Voyeurismus im Theater. Analyse des Video-Screens in Peter Lichts "Tartufe oder das Schwein der Weisen"


Hausarbeit, 2019

12 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Voyeurismus im Theater - Definition

3. Die Szenografie bei Tartuffe und Voyeurismus
3.1.1 Szene 1: „Orgi sucht Marianne”
3.1.2 Szene 2: „Tüffi und Elmi kontextualisieren”

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Zuge der Technologisierung können sich Theater mit moderner Technik ausstatten, die es der Inszenierung unter anderem erlaubt, parallele Handlungen auf mehreren visuellen Ebenen zu zeigen. Während bereits in Film und Fernsehen „ das Auge des Zuschauers [...] identisch 1 mit dem Auge der Kamera [ist]” , macht sich nun auch das Theater diese Funktion zunutze: 2 Die Szenografie wird durch technische Hilfsmittel erweitert und geben auch dem Zuschauer die Möglichkeit, das Geschehen über verschiedene Medien zu verfolgen. Neben dem Spiel mit den Blickwinkeln ist es möglich, den Zuschauer in Geschehnisse einzubinden, die sonst unzugänglich wären. Exemplarisch ist PeterLichts Neuinterpretation von Tartuffe oder das Schwein der Weisen.

Zentral ist der Einsatz des Video-Screens in Kombination mit einer Filmkamera, welche die Geschehnisse hinter der Bühne, auf die der Zuschauer sonst keinen Einblick hätte, in schwarzweiß wiedergibt. Die Kamera agiert im Zusammenspiel mit dem Screen als Auge des Zuschauers, welche moralische Grenzen überwinden kann und soziale Hemmungen herunterbricht. Diese Überwindung der moralischen Grenzen kann mit voyeuristischen Tendenzen in Zusammenhang gebracht werden und bieten die Gelegenheit für folgende Analysepunkte: Wann kann man hierbei von Voyeurismus sprechen? Wie wird der Voyeurismus in PeterLichts Tartuffe erzeugt, wenn überhaupt? Und welche Rolle spielt der Video-Screen dabei? Die folgende Arbeit wird diesen Fragen nachgehen und den Zuschauer in Interaktion mit dem Screen als möglichen Voyeur untersuchen, definitorische Grenzen setzen und die technischen Gegebenheiten des Stücks im Hinblick auf Voyeurismus durch den Video-Screen beleuchten.

Anschluss findet die Analyse an unterschiedlichen Abhandlungen über den Voyeurismus im Theater, aber auch im Film, wo Voyeurismus als „ Grundsituation3 vorherrscht. Im Zusammenhang mit Rainer Winter, der die Kamera als „ Augen eines Subjekts” beschreibt, 4 zeigt sich der Voyeurismus als Voraussetzung für Film und Theater, welche dem Zuschauer Situationen zeigen, die im Alltag nicht einsehbar wären.

Dabei finden sich auch Arbeiten, die den Zuschauer in den Fokus stellen: Der Kulturwissenschaftler und Filmemacher Marcel Barion beschreibt in seinem Aufsatz nicht nur Situationen, die den Zuschauer zu einem Voyeur machen, sondern auch, dass diese durch bewusste exhibitionistische Provokationen entstehen. Auch bei Tartuffe findet sich diese 5 Situation häufig wieder, indem die Figuren ihre Nacktheit zur Schau stellen und den Zuschauer so zu einem Voyeur machen. Sehen und das Gesehenwerden von (vor allem nackten) Körpern definieren den Voyeur als solchen und steht so auch bei Adam Czirak. im Fokus. Peter Springer hat sich dabei mit der Entwicklung des Voyeurismus in der Kunst 6 beschäftigt und die zunehmende Akzeptanz von Zurschaustellung nackter Körper und der Praxis des Voyeurismus beschäftigt. Auch hier steht das Auge als Wahrnehmungsorgan des 7 Voyeurs im Fokus.8

2. Voyeurismus im Theater - Definition

Voyeurismus findet dann statt, wenn das Private, das eigentlich dieses bleiben sollte, von jemandem, dem Voyeur, beobachtet wird. Es beschreibt also die Abwesenheit von Privatsphäre durch einen passiven Beobachter, der versucht, das „ Verborgene zu erblicken”.9 Vor allem körperliche, sexuelle Handlungen und Schaulust stehen für den Voyeur dabei im Fokus. Diese finden außerhalb der Öffentlichkeit im Privaten statt und sind nicht für die 10 Augen anderer gedacht, wodurch sie einen verbotenen Charakter bekommen. Dies führt zu 11 sexueller Befriedigung des Voyeurs. Im normalen sexuellen Bereich findet Voyeurismus auch durch anzügliche Kleidung statt, indem der Voyeur durch Blicke in den zu tiefen Ausschnitt seiner Befriedigung nachkommt. Es ist das „ Sehbegehren” , durch das es 12 13 definiert wird.

Der Voyeurismus in Film und Theater hat einen unterhaltenden Charakter; der Einblick in verbotene oder ansonsten nicht sichtbare Handlungen bilden die „ Grundsituation” für 14 Unterhaltungsmedien. Im Gegensatz zum Voyeur im Alltag liegt zudem das Einverständnis des Beobachteten zum Gesehenwerden vor. Die Situation, die sich daraus ergibt, bildet 15 einen voyeuristischen Austausch zwischen dem Zuschauer und den Darstellern.16

Der Video-Screen bei Tartuffe bietet dem Zuschauer genau diese Einblicke. Die Kamera als Auge des Zuschauers filmt das Geschehen ohne Wegzuschauen und erzeugt so im Rahmen bestimmter Umstände Voyeurismus. Dieser ist für den Zuschauer dabei immer etwas Lustgeleitetes - es besteht kein Zwang, hinzusehen, und dennoch wird ihm die Möglichkeit geboten (manchmal jedoch provoziert) durch Handlungen, die dann nur im Rahmen des Screens ersichtlich werden. Ein Beispiel dafür ist die Szene, in der Elmire und Tartuffe 17 kontextualisieren, also sich auf sexueller Ebene näher kommen. In den folgenden Kapiteln werden diese szenografischen Umstände im Hinblick auf Voyeurismus hin untersucht.

3. Die Szenografie bei Tartufe und Voyeurismus

Die Bühne im Gesamtblick ist eine Drehbühne mit Vorder- und Rückseite. Die Vorderbühne besteht aus einer Fassade mit Balkonen, die einem Wohnhaus ähneln und bietet insgesamt viel Platz für Bewegung. Die Rückseite der Drehbühne, die vor allem in der Kontextualisierungsszene zwischen Tartuffe und Elmire zum Einsatz kommt und nach vorne gedreht wird, besteht aus den Privaträumen der Darsteller. Diese ähneln den Garderoben der 18 Schauspieler auf Filmsets, wie sie häufig in Filmen zu sehen sind. Die Räume sind über

Treppen in verschiedene Stockwerke zu erreichen und ähneln einem Fluchtweg hinter dem Haus. Hier wird das Geschehen hinter den Kulissen in die Inszenierung eingebracht, die zudem über den Screen rechts an der Bühne beobachtet werden können. Auch die Szenografie bietet Möglichkeiten für die Erzeugung von Voyeurismus. Die Privaträume der Darsteller sind nicht in sich abgeschlossen. Durch die offene Bauweise haben die Darsteller keine Abgrenzung zu den Räumen der anderen und auch die Zugänglichkeit durch die Treppe öffnet die Räume für die Aktion aller Darsteller. Sie sind von vornherein öffentlich konzipiert, die Darsteller versuchen sich dennoch ihren privaten Raum zu schaffen, während die anderen auf der Vorderbühne agieren - eine Beobachtung, wie man sie bei Marianne beim Telefonieren machen kann. Ein weiteres Beispiel sind die 19 Türen. Durch ihre einfache Bauweise in Form von Schwingtüren sind sie nicht verschließbar und jeder hat Zutritt zu den Garderoben. Sie nehmen den Darstellern so die Möglichkeit zu Interaktionen, die von der Öffentlichkeit ausgeschlossen werden sollen. Dies wird unterstrichen durch eine Szene, in der die Darsteller aktiv zum Voyeur werden und durch den Türspalt und den Screen zugleich das Geschehen auf der Hinterbühne aktiv beobachten.20 Durch die mögiche Komplettsicht über die Drehbühne und die Einsehbarkeit der Zuschauer und Figuren auf die Hinterbühne bieten sich viele Analysepunkte im Rahmen des Voyeurismus. Im Folgenden wird dies auf den Einsatz des Video-Screens und der Kamera beschränkt; Anstoß dazu gab Rainer Winter mit seiner Metapher über die Filmkamera, die das Auge des Zuschauers ersetzt, welche sich als besonders interessant im Hinblick auf die Thematik herauskristallisiert hat.21

[...]


1 Vgl. Adam Czirak, Partizipation der Blicke. Szenerien des Sehens und Gesehenwerdens in Theater und Performance (Bielefeld: transcript Verlag, 2012), 75.

2 Franziska Lamott, „Voyeurismus im Zeitalter der Schaulust. Sex, Lügen und Video - Voyeurismus (ICD-10: F65.3),” in Frankenstein und Belle de Jour. 30 Filmcharaktere und ihre psychischen Störungen, hg. von Stephan Doering, Heidi Möller (Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2008), 352.

3 Ludger Kaczmarek, „Voyeur / Voyeurismus,” Lexikon der Filmbegriffe, Onlinezugriff zuletzt am 30.08.2019, https://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=5957.

4 Rainer Winter, „Film,” in Mediensoziologie. Handbuch für Wissenschaft und Studium, hg. von Dagmar Hoffmann, Rainer Winter (Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, 2018), 186.

5 Vgl. Marcel Barion, „Der 'ertappte' Zuschauer – Zum Voyeur in der bildenden Kunst,” in Der Zuschauer. Analysen einer Konstruktion im theaterpädagogischen Kontext, hg. von André Barz, Gabriela Paule (Berlin: LIT Verlag Dr. W. Hopf, 2013), 64.

6 Vgl. Czirak, Partizipation der Blicke, 107.

7 Stefan Borchardt, „Peter Springer:Voyeurismus in der Kunst,” Journal für Kunstgeschichte 3 (2009), 220.

8 Ebd., 220.

9 Oliver Dimbath; Matthias Klaes, „Filmgestützte Interaktionsanalyse als quasi-naturalistische Forschung,” in Die Herausforderungen des Films. Soziologische Antworten, hg. von Alexander Geimer, Carsten Heinze, Rainer Winter (Wiesbaden: Springer Fachmedien GmbH, 2018), 66.

10 Vgl. Gerd Wenninger et al., „Voyeurismus,” Spektrum - Lexikon der Psychologie, Onlinezugriff zuletzt am 30.08.2019, https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/voyeurismus/16538.

11 Vgl. Kaczmarek, „Voyeur / Voyeurismus.”

12 Vgl. Wenninger et al., „Voyeurismus.”

13 Kati Röttger, „Zur Komik des Eros. No body is perfect. Endstation. Amerika.” Maske und Kothurn 4 (2005), 247.

14 Kaczmarek, „Voyeur / Voyeurismus.”

15 Ebd.

16 Samantha Mitschke, „Theatre as Voyeurism: the Pleasures of Watching.” New Theatre Quarterly 32 (2016), 99.

17 Vgl. Czirak, Partizipation der Blicke, S.224.

18 Vgl. Claudia Bauer, Reg., Tartuf e oder Das Schwein der Weisen (Basel: Theater Basel, Prem. 14.09.2018, 3Sat, Ausstrahlung am: 04.05.2019), 01:37:00-01:38:22.

19 Vgl. Bauer, Tartuf e, 01:03:00-01:06:00.

20 Ebd., 01:36:00.

21 Vgl. Rainer Winter, „Film”, 186

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Voyeurismus im Theater. Analyse des Video-Screens in Peter Lichts "Tartufe oder das Schwein der Weisen"
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Theaterwissenschaft)
Veranstaltung
Die Crème de la Crème: Inszenierungsanalyse im Zeichen des 56. Berliner Theatertreffens 2019 (Theater analysieren)
Note
1,2
Autor
Jahr
2019
Seiten
12
Katalognummer
V979551
ISBN (eBook)
9783346330192
ISBN (Buch)
9783346330208
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theaterwissenschaft, Theater, Voyeurismus, PeterLicht, Tartuffe, Moliere, Inszenierungsanalyse, Inszenierung, Berliner Theatertreffen
Arbeit zitieren
Sanja Belic (Autor:in), 2019, Voyeurismus im Theater. Analyse des Video-Screens in Peter Lichts "Tartufe oder das Schwein der Weisen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/979551

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