Psychoaktive Substanzen. Gesellschaftliche Aspekte des nicht-pathologischen und salutogenen Umgangs


Bachelorarbeit, 2020

29 Seiten, Note: 1.7

Elena Stegemeyer-Senst (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abstract

1 Einleitung

2 Zum Begriff der Sucht
2.1 Geschichtliches
2.2 Abhängigkeit und substanzbezogene Störung
2.3 Abstinenzfestlegung in der Therapie

3 Nicht-pathologische Formen des Substanzkonsums
3.1 Rekreationaler Substanzgebrauch
3.2 Funktionaler und kontrollierter Substanzgebrauch
3.3 Mündiger und verantwortungsvoller Gebrauch

4 Salutogene Effekte im Umgang mit psychoaktiven Substanzen
4.1 Instrumental use
4.2 Lysergsäurediethylamid (LSD) gegen Depressionen?

5 Sucht und Forensik
5.1 Rechtslage
5.2 Lockerungen, Sicherung und Sanktionsmechanismus
5.3 Abstinenz als Behandlungsziel bei der Unterbringung nach §64 StGB

6 Problemstellung

7 Forschungsfragen

8 Forschungsmethoden

9 Bedeutung der Gesundheitsforschung über psychoaktive Substanzen

10 Alternativen zur abstinenzbasierten Suchttherapie
10.1 Selbstkontrollierten Substanzkonsum und harm reduction

11 Das Paradigma Zieloffener Suchtbehandlung (ZOS)

12 Zieloffene Suchtbehandlung im Maßregelvollzug

13 Das Konzept der Drogenmündigkeit
13.1 Drug, Set and Setting
13.2 Drogenmündigkeit konkret

14 Förderung der Drogenmündigkeit im Maßregelvollzug

15 Diskussion: „Schwimmen lernt man im Wasser“

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

BVerfG Bundesverfassungsgericht

bzw. beziehungsweise

DSM-5 Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders

ICD-10 International Classification of Diseases

IDPS International Drug Police Consortium

StGB Strafgesetzbuch

UNODC UN-Office on Drugs and Crime

§64 StGB Maßregel zur Besserung und Sicherung

VTA ventrale tegmentale Areal, lat. Area tegmentalis ventralis

WHO Weltgesundheitsorganisation

Abstract

Die Bachelorthesis gibt Einblicke in die Gesundheitsforschung über psychoaktive Substanzen und sucht basierend auf diesen Erkenntnissen nach weiteren Impulsen für das praktische Vorgehen in Bereichen der Suchthilfe und der forensischen Psychiatrie.

Die Drogengesundheitsforschung ist noch weitgehend marginalisiert. (Jungaberle, Biedermann, Nott, Zeuch, & von Heyden, 2018, S.175) Es existiert eine Fülle an Veröffentlichungen über die Gefahren und Komorbiditäten des Substanzgebrauchs, doch liegen über die neutral und positiv konnotierten Formen des Substanzgebrauchs nur sehr wenige Forschungsergebnisse vor.

Dabei spielt die Drogengesundheitsforschung eine große Rolle für den Umgang mit den Risiken des Substanzgebrauchs, denn man lernt ja bekanntlich an guten Beispielen. (Von Heyden, Jungaberle, & Majić, 2018) Diese werden aber in der Praxis häufig ignoriert und so wird trotz neuer Forschungsergebnisse an der Abstinenzzielvorgabe in der Suchthilfe festgehalten.

Auch die alternativen, nicht-abstinenzbasierten Möglichkeiten der Suchtbehandlung werden in der Arbeit diskutiert und es wird auf die Frage eingegangen, ob diese sich für eine Suchtbehandlung im Bereich des Maßregelvollzugs mit Unterbringung nach § 64 StGB (Maßregel zur Besserung und Sicherung) eignen.

Diese interdisziplinäre Vorgehensweise bildet die Vorbereitung für die Diskussion über das Konzept der Drogenmündigkeit und seine Eignung für die sozialarbeiterische Betreuung suchtkranker Straftäter im Maßregelvollzug.

1 Einleitung

Die Bachelorthesis beschäftigt sich mit jenen Formen des Umgangs mit psychoaktiven Substanzen, die keine pathologische Relevanz haben und die biopsychosoziale Gesundheit der Menschen verbessern können. Ebenso wird auf die Auswirkungen dieser kulturellen Praxis auf das gesellschaftliche Leben am Beispiel der Suchthilfe und der forensischen Psychiatrie mit Unterbringung nach §64 StGB eingegangen.

Statistiken belegen, dass die meisten Konsumierenden psychoaktiver Substanzen keine Abhängigkeitserkrankungen im Sinne von ICD-10 aufweisen bzw. in ihrem Leben keine durch ihren Konsum verursachten gesundheitlichen Zwischenfälle erleiden:

The authors of the UN-Office on Drugs and Crime (UNODC) 2015 annual report concluded that, of an estimated 246 million people who used an illicit drug in the past year, 27 million (around 11%) experienced problem drug use, which was defined as drug dependence or drug-use disorders. (Csete et al., 2016, p. 1431)

Zugleich stellen Alkohol, Tabak, viele Medikamente als auch illegalisierte psychoaktive Substanzen eine nicht zu unterschätzende gesundheitliche Gefahr für die Bevölkerung dar (Hall et al., 2016) Abhängigkeitserkrankungen und substanzbezogene Störungen sind ein schweres Leiden und die Betroffenen benötigen häufig Unterstützung von außen. Es kommt auch oft vor, dass die Hilfesuchenden keine Abstinenz anstreben. Kann man sie trotzdem unterstützen, ohne totale Abstinenz vorauszusetzen?

So stellt sich die Frage, ob in bestimmten Bereichen des Lebens bzw. in besonderen Lebenskonstellationen der Gebrauch psychoaktiver Substanzen akzeptiert werden kann. Außerdem soll untersucht werden, inwiefern der Substanzkonsum positive und salutogene Wirkungen auf die biopsychosoziale Gesundheit von Menschen hat und zur Steigerung der Lebensqualität beiträgt. Schließlich nutzen viele Menschen trotz gesundheitlicher Gefahren psychoaktive Substanzen und es erscheint höchst unwahrscheinlich, dass sie dies aus Leichtsinnigkeit tun, oder um absichtlich der eigenen Gesundheit zu schaden.

Auch soll in der Bachelorarbeit das Abstinenzparadigma der Suchttherapie unter die Lupe genommen werden: inwiefern basiert dieser Ansatz auf wissenschaftlicher Evidenz und welche Alternativen gibt es?

Die Alternativen zur Abstinenzzielvorgabe in der Forensik stehen ebenso im Fokus des Interesses. Während der studentischen Praktikumstätigkeit bzw. des Studentenjobs in einer forensischen Einrichtung mit Unterbringung nach §64 StGB (Maßregel zur Besserung und Sicherung) hat sich für die Verfasserin die Fragestellung herauskristallisiert, ob die sozio-therapeutische Ansätze, zusammengefasst unter dem Begriff der Drogenmündigkeit, in den Einrichtungen des Maßregelvollzugs Anwendung finden können.

Im ersten Kapitel der Bachelorarbeit wird auf den Begriff der Sucht eingegangen, seine semantische Entwicklung im Laufe der Geschichte skizziert sowie sein Stellenwert im gesellschaftlichen Gefüge diskutiert.

Des Weiteren soll die Gesetzeslage der Unterbringung nach §64 StGB vorgestellt und auf einige konzeptionelle Schwerpunkte der Therapie um den Maßregelvollzug eingegangen werden.

Es folgen die Konzepte des nicht-pathologischen und salutogenen Substanzgebrauchs, auf die im folgenden Verlauf der Arbeit im Zusammenhang mit dem Konzept der Drogenmündigkeit das Augenmerk gelegt wird.

Ferner werden die Problemstellung und Forschungsfragen formuliert sowie die Forschungsmethoden festgelegt.

Im Hauptteil der Arbeit wird zunächst die Bedeutung der Gesundheitsforschung über psychoaktive Substanzen für den praktischen Bereich der Suchthilfe diskutiert.

Im nächsten Schritt geht es um die Alternativen zur Abstinenzzielvorgabe in der Suchtbehandlung und es werden einige Behandlungskonzepte vorgestellt und analysiert.

Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern diese Behandlungskonzepte in Einrichtungen des Maßregelvollzugs mit Unterbringung nach §64 StGB etabliert werden können.

Die Thematik wird im nachfolgenden Kapitel mit der Vorstellung des Begriffs der Drogenmündigkeit vertieft. Die grundlegenden Konzepte rund um den Begriff sowie das praktische Vorgehen werden vorgestellt, um im nächsten Schritt eine Antwort auf die Forschungsfrage zu finden, ob diese Vorgehensweise des sozialarbeiterischen Handelns für eine Einrichtung des Maßregelvollzugs mit Unterbringung nach §64 StGB geeignet ist.

Es erscheint sinnvoll, überall in der Arbeit, wo der Textfluss dadurch nicht gestört wird, den gebräuchlichen Begriff Drogen durch die neutrale Bezeichnung psychoaktive Substanz zu ersetzen, da der Begriff Drogen „irrational aufgeladen scheint und normative Blindheit auslösen kann“. (Jungaberle, von Heyden, & Majić, 2018; Stegemeyer-Senst, 2019)

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text für die Bezeichnung von Personen und Personengruppen überwiegend die männliche Form verwendet. Im Fall der Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtungsweise wird eine geschlechtsspezifische Unterscheidung vorgenommen.

2 Zum Begriff der Sucht

Der Begriff Sucht wird mit der Vorstellung einer exzessiven Neigung zu einer Substanz, Tätigkeit, einem Gefühl oder anderen Kategorien des menschlichen Daseins assoziiert. In der Bachelorarbeit wird der Fokus auf Zusammenhänge im Bereich der substanzbezogenen Sucht gelegt.

Eine psychoaktive Substanz ist ein Wirkstoff, „der auf pflanzlicher oder synthetischer Grundlage vorliegt, einem Organismus von außen zugeführt wird und dessen Wahrnehmung und Erleben verändert“. (Jungaberle, von Heyden, et al., 2018) Die Wirkung einer psychoaktiven Substanz kann positiv erlebt werden – beispielsweise als Entspannung, Inspiration oder Konzentrationssteigerung.

Der Effekt einer psychoaktiven Substanz kann aber auch negative Zustände wie Verwirrtheit oder Angst hervorrufen. (Stegemeyer-Senst, 2019, S. 5; Von Heyden et al., 2018, S. 4)

Die Vorstellung von Sucht reicht weit in die Vergangenheit der Menschheit zurück. Sie erfuhr im Laufe der Jahrhunderte mehrere Bedeutungsmetamorphosen.

2.1 Geschichtliches

Der Begriff der Sucht wurde bereits vor dem 16. Jahrhundert benutzt, um ein normabweichendes Handeln zu beschreiben. (Barsch, 2010 , S. 109) Die Vorstellungen von Sucht und Suchtverhalten variierten in der Menschheitsgeschichte schon immer, abhängig von verschiedenen Kulturkreisen und Religionen. So bewerteten der Islam und das mittelalterliche Christentum die Erfahrungen mit berauschenden Stoffen als Sünde, während Hinduismus und Buddhismus derartigen Erfahrungen einen naturmedizinischen und religiösen Wert beimaßen. (Uchtenhagen, 2019)

Auch änderte sich die Bedeutung von Sucht während verschiedener Epochen der Geschichte ständig. Bis zum früheren Mittelalter verwies der Begriff auf böse Geister, die den Körper befallen und Menschen dazu veranlassen, sich abnorm und störend zu verhalten. Im späten Mittelalter bzw. in der frühen Neuzeit wurde der Begriff Sucht als Sammelbegriff für verschiedene damals nicht erklärbare Krankheitsgruppen, wie beispielweise Schwindsucht (Tuberkulose), Fallsucht (epileptische Erkrankungen) und Tobsucht (Manie) verwendet. Später wurde der Begriff Sucht zur Funktionsbezeichnung für unterschiedliche Handlungen, die von allen Menschen praktiziert, aber nur bei einigen Personen als übersteigert verurteilt wurden – beispielweise Eifersucht oder Verschwendungssucht. (Barsch, 2010 , S. 112) Irgendwann wurden alle Handlungsstile, die auf einen übersteigerten Trieb hindeuteten und als störend empfunden wurden, als Sucht bezeichnet, unter anderem auch der übermäßige Alkoholkonsum der „Säufer“, die im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit zu Kriminellen deklariert und als Rechtsbrecher bestraft wurden. (Barsch, 2010 , S. 113)

Seit der Aufklärung änderte sich die Situation: der vom exzessiven Konsum des Alkohols und anderer psychoaktiver Substanzen Betroffene wurde als Kranker gesehen, der seinen Trieben hilflos ausgeliefert war. Ihm wurde eine gefühlsmäßige Bindung an die Substanz nachgesagt, aufgrund derer er seine persönliche Freiheit und menschliche Würde aufgab. (Barsch, 2010 , S. 114)

Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Süchte im Hinblick auf die jeweilige Substanz spezifiziert. So unterschied man bald eine Vielzahl von Süchten: zu dieser Zeit wurden Opium- und Morphiumsucht beschrieben und Sigmund Freud experimentierte mit Cocain und verfasste seine Arbeiten zur Cocainsucht. (Freud, 1996; Vom Scheidt, 1973) Später kamen weitere Süchte wie Heroin-, Nikotin- und Koffeinsucht hinzu und die Liste der substanzgebundenen – und vor allem auch nicht-substanzbezogenen - Süchte ist mit Sicherheit noch lange nicht vollständig. (Barsch, 2010 , S. 114)

2.2 Abhängigkeit und substanzbezogene Störung

In medizinischen Klassifikationssystemen wird anstelle des Begriffs (substanzgebundener) Sucht der Begriff Abhängigkeit verwendet. Seit 2019 definieren die beiden international anerkannten Diagnostiksysteme ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO 2019) und DSM-5 der American Psychiatric Association (2019) anstelle des Begriffes Abhängigkeit den Begriff der substanzgebundenen Störung.

In der ICD-10 reicht die Skala für eine substanzgebundene Störung von akuter Intoxikation über schädlichen Gebrauch bis zur (chronischen) Abhängigkeit. In der neuesten Version der DSM-5 wurde dagegen die Kategorie abuse, was dem schädlichen Gebrauch oder Missbrauch entspricht, herausgenommen und nicht-substanzgebundene Sucht, wie Internet- und Spielsucht, in das Diagnostikmanual aufgenommen. (Uchtenhagen, 2019)

Bei Abhängigkeit handelt es sich „um ein Cluster von biologischen, sozialen und psychologischen Variablen“. (Soyka, Batra, Heinz, Moggi, & Walter, 2018, S.4) Das Krankheitsbild der Abhängigkeit zeichnet sich durch eine höchst heterogene Symptomatik aus. Viele Autoren sind sich aber einig, dass der Kontrollverlust bzw. die Kontrollminderung sowie der Drang zu konsumieren die wichtigsten psychologischen Symptome bei Suchtentwicklung sind. (Soyka et al., 2018, S.4)

Es gibt verschiedene Erklärungsansätze für die Entstehung einer substanzgebundenen Störung bzw. die Abhängigkeit von einer Substanz. In Übereinstimmung mit dem medizinisch-biologischen Ansatz liegen die Ursachen für Abhängigkeitserkrankungen in pharmakologischen Effekten der Substanzen sowie individuellen physiologischen Freiheitsgraden. Der Konsum psychoaktiver Substanzen kann demnach in bestimmten Fällen mit teilweise irreversiblen Veränderungen im Gehirn einhergehen. So haben Nestler and Malenka (2004) nachweisen können, dass regelmäßiger Substanzgebrauch den Strang von Dopamin produzierenden Nervenzellen des Area tegmentalis ventralis (VTA) bis zu dopaminergen Zellen im Nucleus accumbens so weit sensibilisiert, dass die Konsumenten besonders empfindlich und enthusiastisch auf angenehme Erinnerungen an vergangene Konsumerfahrungen reagieren. (S. 55) Dadurch kommt es zum Stimulus des Belohnungssystems der Betroffenen, was eine Wiederholung der Konsumereignisse begünstigen kann.

2.3 Abstinenzfestlegung in der Therapie

Das Ziel der lebenslangen Abstinenz bei der Überwindung der Konsumabhängigkeit gilt in vielen Behandlungskreisen als alternativlos. (Körkel, 2020) Diese Festlegung basiert auf der Überzeugung, dass der Konsument dem Einfluss der Substanz machtlos ausgeliefert ist. Sobald die Diagnose einer Substanzabhängigkeit steht, sei der Betroffene nicht mehr in der Lage, seinen Konsum zu kontrollieren.

Das therapeutische Abstinenzparadigma geht auf Annahmen des US-amerikanischen Physiologen E. M. Jellinek (1960) über die Eigenarten von Alkoholismus zurück. Ihm zufolge sind Ursachen von Alkoholismus fast ausschließlich biologischer Natur und Kriterien wie genetische Ausstattung, Metabolismus und neurobiologische Disposition bei der Entstehung der Krankheit entscheidend. Die folgenreichste Aussage der Theorie ist die Annahme der Irreversibilität: kein Alkoholiker könne jemals wieder kontrolliert trinken. (Körkel, 2020)

Die Aussagen des Abstinenzparadigmas von Jellinek werden auch in der Drogen- und Tabakentzugstherapie angewandt. Mittlerweile, so Körkel (2020), zeigt die Praxis und die Forschung in Bezug auf das „Herauswachsen“ aus einer Sucht ohne Behandlung, dass ein Teil der Suchtkranken durchaus zu einem moderaten, nicht-symptombelasteten Konsum finden kann.

Gegen die Theorie von Jellinek spräche unter anderem auch die Tatsache, dass die Abhängigkeitskriterien, Konsummengen und Konsumfolgeprobleme variieren und so scheint es keinen qualitativen Unterschied zwischen Abhängigkeit und Nicht-Abhängigkeit zu geben. (Körkel, 2020) Dieser Gedanke spiegelt sich im DSM-5 wider: die kategoriale Unterscheidung von Abhängigkeit und schädlichem Gebrauch wurde 2013 bei dem Wechsel von DSM-IV zu DSM-5 aufgehoben und die Substanzgebrauchsstörung nach einer graduellen Einteilung der Schwere des Syndroms – also auf einem Kontinuum - definiert. (Ehret & Berking, 2013; Körkel, 2020)

3 Nicht-pathologische Formen des Substanzkonsums

Trotz schwerwiegender gesundheitlicher Risiken und ungeachtet der Gefahr, eine Substanzabhängigkeitsstörung zu entwickeln, nutzen Menschen weltweit psychoaktive Substanzen in verschiedensten Lebenslagen und Situationen. Viele Autoren versuchen, Kriterien für den risikoarmen Substanzgebrauch abzustecken und Konzepte zu positiv und neutral konnotierten Formen des Substanzgebrauchs auszuarbeiten. Möglicherweise kann das Wissen über die Strategien des Substanzgebrauchs, die viele Konsumenten nutzen, um die Gefahren schwerer gesundheitlicher und gesellschaftlicher Beeinträchtigungen zu minimieren, bei der Behandlung und Unterstützung von Menschen mit schweren Abhängigkeitserkrankungen helfen, bei denen nicht nur ihre körperliche Gesundheit, sondern auch das soziale und gesellschaftliche Leben durch den Substanzgebrauch gravierend in Mitleidenschaft gezogen wurde, die aber nicht bereit bzw. nicht fähig zur Abstinenz sind.

Im Folgenden werden einige Konzepte zu nicht-pathologischen bzw. neutral oder positiv konnotierten Formen des Substanzgebrauchs vorgestellt.

3.1 Rekreationaler Substanzgebrauch

Pols and Hawks (1992) führen in ihrer Arbeit über das sichere Level des täglichen Alkoholkonsums den Begriff des „rekreationalen Gebrauchs“ an, was in der Forschungsliteratur meist mit „Freizeitgebrauch“ übersetzt wird. In ihrer Arbeit wird als Beispiel der Konsum von Ecstasy auf einer Tanzparty genannt. Andere Autoren wie Parker (2005) oder Huxster, Pirona, and Morgan (2006) setzen sich noch spezifischer mit dem Thema auseinander und schlagen sogar eine konkrete Vorgehensweise in einer Situation des rekreationalen Substanzgebrauchs vor: die letzteren definieren beispielweise eine durchschnittliche rekreationale Dosis Ecstasy/MDMA als 80-150 mg. Diese Menge der Substanz konsumiert ein durchschnittlicher rekreationaler Ecstasy-User, „who uses the drug on a weekly or fortnightly basis“. (Huxster et al., 2006, p. 281; Jungaberle, Biedermann, et al., 2018, S.181)

Askew (2016) geht beim nicht-schädlichen Konsum von der ausgeprägten Reflexionsfähigkeit der User aus und schlägt Konzepte für die Legitimität eines rekreationalen Drogengebrauchs Erwachsener vor. Demnach darf von einem legitimen Substanzkonsum gesprochen werden, wenn die Konsumenten ihre Fähigkeit zum kontrollierten Gebrauch artikulieren können und wenn der Konsum sie in ihrem täglichen Leben und bei der Ausführung ihrer gesellschaftlichen Pflichten nicht beeinträchtigt. (Jungaberle, Biedermann, et al., 2018)

