Bis heute wird "Der Findling" in der Forschung kontrovers rezipiert. Im Rahmen dieser Hausarbeit soll auf psychoanalytischer Ebene untersucht werden, inwiefern Nicolos Plan, in der Rolle seines Doppelgängers Colino seine Adoptivmutter Elvire zu verführen, als Ergebnis eines durch fehlende Mutterliebe verstärktes Kindheitstrauma gesehen werden kann. Ziel ist es, zu beweisen, dass der "abscheulichste[n] Tat" (KF 61) des "höllischen Bösewichts"(KF 63) Nicolo die vergebliche Suche nach Zuneigung zugrunde liegt.
"Und dies Gefühl (...) zeriss (…) sein verwildertes Herz" (KF 59) – also plant der Adoptivsohn, die eigene Mutter zu vergewaltigen, und endet tot zwischen den Knien des Vaters. Heinrich von Kleists "Der Findling" erschien 1811 im zweiten Band der Erzählungen und dreht sich um das Waisendkind Nicolo, dessen Adoption in die Familie Piachi eine Kettenreaktion lostritt, die mit dem Tod aller Beteiligten endet. Die Erzählung gilt als eine der düstersten des Autors. Da es keine Quellen zur Entstehungsgeschichte gibt, wird angenommen, dass der Text von Kleist kurz vor dessen Selbstmord verfasst wurde.
Nach einem Überblick über die aktuelle Forschungslage, soll zunächst das Verhalten Elvires gegenüber dem Adoptivsohn näher beleuchtet werden, um den Einfluss einer mangelhaften emotionalen Bindung als Ursache für dessen späteres Verhalten zu beweisen. Wie sich auch Piachis Erziehungsmethoden negativ auswirken und den Grundstein für die geplante Verführung Elvires legen, wird anschließend untersucht. Darauf folgend soll mithilfe von Kleists Sprachsymbolik untermauert werden, wie aus der vermeintlich sexuellen Begierde Nicolos ein bis in die Kindheit zurückreichender Wunsch nach Liebe abgelesen werden kann.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Forschungsüberblick
- 3 Nicolos Sehnsucht nach Zuneigung
- 3.1 „Verwildertes Herz“: Nicolos emotionale Vernachlässigung
- 3.2 Fehlgeleitete Erziehungsmethoden
- 3.3 Sprache durch Symbolik: Die Rolle der Buchstabenklötze
- 4 Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit untersucht auf psychoanalytischer Ebene, inwiefern Nicolos Plan, seine Stiefmutter Elvire zu verführen, als Ergebnis emotionaler Vernachlässigung und eines daraus resultierenden Kindheitstraumas verstanden werden kann. Ziel ist es zu zeigen, dass Nicolos Handlungsweise auf seiner vergeblichen Suche nach Zuneigung basiert.
- Nicolos emotionale Vernachlässigung durch Elvire und die Familie Piachi
- Fehlgeleitete Erziehungsmethoden und deren Einfluss auf Nicolos Entwicklung
- Die Rolle von Sprache und Symbolik in Kleists Erzählung zur Darstellung von Nicolos seelischem Zustand
- Die Interpretation von Nicolos Verhalten als Ausdruck seines Wunsches nach Liebe
- Die kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Forschungsansätzen zu Kleists "Der Findling"
Zusammenfassung der Kapitel
1 Einleitung: Die Einleitung stellt die zentrale Forschungsfrage nach dem Zusammenhang zwischen Nicolos Verführungsplan und seiner emotionalen Vernachlässigung in Kleists "Der Findling" vor. Sie skizziert die kontroverse Rezeption der Erzählung in der Forschung und benennt das Ziel der Arbeit: zu belegen, dass Nicolos Tat aus seiner vergeblichen Suche nach Zuneigung resultiert. Die Arbeit kündigt eine Auseinandersetzung mit Elvires Verhalten, den Erziehungsmethoden der Piachis und der Sprachsymbolik Kleists an, um die These zu untermauern.
2 Forschungsüberblick: Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die bestehende Forschung zu Kleists "Der Findling". Es zeigt die Bandbreite der Interpretationen auf, von der Darstellung Nicolos als "Bösewicht" bis hin zu Ansätzen, die ihn als Opfer einer dysfunktionalen Familiendynamik und mangelnder Kommunikation sehen. Besondere Beachtung findet die psychoanalytische Perspektive, die den Fokus auf Nicolos Kindheitserfahrungen und deren Auswirkungen legt. Das Kapitel hebt die Bedeutung der fehlenden Mutterliebe hervor, die in vielen Interpretationen bisher zu wenig berücksichtigt wurde, und führt verschiedene Forschungspositionen mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen an.
3 Nicolos Sehnsucht nach Zuneigung: Dieses Kapitel untersucht Nicolos Sehnsucht nach Zuneigung im Detail. Es beginnt mit der Analyse von Nicolos emotionaler Vernachlässigung, die als Folge des Verlustes seiner Eltern durch die Pest betrachtet wird. Das Kapitel hinterfragt die gängige Lesart Nicolos als bloße Ersatzfigur und betont seine eigene Traumaverarbeitung. Die fehlende emotionale Unterstützung durch die Familie Piachi wird analysiert, sowie der Einfluss fehlerhafter Erziehungsmethoden auf Nicolos Entwicklung und sein spätes Verhalten. Abschließend wird die Rolle der Sprachsymbolik in Kleists Werk, insbesondere die Bedeutung der Buchstabenklötze, beleuchtet, um Nicolos Wunsch nach Liebe aufzuzeigen.
Schlüsselwörter
Heinrich von Kleist, Der Findling, emotionale Vernachlässigung, Kindheitstrauma, psychoanalytische Interpretation, Mutterliebe, Erziehungsmethoden, Sprachsymbolik, Zuneigung, Verführung, Schuldfrage, Opferrolle.
Häufig gestellte Fragen zu Kleists "Der Findling" - Psychoanalytische Interpretation
Was ist der Gegenstand dieser Hausarbeit?
Diese Hausarbeit untersucht anhand einer psychoanalytischen Perspektive, inwieweit Nicolos Plan, seine Stiefmutter Elvire zu verführen, als Folge emotionaler Vernachlässigung und eines daraus resultierenden Kindheitstraumas interpretiert werden kann. Das zentrale Ziel ist es, Nicolos Handlungsweise als Ausdruck seiner vergeblichen Suche nach Zuneigung darzustellen.
Welche Themen werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit behandelt Nicolos emotionale Vernachlässigung durch Elvire und die Familie Piachi, fehlgeleitete Erziehungsmethoden und deren Einfluss auf Nicolos Entwicklung, die Rolle von Sprache und Symbolik in Kleists Erzählung zur Darstellung von Nicolos seelischem Zustand, die Interpretation von Nicolos Verhalten als Ausdruck seines Wunsches nach Liebe und eine kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Forschungsansätzen zu Kleists "Der Findling".
Welche Kapitel umfasst die Arbeit und worum geht es in jedem einzelnen?
Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel: Kapitel 1 (Einleitung) stellt die Forschungsfrage und das Ziel der Arbeit vor. Kapitel 2 (Forschungsüberblick) gibt einen Überblick über die bestehende Forschung zu "Der Findling". Kapitel 3 (Nicolos Sehnsucht nach Zuneigung) analysiert Nicolos emotionale Vernachlässigung, die fehlenden Erziehungsmethoden und die Rolle der Sprachsymbolik. Kapitel 4 (Fazit) fasst die Ergebnisse zusammen.
Wie wird Nicolos Verhalten in der Arbeit interpretiert?
Nicolos Verhalten wird als Ausdruck seiner tiefen Sehnsucht nach Zuneigung und Liebe interpretiert. Seine Tat wird als Folge seiner emotionalen Vernachlässigung und eines daraus resultierenden Kindheitstraumas verstanden, nicht als Ausdruck bösartiger Absichten.
Welche Rolle spielt die Sprachsymbolik in Kleists Erzählung?
Die Sprachsymbolik, insbesondere die Bedeutung der Buchstabenklötze, wird als wichtiges Mittel der Darstellung von Nicolos seelischem Zustand und seinem Wunsch nach Liebe analysiert.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt der Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Heinrich von Kleist, Der Findling, emotionale Vernachlässigung, Kindheitstrauma, psychoanalytische Interpretation, Mutterliebe, Erziehungsmethoden, Sprachsymbolik, Zuneigung, Verführung, Schuldfrage, Opferrolle.
Welche Forschungsansätze werden in der Arbeit berücksichtigt?
Die Arbeit berücksichtigt verschiedene Forschungsansätze zu Kleists "Der Findling", insbesondere psychoanalytische Perspektiven, und diskutiert deren Stärken und Schwächen. Sie hinterfragt gängige Lesarten und betont die Bedeutung der fehlenden Mutterliebe.
- Citation du texte
- Laura Neunast (Auteur), 2020, Kindheit ohne Liebe in Heinrich von Kleists "Der Findling", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/974679