Der "Classical Hollywood Sound" in Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil I und II. Auswirkung auf die Weltdarstellung und die Rezeption der Handlung


Bachelorarbeit, 2020

57 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 EINLEITUNG

2 DIE FILMISCHE ADAPTION VON HARRY POTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES - INHALT UND PRODUKTIONSGESCHICHTE
2.1 Inhaltliche Zusammenfassung von Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil I und II
2.2 Produktionsgeschichte und ästhetische Entscheidungen

3 DER CLASSICAL HOLLYWOOD SOUND - EIN MODELL VON CLAUDIA GORBMAN
3.1 Musikalische Richtlinien zur Erschaffung der kinematographischen Welt
3.2 MusikalischeRichtlinienfüreinenstrukturellenZusammenhalt

4 DER CLASSICAL HOLLYWOOD SOUND IN HARRYPOTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES TEIL I UND II
4.1 Musikalische Richtlinien zur Erschaffung der kinematographischen Welt in Teil I und II
4.1.1 Invisibility
4.1.2 „Inaudibility“
4.1.3 SignifierofEmotion
4.2 Musikalische Richtlinien für einen strukturellen Zusammenhalt in Teil I und II
4.2.1 NarrativeCueing
4.2.2 FormalandRhythmicContmuity
4.2.3 Unity
4.2.4 Breaking the Rules

5 DAS MUSIKALISCHE ENDE DER HARRYPOTTER SAGA - FAZIT UND

AUSBLICK

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG

Abkürzungsverzeichnis

In dieser Arbeit wird sich sehr oft auf die Filmtitel der Harry Potter Reihe bezogen. Um den Lesefluss nicht übermäßig zu stören und dennoch Klarheit zu gewährleisten, wird sich im Folgenden beim Verweis auf die Filme auf diese Abkürzungen beschränkt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Literaturverzeichnis führt die Filme unter ihrenjeweiligen Regisseuren.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 - Hedwig’s Theme Variationen 1

Abbildung 2 - Hedwig's Theme Opening Titles

Abbildung 3 - Hedwig's Theme Variation 2

Abbildung 4 - Lily's Theme

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 - Einsatz diegetischer Musik

Tabelle 2 - Einsatz des Leitmotivs Hedwig's Theme

Tabelle 3 - Einsatz des Leitmotivs Lily's Theme

1 Einleitung

„Er wird berühmt werden - eine Legende -[...] ganze Bücher wird man über Harry schrei- ben-jedes Kind in unserer Welt wird seinen Namen kennen“ (Rowling 1997: 19). Als J.K. Rowling diesen Satz 1997 im ersten Teil der Harry Potter Heptalogie, Harry Potter und der Stein der Weisen niederschrieb, war alles andere als klar, dass dieser Satz einmal wahr werden und ihre Bücher über einen Zaubererjungen einen derartigen Erfolg feiern würden. Harry Potter wächst als Waisenkind bei der Familie seiner Tante Petunia Dursley auf. Seine Eltern wurden vom dunklen Zauberer Lord Voldemort getötet, als er noch ein Baby war. Auch Harry sollte getötet werden, doch wie durch ein Wunder überlebte er den Todesfluch und trug nur eine blitzförmige Narbe davon, während Voldemort sich selbst zerstört zu haben schien. An seinem elften Geburtstag erhält Harry einen Brief aus dem Zaubereiintemat Hogwarts, in dem er von seinen besonderen magischen Fähigkeiten erfährt. Stets schlecht behandelt von seinen Verwandten, wird Hogwarts schnell Harrys neue Heimat. Dort lernt er nicht nur, seine Magie zu kontrollieren und auszubauen, sondern findet in Hermine und Ron Freunde fürs Leben. Diese stehen ihm treu im Kampf gegen das Böse bei, denn wie sich im Laufe von Harrys erstem Schuljahr herausstellt, hat Lord Voldemort überlebt und versucht alles, um wieder zu Kräften zu gelangen. Immer wieder müssen sich Harry und seine Freunde gegen ihn und seine Anhänger stellen, denn Harry ist der einzige, der ihn besiegen kann.

Die Geschichte des kleinen Jungen, der in einer magischen Welt zum Erwachsenen heranreift, ließ nicht nur zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichungen Kinder und Erwachsene überall mitfiebern, sondern erfreut sich anhaltender Beliebtheit. Die Buchreihe wurde in 80 Sprachen übersetzt und weltweit über 500 Millionen Mal verkauft. Auch die Filme wurden ein großer Erfolg, nachdem Rowling die Filmrechte im Jahre 1998 an Warner Bros. Pictures verkauft hatte (vgl. Pottermore 2018). Heutzutage gehört das Harry Potter Franchise mit einer geschätzten Summe von 25 Mrd. Dollar zu einer der erfolgreichsten Marken weltweit (vgl. Vermögenmagazin 2017).

Die Filmmusik spielt dabei eine nicht minder große Rolle. Obwohl Hedwig’s Theme, komponiert von John Williams, das wohl bekannteste Stück der Filmreihe ist und sich mit den Jahren zur Melodie des Franchise entwickelte, haben die anderen Kompositionen sowohl in Bezug auf diejeweiligen Filme als auch als eigenständige Musikstücke einen guten Ruf und wurden sehr häufig verkauft (vgl. Webster 2009: 10). Neben John Williams, der die Musik zu den ersten drei Filmen Harry Potter und der Stein der Weisen (2001), Harry Potter und die Kammer des Schreckens (2002) und Harry Potter und der Gefangene von Askaban (2004) schrieb, arbeiteten Patrick Doyle bei Harry Potter und der Feuerkelch (2005), Nicholas Hooper bei Harry Potter und der Orden des Phoenix (2007) sowie Harry Potter und der Halbblutprinz (2009) und Alexandre Desplat bei Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil I/II (2010/2011) an der Filmreihe mit.

