Das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. auf dem Stuttgarter Karlsplatz


Trabajo de Seminario, 1999

11 Páginas, Calificación: 1


Extracto


Autor: Florian Janner

Das Reiterdenkmal Kaiser Wilhelms I. auf dem Stuttgarter Karlsplatz

Einleitung

Am 9.3.1888 stirbt Wilhelm I., König von Preußen und Kaiser von Deutschland, im Alter von 90 Jahren. Kurz nach der Jahrhundertwende stehen in ganz Deutschland bereits rund 400 Denkmäler1 zu Ehren des Verstorbenen. Auch in Stuttgart, damals Landeshauptstadt des zum deutschen Kaiserreich gehörenden Königreiches Württemberg, wird am 1.10.1898 ein solches Kaiserdenkmal enthüllt.

Das Denkmalkomitee

Schon zwei Wochen nach dem Tod des Kaisers kommt am 21.3.1888 ein landesweites privates Komitee in Stuttgart zusammen, das sich die Errichtung eines zentralen württembergischen Landesdenkmals zum Ziel setzt. Den Vorsitz hat zunächst der Fabrikant und national-liberale Reichstagsabgeordnete Gustav Siegle, später der württembergische Innenminister Pischek inne. Die Ehrenpräsidentschaft des Komitees übernimmt Kronprinz Wilhelm II., der spätere König Württembergs. Noch vor den ersten Entwürfen steht bereits die Form des Denkmals fest: Man ist sich von Anfang an einig, das Gedächtnis an den Kaiser nur in einem Reiterdenkmal, das in der römischen Kaiserzeit einzig dem Imperator erlaubt war, angemessen wahren zu können. Auch über den zukünftigen Standort ist man sich schon früh einig: zwar ist zeitweilig geplant, ein ,,in entsprechenden Dimensionen sich erhebendes Denkmal auf einer der Stuttgart umrahmenden Anhöhen zu errichten"2, aus Geldmangel verfällt man jedoch auf Vorschlag des Prinzen auf den Karlsplatz, der eben nicht nach solch monumentalen Dimensionen verlangt. Außerdem handelt es sich um den "schönsten Platze, der zur Verfügung stand"3, obwohl er eigentlich schon besetzt ist: seit 1841 steht dort in der Mitte des Platzes ein Springbrunnen. Dementsprechend umfassen die Vorgaben einer ersten Ausschreibung im Jahre1891 - die sich ausschließlich an deutsche sowie "deutsch- österreichische" Künstler wendet - bereits den zukünftigen Standort sowie den Typ "Reiterstandbild". Zwar werden drei der 26 eingereichten Entwürfe prämiert, jedoch ist man sich einig, daß keiner sich wirklich zur Ausführung eigne. 1894 findet deshalb auf Initiative und Kosten des inzwischen zum württembergischen König gekrönten Wilhelm II eine erneute Ausschreibung statt, die sich nunmehr nur noch an 20 ausgewählte Künstler wendet4. Bereits aus der Besetzung des Denkmalkomitees wird deutlich, daß sich Staat und Hof von Anfang an massiv in die Planungen eingemischt haben. Das Königreich Württemberg, das sich bis zuletzt gegen die Integration in das neue Reich gesträubt hatte und dann auch seine eigene Post, Telegraphie und Eisenbahn behielt5, möchte nun durch die Errichtung eines Kaiser- Wilhelm-Denkmals in der Mitte der Landeshauptstadt seine Zugehörigkeit zum Reich bekunden - bezeichnenderweise wird das Denkmal in Richtung des Neuen Schlosses blicken. So werden denn auch die wesentlichen Entscheidungen letztlich von staatlichen Instanzen diktiert.

