung eines bedin­gungslosen Grundeinkommens, nach Annahme einiger wissenschaftlicher Meinungen, ge­stärkt. Denn nach Linda Sauer (2015: S. 147) wird das bürgerschaftliche Handeln durch Exis­tenzängste stark eingeschränkt. Gesellschaftsmitglieder konzentrieren und setzen ihre Kraft zum Selbsterhalt ein, dies führt schlussendlich eher dazu, dass sie sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen und ihren Alltag privatisieren. Dieses Verhalten stärkt zunehmend eine Atmo­sphäre des gegenseitigen Misstrauens und fördert die charakteristischen Züge einer Ellbogen­gesellschaft.

In der Ökonomie steht die Finanzierbarkeit, also keine stattfindende Erschwerung der staatli­chen Budgetbeschränkungen, sowie keine negativen Auswirkungen auf dem gesamtstaatli­chen Budgetsaldo, im Mittelpunkt. Rigmar Osterkamp (2015a) führte diesbezügliche eine ma­thematische Abhandlung durch. Sein Ergebnis zeigt, dass ein bedingungsloses Grundeinkom­men in Deutschland zwar als generell finanzierbar eingeschätzt werden kann, es jedoch mit erheblichen Veränderungen verbunden sei. Seine statischen Berechnungen fundieren auf den Annahmen, dass der Auszahlungsbetrag eine existenzsichernde Höhe beträgt und folglich an­dere Sozialleistungen ersetzen würde. Die Finanzierung erfolgt durch eine negative Einkom­menssteuer, welche im Rahmen dieser Annahmen relativ hoch veranschlagt werden müsste. Die Erwerbsarbeitende müssten also erheblich mehr von ihrem Bruttogehalt durch Steuern an den Staat bezahlen, hätten jedoch im Endeffekt eine immer wiederkehrende gesicherte Ein­zahlung. Positiv angemerkt wird, dass Einsparungen durch das Wegfallen der bürokratischen Verwaltungskosten bezüglich der Bedarfsprüfung von Sozialleistungen erfolgen würden (Os- terkamp 2015a: S. 227 f.). Osterkamp (2015a) stellt weiterführend heraus, dass in diesem Zusammenhang eine dynamische Wirkung, also die Einbeziehung der mikroökonomischen Verhaltensanpassungen der Bürger und der makroökonomischen Auswirkungen, Einhalt ge­boten werden muss. Da der Beschäftigungseffekt, auch gerade im unteren Einkommensbe­reich, jedoch nur schwer vorhersehbar sei, verbleiben die Analyseergebnisse eher unklar (Os- terkamp 2015a: S. 240). Ein vorhersehbarer Vorteil sei die allgemeine Integration der Steuer- und Transfersysteme. Dies würde eine verständlichere und transparentere Verteilung bedeu­ten. Zum anderen würde eine finanzielle Absicherung voraussichtlich die Risikobereitschaft und Innovationskraft fördern, welche sich positiv auf die allgemeine Wirtschaftsleistung des Landes auswirken kann (Osterkamp 2015a: S. 242). Allerdings wird befürchtet, dass die hohe steuerliche Belastung, für die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens, keine Zustimmung in der Gesellschaft findet, die Kosten eines bedingungslosen Grundeinkommens generell zu hoch verlaufen und dieses nicht nachhaltig finanzierbar sei. Insbesondere die Tat­sache, dass die symbolträchtigen „Surfer von Malibu“ (Van Parijs 1991), die sich gegen eine „produktive Tätigkeit“ und folglich für ihr Hobby entscheiden, von der arbeitenden Gesellschaft finanziell aufgefangen werden müssten, wird oft als Todschlagargument gegen eine Einfüh­rung des bedingungslosen Grundeinkommens eingeworfen (Osterkamp 2015b: S. 216). Insge­samt zeigt sich, dass eine budgetneutrale Finanzierung möglich sei, diese jedoch eine erheb­liche steuerliche Belastung bedeuten und die Verhaltensanpassungen der Bürger einen star­ken nicht genau zu prognostizierenden Einfluss haben würden.

Deutlich wird, dass die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens in verschiedensten Fachrichtungen diskutiert und aus unterschiedlichen Blickwinkeln bewertet wird. Auch gerade für die Soziologie stellt es eine interessante Vorstellung einer zukünftigen Gesellschaft dar, die viele wichtige gesellschaftliche Bereiche neu formatieren würde und einem anderen Werte­system entspräche. Denn die heutige Gesellschaft ist stark durch die Arbeit strukturiert. Die Mitglieder erlangen über ihre Tätigkeit einen gewissen gesellschaftlichen Wert (Linda Sauer 2015: 149).

Die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens führen in diesem Kontext an, dass es emanzipatorische Möglichkeiten eröffne, die sich auf gesteigerte Beiträge hinsichtlich ge­sellschaftlicher Aktivitäten positiv auswirken würde. Gegner des Ansatzes eines bedingungs­losen Grundeinkommens rücken die nicht abzuschätzenden Auswirkungen der Loslösung vom Staat in den Vordergrund. Öffentliche Institutionen verlieren an strukturierender Möglichkeit. Die Individuen könnten sich demzufolge eher noch weitgreifender atomatisieren, da die Ver­pflichtung zur solidarischen Unterstützung und zur Gegenleistung für den Staat hinfällig wird.

