Ein Kaiser innerhalb oder außerhalb der Tetrarchie? Die dynastische Herrschaftslegitimation Konstantins des Großen (306-312)


Tesis (Bachelor), 2020

32 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Aufbau des tetrarchischen Systems
2.1 Die Herrschaftslegitimation der Tetrarchen
2.2 Die Integration Konstantins in die dritte Tetrarchie

3. Konstantins Bündnis mit Maximian im Jahr 307
3.1 Die Aussagekraft der Annahme von Maximians Bündnisangebot über Konstantins Zugehörigkeit zur Tetrarchie
3.2 Der legitimatorische Vorteil Konstantins aus der Verbindung mit dem ehemaligen Tetrarchen Maximian
3.3 Der Verrat Maximians und das Ende von Konstantins tetrarchischer Herrschaftslegitimation

4. Konstantins Berufung auf das blutsdynastische Prinzip seit dem Jahr 307
4.1 Die Betonung der kaiserlichen Stellung von Konstantins Vater Constantius I
4.2 Die Kaiserkonferenz von Carnuntum im Jahr 308
4.3 Die Ausweitung der dynastischen Herrschaftslegitimation: Konstantins fiktive Abstammung vom römischen Kaiser Claudius Gothicus

5. Ausblick: Konstantins weiteres Vorgehen zur dynastischen Legitimation seiner Herrschaft nach 312

6. Fazit

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Nachdem Konstantin I. im Jahr 306 n. Chr.1 von den Truppen seines verstorbenen Vaters Constantius I. in Eboracum zum Kaiser ausgerufen worden war, sah er sich mit der Herausforderung konfrontiert, seine Herrschaft zu legitimieren. Unabhängig davon, dass sein Vater Constantius I. im Jahr 305 in der Tetrarchie zum senior Augustus aufgestiegen war, stellte Konstantins Ausrufung zum Kaiser innerhalb des tetrarchischen Systems eine Usurpation dar, da die leiblichen Kinder der Tetrarchen im diokletianischen System der Vierkaiserherrschaft bei der Nachfolgeregelung keine Rolle spielten.2 Um seinen eigenen Herrschaftsanspruch zu legitimieren, griff Konstantin in den folgenden Jahren auf eine ältere Form der Herrschaftslegitimation zurück: Das blutsdynastische Prinzip. Dadurch versuchte er, die ideologische Legitimationsform der Tetrarchie – die auf verwandtschaftlichen Beziehungen der Tetrarchen untereinander durch Adoption und einer sakralen Legitimierung durch die angebliche Abstammung der Tetrarchen von dem Gott Jupiter und dem Halbgott Herkules beruhte – zu umgehen. Aus diesem Spagat zwischen tetrarchischer und dynastischer Herrschaftslegitimation ergibt sich für die Jahre von 306 bis 312 ein durchaus ambivalentes Bild des späteren Alleinherrschers, welches zur Fragestellung dieser Bachelorarbeit führt: „Ein Kaiser innerhalb oder außerhalb der Tetrarchie?“

Neben der Beantwortung dieser Frage liegt der Schwerpunkt der Arbeit hauptsächlich auf dem Vorgehen Konstantins zur dynastischen Legitimation seiner Herrschaft, wobei ebenfalls seine Bemühungen zur Legitimierung seiner Herrschaft im tetrarchischen Sinne berücksichtigt werden. Dazu soll zunächst der Aufbau des tetrarchischen Systems und die Legitimation der Tetrarchen innerhalb desselben dargestellt werden, um dadurch zu verdeutlichen, warum es Konstantin bei seiner Erhebung zum Kaiser im Jahr 306 eindeutig an Legitimität fehlte. Hierbei wird ebenfalls kurz ausgeführt, wie der amtierende senior Augustus Galerius den Usurpator Konstantin in die Tetrarchie integrierte und welchen Rang dieser innerhalb der sogenannten dritten Tetrarchie innehatte.

Anschließend wird das Bündnis zwischen Konstantin und dem ehemaligen Tetrarchen Maximian aus dem Jahr 307 dahingehend untersucht, welche legitimatorischen Vorteile sowohl der ehemalige als auch der aktuelle Tetrarch aus dieser Verbindung zogen und was die Annahme des Bündnisses für Rückschlüsse über die Zugehörigkeit Konstantins zur Tetrarchie zulässt. Daraufhin wird die Berufung Konstantins auf das blutsdynastische Prinzip seit dem Jahr 307 dargestellt, wobei die besondere Bedeutung herausgestellt wird, die der kaiserlichen Stellung von Konstantins Vater Constantius I. dabei zukam. Um nachzuvollziehen, warum es im Jahr 310 zu einer Ausweitung der dynastischen Herrschaftslegitimation kam, werden kurz die Ereignisse im Rahmen der Kaiserkonferenz von Carnuntum aus dem Jahr 308 umrissen und deren Konsequenzen für Konstantin erläutert. Abschließend wird Konstantins Berufung auf seinen angeblichen Ahnherrn Claudius Gothicus im Rahmen der dynastischen Herrschaftslegitimation interpretiert.

Zur Darstellung des Aufbaus und der ideologischen Gestaltung der Tetrarchie werden die einschlägigen Werke Wolfgang Kuhoffs3 und Frank Kolbs4 herangezogen. Während Kolb sich vor allem mit der Frage beschäftigt, ob es sich bei der Tetrarchie um eine unbeabsichtigte aber vorhersehbare Weiterentwicklung der monarchischen Herrschaft oder um eine geplante Neuorganisation des Prinzipats handelte, bietet Kuhoff eine umfassende und detaillierte Darstellung der Etablierung der Tetrarchie bis hin zum Scheitern der tetrarchischen Regierungsidee.

Insgesamt sind die Jahre zwischen 306 und 312 sowie Konstantins verschiedene Maßnahmen zur Legitimation seines Herrschaftsanspruchs in der althistorischen Forschung ausführlich behandelt worden. Neben den deutschsprachigen Konstantinsbiographen Bruno Bleckmann,5 Hartwin Brandt,6 Oliver Schmitt7 und Klaus Rosen8 haben sich insbesondere Frank Kolb9 und Henning Börm10 mit der dynastischen Herrschaftslegitimation Konstantins auseinandergesetzt. Der Zeitraum von 306 bis 312 wird von den genannten Biographen insgesamt sehr ausführlich behandelt; neben dem Zerfall der tetrarchischen Ordnung werden ebenfalls die Maßnahmen Konstantins benannt, seine Herrschaft sowohl innerhalb als auch außerhalb des tetrarchischen Systems zu legitimieren. Kolb analysiert ebenfalls Konstantins Herrschaftslegitimation bis zum Auseinanderbrechen der Tetrarchie und skizziert somit die wichtigsten Entwicklungsstufen bei der Rückkehr Konstantins zum blutsdynastischen Prinzip. Börm, der in seinem Aufsatz untersucht, warum das dynastische Prinzip endgültig zum festen Bestandteil der Legitimation römischer Herrscher wurde, schreibt Konstantin aufgrund seiner Legitimationsstrategie während des Zerfalls der Tetrarchie die zentrale Rolle bei dieser Entwicklung zu.

Auch wenn zur Person und zum Leben Konstantins eine beachtliche Menge literarischer Quellen vorliegt, sind in Bezug auf die konkrete Fragestellung nach der dynastischen Legitimation die Panegyrici Latini 11 am ergiebigsten und besitzen darüber hinaus einen besonders hohen Quellenwert, da die Panegyriker „von den Kaisern selbst hinreichend darüber unterrichtet wurden, wovon sie zu reden hatten, was sie verschweigen und was sie besonders herausstellen sollten“12, sodass wir uns mithilfe dieser kaiserlichen Lobreden eine Vorstellung von der „offiziellen, kaiserlichen Sichtweise“13 machen können. Darüber hinaus dienen die Werke der spätantiken Geschichtsschreiber Laktanz,14 Eutrop15 und Aurelius Victor16 als primäre Quellen. Zu berücksichtigen ist hierbei die Tendenz der jeweiligen Autoren: Während der christliche Autor Laktanz in erster Linie daran interessiert war, „eine im Rückblick geglättete Lebens- und Wirkungsgeschichte des ersten christlichen Kaisers zu produzieren“17, galt das Gegenteil für die heidnischen Geschichtsschreiber Eutrop und Aurelius Victor, denen es weniger um eine ausgewogene Darstellung von Konstantins Leben und Wirken als um eine teilweise stark verzerrte und pejorative Darstellung des Kaisers ging.18 Dementsprechend ist auch das Werk des Laktanz, obwohl es zeitlich näher an den in dieser Arbeit thematisierten Ereignissen liegt als die Werke der heidnischen Autoren, mit Skepsis zu behandeln und mit den übrigen Quellen abzugleichen.

In Bezug auf die Herrschaftslegitimation Konstantins sind zudem die numismatischen Quellen von großer Bedeutung; die Deutung ihrer Ikonographie und Legenden gibt Aufschluss über Konstantins Selbstdarstellung nach außen und auch darüber, ob und inwiefern sich diese Selbstdarstellung in dem hier untersuchten Zeitraum verändert hat.

2. Der Aufbau des tetrarchischen Systems

Diokletians Ausrufung zum Kaiser durch seine Truppen im Jahr 284 stellte zunächst „nur ein weiteres Beispiel für die im 3. Jh. so zahlreichen Usurpationen dar.“19 Ungewöhnlich war hingegen sein Schritt, mit der Ernennung Maximians zum Caesar und seiner späteren Erhebung zum Augustus 20 seine Alleinherrschaft zur Dyarchie auszuweiten und diese im Jahr 293 mit der Ernennung von Constantius und Galerius zu Caesares sogar noch zur Tetrarchie zu erweitern. Diese freiwillige Beteiligung von Männern an seiner kaiserlichen Macht, mit denen Diokletian nicht einmal verwandtschaftliche Beziehungen verbanden, lag in den Erfahrungen aus dem 3. Jahrhundert begründet: In der sogenannten Epoche der Soldatenkaiser von 235 bis 284 waren Usurpationen und Bürgerkriege über Jahrzehnte hinweg eine permanente Erscheinung im Römischen Reich.21

Diokletians primäres Ziel, die Stabilisierung des Kaisertums, ließ sich bei der Größe des römischen Imperiums kaum als einzelner Herrscher verwirklichen; deswegen erweiterte er auch seine Herrschaft zunächst zur Dyarchie und anschließend zur Tetrarchie, wodurch jedem Augustus ein Caesar zur Seite gestellt wurde.22 Jeder der insgesamt vier Kaiser hatte im Imperium seinen eigenen Hof und seinen persönlichen Zuständigkeitsbereich. Maximian war als Kaiser des Westens für die Gebiete Afrika, Italien und das Illyricum zuständig, Constantius als Caesar für Spanien, Gallien und Britannien.23 Im Osten des Reiches lässt sich eine solche Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche nicht so eindeutig wie im Westen vornehmen, da Diokletian „hier seine Gesamtzuständigkeit als Oberkaiser viel stärker betont hat.“24 Durch diese Aufteilung des Reichsgebietes in verschiedene Zuständigkeitsbereiche konnten die Tetrarchen wesentlich schneller auf etwaige Bedrohungen reagieren, als es für einen einzelnen Herrscher möglich gewesen wäre; die tetrarchische Herrschaft garantierte im gesamten Reich eine „kaiserliche Dauerpräsenz“25.

Auch wenn diese Aufgabenverteilung und die auf Inschriften, Münzen und Kunstwerken verkündete Eintracht26 innerhalb des tetrarchischen Kaiserkollegiums den Eindruck erweckte, dass es sich um vier gleichberechtigte Kaiser handelte, herrschte innerhalb der Tetrarchie eine streng hierarchische Struktur. Diokletian hatte als Begründer der Tetrarchie und als dienstältester Kaiser den Rang des senior Augustus inne; ihm verdankten die übrigen Tetrarchen ihre kaiserliche Stellung und seine auctoritas wurde von ihnen scheinbar niemals angezweifelt.27 Maximian stand als iunior Augustus zwar unter Diokletian, dafür aber über den beiden Caesares Constantius und Galerius. Auch die Caesares waren, obwohl sie den gleichen Rang bekleideten, nicht von dieser Hierarchie ausgenommen: Constantius, der Caesar des Westens, stand im Rang über dem Caesar des Ostens, Galerius. Dies ist insofern bemerkenswert, weil „bei der Ernennung der Caesares […] also das Anciennitätsverhältnis der beiden Augusti auf den Kopf gestellt worden [war]: der Mann des iunior Augustus hatte den Vorrang gegenüber dem des senior Augustus erhalten.“28 Diese Rangfolge hatte für das tetrarchische System Diokletians eine große Bedeutung, da die beiden Augusti nach zehn Jahren freiwillig abdanken, ihre Caesares zu Augusti aufrücken und ihrerseits wieder neue Caesares berufen sollten.29 So geschah es dann auch im Jahr 305: Diokletian und Maximian dankten ab,30 Constantius rückte zum senior Augustus und Galerius zum iunior Augustus auf und die beiden neuen Kaiser beriefen ihrerseits Caesares.31 Die Wahl fiel dabei mit Maximinus Daia und Severus auf zwei weitere Soldaten.

2.1 Die Herrschaftslegitimation der Tetrarchen

Ihre Herrschaft sicherten und legitimierten die Tetrarchen zum einen durch Heiratsverbindungen und Adoptionen innerhalb des Kaiserkollegiums und zum anderen durch eine „exklusive theokratische Ideologie“32. Diokletian adoptierte Maximian nach dessen Erhebung zum Augustus in seine Familie; allerdings als Bruder (frater) und nicht als Sohn (filius).33 Die Adoption Maximians stellte die erste Maßnahme zur Schaffung einer kaiserlichen Familie dar, die durch Adoption und Heirat miteinander verbunden war:

Damit [begann] die für das diocletianische System charakteristische Verschränkung von ‚natürlicher‘ und ‚kaiserlicher‘ Familie: Die Augusti waren im Verhältnis zueinander Brüder, ebenso die im Frühjahr 293 ernannten Caesares untereinander, aber letztere waren zugleich Söhne (filii) der Augusti, kraft Amt, unabhängig von natürlicher Verwandtschaft oder Adoption.34

Da die Caesares Constantius und Galerius auch die Töchter ihrer Adoptivväter heirateten – und dadurch zugleich zu deren Schwiegersöhnen wurden – entstand ein komplexes Konstrukt aus Verbindungen zwischen den vier Kaisern: Das Kaiserkollegium erschien in der Folge wie eine einzige, große Familie.35

Dazu kam die ideologische Ausgestaltung der tetrarchischen Herrschaft, die sakral begründet war und darauf beruhte, dass es sich bei den Tetrarchen um Nachkommen des Gottes Jupiter und des Halbgottes Herkules handelte. Demnach stammten Diokletian und sein Caesar Galerius von Jupiter, Maximian und dessen Caesar Constantius von Herkules ab.36 Die kaiserlichen Beinamen Iovius und Herculius waren dementsprechend auch kein bloßer Verweis auf den Beistand der jeweiligen Schutzgötter: Sie bescheinigten den Kaisern „wirkliche Teilhabe am göttlichen Wesen, [den] Besitz der Wirkungskräfte (numina) und damit auch der Fähigkeiten (virtutes) dieser Gottheiten von Geburt an.“37 Die auf diese Weise geschaffene göttliche Familie (domus divina) legitimierte den Herrschaftsanspruch der Tetrarchen als Herrschaft von Kaisern mit göttlichen Qualitäten und machte es potentiellen Usurpatoren damit von vorneherein schwer: „Eine Herrschaft von Gottessöhnen konnte theoretisch von niemandem in Frage gestellt werden, weder von Soldaten noch von einem Usurpator. Usurpation war in einem solchen Fall ein Sakrileg.“38 Mit der Schaffung dieser „göttlichen Familie“ trennte Diokletian die Tetrarchen zugleich von ihren leiblichen Familien.39 Dieser Umstand und die tetrarchische Nachfolgeregelung standen damit im Gegensatz zum blutsdynastischen Prinzip, nach dem der Sohn eines Herrschers nach dessen Tod die kaiserliche Stellung übernahm.

2.2 Die Integration Konstantins in die dritte Tetrarchie

Konstantin hatte dementsprechend als leiblicher Sohn eines Tetrarchen keinerlei Anspruch auf den kaiserlichen Rang seines Vaters Constantius. Seine Ausrufung zum Augustus durch die Truppen seines Vaters entsprach nicht den Kriterien der Tetrarchie.40 Nach dem Tod des Constantius und dem Ende der sogenannten zweiten Tetrarchie stieg Galerius, der als letzter Kaiser der ursprünglichen, ersten Tetrarchie verblieben war, zum senior Augustus auf. Anstatt Konstantin, bei dem es sich aus Sicht der Tetrarchen zweifellos um einen Usurpator gehandelt haben muss, militärisch auszuschalten, bot Galerius ihm einen Kompromiss an: Konstantin sollte auf den Rang des Augustus verzichten, im Gegenzug ernannte Galerius ihn zum Caesar und integrierte ihn somit in die dritte Tetrarchie.41 Auf diese Weise konnte der senior Augustus sein Gesicht wahren und zugleich einen Bürgerkrieg verhindern; es handelte sich bei der Integration Konstantins in die Tetrarchie um eine Maßnahme, „deren Hauptziel erkennbar in der Bewahrung der tetrarchischen Ordnung bestand.“42

Auch wenn Galerius Konstantin widerwillig als rangniedrigsten Kaiser in die Tetrarchie aufnahm, um somit die durch die Kaisererhebung Konstantins ins Wanken geratene tetrarchische Ordnung zumindest notdürftig wiederherzustellen, fehlte es Konstantin im tetrarchischen Sinne als Kaiser an Legitimität. Zum einen sah die tetrarchische Nachfolgeregelung nicht vor, dass der leibliche Sohn eines Tetrarchen nach dem Tod seines Vaters Anspruch auf dessen kaiserliche Stellung hatte. Zum anderen konnte Konstantin keine besonderen militärischen Erfolge vorweisen, mit denen er der Res publica einen Dienst erwiesen hätte. Dementsprechend fehlte ihm auch im Sinne des Kooptationsprinzips jegliche Legitimität, da er sich im Gegensatz zu den militärisch erfahrenen Tetrarchen durch keine herausragenden Leistungen um den Staat verdient gemacht hatte.43 Wie sein Handeln in den ersten Jahren seiner Herrschaft zeigt, war Konstantin sich durchaus bewusst, dass es ihm im Vergleich zu den übrigen tetrarchischen Kaisern an Legitimität mangelte.44 Um seinen eigenen Herrschaftsanspruch zu bekräftigen, seine Machtposition zu erweitern und sein Streben nach der Alleinherrschaft überzeugend zu rechtfertigen, griff er in den folgenden Jahren auf verschiedene Formen der Herrschaftslegitimation zurück.

3. Konstantins Bündnis mit Maximian im Jahr 307

Kurze Zeit nach Konstantins Ausrufung zum Herrscher usurpierte in Rom ebenfalls Maxentius,45 der leibliche Sohn des ehemaligen Tetrarchen Maximian, und beanspruchte für sich den Rang eines Imperators.46 Sowohl Laktanz als auch Eutrop berichten davon, dass sich Maximian als Reaktion auf die Erhebung seines Sohnes sofort nach Rom zu Maxentius begab und damit entgegen Diokletians Entschluss in die aktive Politik zurückkehrte.47 Diese Situation gestaltete sich für den senior Augustus Galerius völlig anders, als die Erhebung Konstantins einige Monate zuvor: Während Konstantins Platz in der Tetrarchie durch den Tod seines Vaters Constantius frei wurde, sodass eine Integration in die Tetrarchie ohne größere Probleme zu realisieren war, nahm Maxentius für sich eine Stellung in Anspruch, die zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht zur Verfügung stand, da das Herrscherkollegium vollzählig war.48 Dementsprechend erhielt Severus von Galerius den Auftrag, militärisch gegen Maxentius vorzugehen.

Bei den Truppen des Severus handelte es sich zum Großteil um Soldaten, die bereits unter Maximian gedient hatten. Nach der Schilderung Eutrops und Laktanz´ wechselten viele der Soldaten des Severus bei der Belagerung Roms die Seiten und schlossen sich ihrem ehemaligen Oberbefehlshaber Maximian und dessen Sohn Maxentius an,49 Aurelius Victor nennt als weiteren Grund Bestechungsgelder, die Maxentius den gegnerischen Soldaten geboten haben soll.50 Severus flüchtete mit seinen verbliebenen Soldaten nach Ravenna, musste sich dann aber Maximian ergeben und wurde umgebracht bzw. zum Selbstmord gezwungen.51 Da Galerius sich nach dem Scheitern des Severus dazu entschloss, persönlich gegen den Usurpator Maxentius und dessen Vater Maximian vorzugehen und einen Feldzug gegen Rom vorbereitete, begab sich Maximian im Jahr 307 nach Gallien, um Konstantin als Verbündeten gegen Galerius zu gewinnen.52

3.1 Die Aussagekraft der Annahme von Maximians Bündnisangebot über Konstantins Zugehörigkeit zur Tetrarchie

Maximians Gründe für das Bündnis mit Konstantin sind leicht nachvollziehbar: Der ehemalige Augustus, der nach übereinstimmenden Berichten der antiken Quellen unfreiwillig und nur auf Druck Diokletians sein Herrscheramt niederlegte, wollte zumindest seine vorherige Stellung als Augustus wiedererlangen – wobei durchaus angenommen werden kann, dass er nach dem Titel des senior Augustus strebte, da er im Vergleich zu Galerius der rangältere Kaiser war.53 Dass Maximian wirklich ein ernsthaftes Interesse daran hatte, bei den Verhandlungen mit Konstantin die Interessen seines Sohnes Maxentius durchzusetzen, darf zumindest bezweifelt werden – vor allem in Anbetracht des Zerwürfnisses mit seinem Sohn kurz nach seiner Rückkehr aus Gallien.54 Wahrscheinlicher ist, dass es ihm bloß um die Stärkung seiner eigenen Stellung ging.

[...]


1 Bei allen zeitlichen Angaben in dieser Arbeit handelt es sich um Daten nach Christi Geburt. Aus Gründen der Lesbarkeit wird deswegen fortlaufend auf den Zusatz „n. Chr.“ verzichtet.

2 Durch das Kooptationsverfahren wurden potenzielle Nachfolger nicht mehr länger aufgrund ihrer Abstammung, sondern nach ihrer Leistungsfähigkeit bzw. ihrer militärischen Erfahrung ausgesucht. Dadurch blieb gleichzeitig jedem Usurpator die Legitimation vorenthalten, da er sich nicht mehr bloß auf seine Abstammung berufen konnte.

3 Vgl. Kuhoff, Wolfgang, Diokletian und die Epoche der Tetrarchie. Das römische Reich zwischen Krisenbewältigung und Neuaufbau (284-313 n. Chr.), Frankfurt a.M. 2001.

4 Vgl. Kolb, Frank, Diocletian und die Erste Tetrarchie. Improvisation oder Experiment in der Organisation monarchischer Herrschaft, Berlin 1987 (=Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte Bd. 27).

5 Vgl. Bleckmann, Bruno, Konstantin der Große, Hamburg 1996.

6 Vgl. Brandt, Hartwin, Konstantin der Grosse. Der erste christliche Kaiser, München 32011.

7 Vgl. Schmitt, Oliver, Constantin der Große (275-337). Leben und Herrschaft, Stuttgart 2007.

8 Vgl. Rosen, Klaus, Konstantin der Große. Kaiser zwischen Machtpolitik und Religion, Stuttgart 2013.

9 Vgl. Kolb, Frank, Herrscherideologie in der Spätantike, Berlin 2001 (=Studienbücher Geschichte und Kultur der Alten Welt).

10 Vgl. Börm, Henning, Born to Be Emperor. The Principle of Succession and the Roman Monarchy, in: Wienand, Johannes (Hrsg.), Contested Monarchy. Integrating the Roman Empire in the Fourth Century AD, Oxford 2015, S. 239-264 (=Oxford Studies in Late Antiquity).

11 Müller-Rettig, Brigitte, Panegyrici Latini. Lobreden auf römische Kaiser Bd. 1, Darmstadt 2008 (=Edition Antike); Müller-Rettig, Brigitte, Panegyrici Latini. Lobreden auf römische Kaiser Bd. 2, Darmstadt 2008 (=Edition Antike).

12 Schmitt, Constantin, S. 17.

13 Ebd.

14 Laktanz, De mortibus persecutorum, ed. Alfons Städele, Turnhout 2003 (=Fontes Christiani Bd. 43).

15 Eutrop, Breviarium ab urbe condita, ed. Friedhelm Müller, Stuttgart 1995 (=Palingenesia Bd. 56).

16 Sextus Aurelius Victor, Liber de caesaribus, ed. Kirsten Groß-Albenhausen und Manfred Fuhrmann, Zürich 1997 (=Sammlung Tusculum).

17 Brandt, Konstantin, S. 24.

18 Vgl. ebd.

19 Kolb, Diocletian, S. 11.

20 Maximians Ernennung zum Caesar erfolgte Ende 285 und seine Ernennung zum gleichberechtigten Augustus im April 286, vgl. dazu Schmitt, Constantin, S. 61.

21 Vgl. Kuhoff, Diokletian, S. 18.

22 Dem senior Augustus Diokletian wurde der Caesar Galerius zugeteilt und dem iunior Augustus Maximian der Caesar Constantius.

23 Vgl. Schmitt, Constantin, S. 63.

24 Ebd.

25 Kolb, Herrscherideologie, S. 27.

26 Vgl. Brandt, Hartwin, Das Ende der Antike. Geschichte des spätrömischen Reiches, München 42010, S. 11.

27 Vgl. Börm, Emperor, S. 245.

28 Schmitt, Constantin, S. 63.

29 Dies wurde laut Brandt „durch gezielte Manipulation bei der offiziellen Zählung der Herrschaftsjahre“ (Brandt, Antike, S. 11) erreicht. Durch die Angleichung der Regierungszeiten von Diokletian und Maximian schufen die Tetrarchen somit „eine fiktive, dezimale Symmetrie zwischen Augusti und Caesares und ermöglichten einen erkennbar langfristig avisierten, regelmäßigen Wechsel der Herrscherpositionen“ (ebd.).

30 Aurelius Victor, Eutrop und Laktanz betonen, dass die Abdankung Maximians keinesfalls freiwillig und eher auf Druck Diokletians erfolgte, vgl. dazu Eutr. 9,27,1; Aur. Vict. 39,48; Lact. mort. pers. 26,7. Die folgenden Ereignisse, v.a. die Rückkehr Maximians in das Herrscheramt (vgl. dazu Kapitel 3), bekräftigen diese Einschätzung.

31 Vgl. Kuhoff, Diokletian, S. 307ff.

32 Vgl. Brandt, Antike, S. 11.

33 Mit der Adoption Maximians und seiner Bezeichnung als Bruder wurde zum Ausdruck gebracht, dass dieser – zumindest formal – eine Herrscherposition innehatte, die der Diokletians ebenbürtig war, vgl. dazu Kolb, Herrscherideologie, S. 27f.

34 Kolb, Herrscherideologie, S. 28.

35 Vgl. ebd.

36 Die Tatsache, dass Diokletian sich den Göttervater Jupiter als Schutzgott erwählte und Maximian sich mit dem Halbgott Herkules als Schutzgottheit begnügen musste, unterstrich ebenfalls Diokletians Vorrangstellung im tetrarchischen System, vgl. dazu Schmitt, Constantin, S. 62.

37 Kolb, Herrscherideologie, S. 36.

38 Ebd.: S. 37.

39 Dadurch sollten familieninterne Rivalitäten, wie es sie im Römischen Reich innerhalb der Kaiserfamilien in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten zur Genüge gegeben hatte, gar nicht erst auftreten, vgl. dazu Kolb, Herrscherideologie, S. 37.

40 Vgl. Börm, Emperor, S. 239.

41 Vgl. Rosen, Konstantin, S. 103.

42 Brandt, Konstantin, S. 32.

43 Vgl. Börm, Emperor, S. 246f.

44 Vgl. ebd.: S. 247.

45 Vgl. dazu Aur. Vict. 40,5; Eutr. 10,2,3; Eus. 1,26; Lact. mort. pers. 26,1.

46 Auf den von ihm geprägten Münzen bezeichnete Maxentius sich lediglich als Princeps, vgl. dazu RIC VI 367-371. Nach Schmitt lässt sich dies darauf zurückführen, dass Maxentius damit in Richtung des senior Augustus Galerius eine gewisse Kompromissbereitschaft hinsichtlich seines Titels signalisieren wollte und vermutlich auf eine Integration in die Tetrarchie hoffte, wie sie bei Konstantin erfolgte, vgl. dazu Schmitt, Constantin, S. 110.

47 Vgl. Eutr. 10,2,3; Lact. mort. pers. 26,7.

48 Vgl. Bleckmann, Konstantin, S. 44.

49 Eutr. 10,2,4: Sed adversus motum praetorianorum atque Maxentii Severus Caesar Romam missus a Galerio cum exercitu venit obsidensque urbem militum suorum scelere desertus est; Lact. mort. pers. 26,8: Severus interim vadit et ad muros urbis armatus accedit. Statim milites sublatis signis abeunt, et se <ei>, contra quem venerant, tradunt.

50 Aur. Vict. 40,7: Is circum muros cum ageret, desertus a suis, quos praemiorum illecebris Maxentius traduxerat.

51 Aurelius Victor und Laktanz berichten, dass Severus die Festung von Ravenna erreichte, bevor er sich ergeben musste und getötet wurde, Eutrop geht hingegen davon aus, dass Severus bereits während seiner Flucht getötet wurde, vgl. dazu Lact. mort. pers. 26,9-11; Aur. Vict. 40,7; Eutr. 10,2,4.

52 Vgl. Lact. mort. pers. 27,1.

53 Vgl. Schmitt, Constantin, S. 112f.

54 Aurelius Victor berichtet von der Unzufriedenheit Maximians mit dem Verhalten seines Sohnes (Aur. Vict. 40,21), Laktanz (Lact. mort. pers. 28,1-4) und Eutrop (Eutr. 10,3,1) beschreiben hingegen beide, dass Maximian seinen Sohn sogar entmachten wollte, um alleiniger Herrscher Roms zu werden und seine Herrschaft nicht länger mit Maxentius teilen zu müssen.

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Detalles

Título
Ein Kaiser innerhalb oder außerhalb der Tetrarchie? Die dynastische Herrschaftslegitimation Konstantins des Großen (306-312)
Universidad
RWTH Aachen University  (Historisches Institut)
Calificación
1,0
Autor
Año
2020
Páginas
32
No. de catálogo
V988563
ISBN (Ebook)
9783346342881
ISBN (Libro)
9783346342898
Idioma
Alemán
Palabras clave
kaiser, tetrarchie, herrschaftslegitimation, konstantins, großen
Citar trabajo
Julian Kroth (Autor), 2020, Ein Kaiser innerhalb oder außerhalb der Tetrarchie? Die dynastische Herrschaftslegitimation Konstantins des Großen (306-312), Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/988563

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