Leseprobe
Inhalt
1. Abschrift des zugrunde gelegten Textes
2. Analyse des Textes
2.1 Abgrenzung und Kontext
2.2 Ausformulierte Gliederung des Textes
2.3 Abgrenzung von Tradition und Redaktion
2.4 Gattungsbestimmung der vormarkinischen Überlieferung
2.5 Begriffsbestimmung bzw. religionsgeschichtliche Analyse
3. Interpretation
3.1 Interpretation der vormarkinischen Überlieferung
3.2 Interpretation des markinischen Textes
3.2.1 Interpretation des Textes an sich
3.2.1 Interpretation des Textes im theologischen Gesamtrahmen des Mk
4. Synoptischer Vergleich
4.1 Interpretation der mt. Parallele
4.2 Interpretation der lk. Parallele
5. Zusammenfassung und Bündelung
6. Literaturverzeichnis
7. Anhang
1. Abschrift des zugrunde gelegten Textes
„(23) An einem Sabbat ging er durch die Kornfelder und unterwegs rissen seine Jünger Ähren ab. (24) Da sagten die Pharisäer zu ihm: Sieh dir an, was sie tun! Das ist doch am Sabbat verboten. (25) Er antwortete: Habt ihr nie gelesen, was David getan hat, als er und seine Begleiter hungrig waren und nichts zu essen hatten - (26) wie er zur Zeit des Hohenpriesters Abjatar in das Haus Gottes ging und die heiligen Brote aß, die außer den Priestern keiner essen darf, und auch seinen Begleitern davon gab? (27) Und Jesus fügte hinzu: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat. (28) Deshalb ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.“1
2. Analyse des Textes
2.1 Abgrenzung und Kontext
Die Erzählung spielt sich an einem Sabbat in Staatsfeldern ab. Alle beteiligten Personen werden schon im zweiten Satz genannt. Die Akteure sind zum einen Jesus mit seinen Jüngern und zum anderen die Pharisäer.
Das vorherige Streitgespräch „Die Frage nach dem Fasten“ (Mk 2,18 - 22), in welchem es um die Fastenfrage geht, ist eng mit der zu analysierenden Perikope verbunden. Hierbei geht es darum, dass die Jünger von Jesus, im Gegensatz zu denen von Johannes und den Pharisäern, nicht am Fasten sind. Mit der Antwort Jesu: „Niemand näht ein Stück neuen Stoff auf ein altes Kleid; denn der neue Stoff reißt doch vom alten ab und es entsteht ein noch größerer Riss. Auch füllt niemand neuen Wein in alte Schläuche; der Wein ist verloren und die Schläuche sind unbrauchbar. Neuer Wein gehört in neue Schläuche“ (Mk 2, 21f.) wird ausgesagt, dass neue Zeiten auch neues Handeln fordern.2 Genau diese Aussage ist auch Thema in Mk 2, 23 - 28. Für eine ursprüngliche Verbindung beider Perikopen spricht außerdem, dass Jesus in der Erzählung über den Sabbat nicht mit Namen genannt wird. Der Name Jesus fällt hier kein einziges Mal. Die Rede ist nur von „er“ (V. 23).
In der Perikope an sich zieht Jesus einen Vergleich zur Tat Davids heran. Somit ist die Perikope auch verbunden zum Alten Testament, in dem sich in 1. Samuel 21, 2 - 10 der Schriftbeweis finden lässt.
Eine Verbindung zu der nachfolgenden Perikope „Die Heilung eines Mannes am Sabbat“ (Mk 3,1 - 6) lässt sich durch die Vorwarnung vs. die Stellung Jesus festmachen. Durch das Ährenraufen der Jünger am Sabbat wird Jesus von den Pharisäern vorgewarnt (vgl. V. 24). Nach zeitgenössischem jüdischen Gesetz kann ein Verbrechen erst dann bestraft werden, wenn man vorher von Zeugen verwarnt wurde. Diese Vorwarnung ist für den Verlauf der nachfolgenden Perikope von Bedeutung. Jesus heilt die Hand eines Mannes, obwohl solch eine Tat am Sabbat verboten ist. Durch die ausgesprochene Vorwarnung, können die Pharisäer nun den Beschluss treffen, Jesus umzubringen (vgl. Mk 3, 6).
Die Perikope nimmt eine sehr bedeutende Rolle im ersten Hauptteil des Markusevan- geliums ein, in dem das Wirken Jesus innerhalb und außerhalb Galiläa erzählt wird. Die ausgesprochene Vorwarnung in Verbindung mit der nachfolgenden Perikope lässt sich als Voraussage der Passion und Todes Jesus deuten. Die Besonderheit an dieser Erzählung ist zudem, dass sich in V. 28 Jesus als den Menschensohn preisgibt und Markus an dieser Stelle das Messiasgeheimnis lüftet.3
2.2 Ausformulierte Gliederung des Textes
Gliedern kann man die Erzählung in vier Abschnitte. Am Anfang mit Vers 23 als Schilderung der anstößigen Situation, gefolgt mit Vers 24 als Einspruch der Pharisäer. Die Verse 25 bis 26 sind die Antwort Jesus auf den Einwand der Gegner mit einem Vergleich zu David und seinen Gefolgsleuten. Abgeschlossen wird die Perikope mit einer zweigegliederten Spruchfolge in den letzten beiden Versen.4
Typisch für ein Streitgespräch, fängt die Erzählung mit einem klassischen Perikopen- anfang an, nämlich mit der Schilderung der Situation im ersten Vers. Diese gibt dem Leser eine Einführung über Zeit und Ort und über die Tätigkeit, mit jener Jesus im nächsten Vers konfrontiert wird. Jesus geht nur durch die Felder, die strafbare Tätigkeit geht allein von seinen Jüngern aus. Besonders ist, dass nur von einem Abreißen der Ähren die Rede ist, nicht, dass die Jünger Hunger haben und dies tun, um diesen zu stillen. Somit ist der erste Vers ein wenig unverständlich formuliert, da man ihn nur im Zusammenhang mit dem später Gesagten der Pharisäer versteht.
Im nächsten Vers wird Jesus für die strafbare Handlung adressiert (vgl. V. 24). Die Pharisäer machen Jesus mit einem Ausruf auf das Abreißen der Ähren an einem Sabbat aufmerksam und jener wird somit verwarnt.
Jesus wird als Meister dargestellt und ist somit auch derjenige, der antwortet und die Verantwortung für das Handeln der Jünger übernimmt (vgl. V. 25f.). Seine Antwort besteht erstmals aus der Gegenfrage: „Habt ihr nie gelesen, was David getan hat, als er und seine Begleiter hungrig waren und nichts zu essen hatten [...] [?]“ (V.25) und dann, ohne den Pharisäern Antwort zu gewähren, schildert er die Geschichte von David und seinen Begleitern, die die Schaubrote aufgrund ihres Hungers aßen (vgl. V. 26). Somit rechtfertigt er die jetzige Situation.
Mit Vers 27 verkündet Jesus, dass das Heil des Menschen wichtiger als die Gesetzesmäßigkeit ist. Kontrastär steht dazu der Spruch „Deshalb ist der Menschensohn auch Herr über den Sabbat“ (V. 28).
2.3 Abgrenzung von Tradition und Redaktion
Bei der Untersuchung der Perikope ist auffällig, dass sie redaktionell bearbeitet worden ist. Bei der Frage, welche Bestandteile Redaktion und welche Tradition sind, gehen die Meinungen auseinander. Schon alleine die beiden Verse 23 und 27 mit „An einem Sabbat ging er durch die Kornfelder und unterwegs rissen seine Jünger Ähren ab. Und Jesus fügte hinzu: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.“5 würden eine sinnige Gesamtperikope bilden.
Nun aber von Anfang an. Mit dem ersten Vers wird das Geschehen eingeleitet und die, für die Pharisäer strafbare, Situation wird geschildert. Ohne diese Einleitung würde die ganze Perikope keinen Sinn ergeben und auch, wenn man die vorherige Erzählung und die, die folgt, verbindet, würde das Streitgespräch unverständlich sein. Deshalb bin ich mir sehr sicher, dass dieser Vers nicht von Markus redaktionell bearbeitet worden ist.
Ein Teilstück von Vers 24 würde ich auch als Tradition deuten, nämlich „Sieh dir an, was sie tun! Das ist doch am Sabbat verboten“6. Dieser Teil ist als Anschuldigung mehr als ausreichend und der Anfang des Verses, dass die Pharisäer dies zu Jesus sagen, ist meines Erachtens nicht von Belangen. Als Leser erkennt man, dass es die Pharisäer sind, die Jesus anschuldigen. Jesus Name wird erst am Ende der Perikope genannt. Durch das Vorwissen der vorherigen Perikope, braucht man diese Nennung nicht nochmals. Genauso ist es auch mit den Pharisäern. Ohne Namensnennung würde der Sinn der Perikope nicht verfälscht werden.
Der Part, in dem Jesus die jetzige Situation mit der von David vergleicht, ist schwieriger. Schmithals ist sich dessen auch nicht schlüssig. Fakt ist, dass David und seine Begleiter nicht die Schaubrote von Abjatar, sondern von dessen Vater Ahimelech aßen. Dies kann man in 1. Samuel 22, 20 nachlesen. Jedoch wurde auch später Abjatar Hohepriester. „Jedenfalls könnte es sich auch um eine schriftgelehrte Glosse handeln, die Mk schon vorfand oder selbst anbrachte oder die auf einen früheren Schreiber zurückgeht“7. Ich vermute, dass dem Schreiber ein Fehler unterlaufen ist, der Ausschnitt aber Tradition. Ich glaube nicht, dass Markus diesen Part redaktionell bearbeitet hat, da die zu analysierende Perikope mit der Erzählung von David sehr viele Parallelen aufweist und meines Erachtens vormarkinisch ist.
Die beiden letzten Antworten von Jesus, die sich in den beiden letzten Versen befinden, sind nur eine Tradition wobei eine redaktionell hinzugefügt wurde. Fast alle sind sich einstimmig, dass V. 28 von Markus hinzugefügt wurde und V.27 Tradition ist. Forscher nehmen auch an, dass es sich bei „Deshalb ist der Menschensohn auch Herr über den Sabbat.“8 um einen eigenständigen Spruch handelt. Auch ich bin davon überzeugt, dass der letzte Vers im Nachhinein hinzugefügt wurde, da er in Kontrast zu dem vorherigen Satz steht. Erst redet Jesus über die Menschen, dass alle Herr über den Sabbat sind und kontrastär dazu, hebt er dies auf, indem er sich im nächsten Vers als Herr über den Sabbat stellt.
Bündle ich nun alle meine Ergebnisse, komme ich auf folgende vormarkinische Fassung: „(23) An einem Sabbat ging er durch die Kornfelder und unterwegs rissen seine Jünger Ähren ab. (24) Sieh dir an, was sie tun! Das ist doch am Sabbat verboten. (25) Er antwortete: Habt ihr nie gelesen, was David getan hat, als er und seine Begleiter hungrig waren und nichts zu essen hatten - (26) wie er zur Zeit des Hohenpriesters Ahimelech in das Haus Gottes ging und die heiligen Brote aß, die außer den Priestern niemand essen darf, und auch seinen Begleitern davon gab? (27) Und Jesus fügte hinzu: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat“
2.4 Gattungsbestimmung der vormarkinischen Überlieferung
Bei der zu analysierenden Perikope „Das Abreißen der Ähren am Sabbat“ handelt es sich um ein Apophthegegma9. Somit ist sie zu der Streitgesprächssammlung von Markus zuzuordnen, welche in Mk 2,15 - 3,6 zu finden sind. Diese Sammlung besteht aus insgesamt fünf Erzählungen. Die Auseinandersetzungen zwischen Jesus und den Pharisäern beginnt mit „Die Heilung eines Gelähmten“ (Mk 2,1 - 12), folgend mit „Die Berufung des Levi und das Mahl mit den Zöllnern“ (Mk 2, 13 - 17) und „Die Frage nach dem Fasten“ (Mk 2,18 - 22). An vierter Stelle kommt die zu analysierende Perikope und „Die Heilung eines Mannes am Sabbat“ (Mk 3,1 - 6) bilden den Schluss der markinischen Streitgesprächssammlung.
Typisch für ein Streitgespräch ist die Perikope auch aufgebaut: Schilderung der Situation, Einspruch der Gegner und Antwort des Angeklagten.10 Hinzu kommt Jesus Gegenfrage in Vers 25f., mit der er Anschluss an das Alte Testament nimmt. Anschlüsse an alttestamentliche Geschichten sind typisch für Apophthegemen.11
Eingebettet in dieser Streitgesprächssammlung, erfüllt die Perikope vom Abreißen der Ähren an einem Sabbat die Funktion des Verwarnens Jesus. Dies ist die Voraussetzung, dass in der nächsten Erzählung der Beschluss, Jesus umzubringen, geschehen kann.
2.5 Begriffsbestimmung bzw. religionsgeschichtliche Analyse
Im Folgendem wird der Begriff Sabbat untersucht, da die Ausgangssituation der Peri- kope das Wissen über die Sabbatruhe voraussetzt.
Der Sabbat ist im Judentum ein Ruhetag, der den siebten Tag beschreibt. Ruhetag deshalb, weil niemand während dieser Zeit Arbeit verrichten soll. Nach Gen 1, 5 beginnt dies mit dem Sonnenuntergang am Freitag und endet mit dem Dunkelwerden am Samstagabend. Das Einhalten des Ruhetages gehört zu den zehn Geboten und was untersagt ist, wird im Babylonischen Talmund zusammengefasst. Dies ist eine Liste, in der 39 am Sabbat verbotene Arbeiten verzeichnet sind.12 Zusammengefasst soll sich der Mensch nicht anstrengen und keine Arbeit verrichten. Somit ist die anstößige Situation für die Pharisäer in der Perikope nicht der Mundraub, der nach Dt. 23, 26 erlaubt ist, sondern die Erntearbeit an einem Sabbat, die die Jünger Jesu durch das Abreißen der Ähren vollrichten. Die „Grundlage ihres Drängens auf Sabbatheilung ist die Übersetzung von der Verdienstlichkeit der Werke des Gesetzes, bzw. von deren Notwendigkeit für das Heil des Menschen, für seine Gerechtigkeit vor Gott“13. Der Sabbat ist für die Pharisäer eine kasuistische Gesetzlichkeit, die ihnen das Verhalten vorschreibt, um so zum Heil zu gelangen. Dabei müssen die Gesetze nicht immer human sein, wenn sie durch höhere Ziele, also dem Heil, gerechtfertigt sind.14
Gegen diese Vorstellung wendet sich Jesus mit dem Vers 27 „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat“, obwohl für das absichtliche Entweihen des Sabbats die Todesstrafe droht, die in der darauffolgenden Erzählung entschlossen wird, er jetzt aber nur eine Verwarnung bekommt. Jesus plädiert für den sozialen Sinn des Sabbats, nämlich, dass der Ruhetag den Menschen dienen soll und der Mensch nicht Sklave des Sabbats ist. Er greift auf die Schöpfung zurück. Der Mensch wurde vor dem Sabbat geschaffen und somit der Sabbat für den Menschen. Im zeitgenössischem Judentum war es wiederholt der Fall, dass der Mensch zum Sklaven des Sabbats wurde. Jesus sieht den Ruhetag aber als Gabe des Schöpfers, möchte diesen nicht aufheben, jedoch für den Menschen auslegen, anstatt ihnen damit eine Last auf- zubürden.15
[...]
1 Die Bibel, Mk 2,23-28
2 Vgl. Schmithals 1986, S. 183
3 Vgl. Gnilka 1978, S. 124
4 Vgl. Pesch 1976, S. 179
5 Die Bibel, Mk 2, 23 & 27
6 Die Bibel, Mk 2, 24
7 Schmithals 1986, S. 183
8 Die Bibel, Mk 2, 28
9 Vgl. Schmithals 1986, S. 183
10 Vgl. Pesch 1976, S. 179
11 Vgl. Schmithal1986, S. 187
12 Vgl. Pesch 1976, S. 185
13 Schmithals 1986, S. 185
14 Vgl. Schmithals 1986, S. 185f.
15 Vgl. Gnilka 1978, S. 123