Einführung plebiszitärer Elemente in das repräsentative System der BRD


Ponencia / Ensayo (Colegio), 1997

12 Páginas


Extracto


Gliederung:

1. Das repräsentative und das plebiszitäre System

2. Eine historisch Betrachtung der Verbände und Parteien

3. Das repräsentative System der BRD

4. Die Bedeutung der Wahl - „Personenplebiszit“

5. Risiko des Personenplebiszits

6. Nachteil des repräsentativen Systems

7. Ausweg aus dem repräsentativen System durch direkte Demokratie

8. Plebiszitäre Elemente
- Volksenquête
- Volksbegehren und Volksentscheid

9. Problematik der Einführung plebiszitärer Elemente

10. Stellungnahme und Resümee

1. Das repräsentative und das plebiszitäre System

„Repräsentation ist die rechtlich autorisierte Ausübung von Herrschaftsfunktionen durch verfassungsmäßig bestellte, im Namen des Volkes, jedoch ohne dessen bindenden Auftrag handelnde Organe eines Staates oder sonstigen Trägersöffentlicher Gewalt, die ihre Autorität mittelbar oder unmittelbar vom Volk ableiten und mit dem Anspruch legitimieren, dem Gesamtinteresse des Volkes zu dienen und so dessen wahren Willen zu vollziehen.“1 Ein ideales repräsentatives Regierungssystem (d.h. ein durch Personen würdig vertretenes Regierungssystem) geht von der These eines vorgegebenen und objektiv feststellbaren Gesamtinteresses und der Hypothese aus, daß der Wille des Volkes auf die Förderung des Gesamtinteresses gerichtet sei (Hypothetischer, d.h. angenommener Volkswille). In der politischen Realität versucht ein jedes Repräsentativsystem, den Ansichten der Volksmehrheit Rechnung zu tragen, soweit sich dies mit der Förderung des Gemeinwohls in Einklang bringen läßt; in jeder Nichtbeachtung des empirisch (d.h. aus der Erfahrung) feststellbaren Volkswillens erblickt es eine Gefährdung des Gemeinwohls. Aufgabe einer Repräsentativverfassung ist es, die Realisierung des Volkswillens optimal zu ermöglichen unter der Bedingung, daß bei eventuell auftretenden Differenzen zwischen hypothetischem und empirischem Volkswillen dem hypothetischen Volkswillen der Vorzug gebührt.

Ein ideales plebiszitäres (lateinisch: plebis scitum, d.h. ein Beschluß der Volksversammlung des Plebs, der unteren Schicht) Regierungssystem geht von der stillschweigenden Voraussetzung eines einheitlichen Volkswillens aus, von dem in erster Linie angenommen wird, daß er mit dem Gesamtinteresse identisch sei. Er erblickt in der Existenz von Minderheits- und Sonderinteressen Störungsfaktoren, die, weil sie die Bildung des einheitlichen Volkswillens zu verhindern imstande sind, entweder verneint, beseitigt oder durch Verweisung in den nicht politischen Raum neutralisiert werden sollen. Aufgabe eines plebiszitären Regierungssystems ist es, einen Zustand herzustellen und zu bewahren, der eine optimale Übereinstimmung von empirischem Volkswillen und Gesamtinteresse gewährleistet mit der Maßgabe, daß bei einer Differenz zwischen empirischem und hypothetischem Volkswillen dem empirischen Volkswillen der Vorzug gebührt. Im Gegensatz zu dem aus einer Interessenvertretung entstandene und daher am Leitbild der Gesellschaft ausgerichteten Repräsentativsystem ist das aus der Versammlung aller Aktivbürger erwachsene plebiszitäre Regierungssystem am Leitbild der Gemeinschaft orientiert.2

Historisch vermag es seinen zumindest ideologischen Zusammenhang mit der Polis (griechisch: πολιζ, der demokratische Stadtstaat des griechischen Altertums) niemals völlig zu verleugnen. Auch wenn es für den Großflächenstaat aus Zweckmäßigkeitsgründen die Notwendigkeit von Repräsentativorganen nicht abspricht, erblickt es in einem parlamentarischen Beschluß doch lediglich den Anschein eines Volksentscheids. Vom Blickpunkt des plebiszitären Aufbaus aus steht jedes Repräsentationsorgan unter der ständigen Gefahr, eine politische Selbstentfremdung des Volkes herbeizuführen und zu vertiefen. In der Bildung eines eigenständigen parlamentarischen Bewußtseins sehen die Anhänger des plebiszitären Regierungsprinzips nicht eine Verfeinerung, sondern eine Verkehrung des als höchsten Wert anerkannten empirischen Volkswillens.

2. Eine historische Betrachtung der Verbände und Parteien

Als Leitfiguren in der Politik haben sich mehr und mehr Verbände und Parteien herauskristallisiert. Um den Unterschied und die Gemeinsamkeiten zu verstehen, muß man die Geschichte beider betrachten.

Verbände, als Organe der Herrschaft, gibt es wie überall auch in Deutschland seit langer Zeit. Sie sind jeweils entstanden, wenn die ständische Lebensordnung den einzelnen Menschen nicht mehr gänzlich erfaßte. Sie haben sich immer mehr frei entfaltet, je weniger das Leben des einzelnen durch Herkunft oder Beruf vorbestimmt und in eine gültige Ordnung, wie z.B. die Zunftordnung, eingefügt war. Insgesamt ist ihre Geschichte, auch kontinuierlicher verlaufen als die der politischen Parteien und des Parlamentarismus in Deutschland. Als im Vormärz die modernen Parteien in Deutschland entstanden und allmählich vorsichtig tastend eigene Organisationsformen entwickelten, kam es nicht zu ausdrücklichen Begegnungen zwischen den in Verbänden organisierten Interessen und den Parteien, da die Parteien zunächst nicht übermäßig anökonomischen und sozialen Fragen orientiert waren, sondern mehr prinzipiellen Charakter hatten. In der Bismarckzeit wandelte sich dieses Verhältnis, wobei die zunehmende Industrialisierung und damit die Umschichtung der Gesellschaft ebenso mitwirkten wie der von Bismarck geprägte politische Stil. Für Bismarck repräsentierte das Parlament die Gesellschaft, und die Regierung verkörperte dem Parlament gegenüber den „Staat“. Im Verhältnis beider zueinander sollte es - nicht nur, aber auch - darum gehen, daß die Gesellschaft dem Staat politische Forderungen bewilligte und dafür Zugeständnisse auf anderen Gebieten, z.B. den Schutzzoll, erhielt. In dieser Zeit wurden die Verbände, die Interessen vertraten, zu Gesprächspartnern der Parteien. Andere organisierte Gesprächspartner waren die Vereine mit mehr politischen, geistigen, kulturellen, sozialen und geselligen Zielen, die auf Grund des Vereinigungsrechtes und einer oft weitreichenden genossenschaftlichen Tradition besonders im 19. Jahrhundert eine erhebliche Rolle spielten, auf die nicht nur die vielbelächelte deutsche „Vereinsmeierei“ zurückzuführen ist. Organisierte Gruppen, eingebürgerte Organisationsformen und Elemente eines Verhaltensstils waren demnach bereits vorhanden, als sich nach dem Ersten Weltkrieg der moderne Sozialstaat aus dem früheren liberalen Rechtsstaat entwickelte. In dem Maße, in dem die Politik neben dem prinzipiellen Ordnungsgefüge des Gemeinwesens auch das soziale und wirtschaftliche Gefüge mitzugestalten und darüber hinaus umfassend die Daseinsvorsorge zu ihren Aufgaben zu rechnen begann, waren auch die Verbände zur Stelle, um die von ihnen vertretenen Interessen ins Spiel zu bringen und für sie nützliche Einzelmaßnahmen der Politik herbeizuführen.

„Die mannigfaltigen größeren und kleineren Verbände, die soziale, wirtschaftliche, kulturelle oder politische Interessen vertreten, verkörpern ein gegensätzliches soziales System differenzierter Gruppeninteressen, die in der Regel auf gesellschaftlichen Gegensätzen und Spannungen beruhen, und unter denen sich einige große beherrschende Organisationen wie Gipfel über einem Meer anderer Erscheinungen emporheben“. Sehr bald wurde der Unterschied zu den Parteien geklärt. Während die Parteien um eine Gesamtkonzeption ringen und schon wegen des Zieles, die Mehrheit zu erringen, darauf verzichten müssen, sich allzu eng an einzelne Gruppen und ihre Interessen zu binden, können die Verbände unbefangen soziale oder wirtschaftliche - gelegentlich auch immaterielle Interessen wahrnehmen, ohne nach der Übernahme der Gesamtverantwortung im Staate zu streben.

Der zunehmende Einfluß der Verbände auf die Politik und die zunehmende Bindung politischer Parteien an einzelne Verbände und Interessengruppen stieß nach 1919 hart auf das überlieferte Staatsideal, das von der „Überparteilichkeit“ des Staates und seiner ordnenden Funktion, auch seiner schiedsrichterlichen Stellung über den sozialen Gegensätzen geprägt war. Die Realität der vielschichtig gegliederten und aus offenen, variablen Gruppen bestehenden Gesellschaft wurde negativ beurteilt. Gegen die „Zersplitterung“ oder den „Zerfall in Interessenhaufen“ wurde erfolgreich eine Gemeinschaftsideologie mobilisiert, die gefühlsmäßig vorbereitet war und aus dem Risiko des Wirtschaftskampfes ebenso herauszuführen versprach wie aus der Unbequemlichkeit, sich in der verwirrenden Vielfalt von Interessen, Programmen und Ansprüchen zurechtfinden zu müssen. Je weniger der Bürger gewohnt war, einen Ausgleich von Fall zu Fall herbeizuführen und am sozialen Kompromiß zu arbeiten, desto mehr mußte der Staat, dem damit diese Aufgabe zufiel, verdächtig werden, wenn er selbst nun den Parteien und Interessen ausgeliefert schien. Auf diesem Boden hatten die autoritären Vorstellungen ihre Chance: Volksgemeinschaft, Ständestaat, plebiszitäre (d. h. ungegliedert nach Parteien usw.) Diktatur oder auch der Traum von der verwirklichten Gleichheit aller waren die Parolen. Der Siegeszug der Unpolitischen begann mit dem Verzicht auf die Voraussetzung freiheitlicher Demokratie, in der von jedem Bürger gefordert ist, Interessen und Ideen mit denen der anderen auszugleichen, sich also mit den anderen auch selbst auseinanderzusetzen.

Die Widersprüche der Zeit vor 1933 sind der Zeit nach 1945 erhalten geblieben. Geblieben sind Organisationsbedürfnis und Verbandsfreudigkeit, geblieben ist die Macht der Verbände, die organisatorisch dauerhafter und stärker sind als die Parteien, geblieben ist auch eine dem Antiparteien-Initiative vergleichbare Einstellung gegenüber den Verbänden, wenn sie politisch wirksam werden. „Der Parteienprüderie (d.h. Zimperlichkeit den Parteien gegenüber) unter der Weimarer Verfassung entspricht eine Interessenverbandsprüderie unter dem Bonner Grundgesetz“. Die Wissenschaft lieferte Formulierungen: Werner Webers Ausspruch von der Vermittlerrolle des Volkes durch die Parteien machte ebenso Schule wie der, die wirkliche Verfassung Westdeutschlands bestehe aus einem Pluralismus (d.h. eine ungeordnete Vielzahl) oligarchischer (d.h. vielschichtiger) Herrschaftsgruppen“. Theodor Eschenburg hielt 1954 einen Vortrag „Staatsautorität und Gruppenegoismus“, der später unter dem Titel „Herrschaft der Verbände?“ erschien; auch diese Formel ist in den politischen Sprachschatz eingegangen.3 Zugleich wurde deutlich, daß die Verbandseinflüsse ein internationales Phänomen sind, dessen wissenschaftliche Durchdringung in einzelnen Ländern schon weit fortgeschritten ist. Von den angelsächsischen Ländern wurden daher Begriffe wie »pressure groups« oder »lobby« übernommen. Soweit heute einsichtig kritisiert wird, geht es nicht um die Existenz der Verbände, sondern um Ausmaß und Formen ihres politischen Einflusses. Die Existenz der Verbände ist durch das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit in Artikel 9 des Grundgesetzes der Diskussion entzogen, ihre Unentbehrlichkeit in der modernen Gesellschaft und im politischen Gefüge ist auch gar nicht zu bestreiten. Die Wissenschaft hat deshalb die Aufgabe, die Erscheinungsform der Verbände zu beschreiben und ihre Verhaltensformen gegenüber dem Feld politischer Erscheinungen zu untersuchen. Sie kann vorbereiten, was sie dann in der praktischen Politik durchsetzen muß: die kritische Sichtung tatsächlicher Mißstände und möglicher Gefahren, denen durch veränderten politischen Stil, bessere Aufklärung der Bevölkerung oder auch durch gesetzliche Maßnahmen begegnet werden sollte.

3. Das repräsentative System der BRD

Das Volk bzw. die Wähler können heute in allen großen Industriestaaten nicht mehr unmittelbar und ständig den Staatswillen bilden. Das Prinzip der „unmittelbaren Demokratie“ ist schon wegen der Größenordnungen nicht mehr zu verwirklichen. Die notwendige „mittelbare Demokratie“ kann darauf beruhen, daß alle entscheidenden Träger der Staatsgewalt direkt vom Volke gewählt werden. Dieses System kann außerdem durch „Plebiszite“ (d.h. Volksabstimmungen) zu allen möglichen Fragen ergänzt werden.

In der Bundesrepublik werden nur noch die Abgeordneten des Bundestages direkt vom Volke gewählt. Die Träger aller übrigen Bundesorgane werden nicht direkt durch die Wähler eingesetzt (anders ist dies u.a. in den USA), sondern durch den Bundestag (oder andere Einrichtungen, z.B. der Bundesversammlung). Plebiszite sind nur noch bei der Neugliederung der Bundesländer möglich.4

Die Abgeordneten des Bundestages werden für 4 Jahre gewählt. So lange dauert die „Legislaturperiode“ des Bundestages. Die Wähler haben also nur alle vier Jahre die Möglichkeit, direkt auf ihre politische Repräsentanten Einfluß zu nehmen. Dieser Mangel wird z.T. wieder durch die Wirksamkeit der politischen Freiheiten behoben, die zu nicht unerheblichen Einflußmöglichkeiten der mehrheitlichen Gruppen führen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den politischen Parteien zu.

4. Die Kontrolle durch die Wählerschaft - „Personenplebiszit“

Das Regierungssystem der Bundesrepublik gibt als ausgesprochenes repräsentatives System der Wählerschaft nur die Möglichkeit, alle vier Jahre, nach Ablauf der Legislaturperiode des Bundestages, ein Urteil über die Politik der Regierungsmehrheit abzugeben. Dieses Urteil ist dann allerdings ausschlaggebend. Da in der Zwischenzeit Volksabstimmungen nicht möglich sind, obliegt es den Mittlern des Volkswillens, den Parteien, Verbänden und deröffentlichen Meinung, die notwendige Verbindung zwischen politischer Führung und Wählerschaft zu sichern (z.B. durch Mitarbeit in politischen Organisationen). Als direktes Urteil über die Bundespolitik und damit kontrollierend können die Ergebnisse der zwischen den Bundestagswahlen stattfindenden Landtagswahlen wirken. Diese Ergebnisse können zu einer geänderten Bundespolitik führen.5

5. Risiko des Personenplebizits

Obwohl in einer Bundestagswahl nicht der Bundeskanzler oder die Regierung gewählt werden, sondern die Bundestagsabgeordneten, wurden - wie beispielsweise in England und den USA - auch die deutschen Wahlen in zunehmendem Maße „Personalplebiszite“. Der Wähler wählte nicht so sehr den einzelnen Abgeordneten seines Wahlkreises oder eine Partei, sondern den Führer einer Partei. Die großen Parteien trugen dieser Entwicklung Rechnung, in dem sie den Bundeskanzler „und seine Mannschaft“ oder den Kanzlerkandidaten nebst weiteren bekannten Persönlichkeiten herausstellten.

Dies kann zur Folge haben, daß in der politischen Wirklichkeit die Wahlen den Charakter einer Abstimmung des Volkes („Plebiszit“) über den künftigen Regierungschef erhalten, obwohl nach der Verfassung (hier und im folgenden ist im Zusammenhang mit der BRD das Grundgesetz gemeint) erst der Bundespräsident dem Bundestag einen Kanzler zur Wahl vorschlägt. Es wird deutlich, wie sehr die Parteien die Träger der gesamten politischen Willensbildung in der Bundesrepublik sind. Die Zahl der Abgeordneten einer Partei im Bundestag, also die „Fraktionsstärke“, entscheidet über ihr Gewicht bei der Mitwirkung an der staatlichen Willensbildung. Mit der Wahl ist der „Volkswille“, d. h. der Wille der aktiven Wählerschaft, zum Ausdruck gekommen. Aber mit einer solchen demokratischen Willensäußerung ist noch nicht sicher, daß auch wirklich eine verantwortliche Regierung zustande kommen kann. Dazu bedarf es „kompakter“, geschlossener Mehrheiten. Daß klare Mehrheiten entstehen, beruht sowohl auf der Entscheidung der Wähler als auch auf dem Wahlsystem und nicht zuletzt auf dem Willen und der Fähigkeit der Parteien, eine verantwortliche Regierung u.U. auch durch Koalitionen und Kompromisse zu bilden.6

Dieser Gesichtspunkt, daß die frei gewählten Repräsentanten, die zugleich eine Partei repräsentieren, auch zur Bestellung einer zur Führung befähigten Regierung aufgerufen sind, berührt auf das stärkste die Stellung des einzelnen Abgeordneten im Deutschen Bundestag.7

6. Nachteil des repräsentativen Systems

Das sogenannte Standardmodell politischer Partizipation (d.h. Teilnahme), dem als Vorbedingung allerdings eine rein instrumentalistische Partizipation zugrundeliegt, begründet nicht nur die herausgehobene Bedeutung der Wahl. Es unterstreicht nach Auffassung der sogenannten „elitären Demokratietheorie“ die Notwendigkeit stabiler repräsentativer Institutionen und verantwortungsvoller Eliten (d.h. Regierungen) als Voraussetzung demokratischer Stabilität. Kurz: Wahlen sind in dieser Sicht nicht nur die egalitärste (etwa: gleichgültigste) Form politischer Beteiligung.

Sie bilden zudem das bisher einzige erfolgreiche Verfahren, in den sogenannten „Massendemokratien“, also über einen größeren territorialen Raum und eine größere Zahl von aktiven Bürgern vielfältige Einzelinteressen und politische Meinungen so zu sammel und zu interpretieren, daß politische Eliten in Vertretung der Allgemeinheit bindende politische Entscheidungen fällen können.

Seit Rousseaus berühmter Kritik des britischen Repräsentativsystems, daß das Volk in Großbritannien immer nur am Wahltag tatsächlich souverän sei, stellt sich für die Kritiker der repräsentativen Demokratie die Wahl dar als „Blankovollmacht für konsensunabhängiges Entscheiden“. Sie dient den politischen Herrschaftsträgern zur Beschaffung und Sicherung von Massenloyalität (d.h. der Treue zum Gesetz), zur Verschleierung der gesellschaftlichen Gegensätzlichkeit, insbesondere der Klassenauseinandersetzungen, zum Machterhalt der Herrschaftseliten und des Gesamtsystems.

Kurz: Wahlen werden interpretiert als Instrument herrschaftssichernder Manipulation.8

7. Ausweg aus dem repräsentativen System durch direkte Demokratie

Die Einführung einer „direkten Demokratie“ anstelle des repräsentativen Systeme würde bedeuten, daß das Volk nicht wie bisher Vertreter wählt, sondern Regierungsgeschäfte und die Beantwortung aller politischen Fragen selber in die Hand nimmt.

Um dies zu ermöglichen müßte aber über alle aufkommenden Fragen abgestimmt werden. Vor jeder Abstimmung müßte eine möglichst knappe Fragestellung formuliert werden, die aber dennoch den Sachverhalt präzise und für jeden verständlich erläutern sollte. Zu der entsprechenden Frage müßten dem Wähler verschiedene vorformulierte Antworten vorgelegt werden, die die Meinung jedes einzelnen möglichst genau treffen sollten. Je umfagreicher die zur Abstimmung stehenden Fragen, desto schwieriger ist die knappe, verständliche und dennoch präzise Formulierung der Alternativen. Abgesehen von dieser Schwierigkeit müßten weiterhin vor den Wahlen umfangreiche, weitestgehend neutrale Informationsmöglichkeiten über den zur Abstimmung stehenden Sachverhalt jedem Wähler zugänglich gemacht werden.9

Die Schwierigkeit bei der Durchführung der direkten Demokratie besteht darin, daß dem Wähler kaum neutrale Informationen zur Verfügung stehen würden, da jeder Informant versuchen wird, den Wähler zu beeinflussen und für sich zu gewinnen. Außerdem wäre keiner mehr für die politische Entwicklung direkt verantwortlich (im Sinne des „responsible governments“, der verantwortlichen Regierung), für Fehlschläge würde niemand mehr persönlich zur Verantwortung gezogen werden.

Mit dieser Art von direkter Demokratie hat das deutsche Volk zur Zeit der Weimarer Republik schon einmal negative Erfahrungen gemacht. Im gegenwärtigen Parteisystem würde die Einführung von Elementen der direkten Demokratie zu einem Präsidialsystem führen, daß nicht in Einklang stände mit der bisherigen Verfassung, die seit dem II. Weltkrieg besteht und damit die stabilste der bisherigen deutschen Verfassungen ist.

8. Plebiszitäre Elemente

Die plebiszitären Elemente, über die diese Erörterung handelt, kann man auf drei wesentliche Elemente festlegen. Als erstes wäre das Volksenquête zu nennen, weiterhin das Volksbegehren und der Volksentscheid.

Im folgenden soll nun kurz erläutert werden, inwiefern sich die drei Möglichkeiten plebiszitärer Machtelemente unterscheiden und welche Elemente ihnen gemein sind.

8.1 Das Volksenquête

Das Volksenquête ist eine Befragung des Volkes, die von der Regierung ausgeht. So besteht für die Regierung vor einer Beschlußfassung die Möglichkeit, die Meinung des Volkes zu einer bestimmten Frage zu erfahren, wobei das Ergebnis einer Volksenquête jedoch keinerlei Verbindlichkeit und so nur geringen Einfluß auf den Abstimmungsverlauf hat. Eine solche Befragung des Volkes hat einen rein informativen, beratenden Charakter.

Die Regierung kann sich durch das Ergebnis einer Volksenquête veranlaßt sehen, eine Fragestellung für eine Volksbefragung zu formulieren, dessen Ergebnis für die Regierung dann allerdings bindend. Die Entscheidung über die Art der Reaktion auf eine Volksenquête liegt aber, genau wie die Deutung und Berücksichtigung dieser, allein bei der Regierung.10

8.2 Das Volksbegehren und der Volksentscheid

Beide Elemente sollen dem Bürger unmittelbar über die unmittelbare Wahl eines demokratischen Repräsentativorganes hinaus eine direkte Mitwirkung an der Gesetzgebung oder bei sonstigen wichtigen staatlichen Entscheidungen sichern. Der Begriff der „Volksabstimmung“ umfaßt sowohl den Volksentscheid (Referendum) als auch das Volksbegehren. Bei einem Volksbegehren kann das Parlament auf Initiative einer bestimmten vorgeschriebenen Mindestzahl von stimmberechtigten Bürgern gezwungen werden, eine von außen kommende Gesetzinitiative aufzugreifen und parlamentarisch gesetzgeberisch im Sinne der Initiative tätig zu werden- ein Volksentscheid ist nach den Bestimmungen der Verfassung auch unabhängig von der Initiative der Staatsbürger möglich. In der Bundesrepublik Deutschland ist der Volksentscheid weitgehend abgeschafft worden, er findet lediglich noch Anwendung bei der Neugliederung von Bundesländern (Artikel 29, 118 Grundgesetz).11

9. Problematik der Einführung plebiszitärer Elemente

Bei der Einführung plebiszitärer Elemente in das repräsentative System kann es leicht zu einem Widerspruch zwischen den beiden verschiedenen Regierungssystemen kommen. Da das plebiszitäre System von einem einheitlichen Volkswillen ausgeht, werden die Meinungen von Minderheiten gar nicht berücksichtigt. Im repräsentativen System können Minderheiten aber die Mehrheit bilden. Diese wird bei der Annahme eines einheitlichen (plebiszitären) Volkswillens, der von der Mehrheit gebildet wird, nicht berücksichtigt; darin liegt der Widerspruch zwischen den beiden Systemen.12

In einer repräsentativen Regierungsform können durch die Einführung plebiszitärer Elemente leicht die Selbstbestimmung des Volkes oder andere grundlegende Bestandteilen des Systems verloren gehen. Mit der Einführung plebiszitärer Elemente wird die Meinung des Einzelnen immer bedeutungsloser und Randgruppen können politisch völlig ins Abseits gestellt werden. So muß bei der Einführung plebiszitärer Elemente in ein repräsentatives System per Gesetz festgelegt werden, welche Stellung das Plebiszit im gesamten System hat und welchen Einfluß auf die Gesamtpolitik, um einen Wandel von einem repräsentativen in ein plebiszitäres System von vornherein auszuschließen.

9. Stellungnahme und Resümee

In der Theorie sehen beide Modelle der Regierungsform, sowohl das repräsentative als auch das plebiszitäre, nach einer Selbstbestimmung des Volkes aus. Durch Mehrheiten können Beschlüsse gefaßt und so soll die Meinung des überwiegenden, größten Teils der Bevölkerung durchgesetzt werden. In der Praxis ist dies jedoch bei beiden Modellen sehr schwer zu realisieren.

Im repräsentativen System besteht durch Zusammenschluß von Minderheiten die Möglichkeit, daß die Meinung des Volkes nur in sehr geringem Maße berücksichtigt wird, da Koalitionen nur durch Kompromisse geschlossen werden können. Parteien können ihren eigenen Linien nicht treu bleiben, ihre Wahlversprechen nicht einlösen und der Wähler hat keinerlei Einfluß auf die Regierung, da vor den Wahlen Parteien noch ganz andere Meinungen und Vorstellungen vertreten haben als hinterher, da nicht zuletzt auch durch Koalitionszusammenschluß die Autonomie der einzelnen Parteien aufgegeben wird. Nach der Wahl, wenn das Parlament gebildet und Koalitionsverträge geschlossen werden, hat der Bürger jedoch keinerlei Eingriffsmöglichkeiten mehr.

Hinzu kommt, daß die meisten Repräsentanten der Parteien nicht an Mandate gebunden sind (freies Mandat) und so in erster Linie ihre eigenen Ideen und Meinungen im Parlament vertreten und durchsetzen, die ihrer Meinung nach für das Volk am besten sind. Dennoch ist die Mitbestimmung der Mehrheit im repräsentativen System noch ehr gegeben als im plebiszitären System. Denn im plebiszitären System wird nur eine einheitlicher hypotetischer Volkswille berücksichtigt, der aber nicht zwingender maßen mit dem reellen Volkswillen identisch sein muß. Da der hypotetische Volkswille bei einer Abstimmung meistens von der Meinung der Mehrheit gebildet wird, fallen alle Minderheiten völlig raus, ohne berücksichtigt zu werden. Sie haben also überhaupt keinen Einfluß auf die Politik.

Man könnte sagen, daß eine 100 %ige Autonomie des Volkes in keinem der beiden Modelle gegeben ist, wobei der Einfluß jedes einzelnen Wählers im repräsentativen System noch ehr gewährleistet werden kann als im plebiszitären. Eine Kombination aus beiden ist aber schwierig, da immer eines der beiden System überwiegen wird.

Im Grunde genommen hat der wahlberechtigte Bürger alle vier Jahre nur ein direkten Einfluß auf die Vorgänge in der Politik, nämlich immer am Anfang einer neuen Legislaturperiode, durch die Teilnahme an den Wahlen. Außer er betreibt aktive Parteiarbeit. Zusätzliche Möglichkeiten, in die Politik einzugreifen, sind durch Volksbegehren zwar gegeben, aber schwer durchzusetzen, da bei vielen Bürgern mit der Zeit eine gewisse Wahl- und Politikmüdigkeit auftritt, wenn über zu vieles abgestimmt wird. Außerdem wird durch ein Volksbegehren nicht zwangsläufig eine Volksabstimmung herbeigeführt wird, da teilweise nicht genügend Unterschriften zusammen kommen.

Zusammenfassend kann man sagen, daß sowohl die repräsentative Verfassung als auch plebiszitäre Verfassung Vor- und Nachteile hat. Es ist allerdings zu sagen, daß das repräsentative System die besseren Voraussetzungen bietet, um eine Massendemokratie und eine stabile Politik zu betreiben. Ein System mit plebiszitären Elementen könnte sich in der BRDeutschland - im Gegensatz zu der Schweiz - wie uns die Geschichte gezeigt hat, nicht durchsetzen. Eine andere Form der Beteiligung des Volkes an der Politik ist, abgesehen von der nicht Beteiligung durch eine Diktatur oder einen ähnlichen Aufbau, noch nicht und wird wohl auch nicht gefunden werden. Es bleibt uns wohl nichts anderes als mit unserem bisherigen System zu leben und das beste für uns und unsere Umwelt aus diesem System herauszuholen, und das lassen beide Systeme in Maßen zu.

Grafiknachweis:

1. Lernfelder der Politik, Lehr- und Arbeitsbuch Dieckhoff u.a.

Stamm-Verlag, München, 1988, Seite 260

2. Lernfelder der Politik, Lehr- und Arbeitsbuch Dieckhoff u.a.

Stamm-Verlag, München, 1988, Seite 237

3. Lernfelder der Politik, Lehr- und Arbeitsbuch Dieckhoff u.a.

Stamm-Verlag, München, 1988, Seite 257

10. Quellenangabe

[...]


1. Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, Thomas Ellwein, Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen, 2. Auflage, 1965, Seite 64f

2.Der Große Herder, Nachschlagewerk für Wissen und Leben, Verlag Herder, Freiburg, 5. Auflage, Seite 463

3. Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, Thomas Ellwein, Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen, 2. Auflage, 1965, Seite 99f

4. Politik im 20 Jahrhundert, Hartwich u.a. erorg Westermann Verlag, Braunschweig, 1964, Seite 156f

5. Politik im 20 Jahrhundert, Hartwich u.a. erorg Westermann Verlag, Braunschweig, 1964, Seite 189f

6. Leitfragen Politik, Orientierungswissen Politisch Bildung, Becker u.a. Ernst Klett Verlag, Stuttgart, 1. Auflage, 1993, Seite 231f

7. Leitfragen Politik, Orientierungswissen Politisch Bildung, Becker u.a. Ernst Klett Verlag, Stuttgart, 1. Auflage, 1993, Seite 243f

8. Politik im 20 Jahrhundert, Hartwich u.a. Gerorg Westermann Verlag, Braunschweig, 1964, Seite 170

9. Sozialwissenschaften, Partizipation im Parteienstaat, Heft 14, Breuer u.a Schöningh Verlag, Paberborn, 1989, Seite 152

10. Der Große Herder, Nachschlagewerk für Wissen und Leben, Verlag Herder, Freiburg, 5. Auflage, Seite 759

11. Große Enzyklopädie, Naturalis Verlag, Köln, 1990, Seite 5075

12. Sozialwissenschaften, Partizipation im Parteienstaat, Heft 14, Breuer u.a Schöningh Verlag, Paberborn, 1989, Seite 158f

Final del extracto de 12 páginas

Detalles

Título
Einführung plebiszitärer Elemente in das repräsentative System der BRD
Autor
Año
1997
Páginas
12
No. de catálogo
V98874
ISBN (Ebook)
9783638973250
Tamaño de fichero
428 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Einführung, Elemente, System
Citar trabajo
Chistiane Nöding (Autor), 1997, Einführung plebiszitärer Elemente in das repräsentative System der BRD, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98874

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