Auch wenn das Interesse an Harry Potter ungebrochen ist und die Bücher und die Filme beständig wissenschaftlich rezipiert werden, gibt es abgesehen von einigen Rezensionen, in denen sich auf allgemeiner Basis zur Arbeit der Komponisten und der Qualität der Musik geäußert wird, nur wenig fachwissenschaftliche Literatur, die sich mit der Musik als Teil eines Harry Potter Films auseinandersetzt.

Jamie Lynn Webster ist mit ihrer Dissertation zum Thema The Music of Harry Potter: Continuity and Change in the First Five Films Vorreiterin auf diesem Gebiet. In ihrer Arbeit befasst sie sich ausführlich mit der Einordnung der Musik von HP 1-5 im Classical Hollywood Sound1. Dessen Ziel besteht darin, eine Einheit von Musik und Bild zu gewährleisten und ein größtmögliches Identifikationspotenzial für die Zuschauenden zu bieten. Webster untersucht, wie die Musik die Handlung bzw. Weltdarstellung beeinflusst und unterstützt und welche Wirkung dies auf die Rezeption hat. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Dissertation waren die letzten beiden Filme noch nicht erschienen und fanden deshalb keine Berücksichtigung. Obwohl HP 6 bereits 2009 in die Kinos kam, war die DVD noch nicht erschienen, sodass der Film nur am Rande in Websters Arbeit behandelt wurde. Aufbauend auf ihre Arbeit werde ich untersuchen, inwiefern sich Desplats Anwendung des Classical Hollywood Sound Modells auf die Weltdarstellung und die Rezeption dieser und der Handlung in TeilIund II auswirkt. David Yates filmdramaturgische Vorstellungen für die letzten beiden Harry Potter Filme unterscheiden sich sehr von der schulzentrierten Handlung in den Filmen HP 1-6. Sie stellen zwei verschiedene Ebenen des Kampfes gegen Voldemort dar: Während in Teil I die psychologische Ebene im Kampf gegen ihn im Vordergrund steht und das Bild einer kalten, nichtmagischen, dystopischen2 Welt abseits von Hogwarts vermittelt wird, erfolgt in Teil II die bewaffnete Konfrontation im magischen Umfeld in der Schlacht um Hogwarts. Desplats zum Großteil prinzipientreue Arbeitsweise unterstützt diese unterschiedlichen Weltdarstellungen und trägt dazu bei, dass die Zuschauenden tiefer in die Filmwelt eintauchen und somit am Geschehen teilhaben können. Wie eine inhaltliche Zusammenfassung beider Harry Potter Filme zeigt, finden sich Yates filmdramaturgische Ideen nicht nur musikalisch wieder, sondern sind bereits in der Handlung angelegt. Da Filmmusik nicht unberührt von Produktionsvorgaben bzw. Vorstellungen der Regisseurinnen und dem individuellen Stil der Komponistlnnen bleibt, werden in Kapitel 2 außerdem allgemeine Informationen über die Filmproduktion und den Komponisten der beiden letzten Filme, Alexandre Desplat, gegeben.

Claudia Gorbman spricht der Filmmusik des Classical Hollywood Sounds eine fast schon hypnotische Wirkung zu, die es dem Publikum ermöglicht, in das Filmgeschehen einzutauchen, Szenen miteinander zu verknüpfen und die vermeintlich störenden technischen Aspekte, wie beispielsweise Schnitte, auszublenden (vgl. 1987: 7). Bei genauer Betrachtung der Musik des Classical Hollywood Films entwickelte sie ein flexibles Modell, das sich in sieben Kategorien aufteilt. Es existieren viele weitere Modelle zur Wirkung und den Merkmalen des Classical Hollywood Sounds, die in der Regel jedoch etwas gröber gefasst sind. Daher eignet sich Gorbmans Modell besonders für die Analyse der letzten zwei Harry Potter Filme. Des Weiteren orientiert sich Jamie Lynn Webster in ihrer Dissertation an Gorbmans sieben Kategorien, sodass sich ebenfalls aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit auf ihr Modell konzentriert wird.

In Kapitel 3 werden zunächst die Grundzüge von Gorbmans Modell vorgestellt. Darauf aufbauend werden in Kapitel 4 mithilfe ihres Modells und ausgewählten Beispielen Teil Fand Teil II aufgearbeitet. Die Analyse erfolgt in manchen Kategorien kombiniert, wenn eine Trennung der Filme nicht zielführend ist. Weiterhin wird dabei zweitrangig überprüft, wie sich Desplats Vertonung im Vergleich zu seinen Vorgängern verhält. Das Fazit liefert neben der Zusammenfassung der Analyseergebnisse einen Ausblick auf weitere Vergleichsmöglichkeiten, die aus Platzgründen keinen Eingang in diese Arbeit gefunden haben.

2 Die filmische Adaption von Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Inhalt und Produktionsgeschichte

Während der Dreharbeiten zu HP 6 wurde bekannt gegeben, dass David Yates auch für die Verfilmung des siebten Buchs Regie führen solle (vgl. Weintraub 2010). Yates hatte in HP 5 und 6 nicht nur filmisch den Grundstock für das Finale der Harry Potter Serie gelegt, sondern bemühte sich stets um eine enge Zusammenarbeit mit dem gesamten Team. Vor allem der intensive Austausch mit den Schauspielenden war ihm wichtig, um eine authentische Figurendarstellung im Film zu gewährleisten (vgl. Webster 2009: 157). Als Drehbuchautor engagierten die Produzenten David Heyman und David Barron Steve Kloves, der abgesehen vom fünften Film alle Drehbücher der Harry Potter Reihe geschrieben hatte. Schon beim Lesen von Rowlings Buch hatte dieser den Eindruck, dass der Inhalt nicht in einen einzigen Film passe (vgl. Sragow 2008). Entsprechend kamen Kloves, Heyman, Barron und Yates im März 2008 gemeinsam zu dem Entschluss, das Buch auf zwei Filme aufzuteilen: „It allowed an extra hour and a half to celebrate what this franchise has been and dojustice to all the words and ideas in the amazing story“ (Malvern 2008).

