Der soziologische Ansatz. Eine Anwendung auf den Thüringer Wahlkreis 028 Saalfeld-Rudolstadt I


Hausarbeit, 2020

13 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Dermakrosoziologische Ansatz nach LipsetundRokkan

III. Hypothesen

IV. Der Wahlkreis 028 Saalfeld-Rudolstadt I

V. Hypothesenprüfung

VI. FazitundAusblick

VII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

„'We the people'—the utterance, the chant, the written line—is always missing some group of people it claims to represent." (Butler 2015: 66)

Im Gegensatz zu Judith Butlers Charakterisierung des „Wirs" als exklusiv bei gleichzeitigem Inklusivitätsanspruch, schließt der Ausruf vieler AfD- Sympathisant*innen „Wir sind das Volk" gewollt Menschengruppen, die per definitionem zum „Volk" gehören, aus. Die Wahlergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen zeigen zudem: Nicht nur die AfD verzeichnete einen höheren Stimmenanteil, sondern auch DIE LINKE (vgl. Thüringer Landesamt für Statistik 2019).

Liegen den Ergebnissen Ost-West-Unterschieden zugrunde? Oder soziale Deprivation? Welche Einflussfaktoren gibt es auf die Wahlentscheidung von Menschen?

Bisher stehen die Sozialwissenschaften noch am Anfang der Findung passender Erklärungsansätze für den rapiden Aufstieg der ethnozentrischen1 Partei „Alternative für Deutschland" (vgl. Förtner et al. 2019: 28). Nichtsdestotrotz gibt es eine Bandbreite an Ansätzen, die einer Erklärung zuträglich sein könnten.

Vor dem Hintergrund der Suche nach Erklärungen soll es Ziel dieser Arbeit sein, den makrosoziologischen Ansatz der Wahlforschung nach Lipset und Rokkan anzuwenden. Aufgrund des begrenzten Umfangs wird dabei lediglich die Entwicklung eines bestimmten Wahlkreises in den Jahren 1998 bis 2019 betrachtet. Auf dieser Grundlage lautet die Forschungsfrage dieser Arbeit wie folgt:

Inwiefern lässt sich der soziologische Ansatz der Wahlforschung nach Lipset und Rokkan auf die Wahlergebnisse der Thüringer Landtagswahlen 2019 des Wahlkreises 028 Saalfeld-Rudolstadt I anwenden?

Für die Beantwortung der Fragestellung werden zunächst die Grundzüge des makrosoziologischen Ansatzes nach Lipset und Rokkan erläutert. Auf Grundlage der Theorie werden dann drei Hypothesen aufgestellt und im Anschluss daran soziodemograflsche Merkmale im Wahlkreis 028 untersucht. Im nächsten Abschnitt werden die anfangs aufgestellten Hypothesen geprüft. Abschließend sollen im Fazit die Forschungsfrage beantwortet und die Grenzen des Ansatzes aufgezeigt werden.

II. Der makrosoziologische Ansatz nach Lipset und Rokkan

Der 1967 von den Politikwissenschaftlern Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan entwickelte makrosoziologische Ansatz ist eine Theorie der Wahlforschung, die den Zusammenhang zwischen

1Das theoretische Konstrukt „Ethnozentrismus" wird im Thüringen-Monitor 2018 als die Kombination von „fremdenfeindlichen und nationalistischen" Aussagen operationalisiert (vgl. Thüringen-Monitor2018b: 8).

Sozialstruktur und Parteiensystem hervorhebt und das Stimmverhalten anhand von „gesellschaftlicher

Konfliktstrukturen" erklärt (vgl. Schoen 2014: 171). Zentral für den Ansatz ist die Annahme von ebendiesen existierenden Spaltungslinien, die sogenannten „Cleavages", die sich im Laufe der Geschichte in westeuropäischen Gesellschaften herausbildeten (vgl. ebd.: 181). Cleavages sind als „politisierte soziale Spaltungslinien" zu verstehen, die diese verschiedenen „objektiv identiflzierbare[n]" gesellschaftlichen Gruppen sozialstrukturell und kulturell voneinander trennen.

Dabei gibt es die folgenden vier Hauptkonflikte, die sich aus einer historischen Analyse ergeben: Die erste ist die zwischen Zentrum, in dem sich „nationalstaatliche Eliten" befinden, und der Peripherie, die von ,,[...] ethnische[n], sprachliche[n] oder religiöse[n] Minderheiten [...]" bewohnt wird. Die zweite Konfliktlinie besteht zwischen Kirche und Staat, die jeweils um Einflussbereiche und Werte kämpfen. Die Spaltung zwischen Stadt und Land stellt die dritte Konfliktlinie dar: die in der Stadt lebende Bevölkerung hat andere Interessen, als oftmals in der Landwirtschaft arbeitende Bevölkerung außerhalb der Städte, so die Annahme. Die vierte Konfliktlinie besteht im Ansatz zwischen den Merkmalen Kapital und Arbeit, die ungleich auf Bevölkerungsgruppen verteilt sind (vgl. ebd.: 181). Mit zunehmender Demokratisierung im 19. Jahrhundert bildeten sich entlang dieser Konfliktlinien Parteien heraus, die die Interessen verschiedenerGruppenvertraten (vgl. ebd.: 182).

Ausschlaggebend für die Wahlentscheidung von Personen seien besonders die ,,[...] kollektive[n] materielle[n] Interessen [...]" der Gruppe, der sich Personen zugehörig fühlen. Je nach sozialer Lage falle die Wahlentscheidung also unterschiedlich aus (vgl. ebd.: 183). Die Parteiloyalität, d.h. die wiederholte Wahlentscheidung für eine Partei, bleibe selbst dann noch stabil, wenn die Gruppenzugehörigkeit sich ändert (vgl. ebd.: 188).

Später wurde der Ansatz von R. Inglehart weiter ausdifferenziert. Er ergänzt die Konfliktlinien um den Konflikt zwischen materiellen und postmateriellen Werten (vgl. ebd.: 19). Dabei sind materielle Werte als solche zu verstehen, die materielle Güter, wie beispielsweise wirtschaftlichen Wohlstand, priorisieren. Postmaterielle sind im Gegensatz dazu solche, die den Schwerpunkt auf nichtmaterielle Güter, wie etwa Mitbestimmungsmöglichkeiten legen.

III. Hypothesen

Ausgehend von der starken Parteiloyalität, die im makrosoziologischen Ansatz angenommen wird, lautet die erste Hypothese Hi: Die Partei DIE LINKE hatte bei den Landtagswahlen 2019 einen Landesstimmenanteil von 30,8%, da die Menschen im Wahlkreis gemäß ihrer Parteiidentifikation schon vorher DIE LINKE bzw. ihre Vorgängerpartei PDS wählten (vgl. Thüringer Landesamt für Statistik 2019). Die Stadt-Land-Cleavage ist eines der vier zentralen Konfiiktlinien im Ansatz Upsets und Rokkans (vgl. Schoen 2014: 181). Darauf aufbauend ist die zweite Hypothese H2: Die Wahlergebnisse der AfD im Wahlkreis SaalfeldRudolstadt I sind deshalb so hoch, weil die Bewohnerfinnen aufgrund ihrer Berufe und der geringen Einwohnerfinnenzahl andere Interessen haben, als die Stadtbevölkerung.

Schließlich ist die dritte Hypothese H3: Die Partei AfD hatte bei den Landtagswahlen im Jahre 2019 einen Wahlkreisstimmenanteil von 29,1%, weil der sozioökonomische Status vieler Menschen im Wahlkreis gering ist und sie ihren Status von Migrantfinnen bedroht sehen.

IV. Der Wahlkreis Saalfeld-Rudolstadt I2

Der Wahlkreis Saalfeld-Rudolstadt I liegt ca. 60 km südlich von Erfurt in Thüringen. Angrenzende Wahlkreise sind Saalfeld-Rudolstadt II, Hildburghausen II - Sonneberg II, Ilm-Kreis I und II, sowie Weimarer Land I - Saalfeld-Rudolstadt III. Die Einwohnerfinnenzahl betrug im Jahre 1998 noch 135.425, bis 2018 sank sie auf 106.356 (vgl.: Thüringer Landesamt für Statistik 2018). In der Altersstruktur sind im gleichen Zeitraum leichte Veränderungen zu beobachten: Der Anteil der Menschen, die älter als 85 sind, ist von 1,8% auf 3,6% gestiegen. Außerdem gibt es weniger 6-40-jährige. Am größten blieb der Anteil der 50- bis 65-jährigen (2018: 26,0%), der Anteil der 30- bis 50-jährigen und der 65- bis 85-jährigen lag 2018 zwischen 11,4 und 13,2%. Die am wenigsten vertretene Altersgruppen sind die der 15- bis 18-jährigen (2018: 2,3%) und der 0- bis 15-jährigen (vgl. ebd. 2018).

Im Jahre 1998 gab es insgesamt 6315 Fortzüge und vergleichsweise weniger Zuzüge (5173). 2018 ist das Verhältnis der Fortzüge und Zuzüge (4758 und 4730) dagegen fast ausgeglichen (vgl. ebd. 2017b; 2017d). Der Erwerbstätigenanteil im Alter von 15 bis 65 Jahren in der entsprechenden Altersgruppe lag im Jahr 2005 bei 64,2%, im Jahr 2017 bei 80,3% (vgl. ebd. 2017a). Dabei lag das monatliche Haushaltsnettoeinkommen 2017 in 15,9% der Privathaushalte in SaalfeldRudolstadt zwischen 900 und 1300 Euro, in 21,1% der Haushalte zwischen 1500 und 2000 Euro. 19,3% der Haushalte verfügten über ein monatliches Nettoeinkommen zwischen 2000 und 2600 Euro und 28,1% über mehr als 2600 Euro (vgl. ebd. 2017d, eigene Berechnungen). Im Vergleich dazu erhielten in der Stadt Jena nur 27,9% der Privathaushalte ein monatliches Nettoeinkommen von 2600 Euro und mehr (vgl. ebd. 2017c, eigene Berechnungen). Die mittlerweile relativ ausgeglichene Anzahl an Fortzügen und Zuzügen, deutet darauf hin, dass der Kreis Saalfeld-Rudolstadt kein besonders strukturschwacher Kreis ist. Auch das monatliche Haushaltsnettoeinkommen ist nicht geringer als in anderen Teilen Thüringens. Im Wahlkreis Saalfeld-Rudolstadt I lebten 2019 38.463

Wahlberechtigte, die Wahlbeteiligung lag bei den Landtagswahlen 2019 bei 65,1% (vgl. ebd. 2019). Die Landesstimmen der großen Parteien unterlagen 2Die hier aufgeführten soziodemografischen Daten beziehen sich nicht auf den Wahlkreis 028, sondern auf den gesamten

Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Zusammenhänge zwischen den Daten und den Wahlergebnissen können also nur näherungsweise hergestellt werden. in den letzten 10 Jahren starken Veränderungen: Der Stimmenanteil der CDU sank von 51% der Landesstimmen 1999 auf 19,9% im Jahr 2019. Noch stärker ging der Anteil der SPD-Stimmen zurück: von 18,9% im Jahr 1999 auf 7,2% im Jahr 2019. Der Stimmenanteil der Partei DIE LINKE/PDS hingegen wuchs von 20,4% im Jahr 1999 auf 30,8% der Landesstimmen an. Besonders stark wuchs der Landesstimmenanteil der Partei AfD von 12,3% im Jahr 2014 auf 28,5% im Jahr 2019 (vgl. ebd. 1999; 2004; 2009; 2014; 2019).

V. Hypothesenprüfung

Für die Auswertung der ersten Hypothese sollen im Anschluss die Wahlergebnisse der Vorgängerpartei PDS und der Partei DIE LINKE bei den Thüringer Landtagswahlen im Zeitraum von 1999 bis 2019 im Wahlkreis Saalfeld-Rudolstadt I untersucht werden. 1999 lag der Stimmenanteil der PDS bei 20,4%. 2004 stieg der Anteil leicht bis auf 26,2%. Die neu gegründete Partei DIE LINKE konnte 2009 dann 28,8% der Stimmen für sich gewinnen, ähnlich wie 2014 28,7%. In den Landtagswahlen 2019 verzeichnete DIE LINKE ein Rekordhoch von 30,8% der Landesstimmen (vgl. Thüringer Landesamt für Statistik 1999; 2004; 2009; 2014; 2019). Dem makrosoziologischen Ansatz zufolge müssten - ausgelöst durch die Parteiloyalität - die Ergebnisse der PDS/DIE LINKE gleichbleiben, wenn die gleichen Menschen im Wahlkreis ansässig sind. In der Untersuchung der Fort- und Zuzügen im Landkreis zeigt sich jedoch erstens, dass es rege Bevölkerungsbewegungen gibt (vgl. Abschnitt IV). Zweitens ist davon auszugehen, dass besonders „bestimmte Milieus und Lebensstilgruppen", „Hedonisten" und „Reflexive", weggezogen sind (vgl. Intelmann 2019: 194). Welchen Milieus die Fort- und Zugezogenen im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt angehören und welche Auswirkungen das auf die Wahlergebnisse hat, bleibt jedoch unklar. Nach Ergebnissen des ThüringenMonitors 2018 gibt es im Zeitraum von 2000 bis 2018 sind 37-56% der Thüringer*innen ohne Parteibindung (vgl. ebd. 2018a: 93). Allerdings wurden die Daten für ganz Thüringen erhoben und haben damit nicht das Potential, das theoretische Konstrukt der Parteiidentifikation zu widerlegen. Eine abschließende Beantwortung der ersten Hypothese ist so schwer möglich. Näherungsweise kann trotzdem festgestellt werden, dass die Gruppenzugehörigkeit der Wählerinnen im Wahlkreis Saalfeld-Rudolstadt I sich durch Fort- und Zuzüge mit großer Wahrscheinlichkeit verändert hat und sich die Wahlergebnisse dementsprechend änderten. Zusätzlich könnte der gewachsene Stimmenanteil für DIE LINKE durch die Fusion der PDS mit der SPD-Abspaltung WASG im Juli 2007 dadurch erklärt werden, dass der Teil der Stammwählerinnen, der mit der WASG sympathisierte, nun DIE LINKE wählt. Damit ergibt sich, dass die erste Hypothese näherungsweise bestätigt werden kann.

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Details

Titel
Der soziologische Ansatz. Eine Anwendung auf den Thüringer Wahlkreis 028 Saalfeld-Rudolstadt I
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
1,0
Jahr
2020
Seiten
13
Katalognummer
V980751
ISBN (eBook)
9783346334961
ISBN (Buch)
9783346334978
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ansatz, eine, anwendung, thüringer, wahlkreis, saalfeld-rudolstadt
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Der soziologische Ansatz. Eine Anwendung auf den Thüringer Wahlkreis 028 Saalfeld-Rudolstadt I, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/980751

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