Digitale Geschäftsmodelle im Finanzsektor. Eine Geschäftsmodellanalyse des Unternehmens Wirecard AG


Bachelorarbeit, 2020

45 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen
2.1 Digitalisierung
2.2 Geschäftsmodell

3. Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle im Finanzsektor
3.1 Finanzsektor
3.2 Traditionelle Banken
3.3 Fintech-Unternehmen

4. Analyse des Unternehmens Wirecard AG
4.1 Unternehmensprofil
4.2 Geschäftsmodellanalyse
4.2.1 Methode und Basisinformation
4.2.2 Wer? Kunden
4.2.3 Was? Nutzenversprechen
4.2.4 Wie? Wertschöpfungskette
4.2.5 Wert? Ertragsmodell
4.3 Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken

5. Schlussfolgerung und Fazit

Anhänge

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Nutzung der Online- bzw. Offlinekanäle nach Finanzdienstleistungen

Tabelle 2: Drei maßgeblichen Zielbranchen der Wirecard AG

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Digital generierte Umsatzanteile am Gesamtumsatz nach Branchen

Abbildung 2: Das magische Dreieck mit den vier Dimensionen eines Geschäftsmodells

Abbildung 3: Entwicklung der Gesamtzahl der Bankstellen in Deutschland

Abbildung 4: Entwicklung der Gesamtanzahl der Fintech-Unternehmen in Deutschland nach Jahren

Abbildung 5: EBITDA von Wirecard bis 2018 weltweit

Abkürzungsverzeichnis

A&I Acquiring & Issuing

BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

CC&CS Call Center & Communication Services

i.H.v. in Höhe von

IKT Informations- und Kommunikationstechnologie

IT Informationstechnik

PP&RM Payment Processing & Risk Management

1. Einleitung

Schon seit mehreren Jahrzehnten finden wesentliche Veränderungen durch den digitalen Wandel in allen Lebensbereichen statt. Allerdings verliert die Digitalisierung immer noch nicht an Aktualität und das wird weiterhin so bleiben. Im Wirtschaftsbereich sind dadurch ebenfalls zahlreiche disruptive Innovationen gegeben. Das digitale Zeitalter brachte die Geschäftsmodellinnovationen in den Vordergrund. Branchenübergreifend ist die Digitalisierung des Geschäftsmodells für Unternehmen heutzutage kaum zu umgehen. Ein ähnliches Bild liegt auch im Finanzsektor vor. Seit ca. zwanzig Jahren sind durch die Digitalisierung getriebene Geschäftsmodellinnovationen im Finanzsektor zu beobachten. Außerdem sind im Finanzsektor komplett neue Akteure – Fintech-Unternehmen – erschienen, die mit ihren digitalen Geschäftsmodellen innovative Finanzdienstleistungen bieten. Dementsprechend ist das Thema digitale Geschäftsmodelle im Finanzsektor in den wissenschaftlichen Fokus gerückt und wird in dieser Arbeit untersucht.

Die digitalen Geschäftsmodelle im Finanzsektor sind wesentlich vielfältig und sind an Geschäftskunden sowie an Privatkunden ausgerichtet. Das Thema dieser Arbeit stellt einen Überblick über die digitalen Geschäftsmodelle der traditionellen Banken sowie der Fintechs dar. Der Forschungsschwerpunkt liegt bei der Geschäftsmodellanalyse des Unternehmens Wirecard AG mit Sitz in Aschheim. Dafür werden zuerst die theoretischen Grundlagen der Arbeit wie Digitalisierung und Geschäftsmodell erläutert. Anschließend werden die traditionellen Banken und Fintechs im Hinblick auf die digitalen Geschäftsmodelle gegenübergestellt. Abschließend findet eine Geschäftsmodellanalyse des Fintech-Konzerns Wirecard AG statt. Das Ziel der Untersuchung ist, Charakteristika, Rahmenbedingungen, notwendige Kompetenzen und Erfolgsfaktoren des Geschäftsmodells näher zu erläutern und sich dadurch ein besseres Verständnis darüber zu verschaffen. Daraus werden Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken des Geschäftsmodells abgeleitet.

Als Methode wird innerhalb dieser Arbeit die Literaturrecherche angewendet. Neben den Büchern, Sammelwerken und Zeitschriftaufsätzen, werden diverse Studien und Statistiken u. a. von Statista oder dem Statistischen Bundesamt einbezogen. Das Geschäftsmodell der Wirecard AG wird auf Grundlage des St. Galler Business Model Navigator analysiert.

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Digitalisierung

Im engeren Sinne versteht sich unter der Digitalisierung eine Umwandlung von analogen Daten und Inhalten in eine digitale Form. Als technischer Treiber der digitalen Transformation im Hardware-Bereich werden Elektronik und Mikrosystemtechnik mit verschiedenen Sensoren, Speichern und Prozessoren eingesetzt. Im Software-Bereich sind es programmierte Befehle und intelligente Algorithmen. Die Zusammenarbeit dieser Komponenten aus den beiden Bereichen ermöglichen automatisierte Vorgänge und Datenverarbeitung in Echtzeit.1 Flexible Bereitstellung von Ressourcen (Cloud und Mobile Computing), die Integration bisher IT-ferner Komponenten (Internet der Dinge) und die Erfassung und Verknüpfung noch größerer Datenmengen (Big Data) sind aktuell die bedeutsamsten Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) des digitalen Zeitalters.2 Mithilfe solcher IKT gewinnt die Digitalisierung kontinuierlich an Bedeutung – nicht nur für bestimmten Produkten und Dienstleistungen, sondern auch für unternehmensübergreifenden Wertschöpfungsketten.3

Im weiteren Sinne ist die Digitalisierung eine vielfältige Entwicklungsmöglichkeit der Menschheit, die bereits zu radikalen Veränderungen sowohl auf wirtschaftlichen als auch gesellschaftlichen Ebenen führte, und das ist erst der Anfang.4 Die Art und Weise, wie Menschen heutzutage miteinander kommunizieren, Geld bezahlen, einkaufen und allgemein: Wie effizient und produktiv sie ihre Alltagsprobleme durch digitale Technologien bewältigen können, war vor dreißig bis vierzig Jahren kaum vorstellbar. Ein Beispiel ist eine Banküberweisung. Um Geld zu überweisen, musste man früher zur Bank gehen, ein Überweisungsformular ausfüllen und es am Bankschalter abgeben. Gegenwärtig bieten fast alle Banken auch Online-Banking, wodurch eine Geldüberweisung mit einem Rechner oder einem mobilen Endgerät unabhängig von Standort und Zeitpunkt sekundenschnell getätigt werden kann.

Auf wirtschaftlicher Ebene bringt das digitale Zeitalter sowohl Chancen als auch Risiken mit sich. Durch die Digitalisierung getriebene Innovationen stellen Herausforderungen in fast allen Branchen nicht nur für Start-up-Unternehmen, sondern auch für gut etablierte Firmen dar.5 Wer von dem Anpassungsbedarf absah, musste die unerfreulichen Konsequenzen tragen. Ein klassisches Beispiel ist Kodak – vor vierzig Jahren Marktführer im Segment analoge Fotografie. 1976 betrug der Marktanteil des Unternehmens in den USA 85 % in Analogkameras und 90 % in dazugehörigen Filmrollen. Obwohl Kodak 1986 die erste Digitalkamera vorstellte, blieben die Chancen dieser Innovation ungenutzt. Der Hintergrund war einerseits, dass das Unternehmen diese Innovation als eine Bedrohung für sein eigenes, gut etabliertes Geschäftsmodell der Analogfotografie wahrnahm. Anderseits unterschätzte Kodak das Erfolgspotenzial der Digitalkamera.6 Erst, nachdem die digitale Fotografie anfing, Analogkameras bzw. Filmrollen aus dem Markt zu drängen, versuchte Kodak neue Strategien für Digitalkameras zu implementieren. Leider war es schon zu spät. Trotz eines langen Überlebenskampfs meldete Kodak 2012 Insolvenz an.7

Der Weg zur digitalen Transformation ist entlang verschiedener Wirtschaftsbereiche unterschiedlich stark ausgeprägt. Allerdings stehen die Unternehmen unabhängig von der Branche vor der Herausforderung, das System bzw. das Geschäftsmodell teilweise oder komplett zu überdenken.8 Anhand eines Monitoring-Reports „Wirtschaft DIGITAL 2018“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) lässt sich untermauern, dass der Grad der Digitalisierung in Unternehmen branchenabhängig ist. Innerhalb dieser Studie wurden die hochrangigen Entscheider aus 1.061 Unternehmen mit Sitz in Deutschland befragt, die ein Überblickwissen über den Stand der Digitalisierung in ihren Firmen haben.9 Auf der Abbildung 1 sind die Angaben über durch die digitalen Produkte und Dienstleistungen generierte Umsatzanteile am Gesamtumsatz nach vier verschiedenen Branchen zu sehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Digital generierte Umsatzanteile am Gesamtumsatz nach Branchen

Quelle: Eigene Erstellung; in Anlehnung an: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.) (2018), S. 31

In der Studie lässt sich klar identifizieren, dass die Dienstleistungsunternehmen durch die digitalen Leistungen relativ höhere Anteile ihrer Umsätze in 2018 als die Industrieunternehmen realisierten. Über 40 % der Finanz- und Versicherungsdienstleister gaben an, dass sie mehr als 60 % ihrer Jahresumsätze durch die digitalen Produkte und Dienstleistungen erzielten. Weitere 27 % in der Finanz- und Versicherungsbranche generierten dadurch Umsatzanteile zwischen 31 und 60 % am Gesamtumsatz. In der Branche Maschinenbau sind es hingegen nur 23 % der Unternehmen, die über 60 % Umsatzanteil mithilfe der Digitalisierung realisierten und 16 % der Unternehmen, die in die Kategorie Mittel (31–60 %) fallen.

Zusammenfassend gewinnt die Digitalisierung fortlaufend an besonders hoher Relevanz für die Geschäftsmodelle in stark datenbasierten Branchen wie Finanzdienstleistern. Mit dem Geschäftsmodell und den Geschäftsmodellinnovationen durch Digitalisierung wird sich im nächsten Abschnitt beschäftigt.

2.2 Geschäftsmodell

Was ist ein Geschäftsmodell? Darüber wird aktuell viel diskutiert und es finden sich diverse Definitionen in der Literatur. Gassmann et al. (2013) definiert das Geschäftsmodell kurz und präzise: „Zusammenfassend ist ein Geschäftsmodell darüber definiert, wer die Kunden sind, was verkauft, wie man es herstellt und wie man einen Ertrag realisiert. Kurz gesagt, das „Wer-Was-Wie-Wert?“ definiert ein Geschäftsmodell, wobei die ersten beiden „W“ die externe Dimension eines Geschäftsmodells adressieren und die letzten beiden „W“ die interne Dimension.“10 Die Abbildung 2 dient dazu, den Kern des Geschäftsmodells eines Unternehmens besser zu verstehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Das magische Dreieck mit den vier Dimensionen eines Geschäftsmodells

Quelle: Gassmann et al. (2013), S. 6

Dabei stehen die Kundensegmente (Wer?) im Mittelpunkt, die das Unternehmen durch sein Geschäftsmodell ansprechen möchte. Die zweite Dimension ist das Nutzenversprechen bzw. das Produkt oder die Dienstleistung (Was?), was das Unternehmen den Zielkunden innerhalb dieses Geschäftsmodells anbietet. Anschließend kommt die Wertschöpfungskette (Wie?) – die unternehmensinternen Aktivitäten und Prozesse, wodurch es dem Unternehmen gelingt, das Nutzenversprechen zu erzielen und damit die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen. Zum Schluss ist die vierte Dimension – die Ertragsmechanik (Wert?). Darunter versteht sich, wie der Wert erzielt wird. In dieser Dimension wird erklärt, warum ein Geschäftsmodell finanziell überlebensfähig ist und wie das Unternehmen Erträge generiert.11 Aufgrund der sich ständig ändernden Umweltbedingungen unterliegt das Geschäftsmodell dem permanenten Überprüfungsbedarf. Um die Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen langfristig zu sichern, reicht es also nicht aus, das Geschäftsmodell einmalig zu entwickeln, ohne es fortlaufend anzupassen.12 Einerseits der Wandel der Kundenwünsche und -bedürfnisse, anderseits durch die Digitalisierung getriebene technologische Fortschritte, sind Auslöser dafür, dass die Unternehmen manchmal nicht nur ihre bestehenden Geschäftsmodelle ändern, sondern ein innovatives, neuartiges Geschäftsmodell entwickeln. Neben den schon gut etablierten Unternehmen bringen solche Geschehnisse neue Mitspieler – Start-up-Unternehmen mit ihren innovativen Geschäftsmodellen – auf den Markt.13

Für die Veränderung, Ergänzung oder sogar die Neudefinition des Geschäftsmodells spielt die digitale Transformation eine bedeutsame Rolle. Es wird in verschiedener Literatur von den Geschäftsmodellinnovationen gesprochen, die durch die Digitalisierung getrieben werden. Dabei stehen im Mittelpunkt nicht nur die Produkt- oder Prozessinnovationen, sondern die Modifikation der Wertschöpfungssysteme des Unternehmens.14 Bei der Geschäftsmodellinnovation sind Zielobjekte die einzelnen Dimensionen des Geschäftsmodells oder das ganze Geschäftsmodell an sich. Die Abgrenzung von Produkt- und Prozessinnovation besteht darin, dass es bei einer Geschäftsmodellinnovation um eine Neugestaltung von mindestens zwei der vier Dimensionen (Wer? Was? Wie? Wert?) stattfindet.15 Das Ziel der Geschäftsmodellinnovation ist, einerseits Mehrwert für sich sowie für Kunden und Partner zu schaffen. Anderseits dient dieser Zusatznutzen dazu, sich gegenüber Wettbewerbern zu differenzieren und Wettbewerbsvorteile zu erlangen. All diese Komponenten stellen ein solides Fundament für das Wachstum des Unternehmens dar.16

Digitale Geschäftsmodelle zeichnen sich häufig mit einem hohen Innovationsgrad aus. Durch den disruptiven Innovationscharakter digitaler Geschäftsmodelle entstehen völlig neue Unternehmenstypen, neue Branchen und Marktgrenzen. So bietet das Unternehmen Uber internetbasierte innovative Dienstleistung – einen Vermittlungsdienst zur Personenbeförderung – über eine mobile App.17 Start-up-Unternehmen mit innovativen digitalen Geschäftsmodellen sind Bedrohungen für auf dem Markt gut etablierte Unternehmen. Außerdem führen die digitalen Geschäftsmodellinnovationen mit disruptivem Charakter zum Wandel der Branchenlogiken. Dementsprechend ist die langfristige Wettbewerbsfähigkeit für bisher erfolgreiche Geschäftsmodelle dadurch nicht mehr gesichert.18

Im 21. Jahrhundert sind intensive Auswirkungen der innovativen digitalen Geschäftsmodelle im Finanzsektor zu beobachten. Dem Markt der Bank- und Finanzindustrie traten einige sogenannte „Born-Digitals“ bei. Start-up-Unternehmen, die von Anfang an teilweise oder komplett digitalisiert auftreten, werden als „Born-Digitals“ bezeichnet.19 Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit dem Finanzsektor und dessen Entwicklung mit Fokus auf den digitalen Geschäftsmodellen. Dabei werden die traditionellen Banken sowie neue Akteure in der Branche analysiert.

3. Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle im Finanzsektor

3.1 Finanzsektor

In der Volkswirtschaftslehre besteht die Gesamtwirtschaft aus Realwirtschaft und Finanzsektor. In Rahmen der Realwirtschaft werden die gesamten Güter und Dienstleistungen produziert, vertrieben und konsumiert. Banken, Sparkassen, Börsen, Kreditkartenfirmen, Zahlungsverkehrsdienstleister, Fintech-Unternehmen, Versicherungsunternehmen und allgemein alle Institutionen, die hauptsächlich mit finanziellen Dienstleistungen beschäftigt sind, gehören hingegen zum Finanzsektor.20 Die Realwirtschaft – Produktion und Distribution von Gütern und Dienstleistungen – wird von Seiten des Finanzsektors mit Geld, Investitionen und Finanzierungen ergänzt. Die Finanzbranche leistet somit einen Beitrag zum Wachstum des realwirtschaftlichen Bereichs.21 Auf der makroökonomischen Ebene umfasst der Finanzmarkt vier Hauptfunktionen: Kapitalallokation, Risikotransfer, Selektion und Informationserzeugung (siehe Anhang 1 ).22 Die Banken und weitere Akteure des Finanzsektors nehmen dabei eine Vermittlerrolle auf dem Finanzmarkt ein.23 Erbringung dieser Dienstleistungen werden durch die Transaktionen ermöglicht, die ihrerseits Transaktionskosten für die Realwirtschaft verursachen. Laut Transaktionskostentheorie tragen geringe Transaktionskosten zur gesamtwirtschaftlichen Spezialisierung und Erhöhung der Produktivität einer Volkswirtschaft bei.24

