Die drei Hauptwerke der gotischen Skulptur


Seminar Paper, 2000

18 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis.

1. Allgemeine Situation der Bildschnitzer

2. Claus Sluter
2.1. Marienaltar

3. Tilman Riemenschneider
3.1. Heilig-Blut-Altar

4. Veit Stoß
4.1. Mosesbrunnen

5. Quellennachweis

1.Allgemeine Situation der Bildschnitzer:

Die deutsche Bildhauerkunst der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hat nahezu keine bedeutenden eigenständigen Leistungen aufzuweisen. Das Reich befand sich zwischen zwei Polen: den westlichen Pol nahm Burgund mit den Skulpturen von Claus Sluter und seiner Schule ein, den östlichen Pol bildete Böhmen, ausgehend von den Domwerkstätten in Prag und Wien. Der östliche Stil bot außer der Architekturplastik subtil ausbalancierte Mariendarstellungen und eine eben solche Pieta. Diese Figuren prägten die deutsche Formvorstellung nachhaltig. Um 1420/30 gewinnt der westliche Pol, mit den bevorzugten Themen der Grablegung Christi, des Marientodes und anderen, zunehmend an Einfluß.

In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts läßt sich ebenso ein Wandel im Berufsbild des Bildschnitzers erkennen. Er wandte sich allmählich von den Bauhütten ab und gründete in der Stadt mit anderen Bildschnitzern unabhängige Werkstätten und Zünfte. Dieser Wandel vollzieht sich auch durch andere Aufgabengattungen und neue Auftraggeber. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Bildhauern der Bauhütten, die unmittelbar in den Diensten der jeweiligen Kirchenverwaltung standen, erhielten die Bildschnitzer des angehenden 15. Jahrhunderts ihre Aufträge vorrangig von einzelnen Bürgern. Ihre Aufgabe bestand darin, transportable Bildwerke aus Stein oder Holz herzustellen, die meist in Kirchen aufgestellt werden sollten.

Exemplarisch für diese Übergangszeit ist der Künstler Hans Multscher. Sein Frühwerk läßt erkennen, daß er die von Sluter geprägte burgundische Skulptur aus unmittelbarer Anschauung kannte. Multschers Stil war eine kraftvolle Version des in Süddeutschland heimischen Stils. Bemerkenswert ist auch der Künstler Niklaus Gerhaert. Er tritt in den sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts als bereits gereifter Künstler hervor, mit einer eigenen Ausformung des Stils, der sich letztlich von Sluter herleitet. Der erste, der dann aus den Kenntnissen Multschers und Gerhaerts heraus seinen eigenen Stil entwickelte, war Michael Pacher. Er wirkte im abgelegenen Tirol, währen sein bedeutendster Zeitgenosse, Michael Erhart, im zentralen Ulm tätig war. Nördlich von Schwaben, in Franken, sind die beiden Städte Würzburg und Nürnberg als künstlerische Zentren zu nennen. In Würzburg war Tilman Riemenschneider tätig und in Nürnberg wirkte Veit Stoß. Pacher, Erhart, Riemenschneider und Stoß gehören gewissermaßen der ersten Generation nach Multscher und Gerhaert an.

2.Claus Sluter:

Claus Sluter wurde zwischen 1340/50 in Haarlem geboren. Er gilt als Hauptvertreter der burgundischen Skulptur an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert. Seine Lehrjahre verbrachte er vermutlich in Flandern und Brabant; 1379-1385 hielt er sich in nachweislich in Brüssel auf. Zunächst war er dann Schüler und Mitarbeiter in der Werkstatt von Jean de Marville am Hof Herzog Philipp des Kühnen in Dijon, 1389 wurde Sluter dessen Nachfolger als Werkstattleiter und Hofkünstler. Die näheren Umstände, unter denen er in den Dienst Philipps des Kühnen trat, sind unbekannt; ebenso der Zeitpunkt seiner Ankunt in Dijon. Man kann jedoch davon ausgehen, daß er spätestens 1385 dort eintraf.

Das figurenreiche Grabmal Philipp des Kühnen gehört zu Sluters bekanntesten Werken. Wahrscheinlich arbeitete er seit 1385 an diesem Werk mit, vollendet wurde es erst unter Sluters Nachfolger Claus de Werve, der zugleich sein Schüler und Neffe war. Im oberen Teil zeigt das Grabmahl die farbig gefaßte Liegefigur des Herzogs, begleitet von zwei Engel und einem Löwen. Bedeutend an dem Grabmahl sind die vierzig Pleurants im unteren Teil. Wahrscheinlich entstanden sie unter der Leitung von Jean de Marvilles. Hinsichtlich der weichen Falten der Gewänder sind sie sehr unterschiedlich, fast individuell gestaltet. Sein zweites Hauptwerk ist das Skulpturenprogramm des Portals der Kartause von Champmol. Ebenso wie alle anderen erhaltenen Werke von Sluter, ist auch dieses für Philipp II entstanden. Hierbei änderte Sluter das vermutlich von Marville und dem Architekten Drouet de Dammartin stammende Konzept. Fünf Figuren stehen auf Sockeln, am Trumeau befindet sich Maria mit dem heiligen Kind, welche 1391 zusammen mit den beiden Heiligen fertiggestellt wurden. Rechts und Links werden Maria und Kind von dem knienden Stifterpaar -Philipp der Kühne und Margarete von Flandern- flankiert. Sie werden von ihren beiden, knienden Patronen begleitet, dem heiligen Johannes und der heiligen Katharina. Alle fünf Figuren sind auf Grund ihrer gemeinsamen Handlung zu einer Einheit verschmolzen und ihre lebensgroße Erscheinung im Mittelpunkt eines Portals stellt eine wesentliche Neuerung innerhalb der Ikonografie dar.

Der heute sogenannte Mosesbrunnen in einem Pavillon des Gartens der ehemaligen Kartause war ursprünglich als monumentaler Kalvarienberg für den Kreuzgang ausgeführt: sechs Prophetenfiguren im Brunnensockel (Moses, David, Jeremias, Zacharias, Daniel, Isaias) und eine (nur noch als Fragmente erhaltene) Kreuzigungsgruppe als Bekrönung. Er ist das dritte und bekannteste Werk Sluters, welches als Höhepunkt seiner Schaffensphase gesehen werden kann. Wahrscheinlich beruht der Brunnen auf der Idee des ,,Fons vitae", des Lebensbrunnens.

Zwischen dem 24.9.1405 und dem 31.1.1406 starb der niederländische Bildhauer Claus Sluter in Dijon. Sein Werk läßt erkennen, daß er zu diesem Zeitpunkt die Höhe seines Lebens bereits überschritten hatte und an der Schwelle des Greisenalters stand.

Obwohl Sluter zeitlich dem »Weichen Stil« bzw. der »Internationalen Gotik« zuzuordnen ist, weist seine realistische Stilauffassung weit in die Zukunft und wirkt auf die Entwicklung der künstlerischen Auffassung der Skulptur des 15. Jahrhunderts im Raum diesseits der Alpen entscheidend ein. In seinen überlebensgroßen Prophetenfiguren gestaltet er ausdrucksvolle alttestamentarische Charaktere in ihrem geistig-seelischen Spannungsfeld. ,,Körperhaltung, Natürlichkeit der Gesten und ein neues Realitätsverhältnis des Dinglichen vermitteln ein neues Gefühl der Verräumlichung, das die strenge Bindung an das architektonische Rahmenfeld aufgibt. Das gilt in analoger Weise auch für die Stifterfiguren des Portals, die als die ersten ganzfigurigen überlebensgroßen Bildnisse der Neuzeit angesehen werden können".

2.1. Mosesbrunnen:

Der sogenannte Mosesbrunnen, welcher als Sluters Hauptwerk gilt, wurde zwischen April 1395 und Januar 1406 ausgeführt. Nachdem Philipp der Kühne den Auftrag dazu erteilt hatte, wurden die Ausführungen sogleich begonnen. Die Erlaubnis für die Beschaffung der benötigten Materialien erhielt Sluter am 15. April 1395. Die Bohrungs- und Mauerarbeiten für den Mittelpfeiler und seine Plattform nahmen drei Jahre in Anspruch. Zuerst wurde das Kreuz aufgestellt, dann die Figuren von Christus, der Jungfrau, Magdalena und hierauf 1399/1401 die Engel, welche auf ihren ausgebreiteten Flügeln die Plattform tragen. Schließlich folgen 1402 die Statuen von Moses, David und Jeremias. Zuletzt entstehen die Figuren das Zacharias, Isaias und Daniel. Vermutlich wurden diese erst kurz vor Sluters Tod aufgestellt. Als Gehilfen bei den Ausführungen zu Sluters Werk können Hennequin Prindale, Jean Rigny, Jean Hulst und Claus de Werve genannt werden. Hennequin Prindale arbeitete an der Magdalenenstatue, Jean de Rigny meißelte an den Simsen des Kreuzes. Jean Hulst erarbeitete die Wappenschilde an den Enden der Kreuzarme und Claus de Werve fertigte schließlich die Statuen Christi, der Engel und der Madonna. Die Prophetenfiguren entstammen vollständig der Hand Sluters.

Die Form des Brunnens ist hexagonal und die Statuen sind konzentriert auf den kolossalen hexagonalen Pfeiler in der Mitte. Das obere Ende des Pfeilers dient als Plattform für die Kreuzigungsszene. Alle anderen Skulpturen wurden als Ausdehnung des zentralen Themas erarbeitet. Die sechs alttestamentlichen Figuren, welche als Propheten identifiziert wurden, stehen auf individuellen Konsolen gegen jede Facette des Sockels. Über und unter den Propheten befinden sich Engel, deren Auftreten in der Kreuzigungsszene nicht ungewöhnlich für das 14. Jahrhundert war. Bei der Komposition und Ausführung des Mosesbrunnens handelt es sich um eine Art Paraphrase des im Mittelalter beliebten Themas des ,,Fons vitae", des Lebensbrunnens. Das Konzept des Lebensbrunnens ist heute nicht mehr erhalten. Gesichert ist, daß der große Brunnen nicht für den funktionalen Gebrauch entworfen und wahrscheinlich nie mit den spritzenden Wasserstrahlen vorgesehen wurde, wie sie im Entwurf für den Brunnen des kleinen Klosters gedacht waren. Das Wasser des Mosesbrunnens jedoch war klar und zirkulierte. Vermutlich hätte das Wasserspiel eine unnötige Ablenkung für die Mönche dargestellt, welche sich durch die Stille leichter auf die innere Meditation einstimmen konnten. Der ,,Fons vitae", mit seinem Versprechen eines ewigen Lebens, komplettierte den Zyklus der Meditation und half alle Elemente der Komposition mit ihrer tiefen mystischen Kraft auszustatten.

Die architektonische ,,Grundausstattung" des Brunnens wurde von Drouet de Dammartin gefertigt. Sluter sah sich einer bereits existierenden architektonischen Situation gegenüber gestellt. Er wollte seine Statuen jedoch nicht unterordnen, was dazu führte, daß die Freiheit der Figuren auf Kosten der Harmonie zwischen Architektur und Skulpturenprogramm erreicht wurde. Indem seine Statuen als der dominante Part innerhalb der Werke auftreten, wird die Rolle der Architektur den ,,Bedürfnissen" der Skulptur untergeordnet. Auch die Verfeinerung architektonischer Details wird auf ein Minimum reduziert, so daß sie niemals die Aufmerksamkeit des Betrachters von dem Drama, in dem die Figuren agieren, ablenkt. Die Figuren der Propheten fallen in zwei Gruppen. Die frühen Statuen des David, Moses und Jeremiah wurden aus Sluters Werkstatt zu ihrem Bestimmungsort transportiert und dort am 8. Juli 1402 positioniert. An den Ausarbeitungen für die zweite Figurengruppe kann Sluter nicht vor November 1403 begonnen haben, als der Stein für die drei Prophetenfiguren in Sluters Werkstatt geliefert wurde.

Die Bemalung und Vergoldung des Mosesbrunnens wurde bereits begonnen als erst die Hälfte der Propheten fertiggestellt war. So hatte Sluter die Möglichkeit, die Statuen von Moses, David und Jeremiah in ihrer vollendeten Pracht zu sehen, bevor er mit der Ausarbeitung des Zacharias, Daniel und Isaia begann. Die Technik, mit der Jean Malouel die Figuren bearbeitete, ermöglichte es Sluter, seine Arbeitsweise nicht modifizieren zu müssen. So hatte er in Malouel einen Kollaborateur gefunden, der mit seiner eigenen Vision übereinstimmte.

Das von Sluter angefertigte große Kreuz, ist ebenso wie die Kirche, nach Osten ausgerichtet.

Aus diesem Grund sehen die Besucher zunächst lediglich die drei Propheten -Moses, David und Jeremiah-, wobei David der zentralen Platz direkt unter der Figur des gekreuzigten Jesus einnimmt. Diese ehrenvolle Position bezieht sich auf die Stellung Davids innerhalb der Ahnen Christi. Sie demonstriert ebenfalls die Kontinuität der königlichen Linie, welche in Davids Sohn gipfelte. Die Position Davids beeinträchtigt allerdings nicht die Bedeutung des Moses. Er personifiziert das Gesetz des Alten Testaments, die Notwendigkeit für das Vollbringen, das von Christus selbst in der Bergpredigt angesprochen wird.

Die Statuen des Moses, David und Jeremiah wurden zuerst unterhalb des großen Kreuzes angebracht und sorgfältig nach der Signifikanz, welche sie in die Interpretation einbringen, gewählt.

Der Verlust der ,,calvary-Gruppe" bedingte eine neue Bezeichnung für den Skulpturenkomplex, der nach der Zerstörung übrig geblieben war. Beschreibungen des volkstümlichen Gebrauchs beziehen sich auf den ,,Prophetenbrunnen" oder den ,,Mosesbrunnen". Beide Bezeichnungen scheinen noch Gültigkeit zu besitzen, jedoch werden die Skulpturen, wie wir sie heute kennen, als Mosesbrunnen bezeichnet.

3. Tilman Riemenschneider:

Tilman Riemenschneider wurde 1468 in Heiligenstadt (Thüringen) als Sohn eines Münzmeisters geboren, aufgewachsen ist er in Osterode im Harz. Um 1474 begann er eine Lehre als Holzschnitzer und Steinbildhauer und begab sich 1478/79 als Handwerksgeselle auf Wanderschaft. Dabei gelangte er erstmals nach Würzburg, zu seinem Onkel, bereiste ferner Schwaben und den Oberrhein (wo er Martin Schongauer und dessen Kupferstiche, die er später als Vorlagen verwendete, kennenlernte). Während dieser »Reise- und Lehrjahre« machte er Bekanntschaft mit Nikolaus Gerhaerts und dem niederländischen Realismus, besuchte Holland und das Moselgebiet. 1483 schließlich wurde Tilman Riemenschneider als »Malerknecht« in die Zunft der Maler, Bildhauer und Glaser (Lukas-Brüderschaft) aufgenommen und hielt sich ab dem 7.12. 1483 (durch ein Treuegelöbnis dokumentarisch belegt) in Würzburg auf.

Ein Jahr später (28.2. 1485) folgte die Hochzeit mit der Goldschmiedewitwe Anna Schmidt. Die Einheirat in einen bestehenden Werkstattbetrieb bedeutete für ihn die Übertragung von Bürgerrecht und Meisterwürde. Seine Frau, die ihm eine Tochter -Gertrud- gebar und drei Söhne aus erster Ehe mitbrachte, starb bereits 1494 oder 1495. Anna Rappold wurde 1497 die zweite Gemahlin Riemenschneiders, von ihr stammten eine Tochter und drei Söhne: Jörg, Hans und Bartholomäus. Jörg führte nach dem Tode seines Vaters die Werkstatt weiter. Die gestiegene Wertschätzung Riemenschneiders als mainfränkischer Künstler zeigte sich in der Tatsache, daß er 1504 als Mitglied in den Städtischen Rat gewählt wurde. Er gehörte dem Ratskollegium für zwei Jahrzehnte an und stieg sogar in den Oberen Rat auf. Als Mitträger des Unterbergmeisteramtes war er domkapitelischer Amtsinhaber, d.h. gehörte zu Domstift und Dompropstei und genoß besondere Privilegien, möglicherweise auch die einer verbesserten Auftragslage.

Ein Jahr nach dem Tod seiner zweiten Frau Anna, wohl 1507, heiratete er bereits erneut: Margaretha Wurzbach. Auch sie starb vor ihm, der im Alter von sechzig Jahren zum vierten Mal eine Ehe einging, nachdem er mittlerweile umfangreichen Besitz erworben hatte. 1520/21 fungierte Riemenschneider als Bürgermeister von Würzburg, doch seine sehr engagierte politische Betätigung brachte ihn nach dem Bauernkrieg von 1525 in Mißkredit, da sich Riemenschneider auf die Seite der Aufständischen geschlagen hatte und nun nach dem Scheitern des Aufstandes Ablehnung und sogar Haft auf der Marienburg erfahren mußte. Tilman Riemenschneider starb 63jährig als begüterter Mann mit einer großen Werkstatt und zahlreichen Schülern in Würzburg. Er darf ab etwa 1490 als bedeutendster spätgotischer Bildschnitzer in Mainfranken gelten. In dieser Übergangsphase zwischen Mittelalter (Gotik) und Neuzeit (Renaissance) war Würzburg das Zentrum der Bildhauerkunst in Süddeutschland. Es verstrich viel Zeit, bis Riemenschneider entsprechend gewürdigt wurde: erst mit der Wiederauffindung seiner Grabplatte in Würzburg durch den Historiker Scharold 1822 wurde sein Name ins Gedächtnis zurückgerufen. Besonders herauszuheben ist die Fähigkeit des Künstlers, in verschiedenen Materialien gleichermaßen geschickt zu arbeiten.

Prägend für seinen Stil und seine Themen war der Einfluß des holländischen Realismus (Gerhaert), den Riemenschneider jedoch in individuell beseelter Form wiedergab. Diese realistische Haltung paßte in das 15. Jahrhundert und machte sich auch im Überdenken der Kluft zwischen Menschlichem und Heilig - Göttlichem (traditionell - sakrale Welt) bemerkbar. Das Bedürfnis, sakrale Würde durch persönliche, menschliche Nähe auszudrücken und die Heiligen in Beziehung zum menschlichen Alltag zu setzen, zeigt sich auch in Riemenschneiders Werk. Dabei kam ihm seine kritische Haltung gegenüber dem übertriebenen Stolz der adeligen hohen Geistlichkeit zugute, die ihm allerdings während des Bauernkrieges zum Schaden gereichte. - Einflußreich auf Tilman Riemenschneider waren Künstler wie Jörg Syrlin d.Ä. (Ulm), Veit Stoß, Adam Kraft, Peter Vischer (alle Nürnberg), die viel eher die neuen formalen Kräfte nach der Jahrhundertmitte von der Spätgotik zur Renaissance verkörperten, wohingegen Riemenschneider prinzipiell noch deutlich in der Spätgotik verwurzelt war. Mit Ausnahme des Denkmals für Fürstbischof Lorenz von Bibra im Würzburger Dom (1516), wo er Schmuckformen der Renaissance verwendete, gelang es ihm kaum künstlerisch neue Impulse zu setzen. Statt dessen läßt sich bei ihm von Anfang an eine ausgeprägte persönliche Handschrift feststellen, eine stilistische Entwicklung ist hingegen abgesehen von verstärktem Verzicht auf Beiwerk, betonterer Linearität und eine größere Plastizität der Formen kaum erkennbar.

Sein Wirkungsfeld war geographisch und zeitlich beschränkt, wenngleich er eine relativ große Zahl von Schülern in seiner Werkstatt beschäftigt hatte. Zwischen 1501 und 1517 waren zwölf Lehrjungen registriert, ein Dutzend Schnitzaltäre sind bekannt und seine besten Bildwerke entstanden in dieser Zeit bis 1520. Neben Altarausstattungen fertigte seine Werkstatt auch fast seriell hergestellte Objekte, wie Kruzifixe und Leuchterengel und er belieferte ein Gebiet, das sich von Münnerstadt im Norden bis Rothenburg im Süden erstreckte.

Riemenschneider setzte seinen Bildwerken zum Ziel, das Leiden Christi bildhaft wiederzugeben. Passion und Beweinung waren die Hauptthemen, die mit großer innerer Anteilnahme geschildert wurden. Es existieren zahlreiche vielfigurige großformatige Beweinungsgruppen, wie die älteste in Hessental bei Mespelbrunn/Spessart (etwa 1485-90), und viele als selbständige Andachtsbilder gestaltete Vesperbilder. Seine Porträts, vor allem von Rittern und adelige Frauen, kennzeichnen ein ausgeprägter Naturalismus und große Einfühlsamkeit.

Er hat sich mehrfach auf seinen Werken selbst dargestellt, nämlich auf dem Predellenrelief des Creglinger Altars, als Nikodemus auf der Beweinungstafel in Maidbronn und schließlich in der Person des Adam, 1490 auf dem Marktportal der Marienkapelle.

Ein Vertrag von 1501, der Riemenschneider als »Bildschnitzer von Würzburg« erwähnt, umreißt bereits seine regional beschränkte Bedeutung. In der Zeit von 1485-1504 führte er gleichermaßen städtische Aufträge - in Würzburg und Umgebung - aus, erhielt aber auch als junger und unbekannter Künstler schon Aufträge von der Kirche. Nach 1504 beschränkten sich verstärkt seine städtische Aufträge auf kunsthandwerkliche Gegenstände, Großaufträge kamen hingegen von Domkapitel und Bischof. Überwiegend jedoch führte er auswärtige Aufträge aus. Seine Funktion als Steuer- und Schloßmeister von 1511-14 und 1517/18 zog eine künstlerisch weniger produktive Zeit nach sich. Erst später widmete er sich seiner Werkstatt und seiner Rolle als Lehrer.

Sein erstes dokumentarisch gesichertes Werk ist der Münnerstädter Altar (1490-1492) der Stadtpfarrkirche St. Maria Magdalena. Noch früher entstand der Riemenschneider zugeschriebene Wiblinger Altar, der wahrscheinlich aus Rothenburg ob der Tauber stammt. Der nächste erhaltene Wandelaltar ist der bis 1504 geschaffene Heilig-Blut-Altar in Rothenburg ob der Tauber, darauf folgt der um 1505-1510 entstandene Marienaltar der Herrgottskirche in Creglingen. 1509 wurde der Zwölf-Boten-Altar für St. Kilian in Windsheim beendet, welchem gegen 1510 der Heilig-Kreuz-Altar vermutlich für die St- MichaelsKapelle in Rothenburg folgt. Sein spätestes Werk stellt das 1520-1523 entstandene, steinerne Retabel des Beweinungsaltars in der Pfarrkirche von Maidbronn.

3.1. Heilig-Blut-Altar:

Die Kirche St. Jakob zu Rothenburg ob der Tauber, in der sich der Hl-Blut-Altar befindet, besitzt eine Reliquie erster Güte, einen Tropfen des Blutes Christi. Durch diese Reliquie war Rothenburg ob der Tauber zu einem Wallfahrtsort geworden, viele Gläubige hatten während der Wallfahrten Wunder erlebt und Ablässe hatten die Anziehung noch verstärkt. Ende des 15. Jahrhunderts beschloß der Rat der Stadt, dieser Reliquie einen Altar zu errichten. Zu dessen Ausarbeitung wurde der Bildhauer Riemenschneider herangezogen.

Im Vorfeld lassen sich zwei verschiedene Abendmahlskompositionen feststellen: die eine ist streng dualistisch. Es setzt Christus mit den guten Aposteln an die eine Seite des Tisches, Judas allein auf die andere. Denn der Verräter soll deutlich von den anderen abgegrenzt werden. Das von Dirk Bouts stammende Schema gibt eine Rundkomposition; alle Personen werden um den Tisch herum gesetzt. Diese Darstellungsweise bringt eine ganz neue Sicht mit sich: Christus und seine Jünger werden als alltägliche Menschen bei einem alltäglichen Zusammensein gezeigt, über die plötzlich ein heilig-nüchterner Ernst kommt. Riemenschneider verändert Dirk Bouts Kompositionstypus in einem wichtigen Punkt. Nicht mehr Christus, sonder Judas nimmt die Mitte ein.

Der Heilig-Blut-Altar befindet sich noch an seinem ursprünglichen Aufstellungsort. Der Schnitzaltar, der in den Jahren 1501 bis 1505 entstand, war ungefaßt, was ein neues Feld von Gestaltungsmöglichkeiten für den Bildschnitzer mit sich brachte. Riemenschneider hatte 1490 am Magdalenenaltar als erster diese neue Technik angewandt, bei welcher die Lindenholzoberfläche nicht mit einer Farbfassung über Kreidegrund sowie Vergoldung versehen sondern nur eine braune Lasur aufgetragen wurde.

Eine Untersuchung der Lasur auf Riemenschneiders Heilig-Blut-Altar hat ergeben, daß sie aus Eiweiß und Öl, getönt mit Ocker, Schwarz, Kalk sowie Bleiweiß besteht und unmittelbar auf das Holz aufgetragen wurde. Erst die Restaurierung Mitte der 60er Jahre brachte das ursprüngliche Aussehen des Altars zum Vorschein, welches unter dunklen Schichten von Farbe, Staub und Beize verborgen gewesen war.

Das Bildprogramm war in alle Einzelheiten vertraglich festgelegt: die Schreinfiguren ,,ungeverlich vier werkschuch hoch", auf den Flügeln der Einzug in Jerusalem (Luk. 19, 1-10) und der Ölberg (Luk. 22, 39 ff), im corpus ,,das abentessen Cristi Jesu mit seinen zwölfbotten...".

Riemenschneider lieferte die Figuren und die beiden Reliefs. Das Altargehäuse des Hl.-Blut- Altars wurde von dem örtlichen Schreiner Erhart Harschner geschnitzt. Auf Vorschlag Riemenschneiders wurde die geschlossene Rückwand geöffnet und durch Fenster ersetzt. Das ist eine Neuheit im Werk Riemenschneiders und innerhalb der Geschichte der Schnitzaltäre. Für die Ausführung der Skulpturen erhielt Riemenschneider lediglich 60 Gulden. Das ist außergewöhnlich wenig, betrachtet man die Bedeutung der Reliquie und des Retabels, erklärt sich aber möglicherweise aus der mechanischen, gleichförmigen Arbeitsweise seiner Werkstatt. Ein weiteres Argument könnte darauf basieren, daß sich der Altar völlig ohne Gold und andere Farben präsentierte und demnach keine so kostspieligen Materialien und auch keine teure Entlohnung für einen Faßmaler anfielen.

Im Gegensatz zu der üblichen Predella als tragender Basis, ruht der Hl-Blut-Altar auf einer dreiteiligen filigranen Arkade. Im mittleren Bogen steht heute das Kreuz, flankiert von zwei Engeln. Ursprünglich hatte sich dort ein Reliquiar für weitere Reliquien befunden. Gleichermaßen ungewöhnlich ist der Platz der Reliquie, statt im Zentrum ist sie im Gesprenge angebracht.

Die Darstellung im Schrein ist unmittelbar auf die Anwesenheit der Reliquie, des heiligen Blutes, ausgerichtet, da das letzte Abendmahl der Moment der Einsetzung der Eucharistie ist. Einer der sitzenden Apostel deutet mit der Rechten auf die Altarmensa, auf das Blut Christi im Meßopfer der Abendmahlsfeier, mit der anderen verweist er auf das Opferlamm oder an ihm vorbei, auf des Geschehen. Jedoch hat er den Raum als Eßlaube eingerichtet, einen langen Tisch und die beiden Sitzbänke davor, die eine mit, die andere ohne Rückenlehne, so wie sie verfügbar waren. Auch die eingeengte Situation der Apostel kann nicht übersehen werden. ,,Es herrscht spätgotisches Gedränge im spätgotischen Raum". Dies verdeutlicht

Riemenschneiders Unberührtheit gegenüber der Renaissance und seine feste Verwurzelung in der gotischen Tradition.

Auch auf dem linken Flügel sind die Jünger während des Einzugs in Jerusalem dicht zusammengedrängt versammelt. Obwohl es sich um einen Freudentag handelt, spiegeln die Gesichter die gleiche Anteilnahme wie die Apostel des Abendmahls. Petrus, der die Gruppe der Jünger anführt, ist sogar unverändert übernommen worden.

Riemenschneider wählt für sein Werk den Augenblick, an dem Christus Judas, dem Verräter, den eingetauchten Bissen reicht. Dieser ist an dem Beutel mit Silberlingen, den er als Attribut seines Amtes in der Hand hält, zu erkennen. Im Kreis nimmt Judas die Mitte ein. Man sieht ihn im Halbprofil. Er allein steht, während alle anderen sitzen, obwohl es auf den Abbildungen so aussieht, als ob sie stehen, da sie die Figuren im Vordergrund unverhältnismäßig überragen. Jedoch muß man bedenken, daß Riemenschneider für den Standpunkt des Betrachters gearbeitet hat. Sieht man sich den Altar an seinem Standort in der Kirche an, so stimmen die Proportionen der Figuren und des Tisches überein. Indem Riemenschneider Judas in den Mittelpunkt der Darstellung setzt, bricht er hier mit der traditionellen mittelalterlichen Bildordnung.

Er thematisiert hiermit, was im Johannes-Evangelium (13,18) angedeutet wurde, daß Judas der von Christus Auserwählte ist. Erst durch dessen Verrat kann die Erlösung vollendet werden. So hat Riemenschneider eine erzählende Darstellungsweise gewählt, die den Betrachter zum Nachdenken anregt.

Gelegentlich wird die Ansicht vertreten, Riemenschneider hätte im Rothenburger Altar das Abendmahl in eine Versammlung von Geheimbündlern und Verschwörern gewandelt. Er hätte sein soziales und politisches Engagement in das Werk eingebunden und es so gekonnt getarnt, daß es den kirchlichen Auftraggebern nicht aufgefallen sei. Diese Spekulationen gründen auf die Beteiligung Tilman Riemenschneiders an der Ereignissen des Bauernkrieges. Die Figuren sind mit großen Köpfen und noch größeren Nasen unausgewogen proportioniert und auffallend gleichförmig. Die mechanische Ausarbeitung von Details wie Augen und Haaren läßt auf ein Reihe von austauschbaren Standardvorbildern schließen.

Währen des Tagesablaufs wandelt sich die Wirkung des Schnitzaltars mehrmals. Morgens ist nur die erste Figurenreihe -Köpfe, Hände, Faltenwurf und drei Füße- durch die Sonne hervorgehoben. Während des Vormittags wird die Figur des Judas immer mehr zum alleinigen Mittelpunkt der Szene. Der Zeitabschnitt, in dem der Altar kein direktes Licht empfängt, fällt in die Mittagszeit. Danach beginnt die Sonne durch die Fenster an der

Rückwand des Altars zu scheinen und hebt so die Silhouetten der Köpfe der hinteren Figurenreihe hervor.

4. Veit Stoß:

Ein jüngerer Zeitgenosse Riemenschneiders war Veit Stoß. Er wurde wahrscheinlich in Horb im Schwarzwald geboren, seine Abstammung ist ungewiß. Auch das Geburtsjahr ist nicht genau bestimmbar. Es wird von Neudörfer 1438 angegeben, nach jüngeren Angaben trifft 1447 eher zu. Wirklich greifbar ist er erst in Nürnberg 1477 zu dem Zeitpunkt, da er die Stadt schon wieder verließ und auf seine Bürgerrechte verzichtete. Damals zog Stoß nach Krakau, in die Hauptstadt Polens, die eine große und blühende deutsche Handelsniederlassung aufwies. 1483 wurde er ,,um seiner Tugend und Kunst willen" von allen Steuern befreit und zugleich für Gebäude der Kirche und Stadt bestimmt. Dort wurde er mit der Errichtung des Hochaltars für die Marienkirche beauftragt. Dieser wichtige Auftrag legt die Vermutung nahe, daß diesem frühesten bekannten Hauptwerk andere großformatige Werke vorausgegangen sein müssen. Mit den Schnitzarbeiten begann er im Mai 1477 und vollendete sie, nachdem er verschiedene Reisen unternommen und andere Aufträge angenommen hatte, laut einer Stiftungsurkunde 1489. Das andere Hauptwerk aus dieser Zeit ist das Rotmarmorgrab für König Kasimir IV. Jagiello, der am 7. Juni 1492 starb. Die Witwe bestellte ein prächtiges Grabmal, dessen Tumba und Baldachin an die Grabmäler der Vorläufer des Monarchen anknüpfen und in der Gestalt des Toten die Grabplatte Kaiser Friedrichs III. von Nicolaus Gerhaert nachahmen sollte. Mit seinem Meisterzeichen ist auch das Marmorgrab des 1493 verstorbenen ErschbischofsZbigniew Olésnicki im Dom zu Gnesen und das Marmorgrab des Bischofs Peter Mosinski aus Bnin versehen. Er hat in Krakau zweifellos viele Werke geschaffen. Die beiden bekanntesten wurden bereits genannt und einige seiner Werke sind nur aus Archivquellen bekannt, da sie die Zeit nicht überdauert haben.

Noch Anfang 1496 erhielt Stoß den Auftrag, ein Grabmal für den Bischof von Wloclawek herzustellen. Diese Aufgabe wurde nicht mehr ausgeführt, da Veit Stoß Ende des Jahres 1496 Krakau verließ und nach Nürnberg zurückkehrte. Die genauen Gründe hierfür sind unbekannt. Da er den Auftrag nicht mehr ausführen konnte, gelobte er zur Ablösung der Verpflichtun Schadensersatz zu zahlen.

Sein Aufenthalt in Nürnberg gestaltete sich schon zu Anfang problematisch. Er erwarb zwar das Bürgerrecht schnell wieder, aber kurz nach der Übersiedlung starb die erste Frau des Meisters, Barbara. 1497 ging er seine zweite Ehe ein, seine Frau wurde Christine Reinolt.

Beide Frauen brachten eine Vielzahl von Kindern auf die Welt -mindestens zwölf, wobei die Söhne bis auf eine Ausnahme ebenfalls Künstler wurden.

1499 erwarb Veit Stoß ein Haus in Nürnberg und im selben Jahr ließ er sich auf Geldgeschäfte ein. Er lieh dem Kaufmann Jakob Baner 1000 Gulden und auf dessen Zureden Hans Startzedel den Betrag von 1365 Gulden für weitere Transaktionen. Startzedel ging bankrott und floh aus Nürnberg, nachdem er Baner seine Anleihe vollständig gegeben hatte. Veit Stoß erhielt nur einen Anteil seiner gegebenen Summe, was ein schwerer Verlust für ihn war. Aus diesem Grund fälschte er einen Schuldschein auf den Namen Baners über den gesamten Fehlbetrag seiner Anleihe. Mit diesem klagte er gegen Baner, er machte sich aber auf Grund eigener Unsicherheit verdächtig und mußte sein Vergehen schließlich im Lochgefängnis gestehen. Seine Fälschung erweckte allein auf Grund der Vollkommenheit des Falsifikats Bewunderung -selbst Baner konnte seine eigene Handschrift nicht von der gefälschten unterscheiden. Das damalige Stadtrecht sah für ein solches Vergehen die Todesstrafe vor, Stoß suchte flüchtete in ein Karmeliterkloster und begann, dringend nach Hilfe und Schutz unter den Mächtigen zu suchen. Sein Schwiegersohn Jorg Trummer war schließlich seine Rettung. Er erwirkte beim Würzburger Bischof Lorenz von Bibra, daß dieser sich für Stoß einsetzte. Schließlich wurde Stoß nur zur öffentlichen Brandmarkung auf Backen und Stirn verurteilt, angeblich ist auch diese Maßnahme ausgesprochen milde ausgeführt worden und mußte versprechen, auf Lebenszeit Nürnberg nicht mehr zu verlassen. Dennoch bedeutete dies eine wahre Tragödie für Stoß. Er büßte für längere Zeit Werkstatt und Bestellungen ein. Seine Schüler verließen ihn und die Auftraggeber wandten sich von ihm ab. 1504 floh Stoß zu seinem Schwiegersohn Jorg Trummer nach Münnerstadt und als dieser 1505 mit Reichsacht belegt wurde, löste Stoß sein Verhältnis zu ihm und durfte nach zahlreichen Bittgesuchen Mitte Juni nach Nürnberg zurückkehren. Er mußte erneut versprechen, die Stadt nicht mehr zu verlassen und seine Flucht büßte er mit Haft. Seine Lage verbesserte sich dann, als er 1506 Kaiser Maximilian I. begnadigt wurde und dieser ihm wieder das Bürgerrecht zuerkannte. Seitdem bekam Stoß wieder größere Aufträge und führte einige bedeutende Werke aus. Seine letzten zehn Lebensjahre waren unergiebig, da inmitten der Reformationswirren das mit Stiftungen für Kirchen zusammenhängende künstlerische Schaffen zum Erliegen kam. Es ist auch anzunehmen, daß er in ein Alter gekommen war, da ihm die Kräfte immer öfter versagten und die feinfühligen Hände des Schnitzers ihr früheres Leistungsvermögen einbüßten.

1525 wurde er auf Grund seiner reformationsfeindlichen Tätigkeit vom Rat der Stadt ausgeschlossen.

In der zweiten Hälfte des Jahres 1533, wahrscheinlich im November, verstarb Veit Stoß in Nürnberg. Beigesetzt wurde er auf dem alten Johannisfriedhof und auf dem Grabstein erinnert nur lediglich eine kleine Plakette an den letzten großen Künstler der Spätgotik.

Seine Krakauer Werke setzen die Wandlung der Ausdrucksform voraus, wie sie die gesamte oberdeutsche Plastik in den späten 60er Jahren durchdrungen hatte. Ausgegangen war diese Wandlung im speziellen von der Werkstatt Gerhaerts. Diesen neuen Stil mit niederländisch- bildhaften Elementen hat Stoß radikaler als andere Künstler in seine eigene Gestaltungsweise übertragen.

,,Stoß hat das Technische unvergleichlich gemeistert. Mittelalterlich war der Wille, möglichst ohne Ausstückungen auszukommen, neuzeitlich die feine Transparenz des Farbauftrags, ja bei späteren Werken sogar der Verzicht auf die farbige Fassung und die Beschränkung auf Lasuren und geringfügige, stellenweise Tönung. Das Große an dem plastischen Werk des Stoß aber ist des Stürmische des Temperaments, ist die Verwirklichung des Organischen in der Gebärde der Spätgotik".

Über die Frühwerke des Meisters vor 1477 gehen die Meinungen der Forscher weit auseinander. Sicher ist nur der Kruzifix von Rottweil. In die Kunstgeschichte tritt Stoß als fertiger Meister mit dem gewaltigen Hochaltar der Krakauer Marienkirche 1477/89, dem Umfang nach der größte geschnitzte Flügelaltar der deutschen Gotik. Im Krakauer Dom sieht man die 1492 datierte marmorne Deckplatte des Grabmals für König Kasimir IV. Jagiello, den Sohn einer Deutschen und Förderer der deutschen Kultur. Diese Platte ist stark von der Wiener Grabplatte Kaisers Friedrichs III. beeinflußt. Im Dom von Wloclawek befindet sich das Grabmal von Bischof Peter von Buina, 1494. Das Gnesener Grabmal für den 1493 verstorbenen Erzbischof Zbigneus Olésnick von 1496 zeigt den persönlichen Stil des Meisters. Das letzte Werk in Polen, das Stoß schon von Nürnberg aus gestaltet hat, ist das Grabmal des damals berühmten Humanisten Filippo Buonaccorsi, genannt Callimachus, gestorben 1496 in Krakau. Für dieses Grabmal hat Stoß einzig das Modell geschaffen. Den Bronzeguß hat die Vischersche Hütte besorgt.

1499 meißelte Stoß das Steinrelief des Judaskusses in St. Sebald in Nürnberg. Den Maler Stoß lernt man aus seinen Tafeln für den Münnerstädter Altar Riemenschneiders von 1504 kennen, dessen Figuren Stoß farbig gefaßt hat. Der Apostel Andreas im Ostchor der Sebalduskirche in Nürnberg entstand ca. 1505-1507. Den Paulus der Lorenzkirche in Nürnberg schuf Stoß 1513. Die von Raffael Torrigiani bestellte Raphael-Tobias-Gruppe im Germanischen

Nationalmuseum stammt aus dem Jahre 1516 und realisiert ein damals in Italien beliebtes Motiv. Im gleichen Jahr schuf der Meister den heiligen Rochus für die Annunziatakirche in Florenz, den der erste Kunsthistoriker, Vasari, als ein »Wunder der Holzarbeit« bezeichnete. Im Chor von St. Lorenz in Nürnberg hängt in ihrer strahlenden Pracht die gewaltige Vollfigurengruppe des Englischen Grußes. Dieser englische Gruß wurde 1517 von Anton Tucher bestellt. Der Kruzifix in St. Lorenz ist unter den vielen Kruzifixen des Meisters der großartigste. Der Wickelsche Kruzifix in St. Sebald entstand 1520. Der im Inneren entdeckte Papierzettel sagt, am 27. Juli 1520 sei »dieser got auff gericht durch Niklos Wickel«. Ein Hl. Veit im Kessel zeigt auf dem Boden des Kessels das Meisterzeichen von Stoß und die Jahreszahl 1520. Nach 1523 entstand noch ein Marientod, der Rest eines Altars (ehemals Verein Haus Wettin).

4.1. Marienaltar:

Inmitten des größten Gotteshauses der Hauptstadt Krakau befindet sich der Marienaltar, einer emaillierten Brosche gleich, der wie kein anderer Altar ein eindrucksvolles Bindeglied zwischen Menschen, Gott und Himmelreich darstellt. Das Wissen um die Geschichte des Marienaltars verdanken wir einigen wenigen Archivquellen und einem Dokument, das in einer Büchse verborgen war, welche man bei einer 1533 vorgenommenen Renovierung fand. Der Originaltext ist nicht mehr erhalten, aber es existieren zwei polnische und eine lateinische Abschrift. In der teilweise gefälschten Urkunde ist festgehalten, daß der Altar aus Spenden der Einwohnerschaft der Stadt und des Königshofs entstanden ist.

Die Arbeiten am Marienaltar begannen ungefähr am 25. Mai 1477 und schritten so schnell voran, daß die steigenden Einkünfte es dem Meister ermöglichten, ein eigenes Haus zu erwerben. Dieses rasche Vorankommen ermöglichten zahlreiche Schüler und Gesellen, sowie ein Tischler mit seinen Gehilfen. 1483 waren die Arbeiten am Marienaltar so weit fortgeschritten, daß der Stadtrat den Künstler von allen Steuern und Zahlungen befreite. Als endgültiges Abschlußdatum der Arbeiten wurde in den Büchern der Stadt Krakau der 25. Juli 1498 festgehalten.

Insgesamt erhielt Stoß als Honorar für seine Schnitzarbeiten 2808 Gulden. Die Materialkosten und anderweitigen Ausgaben können nicht in diesem Betrag enthalten sein, da Stoß sonst fast umsonst gearbeitet hätte. Darüber hinaus ist nicht bekannt, wieviel der Marienaltar insgesamt gekostet hat, nur das Entgelt für Veit Stoß ist historisch belegt.

Der Marienaltar mit seiner renaissancehaften Komposition wurde von den Krakauern voller Anerkennung aufgenommen und sogleich zum Stolz der Stadt. Der Werdegang des Altars ist für lange Zeit nicht genau nachvollziehbar. Von Zeit zu Zeit wurden Überholungen durchgeführt, wie die bereits erwähnte Restauration 1533. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts erfährt man wieder etwas über das Werk, als es renoviert und wahrscheinlich lediglich neu bemalt wurde.

Gefahr drohte dem Altar Mitte des 18. Jahrhunderts, als sich der Barock seinem Ende näherte, doch um so radikaler alles bekämpfte, was dem ,,guten Geschmack" widersprach. In den Jahren 1723-1761 wurden auf Anweisung des Pfarrers Jacek Augustyn Lopacki grundlegende Renovierungen und Umgestaltungen des Kircheninneren durchgeführt. Zu dieser Zeit beschloß, man den Hochaltar gegen einen neuen, mit dem vorherrschenden Stil übereinstimmenden zu ersetzen. Da sich die Krakauer jedoch als aufgeklärter erwiesen als die ,,Neuerer", kam es nicht zum Austausch des Altars.

Trotz weiterer Renovierungen 1795 und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde es dringend notwendig, den Altar zu restaurieren. In den Jahren 1932/33 wurde eine weitere Restauration vorgenommen, bei welcher einige vorherige Irrtümer beseitigt, die ursprüngliche polychrome Bemalung zum Teil freigelegt und viele Zweckmäßige Maßnahmen durchgeführt wurden.

Die Jahre des Krieges und der hitlerfaschistischen Okkupation begründeten ein Bewußtsein der Gefahr, daß sich darin äußerte, daß die Altarfiguren am 1. September 1939 abgenommen und mit Schuten nach Sandomierz verschifft werden sollten. Die Figuren wurden jedoch von den Besatzern entdeckt und mit dem zerlegten Schrein nach Nürnberg gebracht. Bevor der Marienaltar wieder an seinem ursprünglichen Bestimmungsort aufgestellt wurde, vergingen noch viele Jahre. Da der Altar Schaden genommen hatte und auseinandergenommen war, mußte eine grundlegende Restaurierung vorgenommen werden. Zusammengesetzt und aufgestellt wurde der Altar erst 1957. Bezüglich der Abmessungen des Altars bestehen in den Angaben starke Unterschiede.

Ursprünglich soll er 16-18 m hoch gewesen sein. Heute mißt er nur noch 12,85 m, da der ursprüngliche Baldachin nicht mehr erhalten und der jetzige Altar eine Rekonstruktion aus dem 19. Jahrhundert ist.

Die optisch so kleine Predella ist 2 m, der Schrein 7 m hoch. Der Mittelteil mißt fast 5,5 m Breite und der gesamte Altar mit geöffneten Flügeln 11 m.

Der Marienaltar ist der Muttergottes geweiht. Er stellt die Geschichte Marias als Mutter

Gottes dar, ebenso aber auch die Idee Marias als Verkörperung der Menschheit (als Ecclesia). Es handelt sich um einen Wandelaltar mit zwei Innen- und zwei Außenflügeln. Der allgemeine thematische Aufbau des Altars ist folgendermaßen: die Predella ist von der Wurzel Jesse ausgefüllt. Die Hauptszene zeigt die Himmelfahrt als ,,Entschlafen". Den Rahmen füllen Prophetenfiguren, welche als Veranschaulichung der Kontinuität zwischen Altem und Neuem Testament fungieren. Das Gesprenge zeigt die Krönung Marias im Himmelreich. Die Krönungsgruppe wird von den Schurzpatronen Polens, dem heiligen Stanislaus und dem heiligen Adalbert, flankiert. Bis auf Gesprenge und Predella, zu denen Stoß Gehilfen hinzuzog, gilt der Altar als eigenhändig.

Die Reliefs an den Innenseiten der Flügel stellen sechs Szenen das, welche vom linken Flügel über den rechten von oben nach unten folgende sind: die Verkündigung, die Anbetung des Kindes, die Heiligen Drei Könige, die Auferstehung, die Himmelfahrt und die Ausgießung des heiligen Geistes. Auf der Alltagsseite der Flügel befinden sich zwölf Szenen. Auf dem unbeweglichen Flügel links sind folgende Themen dargestellt: Joachim und Anna an der Goldenen Pforte und die Verkündigung an Joachim, die Geburt Marias und der Tempelgang, auf dem Linken beweglichen Flügel Jesu Darstellung im Tempel, der junge Christus mit den Schriftgelehrten und die Gefangennahme, auf dem rechten beweglichen Flügel die Kreuzigung, die Abnahme vom Kreuz und die Grablegung und auf dem rechten unbeweglichen Flügel schließlich die Höllenfahrt Christi, die drei Marien am Grabe und der Maria Magdalena erscheinende Christus. Die Reliefs des geschlossenen Altars sind insgesamt flacher, weniger plastisch dafür aber malerischer als die der Sonntagsseite.

Die Mittelszene ist eine in sich geschlossene Komposition, in welcher Stoß die beiden Motive, das Entschlafen und die Himmelfahrt, zu einem Ganzen verband. Niemals zuvor in spätgotischen Schnitzaltären ist der Tod Marias und ihre Himmelfahrt derart monumental behandelt worden. Auf dem Mittelfeld des Polyptychons befindet sich ein Rahmen aus einer Doppelreihe schmaler Rundstäbe, wie es für die Gotik typisch war, die oben einen Rundbogen bilden. Zwischen den Stäben befinden sich die berühmten ,,tanzenden" Prophetenfiguren. In den Eckfeldern auf beiden Seiten über dem Rundbogen, bei welchem es sich um die Pforte des Himmels handelt, sind die Büsten der vier Kirchenväter dargestellt -Gregorius, Hieronimus, Augustinus und Ambrosius. Die Gruppe der Apostel mit der knienden Maria bildet den ,,irdischen, horizontalen Plan des historischen Ereignisses". Allgemein wird angenommen, daß es sich bei dem Apostel rechts von Maria um Johannes und bei der linken

Figur um Petrus handelt. In dem Apostel, der die niedersinkende Maria halten will, erkennen die meisten Jakobus d. Ä..

Die repräsentative Auffassung des Mittelschreins ist stilistisch von der erzählerischen Auffassung der Reliefs zu unterscheiden, welche sich beispielsweise in den Innenraumszenen ausdrückt. Auch die plastische Gestaltung weist Unterschiede auf. Man kann sie in drei Hauptstufen gliedern.

Sie beginnen mit den Flachreliefs an den Außenseiten der Flügel und steigern sich über die Hochreliefs der Flügelinnenseiten hin zu den fast vollplastisch gestalteten Figuren der Sterbeszene im Mittelpunkt. Hierzu korrespondiert eine Wertzunahme der Fassung, die außen noch die stärkste Farbigkeit zeigt, während sie nach innen zugunsten der Vergoldung abnimmt. Die künstlerische Meisterleistung des Altars beruht darauf, daß er alle Bestandteile seines Werkes der Angemessenheit gegenüber dem Zweck, dem der Altar dienen soll, untergeordnet hat: der Altar sollte über die Sinne auf Geist und Herz einwirken.

Quellennachweis:

Baxandall, Michael: Die Kunst der Bildschnitzer. Tilman Riemenschneider, Veit Stoß und ihre Zeitgenossen, München 1984

Morand, Kathleen: Claus Sluter. Artist at the court of Burgundy, Austin 1991

Excerpt out of 18 pages

Details

Title
Die drei Hauptwerke der gotischen Skulptur
College
State Academy of Design Karlsruhe
Course
Werke und Epochen der Kunst in Europa I
Author
Year
2000
Pages
18
Catalog Number
V97518
ISBN (eBook)
9783638959704
File size
431 KB
Language
German
Keywords
Hauptwerke, Skulptur, Werke, Epochen, Kunst, Europa
Quote paper
Nina (Author), 2000, Die drei Hauptwerke der gotischen Skulptur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97518

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