Eltern und Gleichaltrige (Peers) als Instanzen politischer Sozialisation


Dossier / Travail de Séminaire, 1998

20 Pages, Note: 1,3


Extrait


I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

1. Einleitung

2. Jugend in einer „politisch-ideologischen Werte- und Orientierungskrise“?

3. Jugend und Gewalt
3.1. Fremdenfeindliche Gewalt

4. Politische Sozialisation Jugendlicher und die Rolle der Eltern
4.1. Vier Handlungstypen von Jugendlichen
4.2. Problemkonstellationen in der politischen Sozialisation

5. Die Rolle der Gleichaltrigen („peer group“) in der politischen Sozialisation

6. „Ohne Gewalt läuft nichts“

7. Wechselbeziehungen im Spannungsfeld zwischen Gleichaltrigen und der Familie

8. Jugend und Politik

9. Resümee und Ausblick

10. LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

In meiner Hausarbeit befasse ich mich mit dem Beziehungsgeflecht von Eltern und Gleichaltrigen als Instanzen politischer Sozialisation[1] für Jugendliche.

Für eine angehende Lehrerin ist natürlich die Frage nach der Rolle des Umfeldes eines Jugendlichen von besonderem Interesse und Grund genug sich eingehend mit dem Thema auseinanderzusetzen. Diese Hausarbeit ist eingebettet in das übergeordnete Seminarthema: Politische Sozialisation.

Gleich zu Beginn meiner Arbeit, stellte sich mir ein Grundsatzproblem. Wenn die ostdeutschen Jugendlichen heute in einer Umfrage Stellung beziehen, dann waren sie in der DDR natürlich noch keine Jugendlichen. Sie können also auf heutige Fragen bezüglich der DDR Erfahrungen und Meinungen, nicht aus jugendlicher Sicht eines ehemaligen DDR-Bürgers sprechen. Wie geht jemand mit Wahlen und Befragungen zur politischen Einstellung um, der es nicht gelernt hat, seine Meinung sagen zu dürfen?

Über die Problematik der Orientierungskrise der ostdeutschen Jugendlichen und die Auseinandersetzung mit neuen Lebensumständen gelange ich in meiner Arbeit zu dem Punkt „Jugend und Gewalt“. In welcher Form es zu Gewaltanwendungen kommt und wie fremdenfeindliche Gewalt entsteht, dies wird deutlich, wenn wir den Rechtsextremismus[2] als die mögliche Folge einer Prägung während der Jugendphase verstehen, in der sich eine Identitätsfindung vollzieht.

Jugendliche werden durch ihr Elternhaus und Gleichaltrige geprägt. Es findet politische Sozialisation im Handlungsfeld mit den Eltern statt. Welche Rolle die Eltern spielen, wie groß ihr Einfluß auf die politische Einstellung ihres Kindes ist und warum die Kommunikation tragendes Element im Zusammenleben bleibt, zeige ich im Anschluß.

Nach einer Vorstellung der vier Handlungstypen in den Definitionen von Karl Lenz[3] im Kapitel 4.1. skizziere ich die Problemkonstellationen in der politischen Sozialisation. Mein Anliegen ist es, Ursachen für gewaltbefürwortende oder gewalttätige Jugendliche in der Familie zu erkennen. Mich interessiert, wodurch Eltern gekennzeichnet sind, deren Kinder in Gruppen geraten, die Gewalt verherrlichen. Im Kapitel 5 äußere ich mich zur Rolle der Gleichaltrigen für die politische Sozialisation. „Ohne Gewalt läuft nichts“, so der Titel einer Untersuchung zweier Kölner Soziologen und so auch das Programm Jugendlicher die darin zu Worte kommen. Im darauf folgenden Teil gehe ich auf die Wechselbeziehungen zwischen Gleichaltrigen und den Eltern ein. Zum Ende meiner Arbeit zeige ich auf, wie Jugend und Politik heute verstanden werden und sich selbst verstehen. Die Wahlen von 1998 kann und will ich da nicht unberücksichtigt lassen. Ein zukunftsweisendes Forschungsprojekt, daß Jugend und politische Sozialisation in unterschiedlichen Lebensumfeldern zum Kernpunkt hat, beendet meine Arbeit.

Zum Verständnis meiner Arbeit merke ich an, daß ich von Jugendlichen als Oberbegriff schreibe und damit sowohl das männliche als auch weibliche Geschlecht meine.

2. Jugend in einer „politisch-ideologischen Werte- und Orientierungskrise“?

Es scheint eine weitverbreitete Annahme, daß die ostdeutschen Jugendlichen sich in einer Orientierungskrise befinden, die die Folge des Systemzusammenbruchs der DDR ist. Sind damit, ihre bisherigen Sinnstrukturen und politischen Wertesysteme durcheinander gebracht worden? Beck[4] und Heitmeyer[5] stellten fest, daß antisoziale Einstellungen auf Integrations- und Identitätsprobleme zurückzuführen sind. Weiteren Einfluß auf diese Einstellungen haben die wirtschaftliche Rezession und die damit verbundene hohe Arbeitslosigkeit. Die zwei letztgenannten Punkte wurden besonders in der Zeit des Systemzusammenbruchs der DDR sichtbar. Darauf folgte eine sehr starke Reaktion in Form von gewaltsamen Aktionen von Skinheads[6], zunehmendem Rechtsradikalismus bzw. dem Anwachsen der linksextremen Szene. Trotzdem ließen sich aufgrund der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Veränderungen in einer Studie[7] keine deutlichen Belege finden für eine höhere Gewaltbereitschaft oder größere Sympathie für rechtsextreme Einstellungen bei ostdeutschen Jugendlichen. Wobei ich auch Willems[8] Einwurf gelten lasse, daß Personen nicht uniform auf konflikthafte Gesellschaftstrukturen reagieren. Für die Herausbildung antisozialer Einstellungen ist die subjektive Wahrnehmung und Bewertung gesellschaftlicher Bedingungen ausschlaggebend. Um dies zu belegen, ziehe ich die Ergebnisse eine vom SPIEGEL in Auftrag gegebene Emnid-Umfrage (Ausgabe 13/1998; 922 Befragte, 20. Bis 25. Februar 1998) heran, die das fremdenfeindliche Gefälle in der Bundesrepublik belegt:

„Leben in Deutschland zu viele Ausländer?“

Westdeutsche Ostdeutsche

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Liegen Ausländer den Deutschen auf der Tasche?“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Könnte eine Diktatur die gegenwärtigen Probleme in Deutschland besser lösen als die Demokratie?“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hier zitiere ich aus einer Arbeit von Stock und Tiedtke[9] über Schuljugendliche in Ostdeutschland. Stock und Tiedtke sehen keine Indizien für Orientierungsverluste und Handlungsunsicherheiten. Belegt wird dies mit folgenden Feststellungen:

1. Die Schüler haben die Autorität der Schule nie in Frage gestellt.
2. Es gab unter den Schülern keine nennenswerten Aktivitäten zur Verteidigung des Sozialismus.
3. Die Neuorientierung ist notwendig aufgrund von Leistungsforderung. Früher gab es Gesinnungstüchtigkeit, heute gibt es Konkurrenzverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt.

Ich muß zu Punkt zwei und drei sagen, daß dies nicht allgemein gültig war und ich mich als Jugendliche in der DDR auch anders verhielt. Stock und Tiedtke können keine Zahlen nachweisen und begründen ihre Feststellung auch in keiner Weise. Es stimmt, daß sich den Verhaltenserwartungen mehrheitlich gefügt wurde, was aber nicht dafür sprechen muß, daß sich die offiziellen Erziehungsziele in Werten und Standpunkten niedergeschlagen haben. Folgsames Verhalten ist wahrscheinlicher als Opposition, aber kein Indiz, daß es auf Verinnerlichung bestimmter Sozialisierungsaspekte beruht. Für mich war ganz entscheidend in meiner politischen Sozialisation, die Diskrepanz zwischen dem propagierten Bild des Sozialismus und den eigenen Erfahrungen und Begegnungen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ideologischer[10] Erziehung (verbale Bestätigung der ideologischen Lehrformeln und Teilnahme an „gesellschaftlichen Aktivitäten“) der Sinn genommen werden konnte, indem man sie in ein taktisches Mittel umwandelte.

Stock und Tiedtke zufolge entstehen die Probleme, die von Jugendlichen zu bewältigen sind, nicht als Folge der Kollision[11] zwischen verinnerlichten Werten der alten Ideologie und neu einzuübenden Werten. Sie sind also nicht ein Resultat der „ Krise der Werte“. Nicht die propagierten Werte, sondern die Alltagserfahrungen bestimmen die Auseinandersetzung mit den neuen Lebensumständen. Im folgenden gehe ich auf diese Auseinandersetzungen ein.

[...]


[1] Sozialisation meint den Prozeß der Entstehung und Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit in Abhängigkeit von und in Auseinandersetzung mit den sozialen und den dinglich-materiellen Lebensbedingungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der historischen Entwicklung einer Gesellschaft existieren. (Hurrelmann)

[2] Form des Neofaschismus, allg. Bezeichnung für die bestehenden rechtsextremen Bewegungen und Parteien, die an Programmatik, Symbolik und Aktionsformen des Faschismus und Nationalsozialismus anknüpfen.

[3] Lenz, K.: Alltagswelten von Jugendlichen. Eine empirische Studie über jugendliche Handlungstypen. Frankfurt a. M. 1986.

[4] Beck, U. (1986): Risikogesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp

[5] Heitmeyer, W., Buhse, H., Liebe-Freund, J., Möller, K., Müller, J. Ritz, H., Siller, G. und Vossen, J. (1992): Die Bielefelder Rechtsextremismus-Studie. Erste Langzeituntersuchung zur politischen Sozialisation männlicher Jugendlicher. Weinheim: Juventa

[6] Skinhead (engl. „Kahlkopf“; eigentl. „Hautkopf“), kahlgeschorener o. extrem kurzen Haarschnitt tragender Anhänger der um 1970 von weißen und schwarzen Jugendlichen entwickelten Subkultur, deren ursprüngliche Wurzeln in der jamaikanischen Musik (Reggae, Ska) liegen; seit den 80er Jahren überwiegend rechten Gruppierungen angehörend.

[7] Die Daten basieren auf einer Befragung von ost- und westdeutschen Jugendlichen und ihren Eltern, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt und von einer Forschergruppe aus Mannheim (Manfred Hofer, Peter Noack, Elcke Klein-Allermann und Bärbel Kracke) und Leipzig Udo Etterich, Ulrich Jahn) durchgeführt wurde.

[8] Willems, H. (1993): Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Anmerkungen zum gegenwärtigen Gewaltdiskurs. In H.-U. Otto und R. Merten (Hrsg.), Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland (S. 88-108). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

[9] Stock,Manfred: Schüler erfahren die Wende: Schuljugendliche in Ostdeutschland im gesellschaftlichen Transformationsprozeß/ Manfred Stock; Michael Tiedtke.- Weinheim: Juventa-Verlag, 1992.- (Veröffentlichungen der Max.Traeger-Stiftung; Band 19).-Kapitel 2: Jugend in einer „politisch-ideologischen Werte-und Orientierungskrise“?.

[10] Ideologie, ursprüngliche Bezeichnung für die von A.L.C. Destutt de Tracy begründete sensualistische Philosophie (Wissenschaft von den Ideen , d. h. sinnlicher Wahrnehmung); bis ins 19. Jh. In neutraler Bedeutung die Wissenschaft von der Entstehung und Entwicklung geistesgeschtl. Ideen; häufig mit kritischem Akzent als begrenztes, starres im Gegensatz zur Wahrheit gestelltes, verzerrtes theoretisches Wirklichkeitsbild.

[11] Kollision, Gegeneinanderwirken, Widerstreit zweier Kräfte

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Eltern und Gleichaltrige (Peers) als Instanzen politischer Sozialisation
Université
Humboldt-University of Berlin  (Institut für Allgemeine Pädagogik)
Cours
HS Politische Sozialisation
Note
1,3
Auteur
Année
1998
Pages
20
N° de catalogue
V9877
ISBN (ebook)
9783638164726
Taille d'un fichier
547 KB
Langue
allemand
Mots clés
Eltern, Gleichaltrige, Instanzen, Sozialisation, Politische, Sozialisation
Citation du texte
Bianka Rademacher (Auteur), 1998, Eltern und Gleichaltrige (Peers) als Instanzen politischer Sozialisation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9877

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