Die Erscheinung des Wechselwählers

An welchen Erklärungsansätzen lässt sich das Phänomen der Wechselwahl erklären?


Hausarbeit, 2019

23 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wählerwanderung
2.1 Begriffserklärung: Wie definiert sich der Wechselwähler?

3. Erklärungsansätze des Wahlverhaltens
3.1 Soziologischer Erklärungsansatz
3.1.1. Mikrosoziologischer Ansatz
3.1.2 Makrosoziologischer Ansatz
3.2 Ann-Arbor-Modell
3.3 Rational-Choice-Ansatz

4. Grenzen der Erklärungsansätze
4.1 Soziologischer Ansatz
4.2 Ann-Arbour-Modell
4.3 Rational Choice Ansatz

5. Zunahme der Volatilität und zeitliche Abnahme von Parteipräferenzen

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

8. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Die Legitimation des Wählens ist das bedeutendste Instrument in einer Demokratie. Wähler haben die Möglichkeit, sich zwischen Parteien zu entscheiden und auf eine begrenzte Zeitspanne eine politische Regierung zu bestimmen. Anhand der Datenanalyse der zurückliegenden Wahlen lässt sich ablesen, dass der Wähler mittlerweile keine übereinstimmende Parteitreue zeigt. Daraus entspringt ein wechselndes bzw. sprunghaftes Wahlverhalten der Wählerinnen und Wähler in der Bundesrepublik Deutschland, das Veränderungen des traditionellen Parteiengefüges zur Folge hat.1

Mit Hinblick auf das Phänomen beschäftigt sich die vorliegende Hausarbeit mit der Fragestellung, warum es zu einem sprunghaften, bzw. wechselhaften Wahlverhalten der Wählerschaft kommt und konzentriert sich weiterhin auf die Wähler, die an aufeinander folgenden Wahlterminen eine Alternativpartei wählten.

Die vorliegende Analyse untersucht, unter welchen Bedingungen von einer Wechselwahl gesprochen wird und inwiefern ein Wechselwähler genauer zu definieren ist. Um dies zu ermöglichen, wird auf drei voneinander abweichende Typologien von Max Kaase zurückgegriffen, die den Begriff „Wechselwähler“ enger definiert und dadurch plastischer gestaltet.

Die Volatilität der Wähler wird unter einzelnen Beispielen erläutert, sodass die Schwankungen bezüglich der Parteibindungen sichtbar werden. Hierzu werden zwei Beispiele der zurückliegenden Bundestagswahlen 2013 und 2017 herangezogen, um die abweichenden Stimmanteile zu verdeutlichen.

Es ist vorwegzugreifen, dass keine umfassende Theorie angewandt werden kann, sondern lediglich auf unterschiedliche Forschungsdesigns zurückgegriffen wird, die im Rahmen der Politikwissenschaft ausgearbeitet wurden. Auf deren Grundlage sollen dem Leser die wichtigsten Erkenntnisse nähergebracht werden, um ein unterschiedliches Wahlergebnis zu begründen.

2. Wählerwanderung

2.1 Begriffserklärung: Wie definiert sich der Wechselwähler?

Die Münchener „Exit Poll Studie“ aus 2013 analysierte das tatsächliche Wahlverhalten der Wählerinnen und Wähler. Dabei wurden Wechselwähler als jene definiert, die an zwei Wahlterminen für zwei unterschiedliche Parteien abstimmten oder sich bei einer Wahl beteiligten und bei der anderen enthielten.2

In der politikwissenschaftlichen Fachliteratur wird dann von einem Wechselwähler gesprochen, wenn sich ein wechselndes Abstimmungsverhalten zwischen verschiedenen Wahlperioden abzeichnet.3 Der Politikwissenschaftler Max Kaase bildete anhand der Bundestagswahl 1961 die ersten Typologien des Wechselwählers, welche im Folgenden unter drei Erscheinungsformen differenziert werden.

Der Typ I wird als der Parteiwechsler definiert, der an zwei aufeinanderfolgenden Wahlen der gleichen Art (z.B. Bundestagswahl) von seinem Wahlrecht Gebrauch macht, jedoch für eine andere Partei stimmt als bei der vorherigen Wahlperiode. Mit diesem identifiziert sich der größte Teil der Bevölkerung und birgt den höchsten Verlust einer Partei. Dies lässt sich dadurch erklären, dass der Parteiwechsler sich für eine andere Partei entscheidet und dadurch der alte Favorit Einbußen einfährt. Gleichzeitig kann auch ein umgekehrtes Szenario folgen, denn es können auch Stimmen durch Parteiwechsler für die Partei hinzukommen, wenn sich Wähler mit dieser identifizieren können.4

Typ II des Wechselwählerprofils lässt sich dadurch identifizieren, dass die Wahlabsicht vor der Wahl nicht mit der eigentlichen Wahl (wie der am Wahltag) übereinstimmt.5 Als diesen Typen lassen sich jene Wähler charakterisieren, die zu drei Zeitpunkten innerhalb einer zeitversetzen Befragung eine Partei nennen, jedoch sich die Partei der ersten Befragung (Juni) nicht mit der letzten Befragung (November) deckt.6

Zu diesem Bild werden zwei Unterkategorien aufgestellt, welche sich in einen „frühen Wechsler“ und einen „späten Wechsler“ unterscheiden:

Der „frühe Wähler“ drückte bereits im September seine Wahländerung aus.7

„Als „später Wechsler“ gilt, wer die Parteipräferenz zwischen der zweiten Befragung und der Wahl (erfragt im November) geändert hat.“8

Typ III zeigt sich durch eine Veränderung der Sympathie zwischen Wähler und Partei aus. Die Messung der Sympathie wird durch das Sympathie-Skalometer bestimmt. Die Werte ergeben sich aus einer Ratingskala die von -5 als negativster Wert und +5 als positivster Wert skaliert wird.9 Die Wähler ordnen nach eigener Sympathiewahrnehmung zu der jeweiligen Partei die Werte ein.

Hinzukommend zu den drei Profilen können unter anderem auch der Zuzug, Wegzug bzw. Ableben und Neuwähler einbezogen werden. Diese Form der Wahländerung wird als „integrierter Ansatz“ definiert.10

3. Erklärungsansätze des Wahlverhaltens

Die Erklärung unterschiedlicher Wahlentscheidungen ist die inhaltliche Arbeit der Wahlforschung in der Politikwissenschaft. Ein politisches Ergebnis, das in einer Wahl sichtbar wird, wird als ein politischer Meinungsprozess verstanden. In diesem werden sowohl kurzfristige als auch langfristige Faktoren deutlich. Um eine bessere Vorstellung über die Erklärung des Wahlverhaltens herzustellen, werden in den folgenden Abschnitten drei Ansätze herausgearbeitet, welche den größten Stellenwert in der politikwissenschaftlichen Wahlforschung einnehmen:

Der „sozialpsychologische Ansatz“, der „Rational-Choice-Ansatz“ und der „soziologische Ansatz“.

Diese stehen in keiner Konkurrenz gegenüber, sondern bewegen sie sich aufeinander zu.11 Diese sollen definieren, warum eine Wahlentscheidung zwischen zwei unterschiedlichen Wahlzeitpunkten unterschiedlich ausfallen kann.12

3.1 Soziologischer Erklärungsansatz

3.1.1.Mikrosoziologischer Ansatz

Der mikrosoziologische Ansatz - auch „Columbia School“ beschrieben - thematisiert das Milieu bzw. die sozialen Kreise, in denen sich bestimmte Berufsgruppen oder Religionen einfinden. Ebenso ist der Wohnort von entscheidender Bedeutung, um soziale Kreise der Menschen zu analysieren. Laut der Theorie von Georg Simmel (1890) sind soziale Merkmale in Bezug auf Wahlverhalten von großer Bedeutung auf die politische Einstellung.13

„[...] a person thinks, politically, as he is, socially. Social characteristics determine political preference.“14

Dieses Zitat implementiert, dass die sozialen Kontakte einer Person ein wichtiger Indikator für die politischen Einstellungen darstellen.15 Grund für die Annahme ist, dass auf Basis des sozialen Drucks und des Anpassungsdrucks die vorherrschende politische Meinung der sozialen Kontakte so adaptiert wird, dass die Wahlentscheidung wie die der Angehörigen des sozialen Kreises ausfällt. Der Anpassungsdruck steigt im Laufe eines Wahlkampfes mit an, umso näher der Wahltag rückt. Weiterhin wird die Kommunikation um aktuelle Wahlkampfthemen weiter ansteigen, was dazu führt, dass sich die Personen, die sich in einem heterogenen Umfeld politischer Meinungsbildung bewegen, keine starke Parteipräferenz ausbilden, im Gegensatz zu jenen, die in einem homogenen Umfeld leben. Im homogenen Umfeld zeichnen sich u.a. keine widersprüchlichen politischen Einflüsse ab, was für das Individuum bedeutet, dass die vorherrschende Gruppenmeinung als Wahlentscheidung getroffen wird.16

Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich Personen, die sich in einem homogenen politischen Umfeld der Meinungsbildung bewegen, eine stabile Parteipräferenz besitzen und dadurch auch ein stabiles Wahlverhalten. Hingegen sind Personen, die sich in einem heterogenen Umfeld leben, soziologischen cross-pressures17 ausgesetzt, die zu keiner stabilen Parteipräferenz führen und damit zu potentiellen Wechselwählern zählen. Hier zeigt sich das Wahlverhalten als Gruppenphänomen, was der prognostische Wert aber als nicht einflussreich ansieht. In einer fortgeschrittenen Gesellschaft wird jedoch davon ausgegangen, dass Individuen nicht in „[...] geschlossenen Milieus oder Netzwerken agier[en] und damit in einem homogenen Umfeld leb[en].“18 Demnach zeigt sich, dass die Parteipräferenzen sich nicht manifestiert.

3.1.2 Makrosoziologischer Ansatz

Der Makrosoziologische Ansatz - auch Cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan19 genannt - basiert auf den Ebenen der Stichprobe westlicher Industriestaaten.

Lipset und Rokkan (1967) legten „[...] eine historisch-genetische Rekonstruktion der Entstehung von Parteisystemen in westeuropäischen Demokratien vor.“20 Die Autoren gingen davon aus, dass sich im Laufe der Zeit in westeuropäischen Regionen „[...] soziale Spaltungslinien[..]“21 herausstellen, die sich wiederum politisch engagierten, um ihre Interessen auf politischem Terrain durchzusetzen.22 Hierzu zählen unter anderem soziale Gruppierungen wie Kirchen, Gewerkschaften, sozialökonomischer Status jedes Einzelnen sowie die ökonomische und konfessionelle Struktur des Wohnorts bzw. des Wahlkreises der Wähler.23

Das Ergebnis ihrer Arbeit war, dass sich Menschen in moderneren Regionen an vier der Cleavages orientieren:24

1. Zentrum vs. Peripherie
2. Staat vs. Kirche
3. Stadt vs. Land
4. Kapital vs. Arbeit

Der erste Konflikt bestehend aus „Zentrum vs. Peripherie“ trennt die dominante Kultur und die unterworfene Kultur voneinander ab.25 Die Minderheiten bestanden meist aus ethnischen, sprachlichen oder religiösen Minderheiten,26 „[...] die sich der Nationalstaatsbildung widersetzen,“27

Der zweite Konflikt: „Staat vs. Kirche“ befasst sich mit dem zunehmenden Machtentzug der Kirche durch den Staat, indem die Kirche immer weniger gesellschaftlichen Einfluss erlangte (so zum Beispiel auch der Einfluss der Kirche auf die Erziehung).28

Der Konflikt Stadt vs. Land entstand in der Zeit der industriellen Revolution, als sich die ökonomischen Interessen städtischer Unternehmer durch den sozialen Aufstieg veränderten.29

Auch im vierten Konflikt „Kapital vs. Arbeit“ liegen die Wurzeln in der Industrialisierung, in dem sich die Interessen der Unternehmer und Arbeitnehmer gegenüberstehen.30

Das Parteiensystem Deutschlands lässt sich an Hand der „Cleavage-Theorie“ darstellen. Essentiell für die heutige Gestaltung des Parteiensystems waren die Phasen der Nationenbildung, Integrationspolitik und der Verfassungsgebung, welche zeitlich eng beieinander liegen. Hier entstand ein erhöhtes Konfliktpotential innerhalb der Bevölkerung und setzte sich in der Politik ab.31 So ist es möglich, das Parteiensystem anhand der Interessenvertretungen abzulesen, denn jede Partei bietet eine mögliche Koalition gegenüber einer anderen Partei, die durch ein anderes politisches Interesse auf politischer Ebene einsetzt.32

3.2 Ann-Arbor-Modell

Das Modell der „Columbia School“ ist hauptsächlich auf die gesellschaftlichen Ebene zurückzuführen. Das Ann-Arbor-Modell entwirft durch Analysen die individuellen Parteiidentifikationen der Wähler, woraus sich eine langfristige Parteibindung entwickelt, die sich durch die politische Sozialisation entwickelt.33 Durch das Werk „The Voter Decides“ (Campbell et al. 1954) konnten erstmals sozialpsychologische Einflüsse analysiert werden, die das Wahlverhalten der Wählerinnen und Wähler beeinflussen.34 Erstmals wurden nationale Stichproben genommen, die unter fünf bestimmten Beachtungsmerkmalen als wesentlich angesehen wurden.

In „The American Voter“ (Campbell et al 1960) wurde eine der bedeutendsten Ansätze der empirischen Wahlforschung geschaffen.35 Im Mittelpunkt der Monographie steht die o.g. Studie aus dem Werk „The Voter Decides aus deren Kritik schlussendlich das Michigan Modell bzw. das Ann-Arbor Modell herausgearbeitet wurde.36

In der Theorie des Michigan-Modells wird davon ausgegangen, dass sich die Präferenzen der Wählerschaft von Wahl zu Wahl nicht völlig unterscheiden und somit keine neue Entscheidung für den/die Wähler/in bevorsteht, da sich im Laufe der Zeit die parteilichen Präferenzen der Wähler entwickeln.

Zentral bei der Analyse sind die Variablen: (1) Parteienidentifikation, (2) Sachfragenorientierung und (3) Kandidatenorientierung, die sich zwischen lang- bzw. kurzfristige Variablen unterscheiden.37

[...]


1 Vgl.: Falter, Gabriel und Weßels, 2005, S. 134

2 Vgl.: Klima, Küchenhoff, Selzer, Thurner, 2017, S. 39

3 Vgl.: Klima, Küchenhoff, Selzer Thurner, 2017, S.37

4 Vgl.: Kaase: 1967, S.83

5 Vgl.: Klima, Küchenhoff, Selzer, Thurner, 2017, S.37

6 Vgl.: Kaase: 1967, S.83

7 Vgl.: Kaase, 1967, S.81-84

8 Kaase, 1967, S. 83

9 Vgl.: Falter, Schoen, 2014, S. 90

10 Vgl.: Klima, Küchenhoff, Selzer Thurner 2017, S.39

11 Vgl.: Paasch-Colber, 2015, S. 106 ff.

12 Vgl.: Klima, Küchenhoff, Selzer Thurner 2017, S.39

13 Vgl.: Klima, Küchenhoff, Selzer Thurner 2017, S. 40

14 Vgl.: Andersen, Woyke, 2000 S. 628

15 Vgl. Falter, Schoen, 2014, S 171

16 Vgl.: Schultze, 2016, S. 127-128

17 Vgl. Falter, Schoen, 2014, S. 176

18 Vgl.: Schultze: 2016, S. 128

19 Vgl.: Falter, Schoen, 2014, XI

20 Falter, Schoen, 2014, S. 180

21 Falter, Schoen, 2014, S. 180

22 Vgl.: Falter, Schoen, 2014, S. 180

23 Vgl.: Röhrig, Sontheimer, 1978 S. 641

24 Vgl.: Roth, 2008, S.29

25 Vgl.: Falter, Schoen, 2014, 181

26 Vgl.: Kaina, Römmele, 2009, S.185

27 Kaina, Römmele, 2009, S. 185

28 Vgl.: Falter, Schoen, 2014, S. 181

29 Vgl.: Falter, Schoen, 2014, S. 181

30 Vgl.: Falter, Schoen, 2014, S. 181

31 Vgl.: Eith; Mielke, 2001, S. 80-81

32 Vgl.: Roth, 2008, S. 33

33 Vgl.: Lauth, 2016, S 308-309

34 Vgl. Mayer, 2017, S. 44-45

35 Vgl.: Schultze, 2016, S. 13

36 Vgl.: Roth, 2008, S. 42

37 Vgl.: Klima, Küchenhoff, Selzer, Thurner, 2017, S. 41

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Erscheinung des Wechselwählers
Untertitel
An welchen Erklärungsansätzen lässt sich das Phänomen der Wechselwahl erklären?
Hochschule
Technische Universität Kaiserslautern
Veranstaltung
Politische Theorie
Note
1.3
Autor
Jahr
2019
Seiten
23
Katalognummer
V988372
ISBN (eBook)
9783346347442
ISBN (Buch)
9783346347459
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wechselwähler, Wahlverhalten, Wählerwanderung
Arbeit zitieren
Christian Meyer (Autor:in), 2019, Die Erscheinung des Wechselwählers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/988372

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