Die drei Eigenschaften des Geldes machen es zum optimalen Mittel für die ökonomischen Transaktionen und für den wirtschaftlichen Handel. Erstens hat das Geld eine Tauschmittelfunktion. Gegenüber den Naturalien ist es viel einfacher, das Geld zu transportieren, zu portionieren, damit zu bezahlen und dessen Wert abzuschätzen. Zweitens besitzt das Geld eine Rechenmittelfunktion, wodurch alle Geschäfte monetär dargestellt werden können und damit miteinander vergleichbar sind. Drittens ist es eine Wertaufbewahrungsfunktion. Das Geld kann auf Wunsch erst zum späteren Zeitpunkt verwendet werden, was bei verderblichen Naturalien nicht möglich wäre. Das Geld ermöglicht somit, die Transaktionskosten zu senken.25

Von IKT getriebene Digitalisierung führte zu einer Virtualisierung des Geldes.26 Dadurch wurde das Geld noch flexibler und mobiler, sodass eine Bezahlung auch von größeren Beträgen ganz einfach mithilfe der digitalen Kanäle möglich ist. Dieser Wandel des Geldes leistete auch einen Beitrag zur Senkung der ökonomischen Transaktionskosten.27

Laut Statistischem Bundesamt betrug 2019 die Bruttowertschöpfung im Bereich Finanz- und Versicherungsdienstleistern in Deutschland 119,462 Milliarden (Mrd.) Euro.28 Dies stellt einen Anteil an der gesamten Bruttowertschöpfung Deutschlands in 2019 i. H. v. 3,86 % dar. Damit wurden die Grundinformationen über den Finanzsektor und dessen hohe volkswirtschaftliche Bedeutung aufgezeigt. Aufgrund des Kerns dieser Arbeit – eine Geschäftsmodellanalyse des Fintech-Unternehmens Wirecard AG – werden in folgenden Unterkapiteln die Fintech-Unternehmen und ihre Wettbewerber (die klassischen Banken) in Bezug auf den digitalen Geschäftsmodellen analysiert. Auf die anderen Akteure des Finanzsektors wird somit innerhalb dieser Arbeit nicht detailliert eingegangen.

3.2 Traditionelle Banken

Die Bankenindustrie lässt sich anhand ihrer Haupttätigkeiten dem Dienstleistungssektor zuordnen.29 Wie bei den anderen Dienstleisterunternehmen brachte die Digitalisierung auch für die klassischen Banken Herausforderungen, Risiken und Chancen mit sich. Der digitale Wandel und die Informationstechnik (IT) unterstützte die Automatisierung und Neugestaltung des Bankgeschäfts. Besonders in den letzten Jahrzehnten lässt es sich beobachten, wie neben den traditionellen Banken neue Akteure den Finanzsektor betraten. Neben den innovativen Fintech-Unternehmen (siehe Kap. 3.3) waren es auch große IT-Unternehmen, wie z. B. Apple oder Google, die das eigene mobile Bezahlverfahren Apple Pay bzw. Google Pay einführten. Somit definierte die Digitalisierung die Branchengrenzen der Finanzindustrie um.30

Die üblichen Tätigkeitsbereiche der klassischen Banken umfassen Einlagegeschäft, Wertpapierhandel, Zahlungsverkehrs- und Kreditgeschäft.31 Dabei wird zwischen Geschäfts- und Investmentbanken unterschieden. Die Hauptbereiche der Investmentbanken sind Wertpapierhandel, Vermögensverwaltung und Beratungsleistungen. Die Geschäftsbanken sind hingegen im Privatkundengeschäft tätig und bieten Dienstleistungen wie Kreditvergabe, Anlagemöglichkeiten sowie Geld- und Devisenhandel. Das Privatkundengeschäft, auch bekannt als das Retailbanking, beinhaltet u. a. den Zahlungsverkehr, die Kontoführung, das Anlage- und Finanzierungsgeschäft sowie das Kreditkartengeschäft.32

Besonders in der Wertschöpfungskette des Bankensektors spielen der Vertrieb und die Kommunikation eine entscheidende Rolle. Unter einem Vertriebs- und Kommunikationskanal versteht sich eine Lösung, wodurch die Banken ihre Kunden ansprechen bzw. persönlich beraten und ihnen die Leistungen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse anbieten. Noch vor dem digitalen Wandel galten die Geschäftsstellen als ein alternativloser Vertriebs- und Kommunikationskanal der Retailbanken. Dementsprechend versuchten die Kreditinstitute ihr Filialnetz auszubreiten und dadurch die Wettbewerbsvorteile sowie das Wachstum zu generieren.33 Nennenswerter Vorteil solcher Filialen besteht einerseits darin, dass die Retailbanken ihr komplettes Angebot von Finanzdienstleistungen an einem Ort anbieten können. Anderseits erlangen die Filialbanken heute immer noch durch persönlichen Kontakt und Beratung das Vertrauen der Kunden. Nachteile der Bankfilialen sind aus Kundensicht die beschränkten Öffnungszeiten und aus Bankensicht der Kostenaufwand für den Filialbetrieb.34

Die fortschreitende IKT und Digitalisierung eröffneten neue Chancen in der Wertschöpfungskette der Retailbanken. Die Banken setzten in den 1990er die Geldautomaten zur Selbstbedienung ein. Außerdem ermöglichte die Verbreitung von den persönlichen Rechnern (PC) und den Internetzugängen in den Haushalten komplett neue Vertriebs- und Kommunikationswege – den Online-Kanal.35 So passten die Filialbanken ihre Geschäftsmodelle der digitalen Transformation an und boten ihren Kunden Internetbanking an. Die digitale Lösung des Vertriebs und der Kommunikation gewann hohe Akzeptanz bei den Kunden. Aktuell ist es zu beobachten, dass weltweit mehr als die Hälfte der von Banken angebotenen Finanzdienstleistungen digital durchgeführt werden.36 Die Vorteile des Online-Bankings gegenüber den Geschäftsstellen sind einerseits die 24/7-Verfügbarkeit der automatisierten Standardleistungen – wie eine Kontostandabfrage oder eine Überweisung – und anderseits aus Bankensicht niedrigere anfallende Kosten sowie aus Kundensicht weniger Zeitaufwand zur Befriedigung der Finanzbedürfnisse.

In den letzten zwanzig Jahren ist eine Tendenz der sinkenden Anzahl der Bankstellen in Deutschland festzustellen. Einer der treibenden Ursachen dafür ist die Integration der digitalen Vertriebs- und Kommunikationskanäle in die Geschäftsmodelle der traditionellen Banken. Der Kostenreduktionsbedarf durch den erhöhten Wettbewerbsdruck ist als ein weiterer Grund anzunehmen.37 Die Abbildung 3 wurde auf Basis der Bankstellenberichte der deutschen Bundesbank im Zeitraum von 2000 bis zum Jahr 2019 erstellt und zeigt den Verlauf der Anzahl aller rechtlich selbständigen Kreditinstitute einschließlich deren Filialen in Deutschland.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Entwicklung der Gesamtzahl der Bankstellen in Deutschland

Quelle: Eigene Erhebung Sekundärdaten (siehe Anhang 2)

Wie in der Abbildung 3 zu sehen ist, sank die Anzahl der Geschäftsstellen der Banken kontinuierlich seit mindestens 1999. Bei nur noch 28.384 Einheiten im Jahr 2019 verringerte sich die Zahl der Bankstellen im Vergleich zum Jahr 1999 um 54 % in Deutschland. In dieser Statistik sind die Geschäftsstellen nicht einbezogen, in denen nur Geldautomaten oder Kontoauszugsdrucker ohne Personal bereitgestellt sind.38

Der digitale Wandel im Finanzsektor brachte neben den Chancen auch Risiken und Herausforderungen für die traditionellen Banken mit sich. Am Anfang des 21. Jahrhunderts erschienen neue Akteure auf dem Markt – Direktbanken.39 Sie fokussieren sich auf Standardleistungen und bieten diese Bankprodukte kostengünstig ausschließlich auf den telefonischen und Online-Vertriebs- und Kommunikationskanälen. Kostenführerschaft ist somit die Strategie der Direktbanken.40 Noch weiter hinaus im Laufe der Zeit entstanden weitere neue Wettbewerber aus dem Nicht-Finanzsektor, wie oben anhand des Beispiels von Google bzw. Apple erwähnt wurde. Sie zeichnen sich mit innovativen Geschäftsmodellen und günstigeren Kostenstrukturen aus.41 Besonders im letzten Jahrzehnt sind Fintech-Unternehmen nicht zu übersehen, die sich auf einzelne Bereiche der Wertschöpfungskette der Banken fokussieren und innovative, digitale, kundenorientierte Geschäftsmodelle entwickeln.42 Die Fintech-Unternehmen werden im folgenden Unterkapitel detailliert analysiert.

[...]


1 Vgl. Wittpahl (2017), S. 5.

2 Vgl. Lepping/Palzkill (2017), S. 21.

3 Vgl. Becker/Pflaum (2019), S. 9.

4 Vgl. Lepping/Palzkill (2017), S. 18.

5 Vgl. Oswald/Krcmar (2018), 9 f.

6 Vgl. Lucas/Goh (2009), S. 49 f.

7 Vgl. Kölling et al. (20.01.2012), S. 24.

8 Vgl. Berman (2012), S. 22.

9 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.) (2018), 74 f.

10 Gassmann et al. (2013), S. 7.

11 Vgl. Gassmann et al. (2013), S. 6.

12 Vgl. Horváth (2017b), S. 117.

13 Vgl. Kandolf (2016), S. 80.

14 Vgl. Ulrich/Fibitz (2019), S. 234.

15 Vgl. Gassmann et al. (2013), S. 9.

16 Vgl. Schallmo (2013), S. 29.

17 Vgl. Horváth (2017a), S. 82.

18 Vgl. Becker et al. (2019), S. 250 ff.

19 Vgl. Becker et al. (2017), S. 291.

20 Vgl. Gischer et al. (2012), S. 2.

21 Vgl. Spremann/Gantenbein (2019), S. 18 f.

22 Vgl. Spremann/Gantenbein (2019), S. 17 f.

23 Vgl. Gischer et al. (2012), S. 5.

24 Vgl. Alt/Puschmann (2016), S. 3.

25 Vgl. Gischer et al. (2012), S. 4.

26 Vgl. Alt/Puschmann (2016), S. 4.

27 Vgl. Wannhoff (2018), S. 40.

28 Vgl. Statistisches Bundesamt (2020) https://www.destatis.de, S. 61.

29 Vgl. Alt/Puschmann (2016), S. 8.

30 Vgl. Alt/Puschmann (2016), S. 21.

31 Vgl. Wurm et al. (2006), S. 11.

32 Vgl. Wurm et al. (2006), S. 13.

33 Vgl. Lieberknecht (2016), S. 26.

34 Vgl. Bieberstein (2015), S. 18 f.

35 Vgl. Dümmler/Steinhoff (2015), S. 75 f.

36 Vgl. Götzl (2016), S. 5.

37 Vgl. Deutsche Bundesbank (Hrsg.) (2020), S. 9 f.

38 Vgl. Deutsche Bundesbank (Hrsg.) (2020), S. 7.

39 Vgl. Dümmler/Steinhoff (2015), S. 76.

40 Vgl. Bieberstein (2015), S. 8.

41 Vgl. Götzl (2016), S. 6.

42 Vgl. Smolinski/Bodek (2017), S. 523.

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Digitale Geschäftsmodelle im Finanzsektor. Eine Geschäftsmodellanalyse des Unternehmens Wirecard AG
Hochschule
Universität Münster
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
45
Katalognummer
V980993
ISBN (eBook)
9783346333490
ISBN (Buch)
9783346333506
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bilanzskandal, Wirecard, Wirecard AG, Insolvenz, Geschäftsmodell, Finanzsektor, Fintech
Arbeit zitieren
Giorgi Baratashvili (Autor:in), 2020, Digitale Geschäftsmodelle im Finanzsektor. Eine Geschäftsmodellanalyse des Unternehmens Wirecard AG, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/980993

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Digitale Geschäftsmodelle im Finanzsektor. Eine Geschäftsmodellanalyse des Unternehmens Wirecard AG



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden