Der performative Akt in der Kunst. Eine Analyse der Werk-Betrachter-Beziehung


Hausarbeit, 2019

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

I. Einführung: Der Künstler im Werk

II. Performativität in der Kunst

III. Werk-Betrachter-Beziehung

IV a. Analyse Sally Mann: „Immediate Family"
IV b. Beispiel Sally Mann: „The Wet Bed"

V. Resümee: Der Betrachter im Werk

I Einführung: DerKünstlerimWerk

Während des Studiums wird ein immenser Zeitaufwand betrieben, um sich über die eigene Intention bei seinen Werken klar zu werden. Eine Intention, welche sich jedoch oftmals im eigentlichen Werk nicht wiedererkennen lässt. Die Absichten des Künstlers sind so individuell und privat, dass sie sich aus dem Blickwinkel des Betrachters ohne biografische Studien und großes Hintergrundwissen nicht herauslesen lassen.

Wenn es also nicht die Intention des Künstlers oder Fotografen - die beiden Begriffe werden im Folgenden synonym verwendet - ist, so stellt sich die Frage auf welcher Grundlage sich Werke analysieren lassen und welche Position dafür angenommen werden muss.

Roland Barthes unterteilt die Fotografie in drei Tätigkeiten, den operator (den Fotografen), das spectrum (das Fotografierte) und den spectator (den Betrachter).1 Dadurch, dass er selbst keinen Zugang zu den Gefühlsregungen des operator hat, entscheidet Barthes sich zu einer Beschränkung auf spectrum und spectator: „Nur zwei Erfahrungen standen mir zu Gebote: die des betrachtenden und die des betrachtenden Subjekts."2

So wie Barthes ergeht es vielen Betrachtern von Kunstwerken: Man kann keinerlei Bezug zum Künstler herstellen, man hat ihn nie kennengelernt, weiß nichts von ihm und hat selbst keine eigene künstlerische Herkunft. Während des Studiums vergesse ich oft, für wen ich meine Kunst wirklich mache: Wen möchte ich erreichen? Nicht meine Mitstudenten, noch weniger meine Professoren: Meine Fotografien sollten für alle Menschen dieser Welt gleichermaßen schlüssig sein. Sie sollten die Gesellschaft als solches erreichen und nicht die Künstlerelite, welche schlussendlich die geringe Minderheit der Welt darstellt. Es sollte nicht notwendig sein, sich erst mit mir auseinanderzusetzen, bevor man sich mit dem Werk auseinandersetzen kann.

Mein eigener Idealismus führt nun dazu, dass ich mich Barthes anschließe und Kunst unbefangen betrachten möchte. Ich trete zurück als Künstlerin, als Fotografin. Ich lasse meinem Werk den Vortritt und möchte auf dieser Grundlage näher auf die Beziehung zwischen den Betrachtern und dem Werk eingehen.

Es ist das, was meine Intention übersteigt: das Werk und die Aussage allein von diesem Werk ausgehend, welche für Betrachter sofort interessant werden kann. Die Relevanz einer Fotografie wird nie mit meinem Verlangen nach Relevanz einhergehen, sondern mit der Relevanz, welche der Betrachter dem Werk zugesteht.

Durch meine Beschäftigung mit der Werk-Betrachter-Beziehung behandle ich zusätzlich zu Barthes Erkenntnissen zur Einteilung der verschiedenen Abschnitte der Fotografie auch Modelle aus der Kommunikation, welche sich auf Kunstwerke anwenden lassen. Unter anderem kommt hier das Sender-Empfänger Modell von Claude E. Shannon und Warren Weaver3 zur Sprache, welches sich so übertragen ließe, dass der Sender in meiner Interpretation den Künstler, der Kanal das Werk und der Empfänger den Betrachter darstellt. Darüber hinaus erschien mir jedoch das Übertragen der Performativität aus der Sprechakttheorie interessanter und hilfreicher für die Analyse einer Werk-Betrachter Beziehung. Mit der Hilfe des performativen Aktes ließe sich die Relevanz und das von Künstlern oft herbeigesehnte folgernde Handeln nach Betrachtung eines Werkes entschlüsseln. Während das Shannon-Weaver-Modell noch den Sender (den Künstler) mit einbezieht, so bezieht sich der performative Akt ausschließlich auf das Verhalten zwischen Werk und Künstler und dessen Auswirkungen auf das Verhalten des Betrachters.

