Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Forschungsfrage
1.3 Gangder Untersuchung
2. DIGITALISIERUNG
2.1 Chancenfür Arbeitnehmer
2.2 Risiken für Arbeitnehmer
3. ARBEITSZEITMODELLE
3.1 Vertrauensarbeitszeit
3.2 Telearbeit
3.3 Gleitzeit
4. RECHTLICHE GRUNDLAGEN
4.1 Gegenwärtiger Rechtsrahmen
4.2 Einordnung ,freiwilliger Arbeit'(,Freizeitaktivitäten')
4.3 Einordnung ,ständiger Erreichbarkeit'
4.4 Einordnung der Vertrauensarbeitszeitnach dem EuGH
5. REFORMSCHRITTE
5.1. Ruhezeiten
5.2 Höchstarbeitszeit
5.3 Aufzeichnungspflichten
6. FAZITUNDAUSBLICK
LITERATURVERZEICHNIS
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Chancen der Digitalisierungfür Arbeitnehmer
Abbildung 2: Risiken der Digitalisierungfür Arbeitnehmer
Abbildung 3: Starre Formvorschriften derArbeitszeitgestaltung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
Die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben gewinnt durch gesellschaftliche, demografische und strukturelle Veränderungen zunehmend an Bedeutung; der Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance wächst (vgl. Winicker, 2020, S. 249 ff.). Zudem entstehen durch die Digitalisierung neue Arbeitsformen, bei denen Zeit und Ort der Tätigkeit flexibel zu gestalten sind (vgl. Bundesanstaltfür Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2017, S. 3). Mobile Endgeräte, Breitband-Internet und Netzwerktechnologien machen die Arbeit in vielen Tätigkeitsbereichenjederzeit und ortsunabhängig möglich (vgl. Bundesmi- nisteriumfürArbeitundSoziales, 2017, S. 74; vgl. Winicker, 2020, S. 251).
Produktions- und Prozessabläufe laufen über kürzere Zyklen ab und erfordern sowohl eine funktionsfähige Personaleinsatzplanung als auch eine flexible Organisationsstruktur (vgl. Heilert, 2014, S. 16). Die Flexibilisierungsinteressen von Unternehmen und Beschäftigten sind dabei nicht immer identisch und können durch gegenläufige Entwicklungen zu einem Spannungsfeld der betrieblichen und individuellen Zeitziele führen (vgl. Winicker et al., 2018, S. 251;vgl. Bundesministeriumfür Arbeit und Soziales, 2017, S. 78 f.). Widersprüche zeigen sich zudem zwischen einer verbesserten Work-Life-Balance und Chancen wie Zeitsouveränität von Arbeitnehmern auf der einen Seite und den negativen gesundheitlichen Folgen einer höheren Flexibilität hinsichtlich Ort und Zeit auf der anderen Seite (vgl. Bundesanstaltfür Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2017, S. 5). Ohne Zielvorgaben kann dies zu Belastungen führen, wenn Beschäftigte über das vertraglich festgelegte Stundenmaß hinaus tätig sind. Durch die technische Entwicklung und die damit entstandene Möglichkeit über Smartphone oder Tablet zu arbeiten, wird die Entgrenzung der Arbeit zusätzlich gefördert. Folgen wie steigender Arbeits- und Leistungsdruck, lange Arbeitszeiten und eine erweiterte zeitliche Verfügbarkeit der Beschäftigten können entstehen (vgl. Winicker etal., 2018, S. 251).
Im Sinne des Arbeitnehmerschutzes gibt es klare Regelungen über den Zeitrahmen von Arbeit und Ruhepausen. Diese Regelungen schränkenjedoch gleichzeitig die Flexibilität der Arbeitszeitgestaltung ein, sodass die im Rahmen von New Work übliche Selbstbestimmung der Arbeitszeit nicht immer mit dem geltenden Recht vereinbar oder ausdrücklich geregelt ist (vgl. Redmann/Wintermann, 2020, S. 18).
1.2 Zielsetzung und Forschungsfrage
Zielsetzung dieser Arbeit ist es, herauszufinden, welche Reformschritte im Arbeitsrecht gesetzt werden müssen, um die Chancen der Digitalisierung für Arbeitnehmer1 zu nutzen, deren Gesundheit jedoch weiterhin zu schützen. Der inhaltliche Fokus liegt darauf, zu zeigen, welche arbeitsrechtlichen Probleme durch das derzeit geltende Recht in Zeiten der Digitalisierung entstehen, und entsprechende mögliche Reformschritte daraus abzuleiten.
Basierend auf der beschriebenen Problemstellung und der Zielsetzung behandelt diese wissenschaftliche Arbeit folgende Forschungsfrage:
Inwieweit entsprechen die bisherigen Ziele und Instrumente der Arbeitsregulierung den neuen Anforderungen der Digitalisierung, und bedarf es einer Modifizierung der zugrundeliegenden arbeitsrechtlichen Vorschriften?
Als Nicht-Ziel dieser Arbeit wird definiert, dass nicht herausgearbeitet werden soll, wie sich die Länge und die Lage der Arbeitszeit verändert. Diese Untersuchung widmet sich ausschließlich der Modifizierung der in diesem Zusammenhang zugrundeliegenden arbeitsrechtlichen Vorschriften. Es gibt bereits verschiedene Forschungen und Studien zu dem Thema, dass Beschäftigte über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus tätig sind.
1.3 Gang der Untersuchung
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Teile:
In der Einleitung (Kapitel 1) wurden zunächst die aktuelle Situation und der Aktualitätsbezug der Arbeit beschrieben. Anschließend wurden die Forschungsfrage und die Zielsetzung erläutert.
Der zweite Abschnitt umfasst den theoretischen Teil (Kapitel 2-4) auf Basis der Erkenntnisse aus der gesichteten Fachliteratur. In Kapitel 2 werden die Chancen und Risiken der Digitalisierung für Arbeitnehmer dargestellt und in Kapitel 3 die Arbeitszeitmodelle Vertrauensarbeitszeit, Telearbeit und Gleitzeit erläutert. Aufgrund der vielen existierenden Modelle findet eine Beschränkung auf die eben genannten statt, da diese zu den flexiblen Arbeitszeitmodellen gehören. Anschließend wird in Kapitel 4 auf die rechtlichen Grundlagen der Arbeitszeit aus Arbeitnehmersicht eingegangen.
Im darauffolgenden Abschnitt (Kapitel 5) werden die potenziellen Reformschritte aus den in Kapitel 4 herausgearbeiteten Problemen abgeleitet.
Im Fazit und Ausblick (Kapitel 6) wird zunächst die Forschungsfrage beantwortet. Anschließend werden Schlussfolgerungen gezogen und es wird ein Ausblick bezüglich zukünftiger Entwicklungen und möglicher weiterführender Forschungsarbeiten zur Thematik gegeben.
2. Digitalisierung
„Digitalisierung bedeutet eine umfassende Transformation von Unternehmen.“ (Helfer- ich/Pleil, 2019, S. 92) Im 20. Jahrhundert wurde die Informationstechnologie für die Automatisierung und Optimierung genutzt. Zudem wurden Computernetzwerke geschaffen und Softwareprodukte für Büro und Planung von Ressourcen und Produktion eingeführt. Der Begriff Digitalisierung wird seit dem 21. Jahrhundert mit „disruptiven Technologien, innovativen Geschäftsmodellen, Individualisierung und Flexibilität verknüpft“ (Helfer- ich/Pleil, 2019, S. 91).
Digitale Werkzeuge wie Smartphones, Computer und das World Wide Web ermöglichen in zahlreichen Berufen die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort (vgl. Waltersbacher etal., 2018, S. 78).
2.1 ChancenfürArbeitnehmer
Einerseits besteht durch die Digitalisierung die Möglichkeit, dass Arbeitnehmer sich die Arbeitszeit nach persönlichen Belangen selbst einteilen, auch außerhalb der bestehenden Betriebszeiten, um sich innerhalb der Betriebszeiten um das Familienleben oder die Pflege von Angehörigen zu kümmern (vgl. Deutscher Bundestag, 2018, S. 8). Diese Art einer flexibilisierten Arbeitszeitgestaltung eignet sich nicht, wenn die Aufnahme der Arbeitstätigkeit zu konkreten Zeiten notwendig ist, um die Arbeitsergebnisse zu erfüllen (vgl. Zerres, 2017, S. 5).
Durch die Wahl des aufgabenbezogenen Zeitpunktes ist ein positiver Effekt für die Arbeitsleistung zu erwarten (vgl. Apt et. al, 2016, S. 26). Diese wird nicht mehr am starren Pflichterfolg, sondern nunmehr am Projekterfolg gemessen (vgl. Weither et al., 2018, S. 70).
Durch die Möglichkeiten der Digitalisierung wird auch die Arbeit in internationalen Teams - und somit über verschiedene Zeitzonen hinweg - vereinfacht (vgl. VBG, 2019, S. 10). Im Zuge der Digitalisierung und der Globalisierung werden seitens des Unternehmens zudem Arbeitssteuerung und Kontrolle abgebaut, sodass diese beim Arbeitnehmer selbst aufgebaut werden müssen und als persönliche Ressourcen eingebracht werden (vgl. Werther etal., 2018, S. 71).
Arbeitnehmer verfügen dabei über unterschiedliche persönliche Ressourcen und das alltägliche Zeitmanagement wird in individueller Weise bewältigt. Bei ausgeprägter Eigenständigkeit und gleichmäßiger Arbeitsbelastung kann Flexibilität als positive Ressource gesehen werden. Selbstorganisierte Flexibilität führt in diesem Fall zu mehr Effektivität und Selbstwirksamkeitserfahrung (vgl. Thomas etal., 2019, S. 13 ff.). Abbildung 1 stellt die Chancen der Digitalisierung für Arbeitnehmer dar.
Abbildung 1: Chancen der Digitalisierung für Arbeitnehmer
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
2.2 Risiken für Arbeitnehmer
Die Arbeitsintensität aufgrund der ständigen Erreichbarkeit könntejedoch insgesamt zunehmen, indem bereits auf dem Weg zur Arbeit die E-Mails gecheckt werden, um die Aufgaben später am Tag bewältigen zu können. Flexibilität kann also sowohl atypische Beschäftigung und atypische Arbeitszeit bedeuten als auch die geforderte und stillschweigend geleistete erweiterte Erreichbarkeit in der Freizeit oder im Erholungsurlaub beinhalten (vgl. Schröder, 2015, S. 48). Nach einer Studie verbringen demnach Arbeitnehmer in ihrer Freizeit durchschnittlich 5 Stunden pro Woche mit beruflichen Tätigkeiten (vgl. XING/IZA, 2018, S. 3).
Durch die Flexibilisierung besteht damit zusätzlich die Gefahr, dass sich ein ständiger und womöglich unbezahlter Bereitschaftsdienst oder ein überlanger Arbeitstag entwickelt (vgl. Waltersbacher et al., 2019, S. 80). Als typischer Stressfaktor gilt der Zwang, auch außerhalb der Arbeitszeit erreichbar zu sein, oder noch einmal schnell die E-Mails zu überfliegen. Bestimmt sich die Arbeitsleistung durch Ziele oder Resultate und nicht durch den Aufwand, führt die Entgrenzung damit zu einer Ausdehnung des Berufslebens: Beschäftigte arbeiten länger, machen weniger Pausen und verlieren die Kontrolle über ihre Arbeitszeit. Die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben muss vom Arbeitnehmer daher aktiv herbeigeführt werden. Diese Mit- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten im Rahmen von New Work können zu einer großen Belastung führen, wenn es dem flexibel arbeitenden Beschäftigten nicht gelingt, Selbstsorge zu tragen und die Erfordernisse des Privatlebens ausreichend zu priorisieren (vgl. Waltersbacher et al., 2019, S. 78 ff.). Abbildung 2 stellt die Risiken der Digitalisierung für Arbeitnehmer dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
3. Arbeitszeitmodelle
3.1 Vertrauensarbeitszeit
„Bei der Vertrauensarbeitszeit erfüllt der Mitarbeiter seine vertragliche Arbeitszeit selbstständig und eigenverantwortlich, während der Arbeitgeber auf die Kontrolle der Arbeitszeit und auch eine Zeiterfassung verzichtet“ {Redmann/Wintermann, 2020, S. 18). Bei diesem Modell wird die Ziel- und Ergebnisorientierung unter Berücksichtigung von Zeitautonomie in den Vordergrund gesetzt (vgl. Heilert, 2014, S. 96).
Die Vertrauensarbeitszeit bietet unterschiedliche Vorteile wie eine hohe Flexibilität und bessere Reaktionsmöglichkeiten. Zudem fördert die selbstbestimmte Verteilung der Arbeitszeit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, während die großen Handlungsspielräume die Arbeitsmotivation erhöhen. Ein weiterer Vorteil ist die Förderung der Work- Life-Kohärenz; zudem werden die Effizienz und die Qualität der Tätigkeit durch die Zielorientierung unterstützt (vgl. Heilert, 2014, S. 102). Teamarbeit und Selbstorganisation sind dabei unerlässlich, denn die Mitarbeiter können ihre Arbeitszeit nach den betrieblichen Belangen eigenverantwortlich einteilen. Voraussetzung dafür ist sowohl die Einhaltung der gesetzlichen Grundlagen als auch die Zielerreichung innerhalb der vorgegebenen Zeitspanne (vgl. Heilert, 2014, S. 96). Je größer der Zeitspielraum, desto wichtiger wird die konkrete Zielorientierung, um eine Entgrenzung der Arbeit zu vermeiden (vgl. Heilert, 2014, S. 98).
Die Aufzeichnungspflicht von Arbeitsstunden durch manuelle, elektronische oder andere Telekommunikationssysteme kann nach §16 Abs. 2 ArbZG (Arbeitszeitgesetz) an den Beschäftigten delegiert werden, sodass eine elektronische Zeiterfassung und die Kontrolle durch den Vorgesetzten grundsätzlich entfällt (vgl. Heilert, 2014, S. 96; vgl. Wolff von der Sahl etal., 2013, S. 3). Die Überwachungspflicht seitens des Arbeitgebers bleibt jedoch bestehen und sollte in Form von Stichproben überprüft werden (vgl. Heilert, 2014, S. 96). Es empfiehlt sich, den Arbeitnehmer zu diesem Zweck ein Formblatt führen zu lassen, auf dem er nicht die komplette Dauer seiner Tätigkeit vermerkt, sondern lediglich die über acht Stunden hinausgehende tägliche Arbeitszeit. Diese Dokumentation muss für die Prüfungsbehörden zwei Jahre lang aufbewahrt werden (vgl. Wolff von der Sahl et al., 2013, S. 3). Nicht gesetzeskonforme Abweichungen sollten in einem Gespräch mit dem Arbeitnehmer erörtert und die Stundendifferenzen ausgeglichen werden (vgl. Heilert, 2014, S. 97).
3.2 Telearbeit
„Telearbeit gilt als eine Arbeitsform, bei der Beschäftigte mindestens einen Teil ihrer Arbeitszeit nicht an einem festen Arbeitsplatz im Unternehmen erbringen, sondern an einem mobilen oder stationär frei gewählten Arbeitsort. Meist ist dies ein Schreibtischarbeitsplatz in der eigenen Wohnung bzw. im eigenen Haus“ {Heilert, 2014, S. 109). Das Modell lässt sich dabei in stationäre und mobile Telearbeit unterscheiden (vgl. Heilert, 2014, S. 109). Stationäre Telearbeit wird vom Beschäftigten während der gesamten vereinbarten Arbeitszeit in der eigenen Wohnung, also ausschließlich von zu Hause aus, verrichtet. Alternierende Telearbeit bezeichnet den Wechsel zwischen der Arbeit im heimischen Büro und im Unternehmen (vgl. Heilert, 2014, S. 110). Die mobile Telearbeit wird dagegen beim Auftraggeber vor Ort geleistet, beispielweise im Außendienst. Zusätzlich zählen zu den mobilen Telearbeitern diejenigen Beschäftigten, die ihr Büro ,im Laptop‘ haben und nahezu ortsunabhängig arbeiten können. Lediglich Strom und Internetzugang sind dafür notwendig (vgl. Heilert, 2014, S. 110).
Dabei lassen sich einige Argumente aufführen, die Telearbeit für Unternehmen und Beschäftigte attraktiv machen. Zunächst müssen die Mitarbeiter mit der benötigten Soft- und Hardware ausgestattet werden, jedoch lassen sich bald Kosteneinsparungen durch geringere Raumkosten im Unternehmen feststellen. Shared-Desk-Konzepte, also die flexible Nutzung von Arbeitsplätzen, unterstützen die Kostenreduktion zusätzlich (vgl. Heilert, 2014, S. 112; vgl. Höhle et al, 2019, S. 145). Zudem kann die Produktivität gesteigert werden, da Arbeiten fokussierter erledigt und Dienstwege reduziert werden (vgl. Heilert, 2014, S. 115).
Ein zentraler Vorteil der Telearbeit ist die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben, da lange Pendelzeiten wegfallen und Überstunden nach Hause und in betreuungsfreundliche Zeiträume verlegt werden können (vgl. Heilert, 2014, 116; Apt et. al, 2016, S. 26).
3.3 Gleitzeit
Gleitzeit „liegt vor, wenn bei der Festlegung eines bestimmten Zeitkorridors die Möglichkeit für Mitarbeiter besteht, außerhalb des Korridors den Beginn und das Ende der Arbeitszeit zu wählen“ {Redmann/Wintermann, 2020, S. 20). Die klassische Gleitzeit besteht aus einer vorgegebenen Kemarbeitszeit mit Anwesenheitspflicht. Die Anwesenheitszeit ist für den Beschäftigten dabei bindend. In der Regel können ein- bis zweistündige Ein-und Ausgleitspannen flexibel für Arbeitsbeginn und -ende genutzt werden (vgl. Heilert, 2014, S. 83). Mehr Flexibilität ist nicht vorgesehen. Die Führungskraft sorgt zudem dafür, dass während der Anwesenheitszeit genügend Arbeit zur Verfügung steht. Die tägliche Dauer der Arbeitszeit kannjedoch variieren (vgl. Wolff von der Sahl etal., 2013, S. 4).
4. Rechtliche Grundlagen
4.1 GegenwärtigerRechtsrahmen
Der Artikel 31 II GRC (Grundrechtecharta der Europäischen Union) besagt: „Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.“ Arbeitszeitregelungen müssen den EU-weit geltenden Standards aus der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 04.11.2003 genügen, um die Gesundheit und die Sicherheit der Arbeitnehmer zu schützen (vgl. Zerres, 2017, S.2).
Die deutsche Gesetzgebung ist an die europäische Arbeitszeitrichtlinie (ArbZ-RL) gebunden (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017, S. 117). Der Begriff der Arbeitszeit ist in Art. 2 ArbZ-RL geregelt und umfasst demnach „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“. Gemäß § 2 ArbZG ist Arbeitszeit „die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit“.
Fraglich ist, ob auch der Bereitschaftsdienst und die Rufbereitschaft zur Arbeitszeit zählen.
Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seiner Verpflichtung durch den Arbeitgeber, sich an einer bestimmten Stelle aufzuhalten nachgeht, um jederzeit bereit zu sein, die Arbeit aufzunehmen (vgl. Zerres, 2017, S. 2).
Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG gehört auch der Bereitschaftsdienst zur Arbeitszeit (vgl. Böker/Demuth, 2015, S. 19). Die Rufbereitschaft stellt eine Verpflichtung des Arbeitnehmers dar, sich auf Abruf bereit zu halten. Der Arbeitnehmer kann seinen Aufenthaltsort frei bestimmten (vgl. Zerres, 2017, S. 2). Bei Rufbereitschaft ist grundsätzlich nur die Zeit der tatsächlichen Inanspruchnahme als Arbeitszeit anzusehen, da der Arbeitnehmer im Übrigen frei über seine Zeit verfügen und seinen eigenen Interessen nachgehen kann (vgl. Böker/Demuth, 2015, S. 19).
4.2 Einordnung freiwilliger ArbeiÜ (,Freizeitaktivitäten‘)
Im Rahmen von Freizeitaktivitäten besteht die Gefahr, dass auf dem Arbeitshandy, das heute oft als Privathandy genutzt werden darf, geschäftliche E-Mails gelesen und bearbeitetwerden (vgl. Wöhrmann et. al, 2016, S. 75). Auch wenn die ständige Erreichbarkeit vom Arbeitgeber nicht ausdrücklich angeordnet wurde, ist die mehr oder weniger ausgeprägte Erwartungshaltung zu beobachten, dass der Arbeitnehmer von Vorgesetzten, Kollegen und Kunden per Smartphone kontaktiert werden darf und eine zeitnahe Antwort leistet (vgl. VBG, 2019, S. 7).
Die Intensität der Arbeit ist dabei unerheblich. Der Arbeitgeber ist hier weiterhin verantwortlich für die Einhaltung des ArbZG (vgl. Gesmann-Nuissl, 2019, S. 39). Ausgenommen sind Tätigkeiten im eigenen Interesse. Freiwillige Aktivitäten sollten daher von vornherein aus dem Begriff Arbeitszeit ausgeschlossen werden und somit arbeitszeitrechtlich irrelevant sein (vgl. Gesmann-Nuissl, 2019, S. 39). Im Hinblick auf die Arbeit 4.0, welche die direkten und indirekten Wechselwirkungen zwischen digitalen Technologien und sämtlichen Prozessen der Arbeitsgestaltung, Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen beinhaltet, sollte Arbeit nur vorliegen, wenn eine Tätigkeit vom Arbeitgeber ausdrücklich oder zumindest konkludent angeordnet ist (vgl. Gesmann-Nuissl, 2019, S. 38 f.; vgl. Fischer et. al, 2019, S. 178).
Fraglich ist, ob die Unerheblichkeit kurzfristiger Unterbrechungen der Ruhezeiten durch das E-Mail-Lesen und -Bearbeiten bereits de lege lata ist.
Eine ständige Erreichbarkeit ist grundsätzlich eine Rufbereitschaft. Vereinzelte Unterbrechungen sind nicht gesundheitsgefährdend. So ist das Lesen von E-Mails eine „nicht nennenswerte Arbeitsleistung“ (vgl. Gesmann-Nuissl, 2019 S.40). Eine Abgrenzung von nicht nennenswerter Arbeitsleistung ist jedoch schwierig, da die Abgrenzung zwischen Arbeitszeit und Freizeit in Art. 2 RL 2003/88/EG definiert ist. Eine Veränderung der Definition ist durch die Mitgliedsstaaten nach Art. 17 RL 2003/88/EG ausgeschlossen (vgl. Gesmann-Nuissl, 2019, S. 40). Angesichts dessen kann es sich im Einzelfall anbieten, eine Regelung zu erlassen, wonach der Arbeitgeber jegliche Tätigkeiten außerhalb der Arbeitszeit untersagt. Sofern dies individualvertraglich oder in einer Betriebsvereinbarung geregelt ist, darf der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine ,freiwillige‘ Arbeitsleistung nicht aufdrängen. Die Arbeitsleistung ist dem Arbeitgeber auch dann arbeitszeitrechtlich nicht anzurechnen (vgl. Gesmann-Nuissl, 2019, S. 39).
4.3 Einordnung ,ständiger Erreichbarkeit
Nach Art. 6 ArbZ-RL darf die durchschnittliche Arbeitszeit pro Sieben-Tages-Zeitraum 48 Stunden nicht überschreiten. Überstunden sind bereits inkludiert (vgl. Jacobs, 2019, S. 109). Nach Art. 3 ArbZ-RL muss eine tägliche Ruhezeit von elf Stunden eingehalten werden (vgl. Jacobs, 2019, S. 108).
Betrachtet man das ArbZG, so beträgt nach §3 S.l ArbZG die werktägliche Höchstarbeitszeit acht Stunden. Eine Verlängerung auf bis zu zehn Stunden ist gemäß §3S.2 ArbZG zulässig, wenn ein Ausgleich innerhalb von sechs Monaten bzw. 24 Wochen erfolgt. Auch gemäß § 5 Abs. 1 ArbZG muss eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden eingehalten werden (vgl. Krause, 2019, S. 158). Problematisch sind Fälle, in denen der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort frei bestimmtjedoch bei Kontaktaufnahme durch den Arbeitgeber oder Kunden eine Reaktion erwartet wird.
Arbeitnehmer können durch den Arbeitgeber angewiesen werden, eine Erreichbarkeit per Mobiltelefon, Smartphone oder Tablet außerhalb der Dienstzeiten sicherzustellen (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017, S.119). Bei einer erwarteten Erreichbarkeit über das Telefon und des erwarteten beantworten der dienstlichen E-Mails von zu Hause aus ist von einer Inanspruchnahme der Arbeitszeit auszugehen (vgl. Gesmann-Nuissl, 2019, S. 39). Empfehlenswert ist, im Arbeitsvertrag ausdrücklich festzulegen, ob der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich am Wochenende über sein Smartphone oder Tablet für den Arbeitgeber verfügbar zu halten und auf Anweisung zu handeln (vgl. Bundesminis- teriumfürArbeitundSoziales, 2017, S. 119).
4.4 Einordnung der Vertrauensarbeitszeit nach dem EuGH
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 14.05.2019 entschieden, dass ein Arbeitgeber verpflichtet werden kann, ein System zur Erfassung der täglich geleisteten Arbeitszeit einzurichten. In Anbetracht der Vorgaben der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union hält der EuGH es für angemessen, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur täglichen Arbeitszeitmessung einzurichten (vgl. Sittard/Esser, 2019, S. 284). Eine Prüfung der Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen Vorgaben durch Arbeitnehmer, Behörden und Gerichte wird so sichergestellt (vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund, 2019, S. 4). Die Modalitäten des Systems können von den Mitgliedsstaaten bestimmt werden (vgl. Sittard/Esser, 2019, S. 285).
Diese gesetzliche Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers widerspricht dem Sinn der Vertrauensarbeitszeit, weil der Arbeitgeber mit dieser gerade darauf verzichtet, die Einhaltung der geschuldeten Arbeitszeiten durch den Arbeitnehmer zu kontrollieren. Dies gilt insbesondere auch in der Arbeitswelt 4.0. Trotzdem gilt weiterhin die Aufzeichnungspflicht (vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund, 2019, S. 7).
Derzeit ist der Arbeitgeber nach § 16 Abs. 2 ArbZG lediglich dazu verpflichtet, die über die Arbeitszeit des § 3 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit zu dokumentieren (vgl. Sittard/Esser, 2019, S. 286). Eine Erweiterung der Aufzeichnungspflicht aus dem ArbZG durch den deutschen Gesetzgeber ist jedoch zu erwarten. Insbesondere das Arbeitszeitmodell Vertrauensarbeitszeit wird davon betroffen sein (vgl. Sittard/Esser, 2019, S. 284). Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit werden aller Voraussicht nach in Zukunft aufzeichnungspflichtig sein (vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund, 2019, S. 4). Es ist abzuwarten, in welchem Umfang der Gesetzgeber die vom EuGH gewährten Spielräume bei der Umsetzung nutzen wird (vgl. Sittard/Esser, 2019, S. 290). Ebenso ist offen, ob in diesem Zuge eine erweiterte Arbeitszeitgestaltung im Rahmen von ,mobiler‘ Arbeit vorgenommen wird. Bis zu einer Novellierung, bleiben die aktuellen Aufzeichnungspflichten bestehen. Bereiche, in denen bereits heute eine Aufzeichnungspflicht besteht, bleiben davon unberührt (vgl. Sittard/Esser, 2019, S. 286).
Das Arbeitsgericht (ArbG) Emden hat unabhängig von den arbeitszeitschutzrechtlichen Vorgaben des ArbZG eine individualrechtliche Verpflichtung des Arbeitsgebers zur Erfassung der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeitszeit unter Betrachtung der Vorgaben des EuGH bejaht (ArbG Emden Urteil vom 20.02.2020 - 2 Ca 94/19). Die Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Zeiterfassungssystems ist damit notwendig (vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund, 2019, S. 1). Bei Unterlassung durch den Arbeitgeber muss allen geltend gemachten Überstundenvergütungen durch den Arbeitnehmer zugestimmt werden. Lediglich eine den EuGH-Richtlinien entsprechende Zeiterfassung könne dem gegenübertreten (vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund, 2019, S. 6). Die Auswirkungen des Urteils befassen sichjedoch nur mit den vergütungsrechtlichen Konsequenzen einer nicht vollständigen Zeiterfassung. Die Auslegung der gesetzlichen Aufzeichnungspflicht des § 16 Abs. 2 ArbZG ist kein Gegenstand (vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund, 2019, S. 2). Bis zu einer Änderung des ArbZG bleibt es bei einer begrenzten Verpflichtung zur Zeiterfassung und somit bei einer Aufzeichnungspflicht der Dauer der Arbeitszeit oberhalb von 8 Stunden an Werktagen und aller Arbeitszeiten an Sonn- und Feiertagen. Das Bestimmtheitsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG steht einer erweiterten Auslegung entgegen (BayVGH, Urteil v. 26.10.2011 - 22 CS 11.1989). Der Arbeitgeber kann lediglich auf Grundlage von §17 Abs. 2 ArbZG verpflichtet werden, auch die über §16 Abs. 2 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit für Prüfzwecke aufzuzeichnen. Ein Bußgeld folgt nicht, sofern kein Zeiterfassungssystem vorhanden ist. Bei einer eingeschränkten Zeiterfassung bestehtjedoch das Risiko, dass der Arbeitnehmer innerhalb der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist Vergütungsansprüche auf Grundlage der Arbeitsaufzeichnungen geltend macht (vgl. Jaeger et. al, 2019,S.2).
Dieser Gefahr sollte durch regelmäßige Gespräche zwischen Mitarbeitern und Führungskraft entgegengewirkt werden. Betriebliche Regelungen sollten Arbeitnehmer zudem verpflichten, den Arbeitgeber bei wahrgenommenen Missverhältnissen von Arbeitsumfang und -zeit proaktiv daraufhinzuweisen (vgl. Jaeger et. al., 2019, S. 3).
5. Reformschritte
Damit die Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung gewährleistet und den begründeten Schutzbedürfnissen der Beschäftigten gerecht werden kann, wäre eine Weiterentwicklung des gesetzlichen Rahmens erforderlich. Dazu müsste das ArbZG an verschiedenen Stellen reformiert werden.
[...]
1 Gemeint sind stets beide Geschlechter. Aus Gründen der Lesbarkeit wird auf die Nennung beider Formen verzichtet.