2.1 Inhaltliche Zusammenfassung von Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil I und II

In Teil/begeben sich Harry, Ron und Hermine auf die Suche nach Voldemorts Horkruxen3. Seit Dumbledores Tod haben die Todesser4 die Macht übernommen und es gibt nur noch wenige sichere Orte. Nach dem Fall des Zaubereiministeriums, der letzten großen Institution des Widerstands, werden Harry und seine Freunde zum Staatsfeind erklärt und müssen im Untergrund leben. Sie finden Zuflucht am Grimmauld Platz, dem alten Hauptquartier des Ordens in London. Dort finden sie heraus, dass sich der dritte Horkrux, das Medaillon Slyt- herins, im Zaubereiministerium befindet. Mit Hilfe des Vielsafttranks können sie das Medaillon an sich bringen, werden dabei jedoch entdeckt. Bei der Flucht in einen Wald wird Ron schwer verletzt, sodass weitere Reisen per Apparieren5 anfänglich nicht möglich sind. Zunächst durch den Erfolg im Ministerium in ihrem Kampf gegen Voldemort bestätigt, erleben sie schnell die psychologischen Auswirkungen der Rückschläge und Einsamkeit: Das Trio kommt nur sehr langsam voran und mehrere Versuche, das Medaillon zu zerstören, scheitern. Weiterhin bestimmt die Angst und Ungewissheit über den Verbleib der Freunde und Familie ihren Alltag. Die Stagnation und wachsende Eifersucht auf eine eingebildete Liebesbeziehung zwischen Harry und Hermine frustrieren Ron, der die Gruppe schließlich verlässt. Harry und Hermine sind nun auf sich allein gestellt.

An Heiligabend reisen Harry und Hermine nach Godric’s Hollow. Sie treffen dort auf Nagini, die Schlange von Lord Voldemort, die sie in Gestalt der Hexe Bathilda Bagshot zu sich nach Hause lockt. Später offenbart Nagini ihre wahre Identität und greift Harry an. Hermine rettet ihn und beide können entkommen, jedoch wird Harrys Zauberstab im Kampf zerstört. Während seiner nächtlichen Wache erscheint Harry ein Patronus und führt ihn zu einem vereisten See, in dem er das Schwert von Gryffindor entdeckt. Bei dem Versuch es herausholen, ertrinkt er beinahe, doch Ron kehrt zurück und rettet ihn. Anschließend zerstört Ron mit dem Schwert das Medaillon. Weitere Hinweise führen Harry, Ron und Hermine zu Xenophilius Lovegood, der ihnen von der Legende der titelgebenden Heiligtümer des Todes erzählt. Da Xenophilius’ Tochter Luna in den Händen der Todesser ist, verrät er Harry, Ron und Hermine, die entkommen können. Kurz darauf werden sie jedoch im Wald gefangen genommen und zu den Malfoys gebracht. Neben dem Trio werden bei den Malfoys auch der Zauberstabmacher Ollivander, Luna und ein Kobold festgehalten. Dobby der Hauself hilft ihnen zu entkommen, wird dabei allerdings tödlich verwundet. Der Film endet damit, dass Lord VoldemortDumbledores Grab aufbricht und den Eiderstab, eines der drei Heiligtümer, stiehlt.

Teil II knüpft nahtlos an Teil I an. Direkt zu Beginn erfahren Harry, Ron und Hermine, dass im Bankverlies von Bellatrix Lestrange ein weiterer Horkrux versteckt ist. Mit Hilfe des Kobolds Griphook und eines Vielsafttranks gelangen sie in das Verlies und bemächtigen sich des Kelches von Hufflepuff. Griphook betrügt die drei jedoch, sodass sie nach ihrer Entdeckung mit einem Drachen aus London fliehen müssen. In einer anschließenden Vision über Voldemort erfährt Harry, dass sich ein weiterer Horkrux in Hogwarts befindet. Als Voldemort mitbekommt, dass Harry in Hogwarts ist, sammelt er seine Truppen und greift an, nachdem ihm Harry nicht wie gefordert ausgeliefert wird. Die magische Schlacht um Hogwarts beginnt. Während beide Parteien gegeneinander kämpfen, zerstören Ron und Hermine den Kelch mit einem Basiliskenzahn und Harry findet das Diadem Ravenclaws, das er ebenfalls vernichten kann. Auf der Suche nach Voldemorts Schlange, einem weiteren Horkrux, werden sie Zeuge von Voldemorts Mord an Snape. In seinen letzten Momenten schenkt Snape Harry eine Erinnerung, in der Harry erfährt, dass er mit dem missglückten Todesfluch als Baby selbst zum Horkrux wurde und Voldemort nur besiegt werden kann, wenn Harry sich opfert. Daher geht er in den Wald und lässt sich töten. Dabei wird wider Erwarten nur der Horkrux in ihm zerstört und Harry überlebt. In einem finalen Kampf tötet Neville den letzten Horkrux Nagini, sodass Harry danach Voldemort töten kann. Die letzte Szene spielt 19 Jahre später: Harry und Ginny sowie Ron und Hermine sind verheiratet und treffen sich auf Gleis 9 3A. Dort verabschieden sie ihre Kinder, die nun selbst Schülerinnen von Hogwarts sind.

2.2 Produktionsgeschichte und ästhetische Entscheidungen

Die Dreharbeiten der Filme, die aus einheitsschaffenden Gründen parallel gefilmt wurden, liefen von Februar 2009 bis Juni 2010 in den Leavesden und Pinewood Filmstudios.

Verbunden durch die Handlung sind die zwei Filme dennoch unterschiedlich in Ton und Stil. Daniel Radcliffe sagte bezüglich Teil/: „This is a road movie [...]. People have been so used to seeing Harry Potter at Hogwarts and we're just not there for the first part of the film“ (Leaky Cauldron 2009). Außerhalb der sicheren Umgebung der Schule ist die Atmosphäre düster: „It’sjust edgier. It’s a little rawer. It’s more contemporary. [...] Hallows part Two brings that fantasy world back in full cinemascope. It’s full of dragons, and big wizard battles, and magic” (Sancton 2009). Die Produzenten und David Yates entschieden sich gegen Nicholas Hooper als Komponisten {HP 5; 6), da dieser bereits während der Arbeit an HP 6 über zu wenig Familienzeit und Müdigkeit geklagt hatte (vgl. Weintraub 2010). Ursprünglich äußerte John Williams den Wunsch, musikalisch zu den Filmen zurückzukehren, doch dies scheiterte auf Grund von Terminkollisionen. Im Januar 2010 wurde verkündet, dass Alexandre Desplat die Filmmusik komponiere.

Alexandre Desplat wurde 1961 in einem griechisch-französischen Haushalt in Frankreich geboren (vgl. Clark 2018: 8). Schon in jungen Jahren lernte er Querflöte und später auch Trompete, doch seine wahre Berufung fand er als Komponist. Heutzutage gehört er zu den meist beschäftigten Filmkomponisten. Durch das Vertonen vieler verschiedener Genres, von Science Fiction bis zu Kunstfilmen, konnte er sein musikalisches Repertoire stetig erweitern, sodass seine Filmkompositionen oftmals eine stilistische Breite aufweisen (vgl. Clark 2018: 10). Zu Beginn eines jeden Kompositionsprozess orientiert sich Desplat stark an dem, was die Bilder des Films vorgeben (vgl. Broadcast Music: 00:04:40-00:05:50): Die Musik ist für ihn eine eigenständige Komponente des Gesamtkomplexes Film, die im stetigen Wechselspiel zum Bild steht. Dabei mag er es, eine gewisse Nähe zu den Figuren zu behalten. Oftmals vermischt er neo-romantische Harmonien mit langsamen legato Melodien und/oder energetischen, post-minimalistischen, repetitiven Figuren (vgl. Clark 2018: 10). Die Instrumentierung spielt bei Desplat eine große Rolle, da er die gesamte Bandbreite eines Orchesters nutzt (vgl. ebd.: 10). Besonders markant sind der häufige Gebrauch gezupfter Streichinstrumente, gestimmter Percussioninstrumente, staccato Flötenostinati, sowie Paukensoli und Sub-Bass Synthesizer Schwingungen.

Mit diesem Kompositionsstil entspricht Desplat zwar dem Trend der Filmmusik des 21. Jahrhunderts, setzt sich allerdings durch seine Vorliebe für den Einsatz akustischer Instrumente und üppiger Melodien von vielen seiner zeitgenössischen Kolleginnen ab. Sein Kompositionsstil qualifizierte ihn auch für die Aufgabe, die letzten beiden Harry Potter Filme zu vertonen, indem er einerseits Kontinuität mit der Orientierung an Williams’ neo-romantischen Stil gewährleisten, und andererseits mit einem minimalistischen Stil die bereits genannten unterschiedlichen Weltdarstellungen und damit den Umbruch zu den anderen Filmen unterstützen konnte (vgl. Leaky Cauldron 2011). Für die Komposition der Musik hatte Desplatjeweils vier Monate Zeit. Gespielt vom London Symphony Orchestra ist seine Musik groß orchestriert, teilweise mit doppelter Orchesterbesetzung. Weiterhin kommen verschiedene Chöre und Soloinstrumente, die sowohl gewöhnliche Instrumente wie Gitarren und Blockflöten als auch ungewöhnliche wie Mandolinen und eine Shakuhachi-Bambusflöte beinhalten, zum Einsatz (vgl. Broxton 2010). Verschiedene musikalische Stile wie Jazz und Bossa-Nova sind außerdem zu hören.

Sein Fokus während des Kompositionsprozesses von Teil I lag darauf, einen bestimmten Tonus zu finden, der sich der Musik der bisherigen Filme anschloss, aber dennoch seine persönliche Note trug. Außerdem legte er ein besonderes Augenmerk auf die Einbindung von Yates’ filmischen Ideen, wie den Verlust der Kindheit, das Gefühl von Einsamkeit und Isolierung und eine authentische Figurendarstellung (vgl. Leaky Cauldron 2011). So band er z.B. Williams’ Hedwig’s Theme häufiger ein:

This theme is crucial to the success of the story, and it would have been disrespectful and stupid for me not to use it at the crucial moments where we need to refer to these ten years of friendships that we’ve all had with these characters and kids, so “Hedwig’s Theme” does reoccur a lot more in Part 1 where loss of innocence was the main theme of the film and where “Hedwig’s Theme ” was referring to childhood and Hogwarts. (ebd.)

Da Desplat bei der Komposition von Teil I noch nicht wusste, dass er auch Teil II vertonen würde, arbeitete er nicht so weitsichtig, wie er es andernfalls getan hätte. Dennoch konnten einige Themen in Teil II, dessen musikalischer Fokus auf der Balance zwischen Emotion und epischem Drama lag, wiederaufgenommen, verarbeitet und weitergeführt werden (vgl. ebd.).

Neben der Einbindung in Sound- und Spezialeffekte war David Yates auch in den gesamten Kompositionsprozess eng involviert. Jeden Tag trafen sich Desplat und Yates im Büro und tauschten sich über neues musikalisches Material aus, um die Musik möglichst gut ans Bild anzupassen und ihr das nötige „Je ne sais quoi“ (ebd.) zu verleihen. Die Übereinstimmung von Musik und Bild ist eines der wichtigsten Merkmale des Classical Hollywood Sounds. Claudia Gorbmans Modell wird daher im nächsten Kapitel auf theoretischer Ebene beleuchtet.

3 Der Classical Hollywood Sound - Ein Modell von Claudia Gorbman

„Music in film mediates,” schreibt Claudia Gorbman in ihrer Studie zum Classical Hollywood Sound. „Its nonverbal and nondenotative status allows it to cross all varieties of ,bor- ders‘: between levels of narration (diegetic/nondiegetic), between narrating agencies (objec- tive/subjective narrators), between viewing time and psychological time, between points in diegetic space and time (as narrative transition)“ (1987: 30). Wie Gorbman treffend zusammenfasst, spielt Musik eine wichtige Rolle beim Erzählen von Geschichten. Bereits im antiken Griechenland wurden Dramen mit Musik unterlegt (vgl. ebd.: 33), sodass es nicht verwunderlich ist, dass diese auch in Filmen Verwendung findet. Filmmusik schafft es, Botschaften an Menschen zu transportieren, da sie immer einen Effekt hat, egal auf welche Art und Weise sie in einem Film vorkommt. Auch wenn die Möglichkeiten der Unterlegung eines Films mit Musik vielfältig sind, sind im Classical Hollywood Film immer wieder gleiche oder ähnliche musikalische Eigenschaften festzustellen, die Gorbman zu Richtlinien des Classical Hollywood Sounds ausarbeitete. Bei diesen Richtlinien handelt es sich allerdings lediglich um eine Sammlung von Konventionen und Optionen, da es weder einen prototypi- schen Film noch eine prototypische Filmmusik gibt. Das implizite Modell umfasst verschiedene Möglichkeiten im Umgang mit Erzählstrukturen, Länge, Organisation räumlicher und zeitlicher Dimensionen, Bearbeitung, Ton, Aufnahme und Abmischung (vgl. ebd.: 71), doch stets mit dem Ziel, Bild und Musik in Einklang zu bringen, um den Zuschauenden eine möglichst hohe Identifikation mit dem Visuellen zu bieten und ein vollständiges Eintauchen in die Geschichte zu begünstigen (vgl. ebd.: 7). Claudia Gorbman entwickelte dafür sieben Kategorien6 7 (vgl. ebd.: 70-99): 1. Invisibility, 2. „Inaudibility“1, 3. Signifier of Emotion, 4. Narrative Cueing, 5. Formal and Rhythmic Continuity, 6. Unity, 7. Breaking the Rules. Das Modell wird in zwei Einheiten unterteilt, um einerseits zu untersuchen, inwiefern die ersten drei Kategorien zur Erschaffung der kinematographischen Welt beitragen und den Zuschauenden helfen, einen möglichst guten Zugang zu dieser zu finden, und andererseits zu schauen, inwieweit die Kategorien vier bis sieben auf struktureller Ebene die Filme Zusammenhalten.

3.1 Musikalische Richtlinien zur Erschaffung der kinematographischen Welt

Die Kategorien Invisibility,,,Inaudibility“ und Signifier of Emotion unterstützen die Erschaffung der kinematographischen Welt und helfen dabei, das Publikum in diese zu involvieren und die erzählte Welt besser zu vermitteln. Die unterschiedliche Umsetzung hat Auswirkungen auf die Darstellung einer Landschaft und den Grad der Einbindung der Zuschauenden.

Invisibility

Allgemein erzielen die verschiedenartigen Einsätze von Musik unterschiedliche Wirkungen: Während nichtdiegetische (nichtsichtbare) Musik die Vorstellungskraft vor allem in Bezug auf Übernatürliches oder Unbekanntes fördert und eher auf emotionaler Ebene wirkt, stellt diegetische (sichtbare) Musik schnell einen Bezug zur fiktionalen Welt her und etabliert so Zeit und Ort in dieser (vgl. Gorbman 1987: 72). Um den Zuschauenden das Gefühl zu vermitteln, der Ton/die Musik komme aus dem Bild, sollte der physikalische Apparat der Musik im Bild allerdings nicht sichtbar (nichtdiegetisch) sein: ,,It is as sound in a film has no technological base, involves no work, is natural, and will simply ,show up“‘ (ebd.: 75). Dennoch ist der Gebrauch diegetischer Musik nicht vollkommen tabuisiert. Es gibt Ausnahmen bzw. Möglichkeiten, in denen diegetische Musik zu einem bestimmten Zweck eingesetzt werden kann und daraus ihre Daseinsberechtigung erhält: Das Gebot der Invisibility darf gebrochen werden, wenn Musik Teil der Szene ist, die die Figur erlebt, und dazu dient, den Zuschauenden und Figuren ein besseres Verständnis für die Umgebung und verschiedenen Dimensionen der Situation zu vermitteln (vgl. ebd.: 74). Weiterhin kann diegetische Musik Komik erzeugen und wird daher gerne in Hollywood Komödien eingesetzt. Gorbman führt dafür ein Beispiel aus einem Westernfilm von Woody Allen und Mel Brooks an, in dem ein Jazz Ensemble in der Prärie spielt und durch den Gegensatz Komik erzeugt (vgl. ebd.: 75). Der Ton kommt dabei aber meist nicht vom sichtbaren Ensemble, sondern wurde vorher bereits aufgenommen und wird mit Playback nachgespielt (vgl. ebd.: 75): ln HP 3 singt z.B. bei der Eröffnung des Schuljahres ein Schulchor, begleitet von Kröten und einem kleinen Instrumentalensemble, das im mittelalterlichen Stil komponierte Stück Double Trouble (vgl. Cu- aron 2004: 00:23:11-00:23:37). Der Schulchor setzt sich sowohl aus Mädchen als auch aus Jungen zusammen. In Wahrheit wurde das Stückjedoch in den Abbey Road Studios in London vom London Oratory School Schola (einem reinen Knabenchor) in Zusammenarbeit mit dem Barockensemble DuFay Collective aufgenommen (vgl. Webster 2009: 112).

Die Trennung von diegetischer und nicht diegetischer Musik in einer Szene ist nicht immer eindeutig, da die Musik zwischen den Kategorien oftmals wechselt und die Grenzen damit verschwimmen (vgl. Gorbman 1987: 3). So ist es auch in dem eben genannten Beispiel mit Double Trouble: Das Stück erklingt zunächst im Hintergrund, als die Kinder mit den Kutschen zum Schloss fahren (vgl. Cuaron 2004: 00:22:53). Kurz darauf wird der Chor eingeblendet, der das Stück in der großen Halle singt (vgl. ebd.: 00:23:11). Double Trouble entwickelte sich dementsprechend von einem nichtdiegetischen zu einem diegetischen Stück. Mit diesem im Renaissance Stil komponierten Stück verweist John Williams nicht nur auf das mittelalterlich anmutende Hogwarts, sondern verwischt auch die Grenzen zwischen der fantastischen und realitätsnahen Dimension, die beide Bestandteile des Films sind (vgl. Webster 2009: 205).

Neben diegetischer Musik, die Bestandteil einer Szene ist, und nichtdiegetischer Hintergrundmusik gibt es noch eine dritte Kategorie, die Earle Hagen als Source Scoring bezeichnet. Dabei handelt es sich um Musik, die sich keiner der anderen beiden Kategorien eindeutig zuordnen lässt, da die Musik zwar einerseits dem Bild wie Hintergrundmusik folgt, sich aber dennoch musikalisch so absetzt und wirkt, als könnten die Figuren sie ebenso wahmehmen (Hagen 1971: Kap. 2). Damit kann sich das Publikum in die jeweilige Situation hineinversetzen und besser an der Handlung teilnehmen. Auch wenn das Source Scoring diesen Effekt begünstigt, ist vor allem die ,,Inaudibility“ für das höhere Identifikationspotenzial verantwortlich.

„Inaudibility“

Das Publikum sollte die Musik eines Films nicht bewusst wahmehmen, um sich besser in die Handlung einfühlen zu können (vgl. ebd.: 76). Neben musikalischen Parametern sind die allgemeinen Gewohnheiten der Zuschauenden, die ins Kino gehen, um einen Film zu sehen und nicht um ein Konzert zu hören, für den Grad der ,,Inaudibility“ von Musik verantwortlich. Die Wahrnehmung dieser wird zum einen von der Konzentration, zum anderen von den biologischen Voraussetzungen des Menschen beeinflusst (vgl. Audissino 2014: 31): Während die Konzentration bei einem Konzertbesuch auf der Musik liegt, ruht die Konzentration des typischen Filmpublikums bei einem Film auf der Handlung. Die nichtmusikalisch geprägten Zuschauenden verarbeiten die Bedeutung von Dialog und Bild in der linken Gehirnhälfte, Musik hingegen in der rechten, die für die Verarbeitung von Affekt und Emotion zuständig ist (vgl. ebd.: 31). Sollten in einer Szene Musik und Dialog gegensätzlich sein, würde diese Gegensätzlichkeit für weniger handlungsorientierte Aufmerksamkeit sorgen, da nun auch die linke Gehirnhälfte in den Prozess der musikalischen Verarbeitung eingebunden wäre.

In general music should understand that in the cinema it should nearly always remain in the background: it is, so to speak, a tonal figuration, the ,left hand‘ of the melody on the screen and it is a bad business when this left hand begins to creep into the foreground and obscure the melody. (Sabaneev 1935: 22)

Um diesem Anspruch an die Filmmusik gerecht zu werden, gibt es verschiedene Handlungsansätze (vgl. ebd.: 44f.): Die musikalische Form sollte sich ebenso wie die Länge der Handlung unterordnen. Daher ist es von Vorteil, wenn die Komponierenden elastische Musik erschaffen, um einer späteren Verlängerung oder Verkürzung einer Szene dennoch passende Musik liefern zu können.

Um zu verhindern, dass die Zuschauenden im Dialog von Musik abgelenkt werden, ist es bedeutend, die Musik der Stimme unterzuordnen. Dies kann erreicht werden, indem sie entweder weggelassen wird oder sehr leise im Hintergrund spielt. Eine weitere Möglichkeit ist, das Orchester nicht in der gleichen Lage wie die Stimme spielen zu lassen. Holzbläser sollten nicht unbedingt zum Einsatz gelangen, da diese in Konflikt mit der menschlichen Stimme stehen können. Dementsprechend ist eine klare Präferenz von Streichern als musikalische Untermalung von Stimmen erkennbar. Eine dezidierte Entscheidung für Holzbläser kann wohldosiertjedoch interessant sein und für Spannung sorgen.

Musik sollte passend zur Szene gewählt werden, um die Stimmung und somit die erzählte Welt zu unterstützen. „A musical idiom must be thoroughly familiar, its connotations virtually reflexive knowledge, for it to serve ,correctly‘ invisibly, in classical filmic discourse“ (Gorbman 1987: 79). Zudem ist die einfache Zugänglichkeit für die Zuschauenden wichtig. Aus diesem Grund orientiert sich die Filmmusik gerne am Stil spätromantischer Musik. Das musikalische Material ist tonal, bekannt und vermittelt einfach zu verstehende konnotative Werte. Neben der Faszination für starke Emotionen gehört auch der Nationalismus, der sich durch das Einarbeiten von Volksliedern oder volksliedartigen Elementen zeigt, zu den Hauptmerkmalen der romantischen Musik (vgl. Greenberg 2006: 184). Beide Elemente bieten für das Publikum eine hohe Identifikationsmöglichkeit mit dem Gehörten und eine weitere Erklärung für den Einsatz des spätromantischen Stils in der Filmmusik.

Auch im abschließenden Bearbeitungsprozess werden die musikalischen Ein- und Austritte der Handlung untergeordnet. Es ist entscheidend, wann die Musik anfängt und aufhört. Ebenso wie sich der Beginn der Musik nie mit dem Beginn des Dialogs überschneiden sollte, da sonst die Worte überdeckt würden, würde ein plötzliches Verschwinden von Musik für Verwunderung bei den Zuschauenden sorgen. Für gewöhnlich erfolgt der Musikeinsatz in einer Szene mit einer Aktion, wie z.B. einer Türklingel, oder während einer einschneidenden Änderung in Rhythmus oder Emotion. Dies geschieht einschleichend, um nicht den Fokus der Handlung zu entziehen.

Signifier of Emotion

Dialoge, Soundeffekte und der Image-Track gehören zunächst zu den rein sachlichen Elementen eines Films. Musik ergänzt diese sachliche Ebene um eine emotionale und verleiht dem Bild eine tiefergehende Bedeutung. Sie eröffnet den Zuschauenden eine neue übernatürliche, romantische oder auch emotionale Dimension8 (vgl. ebd.: 79). Die Musik ist es, die den Film dem Publikum zugänglicher bzw. fassbarer macht und zudem für eine bessere Verständlichkeit des Gesehenen sorgt.

Wie bereits erwähnt, erhält die Musik diese Wirksamkeit durch die einfach zu verstehende Konnotation (s. Invisibility). So werden die unterschiedlichsten Phänomene oftmals ähnlich musikalisch unterlegt, wie zwei Beispiele verdeutlichen: Gorbman hält in Bezug aufMusik und die Repräsentation des Übernatürlichen fest, dass Szenen, die sich mit Traum, Kontroll- verlust und Fantasie beschäftigen, grundsätzlich viel Musik brauchen, während Szenen, die sich mit dem täglichen Leben und Logik befassen, nicht notwendigerweise Musik benötigen und diese sogar als störend empfunden werden könnte (vgl. 1987: 79). InHarry Potter zeigt sich dieses Phänomen ganz deutlich bereits in den ersten vier Minuten von HP 1 (vgl. Columbus 2001: 00:00:16-00:03:59): Die Szene beginnt in der Straße der Dursleys, in der man sieht, wie ein Mann mit Hilfe eines Geräts den Straßenlampen ihr Licht entzieht. Gleich darauf fällt sein Blick auf eine Katze, die sich verwandelt und als Professor McGonagall offenbart. Sie unterhalten sich über etwas, das die Zuschauenden zu dieser Zeit noch nicht einordnen können, bis ein fliegendes Motorrad mit dem Halbriesen Hagrid und dem schlafenden Baby Harry vor den beiden landet. Sie legen das Baby auf die Türschwelle der Dursleys und die Szene endet mit einem Zoom im Extreme Close Up auf die Narbe des Babys. Die gesamte Szene ist von Musik begleitet. Die Bedeutung des konstanten Musikeinsatzes zeigt sichjedoch erst in der nächsten Szene, die zehn Jahre später spielt. Der Szenenwechsel wird eindrucksvoll von dramatischer und anschwellender Musik untermalt. Harrys leuchtende Narbe verbindet die Szenen, denn sie ist auch das erste, was von dem nun schlafenden elfjährigen Harry im Extreme Close Up zu sehen ist. Mit dem Kläcken des Lichtschalters und dem unsanften Weckruf der Tante verschwindet die Musik mit einem Aufwärtslauf. In den folgenden Szenen, in denen Harrys erniedrigender Alltag bei den Dursleys dargestellt wird, kommt keine Musik mehr vor. Erst bei den nächsten Szenen, die wieder im Zusammenhang mit Magie stehen (vgl. ebd.: 00:06:08; 00:08:11), erklingt wieder Musik. Es kristallisiert sich also schnell heraus, dass Hintergrundmusik mit Magie und Stille mit der nichtmagischen Realität9 in Verbindung gebracht wird. Gerade am Anfang des Films hilft die Musik somit beim Einfühlen in die magische Welt und senkt eventuelle Barrieren bei den Zuschauenden.

Eine weitere prägnante Verbindung besteht zwischen Epik und Musik. Oftmals wird üppige, spätromantische Musik mit einprägsamen Melodien verwendet, die Gefühle von Epik erzeugen kann. Sie schafft in Kombination mit dem Gesehenen einen verallgemeinernden Transfer von der individuellen Figur auf der Leinwand zur universellen Wichtigkeit und verleiht den entsprechenden Szenen etwas Schicksalhaftes. Dieses Phänomen geht auf die rituelle Funktion von Rhythmus und Gesang in Gruppen zurück, in dem erhabene Emotionen durch Gruppenidentitätausgelöstwerden(vgl. Gorbman 1987: 81).

3.2 Musikalische Richtlinien für einen strukturellen Zusammenhalt

Während mit Hilfe der ersten drei Kategorien vor allem der Einfluss der musikalischen Soundtracks auf die kinematographische Landschaft eines Films und auf das Integrationspotenzial des Publikums genauer betrachtet wurde, werden in den letzten vier Kategorien die musikalischen Möglichkeiten untersucht, die für strukturellen Zusammenhalt und einen linearen Verlauf im Film sorgen.

Narrative Cueing

Narrative film music, both referential and connotative, provides a foundation of meaning for the images it represents. As we have already learned, melodic, harmonic, rhythmic, and instrumental elements imitate or illustrate physical events on screen, set stages of mood, interpret narrative events, and indicate moral/class/ethnic values of characters. (Webster 2009: 293f)

Die handlungsorientierte Vertonung eines Films ist eng verknüpft mit dem Prinzip der emotionsunterstützenden Verwendung der Musik, da Emotionen je nach Genre oftmals einen großen Teil der Handlung in Anspruch nehmen. Dies mag auch ein Grund sein, warum im Classical Hollywood Film Musik im Stil der Romantik Verwendung findet. Der Einsatz der Musik in der romantischen Oper war im späten 19. Jahrhundert ebenfalls darauf ausgelegt, sich stets der Bühnenhandlung unterzuordnen und diese zu unterstützen (vgl. Audissino 2014: 29). Die Hervorhebung, Illustration und Betonung der Emotionen bzw. allgemein der handlungsunterstützende Einsatz ist nur eine der semiotischen Pflichten, die die Musik eines ClassicalHollywoodFilms erfüllen sollte (vgl. Gorbman 1987: 82). Ziel ist es also, mit der Musik Interpretationshilfen zum Bild zu schaffen, sodass die Handlung des Films mit einer größtmöglichen Transparenz erzählt werden kann (vgl. ebd.: 84). Dabei kann es hilfreich sein, Musik mit den Geschehnissen des Bildes zu synchronisieren, das heißt, dass die Musik möglichst nah am Bild bleibt, was mitunter schnelle Wechsel erfordert. Zu diesem Zweck wurde die Click-Track-Technik entwickelt, die ein exaktes Timing von Bild und Musik ermöglicht (vgl. ebd.: 87f.). Der projektierte Film wird dabei mit entsprechenden Klicks unterlegt, an denen sich Dirigierende und Musizierende orientieren können. Eine Illustrationstechnik, die durch die Click-Track-Techmk noch effizienter eingesetzt werden kann, ist das sogenannte „Mickey-MousingBei dieser Technik schmiegt sich die Musik, vor allem richtungsweisende oder rhythmische, passgenau an Geschehnisse im Bild. In HP 4 verwendet Patrick Doyle das ^Mickey-Mousing“ während des Weihnachtsballs: Die Schülerinnen tanzen einen Walzer mit Hebefiguren. Jedes Mal, wenn eine Schülerin hochgehoben wird, vollzieht die Musik die gleiche Bewegung. Ebenso illustrierend wie das ^Mickey-Mousing“ ist ein ,,StingerDurch abrupte Stille oder allgemein einen Einschnitt in der Musik, z.B. einen lauten Sforzato Akkord, werden in musikalischen Phrasen Handlungen mit Emotionalität aufgeladen und pointiert (vgl. ebd.: 88f.). Musik hat dementsprechend einen merklichen Einfluss auf die Stimmung der Zuschauenden. Von der konnotativen Verwendung bestimmter Instrumente bis hin zu bestimmten Rhythmen, Melodietypen oder Harmonien rufen alle Elemente bestimmte Assoziationen hervor. Diese Assoziationen hängen mit der musikalischen Sozialisierungjeder einzelnen Person zusammen. In der kulturell westlich geprägten Bevölkerung orientieren sich die musikalischen Konnotationen vorwiegend an denen des Theaters oder der Oper des späten 19. Jahrhunderts (vgl. ebd.: 85). Vor allem Stummfilme verdeutlichen die Wechselwirkung von Film und Musik, da Bilder ohnejegliche akustische Hilfe nur schwer zu verstehen gewesen wären. Typische Konventionen sind z.B., dass häufig Blechblasinstrumente für Helden, gefühlvolle Streicher für Liebende und Tremoli zur Erzeugung von Spannung eingesetzt werden (vgl. Motte-Haber/Emons 1985: 79).

[...]


1 Die Begrifflichkeit orientiert sich an den Classical Hollywood Filmen der 30er und 40er Jahre. Besonders zu dieser Zeit galt das Ziel, die Aufmerksamkeit der Zuschauenden in Filmen so gut wie möglich zu lenken, um eine volle Involvierung in die Handlung und fiktionale Filmwelt zu gewährleisten (s.3 Der Classical Hollywood Sound - Ein Modell von Claudia Gorbman).

2 Die dystopischen Züge von HP 7 werden in Patient und Street 2009 ausführlicher diskutiert.

3 Horkruxe sind Objekte, in denen dunkle Zauberinnen Teile ihrer Seele aufbewahren können, sodass sie nicht getötet werden können. Voldemort spaltete seine Seele ursprünglich in sechs Teile, doch mit dem versuchten Mord an Harry als Baby wurde Harry ebenfalls zu einem Horkrux. Diese Information erhält Harry aber erst am Ende von Teil II und auch Voldemort ist sich dieser Tatsache nicht bewusst. Den ersten Horkrux, das Tagebuch Tom Riddles (der bürgerliche Name Voldemorts), zerstörte Harry bereits in HP 2, wohingegen der zweite Horkrux, ein Ring, von Dumbledore zerstört wurde.

4 Rowling verwendet diese Bezeichnung für Gefolgsleute Voldemorts, die sowohl weiblich als auch männlich sind. Der Begriff wird daher nicht gegendert (vgl. z.B. 2007: 54).

5 Mit Hilfe von Zauberkraft von einem Ort verschwinden und zeitgleich woanders wiederauftauchen.

6 Die Bezeichnungen für die verschiedenen Kategorien werden aus Gründen der Authentizität aus dem Englischen nicht übersetzt.

7 Die Kategorie „Inaudibility“ steht in Anführungszeichen, da Musik nicht unhörbar sein kann. Gemeint ist im übertragenen Sinne, dass die Zuschauenden die Musik nicht bewusst wahmehmen sollen (vgl. Gorbman 1987:76).

8 Bei Gorbman heißt es: „music brings a necessary emotional, irrational, romantic, or intuitive dimension.“ Im weiteren Zusammenhang wird, klar, dass sich Gorbman mit irrational auf das Übernatürliche bezieht: „The music initiates us into the fantasy world. [...] This association of music and the irrational predominates throughout the genres of horror, science fiction and fantasy“ (1987: 79). Die Verwendung des Wortes irrational im anglo-amerikanischen Sprachraum lässt sich mit der engen Verbindung zwischen der Entstehungsgeschichte der modernen Fantasy und der Demystifrzierung einer vormals überwiegend religiös gedeuteten Welt durch die Naturwissenschaften im Zeitalter der Aufklärung, die den Menschen und seinen Verstand {ratio) in den Mittelpunkt stellte, erklären (vgl. Mendlesohn und James 2012: 3). Da im deutschen Sprachgebrauch das Wort übernatürlich diese Verbindung besser zum Ausdruckt bringt, wird in dieser Arbeit eine sinngemäße Übersetzung angewandt.

9 Realität bezieht sich in dieser Arbeit auf die als Muggle bzw. nichtmagische Welt betitelte Repräsentation unserer Realität in der fiktionalen Welt von HarryPotter. Zum Verhältnis von Repräsentation und Realität siehe Hall 1997.

Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Der "Classical Hollywood Sound" in Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil I und II. Auswirkung auf die Weltdarstellung und die Rezeption der Handlung
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
57
Katalognummer
V990079
ISBN (eBook)
9783346352446
ISBN (Buch)
9783346352453
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Filmmusik, Harry Potter, Classical Hollywood Sound, Alexandre Desplat, Heiligtümer des Todes
Arbeit zitieren
Sarah Michel (Autor:in), 2020, Der "Classical Hollywood Sound" in Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil I und II. Auswirkung auf die Weltdarstellung und die Rezeption der Handlung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/990079

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