Natürlich spielt der Künstler eine unersetzliche Rolle; er ist der Schöpfer des Werkes und daher im ersten Sinne nicht trennbar von diesem. Für die Kreation einer Fotografie bedarf es den individuellen Blick des Fotografen, es bedarf aller biografischen Erlebnisse und jedes einzelnen geografischen Umstandes, um genau zu diesem einen Moment zu gelangen, welcher durch das Auslösen der Kamera festgehalten wird. Allerdings ist es fraglich, ob nach der Veröffentlichung und Verbreitung des Werkes, der Künstler für den Betrachter von allzu großer Bedeutung sein sollte. Denn es ist für den Rezipienten nicht Ziel, die Fotografie aus dem Blickwinkel des Künstlers zu verstehen; viel mehr möchte man es selber für sich verstehen, für sich selbst eine Schlussfolgerung ziehen ohne dass einem die Meinung des Künstlers aufgezwungen wird. So geht es lediglich darum, dass der Betrachter sich mit dem Werk auseinandersetzt, das Gesehene verarbeitet und daraus etwas folgert und - um den performativen Akt abzuschließen - auch daraus handelt.

Die Erfüllung dieser Performativität löst unausweichlich eine gesellschaftliche Relevanz aus, da das Werk damit beginnt, die Gesellschaft zu ändern. Umso mehr Menschen empfänglich für eine solche Schlussfolgerung aus dem Kunstwerk sind, umso größer ist der gesellschaftliche Wandel. Es ist daher unausweichlich, dass das Werk für die Mehrheit der Gesellschaft zugänglich und verständlich sein sollte, was eine Fokussierung auf die Biografie und Intention des Künstlers widersinnig erscheinen lässt.

II. Performativität in der Kunst

Um diese Korrelationen weitergehend zu analysieren, ist es unabdinglich, sich mit der Begrifflichkeit der Performativität näher auseinanderzusetzen. Diese wurde im Wesentlichen durch John L. Austin geprägt, indem er den Begriff verwendet, um den folgenden Zusammenhang zu beschreiben: Sprachliche Äußerungen können nicht nur einen Sachverhalt beschreiben oder eine Behauptung aufzustellen; darüber hinaus kann mit diesen auch eine Handlung vollzogen werden.4 Anstatt auf Beispiele aus der Sprechakttheorie, möchte ich aber in dieser Arbeit darauf eingehen, wie sich Austins Gedanke auf die Kunst übertragen ließe.

Dabei steht anstelle des Sprechaktes, das Werk respektive der Blickakt. Es ist also das Kunstwerk, welches durch die visuelle Darstellung einer Idee mit dem Betrachter in Kommunikation tritt. Nur durch diesen Sachverhalt kann es Kunst schaffen, Menschen so zu erreichen, dass eine Reaktion hervorgerufen wird und diese Betrachter darüber hinaus sogar ihr Handeln nach der Beschäftigung mit dem Werk ändern.

„Das performative eines Kunstwerks ist die Realität, die es - kraft seiner Existenz an einem Ort, in einer Situation, kraft seines Produziertseins, Rezipiertwerdens und Überdauerns - hervorzubringen vermag. ,Performativ' bezeichnet eine Setzungsmacht, die Macht Realität zu schaffen."5

Hantelmann stellt in ihrer Einführung zudem die These auf, dass jedes Kunstwerk performativ ist, da es kein nicht-performatives Kunstwerk geben kann. Weiterführend versucht sie allerdings in ihrer Arbeit zu erläutern, wie dieses geschaffen werden kann.

An diesem Punkt unterscheiden sich meine Ansätze zur Performativität deutlich von Hantelmanns. So nutzen wir auf den ersten Blick dieselbe Beschreibung für das Performative, wobei ich jedoch stärker auf die Bedeutung des Blickaktes für das Kunstwerk verweise.

