Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
1 Einleitung
2 Problemaufriss
3 Häusliche Gewalt
3.1 Definitionen
3.2 Formen von Häuslicher Gewalt
3.3 Ursachen
3.4 Kreislauf der Gewalt
3.5 Gründe gegen eine Trennung
3.5.1 Innere Gründe gegen eine Trennung
3.5.2 Strukturelle Gründe
4 Sozial-emotionale Entwicklung von Kindern
4.1 Die psychosozialen Stadien nach Erikson
4.2 Bindung
4.2.1 Die Bindungstheorie
4.2.2 Bindungsverhalten
4.2.3 Bindungsqualität
5 Fragestellung
6 Methodisches Vorgehen
7 Kinder und Häusliche Gewalt
7.1 Kinder als Betroffene von Häuslicher Gewalt
7.2 Häusliche Gewalt als Trauma
7.4 Risiko und Schutzfaktoren
7.5 Folgen für Kinder
7.6 Empirische Studien
7.6.1 Studie
7.6.2 STUDIE
8 Diskussion
Literaturverzeichnis
Zusammenfassung
Für die Frage, wie sich Häusliche Gewalt auf die sozial-emotionale Entwicklung von Kindern auswirkt, ist es von großer Bedeutung eine Verflechtung aller Entwicklungsbereiche aufzuzeigen.
Anhand von zwei Studien werden die Auswirkungen von Häuslicher Gewalt auf die unterschiedlichen Entwicklungsbereiche des Kindes deutlich gemacht. Die Ergebnisse einer qualitativen Datenerhebung zeigen, dass Kinder ein desorganisiertes Bindungsverhalten entwickeln, dass aufgrund durch die projektive Identifikation der Mutter mit dem Kind entwickelt wird. Eine weitere Studie zeigt, dass die Häufigkeit der miterlebten Gewalt Auswirkung auf den IQ von Kindern hat. Je häufiger Häusliche Gewalt miterlebt wurde, desto geringer war der IQ der untersuchten Kinder und desto größer die Verhaltensauffälligkeiten und desto geringer die schulischen Leistungen. Besonders berücksichtigt wurden Verhaltensstörungen in Form einer „Externalisierung“ und „Internalisierung“.
1 Einleitung
„Gewalt??? Als ich dich fragte, was Gewalt ist, sagtest Du, schlagen und geschlagen werden. Wenn du oft über mein Aussehen klagst und wenn du so tust, als ob wir nicht zusammengehören, wenn du mich nicht mit zu Deinen Freunden nimmst, wenn Du sagst, ich bin zu nichts zu gebrauchen, merke ich, daß Du nicht weißt, was Gewalt ist“. (Ernst & Stampfel, 1991, S. 52)
Dieses Zitat zeigt, dass das Verständnis von Gewalt breit gefächert ist und Gewalt in unterschiedlichen Formen ausgeübt werden kann und auf unterschiedliche Arten und Weisen unterschiedliche Menschen verletzen kann. Weiterhin zeigt das Zitat, dass Gewalt nicht immer bewusst und mit körperlichen Übergriffen angewendet wird, sondern auch eine psychische Verletzung zur Folge haben kann. Was aber passiert mit einem Menschen, welcher Gewalt in allen vorhanden Formen zu spüren bekommt und dabei die sichtbare Form der Gewalt, eine nicht auf den ersten Blick erkennbare Verletzung auslöst. Was passiert mit dem Menschen, der des Öfteren Opfer psychischer und physischer Gewalt wird? Und von was für einer Art Gewalt ist hier die Rede?
2 Problemaufriss
Diese Arbeit beschäftigt sich mit Thema „Häusliche Gewalt“. Im Rahmen dieser Arbeit wird unter dem Begriff „Häusliche Gewalt“ die spezifische Form der Gewalt gegen Frauen, verstanden (Rudolph, 2007). Im Fokus dieser Arbeit stehen die Kinder als Mitbetroffene von Häuslicher Gewalt (Kapitel 7). Bezüglich dessen werden die Auswirkungen von Häuslicher Gewalt auf die Kinder aufgezeigt und welche Folgen daraus für Kinder als Zeugen von Häuslicher Gewalt, entstehen können.