Die Künstler

Letztendlich entscheidet man sich für den Entwurf von Prof. Wilhelm Rümann (1850-1906) und Prof. Friedrich Ritter von Thiersch (1852-1921), beide München. Der Bildhauer Rümann schuf bereits 1895 ein Denkmal Wilhelms I. für Heilbronn sowie, nach dem Stuttgarter Standbild, noch zwei weitere Reiterdenkmale des Kaisers für Chemnitz (1899) und Nürnberg (1905)6. Von ihm stammt die eigentliche Reiterstatue. Thiersch war Architekt und entwarf den Unterbau. Gemeinsam mit Rümann führte er noch andere Aufträge aus. Beide erhalten bei der feierlichen Enthüllung des Reiterstandbildes das ,,Ehrenkreuz des Ordens der württembergischen Krone" vom württembergischen König; der Stuttgarter Gießer Paul Stotz bekommt immerhin das ,,Ritterkreuz des Ordens der württembergischen Krone"7. Von 200 000 Mark Kosten gehen 150 000 Mark als Honorar an Rümann und Thiersch.

Das Denkmal

Am 1.10.1898 wird das in der Mitte des Karlsplatzes gelegene, in Richtung des Neuen Schloßes blickende Reiterstandbild enthüllt. Die bereits früher angelegten Rasenflächen mit auf die Mitte hinführenden Diagonalwegen bleiben zunächst bestehen. Das insgesamt 10,45m hohe Reiterdenkmal gliedert sich in die Bestandteile Unterbau, Sockel und Reiterstandbild. Den Stufenunterbau bildet eine weit ausladende, 1,20m hohe rechteckige Terrasse aus Granit, die an ihrer Frontseite sowie an ihrer linken und rechten Längsseite mit siebenfach abgestuften Freitreppen versehen ist. Die frontale gewölbte Freitreppe wird von zwei ruhenden Löwen aus Granit flankiert. Als Sinnbilder stehen sie traditionell für Macht, Mut und Kraft. Sie wirken zum einen wie den Kaiser beschützende Thronwächter, zum anderen stehen sie als Symbole für dem Dargestellten zugeschriebene ideale Eigenschaften. Die rückwärtigen Ecken des Unterbaus sind mit Obelisken aus Granit besetzt, einem Bauelement ägyptischen Ursprungs, daß sich in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts als Bauornament und Zierform besonderer Beliebtheit erfreut8. Sie tragen vergoldete, Anfang der 1980er Jahre erneuerte Inschriften, die sich vor allem auf die Schauplätze der wichtigsten, für die deutschen Staaten in der Mehrzahl siegreichen Schlachten des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 / 71 beziehen.

Exkurs: Wilhelm I., der Deutsch-Französische Krieg und die Reichseinigung

Indem Kaiser Franz II. 1806 die römisch-deutsche Kaiserwürde niederlegt, hört das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nach über 800 Jahren fast ununterbrochenen Bestehens auf zu existieren. Das Kaiserreich, ohnehin nur mehr oder weniger lockerer Verbund der einzelnen deutschen Territorien, zerfällt nun endgültig in viele kleine Einzelstaaten. Von diesem Moment an werden an die mythische Vorstellung der Reichseinigung richtiggehende Heilserwartungen geknüpft. Als erster Schritt in Richtung einer Einigung entsteht nach dem deutschen Krieg von 1866 der Norddeutsche Bund, dem unter preußischer Führung 17 norddeutsche Staaten angehören. Die süddeutschen Staaten, also Baden, Württemberg und Bayern, erleiden in diesem Krieg eine Niederlage und gehen nach dem Prager Friedensschluß ein Schutz- und Trutzbündnis mit dem siegreichen Preußen ein: man verpflichtet sich, die eigenen Truppen, die gerade noch gegen Preußen gekämpft hatten, im Kriegsfall dem Oberbefehl des preußischen Königs, also Wilhelm I., dem späteren deutschen Kaiser, zu unterstellen9. Preußen und Wilhelm I. spielen so von Anfang an eine entscheidende Rolle bei der deutschen Einigung. Die französische Kriegserklärung vom 19. Juli 1870 bedeutet den Bündnisfall für Baden, Württemberg und Bayern. In allen Teilen Deutschlands setzt eine Stimmung patriotischer Begeisterung ein, die praktisch alle politischen Gruppen und Bevölkerungsschichten erfaßt 10. Allenthalben werden heftige nationale Emotionen frei - man wähnt die ersehnte Reichseinigung bereits kurz nach Ausbruch des Krieges in greifbarer Nähe11. Wilhelm I. ist dabei der Hoffnungsträger: man vertraut auf die "erfahrene Führung des greisen Heldenkönigs, des deutschen Feldherren"12. Noch während des Krieges, ein Sieg der deutschen Truppen zeichnet sich bereits deutlich ab, wird am 18. Januar 1871 das deutsche Kaiserreich gegründet und Wilhelm I. zum Kaiser gekrönt - er ist ab sofort preußischer König und deutscher Kaiser in Personalunion. Im Krieg von 1870/71 wird so tatsächlich die mythische Vorstellung der Reichseinigung wahr: das neue deutsche Reich geht gewissermaßen aus dem gemeinsamen Kampf gegen den gemeinsamen Feind, den sogenannten ,,Erbfeind" Frankreich hervor.

Nur 3 der 34 auf den Obelisken angegebenen Daten beziehen sich nicht auf diesen Krieg, sondern auf entscheidende politische Ereignisse auf dem Weg zur Entstehung des Deutschen Reiches: die Kaiserkrönung, die Eröffnung des ersten deutschen Reichstages sowie die Verabschiedung der Reichsverfassung. Die Reihe der wiedergegebenen Daten wird auf der von der Vorderseite des Denkmals gesehen rechten Seite des linken Obelisken durch die französische Kriegserklärung vom 19. Juli 1870 eröffnet und schließt auf der direkt gegenüberliegenden linken Seite des rechten Obelisken mit dem Frankfurter Friede vom 10. Mai 1871. So ist die Reichsgründung eingerahmt vom Krieg von 1870/71, was das Hervorgehen des Reiches aus diesem unterstreicht. Das preußisch-deutsche Soldatentum erscheint als konstituierendes Prinzip des geeinten Reiches. Der Krieg und das Sterben, dem edlen Ziel der Reichseinigung dienend, werden so als scheinbar unausweichlich, ja sogar notwendig, auf jeden Fall jedoch als gerechtfertigt dargestellt. Dieser Aspekt hat Vorrang vor dem Gedenken an die deutschen Gefallenen, das hier ohnehin nur halbherzig betrieben wird: einige für die Deutschen sehr verlustreiche Schlachten werden auf den Obelisken gar nicht erwähnt. So fehlen die Begegnungen bei Toul am 16. und 23.8.187013, Coulmiers am 9.11.187014, Le Bourget am 28.10.187015 sowie bei Meung am 7.12.187016. In zwei Fällen werden jedoch auch von den deutschen Truppen verlorene Schlachten erwähnt, nämlich der gescheiterte deutsche Angriff auf Gravelotte am 18.8.187017 sowie die Zurückeroberung des von deutschen Truppen besetzten Noisseville durch Frankreich am 31.8.187018.

Auf dem Unterbau steht der 4,35m hohe Granitsockel, der an seiner Stirnseite ein Relief des Reichsadlers trägt sowie darunter eine Plakette mit der Aufschrift: "Kaiser Wilhelm I. Deutscher Kaiser 1871-1888". Der hohe, mehrgeschossige Unterbau, hier aus Terrasse und Sockel, ist charakteristisch für einen großen Teil der Reiterstandbilder des 19.Jahrhunderts19. Er läßt das Ganze äußerst monumental erscheinen.

Über den Sockel wiederum erhebt sich das eigentliche, 4,90m hohe Reiterstandbild aus Bronze, welches ursprünglich vergoldet war. Nach Absicht der Künstler sollten eigentlich auch die anderen plastischen Arbeiten an diesem Denkmal, der Reichsadler und die beiden Löwen, in Bronze gegossen werden20. Die langsam und ruhig ausschreitende Haltung des Pferdes entspricht dem Schulschritt oder auch versammelten Schritt der Hohen Schule. Die Wiedergabe des Pferdes, das eher steht als daß es geht, ist ,,wegen der ungewohnten Gangart seinerzeit scharf kritisiert worden"21.

Kaiser Wilhelm I. ist mit Uniform und Pickelhelm in seiner Funktion als Oberbefehlshaber der deutschen Truppen dargestellt. Diese Darstellung des Herrschers als Soldatenkaiser entspricht der seit jeher mit dem Reiterstandbild verbundenen Idee von militärischer und politischer Macht22. Er trägt jedoch keine prunkvolle Uniform sondern nur einen einfachen, nach hinten geschlagenen Soldatenmantel. Auffallend ist auch die Darstellung des Reiters nicht etwa in der Pose des Kämpfenden und Siegenden auf sprengendem Pferd. Das Reiterdenkmal zeigt Wilhelm I. zwar als Feldherrn und Herrscher, nicht jedoch als stolzen Helden oder Eroberer: seine Linke hält locker die Zügel des ruhig schreitenden Pferdes, während die Rechte auf seiner Hüfte ruht. Auch die Gesichtszüge sind eher mild und ruhig. Durch die Darstellung des Kaisers als Feldherr wird erneut der Zusammenhang zwischen Krieg und Reichseinigung hergestellt. Kaiser Wilhelm I. dient dabei als Integrationsfigur und wird als der "Reichseiniger" gefeiert: der siegreiche und deswegen zum Kaiser proklamierte Feldherr steht dabei sowohl für den von ihm gewonnenen Krieg als auch für das daraus hervorgegangene Reich. Die ruhige und ausgeglichene Darstellung entspricht dabei zunächst einmal seinem hohen Alter bei Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges. Wilhelm I., geboren am 22.3.1797, ist bei Kriegsausbruch bereits 73 Jahre alt. Er ist als König Preußens Bundesfeldherr des Norddeutschen Bundes und nun eben auch Oberbefehlshaber der süddeutschen Truppen. Seine Aktivitäten während des Krieges beschränken sich darauf, in seiner herrschaftlichen Kutsche den Kriegsschauplätzen hinterherzufahren. Schlachten beobachtet er aus der Ferne, inspiziert anschließend die Schlachtfelder und besucht die Verwundeten23. Die Art der Darstellung suggeriert aber auch Vernunft und Weisheit, Stabilität und Sicherheit. Dieser Eindruck der Stabilität und Geschlossenheit, des In-sich- Ruhens, wird unterstützt durch die ruhige Haltung des Pferdes und die ruhenden Löwen, weiterhin durch den weit ausladenden, massiv wirkenden Unterbau, der dem Werk eine breite und stabile Basis gibt. Das statische Moment überwiegt so gegenüber der Dynamik, die durch die Dominanz der Längsachse, entlang derer Pferd und Reiter in Richtung des Neuen Schloßes ausgerichtet sind, entsteht.

Die monumentale aber ruhige Darstellungsweise suggeriert Stabilität und Dauer - das Denkmal feiert so nicht nur die neu gewonnene Einheit und Stabilität Deutschlands, sondern will auch deren dauerhafte Bewahrung. Die Ordnung des neuen Reiches soll als auf Dauer gültig festgeschrieben werden Nicht zuletzt dient das Denkmal so als Mahnung für nachkommende Generationen, an den alten Werten und Tugenden festzuhalten. Indem der Krieg von 1870 /71 in diese Gesamtaussage des Denkmals eingebunden ist, wird er reduziert auf seine reichseinigende Funktion - das preußisch-deutsche Soldatentum wird als zu bewahrender Wert beschworen und soll in die Zukunft gerettet werden.

Ganze zweimal wird der Dargestellte in den Inschriften des Denkmals namentlich erwähnt, und wenn, dann stets in Verbindung mit seinem Kaisertitel: auf der Plakette an der Stirnseite des Sockels ("Kaiser Wilhelm I. Deutscher Kaiser 1871-1888") und auf dem rechten Obelisken ("Wilhelm I. Deutscher Kaiser 18. Jan.") - bezeichnenderweise findet sich nirgends ein Hinweis auf Geburts- und Todesdatum. Einzig relevant sind hier seine Funktionen zum einen als deutscher Kaiser, zum anderen als Bundesfeldherr, worauf die Darstellung in Uniform und die Daten des Deutsch-Französischen Krieges hinweisen. Wilhelm I. ist zum Symbol geworden und wird als solches dargestellt: er steht für das geeinte Reich, das aus dem von ihm gewonnenen Krieg hervorgegangen ist. Deshalb interessiert hier weder, daß er gleichzeitig König von Preußen ist, noch daß er erst nach langem Zögern der Krönung zum Kaiser zustimmt, da er sich weniger als Deutscher sondern vielmehr als Preuße sieht und deshalb eigentlich gar nicht deutscher Kaiser werden will24. Auch seine tatsächlich begrenzte Macht ist hier nicht von Interesse. Die Reichsverfassung vom 16.4.1871 definiert das Reich als konstitutionell-monarchischen Bund aus 22 monarchisch verfaßten Einzelstaaten und drei republikanisch verfaßten Freien Städten. Staatsrechtlich gesehen ist Wilhelm I. nicht uneingeschränkter Herrscher des deutschen Reiches - dessen Souverän bildet die Gesamtheit der Bundesfürsten und der Senate der Freien Städte. Der Kaiser ist also lediglich eine Art Bundespräsident25: er vertritt das Kaiserreich völkerrechtlich, hat den Oberbefehl über die Streitkräfte des Bundes und kann Frieden schließen beziehungsweise Krieg erklären26. Das Denkmal wird so weniger seiner tatsächlichen Rolle in der Politik gerecht als vielmehr den im Volksbewußtsein mit ihm verbundenen mythischen Vorstellungen vom Reichseiniger und greisen Heldenkaiser.

Versucht man, das Reiterstandbild Wilhelms I. inhaltlich einzuordnen, so wird keine einzelne Kategorie genügen. Es stellt vielmehr eine Mischung dar: es ist ein Geschichtsdenkmal, denn es erinnert an eine Person und Ereignisse von historischer Bedeutung27, in diesem Fall also Kaiser Wilhelm I. und die Entstehung des deutschen Kaiserreiches. Damit eng zusammenhängend ist es auch ein Siegesdenkmal28, denn es soll an den Sieg im Deutsch- Französischen Krieg erinnern. Und letztendlich ist es auch ein Nationaldenkmal, denn es soll Nationalbewußtsein dokumentieren29.

Der Standort Karlsplatz

1393 wird erstmals der an Stelle des heutigen Karlsplatzes gelegene, nicht öffentliche ,,Garten der Herzogin" erwähnt. Dieser an das alte Schloß angegliederte und mit einer Mauer umfriedete Garten war für die Frau des jeweils regierenden Fürsten bestimmt und wurde ursprünglich für die Herzogin Antonia Visconti, Gattin des Grafen Eberhard des Milden von Württemberg30 eingerichtet. In der Mitte der Anlage, also etwa an Stelle des heutigen Denkmals Wilhelms I., entsteht 1556 ein Gartenhaus. Indem Herzog Karl Eugen im Jahre 1778 seine Residenz von Ludwigsburg nach Stuttgart zurückverlegt, verhilft er der Stadt so wieder zu ihrer ehemaligen Bedeutung. Er läßt den einer Residenzstadt schlecht zu Gesicht stehenden, inzwischen völlig verwilderten Garten der Herzogin entfernen, den Platz planieren und zu einem öffentlichen Spazierplatz umgestalten. Der mit symmetrischen Wegen angelegte Platz ist mit Rasenflächen, einer Kastanienpflanzung31, Ruhebänken, Blumenbeeten sowie einem Springbrunnen32 versehen. 1794, ein Jahr nach Herzog Karls Tod, wird der Platz nach ihm ,,Karlsplatz" genannt. Als Dank für die Wiedergenesung des Herzogs Friedrich Eugen von einer schweren Krankheit wird der Platz im Jahre 1795 mit einem 10m hohen Marmorobelisken anstelle des Springbrunnens geschmückt, der sogenannten ,,Pyramide"33. Der Karlsplatz wird so zum ersten mal Denkmalsplatz. Wegen ständiger Beschädigungen muß die ,,Pyramide" 1807 abgebrochen werden - sie wird auf den Schloßplatz verlegt und durch ein Wasserbecken in der Platzmitte ersetzt34, welches wiederum im Jahre 1841 durch einen Springbrunnen in Form eines wasserspeienden Jongleurs ersetzt wird. Außerdem kommen (echte) Seerosen und Fische hinzu35.

Die Anlage des Karlsplatzes war so von Anfang an auf seine Mitte ausgerichtet. So wird auch das Kaiser-Wilhelm-Denkmal 1898 in der Platzmitte errichtet, wofür der 1841 installierte Springbrunnen weichen muß. Zunächst bleibt auch der Rasen mit den auf die Mitte hinführenden Diagonalwegen bestehen. Da diese inzwischen fehlen, setzt das Denkmal in der Mitte der Anlage heute den entscheidenden Akzent. Es betont die Mitte des Platzes, der ohne das Reiterstandbild völlig ungegliedert wäre. Durch den weit ausladenden, massiven Unterbau wirkt das Werk als Ganzes jedoch zu groß für den Karlsplatz. Da es sehr viel Raum einnimmt und sowohl die freie Sicht über den Platz blockiert als auch das freie Überqueren desselben verhindert, scheint es als Hindernis im Weg zu stehen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß das Denkmal mit seinen drei Freitreppen auf Begehbarkeit angelegt ist.

Das Gestaltungsmerkmal der auf die Mitte gerichteten Anlage hat der Karlsplatz mit dem auf der direkt gegenüberliegenden Seite des Alten Schlosses gelegenen Schillerplatz gemeinsam: dort betont das 1839 errichtete Schillerdenkmal die Platzmitte. Es sind jedoch nicht nur platzgestalterische Übereinstimmungen, die die beiden Plätze miteinander verbinden. Otto Güntter, Mitbegründer des Marbacher Schillerarchivs, betont in seiner Festrede zur Enthüllung des Reiterdenkmals den symbolischen Zusammenhang der beiden Denkmäler: "So trifft es sich gut, daß die beiden Denkmäler, die in so schönem Einklang stehen und sich so schön ergänzen, auch so nahe beinander sich erheben, das Denkmal des deutschen Gedankens und das Denkmal der deutschen That, das Standbild des Herrschers in der Welt der Ideen, des sinnend in sich versunkenen Dichters, und das Standbild des Kaisers und Feldherrn, der auf machtvoll vorwärts schreitendem Roß kraftbewußt und festen Auges hinausblickt in die harte Wirklichkeit der Dinge, in der er zu schaffen berufen ist"36. Der Reichseiniger Wilhelm I. wird hier zum Messias, zum prophezeiten Erlöser seines Volkes hochstilisiert, was im Denkmal ja durchaus auch durch den dargestellten engen Zusammenhang von Krieg und Reichseinigung angelegt ist.

Der Karlsplatz seit Errichtung des Kaiser Wilhelm I.-Denkmals

Der Rasen mit den auf die Mitte hinführenden Diagonalwegen weicht 1928 einer Platzbefestigung, um auf dem Karlsplatz den Großmarkt für Obst und Südfrüchte abhalten zu können37. Der Karlsplatz wird so für die nächsten dreissig Jahre zum Mittelpunkt des Stuttgarter Marktwesens. Schon 1928 wird dem Denkmal "nach den Plänen über die weitere Ausgestaltung des Karlsplatzes" "keine bleibende Statt"38 vorausgesagt. Und bis heute wird immer wieder aus den verschiedensten Beweggründen mit dem Gedanken gespielt, das Denkmal zu verlegen: OB Klett möchte 1945 das Denkmal versetzen und statt dessen einen ,,Freiheitsplatz" schaffen als Gedenkstätte für die hiesigen Freiheitskämpfer aller Zeiten. Die Eröffnung der Großmarktanlage im Jahre 1957 bringt für den Karlsplatz die Befreiung vom Stuttgarter Marktwesen. Allerdings bemächtigt sich schon bald der ,,ruhende Verkehr" des Platzes39, der so für einige Zeit zum halblegalen Parkplatz mit dem Kaiser als Parkplatzwächter wird. Mit der Eröffnung der Tiefgarage an der Konrad - Adenauer - Straße 1978 können schließlich auch die parkenden Autos vom Karlsplatz verbannt werden40. Der Platz um das Denkmal herum soll 1980 in einen städtischen Garten nach historischem Vorbild zurückverwandelt werden. Mit Rasenflächen, Büschen und zum Denkmal hinführenden Diagonalwegen41 soll der Zustand des Platzes zur Zeit der Enthüllung des Denkmals wiederhergestellt werden. Da es jedoch als wichtiger erachtet wird, einen Platz für Veranstaltungen zur Verfügung zu haben, wird der Plan letztendlich verworfen - der Karlsplatz gehört mitsamt dem kaiserlichen Denkmal dem Land und ist vom städtischen Betrieb ,,Versorgungsmärkte und Marktveranstaltungen (VMS)" auf unbestimmte Zeit für Veranstaltungen gepachtet. Letztendlich wird an den Schmalseiten des Platzes je eine weitere Baumreihe gepflanzt. Von außerhalb des Platzes ist so nur noch der unterste Teil des Denkmalunterbaus sichtbar, und auch das nur bei genauem Hinsehen.

Immer wieder, zuletzt 1986 und 1998, wird eine Versetzung des Denkmals zum Beispiel in den Innenhof der ehemaligen Rotebühlkaserne gefordert42, mal aus wirtschaftlichen, mal aus politischen Gründen. Das Reiterstandbild befindet sich jedoch noch heute an seinem ursprünglichen Standort. Entgegen der ursprünglichen Absicht, durch die Errichtung des Denkmals die Erfahrung von Dauer zu erzeugen und eine als einzig gültig angesehene Ordnung zu verewigen, erscheint das Kaiser-Wilhelm-Denkmal heute als ein etwas zu groß geratenes Relikt aus längst vergangener Zeit, deren Ordnung und Wertesystem schon lange überwunden sind.

Als Erinnerung an die eigene militaristische Vergangenheit wird das Kaiser-Wilhelm- Denkmal heute vielfach als unangenehm und unzeitgemäß empfunden.

Literatur

Chronik der Haupt- und Residenzstadt Stuttgart 1898, Stuttgart 1899.

Fontane, Theodor: Der Krieg gegen Frankreich 1870-1871, Faksimile München 1971 (2 Bd.).

Harder, Hans-Joachim: Militärgeschichtliches Handbuch Baden-Württemberg, Stuttgart 1987.

Herre, Franz: Kaiser Wilhelm, der letzte Preuße, Köln 1980.

Kolb, Eberhard: Der Weg aus dem Krieg, Bismarcks Politik im Krieg und die Friedensanbahnung 1870 / 71, München 1990.

Schmoll, Friedemann: Verewigte Nation, Studien zur Erinnerungskultur von Reich und Ein- zelstaat im württembergischen Denkmalkult des 19.Jahrhunderts, Stuttgart 1995.

Stephan, Regina: Altes und Neues SchloßStuttgart mit ihrer Umgebung, Heidelberg 1998.

[...]


1 Friedemann Schmoll, Verewigte Nation, Stuttgart 1995, S.64.

2 Prinz Wilhelm in einem Brief an seinen Vater vom 23.11.1888, zitiert nach Schmoll, S.294.

3 Chronik der Haupt- und Residenzstadt Stuttgart 1898, Stuttgart 1899, S.106.

4 Schmoll, S.296.

5 Herre, S. 407.

6 "Rümann, Wilhelm" in Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler, Leipzig 1935.

