In dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich Le Bons "Psychologie der Massen" auf das Herdenverhalten an der Börse der Neuzeit übertragen lässt und wie Marktanomalien durch das massenpsychologische Phänomen erklärt werden können.
Gustave Le Bons Ansichten in seinem Werk über die „Psychologie der Massen“ sind nach über 120 Jahren noch immer aktuell und allgegenwärtig. Nach den Erfahrungen der letzten Dekaden muss man zugestehen, dass sich ein erstaunlich hohes Maß der Aussagen von Le Bon, auch unter den Bedingungen der modernen Welt, bestätigt haben. Obwohl Le Bon in seinem Werk das Hauptaugenmerk auf Volksmassen und auf politische Einflüsse gelegt hat, kann man massenpsychologische Phänomene nach den gleichen Grundmechanismen auch in der heutigen Zeit in vielen modernen Bereichen, wie beispielsweise den Finanzmärkten, wiederfinden.
Seit jeher versuchen Wissenschaftler die Börsenkurse zu erklären und zukünftige Entwicklungen zu prognostizieren. Reine Kapitalmarkttheorien, die davon ausgehen, dass die Kurse ausschließlich durch rationale Größen, wie Angebot und Nachfrage beeinflusst werden, werden zunehmend in Frage gestellt. Man geht davon aus, dass auch das Verhalten der Menschen in großem Maße ausschlaggebend ist. Deswegen untersucht man heute das Börsengeschehen auch nach psychologischen Gesichtspunkten und spricht dabei von „Behavioral Finance“. Eine Beobachtung dieser jungen Forschungsrichtung ist, dass es auch an den Finanzmärkten zu massenpsychologischen Verhaltensanomalien, in Form von Herden, kommen kann.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Le Bons „Psychologie der Massen“
2.1 Charakterisierung der Masse
2.2 Eigenschaften der Masse
2.3 Ansteckungstheorie
3 Behavioral Finance
3.1 Verhaltensanomalien
3.2 Herdenverhalten
4 Zusammenfassender Vergleich
5 Fazit
Literaturverzeichnis
„Ich kann zwar die Bahn der Gestirne auf Zentimeter und Sekunden berechnen, aber nicht, wohin eine verrückte Menge einen Börsenkurs treiben kann.“
Sir Isaac Newton
1 Einleitung
Gustave Le Bons Ansichten in seinem Werk über die „Psychologie der Massen“ sind nach über 120 Jahren noch immer aktuell und allgegenwärtig. Nach den Erfahrungen der letzten Dekaden muss man zugestehen, dass sich ein erstaunlich hohes Maß der Aussagen von Le Bon, auch unter den Bedingungen der modernen Welt, bestätigt haben. Obwohl Le Bon in seinem Werk das Hauptaugenmerk auf Volksmassen und auf politische Einflüsse gelegt hat, kann man massenpsychologische Phänomene nach den gleichen Grundmechanismen auch in der heutigen Zeit in vielen modernen Bereichen, wie beispielsweise den Finanzmärkten, wiederfinden.
Seit jeher versuchen Wissenschaftler die Börsenkurse zu erklären und zukünftige Entwicklungen zu prognostizieren. Reine Kapitalmarkttheorien, die davon ausgehen, dass die Kurse ausschließlich durch rationale Größen, wie Angebot und Nachfrage beeinflusst werden, werden zunehmend in Frage gestellt. Man geht davon aus, dass auch das Verhalten der Menschen in großem Maße ausschlaggebend ist. Deswegen untersucht man heute das Börsengeschehen auch nach psychologischen Gesichtspunkten und spricht dabei von „Behavioral Finance“. Eine Beobachtung dieser jungen Forschungsrichtung ist, dass es auch an den Finanzmärkten zu massenpsychologischen Verhaltensanomalien, in Form von Herden, kommen kann. In dieser Arbeit soll deswegen der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich Le Bons „Psychologie der Massen“ auf das Herdenverhalten an der Börse der Neuzeit übertragen lässt und wie Marktanomalien durch das massenpsychologische Phänomen erklärt werden können.
Zur Beantwortung dieser Fragestellung wird zunächst der Grundgedanke von Le Bon und die Relevanz für die Sozialpsychologie erläutert. Weiters muss geklärt werden, wie Le Bon eine Masse charakterisiert und welche Eigenschaften diese, seiner Ansicht nach, ausmacht. Zum weiterführenden Verständnis wird auch seine Ansteckungstheorie der Affektübertragung dargestellt, die besagt, dass sich einfache Emotionen in sozialen Gruppen rasch ausbreiten.
Im nachfolgenden Abschnitt wird näher auf den Begriff Behavioral Finance eingegangen, der sich mit dem irrationalen Verhalten von Marktteilnehmern an Finanzmärkten, sowie der Ergründung von Markt- und Verhaltensanomalien beschäftigt. Das Herdenverhalten auf Finanzmärkten wird im Anschluss thematisiert und die zentralen Ursachen und Auslöser für dieses Phänomen dargestellt. Abschließend werden Zusammenhänge zwischen Le Bons Thesen und den massenpsychologischen Vorgängen an den Finanzmärkten herausgearbeitet und ein Resümee aus den zentralen Ergebnissen gezogen.
2 Le Bons „Psychologie der Massen“
Gustave Le Bon gilt als Begründer der Massenpsychologie, die der Sozialpsychologie zugeordnet wird. Er gehörte zu den wichtigsten Vertretern der formativen Phase in der soziologischen Forschung über soziale Massen (Senge & Schützeichel, 2013, S. 209). Er ist Autor des Werkes „Psychologie der Massen“, dessen Erstausgabe im Jahr 1895 erschienen ist. Die Schrift von Le Bon ist in drei Bücher unterteilt. Im ersten und bedeutsamsten Buch behandelt er die verschiedenen Aspekte und Eigenschaften der „Massenseele“, also die psychologischen Triebkräfte sozialer Massen. Das zweite Buch widmet sich den Meinungen und Ansichten, die in Massen erzeugt werden und im dritten Buch nimmt er eine Unterteilung in verschiedene Formen von Masse vor (Senge & Schützeichel, 2013, S. 210). Das Werk setzt sich sowohl mit Themen wie Konformität und Führung auseinander, als auch mit der Masse im eigentlichen Sinne. Er beschreibt darin grundlegende Prozesse, wie Anonymität, Gefühlsansteckung und Suggestion, die beim Verschmelzen von großen Menschengruppen auftreten können (Fischer, Jander, & Krueger, 2018, S. 151).
Die Massenpsychologie zu Zeiten Le Bons klammert das koordinierte Zusammenwirken in Gruppen aus und sowohl Le Bon als auch Sigmund Freud sprechen der Masse überwiegend negative Eigenschaften zu (Pelzmann, 2012, S. XXVII).
2.1 Charakterisierung der Masse
Le Bon charakterisiert eine Masse nicht im gewöhnlichen Wortsinn, als eine zufällige Vereinigung Einzelner ohne einen bestimmten Zweck (Le Bon, 2009, S. 29f). Er bezeichnet sie vielmehr als eine organisierte oder psychologische Masse, die unter dem Einfluss gewisser Reize entsteht und in der die bewusste Persönlichkeit jedes Einzelnen schwindet, das unbewusste Wesen vorherrscht, die Gedanken und Gefühle der Individuen geleitet werden durch die Beeinflussung und Übertragung in der gleichen Richtung und jeder Einzelne zur unverzüglichen Verwirklichung der eingeflößten Ideen neigt (Le Bon, 2009, S. 37). Man könnte sagen, das Heterogene versinkt im Homogenen (Schülein & Wirth, 2011, S. 343). Le Bon verwendet hierfür oft das Wort „Gemeinschaftsseele“, die durch die Umformung zur Masse entsteht (Le Bon, 2009, S. 32). Die Beeinflussbarkeit des Einzelnen durch Suggestion erklärt Le Bon mit Hilfe einer Analogie zur Hypnose, da in den zur Masse vereinigten Individuen besondere Eigenschaften hervorgerufen werden, die dem alleinstehenden Einzelnen völlig widersprechen (Le Bon, 2009, S. 36). Sigmund Freud, der sich mit Le Bons Schilderung der Massenseele beschäftigte, erklärt sich das Auftauchen neuer Eigenschaften damit, dass in der Masse Bedingungen herrschen, die es dem Individuum gestatten, die Verdrängung seiner unbewussten Triebregungen abzuwerfen, also unter diesen Umständen das Schwinden des Gewissens oder Verantwortlichkeitsgefühls (Freud, 2014, S. 37). Le Bon und Freud beschreiben also demnach das Wesen der Masse als überwiegend negativ.
2.2 Eigenschaften der Masse
Zu den besonderen Eigenschaften der Mehrzahl der Massen zählt Le Bon die Triebhaftigkeit, Reizbarkeit, Unfähigkeit zum logischen Denken, den Mangel an Urteil und kritischem Geist, sowie den Überschwang der Gefühle (Le Bon, 2009, S. 40). Er hebt nochmal vorrangig die negativen Aspekte hervor und vergleicht die Masse mit Wesen niedriger Entwicklungsstufe, wie Wilde oder Kinder (Le Bon, 2009, S. 40).
Nur selten spricht er der Masse auch positive Eigenschaften zu, wie Heldenhaftigkeit und Opferwilligkeit, betont jedoch, dass dies von der Art der Beeinflussung abhängt, unter dem die Masse steht (Le Bon, 2009, S. 54). Denn nicht selten unterstellt sich die Masse einem Oberhaupt, das die Führung übernimmt (Le Bon, 2009, S. 111). Dem sozialen Urtrieb zufolge besteht nämlich der Drang sich einer Gruppe anzuschließen, sich der Ordnung dieser zu fügen und deren Leitung anzunehmen (Mennicke, 1999, S. 55). Auf diesen Trieb beruft sich auch Freud und bezeichnet die Masse als eine folgsame Herde, die einen solchen Durst zu gehorchen hat, dass sie sich jedem, der sich zu ihrem Herren ernennt, instinktiv unterordnet (Freud, 2014, S. 44). Womöglich ist auch dies ein Grund warum die „Ansteckungsgefahr“ sich einer Masse anzuschließen so hoch ist, obwohl sie mit negativen Eigenschaften behaftet ist.
2.3 Ansteckungstheorie
Die Vergemeinschaftung in Massen wird vornehmlich durch das Medium der emotionalen Übertragung hergestellt (Senge & Schützeichel, 2013, S. 213). Diese wird als eine der zentralen Mechanismen betrachtet, durch welche sich Affekte und Emotionen in sozialen Beziehungen ausbreiten (Senge & Schützeichel, 2013, S. 210). Le Bon gilt hierbei als Vordenker der Ansteckungstheorie der Affektübertragung. Er ist der Ansicht, dass sich in der Anonymität der Masse schnell den ansteckenden Gefühlen der Menge ergeben wird. Er geht davon aus, dass solche Gefühle erlebt werden, die von sehr einfacher Natur sind, jedoch einseitig und überschwänglich (Le Bon, 2009, S. 53). Gemäß Le Bon bewahrt sie diese Einseitigkeit und Überschwänglichkeit vor Zweifel und Ungewissheit (Le Bon, 2009, S. 53). Hier wird auch wieder seine zentrale These schlagend, dass die Masse ein emergentes Phänomen darstellt, welches den Individuen ihr Handeln aufdrängt und für kollektives Verhalten entscheidend ist (Senge & Schützeichel, 2013, S. 210). Le Bon ist jedoch der Meinung, dass die Masse nur die emotionale Ansteckung kumuliert, jedoch nicht die intellektuelle Anstrengung (Senge & Schützeichel, 2013, S. 212).
3 Behavioral Finance
Die Bedeutung von Massenphänomene für die Finanzmärkte wird rasch klar, wenn man von dem übereinstimmenden Urteil der meisten Experten ausgeht, dass die Börse zu jeweils 50 Prozent aus Ökonomie und aus Psychologie besteht (Kitzmann, 2009, S. 27). Manche Autoren sprechen sogar von einem noch höheren Prozentsatz zu Gunsten der psychologischen Aspekte.
Deswegen können klassische Finanzmarkttheorien Anomalien an der Börse nicht zufriedenstellend darstellen. Es fehlt die psychologische Betrachtung.
Die verhaltenswissenschaftliche Finanzmarkttheorie, Behavioral Finance, kann hier jedoch Erklärungen anbieten. Behavioral Finance nutzt Erkenntnisse der Psychologie, um Phänomene an den Kapitalmärkten und das Verhalten von Anlegern zu erklären (Pfister, Jungermann, & Fischer, 2017, S. 379). Eine Beobachtung dieser jungen Forschungsrichtung ist, dass Finanzmärkte durch Verhaltensanomalien, wie Herdenverhalten, geprägt werden.
3.1 Verhaltensanomalien
Verhaltensanomalien werden durch Heuristiken hervorgerufen. Darunter versteht man Regeln oder Strategien der Informationsverarbeitung, die mit geringem Aufwand zu einem schnellen, aber nicht garantiert optimalen Ergebnis, kommen (Goldberg & von Nitzsch, 2004, S. 49). Auf den Finanzmärkten hat man es mit großen Datenmengen, einer Vielzahl von Informationen und komplexen Sachverhalten zu tun. Das Gehirn sucht dabei automatisch nach mentalen Abkürzungen oder Vereinfachungen (Kitzmann, 2009, S. 18). Heuristiken werden auch dann benutzt, wenn Menschen keine Zeit haben Informationen eingehend zu verarbeiten oder man bisher noch keine Erfahrung mit der Lösung einer bestimmten Problemstellung hatte. All dies trifft auf die Finanzmärkte, ganz besonders auf die kurzfristig orientierten Händler, zu (Goldberg & von Nitzsch, 2004, S. 49f). Da Heuristiken jedoch zu erheblichen Fehlentscheidungen führen können und Menschen generell soziale Wesen sind, ist es nicht verwunderlich und sogar rational, dass man sich nach anderen ausrichtet und sich in den Entscheidungen von vermeintlich besser informierten Leitfiguren beeinflussen lässt (Kitzmann, 2009, S. 20).
3.2 Herdenverhalten
So, wie bestimmte Tiere gute Gründe haben, Herden zu bilden, gilt dies auch für Investoren, wenn sie sich höhere Renditen für ihren Einsatz versprechen oder Gefahr für ihre Gewinne wittern (Pelzmann, 2012, S. XXV). Die Herde bietet Schutz und befriedigt die menschliche Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Viele Menschen fühlen sich wohler, wenn sie sich in ihren Handlungen in Übereinstimmung mit ihren Mitmenschen befinden (Schriek, 2009, S. 70).
Insbesondere Entscheidungssituationen, welche vor allem durch Unsicherheit, Orientierungslosigkeit oder Ahnungslosigkeit geprägt sind und in denen zudem nicht auf eigene Erfahrungen zurückgegriffen werden kann, führen dazu, dass sich Menschen an dem Verhalten anderer orientieren. Aber auch ängstliche oder euphorische Erregung können ein solches imitierendes Verhalten auslösen, vor allem in einem Umfeld, dass Erklärungen nahe legt (Fenzl, 2009, S. 30).
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- Arbeit zitieren
- Martina Süss (Autor:in), 2020, Le Bons "Psychologie der Massen" an der Börse. Wie Marktanomalien durch das massenpsychologische Phänomen erklärt werden können, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/989265
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