Insgesamt werden verschiedene Teilbereiche der Gesellschaft, im Kontext einer eventuellen Veränderung durch das bedingungslose Grundeinkommen, diskutiert. Es gibt etliche Argumente, die für eine Einführung und genauso viele Argumente und Zukunftsszenarien, die gegen eine Etablierung sprechen. Die Auflistung aller würde den Rahmen der Bachelorarbeit sprengen. In einem Punkt sind sich jedoch die meisten Wissenschaftler einig, dass eine gene­relle Bewertung der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens davon abhängt, wie die Gesellschaftsmitglieder auf die Einführung reagieren würden. Demzufolge sind die Prognosen davon abhängig, ob die Idee innerhalb der Gesellschaft an Zustimmung oder Ablehnung ge­winnt und die notwendigen Werte geteilt werden. Es bietet Möglichkeiten, die auf verschiedene Art und Weise genutzt werden können. Im Großen und Ganzen steht die Freiheit der Indivi­duen im Fokus, wie anfänglich aufgegriffen, die „Freiheit zu“ tun was der eigenen Vorstellung des guten Lebens entspricht.

3. Theoriehintergrund

3.1. Sozialkapitaltheorie nach Robert D. Putnam

Die Theorie des Sozialkapitals ist Inhalt verschiedener Fachrichtungen. Unter anderem in der Politikwissenschaft, der Wirtschaftswissenschaft und der Soziologie. Über die Jahrzehnte hin­weg entstanden im Diskurs verschiedene Definitionen. In Folge der Bandbreite an Definitionen kann das Sozialkapital unterschiedlich fungieren und angewendet werden. Insgesamt hat der Sachverhalt, der in den Vordergrund stellt, dass die soziale Eingebundenheit für das Handeln der Individuen eine ausschlaggebende Rolle spielt, eine konkretere Bezeichnung erhalten. Diese Vorstellung entspricht einer Grundidee der soziologischen Fachrichtung und manifes­tiert damit den Kerngedanken in ein theoretisches Konstrukt (Franzen, Freitag 2007: S.7).

In meiner Bachelorarbeit möchte ich mich auf die Definition und die theoretische Ausarbeitung von Robert D. Putnam beziehen. Robert D. Putnam war, neben Bourdieu und Coleman, einer der Vertreter der 1990er Jahre, der die Bekanntheit der Sozialkapitaltheorie in der Wissen­schaft belebte. Sozialkapital wird nach Robert D. Putnam als „features of social life, networks, norms and trust, that enable participants to act together more effectively to pursue shared objectives“ (Putnam 1995: S.664-665) definiert. Nach Putnam bezieht sich die Theorie des Sozialkapitals auf drei elementare Bereiche, die sozialen Netzwerke, das soziale Vertrauen und die Normen der generalisierten Reziprozität.

3.1.1. Entstehung Sozialkapital

Die Zusammenhänge, die kausalen und normativen Annahmen erarbeitete Robert D. Putnam in seinen beiden bekannten Ausarbeitungen zur Sozialkapitaltheorie. Seine Studie (1993) mit dem Titel „Making Democracy Work“ versucht die Frage zu klären, warum die Regierung der norditalienischen, im Vergleich zur süditalienischen Provinz, funktionsfähiger, im Sinne der Effektivität, Effizienz und der Nähe zum Bürger, arbeitet. Die Ursache für den Unterschied sei, laut Putnams Ergebnissen, anhand des höheren Sozialkapitals im Norden zu erklären. Als Erklärungsinstanz greift er die gesellschaftszentrierte Idee von Alexis de Tocqueville auf, die auch gleichzeitig als Basis für die Entstehung von Sozialkapital ausschlaggebend ist. Nach Tocqueville ist die Regierung, beziehungsweise eine erfolgreiche demokratisch strukturierte Gesellschaft, von der Vitalität der traditionellen zivilen Assoziationen abhängig. Vereine wer­den, in der tocquevilleschen Argumentation, als notwendige Vermittlungsinstanz zwischen In­dividuen postuliert. Durch sie entsteht ein notwendiges staatsbürgerliches Bewusstsein, so­dass die egozentrierten Eigeninteressen durch soziale Interaktionen in sozial integrierte Ei­geninteressen umgewandelt werden, die letztendlich die Funktionsfähigkeit der Demokratie stärken (Kriesi 2007: S. 29).

Vereinen wird in der Wissenschaft ein besonderer Beitrag zur Funktionsfähigkeit einer demo­kratischen Gesellschaft zugeschrieben. Einerseits sind lebhafte Vereine ein „intrinsischer de­mokratischer Wert“ an sich. Sie werden als „Schulen der Demokratie“ betitelt, die Mitgliedern wichtige Fähigkeiten vermitteln, die für einen demokratischen Austausch wichtig sind. Zusätz­lich bieten sie eine öffentliche Möglichkeit zur Interessenvertretung, können gemeinsamen Wi­derstand leisten und bieten im Allgemeinen einen wichtigen Raum, in dem soziale Interaktio­nen an der Tagesordnung stehen (Kriesi 2007: S. 29).

Daran anschließend führte Putnam (2000) eine weitere bekannte Studie durch, in welcher er die durchschnittlichen Mitgliedschaftszahlen in zivilen Assoziationen als Indikator für das So­zialkapital herausarbeitet. In seiner Studie mit dem Titel „Bowling Alone - The Collapse and Revival of American Community“ steht die symbolträchtige stagnierende Bowling-League für eine Erosion des Sozialkapitals der amerikanischen Zivilgesellschaft. Wo sich früher noch ver­schiedene Leute zum Bowlen getroffen, bei einem Getränk über ihre Ansichten und Werte gesprochen haben, bringen sie zum Zeitpunkt der Studie die Kugel eher alleine zum Rollen.

Robert D. Putnam analysiert die US-Gesellschaft, in dem er zeitlich versetzte Vergleiche des zivilen Engagements durch Vereinsmitgliedschaften, oder auch der sozialen Interaktionen durch persönliche Beziehungen, beschreibt. Hierfür bettet er die amerikanische Gesellschaft nicht in einen globalen Vergleich mit anderen Staaten ein, sondern er betrachtet und vergleicht die amerikanische Gesellschaft der 1990er Jahre mit ihren vorherigen Generationen (Putnam 2000: S. 31). In seiner Ausarbeitung veranschaulicht er, dass die soziale Einbindung und das soziale Engagement in der US-Gesellschaft der 1990er Jahre abnehmen. Hierfür gliedert er seine Bestandsaufnahme in unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche, die politische und die zivile Partizipation, sowie das berufliche Umfeld.

Im Bereich der politischen Partizipation stellt Putnam heraus, dass die Wahlbeteiligung in Amerika abnimmt. Relevant sei hier, dass Putnam einen Zusammenhang zwischen der Wahl­beteiligung und der Willigkeit sich ehrenamtlich zu betätigen, an Demonstrationen teilzuneh­men und mit anderen Gesellschaftsmitgliedern zu kooperieren, hervorhebt. Außerdem zeigt er, dass die politische Partizipation im Besonderen abgenommen hat, wenn die Aktivität eine soziale Einbindung benötigt. Dies bedeutet „the more the activities depend on the actions of others, the greater the drop-off in [..] participation“ (Putnam 2000: S. 45). Am Ende dieses Kapitals steht die Hypothese im Raum, dass durch ein Unverständnis der gegenwärtig geführten Politik, sich die Gesellschaftsmitglieder von der formellen und konventionellen, traditionellen Form der politi­schen Partizipation abgekehrt haben und diese ersetzt wird durch andere Aktivitäten (Putnam 2000: S. 47f.).

Die zivile Partizipation bezieht sich anknüpfend auf die Mitgliedschaften in Vereinen, die sich, gerade in der amerikanischen Gesellschaft, durch eine starke inhaltliche Heterogenität aus­zeichnen und denen demzufolge keinen Grenzen zu setzen seien. Insgesamt teilt Putnam die Vereine in „community based, churched based und work based“ ein. Bei der beispielhaften Betrachtung der Mitgliedschaften in community based associations zeigen die Zahlen, dass Mitgliedschaften in individuell-orientierten Organisation einen steigenden Trend verzeichnen. Diese Art der Vereine ist dadurch gekennzeichnet, dass sie keine wirklichen Vereinstreffen organisieren, sondern eher durch Newsletter mit ihren Mitgliedern in Kontakt stehen. Ein Bei­spiel hierfür wäre Greenpeace. Auch hier expliziert Putnam, dass nur eine aktive Mitgliedschaft in einem Verein förderlich für das Sozialkapital sei. Demzufolge zeichnen sich die Trends in der politischen, sowie in der zivilen Partizipation durch erhöhte Mitgliedschaften aus, die sich in eher individuell-orientierten Strukturen wiederfinden lassen (Putnam 2000: S. 49 ff.).

Putnam befasst sich in seiner Ausarbeitung ebenfalls mit Vereinen, die auf Beziehungen ba­sieren, die durch eine gemeinsame Arbeitsstelle generiert werden. Insgesamt akzentuiert Put­nam seine Skepsis hinsichtlich der Behauptung, dass soziale Beziehungen, die durch die Ar­beit entstehen, eine neue starke Form der sozialen Solidarität seien. Denn „work-based networks are often used for instrumental purposes, thus somewhat undercutting their value for community and social purposes“ (Putnam 2000: S. 91) und letztendlich werden die Arbeitnehmer generell nicht dafür bezahlt um während der Arbeitszeit Sozialkapital zu akkumulieren. In den 1990er Jahre war, wie heutzutage, der Großteil der Bevölkerung erwerbstätig. Die Erwerbstätigkeit ist zu­dem größtenteils in soziale Kontexte eingebettet, weshalb soziale Interaktionen ein integraler Bestandteil sind. Wie Putnam es in seiner Studie beschreibt, ist der Arbeitsplatz zu einer „na­tural site for connecting with others“ (Putnam 2000: S. 91) geworden. Jedoch kommt er zu dem Ergebnis, dass der Arbeitsplatz keinen neugeschaffenen Ort für die Generierung von Sozial­kapital darstellt. Die genannten Gründe beziehen sich auf die Tatsachen, dass nur selten die sozialen Beziehungen, die am Arbeitsplatz entstehen, so ausgeweitet werden, dass sie in ge­meinsamen Treffen in formellen Vereinen münden. Außerdem sind Nichterwerbstätige in die­sem Bereich komplett ausgeschlossen (Putnam 2000: S. 91 ff.).

Diese Bereiche der Studie untersuchten die Beziehungen in Gemeinschaften („communities“). Im Allgemeinen zeigt sich, dass informelle Zusammentreffen eher im täglichen Leben der Ge­sellschaft verankert sind. Beispiele hierfür sind „getting together for drinks after work, having coffee with the regulars at the diner, playing poker every Tuesday night, gossiping with the next-door neighbor, having friends over to watch TV (..), even simply nodding to another regular jogger on the same daily route“ (Putnam 2000: S. 93). In diesem Kontext wird ersichtlich, dass eine Unterscheidung durch die vorhandene Tiefe der sozialen Beziehungen durchgeführt wird. Infolgedessen wird von zwei verschiedenen Dimensionen von sozialen Interaktionen gesprochen. Putnam greift für diese Unterscheidung auf die Yiddishen Begriffen der „machers“ und „schmoozers“ zurück. Die „machers“ zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich für Angelegenheiten der Gemein­schaft einsetzen, während die „schmoozers“ eher sozial informell aktiv sind. Es gibt statistische Anzeichen dafür, dass die gemeinschaftliche soziale Eingebundenheit der „machers“ dazu führt, dass sie eher in die Kirche gehen, sich für politische Themen interessieren, Blut spenden und an öffentlichen Treffen teilnehmen. Die „schmoozers“ und ihr aktives Sozialleben gehen oft einher mit einem eher spontanen und flexiblen Umgang mit sozialen Interaktionen. Sie ge­hen oft in Bars, spielen Karten oder treffen sich mit Freunden zum gemeinsamen Abendessen. Diese beiden Formen der sozialen Eingebundenheit können nicht gänzlich voneinander ge­trennt werden, oft überschneiden sie sich innerhalb einer Persönlichkeit. Es ist jedoch anzu­merken, dass die Ausprägung eines „machers“ oder „schmoozers“ durch Unterschiede im „social standing, life cycle, and community attachment“ beeinflusst werden (Putnam 2000: S. 94). Sodass beispielweise eine bessere Bildung und ein höheres Einkommen dazu beitragen, zu der Beschreibung eines „machers“ zu passen. Alles in Allem sind die beiden Ausprägungen in allen sozialen Schichten, zu einem bestimmten Maße und in ihrer Verflochtenheit, vorzufin­den. Im Bezug zum Sozialkapital ist gerade die soziale Aktivität der „machers“ wichtig für die Ausbildung einer zivilen Komponente (Putnam 2000: S. 94 ff.). Als gesellschaftlichen Trend ver­zeichnet Putnam, dass informelle soziale Interaktionen eher vertreten sind. Insgesamt nehmen beide sozialen Ausprägungen weniger Zeit und Platz im Leben der amerikanischen Gesell­schaft der 1990er Jahre ein. Die Zeit, die früher für Konversationen beim Abendessen, für Freizeitaktivitäten, die mit einer sozialen Komponente impliziert sind und für gegenseitigen Besuche bei Freunden und Verwandten verplant war, nimmt ab. Wohingegen die Zeit vor dem Fernseher zu nimmt (Putnam 2000: S. 115).

Nach seiner Bestandsaufnahme bezüglich des vorhandenen Sozialkapitals innerhalb der ame­rikanischen Gesellschaft der 1990er Jahre, veranschlagt Putnam die Vermutung, dass ein Rückgang des Sozialkapitals, implizierend des sozialen Vertrauens und des zivilen Engage­ments, vorliegt. Als mögliche Ursachen für diesen Trend wird die Hypothese eines „crowding- out“-Effekts aufgestellt. Diese besagt, dass private Initiativen durch staatliche Eingriffe, die das zivile Engagement untergraben, verdrängt werden (Putnam 2000: S. 281).

Insgesamt arbeitet er heraus, dass diese Hypothese noch weitere Forschung benötigt. Im Anschluss an seine Bestandsaufnahme stellt er Faktoren auf, die zu einer Ablehnung von so­zialem Engagement und sozialem Kapital führen könnten. Zum einen nennt er einen steigen­den Zeitdruck, welchen er durch den Druck Geld zu verdienen begründet sieht. Dies sei ins­besondere ausschlaggebend, wenn innerhalb der Familie beide Partner arbeiten. Dieser Grund sei für ungefähr 10 Prozent der Abnahme des zivilen Engagements entscheidend wirk­sam. Außerdem richtungsweisend sei eine voranschreitende Suburbanisierung der Gesell­schaft, sowie mehr und mehr die Integration des Pendelns zwischen der Arbeit und des Zu­hauses. Diese Entwicklung sei, laut Putnam, für zusätzliche zehn Prozent des sinkenden So­zialkapitals relevant. Ein weiterer Faktor sei die Verbreitung der medialen Entertainment-Bran- che und der daraus resultierenden Privatisierung der Freizeit. Diese Entwicklungslinie sei für weitere 25% bedeutungsschwer. Als letzten und damit ausschlaggebendsten Faktor nennt Putman den Generationswechsel, welcher sich als ein langer und unausweichlicher Austausch zu weniger zivilen Generationen bewegt (Putnam 2000: S. 283).

Putnam vertritt eine sogenannte „Bottom-up“-Theorie des Sozialkapitals. Im Gegensatz zu an­deren Sozialkapitaltheorien, die institutionszentrierte Erklärungen für den Ursprung sozialen Kapitals herausarbeiten, ist eine aktive Mitgliedschaftsrolle in sozialen Netzwerken nach Put­nam ausschlaggebend für die Etablierung von Normen der generalisierten Reziprozität und des generalisierten Vertrauens innerhalb einer Gesellschaft. Im Prozess der Produktion von Sozialkapital stehen auf Grund dessen die Netzwerke zivilgesellschaftlichen Engagements im Fokus. Hierunter versteht Putnam die „traditional civic associations“, in denen ein persönlicher Austausch, also ein hohes Maß an sozialer Interaktion, gefördert wird. Insgesamt verortet auch Putnam das Sozialkapital implizierend in sozialen Beziehungen und nicht als individuelle Res­source. Der Bezugspunkt in Putnams Theorien ist demnach nicht der individuelle Akteur, son­dern soziale Gemeinschaften wie Regionen innerhalb eines Landes. Das Sozialkapital gene­riert und regeneriert sich durch regelmäßige Kontakte. Im Unterschied zu anderen Kapitalsor­ten, wie beispielsweise das Sachkapital, wird es nicht durch die Anwendung verbraucht, son­dern durch seinen moralischen Charakter vermehrt (Putnam 1993: S. 169). Sozialkapital entsteht demzufolge als Nebenprodukt von gemeinschaftlichen Aktivitäten (Kriesi 2007: S. 24ff.)

3.1.2. Wirkung Sozialkapital

Die verschiedenen dargelegten Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens durch­leuchten, inwiefern Sozialkapital entstehen kann.

Das Konstrukt des Sozialkapitals, nach Putnam, bezieht sich demnach nicht auf „Doing good for other people“, sondern auf „networks of social connection - doing with“ (Putnam 2000: S. 117) Das Sozialkapital entsteht aus sozialen Beziehungen. Empirisch gesehen hängen die beiden Vari­anten oft zusammen. Soziale Netzwerke sind förderlich für die Ausführung von Aktivitäten, die mit guten Absichten für andere Gesellschaftsmitglieder behaftet sind. Die soziale Integrität in Netzwerke wirkt sich stark auf die Willigkeit aus, sich für das Wohlergehen anderer einzuset­zen und dies beispielsweise durch Geldspenden zu fördern. Aus diesem Grund können Hilfs­bereitschaft, Altruismus und Ehrlichkeit als Anzeichnen für Sozialkapital gelten. Dabei kann ein soziales Netzwerk einen stärkeren Einfluss haben, als eine natürliche altruistische Einstel­lung der Persönlichkeit (Putnam 2000: S. 117 ff.).

Durch soziale Interaktionen erlernen die Mitglieder bestimmte Verhaltensweisen, die Koope­ration zwischen den Mitgliedern fördern, einen Sinn für die Gemeinschaft schärfen („civicness“) und das allgemeine Gemeinwohl unterstützen, indem Vertrauen gefördert und Normen der Reziprozität unterstützt werden. Das Vertrauen ist innerhalb der Netzwerke per­sonenbezogen, jedoch trägt es dazu bei, dass die Individuen das sogenannte „generalisierte Vertrauen“ aufbauen, welches sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche erstrecken kann.

Für Putnam stellen die Normen der generalisierten Reziprozität - „I’ll do this for you now, without expecting anything immediately in return and perhaps without even knowing you, confident that down the road you or someone else will return the favor“ (Putnam 2000: S. 134), einen wichtigen Faktor dar, in dem das Sozialkapital mündet. Im Zusammenhang zum zivilen Leben wird dieses Prin­zip auch als Goldene Regel betitelt, die in irgendeiner Art und Weise in etlichen moralischen Kodizes vorzufinden ist (Putnam 2000: S. 135).

3.1.2.1. Generalisiertes Vertrauen

In meiner Arbeit befasse ich mich jedoch ausschließlich mit dem generalisierten Vertrauen, als einen der drei Faktoren der Sozialkapitaltheorie nach Putnam. Unter dem Begriff des general­isierten Vertrauens versteht man „a standing decision to give most people - even those whom one does not know from direct experience - the benefit of the doubt“ (Rahn, Transue 1998: S. 545).

Der Begriff des generalisierten Vertrauens wird auch innerhalb Putnams Ausarbeitung als „thin trust“, also das Vertrauen in den sogenannten unbekannten Anderen, bezeichnet. Soziolo­gisch gesehen bedeutet „Thin Trust“, dass das geäußerte Vertrauen einen weiten Radius, an Personen, umspannt (Putnam 2000: S. 466). Wie vorher erläutert, führt das „Thin trust“ zu etli­chen zivilen Tugenden, wie beispielsweise einem Anstieg der Partizipation durch Freiwilligen­arbeit oder in politischen oder öffentlichen Organisationen. Zusätzlich führt es zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, dass Blut gespendet, dass den Steuerverpflichtungen in einem transpa­renten Wege nachgegangen und dass die Meinungen von Minderheiten eher toleriert werden. Nach einer Studie von experimentell forschenden Psychologen bestärken sich Ehrlichkeit, zi­viles Engagement und generalisiertes Vertrauen gegenseitig. Sie fanden heraus, dass Leute, die eher davon überzeugt sind, dass die Mitbürger ehrlich agieren, selbst eher selten dazu tendieren zu lügen. Außerdem seien sie eher gewillt die Rechte von anderen anzuerkennen (Putnam 2000: S. 135ff,).

Das soziale Vertrauen bezieht sich in der Theorie von Putnam auf das Vertrauen in andere Personen, nicht in politische Institutionen oder in politische Autoritäten. Im theoretischen Sinne müssen diese beiden möglichen Formen des sozialen Vertrauens getrennt werden, auch wenn sie empirisch gesehen miteinander korrelieren und in einem kausalen Zusammenhang stehen könnten (Putnam 2000: S. 137).

Insgesamt stellt Putnam heraus, dass das soziale Vertrauen als eigene soziale Erfahrung in­terpretiert werden kann. In dem Sinne können Aussagen über das individuelle soziale Ver­trauen als eine Wiedergabe von persönlichen Erfahrungen gesehen werden. In diesem Kon­text ist es nicht verwunderlich, dass wirtschaftlich und finanziell besser Gestellte mehr soziales Vertrauen äußern. Diese Diskrepanz ist in verschiedenen Gesellschaften vorzufinden. Vermu­tet wird, dass den Bessergestellten eher mit einer gewissen Ehrlichkeit und Respekt begegnet wird. Nicht nur die persönlichen Erfahrungen beeinflussen das generalisierte Vertrauen, son­dern auch Charakterzüge wie Zynismus und Paranoia, sowie die individuelle Projektion der eigenen Unehrlichkeit. Leute, die sich selbst als eher wenig vertrauenswürdig einschätzen, projizieren dieses Bild auch auf die anderen Gesellschaftsmitglieder. Diese Bedingungen kön­nen in einem Kreislauf münden, wonach die Vertrauenswürdigkeit der anderen, die individuelle beeinflusst, die wiederum einen Einfluss auf das Verhalten der anderen Gesellschaftsmitglie­der hat. Wenn es um die individuellen Erfahrungen geht, wird den ersten, den sogenannten „formativen“ Lebensjahren, eine besondere Gewichtung zugeschrieben. Auf diesen Jahren und den darin gemachten Erfahrungen, bauen alle folgenden Erfahrungen und Erwartungen auf. Auch in diesem Aspekt zeigt sich, dass die Daten zum generalisierten Vertrauen einen Trend der Abnahme verzeichnen. Sodass die älteren Generationen in eher vertrauenswürdi­gen amerikanischen Gesellschaft lebten, als die Kinder, die sie aufzogen. Die Erfahrungen der jüngeren Generationen verdeutlichen, dass sie die anderen unbekannten Gesellschaftsmit­glieder als eher weniger vertrauenswürdig wahrnehmen. Im Vertrauen in Freunde und Ver­wandte, also das „thick trust“, liegt keine offenkundige Abnahme zwischen den Generationen vor. Diese Ergebnisse scheinen mit den anderen vorher dargestellten Trends der Abnahme des Sozialkapitals übereinzustimmen. Das generalisierte Vertrauen bedeutet jedoch nicht nur das Vertrauen in andere, sondern auch die Erwartung von fairen Handlungen und genereller Hilfsbereitschaft. „If it seems to us that other people are playing fair and doing their share, we do, too“ (Putnam 2000: S.142). Auch hier zeigt sich das Wechselspiel zwischen sozialen Erfahrungen und sozialem Verhalten (Putnam 2000: S. 138 ff.).

Als einen Maßstab für die Ehrlichkeit, beziehungsweise die Vertrauenswürdigkeit, benennt Putnam die Kriminalitätsrate. Empirisch gibt es Belege, dass die Kriminalitätsrate in den ame­rikanischen Staaten stieg, als die verschiedenen Maßzahlen für das Sozialkapital, das Ver­trauen und die Vertrauenswürdigkeit, abnahmen. Wohingegen die Kriminalität auch als ein Syndrom einer schwächelnden sozialen Kontrolle gesehen werden kann. Sodass im Allgemei­nen mehrere Faktoren, neben dem Sozialkapital, die Kriminalitätsrate bedingen. Ein alternati­ver Maßstab für die generalisierte Reziprozität und Ehrlichkeit ist das Ausmaß der Rechts­staatlichkeit. Dieser Begriff impliziert formale Verträge, Gerichte, Rechtsstreitigkeiten und Ur­teile, die jeweils durch den Staat durchgesetzt werden. Eine Ausweitung der Rechtsstaatlich­keit bedeutet demzufolge, dass „künstliches Vertrauen“ geschaffen wird. Dieses Vertrauen wird notwendig, wenn das Vertrauen und die Vertrauenswürdigkeit in die anderen Gesell­schaftsmitglieder nicht ausreichend vorhanden ist. Kooperatives Handeln, welches durch in­formelle Netzwerke bestärkt wird, wird durch fehlendes generalisiertes Vertrauen abhängig von formellen staatlichen Institutionen. In diesem Zusammenhang stellt Putnam heraus, dass ein Schwinden des „thin trusts“, also dem generalisierten Vertrauen, dazu führen kann, dass das Gesetz eher die Basis von Kooperationen bildet, um diese notwendigerweise zu schützen. Putnam untersucht diese Hypothese und diesen Zusammenhang durch die Ausgabenhöhe für das Rechtssystem im Zusammenhang mit dem vorherrschenden Sozialkapital. Insgesamt wuchs die Höhe der Ausgaben für Anwälte. Dieses Metier verzeichnete einen sehr starken Anstieg. Im Vergleich zu anderen Berufsfeldern weitete sich dieser Bereich, in der gleichen Zeitspanne, sogar dreimal so schnell aus. Diese Anzeichen sprechen für einen Zusammen­hang, jedoch können die erhöhten Ausgaben für die soziale Kontrolle nicht gänzlich durch das Sozialkapital erklärt werden und demzufolge bleibt die Beeinflussung eher unklar (Putnam 2000: S. 140 ff.).

Das ein gesellschaftliches Leben ohne Sozialkapital nicht einfach sei, stellt er am Ende seiner Ausarbeitung heraus. Zu den Effekten des Sozialkapitals beteuert Putnam, dass es „in general has many features, that help people translate aspirations into realities“ (Putnam 2000: S 288). Denn es hilft dabei kollektive Probleme einfacher zu lösen. Diese werden am effektivsten gelöst, wenn das kollektiv erwünschte Verhalten eingehalten wird. Dieser Mechanismus wird am besten durch soziale Normen und Netzwerke zur Verfügung gestellt. Außerdem ermöglicht das Sozialkapital einen reibungslosen Ablauf in Gemeinschaften, in der Hinsicht, dass das Ver­trauen und die Vertrauenswürdigkeit gegenüber anderen Mitgliedern der Gesellschaft, die so­zialen und ökonomischen Transaktionskosten senken. Die Individuen müssen keine Zeit oder Geld investieren, um zu überprüfen oder sicherzustellen, ob der Kooperationspartner sein Ver­sprechen einhält. Die Interaktionen innerhalb der zivilen Netzwerke vermitteln Erwartungshal­tungen an das Verhalten der anderen Mitglieder. Im Umkehrschluss bedeutet es, dass gewisse Opportunitätskosten etabliert werden, die durch nicht kooperatives Verhalten von Teilneh­mern, oder auch Nichtteilnehmern zu tragen sind. Zusätzlich bildet ein soziales Netzwerk die Basis für einen gewissen Informationsfluss, der die Kommunikation bezüglich der Vertrauens­würdigkeit von Individuen ermöglicht. Die traditionellen zivilen Assoziationen bilden somit ein erlebtes Beispiel für erfolgreiche Kooperationen und geben demzufolge eine Hilfestellung für zukünftige Kooperationen, auch außerhalb dieser Netzwerke. Aus diesen erfolgreichen Inter­aktionen bildet sich dann das generalisierte Vertrauen, welches weitere soziale Kooperationen anspornt und schlussendlich dazu beiträgt kollektive Handlungsprobleme zu lösen (Kriesi 2007: S. 24 ff.).

Zusätzlich weitet das Sozialkapital das Bewusstsein dafür, inwiefern die einzelnen Leben der Individuen verlinkt sind. Menschen mit aktiven und vertrauten Beziehungen zu anderen entwi­ckeln Charakterzüge, die sich positiv auf die Gesellschaft auswirken. Insgesamt sind sie tole­ranter, weniger zynisch und reagieren empathischer. Menschen, denen diese Beziehungen fehlen, denen fehlt die Möglichkeit „to test the veracity of their own views“ (Putnam 2000: S. 288). Daran anknüpfend stellen Helliwell und Putnam (2004) heraus, dass Sozialkapital stark mit der subjektiven Einschätzung von Zufriedenheit hinsichtlich des eigenen Lebens zusammen­hängt. Sozialkapital korreliert, in all seinen Formen, mit „happiness and life satisfaction, both di­rectly and through their impact on health“ (Helliwell und Putnam 2004: S. 1444).

Durch soziale Beziehungen wird dementsprechend ein Wert, für das individuelle, sowie das gemeinschaftliche Wohl, geschaffen.

3.2. Soziale Gerechtigkeit

Wie die Bundeszentrale für politische Bildung (Hradil 2012) in ihrer Abhandlung von sozialer Gerechtigkeit darstellt, hängt der soziale Frieden innerhalb einer Gesellschaft maßgebend da­von ab, ob die vorherrschende Gerechtigkeitsprinzipien, die die Gesellschaft strukturieren, auch als gerecht wahrgenommen werden. In der modernen Gesellschaft ist eine stark indivi­dualisierte und differenzierte Gesellschaft vorzufinden, die sich in ihrer Lebensweise und in ihren Vorstellungen vom Leben oftmals stark unterscheidet. Auch die Vorstellung hinsichtlich von Gerechtigkeitskonzeptionen, insbesondere als Legitimation von sozialer Ungleichheit, un­terscheidet sich zwischen den einzelnen Individuen. Ausschlaggebend ist, dass soziale Un­gleichheiten nicht de facto ausgemerzt werden, sondern dass sie auf Gerechtigkeitsvorstel­lungen basieren sollte, die die Mitglieder der Gesellschaft als legitim ansehen. Dementspre­chend definiert die Bundeszentrale für politische Bildung Gerechtigkeit als „moralisch begrün­dete, akzeptierte und wirksame Verhaltens- und Verteilungsregeln [...], die Konflikte vermeiden, welche ohne die Anwendung von Gerechtigkeitsregeln bei der Verteilung begehrter Güter oder ungeliebter Las­ten auftreten würden“ (Hradil 2012: [Abs. 3]). Dem hinzufügend entspricht die sogenannte soziale Gerechtigkeit nur der austeilenden Gerechtigkeit, nach welcher gesellschaftliche Akteure Gü­ter und Lasten anhand von ausgewählten Prinzipien und Regeln an eine bestimmte Anzahl von Gesellschaftsmitgliedern verteilt. H. Baum definiert in seiner Ausarbeitung die soziale Ge­rechtigkeit als „zwischenmenschliche Gerechtigkeit unter den Bedingungen eines staatlich geordneten Zusammenlebens“ (Baum 2004: S.49).

Soziale Gerechtigkeit besitzt verschiedene Ausprägungen, die zwischen den Gesellschafts­mitgliedern in divergierenden Vorstellungen mündet. Diese Variationen hinsichtlich der Wahr­nehmung von Gerechtigkeit spielen sich jedoch nicht nur zwischen den verschiedenen Mitglie­dern der Gesellschaft ab, sondern sind auch innerhalb der Einstellungen eines Individuums vorzufinden (Hradil 2012: [Abs. 6]).

Irene Becker und Richard Hauser (2009) legen in ihrer Ausarbeitung, unter dem Titel „Soziale Gerechtigkeit - eine Standortbestimmung. Zieldimensionen und empirische Befunde“, die in­haltlichen Unterschiede bezügliche der Zielebenen der verschiedenen Ausprägungen von so­zialer Gerechtigkeit, dar. Außerdem unterstreichen sie, dass es sich in diesem Kontext um ein normatives Konzept handelt. Das moderne derzeitig vorherrschende Paradigma der sozialen Gerechtigkeit entstand in den 70er Jahren, in welchen die Politik eine Kehrtwende von einer nachfrageorientierten zu einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, im Zuge der Zeiten ei­ner eher stagnierenden Konjunkturperiode, vollziehen musste. Sodass eine wirksame Verklei­nerung des damaligen Sozialstaates zu einem Minimalstaat stattfand (Becker, Hauser 2009: S. 7).

[...]

Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
Erklärt Vertrauen die Einstellung zum bedingungslosen Grundeinkommen? Sozialkapital unabhängig der Gerechtigkeitsprinzipien als Erklärungsansatz
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
59
Katalognummer
V974343
ISBN (eBook)
9783346318886
ISBN (Buch)
9783346318893
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bedingungsloses Grundeinkommen, Sozialkapital, Putnam, Gerechtigkeitsprinzipien, Soziale Gerechtigkeit, Generalisiertes Vertrauen, logistische Regressionsanalyse
Arbeit zitieren
L. Michaelis (Autor:in), 2018, Erklärt Vertrauen die Einstellung zum bedingungslosen Grundeinkommen? Sozialkapital unabhängig der Gerechtigkeitsprinzipien als Erklärungsansatz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/974343

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