Which Side Are You On? - Die literarische Gestaltung kultureller Kontraste an der mexikanisch-amerikanischen Grenze


Mémoire de Maîtrise, 1999

71 Pages, Note: 1,3


Extrait


INHALT

1. EINLEITUNG

2. DIE GRENZE

3. VERSCHIEDENE BLICKWINKEL

4. BESTANDSAUFNAHME - T.C. BOYLE: "THE TORTILLA CURTAIN"

5. SPURENSUCHE - VERTRETERINNEN DER CHICANA-LITERATUR

6. ABBILDUNGSVERZEICHNIS / HÄUFIG ZITIERTE QUELLEN

VOLLSTÄNDIGE PRIMÄRTEXTE:

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1. EINLEITUNG

"¡ Pobre Mexico! Tan lejos de Dios y tan cerca de los Estados Unidos..." [1] ist einer jener gern zitierten Sätze, wenn es darum geht, das mexikanische Dilemma auf den kleinsten sprichwörtlichen Nenner zu bringen.

Die Vereinigten Mexikanischen Staaten südlich der 2400 km langen Grenze zur USA zählten in den 80er Jahren zu den sogenannten Schwellenländern und damit zu den wohlhabendsten der "Dritten Welt". Die kontrovers diskutierte Konnotation dieses von Frantz Fanon während des "Kalten Krieges" zwischen "Erster" und "Zweiter Welt" geprägten Begriffes täuscht zumindest nicht über den Stellenwert des ökonomischen Entwicklungsgrades der betroffenen Länder hinweg und relativiert wiederum die an den Begriff "Wohlstand" in bezug auf Mexiko geknüpften Erwartungen weitestgehend. Tatsächlich gehen realistische Schätzungen davon aus, dass die Hälfte der mexikanischen Bevölkerung, etwa 44 Millionen Menschen, im Jahr 1987 in Armut lebte, davon mehr als 20 Millionen in extremer Armut. Auch die Entwicklungen der letzten Jahre konnten diesem traurigen Trend bisher nichts entgegenhalten. [2]

Nun will es die Ironie des Schicksals, dass u.a. zwei der reichsten Bundesstaaten eines der wohlhabendsten Länder der "Ersten Welt", Kalifornien und Texas, die nördliche Grenze zu Mexiko bilden und einen weltweit einmaligen Präzedenzfall darstellen, an dem sich Fluch und Segen solch empfindlicher Berührungspunkte zwischen Arm und Reich exemplarisch manifestieren.

Eine direkte Konsequenz aus der Nähe zum gelobten Land, den U.S.A., stellt die Flut immigrationswilliger Mexikaner dar, die in den Norden des Landes ziehen und darauf hoffen, in absehbarer Zeit legal oder illegal die Grenze zu den Vereinigten Staaten zu überqueren, um dort Arbeit zu finden, eine neue Existenz zu gründen o.ä.. So beläuft sich die Zahl der Menschen, die jährlich legal die Grenze in beiden Richtungen passieren, auf etwa 54 Millionen, während Hunderttausende versuchen, die Grenze illegal zu überqueren.

"In our lifetimes American wages will always be higher than in Mexico, and so even the better-paid will continue to come." [3], ist eine der Erkenntnisse, die die Not der Mexikaner zum Problem der US-Amerikaner werden läßt. Die Zeiten, da sich die Vereinigten Staaten als "Mekka für Immigranten" verstehen konnten, sind spätestens seit 1882, als mit dem "Chinese Exclusion Act" erstmals staatlicherseits versucht wurde, den Einwandererstrom (in diesem Fall aus Asien) zu unterbinden, lediglich ein von den prädestinierten europäischen Einwanderern gehegter Mythos. Von diesem Zeitpunkt an war ´immigration policy´ nämlich eine ausschließliche Politik der Einschränkung und Kontrolle des Zuwandererstroms in die U.S.A.. Der Status "American citizenship" wurde zu einem Exklusivrecht für Auserwählte und war dennoch kein Garant für Wohlstand. Weder waghalsige ´pioneers´ noch verwegene Goldsucher bestimmten somit das Bild Amerikas am Ende des ausgehenden 19. Jahrhunderts, zumal das Land erschlossen und verteilt war, die letzten Erstbesiedler den Pazifik erreicht hatten. Die Scharen von Immigranten, die zu spät kamen, waren es, die den "Amerikanischen Traum" ins Land brachten und den Mythos vom "American Way of Life" nährten, da schon die Hoffnung für viele einer Einlösung seiner Versprechen gleichkam.

Geblieben ist der Traum bis heute, und gerade an den Schnittstellen zwischen Arm und Reich nimmt der Verteilungskampf Formen an, die ihren Schatten in die restliche "Erste Welt" werfen und bereits vorwegnehmen, was anderenorts bald möglich sein könnte.

Die Frage "Which Side Are You On?" steht heutzutage nicht nur für den alten Gewerkschaftssong von Florence Reece, sondern erfährt an der mexikanisch - amerikanischen Grenze eine zynische Neudeutung hinsichtlich angeblich "unbegrenzter Möglichkeiten". Die "Borderlands" sind zu einem Ort alltäglicher Hoffnungen und Tragödien geworden; an ihr reiben sich verschiedene Kulturen und haben eine eigene entstehen lassen.

Diese Arbeit hat die spezifische Situation an der mexikanisch - amerikanischen Grenze zum Thema und soll Aufschluss darüber geben, wie sich der "Grenzkonflikt" für die Betroffenen beiderseits des Rio Grande darstellt.

Ich halte einen interdisziplinären Ansatz in diesem Zusammenhang für unumgänglich. Die Problematik ist natürlich zunächst das Ergebnis des wirtschaftlichen Gefälles zwischen den beiden Staaten, dessen Entstehung anhand eines historischen Abrisses der Entwicklung politischer Machtstrukturen und ökonomischer Zwänge veranschaulicht werden kann. Das allein gibt allerdings noch keine Aufschlüsse darüber, welche Interaktionsmuster sich zwischen den Menschen beider Nationalitäten im Rahmen des "Grenzkonflikts" entwickelt haben und welchen Einfluss diese auf kulturelle Besonderheiten in dieser Region haben. Erst die Hinzunahme soziologischer Studien und literarischer Auseinandersetzungen zu dieser Thematik ermöglichen einen umfassenden Eindruck ihrer Komplexität und Verflochtenheit selbst mit themenferneren Sujets.

Der erste Teil (Kapitel 2) dieser Arbeit dient der Eingrenzung des Problemgegenstands.

Einher mit der Beschreibung des politischen und wirtschaftlichen Konflikts und seiner

Entstehung geht die Darstellung der daraus resultierenden Konsequenzen für die Betroffenen beiderseits der Grenze.

Im zweiten Teil (Kapitel 3) sollen die Auswirkungen dieser Konsequenzen auf das Meinungsbild der Betroffenen und die sich aufgrund dessen herausschälenden weiterreichenden Konflikte beschrieben werden.

Eine Betrachtung der literarischen Gestaltung dieses Themas durch amerikanische AutorInnen mexikanischer Herkunft verglichen mit der angloamerikanischer Schriftsteller soll im dritten Teil (Kapitel 3 und 4) kulturelle Unterschiede und Abhängigkeiten als auch identitätsspezifische Probleme verdeutlichen.

ANMERKUNG:

Ich habe mich situationsabhängig dafür entschieden, die Begriffe "Amerika" und "Vereinigte Staaten" als Synonyme für die U.S.A. zu gebrauchen, deren Bürger ich desgleichen "Amerikaner" oder "Anglos", und nur in zweideutigen Fällen "US-Amerikaner", nenne. Im Zusammenhang mit den Vereinigten Mexikanischen Staaten wiederum werde ich ausschließlich die Bezeichnung "Mexiko" verwenden, dessen Einwohner ich generell unter dem Begriff "Mexikaner" zusammenfasse. In geopolitischem Sinn ist das nicht immer korrekt, sollte aber nicht im Sinne einer Ab- oder Aufwertung der jeweiligen Nation bzw. Unterschlagung von Minoritäten missinterpretiert werden. Ich beziehe mich lediglich auf diesen (nicht nur hierzulande) tradierten, populären Sprachgebrauch, um einen besseren Lesefluss zu gewährleisten und Wiederholungen in aufeinanderfolgenden Sätzen zu vermeiden.

Die Umschreibung mexikanischer Einwanderer hingegen ist nur in Verbindung mit dem entsprechenden Kontext zu deuten: Zitierte abwertende Benennungen (z.B."wetbacks", "aliens") dienen hier ausschließlich der Charakterisierung und Erläuterung politischer und sozialer Phänomene, die für deren Zustandekommen verantwortlich sind. Verallgemeinernde oder einschränkende Bezeichnungen (z.B. "Chicanos", "Hispanics", "Mexican-Americans") werden im jeweiligen Zusammenhang erläutert.

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Abb.2

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Abb.3

2. DIE GRENZE

Alicia Gaspar de Alba from: La Frontera [4]

La frontera lies wide open, sleeping beauty.

Her waist bends like the river back around a flagpole.

Her scent tangles in the arms of the mesquite. Her legs sink in the mud of two countries, both sides leaking sangre y suenos.*

*sangre y suenos - "blood and dreams"

"Tortilla Curtain" ist eine gängige Bezeichnung für die poröse südliche Grenze der Vereinigten Staaten zu Mexiko, die sich von San Diego (Kalifornien) bis Brownsville (Texas) erstreckt. Der Rio Grande (mexik. Bez.: Rio Bravo del Norte) markiert die texanisch - mexikanische Grenze, während die nördlichen Bergketten der Sierra Madre Occidental und die Sonora-Wüste das Grenzgebiet um New Mexico, Arizona und Kalifornien charakterisieren. Die gesamte Region (inklusive Kalifornien, New Mexico, Nevada, Utah und Texas) gehörte bis 1848 zu Mexiko, bevor die Annexion von ´Tejas´ durch die U.S.A. den Mexikanischen Krieg auslöste und Mexiko nach dessen Niederlage gezwungen war, etwa die Hälfte seines gesamten Territoriums an die Vereinigten Staaten abzutreten. Die mexikanischen Wurzeln der Region sind unverkennbar. Architektur und Sprache, als auch Musik, Tanz und Speisen sind von mexikanischen Einflüssen geprägt. Die spanische Sprache ist in allen Medien dominant. Sämtliche urbanen Zentren an der Grenze sind einheitlich "Mexican-American"[5]. 70 Prozent der Einwohner El Pasos (Texas) beispielsweise sind "Chicanos" [6].

Jorge A. Bustamante hat in seiner Studie "The Mexico-U.S. Border: A Line of Paradox" auf ein Definitionsproblem bezüglich der "borderlands" hingewiesen:

"The operational extension of the borderlands to the South and to the North varies in accord with the nature of the border phenomenon under study. Border economic transactions, border environmental problems, and border population dynamics all have a different geographical ´ reach ´ and project a different conceptual space upon the maps of ´ the border ´ we carry in our minds." [7]

Bustamante geht davon aus, "that the border is a man-made artifact invented to make a difference in terms of institutional ascriptions of nationality" (S.181) und schlägt daher vor, den Begriff "border region" anhand der relativen Häufigkeit von Interaktionen zwischen Menschen beider Nationalitäten zu determinieren (S.182).

Auf amerikanischem Territorium sind diesbezüglich hauptsächlich die Bundesstaaten Kalifornien und Texas relevant, da etwa 90% des Grenzstreifens aus bergigem unzugänglichem Gelände bestehen und der Grenzverkehr sich im wesentlichen auf zwei Übergänge beschränkt: Tijuana · San Diego und Ciudad Juárez · El Paso. In Kalifornien lassen sich die Einwanderer dann hauptsächlich an Küstenmetropolen wie San Diego, Los Angeles, San Jose und San Francisco nieder, während es in Texas die amerikanischen Grenzstädte selbst sind (Brownsville, Laredo, El Paso) und Latinisierungstendenzen gen Norden allenfalls noch in Austin oder Houston spürbar sind.

Auch im nördlichen Mexiko ist die Grenznähe besonders in den urbanen Zentren spürbar (Tijuana, Mexicali, Chihuahua, Monterrey). Zum einen sind diese Städte Anlaufpunkte und Sammelstellen Ausreisewilliger aus dem Süden. Des weiteren sind in den vergangenen Jahren vorwiegend im Norden entlang der mexikanisch - U.S.-amerikanischen Grenze mehr als 2000 Lohnveredelungsbetriebe (Maquiladoras) entstanden, wo vor allem amerikanische Unternehmen die vorteilhaften Investitionsbedingungen, noch begünstigt durch das 1993 ratifizierte Freihandelsabkommen NAFTA, auszunutzen verstanden und den gesamten mexikanischen Arbeitsmarkt dezentralisierten. Amerikaner sind in jenen Breiten fast ausschließlich als Investoren, Touristen, Schnäppchenjäger und Kundschaft billiger Ärzte und diverser Stundenhotels präsent und ihrer krisenfesten Währung wegen stets willkommen. "Die eigentliche Landeswährung sind US-Dollar, zumal der Peso mitunter stündlich weiter an Wert verliert, so dass die Händler gezwungen sind, den Umtauschkurs innerhalb nur weniger Stunden mehrmals zuändern. 1981 tauschte man noch 23 Pesos gegen einen Dollar. 1987 benötigte man bereits das Hundertfache (über 2.000 Pesos!), um einen Dollar zu bekommen, und die Inflation galoppiert weiter." [8]

Weitere interessante Ergebnisse hinsichtlich der "Mexican fronterizos" finden sich in Bustamantes Studie (siehe oben). Er ging zunächst davon aus, dass die Bewohner mexikanischer Grenzstädte wie Tijuana oder Mexicali verglichen mit denen in Zentren des Landesinneren wie Acapulco oder Mexico City eine andere kulturelle Identität angenommen hätten, die in ihrer Tendenz als Amerikanisierung der Lebensgewohnheiten deutlich werden müsste. Die Ergebnisse von Bustamantes Forschungsprojekt wurden 1982 vom Colegio de la Frontera Norte veröffentlicht, jedoch angezweifelt und in einem Wiederholungsprojekt zwei Jahre später erneut bestätigt. Untersucht wurde neben dem Gebrauch von Anglizismen im Alltag die Stärke der Ausprägung traditioneller "values of Mexicanness", die auf einer Zustimmung - Ablehnung - Skala in einem psychologischen Test ausgewertet wurden.

Entgegen Bustamantes Erwartungen stellte sich folgendes heraus:

"The paradox is that otherness seems to help fronterizos reaffirm their ethnic identity as Mexicans, by helping them know what they are not. If a young Mexican from the interior is asked to define Mexicanness, he or she might have problems in selecting the proper denominators out of an array of regional ethnicities. On the border, such a question is easier to answer because otherness tells you that Mexicanness is what the gringo is not." (Bustamante; S.187)

Es ergab sich, dass Mexikaner aus dem Landesinneren ihre Ansichten über die Amerikaner hauptsächlich aus den Massenmedien beziehen (generell positiv) oder von linken Ideologien (immer negativ), während "face-to-face interactions" in den Grenzstädten zu pragmatischeren, weniger ideologischen Beurteilungen führen, wobei kulturelle Unterschiede bewusster wahrgenommen und teils als Problem, teils als Gelegenheit bewertet werden: "Americans tend to be the ones who give the orders because they are the boss, the employer, the patron, the client, or, simply, the one with more money. [...] Mexican fronterizos don ´ t like this asymmetry, and they fight against it through the conventional channels of competition. At the same time, fronterizos see the United States as an opportunity. They sell more products, services, and labor to Americans per capita than to interior Mexicans." (Bustamante; S. 188) Doch Bustamante wirkt in bezug auf seine eigenen Untersuchungsergebnisse etwas verlegen, wenn er einschränkend anmerkt:

"Let's say the border identity is more cosmopolitan than interior identities, but let's not go so far as to say that because I enjoy jazz and speak English, I have lost my identity as a Mexican." (S. 190)

Hier wird deutlich, wie zwingend die Nähe zur Grenze die Frage nach der eigenen Identität zum Politikum werden lässt. Immerhin stehen sich hier nicht nur zwei wirtschaftlich miteinander konkurrierende Nationen gegenüber. Die Grenze ist auch, um es etwas abgeschmackt zu formulieren, zum Graben zwischen Spreu und Weizen geworden. Die Menschen auf beiden Seiten wissen das und fühlen sich gezwungen, Affinität oder Ablehnung der jeweils anderen Seite gegenüber moralisch zu rechtfertigen.

Als die Grenze noch "wie jede andere Grenze" war und junge Mexikaner zur Erdbeerernte nach Kalifornien zogen, um ihre Familien daheim zu ernähren, mochte noch niemand die Probleme vorhersehen, die den amerikanischen Staat veranlassen sollten, die "border patrol" zu verstärken, Stacheldrahtzäune und Mauern zu errichten, die Grenzanlagen mit Nachtsichtgeräten auszustatten und Helikopter pausenlos über den Bergkämmen der Sierra Madre patrouillieren zu lassen. Doch mit dem Beginn der 80er Jahre wurden die Folgen der bis dahin stark protektionistisch ausgerichteten Wirtschaftspolitik Mexikos unübersehbar. Das Land wurde von einer Finanzkrise ungeahnten Ausmaßes heimgesucht und seine Bewohner spüren deren Folgen bis zum heutigen Tag. Schemenhaft lässt sich die Situation, wie folgt, veranschaulichen.

Erdöl ist das erste Wirtschaftsgut Mexikos. 70 Prozent der Deviseneinkünfte kommen aus dem Verkauf von Erdöl und Erdgas, wobei die U.S.A. Hauptabnehmer sind. Viele Exportgüter kommen auch aus dem Bergbaubereich (vor allem Silber). Für eine florierende Landwirtschaft fehlt es an gutem Ackerland, eine Spätfolge des spanischen Kolonialismus, der die Rinder- und Schafzucht einführte und durch jahrhundertelange Überweidung weite Teile des Landes in Mondlandschaften verwandelte. Dazu kommt, dass nur 20 Prozent der existierenden Ackerfläche ständig bewässert werden kann. Der jahrzehntelange vorwiegende Export von Produkten des primären Sektors hatte eine fatale Abhängigkeit von labilen Weltmarktpreisen für diese Produkte zur Folge. Mit dem 1981 einsetzenden Rohölpreisverfall löste Mexikos Zahlungsunfähigkeit die Weltschuldenkrise aus. Die Folgen waren für das Land katastrophal. Die Inflation stieg, der Wert des Peso sank, Kapital floh aus dem Land, die Arbeitslosigkeit nahm zu. Von den Auswirkungen waren vor allem die Geringverdiener betroffen. Die Landflucht verarmter Bauern und der Gang von Hunderttausenden über die Grenze in die U.S.A. waren das Ergebnis dieser Rezession. [9]

"...it meant that besides bringing skills to America, illegal immigrants were now taking the upwardly mobile jobs that [American] citizens should have. It was also [...] illegal."[10] Die amerikanische Regierung reagierte auf diese Immigrantenflut mit einer Verschärfung der "border laws". Die "US Border Patrol" ist Teil des INS ("Immigration and Naturalization Service") und mit dem Schutz der Grenzen zu Kanada und Mexiko beauftragt. An der mexikanisch - amerikanischen Grenze wurde das Grenz-Personal um mehrere Hundertschaften aufgestockt. Leicht passierbare Übergänge in die U.S.A. wurden mit Zaunanlagen und Wachtürmen gesichert.

1986 verabschiedete der amerikanische Kongress den "Immigration Reform and Control Act" (IRCA), der amerikanischen Unternehmern die wissentliche Beschäftigung illegaler Immigranten gesetzlich verbietet. Gleichzeitig wurden Programme, die den Legalitätsstatus und dessen Erlangung definieren, entwickelt und dem INS unterstellt. [11]

Die Verschlechterung der Zustände in Mexiko spülte ein weiteres Problem in die südlichen Bundesstaaten der U.S.A.: Drogenschmuggel und damit einhergehende Beschaffungskriminalität. El Paso gilt heute neben Miami als Metropole des illegalen Drogenhandels. Im Zuge dieser Entwicklung häuften sich auch Meldungen von Überfällen auf Autofahrer an den nahe der Grenze gelegenen Highways. Berichte über bewaffnete Banden aus Juarez und der Gegend um Anapra, die selbst Züge ausrauben, ließen in der amerikanischen Öffentlichkeit Rufe nach einer sichereren Grenze laut werden.

Die wirtschaftliche Lage Mexikos besserte sich auch nach dem Amtsantritt von Carlos Salinas de Gortari im Jahr 1988 nicht, obwohl man sich von der Privatisierung staatlicher Betriebe und der Lockerung von Kontrollen und weitgehenden Aufhebung von Beschränkungen ausländischer Investoren viel versprach. Große Hoffnungen verband man daher mit dem lang diskutierten, Ende 1993 aber doch ratifizierten Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko. Das "North American Free Trade Agreement" (NAFTA) soll im Verlauf von 10 bis 15 Jahren eine Freihandelszone für 20.000 gewerbliche Güter, Dienstleistungen und für den Kapitalverkehr schaffen. In Mexiko wirkt sich dies vor allem auf die "Maquiladora"- Industrie aus, dem Kernstück der neuen Wirtschafts- und Exportpolitik des Landes:

"Die meisten MAQUILADORA-Betriebe wurden in Verbindung mit einem Partnerunternehmen im Süden der USA errichtet. Es werden die komparativen Kostenvorteile ausgenutzt: Forschung, Planung und Vertriebübernimmt das jeweilige Werk in Kalifornien, New Mexiko oder in Texas; arbeitsintensive Fertigungen das mexikanische Werk. Durch diese Arbeitsteilung konnten Gewinne amerikanischer Unternehmen gesichert bzw. gesteigert werden, und gleichzeitig wurden auf mexikanischer Seite weit mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen.

Die Einfuhr von MAQUILADORA-Produkten in die USA war bisher durch eine starre Quotenregelung erschwert: So durfte zum Beispiel ein Fertigprodukt der USA nur zu einem bestimmten Prozentsatz in Mexiko gefertigt worden sein. Diese Quotierung galt es durch den NAFTA-Vertrag abzubauen. Ferner wurden alle mexikanischen Waren in den USA mit 4% Zoll, alle US-Waren in Mexiko mit 10% Einfuhrzoll belegt. Das wird sich nun im Rahmen der NAFTA-Regelungen zugunsten der Verbraucherändern."[12]

Doch vier Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens kann man bereits konstatieren, dass es mehr Gegner als Befürworter auf den Plan gerufen hat, dass die Euphorie über die durch Maquiladora-Industrien geschaffenen Arbeitsplätze kaum begründet scheint. "Overall, NAFTA promotes a situation where disadvantaged groups in each society are likely to worsen their situation. The growth of structural unemployment, in particular among lowskill workers, hits social groups that have the least protection."[13]

Die Zahl geschaffener Arbeitsplätze durch Maquiladora-Betriebe reicht bei weitem nicht aus, um der steigenden Zahl Arbeitssuchender (man geht von einer Zuwachsrate von mehr als 1 Million jährlich aus) auch nur annähernd etwas entgegenzuhalten. Vielmehr schafft die durch NAFTA protegierte einseitige Schwerpunktverlagerung der mexikanischen Wirtschaft auf jene Maquiladora-Industrie ein desaströses Ungleichgewicht zwischen Arbeitsangebot und - nachfrage. Einer latenten Unterbindung jeglicher Organisierungsbestrebungen unter den Arbeitnehmern waren somit die Türen geöffnet. Jedem Beschäftigten, der die Konditionen des entsprechenden Konzerns nicht billigt, sitzen hundert andere Arbeitssuchende im Nacken, die seinen Job anstandslos übernehmen würden. Noam Chomsky führte in einem Interview folgende Beispiele an:

"Ford and VW are two big examples. A few years ago, Ford simply fired its entire Mexican work force and would only rehire, at much lower wages, those who agreed not to join a union. Ford was backed in this by the always ruling PRI [the Institutional Revolutionary Party, which has controlled Mexico since the 1920s]. VW ´ s case was pretty much the same. They fired workers who supported an independent union and only rehired, at lower wages, those who agreed not to support it. A few weeks after the NAFTA vote in the US, workers at a GE and Honeywell plant in Mexico were fired for union activities. I don't know what the final outcome will be, but that's exactly the purpose of things like NAFTA."[14] Billige und unorganisierte Arbeitskräfte, irrelevante Umweltgesetze sowie der zollfreie Güterverkehr dank NAFTA machen die Maquiladoras zu wahren Unternehmer-Paradiesen. Doch schon vier Jahre nach Inkrafttreten des Freihandelsabkommens wirft diese subventionierte Maßlosigkeit ihre Schatten ins gelobte Land zurück. "In der Provinz Sinaloa beispielsweise wird von Farmarbeitern zu Niedrigstlöhnen das produziert, was im Winter im Ü berfluss in US- Supermärkten aufgestapelt wird: Tomaten, Gurken, Paprika, Melonen. Weil US-Konsumenten seit Jahren höchst kritisch auf Berichteüber den Einsatz von Pestiziden reagieren, setzen mexikanische Farmer Chemikalien ein, die nach kurzer Zeit nicht mehr nachweisbar sind. Um so verheerender sind die Folgen für die Landarbeiter: Seitdem Nafta den US-Markt für mexikanische Agrarprodukte noch weiter geöffnet hat, wird in Sinaloa gesprüht, was die Flugzeuge hergeben. Für die 3.000 Landarbeiter ist es mittlerweile normal, einmal im Jahr wegen Pestizidvergiftung das Krankenhaus aufzusuchen."[15]

In einer Pressemitteilung vom 24. September 1997 nahm Lori Wallach, Direktorin des "Public Citizen's Global Trade Watch" Stellung zu einem Bericht ("NAFTA's Broken Promises: Fast Track to Unsafe Food"), der zusammen mit einem von 75 Mitgliedern des Repräsentantenhauses unterzeichneten Schreiben an Bill Clinton veröffentlicht wurde:

"This report documents how bad trade agreements like NAFTA have damaging effects on our everyday lives -- including the food we feed our families, [...] . Not everyone has lost a job or has seen their wages fall because of NAFTA, but everyone eats," she [Lori Wallach] said."[16] Derartige Publikationen haben in der amerikanischen Öffentlichkeit zu großer Skepsis gegenüber NAFTA geführt. Für die Kalifornier allerdings waren dies keine Neuigkeiten. Der Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus Kalifornien ist seit Beginn der 90er Jahre rückläufig, was auf den gestiegenen Import der billigen mexikanischen Produkte zurückzuführen ist. Für die mexikanischen Wanderarbeiter hat man hier daher, wenn auch zunächst noch hinter vorgehaltener Hand, schon seit geraumer Zeit kaum noch Verständnis, obwohl ohne sie der kalifornische Wein verfaulen würde.

Das ganze Ausmaß der Problematik wird erst ersichtlich, wenn man sich vergegenwärtigt, in welchen Bereichen des amerikanischen Alltags ihre Konsequenzen spürbar geworden sind. Nur ein paar Beispiele sollen an dieser Stelle dazu dienen, der verfahrenen Situation außerhalb des Grenzstreifens ein Gesicht zu geben, das sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern wird:

"U.S. policymakers want it both ways. In their wholehearted embrace of free trade, they have consistently followed economic policies that both create the conditions for mass immigration and make the illicit drug trade an economically attractive option for dispossessed Mexicans. [...] Economic dislocations from NAFTA are anticipated to generate significant numbers of new migrants. And after the peso collapse, in return for U.S. dollars and loan guarantees, the U.S. Treasury demanded that Mexico enact harsh neoliberal austerity measures virtually guaranteed to drive even more Mexicans across the border. At the same time, the U.S. wants open borders only for the flow of capital and legitimate commerce."[17]

Die Beschäftigung illegaler Einwanderer ist seit 1986 zwar gesetzlich verboten, doch, wo keine Arbeitsverträge vorliegen, ist Beschäftigung nicht nachweisbar. Des weiteren sind es in der Regel nicht die amerikanischen Unternehmer selbst, die an "Seven-eleven-Tankstellen" oder sonstigen Treffpunkten arbeitssuchender Einwanderer vorfahren, um billige Arbeitskräfte anzuheuern. Moralisch antastbar sind derlei Praktiken allemal, doch wie sonst bekommen diese Menschen ihr täglich Brot, und was sonst sollten dieselben sein, wenn nicht dankbar und loyal, das heißt, verschwiegen.

Traditionell vergebene Wasserrechte verfallen, wenn sie von den Farmern nicht im vereinbarten Ausmaß in Anspruch genommen werden. Und so wird der Colorado geschröpft und kalifornische Ländereien werden überbewässert, während lediglich der vertraglich zugesicherte Anteil in das mexikanische Terrain hineinsickert. Einer blühenden Landwirtschaft im Norden Mexikos stehen kalifornische Weiden und ein wasserfressender Moloch namens Los Angeles im Weg.

"Nach jüngsten Berechnungen des Demographen David Hayes Bautista, Professor an der University of California in Los Angeles (UCLA), stellen Latinos mit 44 Prozent in Los Angeles County bereits die Bevölkerungs-Mehrheit. Gleiches, so prognostizieren Demographen, wird sich Anfang des nächsten Jahrhunderts im Bundesstaat Kalifornien vollziehen. [...] Die "Latinisierung" der Stadt ist nicht mehr rückgängig zu machen - und die Selbstverständlichkeit und Unaufhaltsamkeit, mit der dieser Prozess vonstatten geht, lässt die Volksbegehren und die Proteste gegen chinesische Straßenschilder und spanischen Schulunterricht irgendwie hilflos und obsolet erscheinen."[18]

Da den Amerikanern der Rechtfertigungsnotstand mehr als unbehaglich ist und der Mangel an Patentrezepten fataler kaum sein kann, entschied man sich für das naheliegendste - die Grenze dicht zu machen.

Doch gerade solche Entzugsmaßnahmen erhöhen die Sehnsucht nach dem, was einem vorenthalten wird. So lässt sich die Zahl derjenigen, die täglich versuchen, dennoch illegal ins gelobte Land zu kommen, kaum abschätzen:

"Tatsächlich verhaftete die Grenzpatrouille 1990über eine Million Menschen, die die Grenze illegal von Mexiko nach Texasüberschritten hatten, und schickte sie nach Mexiko zurück. Im Grenzabschnitt El Paso war die entsprechende Zahl 223.189. Der Sprecher der Patrouille, Doug Moisier, gibt an, dass sie nur einen von dreien erwischen. ´ Wenn wir 223.000 zu fassen bekommen, wissen wir, dass mindestens 400.000 andere herübergekommen sind ´ , fügt er hinzu."[19]

3. VERSCHIEDENE BLICKWINKEL

"Arriving, a brawny, scar-faced Border Patrol agent, [...]: a xenophobe with a bad attitude and an automatic weapon:

"If the Mexicans didn't know there's a lot of dollars here, they wouldn't come", he says.

"That's why I'm starting a movement against this. We have to protect our nation. We're going to take justice into our own hands." At this he locks Hanna, his blonde bombshell of a girlfriend, into a tight embrace and begins a long kiss under the hot lights of a television set in Mexico City. And so concludes another scene of "Al Norte del Corazon", Mexico's controversial new telenovela."[20]

Während die mexikanische Regierung von einer "Militarization of the border" sprach, pflegten Demonstranten in Anapra geradezu selbstverständlich den Vergleich mit der Berliner Mauer, als wüssten sie um die Verhältnisse im einst geteilten Deutschland bescheid.

Auch in den amerikanischen Medien dominieren die Zweifler, die angesichts der für die Verstärkung des Grenzwalls tonnenweise herangeschleppten ehemaligen Abschussrampen aus dem Vietnamkrieg die freiheitlichen Grundwerte des Landes gefährdet sehen. Von Sensationsreportern gefilmte Hetzjagden auf Immigranten tun ihr Übriges, um den Leumund der Grenzpolizei von jedweder Rühmlichkeit freizusprechen. Um deren Rehabilitierung sind daher verschiedene staatlich unterstützte Organisationen bemüht. Die folgende Meldung aus dem Internet ist nur ein Beispiel:

"The Border Plant Women, a support group for spouses and employees of the maquiladora companies, has established the First Annual ´ Love a Cop Day ´ . The Brownsville, Texas City Commission has passed a Proclamation designating February 14 as ´ Love a Cop Day ´."[21] Sir James George Frazer kommt in seinem viel zitierten Werk "The Golden Bough" (1890) auf das "Scapegoat"-Motiv zu sprechen. In dem Kapitel "The Riddance of Evil" beschreibt er die Tendenz verschiedener Kulturkreise, tabu-behaftete bzw. gemeinschaftsgefährdende ´böse´ Neigungen, die sich als Naturgewalten oder menschliche Taten darstellen können, stellvertretend einem lebendigen oder leblosen "Sündenbock" zuzuschreiben, der dann durch unterschiedliche, der jeweiligen Tradition entsprechende Riten vernichtet oder ausgestoßen wird.[22]

Ganz in diesem Sinne wird die Diffamierung der amerikanischen Grenzpolizei als "menschenverachtende Knüppelgarde" beiderseits der Grenze "dankbar" thematisiert, zumal die Komplexität des Problems damit hinreichend aus der öffentlichen Diskussion verbannt wird. Solange einem Sündenbock die Bürde des hausgemachten Dilemmas stellvertretend übergeholfen werden kann, müssen Konsequenzen nicht vor der eigenen Haustür gezogen werden. Die Mexikaner wollen ihren Brotgeber nicht anschwärzen, die Amerikaner nicht sich selbst.

Und so bleibt das Übel an den Händen der amerikanischen Regierung kleben, die den Befugniskatalog der Border Patrol über- bzw. unterstrapaziert (je nach persönlichem Standpunkt), wobei man die Ursachenforschung auch gern im Umfeld der borderlands belässt. Präsident Clinton sah sich in einer Rede vom 2.7.94 genötigt, ein Versagen des INS einzugestehen und rechtfertigte damit gleichsam die Bewilligung immenser finanzieller Zuschüsse aus der Staatskasse für die Aufstockung des gesamten Grenzschutzapparates: "Illegal immigration is a continuing problem which threatens this country's immigrant traditions and reduces the ability of State and local governments to provide quality human services. The public has lost confidence in the Federal Government's ability to handle this problem. It is, therefore, imperative that the Federal Government takes its responsibility for controlling the border seriously. In order to maintain fiscal and economic security, and turn the rising tide of negative sentiment against all immigrants, the Federal Government must take aggressive measures to secure the border and curb illegal immigration."[23]

Verfolgt man die Debatten um die "unliebsamen Nutznießer des amerikanischen Wohlstands", könnte man den Eindruck bekommen, Fremdenfeindlichkeit sei eine einseitig vom Staat oktroyierte Politik, deren Exekutive INS und Border Patrol darstellen, die jedoch mit den Anschauungen der meisten amerikanischen Bürger keineswegs korrespondiert. Political Correctness und Liberalismus geben den Ton der öffentlichen Diskussion an. Ein Paradebeispiel dafür ist der folgende Vorfall, zitiert aus der taz vom 19.11.1994: "Dasösterreichische Muskelpaket Arnold Schwarzenegger hat ihm zugeschriebene rassistischeÄußerungenüber illegal in den USA lebende Mexikaner energisch zurückgewiesen. Mehrere soziale Organisationen hatten zum Boykott des Schwarzenegger- Streifens "True Lies" aufgerufen, weil der Schauspieler gesagt haben soll, es gebe bereits genügend browns in den USA. Der in Kalifornien lebende Actionheld hatte den von den Republikanern in diesem Bundesstaat eingebrachten umstrittenen Gesetzentwurf unterstützt, der die Kürzung von Sozialleistungen für illegale Zuwanderer, vor allem aus Mexiko, vorsieht. Doch versicherte er, er habe in den vergangenen vier Jahren viel mit Kindern zusammengearbeitet und Sport getrieben. Darunter seien sehr viele "Latinos" gewesen. Auch er sei ein Einwanderer. Jeder sollte die Möglichkeit haben, in die USA zu kommen und seine Träume Realität werden lassen."[24]

Ulrich Greiner, der in seinem Buch "Gelobtes Land" (Rowohlt, 1997) US-amerikanische Schriftsteller interviewte, fasste den Grundtenor bezüglich des offiziellen Umgangs mit der Immigrantenproblematik treffend mit folgenden lapidaren Worten zusammen: "Jeder sei seines Glückes Schmied, seines eigenen Schicksals Regent, und da soll kein Staat mit falscher Fürsorglichkeit dazwischengehen."[25]

Genaugenommen beschreibt diese Devise eine Grundeinstellung vieler Amerikaner, deren Konsequenzen in den Augen ihrer Kritiker Kalifornien mittlerweile unregierbar gemacht haben:

"...the state [Kalifornien] with its propensity to experiment, had been particularly fertile ground for the nationwide Progressive movement, which aimed at controlling the big corporations [...] and devolving power to the people, while weakening the controls of the state's political institutions. [...]

Like most of California's changes, these had seemed so right, so liberal, so good. In this brave new world, power had been dispersed ... decentralized ... deconstructed ... (California was always good at embracing new ideas that were wonderful in theory, abysmal in practice.)."[26]

Während sich das Ressentiment gegenüber "denen da oben in Washington" spätestens seit dem Fehlschlag Reaganscher Wirtschaftsreformen tendenziell auf alle Bevölkerungsschichten auszuweiten scheint, sind es nicht allein die liberalen und Linken, die diesem Trend permanent Nahrung geben. Auch das rechte Spektrum der Konservativen fühlt sich nur unzureichend durch die innenpolitischen Entscheidungen des Weißen Hauses vertreten. Nahezu jede Maßnahme ruft daher die Zweifler aus beiden Lagern auf den Plan. Der lange Katalog halbherziger Entscheidungen (z.B. in der Immigrantendebatte) lässt zumindest erahnen, dass wirklich konstruktive Lösungen den eigenen Landsleuten einen Pfand abverlangen würden, der jahrelange Selbstverständlichkeiten in Zweifel ziehen müsste und unpopulärer kaum sein könnte.

"Even now, with the state [Kalifornien] broke and everybody knowing the problems, nobody is willing to address the city's [Los Angeles] massive illegal immigration, the corrupt welfare programs and the pitting of modern ´ tribe ´ against ´ tribe ´ (blacks, Hispanics, Koreans)."(S. 289), schreibt Geogie Anne Geyer in ihrem von mir schon wiederholt zitierten Buch "Americans No More" und behauptet damit indirekt, dass öffentlich diktierte Political Correctness und natürlich die Liberalen lediglich zu verbergen versuchen, was prinzipiell längst schon kein Geheimnis mehr ist: "that immigration - and, in particular, massive and growing illegal immigration - had become one of the two or three decisive elements in pushing the state just over the brink of collapse." (S. 290)

Tatsächlich, so meinen jedenfalls Soziologen und Demographen, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Nation dabei ist, in viele separate "Communities" zu zerfallen, die sich kaum noch durch gemeinschaftliche Bedürfnisse oder Absichten charakterisieren lassen. Möglicherweise wird das Resultat eine pluralistische Gesellschaft sein, die nach wie vor an den Grundsätzen von Staatsbürgerschaft und Kapitalismus festhält, von bedeutsamen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften jedoch kaum profitieren kann. Das hängt damit zusammen, dass eine grundsätzliche Übereinstimmung bezüglich dessen, was die Amerikaner in ihrem Wesen kennzeichnet, nicht mehr von einem kollektiven Streben nach einer einheitlichen Landessprache und -kultur geprägt ist. Das Diktat des dominanten "weißen Protestantismus" weicht zusehends einer ethnischen Vielfalt, die natürlich das Ergebnis der zahlreichen Immigrationswellen ist, wobei die überwältigende Mehrheit der Einwanderer heutzutage aus Asien und Lateinamerika kommt.

Als 1965 der "Immigration and Nationality Act" von 1952 durch eine Regelung für die umfassende Familienzusammenführung zugelassener Einwanderer ergänzt wurde, wollte man dem Vorwurf, das Gesetz bevorteile weiße Europäer, entgegenwirken. Das hatte zur Folge, dass bei rund 1 Millionen Neuankömmlingen pro Jahr mittlerweile jeder 10. Einwohner geborener Ausländer ist.[27] Das Bedürfnis der meisten Einwanderergruppen, die eigene ethnische Identität zu bewahren und kulturelle Wurzeln zu betonen bzw. gegebenenfalls zu verteidigen, verdeutlicht die "Identitätskrise" der Nation:

"At high school cafeterias, the second and third generation children of immigrants clump together in cliques defined by where their parents or grandparents were born. There are television sitcoms, talk shows and movies that are considered black or white, Latino or Asian. At a place like the law school of the University of California at Los Angeles, which has about 1,000 students, there are separate student associations for blacks, Latinos and Asians with their own law review journals." (W. Booth; S. 6)

Festzuhalten bleibt allerdings, dass nicht alle Bundesstaaten von der Immigrantenproblematik gleichermaßen betroffen sind. Das Phänomen der den mexikanischen Einwanderern bereits zugeschriebenen Favorisierung von Großstädten (größtenteils Küstenmetropolen im Osten und Westen des Landes) trifft sogar auf weit über die Hälfte aller im Ausland geborenen Einwohner des Landes zu. Das heißt, dass riesige Gebiete im Norden und mittleren Westen der U.S.A. schwach besiedelt bleiben, während eine Handvoll überbevölkerter Küstenstädte aus den Nähten platzt.

Eine Konsequenz ist die massive Flucht der einheimischen Bevölkerung aus den Großstädten. Allein in den Jahren 1990 bis 1995 hatten New York genau wie Los Angeles die Abwanderung von jeweils über 1 Millionen Einheimischer zu beklagen, wobei die Einwohnerzahl in diesem Zeitraum sogar um etwa die gleiche Summe durch die Niederlassung neuer Immigranten gestiegen war (vgl. W. Booth; S. 6) "White Flight" nannte man das Phänomen:

"To oversimplify, said University of Michigan demographer William Frey, "For every Mexican who comes to Los Angeles, a white native-born leaves."

Most of the people leaving the big cities are white and they tend to working class. This is an entirely new kind of "white flight," whereby whites are not just fleeing the city centers for the suburbs but also are leaving the region, and often the state." (W. Booth; S. 6) Einhergehend mit diesen Abwanderungstendenzen und der "suburbanization" ist seit dem Ende der 80er Jahre auch das wachsende Phänomen der "Gated Communities" allgegenwärtig.

"Gated Communities" sind Wohngebiete mit beschränktem öffentlichen Zugang unter oft sogar eigener Verwaltung. Während die frühesten dieser Gemeinden entweder Kurorte für Senioren oder Prestige-Enklaven für Millionäre darstellten, gehört die Mehrheit ihrer heutigen Bewohner dem Mittel- bzw. gehobenen Mittelstand an. Das Hauptmotiv der Bewohner umzäunter privatisierter Gemeinden ist die Schaffung einer Sicherheitszone gegen Verbrechen und Gewalt, gegen Drogenhandel und Ghettoisierung durch Immigranten. "Gated Communities" manifestieren die wachsende "Festungsmentalität" der Amerikaner, zumal Schätzungen davon ausgehen, dass mindestens 3 bis 4 Millionen Bürger diese Form privater Zuflucht persönlich favorisieren (die Zahl potentiell sympathisierender Bürger dürfte weitaus größer sein).[28]

Diese Entwicklung gibt der an anderer Stelle bereits geäußerten These Nahrung, dass der Status "American citizenship" in zunehmendem Maße einem abstrakten Oberbegriff für unzählige separate Gemeinschaften entspricht, deren Zusammenhalt nicht mehr durch tradierte kulturelle und moralische Normen gewährleistet zu sein scheint: "The resulting loss of connection between citizens in privatized and traditional communities loosens social contact and weakens the bonds of mutual responsibility that are a normal part of community living. As a result, there is less and less talk of citizenship. The new lexicon of civic responsibility is that of the taxpayers who take no active role in governance but merely exchange money for services. Residents of privatized gated communities say they are taking care of themselves and lessening the public burden, but this perspective has the potential for redistributing public costs and benefits." (Blakeley / Snyder; S. 3)

Angst vor Fremden, seien es Ausländer oder Verfechter "unamerikanischer" Ideologien, hat in der Geschichte der Vereinigten Staaten eine lange Tradition und lässt sich anhand zweier dominanter Reaktionsmuster über die Jahre hinweg bestätigen: Verbarrikadierung und/oder Gewalt. Der Ku Klux Klan, dessen einmütige Präsenz und öffentlicher Einfluss heute vergleichsweise gering sind, kann als Musterbeispiel der permanenten Zelebrierung eines einheitlichen Feindbildes gelten, das es zum Schutz der "white supremacy" auszumerzen gilt: Nicht-Protestanten, Gewerkschafter, Ausländer und vor allem Schwarze. Doch haben sich die dominanten Ideologie-Strukturen und Moralvorstellungen im Land seit dem Ende der 60er Jahre zusehends geändert, was terroristische und radikale Bewegungen in den Untergrund, doch längst nicht ins totale Abseits, dirigierte. Die Propagierung von Gewaltlösungen stößt in der Öffentlichkeit zwar nicht auf Zuspruch, potentiell jedoch auf Verständnis. In anderen Worten heißt das: Man sollte niemandem den Kopf abreißen, weil man ihn nicht mag, doch sollte er auch keinen Zweifel daran hegen, dass man ihn nicht mag.