7 Schwäbische Kronik Nr.229 vom 1. Okt. 1898, S.2052.

8 "Obelisk" in The Dictionary of Art, New York 1996.

9 Hans-Joachim Harder, Militärgeschichtliches Handbuch Baden-Württemberg, Stuttgart 1987, S.70.

10 Eberhard Kolb, Der Weg aus dem Krieg, München 1990, S.115.

11 Der Jurist Rudolf von Jhering am 5.8.1870 als eine Stimme von vielen: "Das ist die nahe Wiedergeburt der deutschen Nation, und alles, was sie im Laufe von einem Jahrtausend gesündigt hat, macht sie in wenig Wochen wieder gut, sie erhebt sich jetzt als einige Nation..." zitiert bei Kolb, S.114.

12 Der Norddeutsche Reichstag in einer Adresse an Wilhelm I., zitiert bei Franz Herre, Kaiser Wilhelm I., der letzte Preuße, Köln 1980 S.385.

13 Theodor Fontane, Der Krieg gegen Frankreich 1870-1871, Faksimile München 1971 (2 Bd.), Bd.1, S.694-700.

14 Fontane, Bd.2, S.448-454.

15 ebd., S.276-282.

16 ebd., S.518-521.

17 Fontane, Bd.1, S.329-332.

18 ebd., S.765-768.

19 "Reiterstandbild" in Lexikon der Kunst, Berlin 1981.

20 Schmoll, S.297.

21 Schwäbischer Merkur Nr.192 vom 28.4.1928.

22 "Reiterstandbild" in Lexikon der Kunst.

23 Herre, S.389.

24 Herre, S.405.

25 ebd., S.423.

26 "Deutsches Kaiserreich (1871-1918)" in Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie. CD-ROM. Microsoft, 1993-97.

27 R. Huber, Hrsg., Glossarium Artis, Bd.8, München 1994², S.24.

28 ebd., S.25.

29 ebd., S.24.

30 "Lustgarten und Autoabstellplatz" in Amtsblatt der Stadt Stuttgart vom 15.1.1981.

31 Regina Stephan, Altes und Neues SchloßStuttgart mit ihrer Umgebung, Heidelberg 1998, S.63.

32 "Der Karlsplatz im Wandel der Zeiten" in Schwäbischer Merkur Nr.192 vom 25. April 1928.

33 ebd.

34 "Aus der Geschichte des Karlsplatzes" in Neues Tagblatt Nr.392 vom 20.Aug. 1928

35 "Der Karlsplatz in Stuttgart" in Schwäbischer Merkur Nr.192 vom 25. April 1928.

36 Schwäbische Kronik Nr.229 vom 1. Okt. 1898, S.2052.

37 "Aus der Geschichte des Karlsplatzes" in Amtsblatt der Stadt Stuttgart vom 10. Dez. 1959.

38 "Der Karlsplatz im Wandel der Zeiten" in Schwäbischer Merkur Nr.192 vom 25. April 1928.

39 "Aus der Geschichte des Karlsplatzes" in Amtsblatt der Stadt Stuttgart vom 10. Dez. 1959.

40 "Mit einem Gartenhäusle hat alles angefangen" in Stuttgarter Nachrichten vom 23. Feb. 1980.

41 "Grundstückstausch besiegelt" in Stuttgarter Zeitung vom 15. Feb. 1980.

42 "Zum Jubiläum: Kaiser im Gerede" in Stuttgarter Zeitung vom 2. Juli 1998.

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Detalles

Título
Das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. auf dem Stuttgarter Karlsplatz
Calificación
1
Autor
Año
1999
Páginas
11
No. de catálogo
V97564
ISBN (Ebook)
9783638960168
Tamaño de fichero
435 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Reiterstandbild, Kaiser, Wilhelms, Stuttgarter, Karlsplatz
Citar trabajo
Florian Janner (Autor), 1999, Das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. auf dem Stuttgarter Karlsplatz, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97564

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