3.2 Funktionaler und kontrollierter Substanzgebrauch

Beispiele für den funktionalen Gebrauch psychoaktiver Substanzen liefern beispielweise Lau et al. (2015) in ihrer qualitativen Studie zum verantwortungsvollen und kontrollierten Cannabiskonsum. Dabei geben viele der Teilnehmer der Studie an, dass ihr „funktionaler Lebensstil“ durch Konsum von Cannabis keineswegs eingeschränkt wurde. Der Konsum bringe keine Dysfunktionalität ins Leben der Teilnehmer, so das Résumé der Autoren. (Jungaberle, Biedermann, et al., 2018, S.185)

Zahlreiche Autoren definieren „kontrollierten“ Gebrauch von psychoaktiven Substanzen. Bei Waldorf, Reinarman, and Murphy (1992) findet sich beispielweise eine Definition des kontrollierten Konsums von Kokain als „regular ingestion of cocaine without escalation to abuse or addiction, and without disruption of daily social functioning“ und Lau et al. (2015) beschreiben einen kontrollierten und verantwortungsvollen Cannabiskonsum als „[…] moderation of quantity and frequency of cannabis used, using in appropriate settings, and respect for non-users“.

Aus dem suchttherapeutischen Bereich stammt die folgende Definition des kontrollierten Gebrauchs „harter“ Drogen Kokain und Heroin: „Kontrollierter Konsum harter Drogen lässt sich demnach als ein Konsum definieren, der nicht in nennenswertem Maß mit persönlichen Zielen kollidiert und durch Selbstkontrollregeln gesteuert wird, die explizit sind oder explizit gemacht werden können.“ (Schippers & Cramer, 2002, S.72) So lässt sich feststellen, dass allen vorgestellten Definitionen eins gemein ist: ein kontrollierter und somit geglückter Konsum, welcher das Leben des Menschen nicht beeinträchtigt, folgt strengen, vom Konsumenten selbst festgelegten Regeln. Diese Regeln orientieren sich an Kriterien wie „Konsumfrequenz, Ort des Konsums, persönliche Verfassung und der verfügbare finanzielle Rahmen.“ (Jungaberle, Biedermann, et al., 2018, S.186; Schippers & Cramer, 2002) Diese Kriterien sind Teil der Drug, Set and Setting – Theorie von Zinberg (1984), auf welche im folgenden Verlauf der Arbeit im Zusammenhang mit dem Konzept der Drogenmündigkeit näher eingegangen wird.

3.3 Mündiger und verantwortungsvoller Gebrauch

Beim mündigen und verantwortungsvollen Gebrauch, ähnlich wie beim kontrollierten, werden explizite Regeln aufgestellt, wie beispielweise das Vermeiden von hochfrequentem Konsum, Verzicht auf Teilnahme am Straßenverkehr unter Einfluss von Substanzen und Abstinenz im Krankheitsfall. Diese Vorstellung vom Substanzkonsum lehnt sich ebenso an das Konzept der Drogenmündigkeit an. So kann man gut beobachten, dass die Ergebnisse empirischer Forschung in Bezug auf den Gebrauch psychoaktiver Substanzen viele Impulse für die Konzipierung eines Akzeptanzparadigma liefern, auf dem die Prinzipien der akzeptierenden Drogenarbeit und der Drogenmündigkeit beruhen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Psychoaktive Substanzen. Gesellschaftliche Aspekte des nicht-pathologischen und salutogenen Umgangs
Hochschule
MSB Medical School Berlin - Hochschule für Gesundheit und Medizin  (Fakultät Gesundheit, Bachelorstudiengang Soziale Arbeit)
Veranstaltung
Bachelorarbeit
Note
1.7
Autor
Jahr
2020
Seiten
29
Katalognummer
V979955
ISBN (eBook)
9783346368416
ISBN (Buch)
9783346368423
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Drogenmündigkeit, Nicht-abstinenzbasierte Methoden der Suchttherapie, Forensische Psychiatrie, Psychoaktive Substanzen
Arbeit zitieren
Elena Stegemeyer-Senst (Autor:in), 2020, Psychoaktive Substanzen. Gesellschaftliche Aspekte des nicht-pathologischen und salutogenen Umgangs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/979955

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