Vom Zusammenhang der autoritären, antidemokratischen Tendenzen und der Wissensgesellschaft


Hausarbeit, 2019

28 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Demokratie in der Krise
2.1. Wirtschaftliche Dimension
2.2. Soziale Dimension
2.3. Politische Dimension

3. Wissen und Demokratie
3.1. Wissensgesellschaft
3.2. Utopiekompetenz

4. Alternativen und Auswege

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Stattdessen (statt Parteiausrichtung, J.D.) ist in meinem Sinne jeder, der grundlegende rechtsstaatliche Werte wie die Redefreiheit oder die Gewaltenteilung vertritt, ein Verfechter des Liberalismus“ (Mounk 2018:36f.)

„Wir stimmen mit einer wachsenden Zahl von Beobachtern überein, dass wir in einer Wissensgesellschaft leben und dass das Verfügen über Wissen unabdingbar ist für die Schaffung und Wahrung von Autorität, sozialer Ungleichheit und persönlicher Identität“ (Stehr/Grundmann 2011:20)

Die Aufgabe dieser Arbeit soll in zweierlei bestehen: Einerseits soll der Zusammenhang zwischen der aktuellen politischen Situation, hinsichtlich einer eventuellen Krise der Demokratie (Mounk 2018) (Kap. 2) und der damit verbundenen autoritären-populistischen Versuchung (Heitmeyer 2018) sowie der politischen Bildung der Bürger (Brennan 2017; Reheis 2014) hergestellt werden. Diesen Zusammenhang zu betrachten, beruht auf der Idee der heutigen Gesellschaft, als eine globalisierte Wissensgesellschaft, die Bildung und Verständnis für größere Problemstellungen (Stehr und Grundmann 2011, 2015; Gross 1994) fordert und fördert (Kap. 3). Zweitens soll anschließend an die Diagnose gefragt werden, welche Gestaltungsmöglichkeiten die Ausgangslage bietet und verschiedene sehr gegensätzliche Vorschläge (Mounk 2018; Brennan 2017) betrachtet werden (Kap. 3).

Diese Vorschläge sind nötig, da sich viele Ereignisse in den letzten Jahren häuften, die von Experten als geradezu unmöglich eingestuft wurden, nichtsdestotrotz passierten. In liberalen Demokratien, die als gefestigt galten, fanden Umbruchwahlen, wie die Präsidentschaftswahl 2016 in den USA mit Donald Trump als populistischem Sieger oder das Votum für den Brexit, das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union, statt (vgl. Mounk 2018:36). So besteht viel Unsicherheit hinsichtlich einer Krise der Demokratie und Prognosen zu stellen ist schwierig. Das zeigt sich auch in Umfragewerten hinsichtlich des Vertrauens in das Sozial-, das Wirtschafts-, und das Politik-System, die stetig sinken in den letzten Jahren (vgl. Heitmeyer 2018:52).

In Deutschland lassen sich einige Marker für politische Umbrüche finden, die dieses Misstrauen förderten: Von 2003 bis 2006 fanden die hitzigen Debatten um die Einführung des Hartz 4-Systems und den politischen Kämpfen um den Wert von Arbeit statt. 2008 folgt die globale Finanzkrise, die einige der westlichen Staaten sehr hart trifft. Parallel dazu finden seit dem Terroranschlag des 11. September 2001, von 2004 bis 2017 immer wieder islamistisch motivierte Terroranschläge in westlichen Ländern statt, sodass auch diese Sicherheitskrise eine globale Bedrohung darzustellen scheint. 2011 dann, ebenso wie in den Folgejahren, kommt es zu Bürgerkriegen in Nordafrika und dem Nahen Osten, als Nachwirkungen des Arabischen Frühlings und politischen Umstürzen. Dabei führt insbesondere der Krieg in Syrien zu Fluchtbewegungen in Millionenzahl, von denen die ersten 2015 in Deutschland ankommen. Diese „Signaturen der Bedrohung“ (vgl. Heitmeyer 2018:92f.) der bisherigen politischen und sozialen Ordnung führen zu Krisengefühlen und „Verstörung“ der hiesigen Bevölkerung, wie sich schnell in Umfragewerten zeigt (vgl. Heitmeyer 2018:95ff.). Eine Orientierung in den Verhältnissen der Welt scheint immer schwieriger und die Angst vor Statusverlust nimmt zu (vgl. Heitmeyer 2018: 98f.). So wächst das Misstrauen gegenüber der etablierten Politik und den Eliten, weil so eine „kollektive Schuldzuweisung“ für das einzelne Individuum möglich wird (vgl. Heitmeyer 2018:105).

Dieses Missverhältnis von institutionell gesicherter Freiheit und Status, da sich zeigen wird, dass einige der Ängste inhaltlich unbegründet sind, zeigt sich in der Erschütterung der liberalen Demokratie und den Fragen danach, ob politische Bildung gegenüber denjenigen Politikern, die das demokratische System durch populistische, autoritäre Meinungen bedrohen, helfen kann. Es ist die Frage danach, dass es sich vielleicht:

„(...) tatsächlich um ein Problem der Informationslage und Wissensvermittlung handelt, manche wissen schlicht nichts über die Lebensverhältnisse der Unterprivilegierten oder Flüchtlinge. Bei anderen jedoch liegt eine ideologische Begründung vor: In einer bemerkenswerten Verzerrung gesellschaftlicher Zustände zum Zweck des Status- und Machterhalts will man es so genau nicht wissen, man blendet die Lage der Ärmeren aus. Die beiden Mechanismen sind durch besagte selektive Unaufmerksamkeit miteinander verbunden“ (Heitmeyer 2018:306).

Kurz gesagt: Welche Probleme hat die liberale Demokratie gegenüber den aktuellen globalen Entwicklungen und inwiefern müssen Bürger oder Politiker andere Wege einschlagen lernen um eine mögliche Krise der Demokratie abzuwenden?

2. Demokratie in der Krise

„Authoritarianism is on the march. It is not only on the march in relatively poor countries. It is on the march in well-off countries, too — including, most significantly, the US, the country that defended and promoted liberal democracy throughout the 20th century“

So beginnt Martin Wolf seinen Artikel in der Financial Times im Januar 2019. Eine düstere Diagnose insbesondere mit seinem Verweis auf die finanziell gute Situation vieler dieser Staaten, in denen der Autoritarismus um sich greife. Vielmehr seien es jetzt Länder, wie die USA, die liberale Demokratie gefordert, gefördert und verteidigt hätten, die jetzt unterwandert würden. Wilhelm Heitmeyer, langjähriger Autoritäts- und Gewaltforscher, legt in seinem Buch „Autoritäre Versuchung“ von 2018 dar, wieso er die Verbreitung des Autoritarismus ursächlich in ökonomischen Integrationszwang und soziale Desintegration als zwei Seiten derselben Medaille sieht, da in einer rasant globalisierten Welt, die Konkurrenz hoch sei, die Solidarität aber niedrig und der damit verbundene Kontrollverlust sowohl individuellpersönlich als auch gesellschaftlich und in der sozialen Ordnung spürbar seien (vgl. Heitmeyer 2018: 2018:18ff.). Somit sei das Aufkommen von autoritären Strömungen in der Politik auch den ökonomischen und sozialen Umständen der Gesellschaft zuzuordnen: „Deshalb wäre es zu kurz gegriffen, die Entstehung von autoritären Versuchungen nur als Fehlentwicklungen des politischen Systems erklären zu wollen“ (vgl. Heitmeyer 2018: 2018:21). Stattdessen handelt es sich um Interdependenzen zwischen allen drei Instanzen, die hier nacheinander verhandelt werden sollen, um eine bessere Übersichtlichkeit herzustellen.

