Digitale Medien im Sozialisationsprozess. Chancen und Risiken durch medialen Einfluss


Trabajo Escrito, 2019

24 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhalt

1. Einleitung

2. Was ist Sozialisation?

3. Mediensozialisation
3.1. Rolle der digitalen Medien in den Lebenswelten
3.2. Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung in den digitalen Medien
3.3. Basistheorien der Mediensozialisation
3.4. Veranschaulichung

4. Chancen und Risiken der Sozialisation über digitale Medien
4.1. Schlussfolgerung
4.2. Medienkompetenzen
4.3. Ausblick

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Sozialisation ist ein essenzieller Teil der menschlichen Entwicklung, um in Gesellschaften partizipieren zu können und eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Dieser Prozess ist stets eingebunden in einen gesellschaftlichen Rahmen, der durchgehenden Veränderungen ausgesetzt ist. Diese Veränderungsprozesse wirken sich auf viele Bereiche unseres Lebens und somit auch auf die Sozialisation aus.

Seit einiger Zeit sind durch einen der Veränderungsprozesse, die Digitalisierung, ebenfalls die digitalen Medien in unser Leben getreten. Diese stellen Herausforderungen an die Sozialisationsforschung und die Sozialisationsinstanzen. Die Rolle der Medien im Sozialisationsprozess würden unterschiedlich aufgefasst werden. Für die einen seien die digitalen Medien nur eine neue Sozialisationsinstanz, der aber weiter nicht viel Bedeutung zukomme, andere beharren auf den festen Platz der digitalen Medien im Sozialisationsprozess von Heranwachsenden. Daher stellen sich fragen wie „Wie vollzieht sich die Sozialisation mit und über Medien unter aktuellen gesellschaftlichen und medialen Bedingungen?“ und „Welche Herausforderungen und Potentiale für kulturelles Lernen sind damit verbunden?“ (Demmler & Wagner, 2012/2013).

In dieser Arbeit gehe ich der Frage nach, welche Rolle digitale Medien in dem Sozialisationsprozess spielen, und welche Chancen und Risiken durch den Einfluss dieser entstehen können.

Zuerst werde ich klären, welcher Sozialisationsbegriff der Arbeit zu Grunde liegt. Darauf möchte ich die Mediensozialisation genauer untersuchen, indem ich zuerst die Rolle der digitalen Medien in der Lebenswelt veranschauliche, wie sich diese im Sozialisationsprozess verorten lassen, welche Basistheorien der Mediensozialisation zugrunde liegen, sowie die Ausführungen an Beispielen verdeutlichen.

Anschließend werde ich mögliche Chancen und Risiken der Sozialisation durch Medien präsentieren, eine eigene Schlussfolgerung ziehen, das Konzept der Medienkompetenz diskutieren, sowie einen abschließenden Ausblick geben.

Zusätzlich werde ich auch einen ausgewählten Aspekt der Sozialisationsforschung betrachten und auf die Forschungsdebatte über Relevanz der Medien in der Sozialisation eingehen. Dabei gehe ich, besonders bei der Veranschaulichung der Mediensozialisation und den Chancen und Risiken der Sozialisation durch Medien, überblicksartig auf ausgewählte Aspekte ein, um verschiedene Fassetten der Phänomene aufzuführen.

2. Was ist Sozialisation?

Um die Sozialisationsprozesse, die in und über die digitalen Medien stattfinden zu begreifen, muss erst einmal geklärt werden, was Sozialisation überhaupt ist. Ich werde im Folgenden den Begriff „Sozialisation“ umreißen und ihn von anderen Begriffen abgrenzen, um darzulegen welchem Verständnis diese Arbeit zugrunde liegt.