Häusliche Gewalt hat es schon immer und auch in allen Schichten, gegeben. Häusliche Gewalt trat erst in den 70er Jahren ins gesellschaftliche Bewusstsein. Der Unterschied von Häuslicher Gewalt und anderen Gewaltformen liegt darin, dass bei Häuslicher Gewalt die beteiligten Personen durch ein emotionales Band miteinander verbunden sind. Somit ist stellt Häusliche Gewalt ein Phänomen dar, was im Rahmen der familialen Situation geschieht. Das Problem hierbei ist, dass die Familie die ein sicherer Ort sein sollte, zugleich der Platz ist, an dem am häufigsten Menschen psychisch und physisch misshandelt werden. In 2015 wurden in Deutschland 65.800 Frauen, Opfer von einfachen Körperverletzungen, 16.200 von Bedrohung, 11,400 von gefährlicher Körperverletzung, 7.900 von Stalking und 331 von Mord und Totschlag (Bundesministerium, für Senioren, Frauen und Jugend, 2015).
Die Familie stellt die erste soziale Gemeinschaft im Leben eines Säuglings dar. Ein wichtiger Aspekt innerfamilialer Beziehungen ist die Eltern–Kind–Interaktion. Somit haben die Eltern, aber auch andere Institutionen wie Schule und Kindergarten die Aufgabe, die Kinder kindgemäß aufwachsen und sich entwickeln zu lassen und ihnen auch eine soziale Entwicklung zu ermöglichen. Der „Prozess, indem sich die menschliche Persönlichkeit in Abhängigkeit von den sozialen und materiellen Lebensbedingungen entwickelt“, wird als Sozialisationsprozess bezeichnet (Hurrelmann 1998, S. 14 in Hill und Kopp, 2002, S. 249). Weiterhin hat nach Jobst (2008) „die spezifische interaktive Ausgestaltung des familialen Lebens“ einen beträchtlichen Einfluss auf die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung des Kindes (S. 183). Somit wird dem familialen Beziehungssystem große Bedeutung zugeschrieben, da das Beziehungssystem primäre Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern hat. Dem zufolge besitzt die Familie eine große Bedeutung für den Verlauf der kindlichen Entwicklung. Was passiert aber, wenn die Familie keinen sicheren Ort für Kinder mehr darstellt und aufgrund dessen keine kindgerechte Förderung stattfinden kann?
Zunächst werden wichtige Begriffe zum Thema „Häusliche Gewalt“ erläutert und verschiedene Definitionen aufgeführt. Weiterhin werden die Gewaltformen von Häuslicher Gewalt beschrieben, welche nicht getrennt voneinander, sondern vielmehr in Wechselwirkung zueinander betrachtet werden müssen. Anschließend wird in Kapitel 4 ein theoretisches Hintergrundwissen über die kindliche Entwicklung vermittelt, welches grundlegend für das Verständnis der in Kapitel 7 genannten Auswirkungen ist. Weiterhin wird in Kapitel 6 das methodische Vorgehen dargestellt, um die Transparenz für das Vorgehen dieser Arbeit zu sichern.
Im Anschluss daran zeigt diese Arbeit Folgen für Kinder auf, die Zeugen von Häuslicher Gewalt sind. Dabei wird auch auf die Folgen von traumatischen Erfahrungen eingegangen, welche bezüglich Häuslicher Gewalt entstehen können. Anschließend findet eine Bestätigung dieser Folgen durch angeführte Studien statt, welche die Auswirkungen von Häuslicher Gewalt auf die kindliche Entwicklung aufzeigen und belegen.
Schließlich wird ein Fazit herangezogen, um die unterschiedlichen Blickwinkel im Hinblick auf die Forschungsfrage zu diskutieren und auf eventuell fehlende Forschung hinzuweisen.
3 Häusliche Gewalt
Häusliche Gewalt meint eine spezifische Form der Gewalt zwischen erwachsenen Bezugspersonen. Neben diesem Begriff wird im selben Kontext auch von „Gewalt im sozialen Nahraum“, von „Gewalt in Partnerschaften“, oder auch von „familiärer Gewalt“ gesprochen. Im Kontext Häuslicher Gewalt wird in fast allen Fällen, die Gewaltanwendung durch den Mann gegenüber seiner Frau verstanden. Nach Weiß (2008), sind die Kinder bis zu 90 Prozent der Fälle während der Gewalttat anwesend, wenn ihre Mütter zu Opfern von Häuslicher Gewalt.