2.1. Wirtschaftliche Dimension

Als wirtschaftliche Dimension soll sich folgend in aller Kürze einigen Kennzeichen für faktischen Wohlstand gegenüber dem Empfinden von Bürgern ihres Wohlstands sowie eines globalen Ungleichgewichts gewidmet werden. Wie lässt sich nun erklären, dass trotz des vergleichbar großen Wohlstandes vieler industriell hochentwickelter Staaten wirtschaftliche Unsicherheit einer der wesentlichen Faktoren für die Schwächung der Demokratie sein soll (vgl. Wolf:2019). Weil Fakten und Empfinden auseinandertreiben „Letztlich kommt es vielleicht weniger auf ökonomische Realität als auf die ökonomischen Ängste an“ (Mounk 2018:183; vgl. Gross 1994:144), so formuliert es Yascha Mounk treffend. Es handelt sich also mehr um eine gefühlte Verschlechterung und eine bestimmte Zukunftsvision als um die wirklichen wirtschaftlichen Umstände, so die Diagnose verschiedener Theoretiker. Trotzdem lassen sich einige Veränderungen feststellen: Allen voran die Globalisierung, die mit hohen sozialen Kosten für die Individuen einhergeht. Denn wie groß der Abstand zwischen Arm und Reich auch jahrhundertelang gewesen sein mag, es gab eine Stabilität, die mit Einsetzen der Industrialisierung aufgeweicht wurde und im 20. Jahrhundert zu einem sprunghaften Wirtschaftswachstum führte, was die bisherige Kluft nur noch vertiefte (vgl. Heitmeyer 2018: 32; vgl. Mounk 2018: 177f.). Dieses Wachstum konnte sich allerdings nur bis in die 1980er in gleichem Maße halten, die relative Stagnation, die dann folgte, führte zu einer Unsicherheit, die stark auf einem Generationenversprechen beruhte, das besagt, dass die Kindergeneration stetig einen noch höheren Status als die Elterngeneration erreichen würde (vgl. Mounk 2018: 179ff.). Heute lässt sich insgesamt zusammenfassen, dass „während die Ungleichheit global abnimmt, weil arme Länder sehr viel schneller wachsen als reiche, die Ungleichheit innerhalb fast jeder Gesellschaft zugenommen (hat) (...) Dafür gibt es zahlreiche Gründe: Der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Die Globalisierung. Die Automatisierung“ (vgl. Mounk 2018:50), also jene Errungenschaften, die das Wirtschaftswachstum erst ermöglichten. Damit hatten sich aber eben auch die Steuerungsmechanismen der Wirtschaft verändert und globalisiert, transnationale Gremien, wie die Europäische Union, verhandeln nun die Wirtschaftsbedingungen, ausgerichtet auf eine freie, kapitalistische Wirtschaftsweise, sodass nationale Wohlfahrtsstaatssysteme ins Hintertreffen geraten können, was zur Folge hat, dass „(...) mit der transnationalen Entwicklung sowohl des Kapitalmarktes als auch politischer Institutionen eine zunehmende Anonymisierung einhergeht“ (vgl. Heitmeyer 2018: 42), was auch das Vertrauen in diese Institutionen verringert (vgl. Mounk 2018: 182). Der kollektive, national staatliche Kontrollverlust der Wirtschaft bedeutet für die Individuen, die sich an diese Systembedingungen anpassen müssen, einen Flexibilisierungszwang und einen individuellbiografischen Kontrollverlust (vgl. Heitmeyer 2018: 43; zum Gewicht von Wirtschaftseliten gegenüber Bürgerverbänden vgl. Brennan 2017: 94). Diese Entwicklungen seien nicht unumkehrbar, aber „die Maßnahmen, die dafür nötig wären, kompliziert, unpopulär und langwierig“ (vgl. Brennan 2017: 50), weshalb das Verhältnis von Wirtschaft und Politik gespannt bleibt und die Vermischung von politischen und wirtschaftlichen Sphären, zum Beispiel durch Lobbyismus, für Außenstehende undurchdringlich scheint (vgl. Brennan 2017: 98ff.). Letztlich lässt diese Unübersichtlichkeit die Lücke für leichte Antworten offen, die von populistischen Politikern benutzt werden kann (vgl. Kap. 2.3).

2.2. Soziale Dimension

Neben den in aller Kürze angerissenen wirtschaftlichen Faktoren, die eine mögliche Krise der Demokratie bedingen können, gibt es auch soziale Entwicklungen, die ein demokratisches politisches System vor Aufgaben stellen können. Zunächst nennt Mounk statistische Umfragen, die verdeutlichen, wie das Vertrauen in die Demokratie seit Beginn der Zählungen in den 1930er Jahren im internationalen Vergleich stetig sank (vgl. Mounk 2018: 126f.; vgl. Heitmeyer 2018: 52), während die Zahl der Befragten, die sich eine starke Führung an der Spitze eines Staates wünschen, gestiegen sei (vgl. Mounk 2018: 129). Als ein Beispiel dafür, wie eine Erschütterung in das Grundvertrauen den Nährboden für populistische Politik eröffnet, sieht Mounk in Polens politischer Entwicklung (vgl. Mounk 2018: 152f). Aber dies ist nur eine Analyse der gesellschaftlichpolitischen Lage, wichtiger ist zu verstehen, welche Gründe dafür bei den verschiedenen Theoretikern genannt werden. Heitmeyer greift dafür systematisch einige Ereignisse der letzten Jahre heraus, die er als „Signaturen der Bedrohung“ (vgl. Heitmeyer 2018: 95ff.) in Deutschland zu identifizieren glaubte, die zu einer sozialen Orientierungslosigkeit und der Angst vor Statusverlust beitrugen (vgl. Heitmeyer 2018: 98f.). Dazu zählen beispielsweise die Flüchtlingsbewegungen, die 2015 Deutschland erreichen und sich schnell als einen Anstieg der Krisengefühle und „Verstörung“ in den Umfragen der Bürger niederschlagen (vgl. Kap 1). Dieser Kontrollverlust führe zu einer höheren autoritären Aggression und damit zur Anfälligkeit für die autoritäre Versuchung (vgl. Heitmeyer 2018:166), da Misstrauen gegenüber etablierter Politik und Eliten (vgl. Heitmeyer 2018:103f.; Mounk 2018: 320) ebenso steigt, wie die Anzahl von Verschwörungstheorien als Zeichen des Misstrauens gegenüber staatlichen Institutionen. Dadurch verschärft sich die „Aufkündigung der Solidaritätsnormen“ (vgl. Heitmeyer 2018:106), wie beispielsweise die Ablehnung humanitärer Hilfe als Teil der Völker- und Menschenrechte sowie ein „Verschwimmen von Raumpositionen“ innerhalb des klassischen politischen Links-Mitte-Rechts-Spektrums (vgl. Heitmeyer 2018: 110). Darin zeigt sich eine „rohe Bürgerlichkeit“ als „die Tatsache, dass unter einer dünnen Schicht zivilisiert-vornehmer (>bürgerlicher<) Umgangsformen autoritäre Haltungen verborgen sind, die immer deutlicher sichtbar werden, meist in Form einer rabiater werdenden Rhetorik“ (vgl. Heitmeyer 2018:310). Diese Diagnose lässt sich gut auf Jason Brennans namentlich an Popkultur angelehnte, idealtypische Einteilung in eine seiner Wählergruppe übertragen (2017: 19ff.). Diese bezeichnet er als „Hooligans“ und charakterisiert sie als rhetorisch eindeutig und inhaltlich einer Meinung treu, wo hingegen „Hobbits“, das Gegenstück auf dem Pol, kaum bis gar kein Interesse an politischgesellschaftlichen Themen vorweisen würden. So zeichnen sich Hobbits durch Unwissen und Apathie aus, während Hooligans als voreingenommen und fanatisch bezeichnet werden können (vgl. Brennan 2017:52,397ff.). Lediglich Vulkanier, die dritte und letzte Gruppe, besäßen den nötigen rationalen Sachverstand für komplexe politische Fragestellungen, aber dazu später mehr. Anschließen lässt sich wieder mit einer Differenz: Zwischen Empfinden bzw. Ausdruck der Individuen und dem Blick auf die historische Entwicklung der Gesellschaft. Während argumentiert wird, dass doch erst das zwanzigste Jahrhundert pluralistische Gesellschaften mit Lebensgestaltungsoptionen und Freiheitlichkeit hervorbrachte (vgl. Traue 2010: 287), folgen für die Individuen daraus auch wieder Zwänge der Einordnung und Entscheidung, welche zunehmend losgelöst von den traditionell überlieferten Gewissheiten getroffen werden müssen (vgl. Traue 2010:290). Exemplarisch zeigt sich diese Veränderung von Übersichtlichkeit in Unübersichtlichkeit im Umgang mit (sozialen) Medien, so Mounk. An die Stelle von Zeitungen und Fernsehsendern als Hauptnachrichtenquelle tritt das Internet und soziale Plattformen, wo eine Eineindeutigkeit der (politischen) Position und Überprüfbarkeit der Aussagen wesentlich schwerer fällt (vgl. Mounk 2018: 164f.), was Fake News und einen gesichtslosen Extremismus ermöglicht (vgl. Mounk 2018: 169f.), dafür aber auch Liberalisierung und Meinungsfreiheit erleichtert (vgl. Mounk 2018: 166f.). So entsteht das Paradox des Internets, dass einerseits die Überwachung, wie zum Beispiel durch den Verfassungsschutz, gleichzeitig schwieriger und doch extensiver wird (vgl. Mounk 2018:173f.; Brennan 2017:73f.). Für die populistischen Kräfte bietet diese Art der Nachrichtenverbreitung einerseits zwar die Möglichkeit klassische Medien zu untergraben, aber ebenso könnte sich auch ein Funken des Widerstandes abzeichnen: „Aber sobald Populisten die Regierung übernehmen und anfangen, ihre vielen Versprechen zu brechen, werden sie vielleicht unsanft daran erinnert werden, dass die sozialen Medien es auch den neuen Outsidern viel einfacher machen, sich gegen ihre Herrschaft aufzulehnen“ (Mounk 2018: 176), so formuliert Mounk das vielleicht revolutionäre Potenzial der sozialen Medien für alle Seiten. Es bleibt letztlich für die Analyse genauso unklar wie spannend den Einfluss der sozialen Medien in Verbreitung und Unantastbarkeit, im Sinne von Schwierigkeit Nutzerverhalten zu unterbinden, auf die Instabilität von politischen Systemen abzuschätzen, aber dass ein Einfluss vorliegt, ist nicht abzustreiten (vgl. Mounk 2018:314ff.). Es bleibt, dass diejenigen Medien, die kritisch hinterfragen als die natürlichen Feinde von populistischen Versuchungen gelten können, so argumentiert zumindest Mounk, da sie helfen ihre Alternativlosigkeit in Frage zu stellen (vgl. Mounk 2018:58f.), „(...) da der Populist behauptet, er und er allein repräsentiere den Volkswillen“ (Mounk 2018:61). An diesen Punkt soll später mithilfe der Darlegung von moderner Gesellschaft als Wissensgesellschaft näher angeknüpft werden (vgl. Kap. 3.1), mit der Frage, ob bessere Informiertheit durch Experten denn wirklich hilft, da „(...) da draußen eine endlose Fülle von (weitgehend) sinnloser Information herumschwirrt, aus der allein er (der Experte) die wichtigen Elemente herauszufischen und in einen Sinnzusammenhang zu bringen in der Lage ist“ (Stehr und Grundmann 2015:46).

