Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG
2 DARSTELLUNG DER PRESSELANDSCHAFT, NÄHER DER TAGESPRESSE IN DER WEIMARER REPUBLIK
2.1 Allgemeine Entwicklungstendenzen der Tagespresse zu Beginn des 20. Jahrhunderts UND DEREN AUSFORMUNG IN DER WEIMARER REPUBLIK
2.2 Die Entwicklung des Generalanzeigers zum dominanten Zeitungsmedium
2.3 Das Boulevardblatt als jüngste Form der Massenzeitung
2.4 Krise der parteipolitischen Presse
3 „UNPOLITISCHE" PRESSE VS. „POLITISCHE" PRESSE?
3.1 Verschiebungen der Machtstrukturen auf dem Zeitungsmarkt
3.2 Zunehmende politische Instrumentalisierung der Tagespresse
3.3 Suche nach neuen Vermittlungsformen: Tendenzen der Kommerzialisierung der
4 FAZIT
5 LITERATURVERZEICHNIS
1 Einleitung
Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war nicht nur eine Zeit ökonomischer wie auch gesellschaftlicher Veränderungen in Deutschland, auch das Zeitungswesen erfuhr während der sich anschließenden Weimarer Republik einen tiefgreifenden Wandel. So wie sich die Gesellschaft, besonders in der wachsenden Metropole Berlin, zu einer starken Konsumorientierung hin entwickelte, durchlief auch die Tagespresse eine Kommerzialisierung. In dieser Zeit wurde die Zeitung zum Massenmedium und diente nicht mehr der reinen politischen Information eines begrenzten Leserpublikums, sondern der Unterhaltung eines breiten Publikums.
Zwei Tendenzen werden bei der näheren Betrachtung der Tagespresse in der Weimarer Republik deutlich. Zum einen ein steigendes Bedürfnis nach der stets aktuellsten Information sowie nach Ablenkung und Unterhaltung. Dies äußerte sich in der Entstehung neuer Arten von Tageszeitungen, bereits zu Beginn des Jahrhunderts und deren zunehmende Popularität während der folgenden Jahrzehnte. Der Generalanzeiger und das Boulevardblatt setzten sich als dominante Vertreter der täglich erscheinenden Printmedien durch, während es zu einem Rückgang der Auflagen von parteipolitischer Presse kam. Zum anderen zeigt sich jedoch eine steigende Politisierung der auf den ersten Blick damit als unpolitisch erscheinenden Tagespresse.
Die vorgestellten Charakteristika der Presselandschaft zur Zeit der Weimarer Republik leiten auch zu deren Problemstellung. Die zeitgenössische Tagespresse befand sich in einem Spannungsverhältnis zwischen Politik und Unterhaltung. Dieses Verhältnis soll in der hier eingeleiteten Arbeit näher beleuchtet werden.
Während die bereits vorliegende Forschung dieses Themenbereichs meist eine einseitige Konzentration, entweder auf die politische Wirkung der Presse oder auf deren unpolitisches Moment, aufweist, soll in dieser Seminararbeit der Frage nachgegangen werden, inwieweit eine solche klare Trennung von Politik und Unterhaltung in der damaligen Tagespresse zu finden ist.
Kann von unpolitischen Massenblättern auf der einen Seite und ideologisch determinierten Zeitungen auf der anderen gesprochen werden, wie beispielsweise Michael Schaffrath die Entwicklung der Weimarer Presse zusammenfasst? Während ein Teil der Forschung sich auf die Annahme stützt, die politische Wirkkraft der Presse habe einen erheblichen Beitrag zum Scheitern der Republik beigetragen (vgl. Burkhard Asmuss und Vera Viehöver), lassen sich auch widersprechende Ansätze finden. So konstatiert beispielsweise Bernhard Fulda eine zeitgenössische wie auch geschichtswissenschaftliche Überschätzung des direkten politischen Einflusses der Tagespresse in der Weimarer Republik.
Die vorliegende Arbeit bemüht sich dabei die Wechselbeziehungen zwischen Unterhaltung und Politik als zweier nur scheinbar trennbarer Themenschwerpunkte in der Tagespresse zu verdeutlichen.
Obwohl sich die genannten Veränderungen im Bereich der Printmedien keinesfalls auf die Tageszeitungen beschränkten, sollen hier andere Publikationsformen, wie die Illustrierte oder das Heft, unerwähnt bleiben. Denn ihre Einbeziehung würde den Rahmen dieser Arbeit zu sehr ausweiten.
