Obdachlosigkeit und Stadt. Sozialräumliche Exklusionsprozesse am Beispiel des Berliner ÖPNV


Term Paper (Advanced seminar), 2017

12 Pages, Grade: 1,3

Anonymous


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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Begriffsklärung

Wissenschaftlicher Hintergrund
2.1 Einordnung in die politische Geographie
2.2 Gesellschaftliche Wahrnehmung von Obdachlosen
2.3 Formen räumlicher Exklusion

Exklusion im Berliner ÖPNV
3.1 Maßnahmen
3.2 Wahrnehmung von Betroffenen

Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Einleitung

Obdachlosigkeit stellt in Großstädten wie Berlin eine nahezu unübersehbare Problematik dar. Insbesondere in den kalten Wintermonaten entfacht die Präsenz von Obdachlosen im städtischen Raum regelmäßig öffentliche Debatten in Berlin. Je kälter die Nächte sind desto mehr werden überdachte und windstille öffentliche Plätze als Aufenthalts- und Schlaforte in Anspruch genommen und desto sichtbarer wird das Problem der Obdachlosigkeit für die Gesellschaft. Dazu trägt beispielsweise die Öffnung vereinzelter U-Bahnhöfe (2016/2017 in Berlin: U Schillingstraße und U Südstern) als Not-Schlafplatz bei, die unterschiedliche Reaktionen von Unwohlsein über Mitleid bis hin zu verstärktem Engagement in der Gesellschaft hervorrufen.

Die Zahl Wohnungsloser Personen in Deutschland nimmt stetig zu. Von 2012 bis 2014 ist die Zahl laut der BAG W 1 Wohnungslosenhilfe um etwa 18% angestiegen, auf schätzungsweise 335.000 Menschen. Der Anteil von auf der Straße lebenden, obdachlosen Menschen ist dabei um etwa ein Drittel von 26.000 auf 39.000 gestiegen. Die Prognose ist stark steigend (vgl. Abb. 1). In Berlin gelten etwa 10.000 bis 11.000 Menschen als wohnungslos, davon schätzungsweise die Hälfte als obdachlos (vgl. BAG W 2015).

Entwicklung der Zahl der Wohnungslosen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hierbei handelt es sich jedoch um ein Schätzungsmodell basierend auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, Zuwanderung, Sozialhilfebedürftigkeit, regionaler Wohnungslosenstatistiken und Blitzumfragen. Genaue Zahlen und Statistiken sind aufgrund der hohen Dunkelziffer nicht möglich (vgl. ebd.). Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielschichtig und sollen aufgrund ihrer Komplexität in dieser Untersuchung nicht weitergehend ergründet werden.

Obdachlose Menschen (Def. siehe S. 4), denen es in der Regel an Rückzugsorten mangelt, sind wie kein anderer auf öffentliche Räume angewiesen. Trotzdem oder gerade deshalb gelten eben jene oftmals als unerwünschte Personen und werden aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Dazu werden seitens der verantwortlichen Akteure diverse stadtplanerische und architektonische sowie ordnungspolitische Maßnahmen ergriffen.

In dieser Seminararbeit werden zunächst die Begriffe „Obdachlosigkeit“ und „Wohnungslosigkeit“ definiert. Daraufhin wird der wissenschaftliche Forschungsstand um die gesellschaftliche Wahrnehmung von Obdachlosigkeit und die Formen von räumlicher Exklusion knapp beleuchtet. Am Fallbeispiel Berlin wird schließlich untersucht, ob und inwiefern sozialräumliche Exklusionsprozesse im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) stattfinden. Auch der Aspekt der Wahrnehmung betroffener Personen wird in diesem Zusammenhang anhand von qualitativen Befragungen aufgegriffen. Die Hauptforschungsfrage der Untersuchung lautet:

Welche Maßnahmen zur Verdrängung obdachloser Menschen finden im Berliner ÖPNV Anwendung?

Begriffsklärung

Zunächst sollen die Begriffe Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit definiert und voneinander abgegrenzt werden. In Deutschland gibt es keine offizielle, einheitliche Definition. Zur Begriffsklärung soll daher die ETHOS „European Typology on Homelessness and Housing Exclusion“ von 2005 herangezogen werden (vgl. Abb. 2) .

Demnach gelten Personen nicht nur als wohnungslos, wenn sie auf der Straße leben, sondern ebenso, wenn sie beispielsweise in kommunalen Einrichtungen wie Wohnungsloseneinrichtungen, in Frauenhäusern oder in Einrichtungen für Migrantinnen/Asylbewerber untergebracht sind oder privat bei Familie und Freunden unterkommen. In dem Falle ist zwar kein fester, geschweige denn zureichender Wohnsitz vorhanden, aber die Personen können vorrübergehend in geschlossenen Räumen nächtigen.

Obdachlosigkeit stellt die prekärste Form der Wohnungslosigkeit dar. Gemeint sind damit Personen ohne festen Wohnsitz. Sie leben entweder auf der Straße und an öffentlichen Plätzen, oder kurzzeitig in Notunterkünften und sind damit an die Öffnungszeiten dieser Unterkünfte gebunden. Damit sind obdachlose Personen besonders abhängig von öffentlichem Raum. Deshalb sollen sie als Personengruppe in dieser Arbeit im Fokus stehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: ETHOS Typologie für Wohnungslosigkeit

Quelle: BAWO 2005

Wissenschaftlicher Hintergrund

2.1 Einordnung in die politische Geographie

Verdrängungsprozesse setzen sich zusammen aus sozialer Exklusion auf der einen Seite und räumlicher Exklusion auf der anderen. Somit stellen sie ein komplexes Gefüge von Raum, Macht und gesellschaftlichen Prozessen dar, welches sowohl in der politischen Geographie als auch in der Soziologie und weiteren Forschungsbereichen bereits unter diversen Aspekten untersucht wurde und wird. In der geographischen Betrachtung spielt dabei der Einfluss der räumlichen Komponente eine tragende Rolle.

2.2 Gesellschaftliche Wahrnehmung von Obdachlosen

Die gesellschaftliche Wahrnehmung ist in der Betrachtung der verdrängenden Maßnahmen von Bedeutung, da sie als Begründung und Basis für jene dient. Obdachlose Menschen haben mit gesellschaftlicher Stigmatisierung zu kämpfen und werden häufig mit Unsicherheitsgefühlen assoziiert (vgl. SCHINDLAUER, 2015). Daher befürchten u.a. Gewerbetreibende, dass sich die Präsenz dieser Personengruppe auf das Image und den Erfolg des Gewerbes auswirkt. Obwohl der Anteil an obdachlosen Personen in Deutschland relativ hoch ist, sind laut einer Studie des Heidelberger Institutes lediglich 4% mit einer obdachlosen Person bekannt oder befreundet (vgl. FRANK-LANDKAMMER, 2008). Der Einfluss der Medien und der Politik ist daher in der Darstellung und Wahrnehmung Obdachloser umso größer. In der Berichterstattung lassen sich auffällige Muster erkennen. Erstens scheint sich der Ton, in dem über Obdachlosigkeit berichtet wird, mit den Jahreszeiten zu wandeln. In der kalten Jahreszeit und insbesondere um die Weihnachtszeit herum überwiegen empathische Berichte über mangelnde Notunterkünfte und die schwierigen Verhältnisse, in denen sich Betroffene befinden, Aufrufe zu Spenden und groß angepriesene Aktionen wie gesponserte Festessen. Im Sommer dagegen wird vermehrt ein Vorgehen gegen die Präsenz von Obdachlosen gefordert (vgl. SCHINDLAUER 2015a, S. 10) . Außerdem wird in der Berichterstattung ein stereotypisches Bild vom ungepflegten, übelriechenden, Drogen und Alkohol konsumierenden, männlichen Langzeit-Obdachlosen vermittelt. Dass diese Beschreibung nur auf einen Teil der Personen zutrifft geht dabei oft unter.

Dass diese Darstellungen die Wahrnehmung von Individuen prägen, die keinen Kontakt Personen pflegen, die auf der Straße leben, wird deutlich in alltäglichen Diskussionen. Oft wird die Unwilligkeit zum Spenden damit begründet, dass die Einnehmer des Geldes es lediglich für Drogen ausgeben würden, womit Obdachlose als eine komplett homogene, stereotype Gruppe dargestellt werden. Auch begegnet man in Diskursen pauschale und Unverständnis ausdrückende Aussagen wie „keiner in Deutschland muss obdachlos sein“, womit ein selbstgewähltes und damit nicht nachvollziehbares Leid impliziert wird.

Jedoch lassen sich derzeit Ansätze beobachten, die mangelnden persönlichen Kontakte zu stärken. Beispielsweise werden über das Projekt „querstadtein“ seit 2013 Stadtführungen von ehemals Obdachlosen angeboten, die ihren Blick auf die Stadt Berlin vermitteln und dabei ihre persönlichen Geschichten erzählen und Fragen beantworten (vgl. STADTSICHTEN E.V.). Nachbarschaftstreffen erleben momentan in Folge der Flüchtlingswelle einen Aufschwung und unterstreichen die Bemühungen, Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen zusammenzubringen und dadurch die gegenseitige Toleranz zu stärken. Es werden Anreize zur Ehrenamtsarbeit gesetzt, welche teilweise an Universitäten wie dem Sozialwissenschaften-Institut der Humboldt Universität angerechnet werden oder mit einer steuerfreien Ehrenamtspauschale entschädigt werden kann. So trifft man in Notübernachtungen wie der Traglufthalle an der Frankfurter Allee vorwiegend junge Menschen an, die sich mit der individuellen Situation der Gäste auseinandersetzen und das gesellschaftlich verbreitete Image hinterfragen.

2.3 Formen räumlicher Exklusion

Nach der Kategorisierung von räumlicher Exklusion von M. Teuscher gibt es 3 grundlegende Formen der Exklusion: die Reglementierung des Raums, die Sanktionierung der Anwesenheit und die latente Hinderung an der Nutzung (vgl. Abb.3) , wobei sich die genannten Formen teilweise zwangsläufig überschneiden. Hierbei unterscheidet Teuscher zwischen harten (H) und weichen (W) Formen. Je mehr dieser Formen von Exklusion angewandt werden, desto höher ist der Grad der Exklusion (vgl. TEUSCHER 2014, S.23) . Die Kategorien werden wie folgt definiert:

„Reglementierung! kann in Form des Gesetzes, qua Kategorien anhand welcher legale Interventionen in bestimmten Nutzungsformen möglich sind oder vollzogen werden exkludierend sein, oder aber durch eine starke Nutzungssteuerung, die sich ebenso gesetzlich in der Gestalt von Nutzungsfest- bzw. -Vorschreibungen (harte Form) oder aber in expliziten stadtplanerischen Absichten zur Steuerung der Nutzungsformen des öffentlichen Raumes exkludierend wirksam werden (weiche Form)

„Sanktionierung meint weiche oder harte Formen der Disziplinierung einer bestimmten Nutzungsform in Gestalt eines informellen Wegschickens, der Androhung von Sanktionen bzw. die Möglichkeit auf solche zurückzugreifen oder die unmittelbare körperliche Verbringung“.

„Latenz meint, dass entweder durch die materiellen Gestaltungselemente des öffentlichen Raumes, durch Überwachung und Kontrolle (bspw. Video-Überwachung, Polizeipräsenz) oder aber durch eine anderweitige Nutzung des öffentlichen Raums bestimmte Personengruppen latent benachteiligt bzw. exkludiert werden" (vgl. ebd., 23 f.) .

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Formen der räumlichen Exklusion

Quelle: TEUSCHER 2014

Im Folgenden soll anhand dieser Kategorisierung betrachtet werden, ob und inwiefern Formen der räumlichen Exklusion im Berliner Personennahverkehr angewandt werden.

Exklusion im Berliner ÖPNV

3.1 Maßnahmen

Der ÖPNV stellt eine Sonderform des öffentlichen Raumes dar. Oliver Frey kategorisiert den öffentlichen Raum nach Nissen in folgende drei Typen (vgl. DEINET 2009)

1. „öffentliche Freiräume" (Grünanlagen, Parks, Straßenraum, etc.)
2. „öffentlich zugängliche verhäuslichte Räume" (Kaufhäuser, Shopping-Malls, Bahnhöfe, etc.)
3. „Insitutionalisierte öffentliche Räume" (Vereine, Schulen, Kirchen, etc.)

[...]


1 Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.

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Details

Title
Obdachlosigkeit und Stadt. Sozialräumliche Exklusionsprozesse am Beispiel des Berliner ÖPNV
College
Humboldt-University of Berlin
Grade
1,3
Year
2017
Pages
12
Catalog Number
V986015
ISBN (eBook)
9783346343406
Language
German
Keywords
obdachlosigkeit, stadt, sozialräumliche, exklusionsprozesse, beispiel, berliner, öpnv
Quote paper
Anonymous, 2017, Obdachlosigkeit und Stadt. Sozialräumliche Exklusionsprozesse am Beispiel des Berliner ÖPNV, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/986015

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