Bevor sich allerdings im letzten Teil dieses Kapitels der politischen Dimension gewidmet werden kann, ist noch ein Aspekt näher zu betrachten, den Mounk unter „Identität“ zu verhandeln such und ebenfalls bereits bei Heitmeyer, ebenso wie bei den Überlegungen zur Freiheitlichkeit pluraler Gesellschaft anklang: Multiethnizität. Es ließe sich argumentieren, dass während historische Großreiche mit verschiedenen Ethnien und Kulturen unter einem starken Herrscher als politische Systeme gut funktionierten, demokratische Nationalstaaten insbesondere von der angeblichen Homogenität ihrer Bürger aufrechterhalten würden, im Sinne des Zusammenschlusses derjenigen, die sowieso zusammengehören (vgl. Mounk 190ff.). Durch Zuwanderung wird zwar wirtschaftliches Wachstum gefördert, aber dieses eindimensionale Verständnis von Demokratie ideell gestört und so Ängste geweckt (vgl. Mounk 2018: 193). Gerade in Regionen, wo die Zahl der Einwanderer sehr gering ist, sind die Vorurteile ihnen gegenüber dafür umso größer, da der Kontakt mit ihnen fehlt, womit sich Möglichkeiten für populistische Tendenzen, die sich gegen Zuwanderung aussprechen, öffnen (vgl. Mounk 2019:199f.). Dass die Spaltung der Gesellschaft aber allein auf ethnischer Zugehörigkeit beruht, lässt sich hinterfragen, eher kann man zu dem Schluss kommen, dass das Zugehörigkeitsgefühl zu irgendeiner Gruppe wesentlich für die Gemeinschaftsbildung ist. Brennan legt dies exemplarisch für das Wahlverhalten dar: Theoretisch beruhe eine Demokratie auf Diskussionen bis zur Konsensbildung, sprich es würde ein neutraler Diskurs über Argumente, wie es dem schon eingeführten Idealtypus des Vulkaniers entsprechen würde, geführt (vgl. Brennan 2017: 110ff.). Tatsächlich weisen die meisten Individuen aber vorgefasste Meinungen zu fast allen Belangen auf, die nur schwer abzulegen sind und insbesondere auf einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit, egal ob Ethnie oder sonstige, als sogenannten Intergroup Bias beruhen. Das bedeutet, dass das Ausblenden anderer Rollen für die neutrale Diskussion eines Themas schwer bis unmöglich ist, was zu emotionalen und voreingenommenen Meinungen führt (vgl. Brennan 2017: 74f., 115, 119ff.). Entsprechend kritisiert Brennan auch die Auswertung von Wahlverhalten als Ausdruck eines Individuums, weil kaum nachzuvollziehen sei, welche Gedanken und Gefühle wirklich mit der Wahlentscheidung verbunden würden (vgl. Brennan 2017: 240). Letztlich lässt sich, egal aus welcher Argumentation eines festhalten: eine Einheitlichkeit der Gesellschaft, egal ob wir sie mal hatten oder nicht, ist nicht leicht herzustellen, aber „Wir neigen zu motiviertem Denken: Wir versuchen, zu Überzeugungen zu gelangen, die emotional zufriedenstellend sind und unsere Unsicherheit verringern“ (vgl. Brennan 2017:76). Der Versuch sozialer Sinnstiftung scheitert also an der Unübersichtlichkeit und Uneindeutigkeit moderner, globalisierter Gesellschaft, welche gleichzeitig die Vorzüge von Pluralität und Freiheit ausweist, exemplarisch sichtbar an sozialen Medien oder auch der Haltung gegenüber Zuwanderungsbewegungen.