Im Folgenden werden unterschiedliche Definitionen und Erscheinungsformen von Häuslicher Gewalt beschrieben. Anschließend werden die Ursachen der Entstehung von Häuslicher Gewalt und spezielle Risikofaktoren genannt. Im Anschluss daran, wird der Ablauf während einer Gewalttat erläutert und die Gründe aufgeführt, die gegen eine Trennung sprechen.
Im Weiteren werden die Begriffe „Häusliche Gewalt“, „Gewalt im sozialen Nahraum“ und „Partnergewalt“ synonym verwendet.
3.1 Definitionen
Der Begriff „Häusliche Gewalt“ stammt ursprünglich aus dem Englischen (domestic violence) und beschreibt Gewalt im sozialen Umfeld von Familien. Das Verständnis von Häuslicher Gewalt ist breit gefächert. Lamnek et. al. (2012) und (2006) bieten ebenfalls eine weite Definition von Häuslicher Gewalt, indem er Häusliche Gewalt als:
„Gewalt unter Personen, die intim oder eng verwandt sind und ständig oder zyklisch zusammen leb(t)en“, definiert (S. 3) und (S. 113).
Das Problem hierbei ist, dass diese Definition weder Aussagen darüber macht, von wem die Gewalt ausgeht, noch in welcher Form sie stattfindet. Als einzige Tatsache lässt sich feststellen, dass die Täterinnen von Häuslicher Gewalt Angehörige des sozialen Umfelds sind. Somit fallen unter dieses Schema auch Gewalt gegen Kinder, Gewalt gegenüber Älteren, Geschwistergewalt und Gewalt gegen den Partner, wobei letzteres den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet.
Mit einem Blick auf die Frauenbewegung und im Anschluss an die feministische Literatur bekam der Begriff „Häusliche Gewalt“ eine spezifische Bedeutung. In diesem Kontext bezieht sich das Verständnis auf Gewaltanwendung in der Partnerschaft, wobei sich die Gewalt gegen die Frau richtet. Im Rahmen dessen definiert Schweikert (2000) Häusliche Gewalt als:
„eine einmalige Handlung oder zusammenhängende, fortgesetzte und wiederholte Handlungen eines Mannes gegenüber einer Frau in einer ehemaligen oder gegenwärtigen […] Lebensgemeinschaft, in einer […] intimen Beziehung, in einer engen verwandtschaftlichen oder verschwägerten Beziehung, die eine Verletzung der physischen und/oder psychischen Integrität des Opfers bewirkt und die dazu dient bzw. dienen soll, Macht und Kontrolle über die Frau […] auszuüben“ (Schweikert, 2000, S.73 zitiert in Dlugosch, 2010, S. 23f.).
Eine weitere Definition bietet das Berliner Interventionsprojekt BIG e.V. zu Häuslicher Gewalt. Dieses schreibt:
„ Häusliche Gewalt wird fast ausschließlich von Männern gegen Frauen ausgeübt und zwar überwiegend in dem vermeintlichen Schutzraum des eigenen „ zu Hauses “. Sie ist an das strukturelle Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft gebunden. Der Begriff „häusliche Gewalt“ umfasst die Formen der physischen, sexuellen, psychischen, sozialen und emotionalen Gewalt, die zwischen erwachsenen Menschen stattfindet, die in nahen Beziehungen zueinanderstehen oder gestanden haben. Das sind in erster Linie Erwachsene in ehelichen oder nichtehelichen Lebensgemeinschaften, aber auch in anderen Verwandtschaftsbeziehungen“ (S. 5).
Nicht jede aggressive Handlung im sozialen Nahraum lässt sich als Häusliche Gewalt bezeichnen. Wichtig für das Verständnis von Häuslicher Gewalt ist der Begriff, systematisches Gewalt- und Kontrollverhalten. Damit ist die systematisch sich wiederholende Gewaltanwendung, sowohl verbal als auch nonverbal, gegen das Gegenüber gemeint, um dieses in eine unterlegene Position zu versetzen und somit als Handelnder die Kontrolle über den Partner oder die Situation zu erlangen. Im Vergleich hierzu meint der Begriff Gewalt als spontanes Konfliktverhalten einen einmaligen oder seltenen Gewaltausbruch, eingeleitet durch einen spontan entstandenen Konflikt, welcher aber keine systematische Erniedrigung des Gegenübers beabsichtigt und somit dem Begriff „Häuslicher Gewalt“ nicht gleichgestellt werden kann (Gloor & Meier, 2007)
3.2 Formen von Häuslicher Gewalt
Dieses Kapitel zeigt Formen von Häuslicher Gewalt auf. Diese werden in fünf Kategorien gegliedert und werden von den Tätern in Kombination angewendet. Die Definition der Frauenklinik Maternité und der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich geben eine mögliche Definition. Hierbei wird unter Häuslicher Gewalt, die Gewalt unter erwachsenen Menschen verstanden, welche eine soziale Beziehung zueinander pflegen oder pflegten. Die fünf Kategorien unterteilen sich in:
1. „Physische Gewalt wie Schlagen, Treten, Würgen, mit einem Gegenstand verletzten etc.
2. Psychische Gewalt wie Beschimpfen, Erniedrigen, Drohen, für verrückt erklären, Kinder als Druckmittel benutzen, Sachen absichtlich beschädigen etc.
3. Sexuelle Gewalt wie zu sexuellen Handlungen zwingen, Vergewaltigen etc.
4. Soziale Gewalt wie Kontakte verbieten, sozial isolieren, Einsperren etc.
5. Ökonomische Gewalt wie Geld entziehen, verbieten oder zwingen zu arbeiten etc.“ (Gloor & Meier, 2007, S. 17; Bodenmann, 2016, S. 241; Ueckeroth, 2014, S. 22ff.).
Wie schon zuvor erwähnt, können diese Aspekte einzeln, aber auch in Verbindung miteinander auftreten. In fast allen Fällen bildet die psychische Gewalt den Vorläufer für die physische Gewalt.
3.3 Ursachen
Oft wurde versucht, einen Erklärungsansatz für Gewaltanwendung in Familien zu geben, und solche Gewalt neu zu definieren. Unterschiedliche Blickwinkel der verschiedenen Wissenschaften wie der Psychologie, der Biologie oder des Feminismus, erschweren ein gemeinsames Verständnis der Ursachen. Die Forschung ist sich einig, dass eindimensionale Modelle keine belastbaren Aussagen über die Ursachen liefern können, da bekannt ist, dass mehrere Faktoren in Wechselwirkung zueinander, eine Gewaltanwendung einleiten. Gloor und Meier (2007) nennen fünf Aspekte zur Entstehung oder Hemmung von Gewalt.
Ein Aspekt, welcher einen möglichen Erklärungsansatz für Partnergewalt darstellt, beruht auf der Ressourcentheorie. Dieser zufolge besitzt jedes Familienmitglied in unterschiedlichen Mengen materielle, emotionale und soziale Ressourcen. Je mehr Ressourcen ein Familienmitglied besitzt, über mehr Macht verfügt er. Ueckeroth (2014) bezieht sich ebenfalls auf die Ressourcentheorie und erweitert die Erklärung, indem sie schreibt:
„Je mehr […] Ressourcen Menschen besitzen, desto mehr Macht und umso mehr Möglichkeiten haben sie, diese gegen andere Personen auszuspielen. Menschen die über viele Ressourcen verfügen, sind mächtig und können diese Macht auch ohne Androhung von Zwang äußern oder symbolisieren, durch positive Überzeugungsformen“ (Ueckeroth, 2014, S. 30).
Anders herum bedeutet das, dass das Nicht-Vorhandensein von Ressourcen, besonders in Form von Konfliktlösestrategien, die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Gewalt angewendet wird. Ein weiterer Aspekt ist die männliche Geschlechtsrollensozialisation. Dieser Aspekt knüpft an den Erklärungsansatz des Feminismus an und betont die männliche Überordnung über die Frau. Dabei realisieren Männer patriarchalische Strukturen, indem sie die Frauen dominieren, unterdrücken und ausbeuten. Lamnek et. al. (2006) schreiben:
„Vor allem aber sind gesellschaftliche Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit der Institutionalisierung und Internalisierung gewaltfreier Umgangsformen abträglich, sofern den Idealen von Männlichkeit und Weiblichkeit so weit wie möglich zu entsprechen, je nach sozialem Milieu mehr oder minder als solches belohnend bzw. diesen nicht zu entsprechen, belastend ist “ (S.86).
Unsere Gesellschaft ist immer noch durch konventionelle Rollenbilder von Mann und Frau geprägt, wobei dem Mann Macht und Dominanz zugeschrieben wird. Gloor und Meier (2007) stellten fest, dass Männer mit einem Männlichkeitsbild von starker Dominanz das weibliche Geschlecht abwerten und somit häufiger Gewalt anwenden. Ein weiterer Aspekt, welcher bezüglich dieser Thematik von enormer Bedeutung ist, sind Erfahrungen aus der Kindheit und Jugend. Dieser Aspekt beruht auf dem lerntheoretischen Erklärungsansatz. Demzufolge lernen Kinder in ihrer frühen Kindheit, dass Gewalt eine Form der Konfliktlösung ist und wenden diese im Erwachsenenalter an (Dlugosch, 2010). Sind Kinder während der Gewalttat gegen die Mutter anwesend, so widmen sie in dieser Phase ihre Aufmerksamkeit dem Vater. Die Kinder speichern das Verhalten des Vaters ab und üben dieses neuerlernte Verhalten in späteren Situationen aus, um das zu bekommen, was sie möchten. Ebenso kann aber auch das Rollenbild der Opferrolle erlernt werden (Ueckeroth, 2014). Außerdem belegen Studien über die Folgen von Häuslicher Gewalt, geschlechterspezifische Auswirkungen. Demzufolge sind Mädchen, die sich bei der Gewaltanwendung mit der Mutter identifizieren, gefährdet in späteren Beziehungen, ebenfalls von Häuslicher Gewalt betroffen zu sein. Jungen, die sich bei der Gewaltanwendung mit dem Vater identifizieren, sind gefährdet in späteren Beziehungen ebenfalls Gewalt anzuwenden. Somit wird auf einen starken Zusammenhang zwischen den Kindheitserfahrungen und dem eigenen Gewalthandeln hingewiesen (Weiß, 2008). Als anderer Aspekt wird die Suchterkrankung genannt. Dieser Aspekt lässt sich den Risikofaktoren (Kapitel 2.4) zuordnen, da Suchterkrankungen keine Ursache für Häusliche Gewalt sind, aber sobald eine Bereitschaft zur Gewalt vorhanden ist, nach Anwendung des Suchtmittels die Hemmschwelle sinkt, Gewalt auszuüben. Der letzte Aspekt lässt sich aus der Sicht der Paardynamik ableiten. Demzufolge sind lebensverändernde Umstände oft die Ursache für Gewaltentstehung. Dieser Aspekt findet seinen Ursprung in der Stresstheorie und meint mit lebensverändernden Umständen Faktoren wie Eheschließung, Schwangerschaft, Veränderung der Erwerbstätigkeit, Probleme am Arbeitsplatz oder Partnerprobleme und Trennung (Gloor & Meier, 2007; Dlugosch, 2010; Ueckroth, 2014).
„Verkürzt lautet die Stressgleichung: Je mehr Ereignisse oder Situationen eine Familie und ihre Mitglieder belasten, desto wahrscheinlicher ist das Vorkommen von Gewalthandlungen“ (Godenzi, 1993, S. 116 zitiert in Dlugosch, 2010, S. 36).
Eine zusammenfassende Erklärung der Entstehungsbedingungen von Häuslicher Gewalt wird im Aktionsplan I der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen wiedergegeben:
„ Gewalt gegen Frauen ist Ausdruck sowohl noch vorhandener Strukturen einer patriarchalen Gesellschaft als auch individueller Erfahrungen und Konfliktlösungsmuster. Daneben spielen die konkreten Lebensbedingungen wie Armut, Arbeitslosigkeit, beengte Wohnverhältnisse, ferner Alkoholmissbrauch sowie der Umgang mit und die Vorstellung von Gewalt in der Gesellschaft insgesamt eine nicht unerhebliche Rolle.“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1999, S.11).
3.4 Kreislauf der Gewalt
Dieses Kapitel beschreibt den Ablauf einer Gewalttat. Die amerikanische Psychologin Lenore Walker (Walker 1984) nennt drei Phasen, die bei Häuslicher Gewalt, durchlaufen werden und die sich immer wiederholen und sich zum Teufelskreis entwickeln. Es ist möglich den Kreis zu verlassen und aus den Gewaltumständen auszubrechen, jedoch müssen Frauen viel Kraft und Mut aufbringen, damit ihnen das gelingt.
Die erste Phase ist der Spannungsaufbau, auch „tension-building“ genannt. In dieser Phase bilden äußere Faktoren wie Stress bei der Arbeit den Auslöser für verbale Angriffe. Die Stimmung im Haus ist angespannt. In dieser Phase unterdrückt die Frau ihre Gefühle und versucht nach den Wünschen ihres Mannes zu agieren, um die Spannung abzubauen. Trotz des Versuches, dem Mann „alles recht zu machen“, steigt die Spannung weiter an, da sich der Mann nicht beruhigen lässt. Die Täter provozieren in dieser Phase den Ausbruch von Gewalt, sowohl durch psychische Verletzungen als auch durch leichte physische Verletzungen.
Als zweite Phase nennt Walker (1984) den Gewaltausbruch, auch „acutte battering incident“ genannt. In dieser Phase hat der Spannungsaufbau seinen Höhepunkt erreicht und führt zu Gewaltausbrüchen. Es kann dabei sowohl zu körperlichen als auch zu sexuellen Übergriffen kommen. Die Frau hat hierbei keinen Einfluss auf das Ausmaß der Gewalt und fühlt sich hilflos. Die Frau hat Angst zu handeln, denn jede weitere Handlung könnte zu einem weiteren Gewaltausbruch führen. In dieser Phase sind Frauen am besten erreichbar für Hilfe und Unterstützungsangebote.
Die letzte Phase ist gekennzeichnet durch Entschuldigungs- und Entlastungsversuche, auch „loving-contrition“ genannt. In dieser Phase versucht der Mann seine Handlungen zu verharmlosen und zu entschuldigen. Der Mann zeigt sich von einer liebevollen Seite, schenkt seiner Frau die nötige Aufmerksamkeit und verspricht ihr, sein Verhalten zu ändern. Die Zuwendung des Mannes und die Hoffnung auf eine Besserung lassen die Frau den Gewaltausbruch „vergessen“ und verzeihen. Sie sind voller Hoffnung, dass der Mann sein Versprechen einhalten und keine weitere Gewalttat ausüben wird (Walker, 2009; Ueckroth, 2014)
3.5 Gründe gegen eine Trennung
In diesem Kapitel soll aufgeführt werden, weshalb Frauen trotz wiederholter Gewaltanwendung ihres Mannes diesen nicht verlassen können. Hirigoyen (2006) schreibt, dass Frauen, die Opfer von Häuslicher Gewalt werden, ihr Selbstvertrauen verlieren und beginnen, die Schuld bei sich selber zu suchen. Diese Schwachstelle wird vom jeweiligen Partner schnell erkannt und ausgenutzt, um nach der Gewaltanwendung die Verhaltensfehler zu rechtfertigen. Im Folgenden werden weitere Gründe genannt, um die Duldung von Gewalttaten zu erklären.
3.5.1 Innere Gründe gegen eine Trennung
Ein weiterer Grund, dass Frauen ihre Männer nach mehreren solchen Vorfällen trotzdem nicht verlassen, ist die emotionale Zerrissenheit der Frauen. Sie sind durch die ständigen Abwertungen des Partners verwirrt, verunsichert und verlieren ihr Gefühl für den eigenen Wert. Hinzukommt, dass diese Frauen häufig in Isolation leben, da ihnen oft jeglicher Kontakt zu anderen Menschen verboten wurde. Somit wird es immer schwieriger, eine solche Beziehung zu beenden. Die Frauen sind am Rande ihrer Kräfte und versuchen Gewalttaten zu verhindern oder zu mildern. Ein ebenso wichtiger Grund ist nach Hirigoyen (2006) und Kiesling (2010) die traumatische Erfahrung in der Kindheit. Frauen, die in ihrer Kindheit Gewalt zwischen den Eltern miterleben mussten, entwickeln fatale Bindungsmuster. Denn die in der Kindheit erworbenen Muster bleiben als unbewusste Muster im Gedächtnis gespeichert. Daher ist den Frauen das gewalttätige Verhalten bekannt und vertraut und somit fällt es ihnen leichter, dieses Verhalten zu akzeptieren und zu dulden. Als weiteren Grund ist die Abhängigkeit der Partner in Misshandlungsbeziehungen zu nennen. Durch Angaben mehrerer Frauenhäuser ist bekannt, dass mehr als die Hälfte der gewaltbetroffenen Frauen zurück zu ihren Männern gehen. Das Zitat von Kiesling (2010) bietet eine kurze aber treffende Erklärung dafür:
„Wer seiner Mutter nie wirklich nahe war, kann sich auch nicht von ihr entfernen“ (vgl. Kiesling, 2010, S. 73).
Daraus ergibt sich, warum sich Frauen von ihrem Partner nicht trennen können, sie konnten nie eine richtige Beziehung zu ihm aufbauen. Weiterhin ist dieses Zitat für die kindliche Entwicklung von Bedeutung, worauf in Kapitel 6 näher eingegangen wird.
3.5.2 Strukturelle Gründe
Wie schon zuvor erwähnt, bilden psychische Verletzungen der Frau ein Hindernis zur Trennung. Neben den psychischen Hindernissen gibt es eine Vielzahl an strukturellen Gründen, welche die Trennung erschweren. Ein Aspekt bilden die Existenzängste und die finanziellen Mittel. Entscheiden sich Frauen, aus dem Kreis der Gewalt auszubrechen, sind sie des Öfteren gezwungen, Schutz im Frauenhaus zu suchen. Dabei befindet sich die Frau am Existenzabgrund, da sie ohne Erwerbstätigkeit und isoliert von ihrem sozialen Netz einen Neuanfang wagen muss. Dieses Wissen bildet für Frauen eine Hürde und raubt ihnen den Mut zu einem Neuanfang. Eine weitere Hürde stellt die Situation der Mutter dar. In den meisten Fällen sind es Frauen, die ihre Arbeit aufgeben und die Aufgabe der Kinderbetreuung übernehmen. Nach der Trennung vom gewalttätigen Partner befinden sich diese Frauen in finanzieller Not und sind bemüht, wieder den Einstieg in das Erwerbsleben zu finden. Das Problem, Beruf und Kinder verbinden zu müssen, stellt für viele Frauen eine Doppelbelastung dar, welche die Trennung zusätzlich erschwert. Hinzukommt, dass die Frauen trotz Trennung aufgrund gemeinsamer Kinder weiteren Kontakt zu ihrem Täter pflegen müssen. Somit wird die Übergabe der Kinder vom Mann als einen Anlass zu weiteren Misshandlungen ausgenutzt. Trotz sozialer Isolation der Frau, die sich oft schon während der Zeit in der Ehe entwickelt hat, bildet die Angst vor der Einsamkeit ein weiteres Hindernis für den Schritt zur Trennung. Die Frau befürchtet, komplett zu vereinsamen und beschließt deshalb, keine Veränderungen vorzunehmen. Hinzukommt, dass das alte Leben einen vertrauten Rahmen für die Frau bietet, welchen sie einschätzen kann und deshalb die Gewalttaten vom Mann erduldet. Ein weiterer Faktor, der eine Trennung erschwert, ist die Reaktion des Umfeldes. Frauen machen des Öfteren die Erfahrung, dass ihre Situation von ihrem Umfeld nicht wahrgenommen oder sogar verharmlost wird. Selbst bei auffälligen Verletzungen werden sie weder vom Hausarzt noch von Fachleuten auf die Verletzungen angesprochen. Oft erleben diese Frauen, dass ihnen eine gewisse Mitschuld an der Situation zugesprochen wird. Andererseits wird die Situation durch Äußerungen wie „das ist nur eine Ehekrise“ verharmlost. Hinzukommt, dass Frauen, die den Schritt aus der Gewalt wagen möchten, unter einem enormen Druck stehen, da sie sich die Schuld an dem Zusammenbruch der familiären Situation geben. Solche Umstände führen dazu, dass Frauen bei ihren Ehemännern bleiben. Schließlich werden noch die Schuld- und Schamgefühle genannt. Es ist bekannt, dass sich Frauen für eine glückliche Ehe beziehungsweise Familie verantwortlich fühlen. Unter diesen Umständen versuchen Frauen, Häusliche Gewalt vor Familienmitgliedern oder Freunden zu verstecken und begeben sich in die Rolle einer glücklichen Ehefrau. Solche Verhaltensweisen werden von Gefühlen wie Scham und Schuldzusprechung begleitet (Schmid, 2007).
4 Sozial-emotionale Entwicklung von Kindern
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern. Im ersten Schritt wird das Acht-Stufen-Modell von Erik Erikson beschrieben. Dabei wird auf die psychosoziale Entwicklung von Kindern eingegangen, um zu erläutern, wie sich die Identität und Persönlichkeit eines Menschen entwickelt. Im nächsten Schritt wird die Bindungstheorie von John Bowlby erläutert, um die Wichtigkeit der Bindungsbeziehung für kindliche Entwicklungsprozesse nachvollziehen zu können. Außerdem stellt der Begriff der Bindung ein Konzept zur Erklärung frühkindlicher psychischer Entwicklungsverläufe dar (Hédervári- Heller, 2011). Schließlich wird die Affektregulation von Kindern genannt. In Bezug auf Häusliche Gewalt ist die sozial-emotionale Entwicklung, insofern bedeutsam, als sich so herausfinden lässt, in welcher Form und in welchem Ausmaß Häusliche Gewalt sich auf die kindliche Entwicklung, auswirken kann.
4.1 Die psychosozialen Stadien nach Erikson
Das Acht-Stufen-Modell nach Erikson beschreibt für jedes Stadium der Kindheit, spezielle kritisch-psychologische Konflikte, die jeder Mensch während seiner Kindheit bestehen muss. Erikson (1973) schreibt: „[…], der Mensch muß, um im psychologischen Sinne am Leben zu bleiben, unaufhörlich solche Konflikte lösen, genauso wie sein Körper unaufhörlich gegen die physische Dekomposition kämpfen muss“ (S. 56).
1. Phase: Urvertrauen vs. Urmißtrauen, Alter: 0-1,5 Jahre – „ich bin, was man mir gibt“
Die erste Phase nennt Erikson (1996) „die Säuglingszeit“. Darunter wird die Einstellung zu sich selbst und zur Welt verstanden. Das Urvertrauen ist nach Erikson eine der wichtigsten Komponenten einer gesunden Persönlichkeit. Diese Phase wird auch „orale Phase“ genannt, da der Mund eine erste zentrale Annäherung an das Leben ermöglicht. In dieser Phase lernt das Kind seine Nahrung durch den Mund aufzunehmen und bemerkt die Bereitschaft der Mutter, es zu nähren. Dabei findet zum ersten Mal ein sozialer Austausch zwischen Mutter und Kind statt. Nach Erikson ist die Mutter die alles entscheidende Bezugsperson des ersten Lebensjahres. Ein weiterer wichtiger Begriff in dieser Phase ist die „Einverleibung“. Das Kind ist aufnahmefreudig und erweitert seine Wahrnehmungsmöglichkeiten durch die Augen und den Tastsinn. Dabei ist es von großer Bedeutung, dem Kind ein angemessenes Maß an Sinnesreizen anzubieten, die seine Aufnahmebereitschaft weiterhin fördern. Werden die Bedürfnisse (Liebe und Nahrung) des Kindes durch die Mutter nicht erfüllt, so kann das Kind Ängste und Unsicherheiten entwickeln, welche sich in Form von Misstrauen ausdrücken.
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