Eine präzise Erfassung des Begriffs sei, aufgrund von mehreren theoretischen Fragen und Problemstellungen, die mit diesem Begriff einhergehen, noch nie einfach gewesen (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S.12). Eine jedoch zentrale, welche dem Begriff zugeordnet werden kann, wäre: „Wie und warum wird aus einem Neugeborenen ein autonomes, gesellschaftliches Subjekt? Oder anders gefragt: Wie kommt die Welt ins Individuum?“ (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S.12). Ein Mensch komme, so behaupte Durkheim 1973, mit unbestimmten und plastizierbaren Dispositionen zur Welt. Die menschliche Persönlichkeit müsse sich erst in der sozialen Umwelt entwickeln und der Mensch mit den unbestimmten und plastizierbaren Dispositionen erst auf die Gesellschaft vorbereitet, sprich sozialisiert werden (Durkheim 1973, zit. nach Niederbacher & Zimmermann, 2011, S.12). Die Entwicklung der Persönlichkeit sei demnach durch das Soziale bedingt. So könnte ein einzelner Mensch auf einer einsamen Insel keine Persönlichkeit entwickeln. Damit wende sich das Verständnis von Sozialisation gegen eine rein biologische Determinierung der Persönlichkeit. Ebenso wird das Subjekt dargestellt, als ein Subjekt, welches nicht frei von gesellschaftlichen Einflüssen und wissenschaftlichen Erklärungen ist. Dabei stehe das „Erzieher-Zögling-Verhältnis“ nicht allein im Mittelpunkt der Betrachtung, auch wenn es eine wichtige Rolle im Sozialisationsprozess einnehme (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S.12). In diesem Verhältnis, da ein neugeborenes Kind, ob es will oder nicht, in ein bestimmtes kulturelles System hineingeboren werde, sei es die Aufgabe des Erziehers, dem Kind die Möglichkeit zu geben, sich dieses kulturelle System, Sprache, Deutungsmunster und weiteres anzueignen. Und damit komme ich zur ersten Abgrenzung, denn trotz des zentralen Status des „Erzieher-Zögling-Verhältnis“, ist dieses nicht mit Sozialisation gleichzusetzen. Sozialisation sei nämlich ein größerer Begriff als Erziehung, da er mehr umfasse, als die bewussten Versuche eines Erwachsenen den Kindern bestimmte Werte und Normen zu vermitteln. Erziehung ermögliche also das Aneignen gesellschaftlicher Erfahrung, sei damit aber nur eine Form für mögliche Sozialisation. Diese Abgrenzung wird auch daran deutlich, dass Erziehung eine „bewusste und geplante Einflussnahme“ (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S.15) sei und Aneignung gesellschaftlicher Erfahrungen nicht nur durch bewusste und geplante Einflussnahme möglich sei (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S.13).

Des Weiteren sei Sozialisation als Aneignungsprozess nicht mit einem Anpassungsprozess zu verwechseln. Und damit komme ich zu der zweiten Abgrenzung: Aneignung impliziere, dass die Kinder die Werte und Normen des kulturellen Systems nicht eins zu eins übernehmen. Denn Kinder seien aktive, veränderungsfähige Subjekte, welche so folgern Niederbacher und Zimmermann, nicht nur sozialisiert werden, sondern sich auch selbst sozialisieren (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S.13; Süss et.al., 2018, S.19). Weiterführend sei Sozialisation ebenso von dem Begriff „Entwicklung“ abzugrenzen. Dieser Begriff werde auch häufig als Synonym oder Gegenbegriff genannt, dabei hätten die Begriffe Ähnlichkeiten, als auch Unterschiede und es komme auf die Akzentuierung in einem bestimmten Sachverhalt an (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S.14). Entwicklung sei als eine Reihe von Veränderungen zu verstehen in der Reifung und Lernen gleichermaßen eingeschlossen seien. Die Entwicklung des Menschen umfasse mehrere Phasen. Bei Betrachtung dieser Phasen, liege der Fokus unter anderem auf den fundamentalen Eigenschaften eines Menschen. Demnach kann in diesem Prozess auch die Aneignung gesellschaftlicher Erfahrungen, sprich Sozialisation, betrachtet werden, allerdings könne ebenfalls Größe oder Massenzunahme des Menschen gemeint sein (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S.14), welche nicht unter Sozialisation zu fassen sind.

Unter Berücksichtigung der aufgeführten Abgrenzungen und Rahmungen sei Sozialisation ein Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S.15). Persönlichkeit sei hierbei als spezifisches Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen, also psychischen Dispositionen, und Handlungskompetenzen eines Menschen zu verstehen. In dieser Arbeit werde ich mich daher auf Sozialisation im Allgemeinen und den Prozess der Persönlichkeitsentwicklung beziehen. Zentral sei bei dieser Darstellung von Sozialisation, dass aktive Mitgestalten der eigenen Sozialisation (was die Menschen zu gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekten mache), das Deutungs- und Bedeutungsthema einer Gesellschaft oder Gruppe (Kultur) welche die Heranwachsenden versuchen würden sich anzueignen und die Institutionen, welche (neben anderen) diese Kultur und Werte vermitteln würden (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 15-16).

Wie könnte man die Persönlichkeitsentwicklung theoretisch verorten? Als Beispiel ziehe ich eine im erziehungswissenschaftlichen Kanon gängige Sozialisationstheorie heran: Die Theorie 3 des symbolischen Interaktionismus von Georg H. Mead. In dieser entstehe Persönlichkeit als Produkt aus einer eher sozialen Komponente, dem „Me“ und der eher psychischen Komponente dem „I“. Das „Me“ präsentiere die Vorstellung, was andere Menschen in einem Individuum sehen würden und wie es sich zu verhalten habe. Es speichere diese ausgehandelten Erwartungen und entwerfe demnach handlungsleitende Strukturen und Orientierungen. Hier wird die wechselseitige Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen Umwelt und dem „Me“, welches einen Faktor der Persönlichkeit darstellt, deutlich. Das „I“ vertrete hingegen spontane und impulsive Energien einer Person. Aus dem Zusammenwirken der Faktoren ergebe sich dann das „Self“, nämlich das Selbstverständnis und Selbstbild von sich als Person. Das „Self würde der reflexiven Intelligenz des Menschen, dem „Mind“, zum Objekt werden. Erst aus dem komplexen Zusammenspiel von „Me“, „I“, „Self“ und „Mind“ sei nach Mead die Entstehung der Persönlichkeit des Menschen und sein Handeln erklärbar. Soziales Handeln werde in dieser Theorie als symbolisch vermittelte Interaktion verstanden, die sich in wechselseitigen Interpretationen von Situationen, Rollenerwartungen und Handlungen vollziehe (Hurrelmann, 2006, 92-93). Damit gehe Mead vom Modell eines kreativ seine Umwelt verarbeitenden und gestaltenden Menschen aus (Hurrelmann, 2006, S.94), welches sich mit der Umschreibung des Heranwachsenden nach Niederbacher und Zimmermann, der seine Sozialisation aktiv mitgestaltet, deckt.

3. Mediensozialisation

3.1. Rolle der digitalen Medien in den Lebenswelten

Im Folgenden möchte ich die Bedeutung des gesellschaftlichen Veränderungsprozess „Digitalisierung“ und die damit einhergehende Verbreitung digitaler Medien im alltäglichen Leben im Rahmen des Sozialisationsprozesses darlegen. Warum ist es überhaupt relevant, Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung in digitalen Medien genauer zu untersuchen?

Dass Digitalisierung unsere Arbeits- und Lebenswelten immer weiter durchdringt, zeigen uns viele Studien. So zeigt die Berichtsreihe „Global Digital 2018“ von „We are Social“ und „Hootsuite“, dargelegt in einem Blog von Simon Kemp, dass mittlerweile vier Milliarden Menschen weltweit das Internet nutzen. 2017 wären es noch eine Viertelmilliarde weniger gewesen. Ebenso seien die Social Media Nutzer um 13 Prozent zum Vorjahr gestiegen und Social Media Sites bekämen durchschnittlich elf neue Nutzer pro Sekunde (Kemp, 2018). Ebenso nach der JIM-Studie 2018 vom mpfs (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) hätten 99% der Jugendlichen ein Smartphone im Haushalt, dazu wären in fast jedem Haushalt ein Computer oder Laptop, als auch ein Internetzugang vorhanden. Ein Fernseher sei ebenso in 95% der Haushalte vorhanden (mpfs, 2018, S.6). Auch wenn man die Umfrage, wie SevenOne Media im Media Activity Guide 2018, die Befragten auf 14-69-Jährigen in Deutschland ausweitet, besäßen immer noch 94% in ihrem Haushalt einen Fernseher und 91% ein Smartphone (SevenOne Media, 2018, S.9). Dieser Trend des Zuwachses ist über die letzten Jahre in weiteren Statistiken nachzuweisen. Auch nach den Autoren Heinen und Kerres seien die digitalen Medien in unserem Alltag längst verwurzelt. Die Digitalisierung durchdringe unsere Lebens-, Lern- und Arbeitswelt, wodurch traditionelle mit neuen Wegen der gesellschaftlichen Kommunikation verschmelzen würden (Heinen & Kerres, 2017, S.1-2). Dies bestätigt auch die Kultusministerkonferenz 2016: „Digitale Medien wie Tablets, Smartphones und Whiteboards halten seit längerem Einzug in unsere Schulen und Hochschulen; sie gehören zum Alltag der Auszubildenden in Verwaltungen und Unternehmen.“ (Kultusministerkonferenz; Bodegan 2016). Diese Digitalisierung aller Lebensbereiche führe zu einem stetigen Wandel und würde nicht nur berufliche Anforderungen verändern, sondern zunehmend auch den privaten Lebensbereich prägen. Sie würden fast allerorts und jederzeit den Zugriff auf unerschöpfliche Informationen ermöglichen und neue Kommunikationsmöglichkeiten in verschiedensten Kontexten schaffen. Auch würden sich dadurch neue Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe eröffnen. Allgemeiner wird noch von neuen schöpferischen Prozessen und damit neuen medialen Wirklichkeiten gesprochen (Kultusministerkonferenz, 2016, S.3). Somit würden sich neue Perspektiven für alle gesellschaftlichen Bereiche, also auch der Sozialisation und der Persönlichkeitsentwicklung, eröffnen. Dies könne auch als „digitale Revolution“ betrachtet werden, welche ihre eigenen Chancen und Risiken mit sich bringe (Kultusministerkonferenz, 2016, S.3). Auf diese werde ich später noch eingehen, jedoch lässt sich bereits festhalten, dass die Relevanz digitaler Medien in unserem Alltag und all unseren Lebensbereichen, wie auch der Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung, enorm hoch und scheinbar unumgänglich ist. So behaupten auch Heinen und Kerres, dass die Kontrastierung der digitalen Welt mit einer analogen nicht mehr sinnvoll sei. Wir würden uns in einer digitalen Welt bewegen und somit würden wir uns auch das Wissen einer Kultur über digitale Medien erschließen, dazu würden wir an gesellschaftlicher Kommunikation ebenso über digitale Medien partizipieren und damit unsere Persönlichkeit im passiven, aktiven und reflektierten Handeln mit diesen Welten entwickeln (Heinen & Kerres, 2017, S.2). „Entsprechend geht die Mediensozialisationsforschung in der Regel von einem Wechselverhältnis von Individuum und Medien(-umwelt) aus, in dem sowohl Freiheitsgrade angelegt sind als auch Momente, denen sich Menschen kaum oder gar nicht entziehen können.“ (Hoffmann et.al., 2017, S.4).

3.2. Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung in den digitalen Medien

Nachdem ich nun Sozialisation definiert und die Bedeutung der digitalen Medien in unserem Alltag präsentiert habe, werde ich nun Mediensozialisation vorstellen und dann einen umfassenden Blick über einige ausgewählte Aspekte der Mediensozialisation geben. Wie beschrieben sei Sozialisation eine Interaktion zwischen Individuum und Umwelt, bei der sich die Heranwachsenden aktiv mit ihrer Umwelt auseinandersetzen und diese mitgestalten würden, was zu einer persönlichen Entwicklung und Selbstfindung im Kontext der Gesellschaft führe. Mediensozialisation umfasse dabei jede Situation, in der die Medien für die psychosoziale Entwicklung der Heranwachsenden eine Rolle spielen. Nach den Autoren Süss et. al. würden die Medien von den Heranwachsenden genutzt, um Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, welche für Oerter & Dreher (2002) den Erwerb konkreter Fertigkeiten und Kompetenzen darstellt, die es zu erwerben gilt, um eine zufriedenstellende Lebensführung innerhalb der Gesellschaft zu erreichen (Oerter & Dreher 2002, S.268, zit. nach Süss et.al., 2018, S.19).

Wer sich mit Mediensozialisation beschäftigt, setze sich mit der Mediennutzung von Kindern, Jugendlichen und zunehmend auch älteren Gruppen und dem Stellenwert der Medien im Leben der Individuen auseinander, was ich in dem vorangegangenen Kapitel ausgeführt habe. Des Weiteren stehe die Frage, wie diese Medien in den Alltag und die Lebenswelten eingelassen sind und wie diese Mediennutzung und -aneignung die Persönlichkeitsentwicklung mitbestimmt, im Mittelpunkt (Hoffmann et.al., 2017, S.4), was ich im Verlauf der nächsten beiden Kapitel näher erläutern werde. Im Folgenden werde ich vorerst noch einige Basistheorien der Mediensozialisation vorstellen und dabei einige Aspekte der Mediensozialisation beleuchten. Im Anschluss werde ich auf Chancen und Risiken der Sozialisation über digitale Medien eingehen und ziehe für mich eine kurze Schlussfolgerung. Abschließend werde ich eine Möglichkeit präsentieren meine in der Schlussfolgerung vorgestellte Handlungsmöglichkeit umzusetzen.

3.3. Basistheorien der Mediensozialisation

Die Basistheorien der Mediensozialisationsforschung würden aus verschiedenen Disziplinen stammen. Darunter sei die Entwicklungspsychologie, die Soziologie der Kindheit und die Medienforschung (Süss et.al., 2018, S.33).

Die Entwicklungspsychologie versuche den ungestörten Verlauf der Sozialisation von einem gestörten Verlauf zu unterschieden. Dafür würde sie empirisch erhärtete Stufenkonzepte verwenden. Zur Hilfe würde sie sich dabei an strukturgenetischen Entwicklungstheorien bedienen, um Altersnormen zu formulieren. Es würden also Sozialisationsziele bestimmt, welche in bestimmten Altersabschnitten und Übergängen in der Biografie zu bewältigen seien, auch Entwicklungsaufgaben genannt (Süss, et.al., 2018, S.33). Oerter und Dreher hätten 2008 einige dieser Entwicklungsaufgaben, die in der westlichen modernen Welt verortbar seien, für Kindheit und Jugend formuliert. Darunter für das Jugendalter: neue und reifere Beziehungen zu Altersgenossen beiderlei Geschlechts aufbauen, Übernahme der Geschlechtsrollen, Akzeptieren der eigenen körperlichen Erscheinung und effektive Nutzung des Körper, Emotionale Unabhängigkeit von den Eltern und anderen Erwachsenen erreichen, Werte und ein ethisches System erlangen, welches als Leitfaden für das Verhalten dient und weiteres (Oerter & Dreher, 2008, S. 281, zit. nach Süss, et.al., 2018, S.34). Bei den Entwicklungsaufgaben gelte es zu beachten, dass zum einen heute davon ausgegangen werde, dass die Auswahl und Abfolge der Entwicklungsaufgaben in verschiedenen sozialen Milieus und kulturellen Kontexten unterschiedlich ablaufe und zum anderen umfasse das Konstrukt der Entwicklungsaufgaben nicht nur gesellschaftliche Erwartungen, sondern auch vom Individuum selbst gesetzte Entwicklungsziele und stelle somit ein interaktionistisches Sozialisationskonzept dar (Süss, et.al., 2018, S.33). Diese Entwicklungsaufgaben spielen demnach auch bei der Sozialisation über digitale Medien eine Rolle.

Die Soziologischen Grundlagen würden sich hingegen eher mit gesellschaftlichem Wandel auseinandersetzen. Denn da Sozialisation bedeuten würde, dass ein Individuum im umfassenden Sinne gesellschaftsfähig wird und damit eine dem Individuum zusprechende Rolle in der Gesellschaft findet, sei gesellschaftlicher Wandel unauflösbar mit Sozialisation verknüpft. Doch auch hier handle es sich um eine Wechselwirkung, bei der das Individuum ebenfalls während seiner Sozialisation die Gesellschaft mitgestalte. So würden sie zum Beispiel auch, durch ihre spezifische Nutzung von Medien, sprich welche Medien werden genutzt, welche nicht und in welchem Maße werden die Medien genutzt, zur Ausgestaltung einer Mediengesellschaft beitragen. Es herrsche eine Verknüpfung von Medien und Gesellschaft. So würden Medien auch das politische Bewusstsein der Nutzer beeinflussen und wirtschaftliche, politische und kulturelle Einstellungen und Verhältnisse reproduzieren. Gegensätzlich könne man aber ebenso durch Medien genau diese Umstände erfassen und umgestalten (Süss et.al., 2018, S.35). Dies zeigt den hohen Stellenwert der Medien den sie für uns, bewusst oder unbewusst, in unserem Leben einnehmen. Weiterführend würden durch gesellschaftlichen 7

Wandel Generationsunterschiede hervorgerufen werden. So würde der Wandel zur Mediengesellschaft für Heranwachsende in der Moderne viele neue Optionen und Freiheiten bedeuten, allerdings seien sie in diesem Rahmen ebenso höherem Erwartungsdruck ausgesetzt, was auch zwiespältiges Moratorium genannt werde (Süss et.al., 2018, S.35; Hitzler & Niederbacher, 2010, S.15). Ein Moratorium ist eine Art „Freistellung auf Zeit“, in der den Jugendlichen keine gesellschaftlichen Aufgaben und Verantwortungen zukämen, sie allerdings ihre eigenen „Entwicklungsaufgaben“ (s. Basistheorie der Entwicklungspsychologie) nachkommen müssten (Zinnecker, 2004). Dazu seien für die Sozialisanden auch die Orientierungsmöglichkeiten weniger geworden. Traditionelle Institutionen hätten an Autorität eingebüßt, Lebensentwürfe würden zunehmend individualisiert und die Erwartungen an Altersnormen, Genderrollen, Berufsorientierungen und Identifikationsmöglichkeiten seien offener und beliebiger geworden, was einer der Gründe sein könnte, warum junge Menschen, nach Süss et.al., ihre Orientierungshilfe in den Medien suchen. Dies bezeichnen die Autoren als Multioptionsgesellschaft. Das Individuum könne zwischen den ganzen Optionen wählen, seien aber auch gezwungen dies zu tun. Hierbei führe nicht der Selektionsdruck zum Leid der Akteure, sondern eher der Zeit- und Realisierungsdruck, denn durch die Medien würden unzählbare Handlungsmöglichkeiten an die Menschen herangetragen und präsentiert werden, obwohl es nicht möglich sei, alle diese Möglichkeiten in einer Lebenszeit umzusetzen (Süss et.al., 2018, S.36).

Eine weitere Veränderung der Sozialisation durch die digitalen Medien, sei eine Art Globalisierungseffekt. Denn durch die Interaktion mit Gleichgesinnten und Nutzung von präferierten Angeboten rund um den Globus, könne ein Individuum seinen subjektiv empfundenen Lebensmittelpunkt unabhängig vom faktischen Lebensort wählen. Somit entstehe ein globales Bewusstsein und dies ermögliche eine verschärfte Selbstbeobachtung und Selbstreflexion der Gesellschaft über die Medien (Süss et.al., 2018, S.36). Diese kann bestimmte Auswirkungen haben, welche ich bei den Chancen und Risiken behandeln werde.

Eine weitere Basistheorie der Mediensozialisation kommt aus den Kommunikationswissenschaften. Die kommunikationswissenschaftlichen Grundlagen würden sich darauf fokussieren, welche Funktionen die Medien in unterschiedlichen Lebensbereichen einnehmen können. So würden die Medien von den Nutzern zum Befriedigen der „a) kognitiven Bedürfnissen (z. B. etwas Neues lernen) b) affektiven Bedürfnissen (z. B. Langeweile überwinden) c) sozial-integrativen Bedürfnissen (z. B. mit Gleichaltrigen über Medien Inhalte reden können) d) integrativ-habituellen Bedürfnissen (z. B. Lesen als Gewohnheit vor dem Einschlafen)“ verwendet werden (Süss et.al., 2018, S.37).

Bei dem Befriedigen der Bedürfnisse, könne jedoch die Erwartung vom Ergebnis abweichen, sodass zwischen „erwarteter Gratifikation“ und „erreichter Gratifikation“ unterschieden werden müsse, zwischen denen Differenzen entstehen könnten. Diese werde ich wieder bei der Darlegung der Chancen und Risiken aufgreifen, ebenso wie eine weitere zentrale kommunikationswissenschaftliche Basistheorie, die „Wissenskluft-Theorie“.

Die letzte Basistheorie der Kommunikationswissenschaften, die ich kurz vorstellen möchte, ist die „Kultivierungstheorie“. Diese untersuche das Mensch- und Weltbild im Zusammenhang mit der Mediennutzung. Dabei habe man festgestellt, dass Menschen, die mehr Zeit vor dem Fernseher verbringen ein negativeres Mensch- und Weltbild haben, als „Wenigseher“. Dies hänge damit zusammen, dass die „Vielseher“ annehmen würden, dass negative Ereignisse und Neuigkeiten, die im Fernsehen präsentiert werden, tatsächlich in ihrer Lebenswelt stattfinden. Man gehe davon aus, dass ihre Einschätzungen durch die Medien kultiviert werden (Süss et.al., 2018, S.38).

Abschließend ist noch anzumerken, dass die Autoren digitale Medien als „nicht notwendig“ betiteln, um die Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Dies hat auch schon Lothar Mikos ausführlich in seinem Text „Mediensozialisation als Irrweg - Zur Integration von medialer und sozialer Kommunikation aus der Sozialisationsperspektive“ thematisiert. So geht er davon aus, dass Sozialisation sich immer in Zusammenspiel mit sozialen Erfahrungen bzw. der sozialen Umwelt vollziehe. Die Medien würden nur eine weitere Sozialisationsinstanz darstellen. Er spricht sich deutlich gegen die Entwicklung einer spezifischen Mediensozialisationsforschung aus. Seiner Meinung nach würde der Einfluss der Medien überbetont werden und man müsse immer das Zusammenwirken der medialen und sozialen Kommunikation im Auge behalten (Mikos, 2007, S.41-43). Die Medien würden nicht die Sozialisation verändern, sondern die Sozialisationsbedingungen, somit sei eine Ablösung der Sozialisationstheorie durch die Mediensozialisationstheorie nicht sinnvoll (Mikos, 2007, S. 43).

Durch die Aussage, dass digitale Medien nicht notwendig für Sozialisation seien und auch durch die Darstellung der Medien als Hilfsmittel für die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben, zeigen Süss et.al., dass sie nicht von einer Übernahme der Sozialisationsforschung durch Mediensozialisation ausgehen. Dennoch würden die Medien, wegen ihrer Omnipräsenz, von vielen Heranwachsenden zur Bewältigung der Aufgaben in Anspruch genommen werden (Süss et.al., 2018, S.39).

3.4. Veranschaulichung

Nun, da ich umfassend Aspekte der Mediensozialisation beleuchtet habe, möchte ich noch etwas näher auf die Interaktion der Heranwachsenden und Ihre Medien(-umwelt), anhand des Beispiels Fernsehen/Fernsehshows, eingehen.

Lothar Mikos behauptet die Heranwachsenden würden in sozialer Kommunikation, die Bedeutung von Fernsehshows aushandeln und damit auch ihre Haltung zu der Welt bestimmen. Dann könnten sie nach den ausgehandelten Werten aktiv handeln und somit diese Werte in ihren Alltag übernehmen. Auch Gauntlett (2002, S.256) habe erkannt, dass das Fernsehen somit eine Vermittlungsinstanz darstelle, welche den Heranwachsenden sinnstiftende Inhalte vermittle, indem es Sinnvorgaben als Wahlmöglichkeiten offeriere und damit symbolische Ressourcen für die Identitätsbildung biete kommen (zit. nach Mikos, 2007, S.35). Damit sie eine sozialisierende Wirkung entfalten, müssten sie aber erst in sozialer Kommunikation und Praxis zur Anwendung kommen (Mikos, 2007, S.36). Dies knüpft an die Beschreibung des Sozialisationsbegriff im zweiten Kapitel an, nach dem die Entwicklung der Persönlichkeit durch das Soziale bedingt sei. Die Aushandlung der Werte, Gebrauchsformen und Handlungsmuster erfolge in Peers oder in der Familie. Dabei würden die Kommunikationsstrukturen, die Aneignung der Medieninhalte beeinflussen (Mikos, 2007, S.38). Durch die Aushandlungsgespräche würden die Gesprächspartner ihren privaten und kulturellen Horizont öffnen. Die Erweiterung stamme aus den Medien und werde dann durch das Gespräch in das Soziale hinein verlagert (Mikos, 2007, S.36-37). Die Aushandlung von symbolischem Material aus dem Fernsehen, finde explizit im sozialen Leben statt. Erst dort werde die Bedeutung festgelegt, eigene Positionen bestimmt und eventuell dem eigenen Leben eine neue Sinnperspektive hinzugefügt. Ausgehandelt würden Normen, Werte, Einstellungen und Rollenbilder. Das Fernsehen würde sogar ganze Lebensmodelle vorstellen, an denen sich die Heranwachsenden orientieren könnten (Mikos, 2007, S.40). Dieser Umgang mit den Medien führe insgesamt zu einem „sozialem Lernen“, was unter anderem die Stärkung der Empathie und Frustrationstoleranz bedeute (Mikos, 2007, S.39).

[...]

Final del extracto de 24 páginas

Detalles

Título
Digitale Medien im Sozialisationsprozess. Chancen und Risiken durch medialen Einfluss
Universidad
University of Göttingen  (Institut für Erziehungswissenschaft)
Curso
Sozialisation: aktuelle Fragen, Diskurse, Befunde
Calificación
1,0
Autor
Año
2019
Páginas
24
No. de catálogo
V987247
ISBN (Ebook)
9783346344250
ISBN (Libro)
9783346344267
Idioma
Alemán
Palabras clave
digitale, medien, sozialisationsprozess, chancen, risiken, einfluss
Citar trabajo
Patrick Winnewisser (Autor), 2019, Digitale Medien im Sozialisationsprozess. Chancen und Risiken durch medialen Einfluss, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/987247

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