Zudem erschient eine Eingrenzung auf den Raum Berlin als sinnvoll, bezieht man den Umstand mit ein, dass Berlin nicht nur das Zentrum der drei größten Verlage (Mosse, Ullstein, Scherl, bzw. Hugenberg) war, sondern auch der Ort des höchsten täglichen Zeitungsaufkommens weltweit.
Eine Vorstellung der „Hauptstadt-Presse“ kann zudem als repräsentativ angesehen werden. Gehörte die regelmäßig erscheinende „Provinz-Presse“ doch oft ebenfalls einem der genannten städtischen Verlagshäuser an.
Nachdem eine thematische Eingrenzung erfolgte, soll nun ein kurzer Überblick über die inhaltliche Herangehensweise in dieser Arbeit gegeben werden. Hierbei sollen zunächst die Entwicklungstendenzen der Tagespresse zur Zeit der Weimarer Republik herausgestellt werden. Anschließend folgt eine nähere Betrachtung der beiden dominantesten Zeitungstypen, des Generalanzeigers und des Boulevardblattes. Dem gegenüber wird anschließend die Entwicklung der parteipolitischen Presse untersucht.
Es folgt eine Nachzeichnung der Marktentwicklung der Presse, näher eine Verdeutlichung der Bemächtigung der Presse durch private Unternehmer. Dabei soll vor allem die Instrumentalisierung der Tagespresse durch private Investoren, wie zum Beispiel Alfred Hugenberg oder Willi Münzenberg, herausgestellt werden.
Nach der Erläuterung einer Instrumentalisierungstendenz der Tagespresse für privatpolitische Interessen, wird dann der Versuch der parteisubventionierten Presse gestellt, sich dem wachsenden Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Unterhaltung, mehr als nach politischer Ideologisierung anzupassen.
2 Darstellung der Presselandschaft, näher der Tagespresse in der Weimarer Republik
2.1 Allgemeine Entwicklungstendenzen der Tagespresse zu Beginn des 20. Jahrhunderts und deren Ausformung in der Weimarer Republik
Während die Zeitung im ausgehenden 19. Jahrhundert noch als elitäres politisches Unternehmen mit einer begrenzten Leserschaft charakterisiert werden kann1, veränderten technische Neuerungen und gesellschaftlicher Wandel die Presse in den darauf folgenden Jahrzehnten nachhaltig, formal wie auch inhaltlich. Zudem erlebte der Zeitungsmarkt um die Jahrhundertwende einen großen Aufschwung und übertraf in seiner Produktivität bald auch die traditionellen Wirtschaftszweige der Schwerindustrie.2 Die Zeit der Weimarer Republik kann hierbei als Übergang zum Zeitalter der Massenpublizistik gesehen wer- den.3
Neue Techniken, wie der Tiefdruck oder der Satz der Zeitungstexte über Linotype4 ermöglichte eine schnellere und größere Produktion von Zeitungsausgaben. Zudem machte die Senkung der Preise die Zeitungen einem größeren Kreis an Lesern zugäng- lich.5 Das Printmedium fand somit Eingang in die alphabetisierte Arbeiterklasse als „(...) das zentrale Nachrichtenmedium (...)“ (Faulstich 2012, S. 26) und wurde „(...) zum neuen Bindeglied der Gesellschaft (...)“ (Albrecht, S. 4).
Eine weitere junge technische Innovation, die telefonische Berichterstattung, ermöglichte zudem eine zunehmende Aktualisierung der dargebotenen Neuigkeiten6, um somit dem seit dem Ersten Weltkrieg stetig wachsenden Bedürfnis der Öffentlichkeit nach aktueller Information gerecht zu werden.7
In den Entwicklungen während der Krieges sieht Faulstich auch den Ursprung für die „(...) breite politische Instrumentalisierung der Medien (...)“ (Faulstich 2012, S. 91). In der sich anschließenden Zeit der Weimarer Republik.
Bevor auf den politischen Charakter der Tageszeitung näher eingegangen wird, sollen jedoch noch andere Charakteristika der Weimarer Tagespresse herausgestellt werden. Neben einer Ausweitung des Leserpublikums auf einen großen Teil der gesamten Öffentlichkeit kommt es gleichzeitig zu einer einer Schwerpunktsetzung auf die lokale Umgebung der Zeitungen.
So gab es in Berlin 1925 beispielsweise neben 30 verschiedenen Tageszeitungen, die in der gesamten Stadt verkauft wurden, zwischen 30 und 40 Zeitungen, die nur für ein bestimmtes Stadtviertel produziert wurden.8
Dieser Bezug auf den lokalen Kontext ist durch eine weitere Veränderung des Zeitungswesens erklärbar. Finanziert wurden die Tageszeitungen nun zum größten Teil über Anzeigen.9 So bestand oft ein Drittel des Zeitungsumfangs aus Anzeigen.10 Dabei sollte dieser Umstand vor dem Hintergrund der Professionalisierung der kommerziellen Werbung nach amerikanischem Vorbild betrachtet werden.11
Hier wird ein weiteres Merkmal der Tagespresse deutlich, die „(...) steigende Dominanz kommerzieller Interessen (...)“ (Faulstich 2012, S. 52). Der kapitalistische Wettbewerb auf dem Zeitungsmarkt führte so zur Bildung großer Pressekonzerne.12 Zeitungsverlage waren nun Unternehmen, deren Ziel in der Maximierung ihres Profits bestand.13 Dabei sind besonders die drei größten Verlagshäuser - alle ansässig in Berlin - von Rudolf Mosse, Leopold Ullstein und August Scherl zu erwähnen, die mit ihren Tageszeitungen die höchsten Auflagen erzielten. Nicht zuletzt deshalb, weil gerade das Medium Zeitung in der anonymisierten Großstadt als Kommunikationsträger diente.14
Die erwähnte Kommerzialisierung der Zeitung wird auch an der Veränderung des inhaltlichen Schwerpunkts deutlich. Hier sei zunächst auf die von Andreas Böhn und Andreas Seidler erläuterte Medientheorie verwiesen. Hier heißt es, der Zwang der Massenpresse ein möglichst breites Publikum anzusprechen, führe zu einer Vermutung über die Leserinteressen. Ein weiterer Teil der Strategie liege zudem in der Einbeziehung von Aktualität und Innovation als Auswahlkriterium der dargebotenen Nachrichten.15
Will man diese Theorie auf die Presseentwicklung nach dem Ersten Weltkrieg anwenden, ist zunächst der Bereich der Unterhaltung als Interessenschwerpunkt zu bezeichnen. Faulstich fasst wie folgt zusammen: „(In dieser Zeit) dominierten immer stärker Sensationen, Skandale, Klatsch und human interest vor seriöser Berichterstattung in den Sparten Politik und Wirtschaft.“ (Faulstich 2012, S. 26). Der zweite Aspekt der Strategie, die „(...) Befriedigung von Neugierde auf das aktuelle Geschehen in der Mitwelt.“ (Böhn/Seidler 2014, S. 61), lässt sich, wie bereits erläutert, ebenfalls in der damaligen Tagespresse finden.
Jene inhaltlichen Veränderungen äußerten sich auch über eine formale Neugestaltung der Tageszeitungen. Überschriften wurden zu Schlagzeilen, um die Aufmerksamkeit der potentiellen Leser zu gewinnen und die bisher unerwähnt gebliebene technische Weiterentwicklung der Fotografie führte zu einer zunehmenden Bebilderung der Printmedien. Die Nachrichtenfülle sollte somit „(...) für die angesprochenen Leserinnen und Leser konsumierbar gemacht (werden).“ (Faulstich 2012, S. 26). Waren diese Bilder zunächst nur in bebilderten Beiheften zu sehen oder der sich bis zu den 20er Jahren immer größerer Beliebtheit erfreuenden Illustrierten, ermöglichte die verbesserte Technik des RotationsTiefendrucks bald auch eine Ausschmückung der klassischen Tagezeitungen mit Foto- grafien.16
Die bisher erläuterten Entwicklungstendenzen erfahren besondere Deutlichkeit in der zunehmend herausragenden Stellung bestimmter Zeitungstypen innerhalb der Presselandschaft der Weimarer Republik. Diese Arten von Tageszeitungen, der Generalanzeiger und das Boulevardblatt, sollen im anschließenden Kapitel einer näheren Betrachtung unterzogen werden.
2.2 Die Entwicklung des Generalanzeigers zum dominanten Zeitungsmedium
Auch wenn die Zeitungslandschaft der Weimarer Republik, in den 20er Jahren im Besonderen, als vielfältig zu charakterisieren ist und die diversen Ausformungen von Printmedien sowie deren unterschiedliche Motivation die Forschung von einer „zersplitterten Presse“ sprechen lassen, kann doch unter anderem der bereits 1880 entstandene Typ des Generalanzeigers als dominierendes Printmedium dieser Zeit gesehen werden.17 So liegt die höchste Auflage aller Zeitungen während der Weimarer Republik beispielsweise beim Berliner Lokal-Anzeiger des Scherl-Verlags.18
Wie bereits erläutert, wurden diese Zeitungen zu einem großen Teil über Werbung finanziert und mussten ohne Parteisubventionen auskommen. Dabei waren Inserate, aber nicht nur eine gute Einnahmequelle für die Verleger , sondern auch ein wichtiges Kommunikationsmittel für die Geschäftsleute, die somit auf ihre Produkte aufmerksam machen konnten.19 Auch diente es den industriellen Unternehmen dazu sich ein positiveres Bild in der Öffentlichkeit zu verschaffen.
Durch diese Art der Finanzierung war die Generalanzeiger-Presse in gewissem Maß zu politischer Neutralität gezwungen, versuchte man doch ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Deshalb darf diese Form der Tageszeitung jedoch keinesfalls als unpolitisch missverstanden werden. Auch wenn eine offene politische Stellungnahme meist vermieden wurde, weist Fulda auf die Weiterführung der deutschen Zeitungstradition hin, ein Forum für eine bestimmte politische Richtung darzustellen.20
So bezeichnet Asmuss weiterführend den Berliner Lokal-Anzeiger „(...) als DNVP- Blatt (...), das die politischen Interessen des Hugenberg-Konzerns propagierte (...)“ (As- muss 1993, S. 30). Des Weiteren beschreibt er diese Zeitung auch als „(...) Meinungsführer der rechtsgerichteten Lokal- und Heimatblätter (...)“ (Asmuss 1993, S. 30). Hier sei erwähnt, dass sich bereits 1913 die Hälfte aller Zeitungen offen zu einer bestimmten politischen Überzeugung bekannten.21 So ist nahezu jeder Tageszeitung, dem Typ des Generalanzeigers eingeschlossen, eine politische Tendenz oder Motivation zuzuordnen.22
Es sei an dieser Stelle auch auf das zeitgenössische Verständnis über die Aufgaben der Zeitung hingewiesen. Jene Auffassung bestand darin, dass Zeitungen die Meinung der Öffentlichkeit formen würden. An dieser Stelle sei auch auf Viehövers These verwiesen, dass „Medien (...) zur Wirklichkeit nicht in einem Verhältnis der Reproduktion sondern der Produktion (stehen) (...)“ (Viehöver 2004, S. 55).
Die Redakteure und Journalisten lieferten ihren Lesern nicht einfach Informationen sondern teilten ihre Weltsicht mit ihnen.23 Da die Redakteure selbst an eine direkte Beeinflussung der Öffentlichkeit durch die Presse glaubten, sahen sie sich auch als Mitwirkende im politischen Kampf der Zeit.24 So kam es zu einer selektiven Nachrichtenauswahl, wie auch zu einer nicht objektiven Präsentation der Nachrichten. Der zeitgenössische Leser sah sich somit mit einem komplexen Informationsnetz konfrontiert, dessen selektive Auswahl seine Sicht der aktuellen Geschehnisse (mit-)formte.25
Die politische Einflussnahme seitens der Tagespresse spitzte sich im Laufe der 20er Jahre weiter zu und endete nicht selten in schriftlichen Angriffen auf politisch anders gesinnte Zeitungen oder deren Journalisten sowie politische Persönlichkeiten.26 So spricht Albrecht in seiner Arbeit von „(...) verschiedenen Parteischattierungen (...)“ (Albrecht, S. 67) der einzelnen Zeitungen.
Der Zeitungsform des Generalanzeigers, der alle Bereiche des Leserinteresses, wie Sport und Unterhaltung, aber auch Politik und Wirtschaft, abzudecken versuchte, war also gleichzeitig Ausdruck einer bestimmten politischen Haltung des Verlags, so wie der dort beschäftigten Redakteure und Journalisten.
[...]
1 Fulda 2009, S. 13.
2 Albrecht, S. 4.
3 Ebd.
4 Faulstich 2012, S. 26.
5 Fulda 2009, S. 13.
6 Faulstich 2012, S. 24.
7 Fulda 2009, S. 13.
8 Fulda 2009, S. 17.
9 Ebd., S. 13.
10 Faulstich 2012, S. 26.
11 Ebd., S. 92.
12 Albrecht, S. 6.
13 Fulda 2009, S. 15.
14 Albrecht, S. 11.
15 Böhn/Seidler 2014, S. 60 f..
16 Albrecht, S. 11.
17 Faulstich 2012, S. 103.
18 Fulda 2009, S. 14.
19 Albrecht, S. 16.
20 Ebd.
21 Ebd., S. 15.
22 Ebd., S. 16.
23 Fulda 2009, S. 18.
24 Ebd.
25 Ebd., S. 20.
26 Ebd.