Der Wunsch nach einem "backlash" ist in den grenznahen Siedlungen und Städten am größten, weil ihren Bewohnern jeder neue Einwanderer zur Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt werden kann, während ihnen die Lächerlichkeit des "Schutzwalls zur Dritten Welt" tagtäglich vorgeführt wird:

Südlich von San Diego verläuft ein fünf Meilen langer Streifen des Interstate 5 (Freeway), der zwischen 1987 und 1991 über 100 Mexikanern das Leben kostete, die versucht hatten, den Freeway zu überqueren, um illegal in die U.S.A. zu gelangen. Nachdem mexikanische Bürgerrechtsaktivisten dem "California Department of Transportation" (CalTrans) vorwarfen, dass das Ignorieren dieser Verkehrsgefahr kalkuliertem Mord gleichkäme, wurden zunächst jeweils zwei Spuren in beiden Fahrtrichtungen gesperrt. Des weiteren wurden Geschwindigkeitsbegrenzungen festgelegt und Warnschilder aufgestellt. "They acted to make it easier and safer for the aliens to break the law!" (Geyer; S.75). Der Rekord illegaler "Freeway-crossers" lag bald darauf bei 2200 am Tag. Georgie Anne Geyer begründet das sich wiederholende Phänomen solcher, ihre Meinung nach paradoxen Entscheidungen mit ihrer These einer "unrepresentative representation":

"For what we find is a tiny group of activists that has been pushing illegal immigration,

immigration "rights", and weaker border controls, and which has been effectively writing the public agenda, even while it really represented nobody! [...] and it looks as though the power and ideas are 50 percent pro and 50 percent con. It's not true, but no one ever looks into who these people are and whether they really represent anyone or not." (Geyer; S. 76f.) Geyer bezieht sich auf "repräsentative" Umfragen, nach denen die absolute Mehrheit aller in den U.S.A. lebenden Mexikaner eine Verschärfung der "border laws" fordert, während "selbsternannte" Aktivisten, die das Gegenteil fordern, sich permanent auf eben jene Mexican-Americans berufen und somit das öffentliche Meinungsbild manipulieren und populäre politische Entscheidungen verhindern bzw. entkräften.

"Das ist schieres Eigeninteresse. Ich bin hier, und kein anderer soll kommen.", unterstellte T.C. Boyle den Mexican-Americans in einem Interview, was ihn aber nicht davon abhielt, bereits im nächsten Satz sein privates Eigeninteresse kundzutun: "Ich bin der Ansicht, dass die Grenzen kontrolliert werden sollten." [29] und an anderer Stelle: "Wir müssen uns entscheiden: Sollen wir Mexiko zu einem weiteren Bundesstaat machen? Mexiko hat, wie die USA, gewaltige Ressourcen, aber unglücklicherweise ist seine Regierung korrupt. Da gibt es ein Einparteiensystem , das seit der Revolution alles beherrscht, da gibt es eine sehr kleine Oligarchie, die den Rest des Volkes verachtet und im Luxus lebt. Ist das ein Problem, das Amerika lösen sollte? Ich weißnicht." (Greiner; S. 114f.)

T.C. Boyle weiß es nicht und deutet damit den moralischen Wankelmut an, der so vielen Amerikanern vertraut sein dürfte: Welche Verantwortlichkeiten erwachsen aus privatem Wohlstand und wie eng darf man deren Grenzen ziehen, ohne die moralische Integrität zu verlieren?

Auch wenn die aus jener Selbstsucht erwachsene Feindseligkeit gegenüber Fremden in der Öffentlichkeit nur vorsichtig unter dem Stichwort "Bewahrung nationaler Souveränität" zutage kommt, ist sie latent im Laufe der letzten Jahre gewachsen und sucht ihre Rechtfertigung in der klischeehaften Diskreditierung jener "illegal aliens" zu "criminals" und "potential rapists".

Geschürt werden derartige Bewertungskriterien zudem durch die Tatsache, dass die Schnittstellen in der Geschichte beider Länder eine Reihe mythenumwobener Verzerrungen in ihrer Überlieferung und Popularisierung u.a. durch frühe Westernproduktionen in den 20er Jahren erfahren haben:

from Romance in Durango[30]

Hot chili peppers in the blistering sun Dust on my face and my cape, Me and Magdalena on the run I think this time we shall escape. [...]

Past the Aztec ruins and the ghosts of our people Hoofbeats like castanets on stone.

At night I dream of bells in the village steeple Then I see the bloody face of Ramon.

Was it me that shot him down in the cantina Was it my hand that held the gun?

Come, let us fly, my Magdalena

The dogs are barking and what's done is done.

Bob Dylan & Jacques Levy

Das Bild Mexikos, welches sich dem geistigen Auge vieler Amerikaner intuitiv aufdrängt, ist in erster Linie ein Konglomerat tradierter Klischees, die bis in das Jahrzehnt der mexikanischen Revolution (ab 1910/11) zurückreichen. Des weiteren ist es von den unmittelbaren Eindrücken geprägt, die sie persönlich oder vom Hörensagen mit Tijuana verbinden, der infrastrukturell am engsten mit den U.S.A. verbundenen mexikanischen Stadt.

Im folgenden soll untersucht werden, welche Mechanismen der Überlieferung das Zustandekommen stereotyper Bewertungskriterien in bezug auf Mexiko begünstigt haben und inwiefern diese das Meinungsbild der Amerikaner über mexikanische Einwanderer beeinflussen.

Eine der populärsten Assoziationen zu Mexiko ergibt sich aus einer unzählig oft variierten Standartsituation aus Büchern und Filmen (zuletzt in Quentin Tarantinos "From Dusk Till Dawn", 1996): Einer oder mehrere amerikanische Kriminelle versuchen verzweifelt über die Grenze nach Mexiko zu fliehen, um dem gnadenlosen Diktat US-amerikanischer Rechtssprechung zu entkommen:

"Well, I'm going down south way down Mexico way

And there ain't no hangman

Gonna put no noose around me Just

cause I shot her

Just ´ cause I shot her down

[...]

I'm going down south where a man can be free"[31]

Mexiko ist hier nicht nur ein Land, auf dem das amerikanische Gesetz endet; vielmehr gilt es als Eldorado für "outlaws" schlechthin, was mit der traurigen Geschichte mexikanischer Machtstrukturen bis in die 40er Jahre hinein zu tun hat.

Seit der Erlangung der Unabhängigkeit (1821) musste Mexiko eine nahezu ununterbrochene Abfolge korrupter Diktatoren, die sich von Großgrundbesitzern hofieren ließen, ertragen. Zudem war das mexikanische 19. Jahrhundert von Kriegen durchtränkt (Mexiko-U.S.A., 1846/48 ; Bürgerkrieg zwischen Liberalen und Konservativen, 1858/60 ; Krieg gegen Napoleon III., 1862-67). Unter der Diktatur von Profirio Díaz` (1876-1911) wurde der in den Jahren zuvor enteignete Klerus wieder mit Sonderrechten ausgestattet, wurden ausländische Investoren willkommen geheißen und der Landbevölkerung ihr letztes Hab und Gut zugunsten der "haciendas" abgepresst.[32]

Der Vertrag von Guadalupe Hidalgo (1848) beendete den Krieg zwischen Mexiko und den U.S.A. und machte den Rio Grande zu einer internationalen Grenze, die jedoch die einstige mexikanische Provinz von Nuevo Santander exakt in ihrer Mitte teilte und somit auch die Bewohner, Freunde und Verwandten in zwei Lager spaltete. Nur einen Steinwurf voneinander entfernt standen sich nun Mexikaner und US-Amerikaner gegenüber. "If they wanted to visit each other, the law required that they travel many miles up- or downstream, to the nearest official crossing place, instead of swimming or boating directly across as they used to do before. It goes without saying that they paid little attention to the requirements of the law."[33]

Was sie einander an Geschenken mitbrachten, nachdem sie den Fluss illegal durchwatet hatten, war nun in offiziellem Sinn Schmuggelware. Seit cirka 1890 machte sich dann auch das Phänomen illegaler Immigranten, die in den U.S.A. (zunächst vorwiegend in Texas) Arbeit suchten, bemerkbar. "The smuggler, the illegal alien looking for work, and the border- conflict hero became identified with each other in the popular mind." (Paredes, p.7) Nach dem Pizana-Aufruhr von 1915, in dem texanisch-mexikanische Bauern versucht hatten, eine spanischsprachige Republik im Süden von Texas zu gründen, war der Ruf der an den darauffolgenden Strafexpeditionen beteiligten "Texas Rangers" im Grenzgebiet derartig schlecht, dass jeder Mexikaner, der in Konflikt mit dem US-amerikanischen Gesetz kam, gute Aussichten hatte, als Volksheld gefeiert zu werden.

Eine "Corrido"-(Balladen-)Tradition entwickelte sich entlang des Rio Grande, in der der Held seine und die Rechte anderer Mexikaner gegen die "rinches" (Rangers) verteidigt. "... major corrido heroes are Gregorio Cortez (1901), who kills two Texas sheriffs after one of them shoots his brother; Jacinto Trevino (1911), who kills several Americans to avenge his brother's death; Rito Garcia (1885), who shoots several officers who invade his home without a warrant; and Aniceto Pizana and his "sediciosos" (1915). Some corrido heroes escape across the border into Mexico; others, like Gregorio Cortez and Rito Garcia, are betrayed and captured. They go to prison but they have stood up for what is right. As the "Corrido de Rito Garcia" says,

". . . me voy a la penitencia

por defender mi derecho."

[. . . I am going to the penitentiary

because l defended my rights.] " (Paredes, p.7)

Die unübersichtlichen und desolaten Zustände im und südlich des Grenzgebietes waren auch der Nährboden für zahllose, zu jeder Verzweiflungstat entschlossene Desperados und Banditen, die das Faustrecht an jenen erprobten, die in diesem Land ohnehin schon nichts zu lachen hatten. Einer von ihnen wurde dann schließlich in den Jahren der Revolution zur Legende stilisiert: "Pancho Villa". Im Alter von 15 Jahren erschoss Doroteo Aranga, so sein richtiger Name, einen Mann, der versuchte, seine Schwester zu vergewaltigen. Daraufhin floh er für die nächsten 15 Jahre in die Sierra Madre und schloss sich dem Rebellenführer Francisco I. Madero an, der nach dem Sturz der Díaz`- Diktatur (1911) Präsident Mexikos werden sollte. Villa, der während Maderas Amtszeit unter General Victoriano Huerta (Maderas Nachfolger) diente und wegen Ungehorsams zum Tode verurteilt worden war, floh in die U.S.A., deren Regierung seine Pläne unterstützte. Pancho Villa ging während Huertas Amtszeit in die Opposition und schloss sich dem Rebellen Venustiano Carranza an. Mittlerweile hatten Villa und seine Kameraden unter dem berüchtigten Namen "La Division del Norte" bereits den gesamten Norden Mexikos unter Kontrolle gebracht. Doch, als Carranza 1914 an die Macht kam, richtete sich Pancho Villa gegen ihn. In erbitterten Kämpfen gegen Carranzas Truppen verlor die "Division del Norte" viele Männer. Als Carranza schließlich 1915 zum Präsidenten ernannt wurde und die U.S.A. selbigen unterstützten, fühlte Villa sich betrogen und richtete seine Rebellion gegen die Vereinigten Staaten, in die er mit seinen Truppen im März 1916 einmarschierte und Columbus, NM, zu großen Teilen zerstörte und zahlreiche Bürger tötete. Die darauffolgende Strafexpedition stark bewaffneter amerikanischer Truppen unter General John Joseph "Blackjack" Pershing wurde insofern legendär, als dass es dieser nicht gelang, Pancho Villa habhaft zu werden und die mexikanische Bevölkerung unerwarteterweise mit Villa sympathisierte, was beide Länder an den Rand eines neuen Krieges manövrierte. Dennoch wurde die "Division del Norte" weitestgehend zerschlagen. Pancho Villa fiel im Jahr 1923 einem Attentat politischer Gegner zum Opfer und wurde posthum in enger Assoziation mit anderen Revolutionsführern wie Emiliano Zapata und der mit ihnen einhergehenden Revolutionsparole "Tierra y Libertad!" beiderseits der Grenze als moderner Robin Hood glorifiziert:[34]

"All the federales say

They could have had him any day

They only let him slip away

Out of kindness, I suppose."[35]

Entmystifizierungsversuche, wie die 1957 erstmals veröffentlichte Short Story "Eine wahrhaft blutige Geschichte"[36] des (wahrscheinlich deutschstämmigen) B. Traven, in der die Legende Pancho Villa (nicht ohne Ironie) auf dessen Gräueltaten und Brutalität reduziert wird, blieben die Ausnahme, wenngleich auch in dem mittlerweile verfilmten Bestseller "Gringo Viejo" ("Der Alte Gringo") von Carlos Fuentes Villas Wertmaßstäbe zweifelhaft erscheinen: "Wir werden noch ´ ne ganze Menge kleiner Gringos umbringen, [...] , aber zu ihrer Zeit und wenn ich das bestimme".[37]

Pancho Villa geriet, ähnlich wie seine US-amerikanischen Geistesverwandten des vergangenen Jahrhunderts (Jesse James, John Wesley Hardin´ und Billy the Kid) wider besseren Wissens ihrer Zeitzeugen als gerechter Volksheld in die Annalen tradierter "folktales". Mit zahllosen Western-Produktionen zementierte Hollywood in den 20er und 30er Jahren das idealisierte Image jener gesetzlosen Desperados, die den Zuschauer zum Erben einer heroischen Vergangenheit werden lassen, wo das Gute über das Böse triumphiert. Die Verehrung und moralische Rehabilitierung fragwürdiger "outsider" hat in der abendländischen Kultur zudem eine spezielle Funktion. Sie ist - auch und gerade in der heutigen Zeit - Ausdruck einer Sehnsucht nach Identifikationsmustern, die neben heroischen Taten die Auflehnung gegen dominante gesellschaftliche Machtstrukturen beinhaltet .

Außenseiter, die aus einer von der Gesellschaft zu verantwortenden Not heraus die Grenzen der Rechtschaffenheit überschreiten und zu "Helden wider Willen" werden, sind die Protagonisten vieler populärer Road-Movies und Stoff unerfüllter Träume, die aus Wohlstand und Sicherheit zu erwachsen scheinen.

"I fought the law and the law won" sang Sonny Curtis einst und meinte wohl das Anrecht, für 15 Minuten im Leben ein ´outlaw´ sein zu dürfen, womit zwar nicht Andy Warhol, aber sicher ein nicht unwesentlicher Teil des "American Dream" zitiert wurde. Es ist daher kein Zufall, dass nicht wenige der modernen amerikanischen Legenden auf einem austauschbaren plot basieren, der in seiner Abfolge auf die Schlagwörter Armut, Kriminalität als Ausweg, Bestrafung und Läuterung reduziert werden kann. Spike Lees Verfilmung der Biographie von "Malcolm X" (1992) bedient sich exakt jenem Muster, um die moralische Integrität des Protagonisten trotz der dem späteren Sprachrohr der "Black Muslims" oft zugesprochenen militanten Rigorosität konsequent zu bewahren.[38]

John Wesley Hardin´ (1853 -1895), der als gefürchteter Revolverheld wegen mehrfachen Totschlages steckbrieflich gesucht und schließlich inhaftiert wurde, studierte während seiner Arretierung Theologie und Rechtswissenschaft und verließ das "Huntsville-Prison" als geläuterte Legende. Nahezu identisch lesen sich die Biographien von ´Crazy Joey´ Gallo (eine Art "Godfather" in einer von fünf Mafia-Banden in New York City in den 60ern) und Salvador Agron (ein mit 16 Jahren zum Tode verurteilter Puerto Ricaner, der in einem Bandenkrieg in Manhattan 1959 zwei Menschen erstach und als "Capeman" in die Schlagzeilen geriet). Beide erfuhren nach ihrem Tod eine moralische Aufwertung, die mit deren Läuterung während der Inhaftierung begründet wurde. Bob Dylan ließ Joe Gallo (wie vorher schon John Wesley Hardin´) gar zum Märtyrer werden:

"He did ten years in Attica, reading Nietzsche and Wilhelm Reich They threw him in the hole one time for tryin ´ to stop a strike.

[...]

And someday if God's in heaven overlookin ´ His preserve

I know the men that shot him down will get what they deserve."[39]

"Songs From The Capeman" nannte Paul Simon sein letztes Album und die dazugehörige Theaterinszenierung. In den "liner notes" zum Album schreibt er:

"Salvador Agron ended up serving 20 years in prison and was released in 1979. He was described as a model prisoner: he learned to write poetry, became something of a political activist and never again committed a violent act."[40]

Die Rehabilitierung von "unverschuldet" schuldig gewordenen "Opfern gesellschaftlicher Umstände" hat in der westlichen Literatur eine Tradition, die ich als "Ästhetik der Armut" an späterer Stelle noch einmal aufgreifen werde. Wichtig scheint mir aber an dieser Stelle der Verweis darauf, dass jene modernen Mythen ästhetische Konstrukte sind, die Aufschlüsse über potentielle Befindlichkeiten, Bedürfnisse und Einstellungen ihrer Verfechter und Bewahrer geben können, die sich aber nicht zwingenderweise in realen Handlungskonsequenzen widerspiegeln. Die tatsächliche Konfrontation mit den Erben jener glorreichen Desperados von einst, z.B. den kleinen Banden, Schmugglern und Dealern südlich der Grenze, lässt derartig wohlmeinende Assoziationen wohl kaum zu.

Ramón Gutiérrez hat in einer Studie ("The Erotic Zone - Sexual Transgression on the U.S.Mexican Border", 1996) den Versuch unternommen, die Gründe für das einheitlich negative Image, welches die Mehrheit der Bewohner San Diegos den "illegal aliens" seit jeher aufnötigt, anhand von tradierten Interaktionsmustern zwischen den Nachbarstädten San Diego und Tijuana zu beschreiben.[41]

Auch er geht zunächst davon aus, dass Mexikos Image eng an die mit diesem Land assoziierte ´Narrenfreiheit´ geknüpft ist, auf die die amerikanische Rechtssprechung keinen Zugriff hat, während die Kontrollmöglichkeiten des ´schwerfälligen´ mexikanischen Staatsapparates stark begrenzt sind.

"Tia Juana Is a Disgrace to Mexico, a Menace to America", hieß es bereits 1920 in einer

Schlagzeile des "Los Angeles Examiner" (Gutiérrez, S. 256). In der Zeit der "Prohibition" war diese Stadt ein Zufluchtsort für illegale Schnapsbrenner und -konsumenten. "Soon there were brothels, gambling houses, and all those pleasures and pains prohibited in respectable California society." (S. 256), was den Unmut vieler Amerikaner hervorrief, zahlreiche Unternehmer aus San Diego und Los Angeles aber nicht davon abhielt, in eben jenen "Abschaum" zu investieren. Nach der Abschaffung der "Prohibition" 1935 war der Ruf Tijuanas "as a den of vice and decadence" (S. 256) bis in die Gegenwart hinein geprägt:

"Millions of American tourists visit Tijuana yearly in search of inexpensive leather goods and black velvet paintings of Jesus Christ, Michael Jackson, and Che Guevara. Many San Diego boys count the days until they reach manhood with dreams of Tijuana ´ s bestial sex acts, its drinking and debaucheries, which good Protestant mothers constantly caution their sons will only lead to hell, furry palms, and dissipation." (S. 254)

Gutiérrez geht von einer tradierten Dualität in den verwandtschaftlichen Beziehungen der "Middle-class white Americans" aus, die sich aus "nature" (biologische Abstammung) und "law" (durch menschlichen Eingriff regulierte Verwandtschaft: Ehe als Institution und die Familien der Eheleute als "in-laws") zusammensetzt und einen weitreichenden Einfluss auf Kategorisierungen im sozialen, politischen und philosophischen Bereich ausübt. Die Richtlinien für die Bestimmung von "citizenship" und "nationality" in den U.S.A. seien laut Gutiérrez ein klarer Beleg dafür:

"Americans are either born into the nation (the order of nature) or they enter it through a legal process (the order of law) and become citizens through a process we call "naturalization"." ( S. 255)

Der "nature/law code", fährt Gutiérrez fort, kreiert weitere grundlegende Dichotomien, "which are anchored to the symbol of conjugal sexual intercourse and are used to differentiate us/them, insider/outsider, male/female, law-abiding/criminal, human/animal, clean/dirty" (S.255).

Auch der französische Philosoph Jaques Derrida, der das poststrukturalistische Verfahren der "Dekonstruktion" prägte, unterstellt der westlichen Kultur tradierte Denkmuster, die sich in Dichotomien manifestieren: schwarz/weiß, bewusst/unbewusst, Ursache/Wirkung, etc.. Derrida geht davon aus, dass diesen Gegensätzen zudem eine Hierarchie zugrunde liegt, die den Begriffspaaren gleichermaßen eine positiv/negativ- Wertung zuschreibt.[42] Nimmt man diese Perspektive (erweitert um Gutiérrez´ nature/law-These) zum Ausgangspunkt der Untersuchung tradierter Klischees, die die Amerikaner von den "anderen", den Mexikanern diesseits und jenseits der Grenze, haben, wirkt deren abwertende Rhetorik durchaus nachvollziehbar:

"First, Mexican workers are "illegal aliens" and thus a menace to public safety. They break the law. They engage in illegal acts, such as seeking work. In times of economic difficulty, they take away jobs that are meant for Americans, and thus are the reason for economic hardship. [...] The second depiction of Mexican workers is that they are physically dangerous because they are rapists, the source of drugs and diseases as AIDS, and a menace to public health because they live in squalor and unsanitary conditions." (Gutiérrez; S.257f.)

Der Verstoß der Mexikaner gegen "the order of nature" liegt für Ramón Gutiérrez in der abschreckenden Beispielhaftigkeit Tijuanas begründet, die im Laufe der Jahre, permanent um Fallbeispiele und Episoden bereichert, ein Bestandteil des amerikanischen Bewusstseins geworden ist. Er führt den berühmten "Peteet case" aus dem Jahr 1926 an: Ein amerikanisches Ehepaar fuhr mit seinen beiden Töchtern für fünf Tage nach Tijuana ("A little gambling and a little drinking was all they had in mind" [S. 250]). Nach einer durchzechten Nacht findet die Frau ihren Mann auf der Straße neben einer Bar. Die beiden Töchter, so stellte sich später heraus, wurden in jener Nacht mit Drogen betäubt und mehrfach vergewaltigt. Die Schlagzeilen amerikanischer Zeitungen beschäftigten sich bereits am nächsten Tag ausführlich mit dem Schicksal der Peteets, die, zutiefst erniedrigt in ihre Heimat zurückkehrten und wenig später gemeinsam Selbstmord begingen.

Seit diesem Ereignis hat die Form der Berichterstattung über Tijuana einen einheitlichen Grundtenor. Die amerikanische Jugend wird von sexuellen Ausschweifungen jenseits der Grenze verdorben, "the crimes they commit in Tijuana are rarely noticed" (S. 257). Die Desperados von einst brauchen um ihren Ruf nicht zu fürchten, denn sie sind Vergangenheit und ihre "ruhmreichen Taten" werden weiterleben und um die eine oder andere "identifikationsfördernde" Episode bereichert. Nicht so die "illegal aliens", die "modernen outlaws" aus dem Süden. Für die Leute im "Gelobten Land" sind die "wetbacks", die "Nassärsche", die täglich zu ihnen durch den Rio Grande überlaufen, eine Zumutung, "denn jede Nacht geistert die Dritte Welt durch ihre Rosengärten"[43] - auf der Flucht vor Armut, einem ungewissen Schicksal entgegen.

Interessant ist nun die Frage, ob und in welchem Maße sich solche tradierten Bewertungskriterien bzw. Meinungsbilder auch in der Literatur widerspiegeln. Ulrich Greiner kommt bei seiner Befragung von US-amerikanischen Schriftstellern über ihr Verhältnis zur Politik und die Lage des Landes zu einer aufschlussreichen, wenn auch eigentlich nicht verwunderlichen Erkenntnis. Im Interview mit Paul Auster heißt es: Greiner: "Indem sie [die Schriftsteller] Bücher, Romane darüber schreiben, sagen sie etwasüber die Lage des Landes, was anders nicht gesagt werden könnte und so noch nicht gesagt worden ist. Hält Auster das für eine verrückte Idee?"

Auster: "Ich glaube nicht, dass sie verrückt ist, aber das Ganze scheint mir ziemlich vorhersehbar. Ich könnte vorhersagen, was die meisten antworten. [...] Sie sollten mit Norman Mailer sprechen, der ist politisch immer sehr aktiv gewesen. Wahrscheinlich sollten sie auch mit rechten Schriftstellern reden. Es müsste eigentlich welche geben, obwohl mir jetzt gerade keiner einfällt." (Greiner; S.51)

Den Verweis auf rechte Schriftsteller bekam Greiner noch öfter von selbsternannt linken oder liberalen Gesprächspartnern, ohne je einen Namen genannt zu bekommen. Kein Wunder, dass Paul Auster hellsichtig Vorhersagen über die privaten Ansichten seiner Kollegen treffen kann. Ein Grund für dieses Phänomen scheint darin zu liegen, dass der Literatur und den bildenden Künsten im allgemeinen seit jeher eine ganz besondere Funktion innerhalb einer Gesellschaft zugesprochen wird. In indirekter Form haben Künstler in ihrer Tendenz immer auch die Aufgabe übernommen, die Gräben zu schließen, die sich zwischen den unausgegorenen Lobgesängen einer Gesellschaft auf den Fortschritt (also auf sich selbst) einerseits und den objektiv gegebenen Umständen und Befindlichkeiten ihrer Kritiker andererseits unablässig öffnen. Somit kann man Kunst auch als subjektives Element innerhalb einer Gesellschaft verstehen, welches sich in die Richtung der jeweils unterrepräsentierten "Seite einer Medaille" verlagert, um die Balance zwischen Schein und Sein zu halten. Doch gerade diese Funktion von Kunst nimmt ihr oft auch einen gewissen Überraschungseffekt. Heute scheint es geradezu selbstverständlich, dass sie auch und gerade eine Form von Opposition gegen dominante Meinungsbilder darstellt, dass sie etwas verneint, überwinden will, bekämpft. Kunst schlägt sich auf die Seite der Schwachen, und wenn sie es nicht tut, ist es Provokation, die letztendlich dasselbe Ziel verfolgt, oder: Es ist keine Kunst.

Man macht es sich zugegebenermaßen etwas einfach, wollte man Kunst im allgemeinen und Literatur im besonderen an diesen Maßstäben messen und definieren. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass ihre "Konsumenten" und Rezipienten, bewusst oder unbewusst, auch diesbezügliche Erwartungshaltungen mit künstlerischem Anspruch assoziieren.

Die folgenden Kapitel sollen diese These anhand ausgewählter literarischer Texte zur Grenzproblematik zwischen den U.S.A. und Mexiko aus zwei Perspektiven beleuchten: T.C. Boyles Roman "The Tortilla Curtain", der eindeutig in der Tradition sozialkritischer Prosa (Steinbeck, Sinclair) steht, ist zugleich ein Roman, der vordergründig die Perspektive eines US-Amerikaners auf die Zukunft seines Landes beschreibt.

Gloria Anzaldúa und Helena María Viramontes beleuchten als Vertreterinnen der sogenannten "Chicano/a-Literatur" das Problem aus einer eher politisierenden Sicht, die den Identitätskonflikt der heimatlosen Einwanderer in den Mittelpunkt stellt.

4. BESTANDSAUFNAHME - T.C. BOYLE: "THE TORTILLA CURTAIN"

"This is not a story to pass on", sind die Worte, mit denen Toni Morrison die Leser ihres Romans "Beloved" (1987) schließlich allein ließ, nachdem sie den Leidensweg einer Mutter dokumentiert hatte, die ihr Kind tötete, um es vor der Sklaverei zu bewahren. Weder kathartisch, dramatisch noch logisch konnte Morrison dem Ausgang ihrer eigenen Gedankenkette, zu der sie von einem authentischen Ereignis von 1856 inspiriert wurde, beikommen: "It was not a story to pass on."[44]

T.C. Boyle muss ähnlich gefühlt haben, als er schließlich die Protagonisten seines Romans "The Tortilla Curtain"[45] mit einem ´Erdrutsch ex machina´ davonspülen ließ. Wenn Mauern und Grenzen am Ende fallen, fällt mit ihnen auch die letzte Hoffnung auf eine abrundende Pointe, die die in diesem Buch aufgenommenen Fäden zusammenführen und zu einer erzählbaren Geschichte machen könnte.

Der Autor, der in den U.S.A. längst Kultstatus für eine Reihe äußerst skurriler Romane und Erzählungen genießt, ist bei dem Versuch, das Thema von John Steinbecks Migrantenroman "The Grapes of Wrath" (1939) auf die U.S.A. der 90er Jahre zu übertragen, auf eine Mauer von Unverständnis, Ignoranz und Zweifel gestoßen, die ihm selbst zwei Jahre später (nachdem bereits sein neuer Roman "The Riven Rock" vorliegt) Rechtfertigungen abnötigt. Allein die Kontroversen, die "The Tortilla Curtain" in den Vereinigten Staaten hervorrief, dürften dem erklärten Anspruch T.C. Boyles, dem Steinbeckschen Vorgängerroman verpflichtet gewesen zu sein, gerecht werden. Und doch scheint es nicht gerade so, als würde sich der erfolgsverwöhnte Autor in der Rolle des einsamen Rufers wohl fühlen. Trotzig gab er in einem Interview mit dem deutschen "Rolling Stone"-Magazin zu Protokoll: "Was kümmern mich schon Kritiker, ich pisse auf sie".[46]

"The Tortilla Curtain" gibt Zeugnis von den Reflektionen eines weißen, US-amerikanischen Schriftstellers über die Einwandererproblematik in seinem Land. Geradezu penibel versucht T.C. Boyle, der Meinungsvielfalt zu diesem Thema gerecht zu werden, indem er den Weg der Protagonisten mit allen nur denkbaren Ansichten und resultierenden Konfrontationsmöglichkeiten pflastert, ein Weg, dessen Ende weder einen moralischen Sieger, eine Wahrheit noch eine Lösung zulässt. "Es hat eine Menge Leute wütend gemacht, es gab polemische Reaktionen, ich bin von allen Seiten des politischen Spektrums angegriffen worden. Die Konservativen sagten, ich sei zu nachsichtig mit den Mexikanern, die Vertreter der ´ political correctness ´ , [...] , sagten, ich hätte nicht das Recht, aus der Perspektive eines Mexikaners zu schreiben, weil ich ja keiner bin. Eine Rundfunkmoderatorin aus San Francisco rief mich an und nannte mich menschlichen Abfall. Ich habe mich für das Kompliment bedankt."[47]

""No, listen, Kyra: the guy ´ s okay. I mean, he was just ... bruised, that was all. He ´ s gone, he went away. I gave him twenty bucks."

"Twenty --?"

And then, before the words could turn to ash in his mouth, it was out: "I told you - he was Mexican."" (Tortilla Curtain [TC], p.15)

Ein Verkehrsunfall markiert den Auftakt der Geschichte. Delaney Mossbacher ("a liberal humanist with an unblemished driving record and a freshly waxed Japanese car with personalized plates" [TC, p.3]) fährt auf dem Heimweg einen Mexikaner an, der aus den Büschen am Straßenrand gesprungen kam und versucht hatte, die Fahrbahn zu überqueren. Cándido Pincón, der mit seiner schwangeren Frau América in einem Canyon neben der Straße campiert, liegt verletzt am Boden und Delaney bietet ihm seine Hilfe an. Doch Cándido lehnt ab, nimmt die 20 Dollar, die Delaney ihm verlegen hinhält, rappelt sich auf und humpelt davon.

Einen engeren Kontakt als diese Begegnung im ersten Kapitel wird es zwischen den Zentralfiguren im gesamten Roman nicht mehr geben.

Die Geschichte folgt den beiden Charakteren und ihren Familien, deren Wege sich ab und an kreuzen, was den Handlungsfortgang zwar nicht beeinflusst, atmosphärisch aber durchaus spürbar wird. Nicht gerade originell ist das Buch in drei Teile mit je acht Kapiteln gegliedert, wobei in strenger Gleichmäßigkeit zwischen den Kapiteln die Perspektive des einen bzw. des anderen Paars beleuchtet wird.

Delaney und Kyra Mossbacher sind eine liberale Musterfamilie aus dem gehobenen Mittelstand, die, der Enge New Yorks entflohen, sich mit ihrem Sohn Jordan und zwei Hunden in einer schicken Siedlung in den Arroyo Blanco Estates (Topanga Canyon) ihren Traum vom Eigenheim verwirklicht haben. Während sie als Immobilienmaklerin das Einkommen der Familie sichert, hat Delaney die Möglichkeit, Erkundungsfahrten in die angrenzenden Berge und Wälder zu unternehmen, um für seine Kolumnen in der lokalen Naturschützerzeitung "Wide Open Spaces" zu recherchieren.

Cándido und América sind im krassen Gegensatz zu den Mossbachers die Zielscheibe jeder nur vorstellbaren Katastrophe, die einen Menschen heimsuchen kann, noch dazu, wenn man wie sie illegal in den Wäldern des fremden Landes sein Dasein fristen muss, immer auf der Suche nach Essen, Arbeit, Sicherheit und den Überresten des "American Dream".

"They ain't human. A human being wouldn't live like they do. A human being couldn ´ t stand it to be so dirty and miserable.", ist das Zitat aus Steinbecks "Grapes of Wrath", dass T.C. Boyle seinem Roman voranstellt und mit dem er den Leidensweg des jungen mexikanischen Paares, den ´Okies der 90er´, bereits vorwegnimmt.

Cándido ("his whole life was a headache, his whole stinking worthless ´ pinche vida ´" [TC, p.16] ) kann es nicht ertragen, dass seine Frau nach dem Unfall für ihn sorgen muss: "What good was he? He'd taken Am é rica from her father, so they could have a better life, so they could live in the North, where it was green and lush the year round and the avocados rotted on the ground, and everyone, even the poorest, had a house, a car and a TV - and now he couldn't even put food in her mouth. Worse: she was going to earn his keep." (TC, p.26).

Bereits hier offenbart sich das Schema, nach dem T.C. Boyle in diesem Roman konsequent verfährt. Jede Episode aus dem Leben des einen Paares (inklusive der jeweiligen Verhaltensmuster und Einstellungen) findet seine gegenteilige Entsprechung im Leben des anderen Paares: Es ist kein Zufall, dass die von Cándido beklagte Umkehrung der für ihn tradierten Rollenverteilung zwischen Mann und Frau im Hause der Mossbachers gang und gäbe ist. Kontraste dieser Art sind in diesem Buch so häufig, dass der Autor zeitweise Gefahr läuft, den Leser, so er es einmal verstanden hat, zu langweilen. Die Mossbachers ernähren sich bewusst, "they were ... people who were conscious of their intake of animal fats" (p.34), während die Mexikaner ihr Leben für ein Ei geben würden. Delaney schreibt in einer seiner Kolumnen über eingeschleppte Arten im allgemeinen und das Verhalten des Kojoten im besonderen: "The coyotes keep coming, breeding up to fill in the gaps, moving in where the living is easy. They are cunning, versatile, hungry and unstoppable." (p.215) Das lesende Auge macht sich geradezu einen Spaß daraus, das Wort ´coyotes´ durch ´Mexicans´ zu ersetzen.

Die genannten Beispiele machen allerdings auch deutlich, mit welch ironischer Distanz T.C. Boyle seinen Protagonisten individuelle Konturen nimmt, um sie zu Merkmalsträgern und Repräsentanten ihrer jeweiligen Rasse und Klasse zu machen. Boyle bewegt sich auf dünnem Eis, wirken doch seine Charaktere durch dieses begrenzte ´setting´ teilweise aufgesetzt und statisch. Dennoch sind es gerade die eingeengten Handlungsfreiräume und Wertmaßstäbe, die Delaney zur entindividualisierten Identifikationsfigur eines nicht kleinen Teils der Leserschaft Boylescher Romane macht und bei selbiger für reichlich Unbehagen sorgen dürfte. Delaney ist kein ´Spinner´, kein ´Extremtyp´ mit ausgefallenem Meinungsbild. Vielmehr verkörpert er die Ideale und alltäglichen Ängste vieler liberal gesinnter Menschen in der ´westlichen zivilisierten´ Welt. Man spürt auch die Nähe des Autors zum Umfeld Delaneys, die Detailfreude, mit der Boyle dieser Familie ein Gesicht gibt. Um so bedenklicher stimmt einen daher die Unausweichlichkeit der Handlungskonsequenzen, die diesem Charakter durch den Lauf der Geschehnisse dieses Romans zugesprochen werden.

""... this society isn't what it was - and it won't be until we get control of the borders." [...]

"That's racist, Jack, and you know it."

"Not in the least - it's a question of national sovereignty..." [...]

"Do you realize what you're saying? Immigrants are the lifeblood of this country - we're a nation of immigrants - and neither of us would be standing here today if it wasn't."" (TC, p.101)

Jack Jardine, der im Vorsitz eines Bürgerkomitees im "Arroyo Blanco Community Center" versucht, die Bewohner davon zu überzeugen, dass ihre Ortschaft einen Schutzwall benötige, um Kriminalität und ´Unrat´ von den Straßen fernzuhalten, stößt bei seinem Freund Delaney auf Unverständnis: "... and for the rest of his days he'd have to feel like a criminal driving into his own community, excusing himself to some jerk in a crypto-fascist uniform, making special arrangements every time a friend visited or a package needed to be delivered." (p.41)

Delaney weiß, dass er mit seiner Einstellung einen einsamen Posten verteidigt. Nahezu jeder in der Ortschaft wirbt mit seiner individuellen Episode über erfahrenes Leid durch illegale Einwanderer: "Do you have any idea what these people are costing us... ? [...] You want to pay for that? And for the crime that comes with it?" (p.102). Selbst Delaneys Frau Kyra sorgt sich um die Immobilienpreise angesichts so vieler illegaler Mexikaner in der Umgebung. T.C. Boyle gelingt es, den Liberalismus der Mossbachers als aufgesetztes Weltbild zu skizzieren, dessen Ideale nicht in greifbaren kulturellen Erfahrungen wurzeln, sondern vielmehr einem Crash-Kurs für "Gutes Benehmen" entsprungen zu sein scheinen:

""Why can't I have Sugar Pops or Honey Nut Cheerios like other kids?..." [...] "You're not like other kids, that's why" [...]

"I hate granola", Jordan countered" [...]

"Think of all the little children who have nothing to eat," Kyra said without looking up, and Jordan, sticking to the script, came right back at her:

"Let's send them this."" (pp.34f.)

Delaney kann den Vorurteilen seiner Nachbarschaft gegenüber den "Illegalen" nichts entgegenhalten als die Gewissheit, dass die Leute in New York nicht so denken würden. Ihm fehlt gänzlich der persönliche Bezug zu jenen Diffamierten, was seinem Ressentiment die Grundlage entzieht. Nun entbehrt auch der angestaute Hass seiner Landsleute in den meisten Fällen einer konkreten Grundlage, doch können jene immerhin ihre Rechte als amerikanische Staatsbürger bemühen, so es Verdachtsmomente gibt, dass selbige gefährdet seien. Delaney steht zwischen den Fronten, denn er führt, wie die anderen in seiner Nachbarschaft auch, ein privilegiertes Leben, welches die Frage, auf wessen Kosten es u.a. ermöglicht wurde, nicht zulässt. "Das Buch beschreibt, dass wir als eine tierische Spezies fortfahren, Stammeskriege zu führen, neue Territorien, nicht anders als die Kojoten, wegen ihrer Ressourcen zu besetzen." (Boyle in: Greiner; S.111) Delaneys Weltbild kann in bezug auf jenen Verteilungskampf um die natürlichen Ressourcen nur schizophren wirken und ist in seiner Konsequenz zum Scheitern verurteilt:

Angesichts des tragischen Todes seiner beiden Hunde, die von Kojoten gerissen wurden, nachdem diese in sein Grundstück eingedrungen waren, schreibt Delaney in seiner Kolumne: "We cannot eradicate the coyote [...]. Respect him as the wild predator he is, keep your children and pets inside, leave no food source, however negligible, where he can access it. [...] I sit here in the comfort of my air-conditioned office [...] thinking of all the benefit this animal does us [...] and yet I can't help thinking too of the missing pets, ..." (p.214). Das Paradoxe an Delaneys Aussage liegt nicht darin, dass er den vom Menschen beanspruchten Raum im Darwinschen Sinne der Selbsterhaltung verteidigt, seinen natürlichen Konkurrenten dieses Anrecht jedoch abspricht. Vielmehr ist es das schlechte Gewissen, von dem dieses Eingeständnis begleitet wird, was einer praktizierbaren Lebensphilosophie widerspricht. In gewisser Weise wird hier der Liberalismus als Lebenslüge enttarnt, der das Privileg der Selbstverwirklichung auf Kosten anderer akzeptiert, aber gleichzeitig bedauert. Die Unterstützung und das Verständnis für Unterprivilegierte enden spätestens an den Toren des eigenen Gartenzauns.

Delaney ist in einem Schuldkomplex gefangen, der sich in seiner permanenten Unentschlossenheit manifestiert. Beispiele dafür durchziehen das gesamte Buch: Sein erster Gedanke nach dem Unfall mit Cándido gilt dem Zustand seines Autos und der Versicherung ("to his shame" [S.4]). Als Delaney auf einem Parkplatz eine Auseinandersetzung zwischen einem Amerikaner und Cándido beobachtet, heißt es: "His impulse was to intercede, to put an end to it, and yet in some perverse way he wanted to see this dark alien little man crushed and obliterated, out of his life forever." (S.105) Delaney unterdrückt all jene Gedanken und Neigungen, die den undifferenzierten Fremdenhass seiner Nachbarschaft und die mit ihm einhergehenden Gut/Böse-Klischees bestätigen würden. Die Würde des humanistisch geschulten Intellektuellen gilt es zu verteidigen, nicht gegenteilige Erfahrungen (etwa mit Einwanderern). Delaney ist daher permanent geneigt, die landläufigen, vorurteilsbehafteten Dichotomien einfach spiegelverkehrt zu betrachten: Die Besitzlosen und Entrechteten sind also ihrem Wesen nach gute Menschen, die niemandem etwas zuleide tun und durch Genügsamkeit und Menschlichkeit glänzen, während die Wohlhabenden, von Intoleranz und Habgier beseelt, nur nach ihrem eigenen Vorteil streben. Delaney ist sich dessen nicht bewusst und kommt deshalb bei dem Versuch, seine eigene Stellung in diesem verschobenen Werteschema zu definieren, wiederholt in besagten Gewissenskonflikt: In allen im Buch beschriebenen realen Begegnungen mit den Mexikanern agiert er nämlich in der Rolle dessen, der er vorgibt, nicht zu sein - der intolerante Wohlhabende. Nur konsequent wirkt daher sein Wandel im Zuge der beschriebenen Ereignisse wie die Rettung seinerselbst, wenn er sein "latent rassistisches Fehlverhalten" zunächst entschuldigt, dann rechtfertigt und schließlich aus Überzeugung verteidigt. Er merkt in zunehmendem Maße, dass seine Bewertungskriterien in realen Situationen versagen und sich letzten Endes gegen ihn selbst richten: "Why did he keep thinking of shadowy black-and-white movies, men in creased hats leaning forward to light cigarettes, the hit-and-run driver tracked down over a few chips of paint - or a cracked headlight? Because he was covering himself, that's why. Because he'd just left the poor son of a bitch [Cándido] there alongside the road, abandoned him, and because he'd been glad of it, relieved to buy him off with his twenty dollars ´ blood money. And how did that square with his liberal-humanist ideals?" (S.13)

Bob Dylans Song "I Pity The Poor Immigrant" veranschaulicht die Problematik von tradierten Gut/Böse-Dichotomien aus der Gegenperspektive. Hier heißt es:

"I pity the poor immigrant

[...]

Who eats but is not satisfied

Who hears but does not see,

Who falls in love with wealth itself And turns his back on me

[...]

Whose visions in the final end

Must shatter like the glass

I pity the poor immigrant

When his gladness comes to pass."[48]

Nicht zufällig gibt der Titel des Liedes eine Assoziation vor, die dann im Text radikal gebrochen wird. Dylan benutzt das Bild der U.S.A. als einer Nation von Einwanderern, die arm und bedauernswert sind, weil sie ihre humanistischen Ideale und Wurzeln aufgrund von Macht- und Geldgier verloren haben. Lyrisches Subjekt ist der wirklich arme Immigrant, von dem man zunächst glaubt, er sei der im Titel Angesprochene. Die gewählte Perspektive des besitzlosen Opfers als Ankläger, dessen Bedauern aber (besonders in den letzten Zeilen) eher in Neid und Rachegelüste umschlagen, lassen das intendierte Gut/Böse-Schema wiederum fraglich erscheinen: Das Ausbleiben eines alternativen Lebenskonzepts gegenüber der angeprangerten Dekadenz reduziert die Aussage des Songs unbeabsichtigt auf den Sozialneid des ´Zu kurz gekommenen´.

Hier wird deutlich, was sich gleichfalls in den Gedanken von Cándido (bereits auf Seite 31 dieser Arbeit zitiert: TC; S.26) widerspiegelt. Auch er träumt von einem Haus, einem Auto, einem Fernsehgerät. Das ist sein amerikanischer Traum. Es geht nicht um Gut oder Böse, Recht oder Unrecht. Privates Glück wird über Haben oder Nicht-Haben definiert. "The man was a nuisance, a bum, a panhandler. If anything, Delaney was the victim, [...] Well, wasn't this Mexican [...] throwing himself in front of a car for the thin hope of twenty bucks?" (S.109) In der Rolle des geprellten Opfers, merkt Delaney, lässt es sich leichter leben. Der alte Witz vom Bettler, der in der Pfütze sitzt und mit seinem "Laptop" die Einnahmen des Tages errechnet, macht sich bezahlt, wenn einem das Elend anderer beginnt, aufs Gemüt zu schlagen. Wenn jeder Tellerwäscher Millionär werden will, dann schwindet die soziale Verantwortlichkeit dessen, der weder das eine noch das andere ist. Das ist halt Marktwirtschaft, Chancengleichheit, höhere Gewalt. Als Delaney bei einem seiner Streifzüge durch den Topanga Canyon auf die Schlafsäcke und Lebensutensilien illegaler Mexikaner ("Refuse everywhere." [S.112]) stößt, fühlt er sich zunächst wie ein Eindringling im Schlafzimmer eines Fremden, doch bald schon siegt die Wut in ihm: "All he could think of was the sheriff and getting these people and their garbage heap out of here, of hustling them right back to wherever they'd come from, slums, ´ favelas ´ , ´ barrios ´ , whatever they called them. They didn't belong here, that was for sure." (S.116f.)

"Don't act surprised, because this is only the beginning. We're under siege here - and there's going to be a backlash. People are fed up with it. Even you. You're fed up with it too, admit it." (S.146), argumentiert Jack Jardine in seiner gewohnt ruhigen, zynischen Weise, als Delaney nach jenem Ausflug der Polizei auch noch den Diebstahl seines Autos (nebst beobachteter Wegelagerei) zu Protokoll geben muss. Und während Cándido noch immer nicht weiß, wie er seine schwangere Frau und sich ernähren soll, kauft sich Delaney verbittert einen neuen Wagen: "He wasn't materialistic, not really, and he never bought anything on impulse, but when he did make a major purchase he felt good about it, good about himself, the future of the country and the state of the world. That was the American way. Buy something. Feel good. But he didn't feel good, not at all. He felt like a victim." (S.149) Delaneys geordnete Welt gerät aus den Fugen. Kleine, teilweise belanglose Episoden, nagen an seinem ideologischen "Fundament", für das er es jedenfalls immer hielt. Es ist somit nur eine Frage der Zeit, bis er seine Zweifel um seiner selbst Willen ad acta legt: "He had a vision then of all the starving hordes lined up at the border, of the criminals and gangbangers in their ghettos, of the whole world a ghetto and no end to it, and he felt the pendulum swing back at him. There would be war in his living room if he actively opposed this wall, war with his wife and with Jack [...]. Was he willing to risk that? Did the wall really matter all that much?" (S.227) "He had a sudden ephemeral vision of himself perched atop the wall with his daypack, and it came to him then that the wall might not be as bad as he'd thought, if he could get over the bruise to his self-esteem." (S.245)

Boyles Geschichte kann nur im Zusammenhang mit der Präsenz eines provozierten Lesers funktionieren, den jene Mischung aus Fremdenangst und Selbstgerechtigkeit in Gestalt Delaneys peinlich berührt. Und obwohl die Ironie, die in der sicherlich stark überzeichneten Darstellung der Mossbachers stets präsent ist, das Identifikationspotential jener Charaktere drosselt, lässt die literarische Konstruktion nur diese eine Möglichkeit zu. Polemisch betrachtet, ist einem die Gelegenheit persönlicher Distanzierung bereits durch den Kauf des Romans versagt (die mexikanische Familie hätte sich von dessen Preis einen ganzen Tag ernähren können). Der divergierende parallele Handlungsstrang um Cándido und América nötigt einem konsequent und zynisch jenes schlechte Gewissen auf, das am Beispiel Delaneys dann ironisch bloßgestellt wird. Das erklärt auch einen Teil der lautstarken Kritik an diesem Buch. "Kannst du uns mal verraten, warum ein Erfolgsmensch wie du sich mit Romanen ... oder in Short Stories ...über den amerikanischen Traum lustig macht? Du bist ja fast seine lebende Bewahrheitung." (Scholz / Spitz, S.92; siehe [45]), wurde T.C. Boyle gefragt. Sein anschließender Verweis auf die Arbeiterfamilie, aus der er stammt, wirkt in diesem Zusammenhang nicht gerade überzeugend, ist jedoch (genau wie die Frage) irrelevant, wenn man voraussetzt, dass die literarische Bearbeitung eines Themas generell nicht an den sozialen Status ihres Autors gebunden ist und daher keiner Legitimation bedarf.

Allerdings verhielte es sich nicht ganz so einfach, wenn sich die Frage auf die Authentizität literarischer Inhalte beziehen würde und die entsprechende Kompetenz des Autors zur Debatte stünde. Der Vorwurf, T.C. Boyle hätte als Amerikaner nicht das Recht, aus der Sicht eines Mexikaners zu schreiben, ist in bezug auf Literatur zwar absurd, in bezug auf Kompetenz wiederum bedenkenswert. Läuft Boyle nicht Gefahr, bei seiner Beschreibung von "mexicanness" einer einseitigen (in jedem Fall künstlichen, weil nicht erfahrenen) Typisierung zu verfallen, die in ihrer Konsequenz nicht authentischer als Karl Mays "Wilder Westen" sein kann? Und in der Tat erfährt der Leser wenig über das Innenleben von Cándido und seiner schwangeren Frau América, über ihr Selbstverständnis als Mexikaner. Der steinige Weg der Beiden durch die Wälder von Topanga Canyon wirkt wie die Flucht von Josef und Maria vor den Häschern des Herodes, der Weg zweier gequälter Seelen, deren Redlichkeit über jeden Zweifel erhaben ist. Doch, um das Bild der mexikanischen Einwanderer nicht zu einseitig und plakativ geraten zu lassen, sind sie es selbst, die Cándido zusammenschlagen und ausrauben, die América vergewaltigen. Die Detailfreude und Ironie, mit denen T.C. Boyle die Gedankenwelt der Mossbachers beschreibt, fehlen in diesem zweiten Erzählstrang völlig. Ganz nach Friedrich Dürrenmatts Devise, einer Geschichte ihre schlimmstmögliche Wendung zuzumuten, hangeln sich Cándido und Amérika von einer Katastrophe zur nächsten, schlimmeren.

Man wird dem Roman allerdings nicht gerecht, wollte man die Geschichte des mexikanischen Paares auf ihre Kontrastfunktion bezüglich der der Mossbachers reduzieren. Man kann sie auch als Hommage an die großen realistischen "Sozialdramen" der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts lesen und wird viele Analogien finden, sei es zu Upton Sinclairs "The Jungle" (1906), Jon Dos Passos "U.S.A." - Trilogie (1930 - 36) und natürlich John Steinbecks "Grapes of Wrath" (1939).

All diese Werke sind in ihrer Rezeptionsgeschichte mit Attributen wie "Naturalismus", "Neonaturalismus" und "Realismus" verallgemeinernd kategorisiert worden und berühren sich konkret durch den ihnen attestierten Radikalismus in der Schilderung sozialer Missstände und des durch sie formulierten Protestes gegen korrupte Politik und skrupellose Ausbeutung durch korporative Wirtschaftsmonopole. Die ernüchternde Dokumentation der Zustände und Arbeitsbedingungen in den Chicagoer Schlachthöfen in Sinclairs "The Jungle" führte gar zu Gesetzesreformen, während Steinbeck, für seinen Roman von Politikern und Erzbischöfen als Volksverhetzer verdammt, die Auswirkungen der "Great Depression" für die amerikanischen Farmer in den 30ern der weltweiten Öffentlichkeit unterbreitete. In schlichter Erzählform beschreibt Steinbeck den Weg der Familie Joad auf der Suche nach Arbeit in den kalifornischen Obstplantagen, nachdem ihnen die "dustbowls" von Oklahoma die Lebensgrundlage genommen hatten. "We come with the dust and we go with the wind"[49], besang auch Woody Guthrie das Schicksal der "Okies" und "Arkies" (aus Arkansas), die kräftezehrende Reise jener besitzlosen Migranten, die sich für einen Hungerlohn hergaben, die Felder kalifornischer Großgrundbesitzer zu beackern oder Opfer skrupelloser Grundstückspekulanten wurden.

Gerade die 30er Jahre stellen in der Geschichte der U.S.A. eine Periode dar, in der die Polarisierung zwischen Reich und Arm als Ergebnis der Weltwirtschaftskrise sehr stark ausgeprägt war. Hinzu kam, dass Gewerkschaften in dieser Zeit noch kein etablierter Bestandteil der sozio-politischen Landschaft waren. Die "Communist Party" war faktisch die einzige überregionale Vereinigung, die sich per Statut den Interessen der arbeitenden Bevölkerung verschrieben hatte. Woody Guthrie selbst schrieb Kolumnen für die Parteizeitschrift "The Daily Worker", trat auf Parteiversammlungen auf und versuchte durch Konzerte in "Okie-Lagern" die Obstpflücker dazu zu bewegen, sich zu organisieren. Dabei traf er John Steinbeck. Die Quintessenz seines Romans "The Grapes of Wrath" vertonte er in einem Song seiner "Dust Bowl Ballads": "Tom Joad". Tom Joad ist die zentrale Figur der Geschichte, deren schrittweise Entwicklung zum Fürstreiter der Unterdrückten im Buch dokumentiert wird. Die Worte, mit denen er sich von seiner Mutter verabschiedet, machen ihn zur Identifikationsfigur einer ganzen Klasse. Guthrie fasste diese am Ende seines Songs schlicht, wie folgt, zusammen:

"Wherever little children are hungry and cry,

Wherever people ain't free,

Wherever men are fightin ´ for their rights,

That's where I'm gonna be"[50]

Unabhängig von T.C. Boyles Roman "The Tortilla Curtain" veröffentlichte Bruce Springsteen Ende 1995 einen Songzyklus, dessen Titelsong "The Ghost of Tom Joad" eben jene Worte des Protagonisten aus Steinbecks Roman erneut phrasiert und auf die Situation der mexikanischen Einwanderer in den 90ern überträgt:

"Mom, wherever there's a cop beatin' a guy

Wherever a hungry newborn baby cries

Where there's a fight `gainst the blood and hatred in the air

Look for me Mom I'll be there

Wherever there's somebody fightin' for a place to stand

A decent job or a helpin' hand

Wherever somebody ´ s strugglin' to be free

Look in their eyes Mom you'll see me."[51]

"Ein seltsamer Zufall, denn ich hab Springsteen nie getroffen. Ich war sehrüberrascht, dass er sich zur selben Zeit mit dem selben Thema beschäftigte und sich auch auf John Steinbeck bezog. Sein Album war wie der Soundtrack zu meinem Buch." (Scholz / Spitz, S.90), sagte T.C. Boyle und schien des weiteren sichtlich erleichtert über diese unerwartete prominente Rückendeckung angesichts der ihm und seinem Roman unterstellten "landesverräterischen Tendenzen".

Wo liegen nun die Parallelen, die die besagte Intertextualität greifbar und nachvollziehbar machen? Auf einen Aspekt wurde zu Beginn des Kapitels bereits hingewiesen. T.C. Boyles rigorose Parteilichkeit in bezug auf die Protagonisten jenes kontrovers diskutierten Handlungsrahmens beschwört nahezu dieselben Geister herauf, die bereits 1939 John Steinbeck entweder als Volksverhetzer diffamierten oder als Anwalt der Unterdrückten feierten. Die konsequente Stellungnahme der Autoren wird unabhängig von der literarischen Ästhetik, auf der sie fußt, zum Politikum. In beiden Romanen hält der Glaube an den "American Dream" die "Totgesagten" am Leben und macht aus ihrem Weg eine neuzeitliche Gralssuche. Folgt man dem Lauf der Argumentation, sind die entsprechenden "Gegenspieler" nicht zwingenderweise "schlechte Menschen", doch verkörpern sie materiell Privilegierte, die, bewusst oder unbewusst, für die Not der Besitzlosen mitverantwortlich sind. Die Nüchternheit, mit der die Mechanismen der Ausgrenzung beschrieben werden, steht im Gegensatz zu der Anteilnahme, mit der die Autoren mit den verschiedensten Stilmitteln den Opfern Menschlichkeit und moralische Integrität zusichern:

"...how can such courage be, and such faith in their own species? Very few things would teach such faith.

The people in flight from the terror behind - strange things happen to them, some bitterly cruel and some so beautiful that the faith is refired forever."[52]

Hier ist es das Wort "faith", dessen positive Konnotation noch durch "courage" verstärkt wird, das die flüchtenden Menschen charakterisiert, deren Gegenkräfte mit "terror" und "bitterly cruel" bzw. "strange things" umschrieben werden. Auch in Boyles Roman ist es ein Sprecher in der dritten Person, der die Gedanken der Protagonisten wertend (wenn auch nicht immer derartig augenscheinlich) kommentiert:

"And her [América´s] suffering was nothing compared to the tribulations of the saints or the people living in the streets of Mexico City and Tijuana, crippled and abandoned by God and man alike." (S. 139)

Leid und Armut erfahren durch alle zuvor genannten Autoren bzw. Songschreiber eine Ästhetisierung, aus der man einerseits unschwer deren Verpflichtung gegenüber humanistischen Idealen erkennt, andererseits aber auch den nur indirekten bzw.

unpersönlichen Bezug zum Dargestellten. Jene Ästhetisierung der Armut zieht eine Didaktik nach sich, deren Intentionen politisch, christlich oder (im weitesten Sinne) humanistisch motiviert sein können, dem eventuellen Anspruch auf Authentizität aber dadurch nur noch mittelbar gerecht werden. Ein plausibler Grund dafür ist die bereits angedeutete Einengung der Leserschaft jener Autoren, die durch deren regionales und kulturelles Umfeld zwangsläufig determiniert zu sein scheint. Auch wenn sie sich als Fürsprecher einer unterdrückten Klasse oder Minorität etabliert haben, können sie "lediglich" als Sympathisanten, nicht jedoch als deren Wortführer agieren. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:

Woody Guthries Gedicht "Deportees", das 1948 veröffentlicht und etwa zehn Jahre später von einem Lehrer namens Martin Hoffmann vertont wurde, ist durch zahlreiche Adaptionen (u.a. durch Pete Seeger, Judy Collins und Joan Baez) auch unter den Titeln "Goodbye Juan" bzw. "Plane Wreck at Los Gatos" populär geworden. Im Januar 1948 stürzte über dem Los Gatos Canyon in Kalifornien ein Flugzeug ab, das mexikanische Landarbeiter in ihre Heimat zurücktransportieren sollte. Guthrie wurde zu einem Gedicht darüber durch eine Radiomeldung inspiriert, in der der Reporter seiner Erleichterung darüber Ausdruck verlieh, dass sich unter den Opfern mit Ausnahme des Piloten lediglich "Deportierte" befanden:

Woody Guthrie

DEPORTEES[53]

The crops are all in and the peaches are rotting

The oranges are piled in their creosote dumps

You're flying 'em back to the Mexican border

It takes all their money to wade back again

Chorus:

Goodbye to my Juan, farewell Rosalita

Adios mis amigos, Jesus y Maria

You won't have a name when you ride the big airplane

All they will call you will be deportees

My father's own father, he waded that river

They took all the money he made in his life

My sisters and brothers they worked in the fruit trees

And they rode the trucks till they took down and died

Some of us are illegals and others not wanted

Our work contract's out and we have to move on

Six hundred miles to that Mexican border

They chase us like rustlers, like outlaws, like thieves

We died in your hills and we died on your deserts

We died in your valleys and died on your plains

We died in your trees and we died in your bushes

Both sides of the river we died just the same

The sky plane caught fire over Los Gatos Canyon

Like a fireball of lightning it shook all our hills

And though our best friends fall scattered like dry leaves

The radio says, "They are just deportees"

Is this the best way we can grow our big orchards?

Is this the best way we can raise our good fruit?

To fall like dry leaves and rot on your topsoil

And be known by no name except "deportees"

In diesem auch musikalisch sehr bewegenden Song wird zwar die Formulierung einer direkten Anklage vermieden, doch ist ihre Präsenz durch das verwendete "We - You - Schema" unterschwellig spürbar. Problematisch ist allerdings die konkrete Zuordnung des lyrischen Subjekts und dessen Beziehung zu den mit den genannten Pronomen umschriebenen Personen, deren Identität in den Strophen ebenfalls variiert. Der direkte Ich-Bezug taucht zum ersten Mal im Refrain auf und wird in den darauffolgenden beiden Strophen konkretisiert. Ein mexikanischer Einwanderer erfährt von dem Unglück seiner Landsleute, die er Schwestern und Brüder nennt. Die Aufzählung der Namen im Refrain stellt seine persönliche Betroffenheit der anonymen "Deportees"- Betitelung gegenüber, die den Verachteten ("we") von ihren amerikanischen Arbeitgebern ("you") abwertend entgegengebracht wird. Das dargestellte Beziehungsgeflecht ist bei näherer Betrachtung jedoch komplizierter, wenn man die benutzten Fürwörter nebeneinanderstellt: "You ´ re flying ´ em back..." / "They chase us like rustlers..." / "They took all the money he made..." / "We died in your hills" / "it shook all our hills" / "Is this the best way we can grow our big orchards... to rot on your topsoil". Es fällt zunächst auf, daß der wechselhafte Gebrauch von "you" und "they" als Synonyme für die US- Amerikaner verwirrend ist. Die Funktion des Textes schwankt daher zögernd zwischen Appell und Kommentar. Die Anrede der Opfer im Refrain verstärkt diesen Eindruck noch.

Hinzu kommt, daß die Grenze zwischen "your" und "our" zuweilen fließend ist, denn konsequenterweise müßte es eigentlich heißen: "it shook all your hills" und "Is this the best way we can grow your big orchards". Man könnte folglich annehmen, daß Woody Guthrie bei seinem Versuch, die Sichtweise eines betroffenen mexikanischen Einwanderers zu reflektieren, "unbeabsichtigt" die eigene (amerikanische) Perspektive integriert hat. "Is this the best way we can grow our big orchards ... to make them fall like dry leaves and rot on our topsoil?" müßte es demnach in der letzten Strophe heißen, um eine diesbezügliche Intention des an die moralischen Werte seines eigenen Volkes appellierenden Autors transparent machen zu können.

Das führt mich zurück zu der zuvor geäußerten Annahme, daß Autoren in viel stärkerem Maße dem unausgesprochenen Konsens mit einer regional und sozial determinierten Zielleserschaft unterworfen sind, als sie sich das mitunter selbst eingestehen. Die Schranken liegen nicht in der Wahl literarischer Ausdrucksformen und Inhalte, sondern in den Mechanismen ihrer Bewertung und Verbreitung. Wurde der Autor auch im Rahmen poststrukturalistischer Debatten bereits mehrfach für tot erklärt, hatte man doch versäumt, Selbiges mit dem Leser zu tun. Dieser nämlich determiniert den lokalen und sozialen Rahmen, innerhalb dessen die Wirkungsästhetik eines literarischen Werkes überhaupt zur Debatte steht. Es sind halt nicht die Mexikaner, die Woody Guthries Songs am nächtlichen Lagerfeuer singen, auch wenn er ihre Positionen vertritt.

T.C. Boyles Roman bestätigt diese These im Prinzip aus sich selbst heraus. Die Wahl der parallelen Handlungsstränge offeriert immerhin zwei Sichtweisen auf ein Problem, wobei allerdings nur eine den authentischen Hintergrund widerspiegelt, anhand dessen der Rezipient seine persönlichen Wertmaßstäbe hinterfragt, verteidigt oder bestätigt sehen kann. Das heißt, wenn Boyle seinen Roman allein auf den Erzählstrang um Cándido und América reduziert hätte, wäre sein ästhetischer Ansatzpunkt zwar ein gänzlich anderer, die Rezeptionsmechanismen wiederum wären dieselben. Man wäre gezwungen, ein imaginäres Pendant zu den Mossbachers zu kreieren.

Steinbecks "Grapes of Wrath" führt dieses Phänomen exemplarisch vor. Der Erfolg des Romans erklärt sich nicht aus der Anzahl betroffener Migranten, die sich und ihre Situation durch das Schicksal der Familie Joad anschaulich beschrieben sahen, sondern aus einer Unmenge von Lesern, die sich mit den Joads identifizierten oder Selbiges strikt ablehnten, ohne auch nur annähernd vergleichbare Not jemals erlitten zu haben. Dies läßt sich nur anhand eines "Was-wäre-wenn-Schemas?" erklären, anhand dessen der Rezipient seine persönlichen Umstände und Wertmaßstäbe mit denen der Protagonisten vergleicht und dementsprechend Verbundenheit oder Ableh- nung empfindet. Die Tatsache, daß "Betroffenheit" und "Mitgefühl" die dominanten Reaktionsmuster auf solche "Dokumentationen der Armut" sind, läßt sich auf die bereits erwähnte mit ihnen einhergehende Ästhetisierung durch die ebenfalls nicht betroffenen Autoren erklären. Nur zu gern erfährt das Brechtsche "Erst kommt das Fressen und dann die Moral" hier seine Umkehrung, was natürlich auf den Zuspruch all derer stößt, die es sich leisten können, so zu denken. Insofern kann man den Autoren wohl kaum ihren humanistischen Impetus absprechen. Der mit der realitätsnahen Schilderung einhergehende Anspruch auf Authentizität wiederum entzieht sich ohnehin literaturästhetischen Maßstäben, resultiert aber auch schlicht aus der persönlichen Distanz der Autoren zu den gewählten Protagonisten.

Nach einer Antwort auf die mittlerweile sehr unpopuläre Frage, was uns denn der Autor nun eigentlich sagen wollte, braucht man in "The Tortilla Curtain" nicht zu suchen. Das Buch ist die Bestandsaufnahme eines Dilemmas. Weder wird die Existenzberechtigung bewachter Grenzanlagen zwischen Arm und Reich hinterfragt, noch eine Alternative zu den demas- kierten Denkmustern und Einstellungen angeboten. "Ashes and diamonds / foe and friend / we ´ re all equal in the end"[54] ist das ernüchternde Fazit der beschriebenen Ereigniskette aus Mißverständnissen, Vorurteilen, verteidig- ten Eigeninteressen und kulturellen Gegensätzen, die dem Leser bis zum Schluß die Hoffnung auf ein "Happy End" dennoch nicht nehmen. "Auch Delaney erfährt, daßer ein Objekt der Naturgewalten ist. Sein von einer Mauer umgebenes Haus ist ebenso verwundbar durch einen Erdrutsch wie Candidos Hütte. Er sitzt auf dem Dach des Hauses, aus dem Wasser gezogen von diesem Kerl, den er niederschießen wollte." (Boyle in: Greiner, S.112). Es wäre müßig, die Moral der Geschichte von den drei kleinen Schweinchen, die nur gemeinsam Schutz vor dem bösen Wolf finden, auf das Ende dieses Romans zu übertragen und als verstecktes "happy end" zu interpretieren. Dennoch drückt sich in dieser finalen Szene die einzige Hoffnung auf eine mögliche Alternative aus, angesichts deren Konstru- iertheit man Boyle allerdings nur schwerlich folgen mag. Aber auch hier werden die Parallelen zu "The Grapes of Wrath" deutlich. So, wie Rosasharn Joad ihr Kind nie austragen wird, verliert América das ihrige in den Fluten. So, wie Rosasharn Joad einem verhungernden Mann schließlich die Brust gibt, zieht Cándido seinen Erzfeind aus dem Wasser. "Still at the end of every hard earned day people find some reason to believe"[55] steht als finales Plädoyer für das Leben am Ende beider Romane. T.C. Boyle selbst ist weniger zuversichtlich:

"Als John Steinbeck die "Früchte des Zorns" schrieb und voller Leidenschaft dafür plädierte, den Elenden zu helfen, war die Weltbevölkerung halb so großwie jetzt. Wir selber sind der Feind, jeder von uns, da geht kein Weg dran vorbei. [...] Es wird eine Katastrophe geben, und die einzige Hoffnung ist, daßwir aussterben. Was sonst soll passieren? Sechs Milliarden - wo sollen die hin?" (Boyle in: Greiner, S.116)

5.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

SPURENSUCHE - VERTRETERINNEN DER CHICANA-LITERATUR

Abb. 4

Pat Mora

Legal Alien[56]

Bi-lingual, Bi-Cultural,

able to slip from "How's life?"

to "Me'stan volviendo loca,"*

able to sit in a paneled office

drafting memos in smooth English,

able to order in fluent Spanish

at a Mexican restaurant,

American but hyphenated,

viewed by Anglos as perhaps exotic,

perhaps inferior, definitely different,

viewed by Mexicans as alien,

(their eyes say, "You may speak Spanish but you're not like me")

an American to Mexicans

a Mexican to Americans

a handy token

sliding back and forth

between the fringes of both worlds

by smiling

by masking the discomfort

of being pre-judged

Bi-laterally.

* They are driving me crazy

"Ich glaube, das Land ist in Gefahr, auseinander zu fallen, und das ist ein Argument, für jegliche Immigration ein Moratorium festzusetzen, [ ... ] ich bin kein Rassist, ich rede nichtüber Rassen, sondernüber nationale Souveränität und darüber, wie es möglich ist, das Land zu erhalten." (Boyle in: Greiner, S.123). Die vermeintliche Bedrohung nationaler Souveränität als Ergebnis einer Anhäufung von isoliert agierenden Völkergruppen und Rassen innerhalb einer scheinbar nur noch in geopolitischem Sinn definierten Nation lässt die Amerikaner ihren geschichtlich erklärbaren Identitätskonflikt spürbarer denn je werden: "we're a nation of immigrants - and neither of us would be standing here today if it wasn't." hieß es in "The Tortilla Curtain" (S.101), ist jedoch in bezug auf die USA nur die halbe Wahrheit, denn "Immigration means the entry of people from other lands into a country deemed to be more promising"[57]. Allerdings kamen die Schwarzen als Sklaven nach Amerika. Die Indianer waren bereits da, und die Einverleibung einstmals mexikanischer Gebiete hatte die Einbürgerung von über Hunderttausend Mexikanern zur Folge.

"This land was made for you and me" war eine der patriotischen Liedzeilen, für die man Woody Guthrie feierte. Für "This land was made for us and them" hätte man ihn vielleicht verflucht. "Borders are set up to define the places that are safe and unsafe, to distinguish us from them"[58], konstatierte Gloria Anzaldúa, womit sie gleichermaßen implizierte, dass "the border" als historisches, soziales und materielles Konstrukt sich in erster Linie darüber definiert, was bzw. wen es auszuschließen gedenkt. "A borderland is a vague and undetermined place created by the emotional residue of an unnatural boundary. It is in a constant state of transition. The prohibited and forbidden are its inhabitants. Los atravesados live here: [...] ; in short, those who cross over, pass over, or go through the confines of the "normal"." (Anzaldúa, p.3) "American but hyphenated" schreibt Pat Mora, die in El Paso aufwuchs, wo der permanente Zustand von "in between-ness" wohl am deutlichsten spürbar ist. Möglicherweise hat auch der Begriff "Chicano" hier seinen Ursprung: "Chicas patas" wurden Mexikaner genannt, "welche die Grenze bei El Pasoüberquerten und deren relativ kleine Füsse ("chicas patas") verglichen wurden mit den "Anglo big feet"."[59]

Pat Moras "Legal Alien" zeichnet das detailgetreue Bild einer Bevölkerungsschicht, deren Suche nach einer Definition von "Heimat" ihren Außenseiterstatus als unterprivilegierte Minderheit über mehrere Generationen hinweg permanent erneuert hat. Scheint auch das Ziel mexikanisch-stämmiger Aktivisten, sich im fremden Land eine Stimme zu verschaffen, mittlerweile, zumindest im universitären Umfeld, weitestgehend realisiert zu sein, hat es gleichwohl dem fehlenden Identitätsbewusstsein der Betroffenen kaum etwas entgegenhalten können. Die permanente Rückbesinnung auf das gemeinsame Gruppenschicksal wirkt wie die Kultivierung jenes tradierten "Heimatmangels":

"I cannot say I am a citizen of the world as Virginia Woolf, speaking as an Anglo woman born to economic means, declared herself; nor can I make the same claim to U.S. citizenship as Adrienne Rich does despite her universal feeling for humanity. As a mestiza born to the lower strata, I am treated at best, as a second class citizen, at worst as a non-entity."[60]

Für die "Chicanoliteratur", die sich im Rahmen der Emanzipationsbewegungen der 60er und 70er Jahre als eigenständiger Literaturzweig etabliert hatte, bedeutet dies: "This literature has evolved out of the historical situations of an oppressed minority whose writers are committed to eliminating the colonial status of their people. Thus, contemporary Hispanic literature is in essence a literature of resistance to economic, social and cultural oppression."[61] Dieser selbstgestellte Anspruch mexikanisch-amerikanischer AutorInnen an die inhaltlichen Dimensionen ihres Werkes birgt auch Teile des Elitären und Exklusiven, die in ihrer Konsequenz einer kulturellen "Grenzüberschreitung" im Sinne einer "heimatlichen" Standortsbestimmung entgegenwirken. Dieses literarische als auch kulturelle Selbstverständnis ist jedoch keineswegs eine unmittelbare Konsequenz kontinuierlichen Ressentiments nach der Grenzsetzung von 1848, sondern erst ein Ergebnis der jüngeren Geschichte.

Literarische Überlieferungen aus spanischsprachigen Gemeinden in den USA reichen immerhin bis in das 17. Jahrhundert zurück. Der Einfluss des (auch in ganz Mexiko) dominanten Katholizismus auf jene vorwiegend mündlich tradierten "dichos" (Volkssagen), Schäferdichtungen und Lieder ist unverkennbar. Doch erst das Erscheinen spanischsprachiger Zeitschriften im Südwesten des Landes machte die Kanonisierung einer eigenständigen mexikanisch-amerikanischen Literatur möglich. Mit dem von César Chávez 1965 in Delano (Kalifornien) organisierten Landarbeiterstreik wurde die "Chicano Movement for Civil Rights" ins Leben gerufen, die eine literarische Bewegung mit konformen Zielen nach sich zog. Luis Valdez, der mit seinem "Teatro Campesino" politisch engagierte Stücke vor den Streikenden aufführte, gilt als einer der Väter der "Chicanoliteratur", eine Bezeichnung, die dem herabwürdigenden Begriff gleichsam eine politisierende Neudeutung verlieh.[62]

"Lost in a world of confusion

Caught up in a whirl of a gringo society,

Confused by the rules,

Scorned by attitudes,

Suppressed by manipulations,

And destroyed by modern society."[63]

Der somit erst sehr spät formulierte Anspruch auf eine Autonomie, die der Dominanz sowohl der amerikanischen als auch der mexikanischen Kultur entgegentreten will, hat zwangsläufig jenes bereits erwähnte Beharren auf der Außenseiterposition zur Folge, die andererseits aber immer wieder von den AutorInnen beanstandet wird.

Das wohl auffälligste Merkmal der Chicanoliteratur ist die Bilingualität. Während einige wenige AutorInnen ihre Werke in Spanisch schreiben, erscheint die Mehrzahl der gegenwärtigen Veröffentlichungen als englisches Original oder als englische Übersetzung ("wegen der hohen Produktionskosten zweisprachiger Ausgaben, weil viele Autoren das Spanische nur unzureichend beherrschen und weil ein möglichst breites Lesepublikum angesprochen werden soll ..." [Zapf, S.438]), wobei die spanische Sprache zumeist phrasenhaft eingewoben wird, um die besagte Zwischenstellung innerhalb der beiden dominanten Kulturen plastisch zu machen: "Until I am free to write bilingually and to switch codes without having always to translate, while I still have to speak English or Spanish when I would rather speak Spanish, and as long as I have to accommodate the English speakers rather than having them accommodate me, my tongue will be illegitimate." (Anzaldúa, p.59).

Der Begriff "border" hat in diesem Zusammenhang eine zentrale Funktion, die über dessen räumliche Dimensionen hinausgeht. "Crossing boundaries has become the dominant metaphor for both the content and style of modern Hispanic literature with its emphasis on cultural identity" (Fernandez, p.3), was in Gloria Anzaldúas "Borderlands" deutlich wird, ein Gedicht, dessen inhaltlicher Rahmen trotz der offensichtlichen Parallelen zu Moras "Legal Alien" deutlich weiter gefasst ist. Darin ist die Grenze jene schmale Linie, die autonome Räume voneinander abgrenzt, während "borderlands" den engen Bereich beschreibt, den die Linie selbst einnimmt, das "Schlachtfeld" zwischen den aneinander reibenden Souveränitäten. Die wiederkehrende Zeile "To live in the borderlands means" verdeutlicht, dass es sich um einen unabänderlichen Zustand handelt, dem man als dessen Bewohnerin ("mestiza", "mulata", "half-breed") ausgeliefert ist und den zu überleben die einzige Hoffnung und Chance zugleich ist. Nicht allein die ethnischen, politischen und ökonomischen Grenzen zwischen den beiden Nationalitäten ("where the Third World grates against the First World and bleeds" [Anzaldúa, p.3]) markieren das Schicksal jener "Zwischen-Existenzen". Auch die Vergegenwärtigung der eigenen Geschlechtlichkeit wird angesprochen. "half and half - both woman and man, neither - a new gender" schreibt Gloria Anzaldúa und problematisiert damit ihre eigene Zwischenstellung als lesbische Chicana in einer von patriarchalischem MachoBewusstsein definierten Dichotomie.

GLORIA ANZALDÚA

Borderlands[64]

To live in the borderlands means you

are neither hispaña india negra española

ni gabacha, eres mestiza, mulata, half-breed

caught in the crossfire between camps while carrying all five races

on your back

not knowing which side to turn to, run from;

To live in the Borderlands means knowing

that the indian in you, betrayed for 500 years,

is no longer speaking to you,

that mexicanas call you rajetas,

that denying the Anglo inside you

is as bad as having denied the Indian or Black;

Cuando vives en la frontera

people walk through you, wind steals your voice,

you're a burra, buey, scapegoat

forerunner of a new race,

half and half - both woman and man, neither-

a new gender;

To live in the Borderlands means to

put chile in the borscht

eat whole wheat tortillas

speak Tex-Mex with a Brooklyn accent;

be stopped by la migra at the border check points;

Living in the Borderlands means you fight hard to

resist the gold elixer beckoning from the bottle,

the pull of the gun barrel,

the rope crushing the hollow of your throat;

In the Borderlands

you are the battleground

where enemies are kin to each other;

you are at home, a stranger,

the border disputes have been settled

the volley of shots have shattered the truce

you are wounded, lost in action

dead, fighting back;

To live in the Borderlands means

the mill with the razor white teeth wants to shred off

your olive-red skin, crush out the kernel, your heart

pound you pinch you roll you out

smelling like white bread but dead;

To survive in the Borderlands

you must live sin fronteras be a crossroads

"I always had this political sense of there being ideas behind the art. There was an agenda for me that was political: I was looking at our situation, our lives, and trying to make them better by putting my concerns out there verbally."[65], äußerte sich Gloria Anzaldúa im Interview. Und in der Tat ist auch dieses Gedicht eine politische Kampfansage (Literaturkritiker weisen immer wieder darauf hin, dass man es laut vorlesen müsse, um dessen Wirkung spüren zu können.). "that denying the Anglo inside you is as bad as having denied the Indian or Black" bringt unmissverständlich zum Ausdruck, was hier Gegenstand der kritischen Auseinandersetzung ist: die unablässige Heraufbeschwörung persönlicher Mangelhaftigkeit und Minderwertigkeit angesichts der dominanten Kulturen, von denen die Mexican- Americans sich ausgeschlossen sehen. Es erinnert an die bequeme Selbstfolter des Protagonisten in Edgar Allan Poes Gedicht "The Raven", der sich den tragischen Verlust seiner Geliebten durch die gezielte Frage nach einer Möglichkeit ihrer Wiederkehr vom einförmigen "Nevermore" des Raben auf der Pallas-Büste auf die köstlichste, weil unerträglichste Weise bestätigen lässt.

"To live in the borderlands means knowing that the Indian in you, [...], is no longer speaking to you" sagt, dass auch das letzte verläßliche Identifika- tionsmuster, jenes von Aztlán, dem mythischen Heimatland der Chicanos, untauglich für den Überlebenskampf in der "Zwischenwelt" ist, weil es die anderen auf dem Rücken der "Mestizas" lastenden Blutverwandtschaften abstreitet und daher unaufrichtig ist. Anzaldúa spricht aus, was für die überwiegende Mehrheit der in der Grenzregion lebenden Mestizas ein zentrales Problem ist: die Unmöglichkeit, sich einer konkreten Rasse zugehörig fühlen zu können ("neither hispa ñ a india negra espa ñ ola ni gabacha"). Dieser "Verlust der Reinheit des Blutes" hat nicht nur Konsequenzen im sozialen Kontext, sondern hinterfragt auch die Statthaftigkeit von übernommenem spirituellen bzw. religiösen Brauchtum. "... the kind of spirituality that I live and that comes out in my writing is a blending of indigenous Catholicism and some of the elements of other spiritualities that I've studied, like Zen Buddhism, the self-help movement, and the recovery movement" (G.A. in: M.E.Wheatwind), womit Gloria Anzaldúa ganz sicher nicht stellvertretend für die Mehrheit der Chicano/as zitiert werden kann. So charakteristisch die Suche anteilnehmender AutorInnen nach den verschiedensten spirituellen Quellen auch sein mag, so untypisch ist sie gleichsam für die von ihnen vertretene Klientel. Der Katholizismus, wenn auch meist nicht streng nach den Regeln der Römisch-Katholischen Kirche ausgelegt, ist nach wie vor die dominante Glaubensrichtung unter den Mexican- Americans. Die Durchmischung von christlichen und indianischen Glaubensgrundsätzen vieler Chicanos entstammt zum großen Teil einer Protesthaltung gegenüber den Amerikanern, was in dem 1970 veröffentlichten "El plan espiritual de Aztlán" zum Ausdruck kommt. Aztlán war das Land, aus dem die Azteken ursprünglich stammen. Das Wort "Azteken" entstammt der indianischen Sprache "Nahuatl" und bedeutet "Volk von Aztlán" (vgl. Anzaldúa, p.4). Die Idee von "El Plan Espiritual de Aztlán" war, Chicanos zusammenzubringen, um gegenüber den Amerikanern deutlich Stellung zu beziehen: Nicht die Chicanos seien die Fremden / Eindringlinge auf angloamerikanischem Territorium, sondern entgegengesetzt. Hier wird deutlich, dass wahrscheinlich die Mehrheit der Chicanos ihre Wurzeln in der mexikanischen Kultur sieht, obwohl dies nach Ansicht Gloria Anzaldúas einer Selbstlüge gleichkommt, die sich im "Schlachtfeld der Borderlands" ("where enemies are kin to each other") bitter rächen wird.

Geradezu detailversessen beschreibt sie die Bürde der "unreinen Heimatlosen" als aufgezwungene Rollenzuweisung finsterer Gegenkräfte ("the mill with the razor white teeth"), deren todbringenden Werkzeugen ("the pull of the gun barrel, the rope crushing the hollow of your throat") ein aussichtsloser Kampf angesagt wird ("you are wounded, lost in action dead, fighting back"). Jede Aussage darüber, was es heißt, in den "borderlands" zu leben, lässt sich konsequent auf das Paradoxon "To live in the borderlands means you are dead" zurückführen. "To survive" verliert daher seine direkte begriffliche Abhängigkeit von "to live" und steht nunmehr für etwas weitaus Höheres. "To survive" meint Bewusstsein, Unabhängigkeit und Stolz. Als "forerunner of a new race" muß die Mestiza nicht wählen: Sie kann alle fünf Rassen zugleich sein, eine Brücke zwischen den Kulturen. Will sie überleben, muss sie ins Licht treten und ihre eigene Geschichte erzählen können. "La Frontera" ist lediglich ein Wort, das in dieser Geschichte keinen Platz hat. Und natürlich ist es in besonderem Maße die Geschichte der Frauen, die sich über jene von männlichen Prinzipien gesetzten Grenzen ihrer persönlichen Entfaltung hinwegsetzen muss, um zu überleben. "Anzald ú a ´ s feminist discourse leads her to look inward only for a deeper understanding of a larger erased history."[66] "No, it isn't enough that she is female [...]. Now she beats herself over the head for her "inactivity", a stage that is as necessary as breathing." (Anzaldúa, p.49). So, wie die öffentliche Präsenz mexikanisch/amerikanischer Autoren seit Beginn der 70er Jahre durch die Gründung eigener Zeitschriften und die Veröffentlichung von Anthologien und Bibliographien stärker spürbar wurde, war auch kaum zu übersehen, wie auffällig unterrepräsentiert der Anteil der darin vertretenen Autorinnen war. Das sollte sich jedoch in den darauffolgenden Jahren grundlegend ändern. Die "Neubestimmung der Chicano/a- Literatur aus einer feministischen Perspektive" (Zapf, S.448) fand ihren Platz zunächst in der Lyrik und weitete sich später auch auf andere Gattungen aus.

"I remember reading Sylvia Plath in a class I took at the University of Texas, and I got into a huge argument with the professor because I wanted to focus one of my papers on Sylvia Plath as a mother, as a wife, as this young feminist who had been transplanted to England who also wrote poetry. I wanted to explore what all that about her life had to do with her suicide. [...] He said a writer's life does not have anything to do with her writing. I argued that that was just not true - because we write out of our experience" (G.A. in: M.E.Wheatwind). Hier offenbart sich, wie stark das Bedürfnis, über die persönliche Identität zu reflektieren, gerade den erst so spät zu Wort gekommenen Autorinnen zugesprochen werden muss. "She has had to work twice as hard as others to meet the standarts of the dominant culture, which have, in part, become her standarts" (Anzaldúa, p.49). Die aneinander reibenden Kulturen sind in ihrem Geltungsdrang zudem ausnahmslos von männlichen Prinzipien dominiert, was natürlich den Schwerpunkt der literarischen Verarbeitung durch Frauen unterschwellig determiniert. Das Schicksal, in doppeltem Sinne diskriminiert zu sein ("you are at home, a stranger"), indem das tonangebende Patriarchat innerhalb der ohnehin ausgegrenzten Heimatlosen den Frauen einen noch engeren Bewegungsfreiraum zumutet, fordert ungleich größere Anstrengungen für die Verarbeitung und Überwindung jener "Selbstbewusstlosigkeit".

Eine der populärsten Legenden in mexikanisch/amerikanischen Grenzstädten und -siedlungen ist die von "La Llorona", der "trauernden Frau", die nachts in der Nähe von Flüssen oder Seen ahnungslosen Menschen als Geist in einem weißen, flatternden Kleid erscheint und den Verlust ihrer Kinder beweint. Die am meisten verbreitete Version von "La Llorona" erzählt von einer schönen Indianerin, die sich mit einem spanischen Adligen auf eine Liebesaffäre einlässt und ihm drei Kinder gebiert. Seinem gesellschaftlichen Stand entsprechend, wird er jedoch mit einer adligen Weißen verheiratet, die ihrerseits im folgenden Ansprüche auf seine drei Kinder erhebt. Aus Verzweiflung, Wut und Selbstmitleid ertränkt die Indianerin ihre Kinder und stirbt nach kurzer Zeit an ihrem Kummer (in anderen Versionen nimmt sie sich das Leben, indem sie sich ein Messer ins Herz sticht). Am Himmelstor gesteht sie vor Gott, ihre Kinder getötet zu haben, woraufhin sie dazu verdammt wird, als rastloser Geist in Menschengestalt diese zu suchen. In endloser Trauer erscheint sie nun seither bei nacht und ruft nach ihren Kindern.[67]

Diese Legende hat in der Grenzregion bis heute eine Tradition, deren Funktion der des hierzulande verbreiteten Schreckgespenstes vom "Schwarzen Mann", der nachts die kleinen Kinder raubt, nahe kommt.

Aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet, beschreibt "La Llorona" aber gleichsam das Schicksal der Frauen, die ihre tiefsten emotionalen Bindungen (wie z.B. die einer Mutter zu ihren Kindern) aufgeben müssen, um sozialer bzw. gesellschaftlicher Diskriminierung aus moralischer Überzeugung heraus entgegenzutreten und daran scheitern. "Die trauernde Frau" ist auch ein Sinnbild für die vergebliche Suche nach einer familiären Harmonie, die sich über gesellschaftliche Zwänge und Hierarchien hinwegsetzen kann und ihre Berechtigung nur aus sich selbst zu schöpfen vermag.

"The darkness becomes a serpent ´ s tongue, swallowing us whole. It is the night of La Llorona. The women come up from the depths of sorrow to search for their children."[68] Mit diesem Satz gibt Helena María Viromontes den La Llorona-Bezug in ihrer Short Story "The Cariboo Cafe" (1985) selbst vor, um daraufhin die Legende so umzuinterpreteren, dass aus der passiven Trauernden eine aktive Anklägerin wird.[69]

"They arrived in the secrecy of night, as displaced people often do, stopping over for a week, a month, eventually staying a lifetime" (Viramontes [H.M.V.], p.65), sind die Zeilen, die den Auftakt zu Viramontes´ "Cariboo Cafe" markieren und zugleich den Rahmen der drei miteinander verwobenen Teile der Geschichte abstecken. Jene "displaced people", die in der deprimierenden Einsamkeit der Nacht eintreffen, sind offenbar illegale Einwanderer ("Schwarzarbeiter", politische Flüchtlinge oder Kriminelle), die es geschafft haben, die Grenze zu passieren, sich aber dennoch nur im Dunkel der Nacht auf die Straße wagen: "the police, or "polie" [...], was La Migra in disguise and thus should always be avoided" ( H.M.V., p.65).

Ort der Handlung ist eine Großstadt in unmittelbarer Nähe der mexikanisch/amerikanischen Grenze (mglw. San Diego oder Los Angeles). Eine in ihrer chronologischen Abfolge verschobene Ereigniskette, in deren Zentrum ein heruntergekommener Pub, das "Cariboo Cafe", steht, wird aus den Blickwinkeln dreier Protagonisten rekonstruiert. Die Perspektive eines personalen Erzählers wird stellenweise durch Wechsel zur Ich-Form gebrochen (vollständig im zweiten und teilweise im dritten Teil der Erzählung).

Die einleitende spätabendliche Szenerie einer Großstadt, in der sich heimkehrende Arbeiter in Busse zwängen und Obdachlose auf Parkbänken schlafen, wird aus dem Blickwinkel eines Mädchens beschrieben, das zusammen mit ihrem jüngeren Bruder auf den Stufen vor einem Wohnhaus sitzt. Sonya ist für ihn verantwortlich, solange ihre Eltern arbeiten müssen: Sie trägt den Hausschlüssel um den Hals und hat die "ways of the street" zu befolgen: niemals Fremde ansprechen, die Polizei ("La Migra in disguise") stets meiden und den Hausschlüssel immer bei sich tragen. Auch sie sind illegale Einwanderer, die der Traum von einer besseren Zukunft "where the toilet was one ´ s own and the children needn ´ t be frightened" (H.M.V., p.65) ins "Gelobte Land" führte. Doch nun hatte Sonya den Schlüssel ("her ... guardian saint") verloren und ihr Bruder Macky, des ratlosen Wartens längst überdrüssig, braucht etwas zu trinken. Unschlüssig ziehen die Beiden durch die Straßen, beobachten, wie der vermeintliche Vater eines Freundes von der Polizei verhaftet wird ("they ´ re putting him in the car and taking him to Tijuana" [H.M.V., p.67]) und gelangen schließlich zum "zero-zero place", dem "Cariboo Cafe" ("a room with a yellow glow, like a beacon light at the end of a dark sea" [H.M.V., p.68]).

Vage Anhaltspunkte über den Fortgang der Ereignisse erhält man im zweiten Teil der Geschichte. Der innere Monolog des Caféinhabers greift im Rückblendeverfahren auf Begebenheiten zurück, die erst in Verbindung mit dem dritten Teil, welcher in seiner zeitlichen Abfolge zwischen dem ersten und dem zweiten angesiedelt ist, lückenlos verständlich wird. Der Besitzer reflektiert in umgangssprachlichem Stil über das Café und sein Leben ("The double zero cafe. Story of my life. But who cares, right?" [H.M.V., p.68]). Vom Eingangsschild "Cariboo Cafe" ist nur das ´oo´ geblieben, das nun, zur doppelten Null uminterpretiert, für ihn geradezu gleichnishaft den zweifachen Verlust in seinem Leben symbolisiert: seine Frau Nell, die ihn verließ und sein Sohn JoJo, der aus Vietnam nicht mehr zurückkehrte.

"The place is clean. That's more than I can say for some people who walk through that door" (H.M.V., p.68). Sein Café scheint ein Sammelbecken aller nur vorstellbaren verlorenen Existenzen zu sein ("out-of-luckers, weirdos, whores, you know"). Er kümmert sich nicht darum, ob sie bzw. ihre Geschäfte legal sind ("A dime ´ s a dime as long as it ´ s in my pocket" [H.M.V., p.69]). Schließlich macht auch er keinen Hehl daraus, dass sein Rindfleisch diesen Namen nicht verdient. Seine Klagen über die Launen des Schicksals, die gerade ihm sein Leben lang so hart mitspielten, wirken dennoch wie unentwegte Rechtfertigungsversuche für eine Reihe von Entscheidungen, deren Konsequenzen ihm zur Last gelegt werden: "It never pays to be honest. I tried scrubbing the stains off the floor, so that my customers won't be reminded of what happened: But they keep walking as if my cafe ain't fit for lepers" (H.M.V., p.68). Was im Cafe tatsächlich geschehen war, erfährt man als Leser zunächst nicht, doch darf man angesichts anderer freimütig von ihm eingestandener Vorkommnisse (die seiner Kundschaft keine vergleichbaren Reaktionen abnötigten) auf das Schlimmste gefasst sein. Da ist die Rede von Paulie, einem Drogenabhängigen, der sich auf der Toilette des "oo" zu Tode spritzte und dem Inhaber Ärger mit den ´cops´ und der Reinigung der beschmutzen Wände bescherte. Ein anderes Mal versteckten sich drei "Illegale" in seinem Bad auf der Flucht vor "La Migra", woraufhin er den "agents" den Weg zu ihrem Versteck wies: "Now look, I'm a nice guy, but I don't like to be used, you know?" (H.M.V., p.71).

Was dem zweifelhaften Caféinhaber aber tatsächlich jene selbstbemitleidende "Verteidigungsrede" abverlangt, muss in engem Zusammenhang mit einem "Unglücksfall" stehen, dessen Auftakt das Erscheinen einer Lateinamerikanerin und zweier Kinder im "Cariboo Cafe" ist. "Already I know that she's bad news because she looks street to me" (H.M.V., p.69). Während er den stechenden, beobachtenden Blick des Mädchens hasst, sind es die Augen des Jungen, die ihn überwältigen: "... he's a tough one, and I pinch his nose ´ cause he's a real sweetheart like JoJo. You know, my boy" (H.M.V., p.70).

"Right off I know she's illegal [die Frau] , which explains why she looks like a weirdo" (H.M.V., p.70), stellt er gleichgültig fest, zumal sie für das bestellte Essen bezahlen kann. Erst die Vermisstenmeldung zweier Kinder im abendlichen Fernsehprogramm verschafft ihm Klarheit: "I was supposed to do something, but I got all suck-faced and forgot" (H.M.V., pp.70-71). Der nächste Tag bringt ihm zunächst die bereits geschilderten Unannehmlichkeiten mit Paulie und den Illegalen, als letztendlich die Türglocke schlägt: "and in enters the lady again with the two kids" (H.M.V., p.72). Hier endet der zweite Teil der Erzählung.

Viramontes lässt die Leser zunächst darüber im unklaren, inwieweit die ersten beiden Teile miteinander verknüpft sind. Die Vermutung, dass es sich bei den vermissten Kindern, die mit der Lateinamerikanerin das Café betreten, um Sonya und Macky handelt, drängt sich auf, da ein vorausgesetzter kontinuierlicher Handlungsstrang zunächst keine andere Möglichkeit zulässt. Die Tatsache, dass die Kinder am Ende des ersten Teils allein auf das Café zugehen, gibt den entscheidenden Hinweis darauf, dass die Chronologie der Ereignisse offenbar durchbrochen wurde. Der dritte Teil der Story muss daher Aufschlüsse über den fehlenden Zeitraum zwischen den ersten beiden Teilen geben, in dem sich die Lateinamerikanerin zu den Kindern gesellt, und des weiteren darüber, was sich im "Cariboo Café" schließlich abspielte. Doch wiederum findet ein Bruch von Raum, Zeit und Erzählperspektive statt und versetzt den Leser nach El Salvador.

Ein Szenario des Grauens offenbart der innere Monolog einer Salvadoreña, die das vermutliche Schicksal ihres verschwundenen fünfjährigen Sohnes Geraldo erahnen kann, doch nie begreifen wird: "I saw them from the window. Their eyes are cut glass, and no one looks for sympathy. They take turns, sorting out the arms from the legs, heads from the torsos. Is that one your mother? One guard asks, holding a mummified head with eyes shut tighter than coffins. But the children no longer cry" (H.M.V., p.72). Die Mütter und Kinder der Verschwundenen, der "desaparecidos", legen Zeugnis ab von den Zuständen in einem Land, das wie kein anderes in den 80er Jahren zum Symbol für Terror und Gewalt geworden ist. "It is the night of La Llorona. The women come up from the depths of sorrow to search for their children". Hier nun beginnt sich der Handlungsbogen zu schließen. "Already I know that she's bad news", spürte der Caféinhaber, als sie, jene Salvadoreña, La Llorona, die Mutter der Verschwundenen, mit Sonya und Macky das Café betrat. Man erfährt, dass ein Verwandter ihr das Geld beschaffte, mit dem sie in die USA reisen konnte, dass sie sich hier als Wäscherin und Putzfrau durchschlug und schließlich ihn trifft, die Reinkarnation ihres verschollenen Sohnes Geraldo: Macky. "Yes. Geraldo, yes. [...] I grab him because the earth is crumbling beneath us and I must save him." (H.M.V., p.76).

Was sich dann im Café abspielt, wirkt wie die langgezogene Zeitlupendarstellung eines kurzen Moments. Noch einmal kommt der Inhaber zu Wort: "He can't believe it, but he's crying. For the first time since JoJo ´ s death, he's crying. [...] Children gotta be with their parents, family gotta be together, he thinks. It's only right." (H.M.V., p.77) Er hat die Polizei verständigt. "She sees them opening the screen door, their guns taut and cold like steel erections" (H.M.V., p.78). Sie presst den Jungen fest an sich, schüttet den nahenden Polizisten ihren heißen Kaffee ins Gesicht und beginnt zu schreien: "... screaming so that the walls shake, screaming enough for all the women of murdered children, screaming, pleading for help from the people outside, and she pushes an open hand against an officer's nose, because no one will stop them and he pushes a gun barrel to her face" (H.M.V., p.78). Bis zu dem Moment, in dem der Polizist ihr schließlich eine Kugel durch den Kopf jagt, ist sie von einem einzigen ungebrochenen Schwur beseelt: "I am laughing, howling at their stupidity because they should know by now that I will never let my son go" (H.M.V., p.79).

Mit aller Konsequenz konstatiert Helena María Viramontes in "The Cariboo Cafe" die Inkonsistenz harmonischer Prinzipien wie Familie, Sicherheit und Heimat[70], das Ende aller Gewissheit. "Verlust" ist das zentrale Konzept der Geschichte. Alle Protagonisten können ihn aus ihrer Biographie heraus definieren. "Family gotta be together", war ein Gedanke des Caféinhabers, dessen Unhaltbarkeit anhand jedes einzelnen Charakters der Story mit bitterer Ironie entblößt wird.

"Gone was the string with the big knot. Gone was the key" (H.M.V., p.65), war der Auslöser für die beschriebene Ereigniskette. Doch fungieren diese Worte gleichsam als universelle Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Umstände, die geradezu symbolisch für den Terminus "Verlust" stehen. Alle Protagonisten sind auf ihre Weise den gesetzmäßigen Autoritäten der Gesellschaft ("law and order") verpflichtet und ausgeliefert. Während die beiden Kinder, "wise to the ways of the streets", sich vor der Polizei verstecken müssen und damit als Illegale quasi "Unpersonen" sind, ist die Konzession des Caféinhabers von der Loyalität der "Behördenmaschinerie", die auch seinen Sohn für kriegstauglich befand, abhängig. Für die verzweifelte Mutter aus El Salvador sind die Todesschwadronen ihres Heimatlandes austauschbar mit den bewaffneten Polizisten im "Cariboo Cafe", einzig dazu beordert, ihr ihren geliebten Sohn zu nehmen.

Wie in einem "Split Screen Movie" stellt Viramontes verschiedene Erzählperspektiven unabhängig von Zeit und Raum nebeneinander, die dann im "zero zero Café", "a symbol of the evacuated semantic field that the cafe's population must contend with"[71], zusammenfallen. Obwohl beide, der Caféinhaber und die Frau, in Macky ihren verlorenen Sohn wiedererkennen, hätten sie in der "greifbaren Leere" dieses Ortes niemals kommunizieren können: "The owner of what the workers call the "zero zero place" is able to voice the dominant ideology not because of a class privilege, but because of his privilege as a white man. It is here that Viramontes exposes how the hegemonic forces of race, class, and gender intersect and collide" (Saldívar-Hull; pp.227-228).

Ein weiterer interessanter Aspekt der Geschichte ist die Rolle von Sonya, die, nachdem sie gegen Regel 3 der "ways of the street" ("keep your key with you at all times" [H.M.V.,p.65]) verstoßen hatte, im Fortgang der Ereignisse nahezu völlig ignoriert wird. Macky, der als Identifikationsfigur den Verlust der toten Söhne in seiner ganzen Tragik symbolisiert, verkörpert für die Protagonisten gleichsam den einzigen bewahrenswerten Fixpunkt ihrer Biographie. Die Salvadoreña gibt ihm zu Essen, nimmt ihn zu sich nach Hause, badet ihn, bringt ihn ins Bett, und es scheint, als ob sie die Gegenwart des Mädchens nicht einmal registriert. Sonya wird nicht als Kind beschrieben. Ihre Rolle ist die der für das Wohl ihres Bruders sorgenden Frau, die nun anstelle der Eltern die Regeln der Gesellschaft zu befolgen hat, deren weiteres Schicksal (Tijuana) durch die Vermisstenmeldung im Fernsehen offenkundig wird.

Viramontes´ Short Story ist zugleich eine scharfe Kritik an der US-amerikanischen Interventionspolitik, die über Jahrzehnte hinweg diktatorische Minderheitenregierungen in Ländern der "Dritten Welt" (besonders Lateinamerika) protegierte, um sich dort als wirtschaftlicher Marktführer bzw. Rohstoffabnehmer mit günstigen Konditionen zu etablieren. Um die Herrschaft einer kleinen Clique von Kaffeebaronen und Militärs zu sichern, wurden seit 1979 in El Salvador alle aufständischen Gegenbewegungen durch Oppositionelle oder Revolutionäre mit grausamer Härte bekämpft. Die U.S.A. können als Hauptsponsoren jenes zwölf Jahre dauernden Bürgerkrieges betrachtet werden. Traurige Bilanz: 80.000 Tote, 5000 Vermisste, 15.000 Waisen und 1.000.000 Vertriebene.[72]

"The Salvadore ñ a gives her testimonio and, indeed, becomes the modern day wailing woman of Chicana/o folklore who, in this version, represents all women who are victimized by conquering races and classes. The Salvadore ñ a represents the mothers of the disappeared who wander the jails, the torture chambers, women who plead with the torturers and jailers trained by U.S. military agents for information about their missing loved ones" (Saldívar- Hull; p.234).

Der Verweis von Dr. Roberta Fernández, "that Hispanic writing is projected to become the most vital, innovative literature of the United States in the 21st century" (Fernández, p.3), mag angesichts des bis dato doch eher bescheidenen Umsatzes von Werken besagter AutorInnen vermessen klingen, ist aber hinsichtlich der sozio-politischen Relevanz und Authentizität der verarbeiteten Inhalte durchaus stichhaltig.

Das demonstrative Beharren vieler Chicanas auf ihrem Minderheitenstatus kann auch als Reaktion auf wachsende Tendenzen in der amerikanischen Öffentlichkeit interpretiert werden, die mit Vehemenz dessen exaktes Gegenteil suggerieren. Es ist kaum verwunderlich, dass gerade die Medien und die Marketingindustrie auf Latinisierungstendenzen im Land geistesgegenwärtig reagierte, um sich mit gezielten Werbekampagnen einen weiteren potentiellen Verbraucherkreis zu sichern. "An evening watching commercials on Hispanic TV produces great feelings of nostalgia. [...] Against a background of palm trees, a doting Hispanic housewife serves her husband dinner. In another, a girl impresses her date with her cooking."[73] In einem für "westliche Verhältnisse" geradezu erschreckend gestrigen Rollenverhalten repräsentieren die DarstellerInnen solcher Werbespots tradierte mexikanische Realität, "that if the company transmitted some of its Spanish-language ads on English- language TV ´ every woman ´ s group in the country would be after us ´ (Clark,p.184), wie es ein Sprecher von Goya Foods Inc. gegenüber dem "Wall Street Journal" formulierte. "In the US, for example, Hispanics have become an especial target with new brands tailored to fit research findings - in one case, full flavour cigarettes in a pack designed to reflect both status and machismo" (Clark, p.254). Die Schaffung eines individuellen Marktes für Latinos innerhalb der USA arbeitet in ihrer Konsequenz latent der Erzeugung einer Antigesellschaft zu, die das Bewusstsein für "Otherness" beharrlich konserviert. Die Verpflanzung des kultivierten männlichen Chauvinismus aus den Ländern Lateinamerikas in die US- amerikanischen Medien hinterfragt nicht nur die Fortschritte der institutionalisierten sozialen und kulturellen Gleichstellung von Frauen in den USA, sondern macht auch deutlich, dass der gesellschaftliche Status von Frauen einer weiteren Differenzierung hinsichtlich nationaler Abstammung unterliegt: Noch 1995 hatten Mexikanerinnen in den USA im Durchschnitt nicht nur einen bedeutend geringeres Einkommen als weiße Männer, weiße Frauen und Männer mexikanischer Abstammung, sondern auch "less than a twelth-grade education, and continued to experience sexism, racism, and class barriers."[74]

Das Ringen um eine gemeinsame Basis für emanzipatorische Bestrebungen unter den Chicanas wird somit auch zukünftig einer der zentralen Schwerpunkte ästhetischer Verarbeitung durch die betreffenden Künstlerinnen sein. Doch muss man auch einschränkend einräumen, "dass man in den Vereinigten Staaten als Romancier oder Lyriker wie von selbst marginalisiert wird, man führt ein verborgenes Leben im Schatten dessen, was wirklich zählt: Big Hollywood, Big Rock'n'Roll, Big Business, und der Rest wird weiterhin ignoriert" (Paul Auster in: Greiner, S.54). Auch das Resümee von Richard Ruland und Malcolm Bradbury am Ende ihrer "History of American Literature" versucht, die mit Literatur einhergehenden Ansprüche zu relativieren: "Literature too is yet another theory of thought in which writers try, as William Carlos Williams has it, "Through metaphor to reconcile / the people and the stones""[75]

Und so bleiben als Fazit Fakten und Zahlen, die unheilvoll prognostizieren, mit welcher Unausweichlichkeit die Gräben zwischen Mexiko und den USA, zwischen Arm und Reich, wachsen werden. Die Hoffnung, sich vom alltäglichen Kampf um das nackte Überleben in absehbarer Zukunft lossagen zu können, lässt die Kassandrarufe der "Moralisten" ungehört verhallen:

"They left their homes and family

Their father said "My sons one thing you will learn

For everything the north gives

It exacts a price in return.""[76]

Unter der mexikanischen Trikolore mit dem aztekischen Emblem erstreckt sich ein fast 2 Millionen Quadratkilometer großes Land, das angesichts der "hoffnungslos verarmten" südlichen Nachbarn seinen Blick gen Norden gerichtet hat, und dessen Bewohner ungeachtet all derer, die es besser zu wissen glauben, den Dollartraum träumen. Es ist daher eigentlich auch keine Erwähnung wert, dass im ausgehenden Jahrtausend weder Autoren wie Carlos Fuentes oder Juan José Arreola noch eine weltbekannte Malerin wie Frida Kahlo dem eigentlichen Identifikationsobjekt und Stolz der Mexikaner das Wasser reichen können: der "New Beetle" von Volkswagen, dessen Produktionsstätte in Puebla den letzten Optimismus für einen Aufschwung im Land symbolisiert.

In den USA indes schaut man besorgt auf die Geister, die man rief, verbarrikadiert sich, ahnt aber schon, dass das nichts nützen wird:

"In Latin America the interaction distance is much less than it is in the United States. Indeed, those people cannot talk comfortably with one another unless they are very close to the distance that evokes either sexual or hostile feelings in the North American. The result is that when they move close, we withdraw and back away."[77]

Heiko Dünnebier (Januar 1999)

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 1: Quelle: Keystone Pressedienst, Hamburg aus: Amerikanische Literaturgeschichte - Hubert Zapf (Hrsg.) Verlag J.B. Metzler / Stuttgart, Weimar; 1997 / S.440

Abb. 2: Atlas Für Jedermann (Geographisch-Kartographische Anstalt / Gotha, Leipzig; 1977 / S.81)

Abb. 3: aus: http://www.epa.gov/earth1r6/6en/h/haztraks/usmexmap.htm

Abb. 4: Frida Kahlo - Self Portrait Between the Borderline of Mexico and the United States (oil painting on tin, 1932) - Collection of Mr. And Mrs. Manuel Reyero aus: http://www.mati.eas.asu.edu:8421/~getty/html_pages/kahlo5.html

HÄUFIG ZITIERTE QUELLEN

GLORIA ANZALDÚA - "Borderlands/La Frontera: The New Mestiza" (Spinster´s / Aunt Lute Press; San Francisco 1987)

WILLIAM BOOTH - "The Myth of the Melting Pot" (Washington Post, February 22nd 1998)

THOMAS CORAGHESSAN BOYLE - "The Tortilla Curtain" (Penguin Books, New York 1995)

JORGE A. BUSTAMANTE - "The Mexico-U.S. Border: A Line of Paradox" in: "Identities in North America - The Search for Community" - edited by Robert L.Earle & John D.Wirth (Stanford University Press / Stanford, California 1995)

BOB DYLAN - Lyrics 1962-1985 (Paladin Grafton Books; London 1988)

GEORGIE ANNE GEYER - "Americans No More" (The Atlantic Monthly Press New York 1996)

ULRICH GREINER - "Gelobtes Land - Amerikanische Schriftsteller über Amerika" (Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1997)

RAMÓN GUTIÉRREZ - "The Erotic Zone - Sexual Transgression on the U.S.Mexican Border"

in: Avery F. Gordon / Christopher Newfield (ed.) - Mapping Multiculturalism (University of Minnesota Press; Minneapolis, MN, 1996 / pp.253-261)

HELENA MARÍA VIRAMONTES - "The Cariboo Cafe"

in: Helena María Viramontes - "The Moths and Other Stories" (© 1985)

(Arte Público Press; Houston, TX, 1995 / pp.65-79)

[...]


1 Profirio Diaz` - "Armes Mexiko! So fern von Gott und so nah an den Vereinigten Staaten..." [aus: Elisabeth Tayefeh & Graciela Vázquez - "¡Que te diviertas!" (J. Luis de Freitas-Branco Verlag, Berlin 1995, S.28)]

2 vgl. "International Migration, Refugee Flows and Human Rights in North America: The Impact of Free Trade and Restructuring" [The Center of Migration Studies of New York, Inc. / New York1996 / p 41]

3 Dr. Jorge Bustamente, head of the Mexican government-funded Colegio de la Frontera y el Norte, quoted in: Georgie Anne Geyer - "Americans No More" (The Atlantic Monthly Press New York 1996 / p.293)

4 aus: Tey Diana Rebolledo & Eliana S. Rivero Tucson - Infinite Divisions: An Anthology of Chicana Literature [University of Arizona Press, 1993, p. 292]

5 "MEXICAN AMERICAN" - Dieser Begriff bezog sich ursprünglich auf Mexikaner, die nach dem Mexikanischen Krieg (1846 - 1848) in den von den U.S.A. eroberten Ländern blieben und (genau wie deren Nachkommen) die amerikanische Staatsbürgerschaft zuerkannt bekamen. Hinzu kamen mexikanische Arbeiter, die in regelmäßigen Abständen von amerikanischen Unternehmen angeheuert wurden (erstmals seit dem Bau der ´Santa Fe Railroad´ 1821) und daraufhin in den Vereinigten Staaten blieben. Die Bezeichnung "Mexican American" steht heute allgemein für amerikanische Staatsbürger mexikanischer bzw. lateinamerikanischer Herkunft. vgl.: George Henderson / Thompson Olasij - "Migrants, Immigrants, and Slaves - Racial and Ethnic Groups in America" (University Press of America, Inc./ Lanham, New York, London / 1995 / pp. 211-212)

6 "CHICANO" - Der Begriff ´Chicano´ ist ursprünglich eine herabwürdigende Bezeichnung der mexikanisch- stämmigen Bevölkerung und der Einwanderer durch die Anglos. Doch haben Studentengruppen im Zuge der Bürgerrechts- und Emanzipationsbewegungen der 60er und 70er Jahre im Zusammenhang mit der sogenannten ´Chicano-Renaissance´ versucht, den Begriff von innen heraus neu zu definieren: "Culturally, the word Chicano, in the past a pejorative and class-bound adjective, has now become the root idea of a new cultural identity for our people. It also reveals a growing solidarity and the development of a common social praxis. The wide spread use of the term Chicano today signals a rebirth of pride and confidence." in: Antonia Castañeda Shular, Tomás Ybarra-Frausto & Joseph Sommers (editors) - Literatura Chi- cana, Text and Context (Prentice-Hall, Inc. / Englewood Cliffs, N.J., 1972 / p.85) zitiert aus: Walter Piller - Der Chicano-Roman (Peter Lang / Bern, 1991 / S.17)

7 Jorge A. Bustamante - "The Mexico-U.S. Border: A Line of Paradox" in: "Identities in North America - The Search for Community" - edited by Robert L.Earle & John D.Wirth (Stanford University Press / Stanford, California 1995 / pp.180-181)

8 Marcel Bergmann - "Grenzverkehr" (TAZ Nr. 2888 ; 19.08.1989 / S.17)

9 vgl.: "Background Notes: Mexico, April 1997. Released by the Bureau of Inter-American Affairs" (U.S. Department of State)

10 Georgie Anne Geyer - "Americans No More" (The Atlantic Monthly Press New York, 1996 / p.293)

11 vgl.: Michael Fix and Jeffrey S. Passel - "Immigration and Immigrants: Setting the Record Straight" (Washington, DC: The Urban Institute, 1994.)

12 "Lateinamerika II - Politische Entwicklung seit 1945" in: Informationen zur politischen Bildung 244 (3. Quartal 1994) - Hrsg. Bundeszentrale für politische Bildung (Franzis Druck GmbH, München 1994, S.62)

13 "International Migration, Refugee Flows and Human Rights in North America: The Impact of Free Trade and Restructuring" [The Center of Migration Studies of New York, Inc. / New York 1996/ p.39]

14 David Barsamian - "Secrets, Lies and Democracy (Interviews with Noam Chomsky)" [Pluto Press / London 1994 / p.108]

15 Andrea Böhm - "Kein Wandel durch Freihandel" [TAZ Nr.4529; 26.01.1995 / S.7]

16 "Fast Track to Unsafe Food Reveals How NAFTA Undermines U.S. Food Safety" - PRESS RELEASE by Public Citizen's Global Trade Watch for immediate release [ Washington D.C., September 24, 1997]

17 Jose Palafox -"Militarizing the Mexico - U.S. Border" (in "Covert Action Quarterly"magazine/ New York, March 1996)

18 Andrea Böhm - "Die unaufhaltsame Latinisierung von L.A." (TAZ Nr. 4608; 02.05.1995 /S.14f.)]

19 Roberto Fabricio - "Fast hätte ich mein Kind auf der Brücke geboren" (TAZ; contrapress media GmbH T910609.23 World-Media Nr.2 ; 09.06.1991 / S.68)

20 Kevin Baxter - "A Soap With More on Its Mind" (Los Angeles Times, Monday, April 21st, 1997)

21 Folgende Maßnahmen werden anläßlich dieses Tages vorgeschlagen:

"The community is being asked to show their appreciation to police officers by:

driving with lights on

leaving porch lights on all night wearing red

smiling and waving at "our cops"

_ thinking up their own ways to show our deserving police departments our support. "

http://www.bisn.org/love.html [© The Border Plant Women, 1996]

22 vgl. Sir James George Frazer - "The New Golden Bough" (Criterion Books, Inc. / 1959 / pp.529- 545)

23 "Part of President Clinton´s Speech Concerning Illegal Immigration" (© The White House/ 1994) zitiert aus: http://www.altenforst.de/faecher/englisch/immi/illegal/immigcri.htm

24 "Der Arnold Schwarzenegger ist doch kein Rassist!" (TAZ Nr. 4472 ; 19.11.1994 / S.32)

25 Ulrich Greiner - "Gelobtes Land - Amerikanische Schriftsteller über Amerika" (Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1997 / S.101)

26 Georgie Anne Geyer - "Americans No More" (The Atlantic Monthly Press, New York /p.280)

27 vgl.: William Booth - "The Myth of the Melting Pot" (Washington Post, February 22nd 1998/ p.5)

28 vgl.: Edward J.Blakeley & Mary Gail Snyder - "Fortress America: Gated Communities in the United States" (Washington, DC, Brookings Institution Press / Cambridge, Ma, Lincoln Institute of Land Policy, 1997)

29 T.C. Boyle im Interview in: Ulrich Greiner - "Gelobtes Land ..." a.a.O.; S.115

30 Bob Dylan & Jacques Levy - Romance in Durango (Columbia Records / © Ram´s Horn Music 1975/76) zitiert aus: Bob Dylan - Lyrics 1962-1985 (Paladin Grafton Books; London 1988 / p.543)

31 aus: Billy Roberts - Hey Joe (adapted by Willy deVille on "Backstreets of Desire" [© fnac music production, 1992]

32 vgl.: Hubert Herring - "Lateinamerika heute" in "Propyläen Weltgeschichte" / Bd.10 hrsgg. von Golo Mann (Ullstein Verlag GmbH, Frankfurt/Main & Berlin 1991 / S.314f.)

33 Americo Paredes - "Folklore and Culture on the Texas-Mexican Border". Ed. Richard Bauman (University of Texas Press / Austin,TX, 1993 / p.6)

34 vgl.: Américo Paredes - "A Texas-Mexican Cancionero: Folksongs of the Lower Border." (University of Texas Press; Austin TX 1995)

35 aus: Townes Van Zandt - "Pancho and Lefty" (in:"The Late Great Townes Van Zandt"/ Tomato Rec., 1972)

36 B. Traven - "Eine wahrhaft blutige Geschichte" in: "Der Banditendoktor - Mexikanische Erzälungen" (Büchergilde Gutenberg / Berlin, Zürich 1957)

37 Carlos Fuentes - Der alte Gringo (Verlag Volk und Welt; Berlin 1988 / © 1985 / S.179)

38 Malcolm X wurde im Alter von 20 Jahren wegen Einbruchsdelikten zu einer siebenjährigen Haft- strafe verurteilt, während der er u.a. die Bibel studierte. Nach seiner Entlassung (1952) trat er der "Black Muslim Community" bei , als deren Sprachrohr er bis zu seiner Ermordung (1965) fun- gierte. Dem Läuterungsprozeß während seiner Haftstrafe läßt Spike Lee in seiner Film- Biogra- phie eine zentrale Rolle zukommen.

39 Bob Dylan & Jacques Levy - "Joey" (Columbia Records / © Ram´s Horn Music 1975/76) zitiert aus: Bob Dylan - Lyrics 1962-1985 (Paladin Grafton Books; London 1988 / pp.540- 541)

40 Paul Simon - Songs From The Capeman" (Warner Bros. Records Inc., New York 1997)

41 Ramón Gutiérrez - The Erotic Zone - Sexual Transgression on the U.S.-Mexican Border" in: Avery F. Gordon / Christopher Newfield (ed.) - Mapping Multiculturalism (University of Minnesota Press; Minneapolis, MN, 1996 / pp.253-261)

42 vgl.: Ross C. Murfin (ed.) - "Deconstruction and The Scarlet Letter" in: "Case Studies in Contemporary Criticism: Nathaniel Hawthorne - The Scarlet Letter" (Bedford Books of St. Martin´s Press; Boston 1991 / pp.305-310)

43 Richard Rodriguez - "Die Grenze, Señor ...?" (TAZ Nr. 4471; 18.11.1994 / S.10)

44 Toni Morrison - Beloved (Penguin Books, New York 1987 / p.337)

45 Thomas Coraghessan Boyle - "The Tortilla Curtain" (Penguin Books, New York 1995)

46 Martin Scholz & Brigitte Spitz - "Willkommen in Boyleville" in: Rolling Stone (Deutschland) (DRS Verlag, Hamburg / Nr.9 vom September 1998; S.90)

47 T.C. Boyle im Interview in: Ulrich Greiner - "Gelobtes Land - Amerikanische Schriftsteller über Amerika" (Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1997 / S.110f.)

48 Bob Dylan - I Pity The Poor Immigrant (from: "John Wesley Harding" (Columbia Rec./ Dwarf Music; 1968) zitiert aus: Bob Dylan - Lyrics 1962-1985 (Paladin Grafton Books; London 1988 / p.384.)

49 Woody Guthrie - Pastures of Plenty (Tro-Essex Music Ltd. / 1940)

50 Woody Guthrie - Tom Joad (from: "Dust Bowl Ballads" / RCA Victor, 1940)

51 Bruce Springsteen - The Ghost of Tom Joad (Columbia Records, 1995)

52 John Steinbeck - The Grapes of Wrath (Viking Penguin Inc.; New York , N.Y., 1986 / p.156)

53 Woody Guthrie - Deportees (1948) [von mir transkribierte Version von Joan Baez, die den Song bei einem Auftritt in San Antonio,TX am 11.5.1976 in dieser Weise adaptierte]

54 Roger Waters - Two Suns in the Sunset (in: Pink Floyd - The Final Cut - A Requiem for the Postwar Dream [EMI-Records, London / 1983] )

55 Bruce Springsteen - Reason to Believe (from: "Nebraska" [Columbia Rec. / 1982] )

56 Pat Mora - Legal Alien in: Tey Diana Rebolledo & Eliana S. Rivero - Infinite Divisions: An Anthology of Chicana Literature

(Tucson: University of Arizona Press, 1993, p. 95 )

57 George Henderson / Thompson Olasij - "Migrants, Immigrants, and Slaves - Racial and Ethnic Groups in America" (University Press of America, Inc./ Lanham, New York, London / 1995 / p.2) vgl. [5] (S.6)

58 Gloria Anzaldúa - The Homeland Aztlán. In: "Borderlands/La Frontera: The New Mestiza" (Spinster´s / Aunt Lute Press; San Francisco, 1987 / p.3)

59 Walter Piller - Der Chicano Roman (Peter Lang; Bern 1991/ S.17)

60 Ana Castillo - "A Countryless Woman: The Early Feminista" in: Massacre of the Dreamers: Reflections on Mexican-Indian Women in the United States 500 Years after the Conquest (University of New Mexico, 1992 / p.21)

61 Roberta Fernandez (ed.) - "Voces Americanas" in: In Other Words: Literature by Latinas of the United States (Arte Publico Press; Houston,TX, 1994 / p.3)

62 vgl. Hubert Zapf (Hrsg.) - Amerikanische Literaturgeschichte (Verlag J.B. Metzler / Stuttgart, Weimar 1997 / S.437-443)

63 aus: Rodolfo Gonzales - I Am Joaquín / Yo Soy Joaquín; An Epic Poem. (Bantam / New York. 1972/ © 1967)

64 Gloria Anzaldúa - Borderlands in: "Borderlands / La Frontera: The New Mestiza" (Spinster´s; Aunt Lute Press / San Francisco 1987)

65 Gloria Anzaldúa - interviewed by Marie-Elise Wheatwind (NuCity - Albuquerque's free weekly paper; April 11 - April 17, 1994)

66 Sonja Saldívar-Hull - Feminism on the Border : From Borderpolitics to Geopolitics (University of Texas; Austin,TX, 1990 /p.217)

67 vgl. Arturo Ramírez - La Llorona: Structure and Archetype in: Jose Villarino, Arturo Ramírez (eds) - Chicano Border - Culture & Folklore (Marin Publications; San Diego 1992)

68 Helena María Viramontes - "The Cariboo Cafe" in: "The Moths and Other Stories" (Arte Público Press; Houston, TX, 1995 / p.72)

69 vgl. Margarita Theresa Barceló - The Heterogenous Sites of Struggle in Helena María Vira- montes and Gina Valdes (=Chapter 2) in: Geographies of Struggle (University of California; San Diego 1995 /pp.44-45)

70 vgl. "With the Salvadoreña´s final act of resistance Viramontes explodes the boundaries of fa- mily, of safety, and of home." in: Sonja Saldívar-Hull - Feminism on the Border... , a.a.O. p.238

71 Carl Gutiérrez-Jones - Rethinking the Borderlands (University of California; Berkeley 1995 /p.120)

72 Die Zahlen sind der "Spiegel-TV"- Reportage "Panamericana" (Autor: Thomas Schaefer / 1998) entnommen.

73 Eric Clark - The Want Makers - The World of Advertising: How They Make You Buy (Viking Penguin Inc.; New York 1989 / p.184)

74 Cynthia E. Orozco - Mexican-American Women (The Texas State Historical Association; Austin,TX, 1997/ p.3)

75 Richard Ruland & Malcolm Bradbury - From Puritanism to Postmodernism: A History of American Literature (Penguin Books Ltd.; Harmondsworth,Middlesex, 1992 / p.428)

76 Bruce Springsteen - Sinaloa Cowboys (from: "The Ghost of Tom Joad" / Columbia Records, 1995)

77 Lyn H. Lofland - A World of Strangers - Order and Action in Urban Public Space (Basic Books Inc.; New York 1973 / p.107)

Fin de l'extrait de 71 pages

Résumé des informations

Titre
Which Side Are You On? - Die literarische Gestaltung kultureller Kontraste an der mexikanisch-amerikanischen Grenze
Note
1,3
Auteur
Année
1999
Pages
71
N° de catalogue
V97827
ISBN (ebook)
9783638962780
Taille d'un fichier
1034 KB
Langue
allemand
Mots clés
Which, Side, Gestaltung, Kontraste, Grenze
Citation du texte
Heiko Dünnebier (Auteur), 1999, Which Side Are You On? - Die literarische Gestaltung kultureller Kontraste an der mexikanisch-amerikanischen Grenze, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97827

Commentaires

  • invité le 16/11/2004

    ......!!Ich bin echt total sprachlos!! Normalerweise schreibe ich keine Kommentare unter Referate, aber bei dir hatte ich irgendwie das Gefühl dir sagen zu müssen wie beeindruckt ich von deiner Arbeit bin!! :-) Das Thema der Grenze und der Umgang mit diesem "Problem", sowie der amerikanische "Urgedanke" wird zu 50% Thema in meiner Abiturprüfung. Deine Arbeit hat mir einen richtig guten Überblick über die Bandbreite der Problematik verschafft. Danke!!!

  • invité le 29/6/2002

    Na guck mal einer schau dir das an ....

    Da schreibt mal einer ne ganz schön lange Arbeit und prompt wird die auch noch richtig oft gelesen. Nach anfänglicher Skepsis kann ich mich dem allgemeinen Urteil der vorangegangenen Rezen... (wie heißt das Wort doch gleich?) nur anschließen. Die Kardinalsfrage lautet: Wie kann es gelingen, den Grenzkonflikt ausführlich zu beschreiben und dabei Sir James George Frazer, Jacques Derrida, Paul Auster, Bob Dylan und Arnold Schwarzenegger zu zitieren, ohne den roten Faden zu verlieren? Man lese diese Arbeit und staune, wie das geht: nämlich richtig gut.
    Fazit: Ein sozialkritischer Politthriller aus der Reihe "spannend erzählt".

  • invité le 29/4/2002

    Keine Kritik, nur ein Hinweis.

    Werter Herr Dünnebier!

    Eine sehr lesenswerte Arbeit. Bedenken hätte ich lediglich hinsichtlich der Tatsache, dass sich bei Ihrem Vergleich angloamerikanischer und mexikanisch-amerikanischer Schriftsteller gleichzeitig geschlechtspezifische Rollenbilder gegenüber stehen. Das heißt, dass ein Vergleich verschiedenartiger kultureller Prägungen durch die spezifische Situation der Chicanas innerhalb der Mexican Americans u.U. zu verfälschten Ergebnissen führen könnte. Andererseits lässt sich gerade anhand der gewählten Extrempole das ganze Ausmaß der Problematik (inkl. der weiterreichenden Konfliktherde) sehr gut illustrieren, was Ihnen, da scheinen sich auch die anderen Leser einig zu sein, wirklich beeindruckend gelungen ist.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Marion Stark.

  • invité le 9/4/2002

    Ganz schön viel ....

    Wenn man mal schnell ne Info braucht, wird man mit deiner Arbeit ziehmlich erschossen. Wir wollens ja nicht gleich übertreiben - mit den Hausaufgaben, mein ich.

  • invité le 8/4/2002

    beängstigend lesenswert.

    Es dauert zwar eine Weile, bis man als Leser den roten Faden gefunden hat,jedoch kommt man um so schwerer wieder von dieser weit über literarische Belange hinausgehenden Abhandlung los. Es ist schon erstaunlich, wie selbstverständlich hier Demographen, Dekonstruktivisten, Politiker und Autoren mit Zitaten aus Soap-Operas, Mythologien oder gar Springsteen-Songs be- oder widerlegt werden und alles am Ende sogar beängstigend einleuchtend klingt.

    Fazit: äußerst lesenswert, wenngleich desillusionierend.

  • invité le 28/3/2002

    Na also!.

    Lang hats gedauert, bis ich schließlich durch Deine Arbeit die Information bekam, die mir fehlte, um aus Viramontes "Cariboo Café" schlau zu werden. Besten Dank.

    Mit lieben Grüßen, Louisa.

  • invité le 8/2/2002

    Nicht schlecht, Herr Specht!.

    Deine Arbeit ist sehr informativ. Die historischen Querverbindungen werden anschaulich und überzeugend dargestellt. Deine Sprache hebt sich dabei wohltuend von einer großen Anzahl akademischer Spaßbremsen ab. Danke.

  • invité le 15/11/2001

    Thanks a lot...

    Deine Arbeit ist wirklich KLasse. Ich schreibe in einigen Tagen eine Englisch Leistungskurs Klausur uber Tortilla Curtain und ich denke, dass mir das was du geschrieben hast sehr beim verstehen bzw. interpretieren des Buches helfen wird..Thank You!

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Titre: Which Side Are You On? - Die literarische Gestaltung kultureller Kontraste an der mexikanisch-amerikanischen Grenze



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