2.3. Politische Dimension

Als politische Dimension soll hier, im Gegensatz zur sozialen Dimension, die des Staatssystems und der verschiedenen Steuerungsinstitutionen näher betrachtet werden. Dabei zunächst einige begriffliche Ausdifferenzierungen eng angelehnt an einen der drei Denker, derer sich in dieser Arbeit tiefer bedient wird. Yascha Mounk liefert eine Unterscheidung zwischen Demokratie, Liberalismus, liberaler Demokratie, illiberaler Demokratie und undemokratischen Liberalismus, die sehr hilfreich zur Analyse einzelner politischer Systeme ist. Zunächst beruht sein Verständnis von Demokratie auf dem Kriterium der Wahl, des Wahlrechts und Institutionen, die diese Wahlen ermöglichen, während Liberalismus und andere historisch gewachsene Institutionen insbesondere Rechtsstaatlichkeit, im Sinne von Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und ähnliche hervorbringe (vgl. Mounk 2018:37). Eine liberale Demokratie sei dabei das ideale politische System um Menschenrechte, und damit beispielsweise Minderheiten, zu schützen und den Willen des Volkes effektiv durch Wahlen und parlamentarische Verfahren umzusetzen. Die illiberale Demokratie hingegen kann zwar Wahlen aufweisen, die den Willen des Volkes in eine Regierung gießt, wenn dabei aber Minderheiten missachtet werden, widerspricht das den Menschenrechten. Zuletzt bezeichnet Mounk ein politisches System, in dem eine Elite die Regierung stellt und nicht dem Volkswillen entspricht als undemokratischen Liberalismus (vgl. Mounk 2018:38f.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Vom Zusammenhang der autoritären, antidemokratischen Tendenzen und der Wissensgesellschaft
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie)
Note
1.0
Autor
Jahr
2019
Seiten
28
Katalognummer
V983901
ISBN (eBook)
9783346342676
ISBN (Buch)
9783346342683
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zusammenhang, tendenzen, wissensgesellschaft
Arbeit zitieren
Jasmin Dierkes (Autor:in), 2019, Vom Zusammenhang der autoritären, antidemokratischen Tendenzen und der Wissensgesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/983901

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Vom Zusammenhang der autoritären, antidemokratischen Tendenzen und der Wissensgesellschaft



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden