Novemberrevolution und politischer Strukturwandel in Bayern (1918/19)

Das Ende der bayerischen Monarchie und Kurt Eisners "Freistaat Bayern"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

24 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Deutungen der Novemberrevolution im Wandel

2 Novemberrevolution und politischer Strukturwandel in Bayern (1918/19)
2.1 Das Ende der bayerischen Monarchie
2.1.1 Erster Weltkrieg und Reformbestrebungen
2.1.2 Revolution in München: Hintergrund, Ausbruch und Verlauf
2.2 Kurt Eisners „Freistaat Bayern“
2.2.1 Die revolutionäre Regierung und ihr Arbeitsprogramm
2.2.2 Das Ende des Kabinetts Eisner

3 Fazit und politischer Strukturwandel nach der Amtszeit Eisners

Quellen- und Literaturverzeichnis

1 Deutungen der Novemberrevolution im Wandel

Die Revolution vom 9. November 1918 in Berlin bedeutete das Ende der monarchischen Staatsform in Deutschland und resultierte in der Etablierung einer parlamentarischen Demokratie, der Weimarer Republik. Trotz dieses erfolgreichen Strukturwandels lässt sich eine „nahezu allseitige posthume Unbeliebtheit“1 der Revolution im öffentlichen Bewusstsein feststellen. Sie geht bereits auf die Weimarer Republik zurück, in der vor allem rechte Kräfte zur Stigmatisierung und Diffamierung der Revolutionäre als politische Verbrecher oder psychisch Kranke und zur Entstehung der berühmten Dolchstoßlegende beitrugen. Eine solche negative Deutung wurde im Nationalsozialismus weiter fortgeführt, bis die Umwälzung schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geriet.2 Heute, 100 Jahre später, ist sie immer noch kaum Teil der deutschen Erinnerungskultur oder „gilt […] als die Revolution, die es nicht geschafft hat, die Nazis zu verhindern. Oder sie gar hervorgebracht hat“3. Aufgrund dessen rief Frank-Walter Steinmeier zum Gedenktag am 9. November 2018 wiederholt dazu auf, stärker an „die Geburt der Republik in Deutschland“4 zu erinnern.

Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass der Revolution in Berlin der Staatsumsturz in München vorausging. Zwei Tage zuvor, am 7. November 1918, beendete Kurt Eisner die bayerische Monarchie und rief die erste demokratische Republik auf deutschem Boden aus. Die vorliegende Hausarbeit befasst sich deshalb zum 100. Jahrestag der Novemberrevolution mit den Geschehnissen in Bayern. Es wird die Frage gestellt, welcher politische Strukturwandel von den Beteiligten erreicht oder beabsichtigt wurde. Dabei soll die Residenzstadt München und die erste Phase der Revolution, die sog. „Erste Revolution“ von der Umwälzung bis zum gewaltsamen Ende der Amtszeit Eisners am 21. Februar 1919, im Fokus der Betrachtung stehen, da sie den Beginn für weitere Ereignisse im Land markierten. Um die Vorgeschichte der Revolution zu durchleuchten, wird anfangs ein Blick auf ihre Ursachen geworfen, die vordergründig in den Folgen des Ersten Weltkrieges sowie in der bayerischen Verfassungs- bzw. Reformbewegung zu finden sind. Anschließend soll es konkret um den von Eisner initiierten Umsturz gehen, wobei keine detaillierte Schilderung des Verlaufs angestrebt, sondern vielmehr Wert auf die Erläuterung des Hintergrunds gelegt wird. Im zweiten Teil der Arbeit rückt dann die neu gebildete Revolutionsregierung in den Vordergrund: Was waren die Kernelemente ihres Arbeitsprogramms? Wie sollte der demokratische Strukturwandel vorangetrieben werden? Welche Grundzüge und wichtige politische Instanzen wies die bayerische Republik auf? Und schließlich: Welches Ende fand das Kabinett Eisner? Eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und ein kurzer Ausblick auf den politischen Strukturwandel unmittelbar nach Eisners Tod bilden den Abschluss der Arbeit.

Den Forschungsstand betreffend lässt sich feststellen, dass die Novemberrevolution trotz ihres geringen Bedeutungsgehalts für die deutsche Erinnerungskultur zu den bestuntersuchtesten Abschnitten der jüngeren bayerischen Geschichte zählt.5 Dem Forschungsschub der 1960er Jahre in Westdeutschland entstammten viele regionalgeschichtliche Studien und Untersuchungen zur Rätebewegung, die aber nach der Wiedervereinigung zugunsten anderer Themen aus dem wissenschaftlichen Diskurs verdrängt wurden. Außerdem setzte sich unter Historikern im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Machtübernahme in der Weimarer Republik lange das negativ konnotierte Deutungsmuster einer u.a. „gescheiterten“, „unechten“ oder „widersprüchlichen“ Revolution durch.6 In der heutigen Forschung tritt diese negative Bewertung anders als in der öffentlichen Erinnerungskultur zwar in den Hintergrund, dennoch mangelt es weiterhin an einem allgemeinen Konsens über die Beurteilung der Revolution.7

Eine wichtige literarische Grundlage für die Hausarbeit stellt die ausführliche Eisner-Biographie von Bernhard Grau dar, der über den Werdegang sowie politischen Kurs des Kurt Eisner hinaus gesamtpolitische Aspekte der Jahre 1918/19 herausarbeitet. Unter den herangezogenen Literaturangaben sind noch die Untersuchungen von Heinz Hürten, Franz Menges und Georg Köglmeier hervorzuheben, der neben den Kriegsfolgen auch die verfassungsrechtlichen Strukturen in Bayern in seiner Ursachenanalyse mitberücksichtigt.8 Des Weiteren beschränkt sich die Quellenarbeit im Rahmen der Hausarbeit trotz oder gerade aufgrund der sehr guten Quellenlage auf ausgewählte, für die Themenstellung relevante Zeugnisse der Novemberrevolution. Hierunter fallen vor allem Regierungsdokumente, aber auch Ministerratsprotokolle, politische Reden, Zeitungsartikel oder Augenzeugenberichte, zu welchen es eine große Auswahl an Quellensammlungen zu finden gibt.9

2 Novemberrevolution und politischer Strukturwandel in Bayern (1918/19)

2.1 Das Ende der bayerischen Monarchie

Die Ursachen für die Revolution sowie das Ende der Monarchie in Bayern können nur multidimensional erklärt werden. Es ist nicht von einem Entweder-Oder, sondern vielmehr von einem Zusammenwirken von verfassungsrechtlichen Grundproblemen und den Folgen des Ersten Weltkrieges auszugehen. Diese beiden Aspekte führten zum Wiederaufgriff der Reformbestrebungen, zur immer virulenter werdenden Autoritätskrise des Königtums und letztlich zu dessen Umsturz.10 Im Folgenden gilt es daher, jene Aspekte näher zu durchleuchten, bevor ein Blick auf die Novemberrevolution in München geworfen wird.

2.1.1 Erster Weltkrieg und Reformbestrebungen

Die Kriegsstrategie Deutschlands, einen nach dem sog. Schlieffen-Plan raschen Sieg zu erringen, war nicht von Erfolg. Die militärischen Konflikte wurden keineswegs, wie zunächst angenommen, nach wenigen Monaten beendet. Der Erste Weltkrieg brachte hingegen bisher unbekannte Dimensionen der Totalität hervor, in technischer, materieller und personeller Hinsicht.11 Nach amtlichen Angaben zählte man im bayerischen Heer über 178.000 Tote, knapp 20.000 Soldaten waren vermisst, mehr als 435.000 kehrten als Kriegsinvalide zurück.12 Neben diesen hohen Verlustzahlen an der Front litt man in der Heimat unter massiver Nahrungsmittelknappheit. Da die Maßnahmen der bayerischen Regierung, wie etwa Rationierungen oder Höchstpreisverordnungen, keine Besserung brachten, wurden in der Reichshauptstadt zentralisierte Vorkehrungen für die Einzelstaaten getroffen. Hierunter zählten die Festlegung von Höchstkontingenten, die streng geregelte Verteilung von bestimmten Lebensmitteln oder Ablieferungsquoten. Missernten und kriegsbedingte Importsperren verstärkten die enormen Ernährungsprobleme.13 Nicht nur das Agrarwesen, sondern auch die Wirtschaft im Allgemeinen unterlag einer zentralen Organisation. Aus Hoffnung auf einen schnellen Sieg fand zunächst keine Umstellung auf Kriegswirtschaft statt, doch aufgrund des unerwarteten Kriegsverlaufs sah man sich im ganzen Reich gezwungen, in immer mehr Betrieben die Kriegsproduktion einzuführen, die zur totalen militärischen Mobilmachung Deutschlands verhelfen sollte.14 Für Bayern, das vergleichsweise ein weniger industrialisiertes Gebiet mit Charakter eines Agrarstaats war, hatte die Rüstungskonjunktur die Folge, dass einige Schwerindustrien in das Königreich verlegt wurden. So erlebte Bayern durch den Anstieg an Fabriken und den Zuzug in die Städte einen Industrialisierungs- und Urbanisierungsschub. Dieser wirtschaftlich-soziale Strukturwandel trug allerdings im Kontext des Krieges zu einer Verschärfung von klassengesellschaftlichen Gegensätzen wie auch zu Spannungen zwischen Land und Stadt bei. Im Gegensatz zu den unteren Schichten verfügten nämlich nur die oberen Einkommensgruppen das nötige Geld für Hamsterfahrten oder für Lebensmittel auf dem Schwarzmarkt. Zudem hatte die Landbevölkerung zwar die Möglichkeit auf subsistenzwirtschaftliche Selbstversorgung, sie war aber viel stärker von dem Arbeitskräftemangel betroffen als die durch die Industrialisierung anwachsenden Städte.15

Mag die bayerische Bevölkerung zu Beginn noch so sehr von der deutschen Kriegserklärung begeistert gewesen sein,16 die Unzufriedenheit sowie Friedenssehnsucht der Menschen nahm zu, je länger der Krieg anhielt und je stärker man dessen Folgen zu spüren bekam. Der ausbleibende schnelle Sieg Deutschlands zusammen mit der Unfähigkeit der Regierungen, innenpolitischen Problemen wirksam zu begegnen, führten obendrein zu einem Vertrauensverlust in die Staatsgewalt. Anfangs machte man hauptsächlich die Reichsleitung verantwortlich, was den „latent vorhandene[n] Preußenhass“17 schürte. Doch die bayerische Monarchie sah sich ebenfalls mit einer zunehmenden Autoritätskrise konfrontiert.18 Als Begründung hierfür kann zum einen die Abgabe von Souveränitätsrechten an das Reich genannt werden. Denn abgesehen von der zentralen Planwirtschaft durch Berlin unterlag ebenso die bayerische Armee dem direkten Oberbefehl des Kaisers.19 Zum anderen verstärkte die Annexionspolitik des bayerischen Königs die Vorstellung der Massen, Bayern sei nicht mehr als nur „ein Handlanger von Wilhelm II.“20. Darüber hinaus spiegelte die Siegeszuversicht Ludwigs III. im Sommer 1918 – „Kein Deutscher denkt an einen schimpflichen Frieden. […] Volle Zuversicht erfüllt mich beim Blick in die Zukunft“21 – keinesfalls die Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung wider.22 Hatte die bayerische Monarchie allem Anschein nach vor dem Krieg noch „eine breitere legitimatorische Basis“, wurde sie nach 1914 unter eine „enorme Belastungsprobe“23 gestellt.

Die Systemkrise der Monarchie machte sich überdies auch auf politischer Ebene bemerkbar. Nachdem man angesichts des Burgfriedens parteipolitische Konflikte über Verfassungsänderungen vorerst beigelegt hatte, wurden im letzten Kriegsjahr die Reformwünsche immer lauter.24 Diesen Umstand kann man jedoch nicht ausschließlich in den Folgen des Krieges begründet sehen, sondern muss die politischen Forderungen ebenso in Verbindung mit der seit 1818 fortschreitenden bayerischen Verfassungsentwicklung bringen. Die kriegsbedingten Schwierigkeiten rückten verfassungsrechtliche Grundprobleme, wie das monarchische Prinzip, die fehlende Gesetzesinitiative des Landtags oder das Zensuswahlrecht, wieder stärker ins Bewusstsein und zeigten die dringliche Notwendigkeit, die Verfassung zeitgemäß zu gestalten. Nach einer relativ langen Phase der innenpolitischen Kontinuität wurden daher die Reformbestrebungen der letzten Jahrzehnte erneut aufgegriffen.25 Dabei stellte der Antrag der Mehrheitssozialdemokraten Erhard Auer und Max Süßheim vom 18. September 1917 den Wendepunkt dar. Die Parlamentarisierung sowie Demokratisierung der bayerischen Verfassung sollte durch den Übergang in eine parlamentarische Monarchie zum Abschluss gebracht werden, denn „[d]ie lebendige Kraft des Volkes ist stärker als der papierene Schutzwall überlebter Privilegien und Vorrechte. […] An Stelle des Obrigkeitsstaates soll der Volksstaat treten“26. Obwohl die Beseitigung des Königtums nicht gefordert wurde,27 stieß der sozialdemokratische Antrag auf starken Widerstand der anderen Parteien, allen voran des Zentrums.28 Viele der Maximalforderungen, darunter die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Verhältniswahlrechts, die Abschaffung des Adels oder die Aufhebung aller Privilegien des Standes und des Königshauses, empfand man als zu radikal, weshalb der Antrag schließlich abgelehnt wurde.29 Dennoch bedeutete dies kein Ende der Reformbestrebungen. Verhandlungen über das Wahlrecht, die Reichsratskammer oder die Parlamentarisierung wurden fortgeführt, doch erst am 2. November 1918 kam es zu einem Abkommen zwischen Regierung und Landtagsparteien. Man einigte sich z.B. auf die Verhältniswahl, das Frauenwahlrecht und auf die Umstrukturierung der Reichsratskammer. Einem weiteren Einigungspunkt, und zwar „daß die durch das Vertrauen der Krone berufenen Staatsminister […] zugleich dauernd von dem Vertrauen des Landtags […] getragen werden“30, stimmte Ludwig III. am selben Tag noch zu. Zuletzt fehlte nur noch das Jawort der Ersten Kammer in der am 8. November geplanten Abstimmung, wozu es allerdings nicht mehr kam. Kurt Eisner hatte nämlich bereits das Ende der bayerischen Monarchie bekannt gegeben, als Ergebnis der erfolgreichen Revolution in München.31

2.1.2 Revolution in München: Hintergrund, Ausbruch und Verlauf

Eine allgemeine Umbruchstimmung war schon lange vor der Revolution im November wahrzunehmen. Diese äußerte sich in der zunehmenden Kriegsmüdigkeit sowie Protestbereitschaft der Bevölkerung, besonders der Arbeiterschaft, die ihren Höhepunkt im sog. Januarstreik erreichte. Die Initiative, eine Demonstration der Rüstungsbetriebe für ein sofortiges Kriegsende zu organisieren, ging von Berlin aus und fand auch in anderen deutschen Städten Anklang. Für die Verwirklichung in München setzte sich Kurt Eisner ein.32 Ihm gelang es trotz der eher kleinen Reichweite seiner Partei USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) und der vor allem in der Residenzstadt einflussreichen Opposition der Gewerkschaften und der MSPD (Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands), mehr als 9.000 Arbeiter der Rüstungsindustrie zum dreitägigen Streik zu mobilisieren. Dem Streikaufruf folgten ebenfalls andere bayerische Städte wie Fürth, Schweinfurt oder Nürnberg, wo über 40.000 Beschäftigte ihre Arbeit niederlegten.33 Der Januarstreik war „der einzige Fall organisierter politischer Widersetzlichkeit in Bayern während der ersten vier Kriegsjahre“34, blieb aber ohne den von Eisner beabsichtigen Revolutionserfolg. Er plante nämlich die Massenaktion nicht bei einem reinen Demonstrationsstreik gegen den Krieg und die aktuellen Probleme zu belassen, sondern hoffte auf einen Regierungsumsturz.35 Hierfür fehlte jedoch zum einen der notwendige „revolutionäre Impetus“36 der Teilnehmer, zum anderen schaffte es die Regierung durch die Verhaftung der Streikführer, darunter auch Eisner, den Aufstand rasch zu beenden. Der darauffolgende Aufruf der USPD zum „Kampf“37 gegen die Regierung und für die Freilassung der Verhafteten konnte den Streik nicht aufrecht halten. Danach blieb es lange Zeit relativ ruhig in Bayern, es kam weder zu vergleichbaren Protestaktionen noch ging es in der bayerischen Reformbewegung merklich vorwärts.38 Erst die weitere Verschärfung der Krisensituation, das Deutlichwerden der Unwahrscheinlichkeit eines deutschen Sieges und nicht zuletzt die Freilassung des Kurt Eisner nach knapp neun Monaten flammten die radikale Friedensbewegung wieder auf.

Dabei lässt sich die „drohende Revolutionsgefahr“39 nicht nur aus heutiger Sicht nachvollziehen, sondern sie war schon damals nicht zu verkennen. Nachdem Kurt Eisner am 14. Oktober aufgrund seiner Kandidatur für die Reichstagsersatzwahl freigelassen worden war,40 setze die USPD ihre Aktionen zur Massenmobilisierung gegen den Krieg und dessen Verantwortlichen mit größerer Intensität fort, wobei die Folgen des Krieges – Lebensmittelknappheit, allgemeine Kriegsmüdigkeit, Autoritätsverlust, Preußenhass – „als verbindendes Element zwischen höchst unterschiedlichen politischen Richtungen“41 dienten. So nahmen auf der Wahlversammlung vom 23. Oktober an die 2.000 Menschen aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen teil, die mit Eisners Hauptforderungen nach sofortigen Waffenstillstandsverhandlungen und einem Regierungswechsel sympathisierten. Auf einer Friedenskundgebung vom 3. November ereignete sich sogar eine spontane Befreiungsaktion von drei inhaftierten Agitatoren des Januarstreiks. Neben dieser zunehmenden Unruhe innerhalb der Bevölkerung nahm die Polizei ebenso eine steigende Disziplinlosigkeit unter den Soldaten wahr. Dennoch traf die Regierung keine besonderen Vorkehrungen zur allgemeinen Beruhigung – selbst nicht als Eisner auf einer weiteren Versammlung eine Revolution offen ankündigte.42 Im Gegenteil, anders als noch beim Januarstreik verfolgten die Mehrheitssozialdemokraten nun nicht mehr einen strikten Konfrontationskurs gegen die USPD.43 Denn zum einen glaubte man im Fall eines Umsturzversuches auf die Unterstützung der bayerischen Armee zählen zu können, zum anderen zweifelte man überhaupt Eisners Erfolgschancen an.44

[...]


1 Schildt 2010, S. 224.

2 Vgl. Kleylein 2008, S. 52 f. Siehe zum Wandel der Deutungsmuster weiterführend Niess 2013.

3 Kurbjuweit 2018, S. 11 (Titelstory der Zeitschrift „Der Spiegel“ zum 100-jährigen Revolutionsjubiläum).

4 Steinmeier 2018, S. 3. Dies forderte Steinmeier bereits im Jahr 2008, vgl. Gallus 2010, S. 21.

5 Vgl. Schildt 2010, S. 224.

6 Vgl. Gallus 2010, S. 15/27 f., Kleylein 2008, S. 53, Kolb 1971, S. 383 und Niess 2013, S. 578 f.

7 Nicht zuletzt, weil die Revolutionsgeschichtsschreibung in besonderer Weise von politisch-gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst wird, vgl. Niess 2013, S. 10. Siehe ebd., S. 9-14 für die Zeit- und Standortgebundenheit der Geschichtsschreibung.

8 Vgl. Grau 2017. Vgl. Hürten 22003, Menges 32006 und Köglmeier 2005.

9 Zu den in der Hausarbeit hauptsächlich verwendeten Quellenbänden zählen Ay 1968, Bauer 1987 und Schmolze 1969.

10 Den erst genannten Aspekt hebt die Schule um Bosl 1969 hervor, während Albrecht 1968 die Kriegsfolgen als entscheidend bewertet. Vgl. außerdem Köglmeier 2005, S. 185, der die Systemkrise der bayerischen Monarchie ganz richtig bereits auf die Entwicklungen der letzten Jahrhunderte zurückführt – beginnend mit den im Rahmen der Märzrevolution beflügelten Freiheitsbewegungen. Genauso Maier 2008, S. 9. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich im Hinblick auf die Fragestellung auf die unmittelbaren Einflussfaktoren zur Zeit des Ersten Weltkrieges.

11 Vgl. Maier 2008, S. 5 f. Für den Begriff des totalen Krieges siehe einführend Wolfrum 2003, S. 99-106.

12 Vgl. Menges 32006, S. 179.

13 Vgl. Hartmann 32012 und Mitchell 1967, S. 18. Hinzu kam der ebenso kriegsbedingte Mangel an landwirtschaftlicher Arbeitskraft, vgl. Treml 32006, S. 122.

14 Vgl. Hartmann 32012, S. 458.

15 Vgl. ebd. S. 457, Maier 2008, S. 6 f., Mitchell 1967, S. 18 f./20 und Treml 32006, S. 123.

16 Die Vorstellung von einer umfangreichen Kriegseuphorie der Deutschen wird in der jüngeren Forschung relativiert, vgl. Maier 2008, S. 6.

17 Köglmeier 2005, S. 177. Vgl. auch Mitchell 1967, S. 20.

18 Vgl. Hartmann 32012, S. 458 f. und März 2014, S. 217 f.

19 Zum bayerischen Militärwesen siehe weiterführend Mitchell 1967, S. 17 und Treml 32006, S. 121 f.

20 Maier 2008, S. 11. Ähnlich Hartmann 32012, S. 458 („Befehlsempfänger der Reichsleitung“). Ludwig III. hoffte auf Gebietserweiterungen (Elsass und Lothringen), wofür er im Gegenzug versprach, preußische Annexionsbemühungen zu unterstützen, vgl. Hartmann 32012, S. 457 und Treml 32006, S. 122.

21 Aufruf Ludwigs III. vom 28.07.1918, in: Schmolze 1969, S. 66.

22 Siehe März 2014 für Ludwigs III. Symbolpolitik vor dem Krieg (S. 209-213), für seine Kriegspropaganda (S. 215-217) und für seine weiteren politischen Fehler (S. 217-220).

23 Ebd., S. 213 (erstes Zitat) und S. 215 (zweites Zitat).

24 Vgl. Mitchell 1967, S. 21 f. Unter dem Begriff des Burgfriedens versteht man die durch den Krieg gegebene „Notwendigkeit, die weltanschaulichen und parteipolitischen Auseinandersetzungen hinter die gemeinsamen staatspolitischen Interessen zurückzustellen“, Albrecht 22003, S. 431.

25 Vgl. Albrecht 22003, S. 433, Köglmeier 2005, S. 175-177 und Treml 32006, S. 125. Für frühere Wahlrechtsreformen in Bayern siehe ebenfalls Treml 32006, S. 106-108.

26 „Begründung des Antrages Auer und Genossen durch den Abgeordneten Dr. Süßheim“ (Dezember 1917), in: Doeberl 1920, S. 114-142, hier S. 114.

27 Süßheims Verwendung von „Volksstaat“ hätte dies durchaus meinen können. Siehe zu den Begrifflichkeiten „Volksstaat“ und „Freistaat“ genauer S. 12.

28 Vgl. für die Begründung des Antrags und die Einwände dagegen ausführlicher Kritzer 1969, S. 30-36 und Mitchell 1967, S. 23-25.

29 Alle elf Punkte des Antrags finden sich bei Doeberl 1920, S. 113 f.

30 „Königlicher Erlaß an das Gesamtministerium über die Parlamentarisierung des bayerischen Staates“ (2.11.1918), in: Doeberl 1920, S. 142.

31 Vgl. Albrecht 22003, S. 433-435, Hartmann 32012, S. 459 f. und Kritzer 1969, S. 36-38.

32 Vgl. Grau 2017, S. 332. Für Eisners Rolle bei der Konzeption des Streiks siehe ebd., S. 332-335. Kurt Eisner, am 14.05.1876 in Berlin als Sohn eines jüdischen Industriellen geboren, studierte Philosophie sowie Germanistik und arbeitet nach Aufgabe seiner Promotion als Journalist bei unterschiedlichen Zeitungsverlagen, zuletzt bei der Münchener Post. Aufgrund seiner kritischen Aussagen gegen die Staatsgewalt wurde er 1897 wegen Majestätsbeleidigung zu einer neun monatigen Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt. Er war ferner schon früh von der deutschen Kriegsschuld überzeugt, weswegen er sich für den schnellstmöglichen Friedensschluss einsetzte. Er schloss sich nach der Zersplitterung der SPD im Jahre 1917 der USPD an, die die staatstreue Politik der MSPD kritisierte und sich durch politische Agitationen radikal für die Kriegsbeendigung einsetzte, vgl. Albrecht 22003, S. 435, Aretin 1994, S. 83-88, Ay 1968, S. 15 und Menges 32006, S.174.

33 Vgl. Hartmann 32012, S. 458. Den Grund für die sehr viel höhere Zahl der Demonstrierenden in Nürnberg kann man in der Mitwirkung des dortigen MSPD-Ortsvereins sehen, vgl. Grau 2017, S. 340. Für deren Widerstand in München hingegen und den Beitrag der Kruppwerke für den Erfolg des Streiks in der Residenzstadt siehe ebd., S. 226-228.

34 Mitchell 1967, S. 26.

35 Vgl. Eisners Aussage zum Januarstreik in seiner Wahlrede (12.12.1918): „[W]enn es uns damals gelungen wäre, die Massen aufzuregen und aufzurütteln zu jener Volksbewegung, wie sie uns schon damals vorschwebte […]“ oder weiter „denn sie [die Revolution, Verf.] war ja schon geplant im Januar“, in: Dorst 31968, S. 23/38. Vgl. auch Bosl 1994, S. 79, Grau 2014, S. 198 und Köglmeier 2005, S. 178 f.

36 Grau 2014, S. 196.

37 Vgl. das Flugblatt der USPD („Kameraden! Der Kampf hat begonnen!“), in: Ay 1968, Anl. 2.

38 Mitchell 1967, S. 26 bezeichnet diese Zeit als eine Art Schwebezustand.

39 Vgl. die Aussage des Kronprinzen Rupprecht (31.10.1918): „Die Gefahr der Revolution wächst immer drohender empor. Sogar in dem sonst so ruhigen Bayern gärt es bedenklich“, in: Schmolze 1969, S. 69.

40 Für Eisners Untersuchungshaft und für die Umstände der Nachwahl siehe Grau 2017, S. 343 f.

41 Treml 32006, S. 123. Vgl. auch Albrecht 22003, S. 438.

42 Vgl. Grau 2017, S. 346 f./249 f./351 f. und Grau 2014, S. 199 f. Vgl. Münchener Post Nr. 259 „Eine Versammlung im Dunkeln“ (06.11.1918), in: Ay 1968, Abb. 2: „Eisner erklärte den Versammelten, daß München in den nächsten Tagen aufstehen werde, um die Regierung zu stürzen und Frieden zu schließen“.

43 Vgl. für den Kurs der MSPD ausführlicher Grau 2017, S. 344-346/350.

44 Vgl. die Aussage des Kriegsministers bei der Kabinettsbesprechung am 5.November: „Die Armee als Ganzes ist noch fest in unserer Hand“. Und Auer: „Reden Sie doch nicht immer von Eisner; Eisner ist erledigt“. Aus Müller-Meiningens Bericht, in: Schmolze 1969, S. 82. Vgl. auch Kritzer 1969, S. 24-29.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Novemberrevolution und politischer Strukturwandel in Bayern (1918/19)
Untertitel
Das Ende der bayerischen Monarchie und Kurt Eisners "Freistaat Bayern"
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Note
1,0
Jahr
2018
Seiten
24
Katalognummer
V978280
ISBN (eBook)
9783346334619
ISBN (Buch)
9783346334626
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bayern, Revolution, Bayerische Monarchie, Kurt Eisner, Freistaat Bayern, Novemberrevolution, Strukturwandel, Franken, München, Erster Weltkrieg, Reformen, Kabinett, MSPD, USPD, Räteregierung, Nationalrat, Republik, Volksstaat, Ludwig III., Verfassung, Anifer Erklaäung
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Novemberrevolution und politischer Strukturwandel in Bayern (1918/19), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/978280

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Novemberrevolution und politischer Strukturwandel in Bayern (1918/19)



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden