Erwerb moralischer Normen - Theorien und empirische Befunde
Moral - eine Begriffsbestimmung
Def.: - Ansicht über “Gut und Böse”
- v.d. Gesellschaft aufgestellt Normen: Gebote, Verbote, Pflichten, Verantwortlichkeit
Funktion: 1) soziobiologisch
2) soziokulturell
Legitimität: dr. Religionsgründerer gottgegeben
dr. demokratisch gewählte, regierende Partei stellvertretend für das Volk dr. die Tradition geschichtlich verankert
Internalisierungsstadien: - Erwerb v. Wissen über Normen inkl. ihres Geltungsbereiches
- Annerkennung des Geltungsanspruches
- Befolgung
Nachweis der Internalisierung: 1) Bedingung der externalen oder internalen Motivation
2) Schuldgefühl
3) Befähigung zur Urteilsfällung
Vermittlungsinstanzen: - die Familie
- peer-groups
Korrelanz: zu kognitiven Prozessen, jedoch keine zu Delinquenz, Ehrlichkeit, sozialer Verantwortlichkeit!
Differenzierung: moralische Überzeugung - moralischer Wissen/Kompetenz - moralisches Handeln
Im Manuel er-kannt: Immanuel Kant (1748 - 1804)
- Vertreter der philosophischen Ethik
- sein anerkanntetes Moralkriterium: Universalisierbarkeit einer Norm bzw. deren Erarbeiten und Etablieren
- der kategorische Imperativ: “Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allg. Gesetzgebung gelten könne!”
Was bringt’s: der Utilitarismus
- nach J.Bentham (1748-1832), J.St.Mill (1806-1873), Pareto (1848-1932)
- streng pragmatisch orientierte Definition von Moral
- alleiniger Zweck ist die Maximierung des Gemeinwohles
- nicht auf Kosten Einzelner
- Maßstab ist der Profit der Schlechtgestelltesten
von Murmeln und Menschen: Jean Piaget (1896- 1980)
- Entwicklungstheorie von 1932
- durch Beobachten und Befragen von ca. 100 Kindern beim Murmelspiel in Genf
- Annahme: - Moral ist ein System von Regeln (Murmelspiel)
- hier kein elterlicher Einfluss auf kindl. Handeln
- Art kindl. Mikrokosmos der Moral, ausgerichtet nach jeweiligem Entwicklungsstand
- Stadien: 1) idiosynkratisches Stadium (0 - 3 Jahre)
- Regeln physikalischen Dingen gleich
- Egozentrismus
2) Heteronomie (3/5 - 8/10 Jahre)
- sacred rules
3) Autonomie (ab ca. 10 Jahren)
- Sozialvertrag und Kooperation
Pubertät: s.g. “kritische Phase”, alles relativ
4) ideologisches Stadium (nicht zwingend)
- politisch-gesellschaftlicher Gesamtkontext
Stufen der Gerechtigkeit: Lawrence Kohlberg
- Differenzierung des Ansatzes nach Piaget und Integration der sozialen Perspektive
- Hauptinteresse galt den Begründungen und normativen Urteilen bzw. Entscheidungskriterien
- Mittel zum Zweck: das moralische Dilemma
(hier das “Heinz-Dilemma”)
- Stadienmodell: - hierarchischer Aufbau
- kein Überspringen, keine Regression
- Streben nach höheren Stufen
- Studien an 72 Chicagoer Jungen (10,13,16 Jahre alt) und 10 hypothetischen Dilemmata zugleich der Ausgangspunkt für Längsschnittstudie
- Stadien: - Stufen abhängig von der Qualität der Denkweise bei der Dilemma-Lösung
- 3 Hauptstadien (nach Piaget) mit je 2 Unterteilungen [Abb.Rückseite]
- keine Psychometrie trotz Altersabhängigkeit [Abb.18.1]
- zunehmende Stufen zeigen kontinuierliche Ausweitung der einzubeziehenden Einflussfaktor [Abb.4]
Stadium I präkonventionelles Niveau
´ Stufe1 Lohn und Strafe (bis 10 Jahre)
“ Heinz sollte nicht Stehlen, er sollte das Medikament kaufen. Wenn er das Medikament stiehlt, könnte er ins Gefängnis kommen und müsste das Medikament dann doch zurück geben. ”
Stufe 2 Pragmatismus (10-13 Jahre)
“ Heinz sollte das Medikament stehlen, um das Leben seiner Frau zu retten. Er mag dafür ins Gefängnis kommen, aber er hätte immer noch seine Frau. ”
Stadium II konventionelles Niveau
Stufe 3 Heile Welt (13-16/18 Jahre)
“ Wäre ich Heinz, hätte ich das Medikament für meine Frau gestohlen. Liebe hat keinen Preis. ”
Stufe 4 Law and order
“ Wenn man sich heiratet, schwört man sich Liebe und Treue. Eine Ehe ist nicht nur Liebe, sie bedeutet auch eine Verpflichtung, genau wie ein gesetzlicher Vertrag. ”
Stadium III postkonventionelles Niveau
Stufe 5 Sozialvertrag vs.individuelle Rechte
Stufe 6 Ethische Prinzipien & Überindividualität
“ Es gibt hier mehr als nur einen Konflikt. Offensichtlich besteht für Heinz der Konflikt darin, ob er seiner Frau willen das Gesetz brechen soll. Auf Seiten des Apothekers muss es jedoch ebenso einen Konflikt zwischen Mitleid und dem allgemeinnützigen Interesse, Geld zu verdienen, geben.”
Das Mittel der Wahl: der M-U-T
- mach G.Lind (von 1978) [Abb. Rückseite]
- in Anlehnung an Kohlberg: Vorgabe von moralischen Dilemmata i.F.v. 2 Kurzgeschichten
- Vorgabe von je 6 Pro-und Kontra-Argumenten
- Bewertung durch Vp nach dem Grad der subjektiven Akzeptabilität
- Auswertung: - nach 3 symmetriebedingten Faktoren
- kein Summenscore, sondern intraindividuelles Psychoprofil
1) Faktor Stufe
2) Faktor ProCon
3) Faktor Story
“Nichtmal der liebe Gott darf das”: die neuesten Erkenntnisse
- Studie von Fr.E.Weinert an 200Kindern, Frage nach der Differnzierung bei der kindlichen Urteilsfällung
- moralische Dillemata i.F. unmoralischen Verhaltens eines Bildergeschichtenheldes
- Fazit: - Kinder verfügen über angeborene Empathiefähigkeit
- charakteristisch ist die Kluft zw. moralischen Wissen und moralischen Wollen
- Irrelevanz der Konsequenzen für Täter und Opfer
- Legitimität rein kategorisch
- Fähigkeit zur Differenzierung zw. verhandelbaren/variierbaren und unbedingten moralischen Normen!
- wichtig: - Demonstration von Kompromissfähigkeit
- Symmantik
Die Moral von der Geschicht’: Fazit
- sehr frühe Fähigkeit zu moralischen Handeln
- schrittweises Vorverlegen der Kompetenzschwellen
- Differenzierung zw. dem Wissen von Moral und dem Handeln
- keine Uniformität
- Frage: Gibt es auch noch moralische Entwicklung im Alter? Gibt es männliche und weibliche Moral?
Ist ein MQ-Test möglich und nötig?
Mal wieder Lust auf ein gutes Buch?: verwendete Literatur
- Schönpflug & Schönpflug (‘83): Psychologie, die Seiten 57-60
- Bourne & Ekstrand (‘92): Einführung in die Psychologie, die Seiten 338-349
- Oerter & Montada (‘87): Entwicklungspsychologie, die Seiten 862-894
- Heidbrink (‘92): Gerechtigkeit - Eine Einführung in die Moralpsychologie
- Heidbrink (‘91): Stufen der Moral, die Kapitel 1., 2. und 4.1.4.
- Steiner (‘84): Kindler’s Psychologie des 20. Jahrhunderts, Band 1, die Seiten 348-383
Häufig gestellte Fragen
Was ist Moral laut diesem Text?
Moral wird als eine Ansicht über "Gut und Böse" definiert. Es handelt sich um von der Gesellschaft aufgestellte Normen, einschließlich Gebote, Verbote, Pflichten und Verantwortlichkeit. Die Funktion der Moral ist sowohl soziobiologisch als auch soziokulturell. Die Legitimität der Moral kann religiös (von Religionsgründern als gottgegeben), demokratisch (durch eine gewählte Partei stellvertretend für das Volk) oder traditionell (geschichtlich verankert) begründet sein.
Welche Internalisierungsstadien moralischer Normen werden unterschieden?
Die Internalisierung moralischer Normen umfasst den Erwerb von Wissen über Normen inklusive ihres Geltungsbereiches, die Anerkennung des Geltungsanspruches und die Befolgung der Normen. Der Nachweis der Internalisierung erfolgt durch die Bedingung externaler oder internaler Motivation, Schuldgefühle und die Befähigung zur Urteilsfällung.
Welche Vermittlungsinstanzen für Moral gibt es?
Die wichtigsten Vermittlungsinstanzen für Moral sind die Familie und Peer-Groups. Es gibt eine Korrelation zu kognitiven Prozessen, jedoch keine Korrelation zu Delinquenz, Ehrlichkeit oder sozialer Verantwortlichkeit.
Wer war Immanuel Kant und was ist sein kategorischer Imperativ?
Immanuel Kant (1748-1804) war ein Vertreter der philosophischen Ethik. Sein anerkanntes Moralkriterium ist die Universalisierbarkeit einer Norm bzw. deren Erarbeiten und Etablieren. Der kategorische Imperativ lautet: "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allg. Gesetzgebung gelten könne!"
Was besagt der Utilitarismus?
Der Utilitarismus (nach J.Bentham, J.St.Mill, Pareto) ist eine pragmatisch orientierte Definition von Moral. Der alleinige Zweck ist die Maximierung des Gemeinwohles, aber nicht auf Kosten Einzelner. Maßstab ist der Profit der Schlechtgestelltesten.
Wie sieht Jean Piagets Entwicklungstheorie der Moral aus?
Jean Piagets Entwicklungstheorie (1932) basiert auf Beobachtungen von Kindern beim Murmelspiel. Er nimmt an, dass Moral ein System von Regeln ist und dass Kinder einen eigenen Mikrokosmos der Moral entwickeln, ausgerichtet nach ihrem jeweiligen Entwicklungsstand. Die Stadien sind: idiosynkratisches Stadium (0-3 Jahre, Regeln = physikalische Dinge, Egozentrismus), Heteronomie (3/5-8/10 Jahre, "sacred rules"), Autonomie (ab ca. 10 Jahren, Sozialvertrag und Kooperation) und ein optionales ideologisches Stadium (pol.-gesellsch. Gesamtkontext).
Was sind die Stufen der Gerechtigkeit nach Lawrence Kohlberg?
Lawrence Kohlberg differenzierte den Ansatz von Piaget und integrierte die soziale Perspektive. Sein Hauptinteresse galt den Begründungen und normativen Urteilen bzw. Entscheidungskriterien. Er nutzte moralische Dilemmata (z.B. das "Heinz-Dilemma"). Sein Stadienmodell ist hierarchisch aufgebaut (kein Überspringen, keine Regression, Streben nach höheren Stufen). Er unterscheidet 3 Hauptstadien (präkonventionell, konventionell, postkonventionell) mit je 2 Unterteilungen.
Wie funktioniert der Moralische Urteils-Test (M-U-T) nach Georg Lind?
Der M-U-T (von 1978) ist in Anlehnung an Kohlberg. Es werden moralische Dilemmata in Form von Kurzgeschichten vorgegeben. Zu jeder Geschichte gibt es 6 Pro- und Kontra-Argumente, die von den Versuchspersonen nach dem Grad der subjektiven Akzeptabilität bewertet werden. Die Auswertung erfolgt nach 3 symmetriebedingten Faktoren: Stufe, ProCon, Story. Es wird kein Summenscore berechnet, sondern ein intraindividuelles Psychoprofil erstellt.
Was sind die neuesten Erkenntnisse zur kindlichen Urteilsfällung (Weinert)?
Eine Studie von Fr.E.Weinert (200 Kinder) untersuchte die Differenzierung bei der kindlichen Urteilsfällung. Moralische Dilemmata wurden in Form von unmoralischem Verhalten eines Bildergeschichtenhelden dargestellt. Fazit: Kinder verfügen über angeborene Empathiefähigkeit. Charakteristisch ist die Kluft zw. moralischen Wissen und moralischen Wollen. Die Konsequenzen für Täter und Opfer sind irrelevant. Die Legitimität ist rein kategorisch. Kinder haben die Fähigkeit zur Differenzierung zw. verhandelbaren/variierbaren und unbedingten moralischen Normen. Wichtig ist die Demonstration von Kompromissfähigkeit und Symmantik.
Was ist das Fazit zur Moralentwicklung laut diesem Text?
Die Fähigkeit zu moralischen Handeln ist sehr früh vorhanden. Es gibt ein schrittweises Vorverlegen der Kompetenzschwellen. Es wird differenziert zw. dem Wissen von Moral und dem Handeln. Es gibt keine Uniformität. Es werden Fragen aufgeworfen, ob es auch noch moralische Entwicklung im Alter gibt, ob es männliche und weibliche Moral gibt und ob ein MQ-Test möglich und nötig ist.
Welche Literatur wird in dem Text referenziert?
Referenzierte Literatur umfasst: Schönpflug & Schönpflug (‘83): Psychologie, Bourne & Ekstrand (‘92): Einführung in die Psychologie, Oerter & Montada (‘87): Entwicklungspsychologie, Heidbrink (‘92): Gerechtigkeit - Eine Einführung in die Moralpsychologie, Heidbrink (‘91): Stufen der Moral, Steiner (‘84): Kindler’s Psychologie des 20. Jahrhunderts, Band 1, und das Magazin “Psychologie heute” 12/00.
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- Sebastian Kunert (Autor), 2001, Erwerb moralischer Normen-Theorien und empirische Befunde, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98707