Denn ein nicht betrachtetes Kunstwerk ist nicht performativ, wie Hantelmann auch schon in dem zitierten Abschnitt aufführt, dann jedoch nicht weiter darauf eingeht, dass es ohne Ausstellungsort, ohne Rezipierende, keinen performativen Akt gibt.

Jedes Kunstwerk hat also das Potential performativ zu sein, allerdings unterliegt das Ausführen dieses Potentials einigen Rahmenbedingungen: „[...] [F]ür das Gelingen performativer Äußerungen [müssen] eine Reihe nicht sprachlicher Bedingungen erfüllt sein. Andernfalls missglücken sie: Sie bleiben leeres Gerede ohne die Kraft, verändernd auf die Welt einzuwirken."6 Dies ist auch eine der wenigen Ausnahmen, bei der die Beschäftigung mit dem Künstler zum Verständnis und der Bewertung der Werk­Betrachter Beziehung von Wichtigkeit ist.

Denn es ist unbestreitbar, dass die Reichweite, der Bekanntheitsgrad sowie das ästhetische und künstlerische Talent dafür entscheidend sind, dass Kunstwerke betrachtet, angenommen und verstanden werden. Überträgt man also die hier von Fischer-Lichte gemachten Äußerungen über Performativität als Sprechakt auf die Kunst, so gelten die gerade genannten Rahmenbedingungen eines Werkes und deren Entstehung für das erfolgreiche Abschließen des performativen Akts. Zumindest wenn beabsichtigt wird „verändernd auf die Welt einzuwirken" muss eine große Reichweite vorhanden sein oder zur Verfügung gestellt werden. Dies kann durch eine Ausstellung in Galerien oder Museen erreicht werden, oder auch bereits indem ein Künstler auf sozialen Medien eine große Community hat und somit viele Menschen erreicht.

Nun ist es für den großen Teil der Künstler von immenser Wichtigkeit, bei Betrachtern eine entsprechende Reaktion und ein resultierendes Schlussfolgern sowie Handeln hervorzurufen. Darum stellt sich die signifikante Frage, wie das Werk und der Blickakt, die Eigenschaft haben können, performativ zu sein, ohne einen Sprechakt im ursprünglichen Sinn auszuführen.

III. Werk-Betrachter-Beziehung

Fischer-Lichte weist hier auf eine kunsthistorische Studie von David Freedberg (1989) hin. Auch er beschränkt sich bei seinen Überlegungen auf die Beziehung zwischen Werk und Betrachter. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit den Auswirkungen und Effekten, die Bilder auf den Betrachter haben. So beschreibt Fischer-Lichte seine Erkenntnisse: „Ganz gleich um welche Art von Bildern es sich handeln mag, seien sie imstande, religiöse Erfahrungen zu induzieren, Begehren zu erwecken, sexuell zu erregen, Tränen auszulösen, Wut und Aggression hervorzurufen."7

Dabei gilt es nicht außer Acht zu lassen, dass das Bild nicht gleich dem Sprechenden und der Betrachter gleich dem Empfangendem ist. Dazu lässt sich Fischer-Lichte weiter zitieren: „So wenig wie ein Text seine transformative Kraft ohne den Akt des Lesens zu entfalten vermag, gelingt dies dem Bild ohne den Blick des Betrachters."8 Aus dieser Argumentation heraus könne man nicht von einem Bildakt sprechen, sondern von einem „Blickakt". Dadurch rückt der Betrachter in eine aktive Rolle im performativen Akt. Dies lässt sich leicht dadurch bestätigen, dass Bilder ihren Wert verlieren, wenn sie nicht betrachtet werden.

Die Beziehung zwischen Werk und Betrachter ist daher niemals einseitig, sondern immer beidseitig. Obwohl es der Blick des Betrachters ist, der den performativen Akt initiiert, ist es das Werk, welches die Resultate beeinflusst und lenkt.

Um diesen Einfluss zu fassen, ist es notwendig, sich mit der Werksprache der Fotografie zu beschäftigen. Wie schafft es also ein Kunstwerk ohne tatsächliches Sprechen eine Handlung im Betrachter hervorzurufen?

Diese Aspekte des Werkes lassen sich in zwei Kategorien unterteilen:

(1) Kunstwerke können Gefühle, Werterlebnisse und Phantasien auslösen.9 Dazu ist es nicht notwendig, Biografien zu analysieren oder Symboliken und Metaphern zu verstehen. Gefühle können durch die Gestaltungsmittel im Besonderen ausgelöst werden. Daher sprechen abstrakte Gemälde oft auch in besonderer Weise die Gefühle und Empfindungen des Betrachters an. Ein simples Beispiel für diesen Effekt ist Farbenassoziation: So löst ein rotes Bild öfters Erregung, Spannung oder Aufmerksamkeit aus, da das Auge des Betrachters besonders empfindlich auf die Farbe reagiert. Völlig anders sind die Assoziationen und Wirkung von blauen Bildern, diese wirken vielmehrentspannend, beruhigend und harmonisch.
(2) Kunstwerke vermitteln Erkenntnisse und Einsichten, darüber hinaus erweitern sie das Verstehen unserer Wirklichkeit.10 Diese Erkenntnisse lassen sich in besonderer Weise durch bekannte Symboliken oder Metaphern, also durch die Analyse des Motivs übertragen. Überdies können für intensiveres Verständnis an dieser Stelle auch gesellschaftliche und historische Aspekte zur Hilfe gezogen werden.

Für (2) ist allerdings auch ein größeres Vorwissen zum Verständnis notwendig, weshalb auf den ersten Blick nur (1) für den Betrachter von Bedeutung sein kann, wenn dieser sich nicht intensiv mit dem Werk auseinandersetzen kann. Der erste Blick ist es auch, welcher das Resultat des performativen Aktes lenkt. Er bestimmt das anfängliche Gefühl mit welchem der Rezipient das Werk im Folgenden - durch das vermittelte Empfinden voreingenommen­tiefgehender betrachtet und auch bewertet.

Bei der weiterführenden Betrachtung und Bewertung des Kunstwerks rückt der Rezipient immer weiter in den Mittelpunkt des Aktes. Seine persönlichen Erfahrungen, Erlebnisse und Gedanken bestimmen maßgeblich die entsprechende Reaktion auf ein Werk. Um eine besondere Reaktion auszulösen kann es wichtig werden, dass der Betrachter sich im Werk wiederfindet. Es muss ihn persönlich ansprechen und bewegen, damit dem Werk genug Bedeutung zugeschrieben wird um darauf ausreichend zu reagieren, dass der performative Akt angestoßen und ausgeführt wird. Aus der tiefgehenden Betrachtung kann (2) anschließend von Wichtigkeit sein.

[...]


1 Vgl. Barthes (2019), 17.

2 Barthes (2019), 18.

3 Vgl. Weaver (1976), 16f.

4 Vgl. Fischer-Lichte (2012), 37.

5 Hantelmann (2007), 11.

6 Fischer-Lichte (2012), 38.

7 Fischer-Lichte (2012), 148.

8 Fischer-Lichte (2012), 149.

9 Vgl. Scholz (2001), 34.

10 Vgl.Scholz (2001), 34.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der performative Akt in der Kunst. Eine Analyse der Werk-Betrachter-Beziehung
Hochschule
Berliner Technische Kunsthochschule Hochschule für Gestaltung
Note
1,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
19
Katalognummer
V983546
ISBN (eBook)
9783346339041
ISBN (Buch)
9783346339058
Sprache
Deutsch
Schlagworte
performativität, kunst, fotografie, sally mann, mann, analyse, werk, Betrachter, werk analyse, beziehung, perfomative akt, akt, kinder, amateur, fotograf, fotografin, hausarbeit, bachelor
Arbeit zitieren
Anna Permesang (Autor:in), 2019, Der performative Akt in der Kunst. Eine Analyse der Werk-Betrachter-Beziehung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/983546

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