Interpretationsansätze zu Joyce Carol Oates` Short Story "Where Are You Going, Where Have You Been?"


Seminar Paper, 1998

20 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Interpretationsansätze zu Joyce Carol Oates'

,,Where Are You Going, Where Have You Been?" von Heiko Dünnebier

Ausgehend von einem Seminar, das sich mit der Erläuterung von Primärtexten über moderne Literaturtheorien dieses Jahrhunderts auseinander setzte, war es mein Ziel, eine dieser Theorien anhand eines selbstgewählten literarischen Beispiels anzuwenden. Ich habe mich entschieden, die Short Story "Where Are You Going, Where Have You Been?" von Joyce Carol Oates auf die Möglichkeit einer psychoanalytischen Interpretation hin zu untersuchen. Ich bin dabei auf verschiedene interessante Betrachtungsaspekte gestoßen, die den Blickwinkel auf die Geschichte durchaus verändern können.

1. Einleitung

Der ,,Psychoanalytic Criticism" als literaturkritische Untersuchungsmethode etablierte sich in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts und ist zunächst das direkte Ergebnis der Arbeiten des österreichischen Arztes und Psychologen Sigmund Freud, dessen wohl einflussreichstes Werk ,,Die Traumdeutung" von 1900 ist. Da literarische Texte ähnlich wie Träume fiktive Konstrukte des menschlichen Geistes darstellen, versprach man sich durch die auf Literatur übertragene Anwendung psychoanalytischer Verfahren eine größere Fundiertheit in wissenschaftlichem Sinne, mit der man der traditionellen Philologie bzw. dem ,,altbackenen geschmäcklerischem" Rezensionswesen begegnen wollte. Nach der verspätet einsätzenden Popularisierung Freudscher Konzepte kamen auch zahlreiche alternative Theorien zur Anwendung, weshalb es sinnvoll ist, literarische Interpretationen nach ihrem Untersuchungsgegenstand zu kategorisieren.

Werkinterpretationen, die noch vor 1950 erschienen, tendierten in ihrer Mehrheit zu einer Analyse der jeweiligen Autoren (weil selbst Freud davon ausging, dass gerade Künstler in ihrem Werk persönliche Triebe, tabuisierte Neigungen etc. zu kompensieren bzw. auszuleben versuchten). Ein perfektes Beispiel einer solchen Autoren-Analyse bietet Marie Bonapartes 1933 erschienene Studie über Edgar Allan Poe. Bonaparte befand Poe dermaßen auf seine Mutter fixiert, dass seine unterdrückten Sehnsüchte in seinen Geschichten auf bildhafte Weise zum Vorschein kamen, wie etwa einem weißen Fleck auf der Brust einer schwarzen Katze, welcher hier mit Muttermilch assoziiert wird.1 Aus der Sicht jener Kritiker ist ein literarisches Werk einer Fantasie, einem Traum oder auch einem Tag-Traum gleichzusetzen, was es der Freudschen Analyse ermöglicht, die Natur des Geistes zu erklären, der es produziert hat.

Ohne die Idee zu verneinen, dass das Unbewusste einen wesentlichen Einfluss auf die individuelle Kreativität hat, gingen einige Kritiker später dazu über, herauszufinden, auf welche Art und Weise es Autoren gelingt, unterdrückte Wünsche und Fantasien des Lesers anzusprechen. Derartige Ansätze halfen, den "reader-response criticism" als eine der neueren Literaturtheorien zu etablieren. Elizabeth Wright beschreibt den "modern psychoanalytic criticism" so:

"What draws us as readers to a text is the secret expression of what we desire to hear, much as we protest we do not. The disguise must be good enough to fool the censor into thinking that the text is respectable, but bad enough to allow the unconscious to glimpse the unrespectable."2

Eine weitere Theorie zum Gegenstand psychoanalytischer Betrachtung kam mit dem französischen Strukturalisten Jacques Lacan auf, der es vorzog, Träume mehr als Sprache denn als Symptome verdrängter Bewusstseinsinhalte zu betrachten. Lacan behandelt das Unbewusste wie eine Sprache, als eine Art Diskurs. Es geht mehr darum, zu erklären, wie ein Text unabhängig vom Geist eines bestimmten Autors, Charakters oder Lesers funktioniert.3

,, Art is built around violence, around death. At its base is fear. The absolute dream, if dreamed, must deal with death, and the only way toward death we understand is violence."4

Diese in "The Edge of Impossibility. Tragic Forms in Literature" (1972) geäußerte Auffassung kann als das kreative Prinzip des gesamten, immerhin recht umfangreichen, Erzählwerks von Joyce Carol Oates gelten. Die programmatische Charakterisierung von Kunst als Konstruktion absoluter Träume und die Bestimmtheit, mit der die Autorin ihren frühen Short Stories das Prädikat ,,psychological realism" zusprach, legen die Möglichkeit einer psychoanalytischen Interpretation ihrer Texte nahe.

Die Erzählung ,,Where Are You Going, Where Have You Been?" erschien erstmals 1966 in der Zeitschrift ,,Epoch" und erhielt beachtliche lobende Rezensionen. Sie wurde später in diverse Short Story Collections aufgenommen (z.B. ,,The Wheel of Love").

Zu einer geplanten Geschichte (mit dem Arbeitstitel ,,The Death And The Maiden") über den Versuch befreundeter Mädchen, ihren potenziellen Mörder vor der Polizei zu beschützen, wurde Joyce Carol Oates nach eigenen Angaben durch einen authentischen Fall inspiriert. Für eine Mordserie an weiblichen Teenagern in Tucson/Arizona wurde ein dreißigjähriger Mann in jugendlichem Outfit verantwortlich gemacht, welcher als mysteriöser ,,Pied Piper of Tucson" durch diverse Boulevard-Magazine geisterte. In der überarbeiteten endgültigen Version der Erzählung hingegen konzentrierte Oates sich speziell auf die psychische Befindlichkeit eines heranwachsenden (15-jährigen) Mädchens, dessen Schicksal durch die vagen Anspielungen ihres männlichen Antagonisten voraussehbar scheint, aber dennoch ambivalent bleibt. Den entscheidenden Anstoß dafür, die reale und nachvollziehbare Todesangst der Protagonistin gleichsam durch Mittel der Verfremdung und eine teilweise überladene Symbolik zu hinterfragen, erhielt Oates nach ihren Worten durch die ähnlich verstörende Wirkung des Songs ,,It´s All Over Now Baby Blue" (1965) von Bob Dylan, dem sie die Story schließlich widmete.

,,Leave your stepping stones behind, something calls for you

Forget the dead you've left, they will not follow you

The vagabond who's rapping at your door

Is standing in the clothes that you once wore

Strike another match, go start anew

And it's all over now, baby blue" 5

2. VERSUCH EINER PSYCHOANALYTISCHEN INTERPRETATION

CONNIES WELT

"Everything about her had two sides to it, one for home and one for anywhere that was not home..." (S.519)

Ein personaler Erzähler führt den Leser durch Connies Welt, der einzigen "inneren" Welt, zu der man in dieser Story Zugang erhält. Das eröffnet die Möglichkeit, Geschehnisse und handelnde Charaktere als Bestandteile eines von ihr geträumten Traums zu begreifen, was andererseits aber eine schwer zu rechtfertigende Einschränkung der Wirkungsästhetik der Geschichte bedeuten könnte. Immerhin soll die fiktive Handlungskonstruktion dem Leser ja den Eindruck einer real durchaus möglichen Lebenssituation vor Augen führen, die auf dem Fundament der Angst vor dem Tod, dem begreifbaren Tod durch Gewalt, steht (um es in Carol Oates eigenen Worten zu beschreiben). Dennoch ist diese "einschränkende" Lesart evident mit Hinblick auf das Agieren des in seiner Symbolik überladenen und damit vollkommen irrealen Antagonisten Arnold Friend. Den Wahrnehmungsrahmen der Figur (die erzählte Geschichte) als Alptraum zu begreifen hat somit Sinn, ohne daß das Konzept real zu erzeugender Angst beim Leser verloren geht. Der Erzählrahmen wird also durch Connies Wahrnehmungen eingegrenzt, obwohl die Ich-Perspektive konsequent ausgeschlossen wird. Das ist nötig, um einen wesentlichen Aspekt der "inneren" Welt des 15jährigen Mädchens zu beleuchten, ihre Unfähigkeit, jene Welt aktiv zu begreifen oder gar zu beeinflussen:

"...and Connie couldn't do a thing, her mind was all filled with trashy daydreams" (S.518 unten) /

"...and on the way Connie couldn't help but let her eyes wander over the windshields and faces all around her...It might have been the music" (S.520) /

"... but she couldn't help glancing back..." (S.520 unten) /

"... and Connie couldn't help but look at the darkened shopping plaza..." (S.521 oben)

Sigmund Freud hatte seinerzeit eine alte Idee weiterentwickelt, die von der "Dreiheit" des menschlichen Geistes ausgeht. Das von ihm als "Es" Bezeichnete sei somit das Reservoir der Libido, die primäre Quelle aller psychischen Energie, die gleichermaßen den irrationalen, unbekannten und unbewussten Teil unserer Persönlichkeit determiniere. Das "Ego" (oder "Ich") war sein Begriff für den rationalen, logischen, geordneten, bewussten Teil, der eine Mittlerfunktion zwischen dem "Es" und dem "Über-Ich", jener gesellschaftlichen, im Erziehungsprozess über Generationen hinweg weitergereichten Kontrollinstanz menschlichen Verhaltens, einnimmt.6

Connies Welt ist ganz bestimmt vom "Über-Ich", den familiären "Gesetzen" ("home") und den ihr unerklärlichen Momenten, in denen das unbewusste "Es" sich Ausdruck verschafft ("anywhere that was not home"). Beidem steht sie passiv, ja geradezu hilflos gegenüber, da ihr vermittelndes, schützendes "Ich" noch keine persönlichkeits- immanente Rolle angenommen hat. Connies Welt ist eine Welt der Unschuld. Das ist der Schlüssel zur Geschichte, der Dreh- und Angelpunkt des Alptraums. "Home" und "anywhere that was not home" grenzen aber auch den lokalen Rahmen der Geschichte und somit den von Connies Wahrnehmung ein. Sie lebt mit ihren Eltern und ihrer Schwester in einem jener typischen Einfamilienhäuser, wie man sie, fast schon klischeehaft, amerikanischen Kleinstädtern der bürgerlichen Mittelschicht seit den 50ger Jahren zuspricht. Der drei Meilen entfernte "Shopping Plaza" in der Stadt steht als Pendant zu "home":

"Sometimes they did go shopping or to a movie, but sometimes they went across the highway, ducking fast across the busy road, to a drive-in restaurant where older kids hung out." (S.519 unten)

Die Idylle des "trauten Heimes", die nur scheinbar durch banale ´Eifersüchteleien´ zwischen Mutter und Connie bzw. Konkurrenzverhalten zwischen Connie und ihrer Schwester getrübt zu sein scheint, entpuppt sich in Connies Wahrnehmung als Symptom wiederkehrender Todessehnsucht:

"He (the father - H.D.) didn't bother talking much to them, but around his bent head Connie's mother kept picking at her until Connie wished her mother was dead and she herself was dead and it was all over." (S.519 oben)

Auch hier ist es das wiederkehrende Motiv des "Geworfenseins" in einen unabänderlichen Zustand passiven Ertragens, der keine Fragen stellt, aber alles Unbekannte, Unergründete, was jenseits der Unschuld, drei Meilen von daheim entfernt, liegt, geradezu göttlich erscheinen lässt:

"They went up through the maze of parked and cruising cars to the bright-lit, fly- infested restaurant, their faces pleased and expectant, as if they were entering a sacred building that loomed out of the night to give them what haven and what blessing they yearned for (...) The music was always in the background like music at a church service, it was something to depend upon." (S.520 oben)

Dort findet das Leben statt, dort ist die Musik, die den Jugendlichen ihre Identität "verleiht" oder zumindest verspricht:

"... and her mind slipped over onto thoughts of the boy she had been with the night before and how nice he had been, how sweet it always was, (...), sweet, gentle, the way it was in movies and promised in songs." (S.522 Mitte)

Genaugenommen ist die Musik, die sich wie ein Schleier über die Geschichte legt, die immer da ist, "record after record of hard, fast, shrieking songs" (S.522 unten) Connies Fluchtpunkt vor dem Eingeständnis der eigenen Unschuld: "she knew she was pretty and that was everything" (S.518 Mitte). Sie weiß, dass das nicht alles ist, dass es nicht einmal annähernd das skizziert, was sich als Angst vor der Wahrheit manchmal, wenn auch nur flüchtig, aus dem Verborgenen, Unterbewussten herausschält.

Die Musik macht ihre Sehnsüchte allgemeingültig, für alle verbindlich. Die Musik erklärt sie zum Sieger, denn "she knew she was pretty" und jeder einzelne Song bestätigt ihr wieder und wieder, "that was everything":

"And Connie paid close attention herself, bathed in a glow of slow-pulsed joy that seemed to rise mysteriously out of the music itself and lay languidly about the airless little room, breathed in and breathed out with each gentle rise and fall of her chest." (S.522 unten)

Der wiederkehrende Eindruck ihrer Selbstverliebtheit steht allerdings auf keinem festen Grund. Alle Streitigkeiten mit der Familie, ihrem nach wie vor dominanten Bezugspunkt, führt sie auf deren Neid zurück, "because she was prettier" (S.521 unten). Erich Fromm schrieb in "Die Furcht vor der Freiheit":

"Während solche Menschen - oberflächlich gesehen - stark in sich verliebt scheinen, können sie sich in Wirklichkeit nicht leiden, und ihr Narzißmus ist - genau wie die Selbstsucht - eine Überkompensation des Mangels an Selbstliebe."7

Connie spielt die Idee ihrer überdurchschnittlichen Attraktivität gewissermaßen gegen sich selbst aus. Ihrem rationalen "Ich" gibt sie keine Möglichkeit, sich zu etablieren; jede Erkenntnis ertrinkt in der Schwarz-Weiß-Malerei romantischer Klischees, "the way it was in movies and promised in songs". Selbst in ihren depressivsten Phasen, in denen sie ihrer Mutter, wie sich selbst, den Tod wünscht, urteilt sie nicht aus begründeter Motivation heraus. Ihr Todeswunsch ist, wie alle anderen Empfindungen, lediglich eine verklärende, passive Erlösungssehnsucht. Der Wunsch, der eigenen Existenz eine gewisse Tragik zu verleihen, ist hier nur spielerisches Vorwegnehmen erwachsener Verhaltensweisen, einer Welt, die jenseits ihrer eigenen, jenseits der Unschuld liegt.

WER IST ARNOLD FRIEND?

"Sich nicht vorwärts zu bewegen, zu bleiben, wo man ist, zu regredieren, kurz, sich auf das zu verlassen, was man hat, ist eine sehr große Versuchung, denn was man hat, kennt man; man fühlt sich darin sicher, man kann sich daran festhalten. Wir haben Angst vor dem Schritt ins Ungewisse, ins Unsichere (...), weshalb der Mensch die Freiheit fürchtet." 8

Das Ende der Unschuld kommt für Connie in Form eines bunt-bemalten Autos und seinen zwei Insassen direkt durch die Auffahrt zum Grundstück ihrer Familie. Die "Bobby King-Radio Show" verwischt die Grenzen zwischen "home" und "anywhere that was not home". Musik ist jetzt kein Fluchtpunkt mehr. Connie ist in ihr gefangen, denn ausdauernd und zwingend statuiert sie nur noch die Realität von Zeit und Raum, ob drinnen oder draußen. Der Eindringling heißt Arnold Friend, und er kommt daher als körperliche Übermacht: Er ist ein Mann, er ist nicht allein, und er versperrt den Weg hinaus. Ihr Heim ist jetzt ein Käfig. Als sie noch an den Tagen zuvor von ihren Verehrern träumte, hieß es:

"But all the boys fell back and dissolved into a single face that was not even a face, but an idea, a feeling, mixed up with the urgent pounding of the music and the humid night air of July." (S.521 Mitte)

Wie eine entstellte Inkarnation dieses Gedanken steht da nun Arnold Friend, ein Zerrbild vom künstlichen romantischen Helden, "the way it was in movies and promised in songs". Wie eine James Dean-Karikatur steht er vor Connie als Verführer und Entführer, mit Versatzstücken einer Jugendsprache jonglierend, die die Maskenhaftigkeit und Gekünsteltheit seiner Erscheinung noch verstärken. Sein Gesicht, die Augen, "as if painted with a black tar-like material" (S.528 oben) und die Tatsache, dass er humpelt, weil ihm seine Schuhe nicht passen, machen ihn zum Abbild des Teufels:

"... and she had the idea that he had driven up the driveway all right but had come from nowhere before that and belonged nowhere and that everything about him and even the music that was so familiar to her was only half real." (S.529 oben)

Dieses Zitat verstärkt nicht nur den diabolischen Aspekt des Antagonisten, sondern hebt auch die symbolüberladene Verfremdung der Szenerie hervor. Connies Ausweglosigkeit, die sich in kleinen Schritten zu einer horrenden, diesmal aber realen, Todesangst steigert, ergreift den Leser in gleicher Weise, weil die Bedrohung als real empfunden wird, denn die Möglichkeit körperlicher Gewaltanwendung, einziges Machtpotential von Arnold Friend, wird nicht nur ausgesprochen, sondern scheint auch die unabwendbare Konsequenz der Befürchtung "I'm not going to see my mother again" (S.534) zu sein. Arnold Friend weiß alles über sie. Arnold Friend weiß, wer sie ist, wer ihre Freunde und wo ihre Eltern sind. Arnold Friend weiß, wohin sie gehen wird und woher sie kommt:

"The place where you came from ain ´ t there anymore, and where you had in mind to go is cancelled out." (S. 534 Mitte)

Arnold Friend ist das Tabu ihrer "inneren" Welt, denn er oktroyiert ihr das Ende der Unschuld, einen Initiationsritus, der aus Angst vor dem Tod erwächst.

Arnold Friend spricht mit der unbedingten Autorität des Erwachsenen zu Connie, die dem nichts entgegensetzen kann. Zugleich verkörpert er die Schattenseite eines männlichen Prinzips, das ihr aus so vielen Songs bereits vertraut sein müsste, sich dort aber lediglich über harmlose sexuelle Anspielungen entäußert und somit aufkeimende Ängste kompensiert und sogar Sehnsüchte erweckt. Wen sollte es schon beängstigen, wenn John Lee Hooker singt:

"I love to see you walk / I'm crazy ´bout your walk

I love to see you walk / You're my baby I got my eyes on you ... Well I see you everyday in my neighbourhood..."9

Arnold Friend ist somit wie ein Hirngespinst, das seiner klischeehaften Verfügbarkeit als ewiger, fiktiver Protagonist unzähliger Liebeslieder entflohen ist und nun in seiner ganzen Künstlichkeit vor Connie steht und zur realen Bedrohung wird. Die Szenerie erinnert an den Kino-Helden in Woody Allens "The Purple Rose of Cairo" (1985), der aus der Leinwand herausspringt, weil er sich in eine Zuschauerin verliebt hat. Connies sexuelle Sehnsüchte, die den Bruch mit den Idealen ihres Elternhauses heraufbeschworen haben, haben sich verselbständigt, sind irreversibel. Sie sind ein Abschied von der Kindheit, das Ende elterlichen Behütetseins.

Der Schritt nach draußen ist die schmerzhafte Erfahrung der Freiheit, die nichts von dem, was war, mehr duldet, sondern allein die Ungewissheit dessen, was noch kommen mag:

"... so much land that Connie had never seen before and did not recognize except to know that she was going to it." (S.535 unten)

Sir James George Frazer kommt in seinem oft zitierten Werk "The Golden Bough" (1890) auf das "Scapegoat"-Motiv zu sprechen. In dem Kapitel "The Riddance of Evil" beschreibt er die Tendenz verschiedener Kulturkreise, tabu-behaftete bzw. gemeinschaftsgefährdende ´böse´ Neigungen, die sich als Naturgewalten oder menschliche Taten darstellen können, stellvertretend einem lebendigen oder leblosen "Sündenbock" zuzuschreiben, der dann durch unterschiedliche, der jeweiligen Tradition entsprechenden Riten vernichtet oder ausgestoßen wird.10

In übertragenem Sinne fungiert Arnold Friend in Connies Wahrnehmung als Projektionsfläche ihrer unterdrückten Wünsche und Ängste. Die Gestaltung des Konflikts und der Person mit dem bezeichnenden Namen "Friend" lassen, wie ich bereits andeutete, auch die Annahme zu, dass hier nicht allein eine Abfolge real durchaus möglicher Ereignisse mit konstanter Angststeigerung beim Leser durchgespielt wird, sondern Traum und Realität eine seltsame Durchmischung erfahren.

Das 15-jährige Mädchen weigert sich, mit ihrer Familie zu einem ´barbecue´ im Haus der Tante zu gehen, bleibt daraufhin nach einer kurzen Auseinandersetzung mit der Mutter daheim, was sie zunächst genießt. Schließlich aber überkommt sie ein tiefes Schuldgefühl, sich dem familiären Über-Ich, wie schon so oft davor, widersetzt zu haben. Ihr noch nicht ausgeprägtes "Selbst" oder "Ich" hat mit Ausnahme der, ihr bereits als Mangel an Selbstliebe attestierten, narzisstischen Neigung kein ausreichendes Erklärungsmuster für diesen (Generations-)Konflikt.

Auf Schuld folgt Strafe; so wirken unterschwellig die anerzogenen Kontrollinstanzen auf ihr Bewusstsein ein. Was folgt, ist die Erstehung von Arnold Friend aus dem Nichts heraus, der "Bobby King-Radio Show" entsprungen und so real, wie jemand in einem "Tagtraum" sein kann. Arnold Friend ist Sündenbock und Richter in einer Person.

Einerseits trägt er die Last aller dunklen Fantasien Connies:

"... we're gonna wait till your people come home and then they're all going to get it" (S.532) / "...and I'll show you what love is like, what it does." (S.534) / "be sweet like you can because what else is there for a girl like you but to be sweet and pretty and give in? - and get away before her people come back?" (S.534f)

Andererseits bestraft er sie mit der Angst, ihr das ansonsten so gleichgültige "home" für immer wegzunehmen:

"... I'm not going to see my mother again. She thought, I'm not going to sleep in my bed again." (S.534 Mitte) / "She thought for the first time in her life that it was nothing that was hers, that belonged to her, but just a pounding, living thing inside this body that wasn't hers either." (S.535 oben)

Das letzte Zitat macht ein weiteres Mal deutlich, wie Connie sich selbst nur als "Ding" begreifen kann, wie ihr fehlendes Ichgefühl sie freispricht von jeglicher Verantwortung dafür, was sie tut bzw. was man ihr tut. Sie ist ein attraktives, unschuldiges "Ding", dessen einzige Funktion darin besteht, attraktiv und unschuldig zu sein.

Arnold Friend ist ihr abgetriebenes, verdrängtes Schuldbewusstsein, der Feind ihrer "Unperson", der sie, den langen Weg der Angst hindurch, zur Person mit freiem Willen machen könnte, würde sie ihn nur wieder in sich aufnehmen und als "Friend" begreifen.

Somit ist Arnold Friend ein ausgestoßener Teil ihrer selbst. Als Konglomerat all der jugendlichen Szenehelden aus Popsongs und Filmen, zu denen sie sich sexuell hingezogen fühlt, verkörpert er die Autorität der "Anarchie". All die "Wahrheiten" jener Songs erfüllen Connie mit Ehrfurcht, weil sie sie nur vom Hörensagen kennt. Sie sind das Unbekannte, Ersehnenswerte und gleichzeitig Gefürchtete aus einer Welt der Erwachsenen, in der alles möglich zu sein scheint, auch das Unausgesprochene, das Böse. Deshalb muss er, Arnold Friend, ihr auch ihre Welt streitig machen, ihre dunklen Wünsche und Ängste aussprechen, denn als ihre erscheinen sie ihr nicht. Sie nimmt sich nur über ihre Außenwelt war, ihre Freunde, ihre Eltern, ihr Spiegelbild. Sie ist die attraktive Unschuld, die sich von einem personifizierten Alptraum ins Ungewisse entführen lässt, wo sie ihre Unschuld verlieren wird.

Will man noch einen Schritt weiter gehen, könnte man fragen, warum Connie den schuldigen, tabu-behafteten Teil ihrer Seele als potentiellen Vergewaltiger kreiert.

Dazu sei noch einmal wiederholt, dass sie ihren seelischen Antagonisten nicht als Teil ihrer selbst akzeptiert bzw. annimmt. Arnold Friend steht damit nicht nur als Verkörperung des Ungewissen (einer Mischung aus Angst vor dem Tod und Sehnsucht nach Freiheit) Connie gegenüber, sondern er ist auch die Inkarnation alles Schlechten, Verabscheuungswürdigen und Bösen, der ihr als Strafe für das Abstreiten der elterlichen Autorität nach dem Leben trachtet.

Connies Traum ist sexuell motiviert. Es geht um den Verlust der Unschuld in zweifacher Hinsicht. Sexualität ist, auch das ein Zeichen der Zeit, mit Schuldgefühlen eng verbunden. Erich Fromm schreibt, dass Sexualität als gesellschaftliches Tabu eine geradezu zwanghafte (Neu)Gier auf Sex nach sich zieht, und weiter:

"Aber das Brechen sexueller Tabus führt nicht an sich zu gr öß erer Freiheit; die Rebellion ertrinkt gewissermaßen in der sexuellen Befriedigung und den darauffolgenden Schuldgefühlen. Nur die Erreichung innerer Unabhängigkeit "öffnet die Tür zur Freiheit und beseitigt den Drang nach fruchtloser Rebellion, die nichtüber den sexuellen Bereich hinausgeht. Dasselbe gilt für alle anderen Versuche, die Freiheit wiederzuerlangen, indem man das Verbotene tut. Tabus erzeugen zwar Sexbesessenheit und Perversionen, aber Sexbesessenheit und Perversionen machen nicht frei."11

Arnold Friend muss ihr nach der Unschuld trachten, weil sie sich danach sehnt, es sich aber gemäß der strengen Tabuisierung niemals eingestehen würde.

In Arnold Friend steckt auch ein großer Teil verdrängter Obsessionen, wie etwa der Wunsch, die Eltern dafür zu bestrafen, dass sie sie im Stich gelassen haben und somit ihre verlorene Unschuld hinnehmen müssten. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass Arnold Friend damit droht, im Falle ihres Ungehorsams ihren Eltern etwas anzutun.

WER IST ELLIE?

Arnold Friends Begleiter Ellie spielt in der Geschichte eigentlich nur eine unter- geordnete Rolle. Interessant ist allerdings schon, warum er als Charakter mit aufgenommen wurde. Ellie hat, formal gesehen, keine Funktion, außer die Szenerie mit der Musik seines Transistorradios zuzudecken. Er ist einfach nur da, und dennoch nicht ohne Grund:

Einerseits verstärkt er, wie am Anfang des letzten Kapitels bereits erwähnt, die Macht Arnold Friends. Das ohnehin ungleiche Kräfteverhältnis zwischen Connie und Friend wird durch Hinzunahme von Ellie mehr als eindeutig.

Des weiteren ist man als Leser geneigt, Arnold Friend Qualitäten, die er aufgrund seiner fast lächerlichen Künstlichkeit gar nicht hat, dennoch zuzusprechen, weil Ellie sie erst recht nicht hat: Autorität, ´Coolness´, Charakter.

Während Arnold Friend in seiner Klischeehaftigkeit wie die belächelnswerte Kinderzeichnung eines Jugendidols wirkt, läuft Ellie als Statist allerdings Gefahr, zeitweise einfach vergessen zu werden.

Ellie ist unauffällig, und er könnte einer der Jungen sein, denen gegenüber Connie unter normalen Umständen Macht hätte, die Macht ihrer Attraktivität. Ellie stellt den Durchschnittsjungen aus der Nachbarschaft dar, dessen Gesicht in Connies Erinnerung zu Grautönen verblassen und schließlich vollkommen verschwinden würde.

Ellie ist wie die Jungen, mit denen sie bereits an Abenden unterwegs war, kleine harmlose Rendezvous hatte. Ellie ist wie sie selbst und ihr bisheriges Leben, ein "Ding" ohne jede Unabhängigkeit, ein Abbild ihrer "Selbstbewusstlosigkeit". In Verbindung mit Arnold Friend allerdings hat auch Ellie Macht, wird er zum "creep".

Joyce Carol Oates muss ein besonderes Interesse daran gehabt haben, Arnold Friend nicht als mysteriösen "Sonderling" und Einzelgänger darzustellen, der plötzlich auftaucht und dem Mädchen Angst macht. Die Szenerie sollte vielmehr vertraut wirken, ein zu jener Zeit populäres Klischee aufgreifen: Arnold und Ellie fahren im bunt-bemalten Wagen auf das Grundstück des wohlbehüteten hübschen Mädchens aus gutem Elternhaus, um es zu einer "Spritztour" einzuladen. "The good girls and the bad boys" könnte das Motto eines der meist-bedienten Standart-Repertoires damaliger Jugendfilme und Popsongs sein. Die Popularität des Rock'n'Roll erklärt sich nicht zuletzt aus dessen enger Assoziation mit Kriminalität (z.B. "Rocker-Gangs") und sexueller Anzüglichkeit.

3. WHERE ARE YOU GOING ?

Mit aller Konsequenz konstatiert die Geschichte die Unhaltbarkeit eines ganzen Weltbildes, das Ende aller Gewissheit

Connies individueller Konflikt ist streng an ihr Alter gebunden und lässt sich verallgemeinernd als "Urkonflikt" jeder neu heranwachsenden Generation beschreiben. Dieser Konflikt erwächst aus der schmerzhaften Einsicht, dass die Sehnsucht nach persönlicher Unabhängigkeit sich nur über die Erkenntnis der bisherigen Abhängigkeit definiert, deren Ursache somit unweigerlich zum "Feindbild" wird. Solange das Elternhaus hinreichend als Projektionsfläche aufgestauten Unmuts herhalten kann, bleibt der angestrebte Abnabelungsprozess eine reine Illusion, so, wie Connie Arnold Friend erfinden musste, um ihre eigene "Ich-lose" innere Welt nicht anzweifeln, als Feind empfinden zu müssen. Jeder Schritt in ein neues Selbstverständnis ist gleichzeitig der unweigerliche Verlust des vorangegangenen Identitätsbewusstseins. So unzureichend und fehlerhaft dieses auch gewesen sein mag, es steht für etwas Bekanntes, für eine Welt, in der man gelernt hat, sich zu bewegen.

Die lokale und zeitliche Eingrenzung des Handlungsrahmens ist ein programmatisches Stilmittel von Joyce Carol Oates zur Erzeugung einer ´Ästhetik des Grauens´.

Dennoch markiert der Verlauf der Geschichte nicht notwendigerweise den pessimistischen Endpunkt einer Gedankenkette, die in der Gewissheit von Connies bevorstehendem Tod mündet. Man könnte gleichwohl argumentieren, dass das Ende der Story ihren Tod geradezu ausschließt. In dem Moment, da Connie das Haus verlässt und sich mit Arnold Friend "vereint", bekommt ihr Sein eine neue Qualität, stirbt ihre hartnäckig verteidigte "Dinghaftigkeit" und gebiert die leise Ahnung dessen, wer sie wirklich ist oder sein könnte. Wohin sie dieser Weg führt, weiß sie nicht, wohl aber, dass der Weg zurück für alle Zeit versperrt bleibt.

4. WHERE HAVE YOU BEEN ?

Joyce Carol Oates hat diese Short Story Bob Dylan gewidmet, jenem mysteriösen Kauz, der 1961, gerade mal 20 Jahre alt, mit Rucksack und Gitarre in New York auftauchte und merkwürdige Geschichten über seine Herkunft verbreitete.

"When I was a kid, Bob's voice somehow thrilled and scared me, it made me feel kind of irresponsibly innocent - it still does - when it reached down and touched what little worldliness a fifteen-year-old high-school kid in New Jersey had in him at the time."12, sagte Bruce Springsteen 1988 in einer Laudatio auf Bob Dylan. Joyce Carol Oates muss ähnlich ergriffen gewesen sein von den ungewohnten poetischen Klängen jenes eigenwilligen "Wunderkindes" der Popkultur, was ihre ihm geltende Widmung sicherlich belegt.

Ohne die mit den Worten "For Bob Dylan" verbundene Intertextualität künstlich überinterpretieren zu wollen, geben mir zahlreiche Anspielungen im Text Grund zu der Annahme, dass die Geschichte allein durch jene Widmung eine weitere Perspektive der Betrachtung erhält, durch die noch andere, sicher nicht zufällige, Inhalte transportiert werden.

Wie bereits erwähnt, ist Connies "Traumwelt" durch Versatzstücke der, für sie absolut verbindlichen, Popkultur charakterisiert. Spielfilme und Songs, Schauspieler und Popstars prägen ihr Selbstverständnis. Was sie noch nicht persönlich kennt, schmückt sie in ihrer Fantasie mit verklärten Zitaten eben jener Popkultur aus, was ihrer Sehnsucht, ihren "trashy daydreams", Nahrung gibt.

Die ausklingenden 50ger Jahre stellten den Höhepunkt und gleichzeitig das absehbare Ende der Rock'n'roll - Ära dar. Was dieser Musikrichtung durch den Boykott der Medien anfänglich an Progressivität zugesprochen werden konnte, verlor sie im Moment ihrer Kommerzialisierung. Auch orientierte sich die Rock'n'roll - Kultur jener Jahre keineswegs an alternativen Lebensformen oder Weltsichten, die der Eltern-Generation widersprachen. Die Provokation basierte allein auf der körperlichen, sexuell anstößigen Unzweideutigkeit, mit der man nach dieser Musik tanzte, ihre Inhalte entsprachen tradierten Konventionen, waren kaum mehr als rhythmus-unterstützende Accessoires:

"Well, it's Saturday night and I just got paid,

A fool about my money, don't try to save -

Gonna rock it up, gonna rip it up,

Gonna shake it up, gonna ball it up,

Gonna lock it up and ball tonight..."13

Als Elvis sich 1960, nach absolviertem Wehrdienst in Deutschland, mit dem Film "G.I. Blues" zurückmeldete, war der Spuk vorbei, die Welt wieder in ihren Bahnen: Die Revolution der aufbegehrenden Jugend war keine Revolution gewesen, der Rebell war wieder im trauten Heim, und eigentlich war er gar nicht so skandalös, sondern richtig sympathisch. Doch die politische Situation der frühen 60er Jahre ließ eine derartige generationsverbindende Rührseligkeit nicht zu.

Die im Kapitel 2 dieses Aufsatzes genannten politischen und kulturellen Eckpfeiler der ersten Hälfte des neuen Jahrzehnts markieren bereits den Weg, den jene Generation, die den Krieg nicht erlebt hat (die sog. "Baby-Boomers") einmal einschlagen würde: der Beginn der "counter-culture" der Hippies.

Als in jener Phase der Emanzipationsbestrebungen einer ganzen Generation Bob Dylan die Bühne betrat, war das für viele junge Amerikaner die Initialzündung zur Erkenntnis ihrer eigenen Bedeutsamkeit:

"Ich brauche den Leuten keinen ´ bullshit ´ vorzusetzen wie die Typen da oben am Broadway, die ständig Sachen schreiben wie >I'm hot for you and you ´ re hot for me - oppa-docka-dicka- dih <."14

Festgefahrene Strukturen waren in der Auflösung begriffen, eine ganze Generation machte sich daran, das Erbe ihrer Vorgänger, ganz nach Dylans Songbotschaft "The Times They Are A-Changing"15 kritisch zu hinterfragen. Eine Gesellschaft, die sich selbst an den Abgrund eines neuen Krieges manövriert hatte, ließ jedes Eingeständnis jugendlicher Unschuld, Unwissenheit, Verantwortungslosigkeit zu einem unwiderruflichen Schuldbekenntnis am bevorstehenden ´Weltuntergang´ werden.

Bob Dylan hat in seinem Song "A Hard Rain ´ s A-Gonna Fall" jene Katharsis auf den Punkt gebracht. Die fünf Langstrophen, die sich durch eine fast stetige Steigerung der Verszahl und einen gleichbleibenden zweizeiligen Kehrreim auszeichnen, präsentieren jeweils die Frage einer Mutter an ihren Sohn und dessen unterschiedlich ausführliche Antwort. Die auf die Fragen ("Where have you been", "What did you see", "What did you hear", "Who did you meet") folgenden Antworten legen in mythischen Bildern und Anspielungen den Blick auf eine entmenschlichte, der Katastrophe entgegensteuernde Welt frei.

"Hard Rain", sagte Dylan, "is a desperate kind of song. It was written during the Cuban missile crisis of October, 1962 when those who allowed themselves to think of the possible results of the Kennedy-Khrushchev confrontation were chilled by the imminence of oblivion. Every line in it is actually the start of a whole song. But when I wrote it, I thought I wouldn't have enough time alive to write all those songs. So I put all I could into this one."16

A HARD RAIN´S A- GONNA FALL

Oh, where have you been, my blue-eyed son?

Oh, where have you been, my darling young one?

I've stumbled on the side of twelve misty mountains,

I've walked and I've crawled on six crooked highways,

I've stepped in the middle of seven sad forests,

I've been out in front of a dozen dead oceans

I've been ten thousand miles in the mouth of a graveyard,

And it's a hard, and it's a hard, it's a hard, and it's a hard,

And it's a hard rain's a gonna fall.

Oh, what did you see, my blue-eyed son?

Oh, what did you see, my darling young one?

I saw a newborn baby with wild wolves all around it,

I saw a highway of diamonds with nobody on it,

I saw a black branch with blood that kept drippin',

I saw a room full of men with their hammers a-bleedin',

I saw a white ladder all covered with water,

I saw ten thousand talkers whose tongues were all broken,

I saw guns and sharp swords in the hands of young children,

... And it's a hard rain's a gonna fall.

And what did you hear, my blue-eyed son?

And what did you hear, my darling young one?

I heard the sound of a thunder, it roared out a warnin',

Heard the roar of a wave that could drown the whole world,

Heard one hundred drummers whose hands were a-blazin',

Heard ten thousand whisperin' and nobody listenin',

Heard one person starve, I heard many people laughin',

Heard the song of a poet who died in the gutter,

Heard the sound of a clown who cried in the alley,

... And it's a hard rain's a gonna fall.

Oh, who did you meet, my blue-eyed son?

Who did you meet, my darling young one?

I met a young child beside a dead pony,

I met a young man who walked a black dog,

I met a young woman whose body was burning,

I met a young girl, she gave me a rainbow,

I met one man who was wounded in love,

I met another man who was wounded with hatred

... And it's a hard rain's a gonna fall.

Oh, what'll you do now, my blue-eyed son?

Oh, what'll you do now, my darling young one?

I'm a-goin' back out ´fore the rain starts a-fallin',

I'll walk to the depths of the deepest black forest,

Where the people are many and their hands are all empty,

Where the pellets of poison are flooding their waters,

Where the home in the valley meets the damp dirty prison,

Where the executioner's face is always well hidden,

Where hunger is ugly, where souls are forgotten,

Where black is the color, where none is the number,

And I'll tell it and think it and speak it and breathe it,

And reflect it from the mountain so all souls can see it,

Then I'll stand on the ocean until I start sinkin',

But I'll know my song well before I start singin',

... And it's a hard rain's a gonna fall.

Bob Dylan (1962)17

Was macht nun Joyce Carol Oates in "Where Are You Going, Where Have You Been?"? Zunächst ist ein Teil der zentralen Liedzeile "Where have you been, my blue eyed son ?" im Titel der Story präsent, was den Bezug zum zitierten Song nahe legt. Des weiteren spielen beide Texte auf das Motiv der verlorenen Unschuld an, den Verlust der "Blauäugigkeit". Die Protagonisten haben nicht die Möglichkeit, ihrer "Läuterung" entgegenzuwirken; sie drängt sich durch äußere Umstände auf und legt deren Weltsicht und Handlungskonsequenzen für die Zukunft fest, ohne dass die Regeln des Elternhauses dem noch entgegenwirken könnten.

"My sweet little blue-eyed girl" (S.535 unten) sind die Worte, mit denen Arnold Friend Connie ´begrüßt´, als sie ins Sonnenlicht hinaustritt und ihre Unschuld zurücklässt. Joyce Carol Oates lässt den Schritt des Mädchens in ihr neu gewonnenes Selbstverständnis wie den Sprung in einen übelriechenden, todbringenden Abgrund erscheinen (wie bei Dylan), und doch lässt sie keinen Zweifel über dessen unbedingte Notwendigkeit und den gewonnenen Respekt vor dem Leben aufkommen, der sich aus begründeter Todesangst speist. "... the vast sunlit reaches of the land behind him and on all sides of him" (S.535 unten) nehmen den lohnenswerten Weg vorweg, den Connie sich durch den vorangegangenen "reinigenden Tod ihrer Unperson" erkaufte.

[...]


1 "Psychoanalytic Criticism" - Joanne Feit Diehl in: "Case Studies in Contemporary Criticism" - hrsgg. Von Ross C. Murphin (Bedford Books of St. Martin´s Press / Boston, 1991 / S.228)

2 Elizabeth Wright - zitiert ebd., S.230

3 vgl. ebd., S.230

4 "Amerikanische Literaturgeschichte" - hrsgg. Von Hubert Zapf (Verlag J.B. Metzler / Stuttgart, Weimar 1997 /S.329)

5 "It´s All Over Now, Baby Blue" - Bob Dylan (Columbia Records / 1965) zitiert aus: "Bob Dylan - Lyrics 1962-1985" (Paladin Books / London, 1988 / S.279)

6 vgl. "Psychoanalytic Criticism"..., a.a.O. / S.225

7 "Die Furcht vor der Freiheit" - Erich Fromm (DTV GmbH & Co. KG / München, 1991/ S.89)

8 "Haben oder Sein - Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft" - Erich Fromm (DTV GmbH & Co. KG / München, 1979 / S.107)

9 aus "I Like To See You Walk" - John Lee Hooker (Chess Records / 1959)

10 vgl. "The New Golden Bough" - Sir James George Frazer (hrsgg. von Theodor H. Gaster (Criterion Books, Inc. / 1959 / S.529-545)

11 "Haben oder Sein...", a.a.O. /S.82

12 aus: "Speech delivered at the annual Rock-and-Roll- Hall of Fame induction dinner held in New York City, 20 January 1988" - Bruce Springsteen [ In: "The Dylan Companion" - hrsgg. Von Elizabeth Thomson & David Gutman (Dell Publishing / New York / 1990 / S.287)]

13 Aus: "Rip It Up" - Little Richard (Speciality Records / 1956)

14 "Bob Dylan - Die Biographie" - Anthony Scaduto (Zweitausendeins / Frankfurt am Main, 1976 / S.193)

15 "The Times They Are A Changing" - Bob Dylan (Columbia Records, 1974)

16 Notiz auf dem Plattencover der LP "The Freewheeling Bob Dylan" - Bob Dylan (Columbia Records, 1963)

17 "A Hard Rain´s A-Gonna Fall" - Bob Dylan (Columbia Records / 1963) zitiert aus: "Bob Dylan - Lyrics 1962-1985" (Paladin Books / London, 1988 / S.86)

Excerpt out of 20 pages

Details

Title
Interpretationsansätze zu Joyce Carol Oates` Short Story "Where Are You Going, Where Have You Been?"
Grade
1,0
Author
Year
1998
Pages
20
Catalog Number
V97828
ISBN (eBook)
9783638962797
File size
479 KB
Language
German
Keywords
Interpretationsansätze, Joyce, Carol, Oates`, Short, Story, Where, Going, Where, Have, Been
Quote paper
Heiko Dünnebier (Author), 1998, Interpretationsansätze zu Joyce Carol Oates` Short Story "Where Are You Going, Where Have You Been?", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97828

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Title: Interpretationsansätze zu Joyce Carol Oates` Short Story "Where Are You Going, Where Have You Been?"



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