Leseprobe
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Forschungsfrage
1.3 Aufbau und wissenschaftliche Grundlagen der Forschungsarbeit
2. Theoretische Fundierung
2.1 Ausnahmezustand
2.1.1 Soziale Benachteiligung
2.2 Gewalt
2.2.1 Häusliche Gewalt
2.2.2 Spirale häuslicher Gewalt
2.3 Kindeswohlgefährdung
2.3.1 Vernachlässigung
2.3.2 Körperliche und physische Misshandlung
2.3.3 Seelische und psychische Misshandlung
2.3.4 Sexuelle Gewalt
3. Forschungsdesign/ Methodik
3.1 Statistische Erhebungen
3.1.1 Studie zu Angst, Stress und Gewalt
3.1.2 Studie: Häusliche Gewalt während der Corona-Pandemie
3.1.3 Online-Umfrage: Häusliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche während der Corona-Pandemie
3.1.4 Statistik: Anstieg der Beratungen durch die Nummer gegen Kummer
3.1.5 Statistik: Prof. Dr. Michael Tsokos/Gewaltschutzambulanz Charité Berlin
3.2 Forschungsinteresse
4. Forschungsergebnisse
4.1 Soziale Ungleichheit/Benachteiligung
4.2 Überforderung
5. Handlungsempfehlung
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Häusliche Gewalt während der Corona-Pandemie
Abbildung 2: Risikofaktoren häuslicher Gewalt
Abbildung 3: Arten häuslicher Gewalt gegen Kinder und Jugendliche während Corona
Abbildung 4: Bevorzugte Beratungsangebote von Betroffenen häuslicher Gewalt
Abbildung 5: Genutzte Informationsquellen von Betroffenen häuslicher Gewalt
Abbildung 6: Anstieg der Beratungen der Nummer gegen Kummer
1. Einleitung
Im Dezember 2019 berichteten die Medien über eine unbekannte Viruserkrankung in China, deren Ursprung sich in der Millionenstadt Wuhan befand (Zehrt, 2020, S. 6). Chinesische Wissenschaftler vermuteten, dass sich dieses Virus durch Fledermäuse und Schuppentiere über einen Wildtiermarkt ausgebreitet hatte (br, 2020). Dessen reichhaltiges Angebot umfasste Fische, Seeschlangen, junge Wölfe, Fledermäuse bis hin zu Schalentieren (Zehrt, 2020, S. 8).
Das ursprüngliche Fledermaus-Virus, für den Menschen pathogen, also nicht krankheitsverursachend, benötigt für die Übertragung einen Zwischenwirt. Hierdurch wurde die Tier-Mensch-Barriere durchbrochen, weshalb sich der Mensch infizieren konnte. Als wahrscheinlich galt ebenso, dass Schuppentiere Zwischenwirte waren, die in China als Heilmittel gelten (Fangerau & Labisch, 2020, S. 23). In der traditionellen chinesischen Medizin kommen ihre Schuppen durch ihren Keratin-Gehalt zur Anwendung und werden bei Nervenkrankheiten meist in Suppen verabreicht. Darüber hinaus ist das Fleisch der Tiere eine Delikatesse in asiatischen Ländern (FAZ, 2020).
Das Virus wurde untersucht und chinesische Mediziner fanden heraus, dass es sich dabei um ein neues Coronavirus handelte; SARS-CoV-2 Severe Acute Respiratory Syndrome Corona Virus 2 (RKI, 2020). Anhand der Benennung werden dessen Symptome deutlich: starke, akute Atemwegserkrankungen sowie Lungenentzündungen. Sie wurden in den 1960er-Jahren entdeckt und führten bisher lediglich zu Erkältungssymptomen. Schwere Lungenentzündungen verursachten sie bisher nicht. Jedoch ähnelte dieses neue Corona Virus, im Folgenden Covid-19 genannt, zu 85 Prozent dem tödlichen SARS-Virus, das bereits im November im Jahr 2002 in China zu einer Pandemie führte (Zehrt, 2020, S. 10).
Im Januar 2020 gab es in China die ersten Todesfälle. Die Wissenschaft bestätigte, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch stattfindet. Am 23. Januar 2020 gab es in Wuhan den ersten Corona-Lockdown, bei dem die gesamte Stadt durch die Behörden abgeriegelt wurde. Der Verkehr kam zum Erliegen und die Menschen befanden sich in häuslicher Quarantäne. Diese zeitlich befristete Isolierung von Personen, bei denen ein Verdacht einer Covid-19 Infektion bestand, diente als Schutzmaßnahme, um zu umgehen, dass weitere Personen durch das Virus angesteckt werden. In diesem Zusammenhang erlangte der Begriff Lockdown weltweite Bekanntheit (Zehrt, 2020, S. 17).
Covid-19 erreichte Deutschland am 27. Januar und breitete sich durch Infektionen aus.
Aufgrund der rapiden Zunahme der Fallzahlen stufte der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus das Virus seit dem 11. März als Pandemie ein (Euro WHO, 2020).
Am 28. März verfasste die Baden-Württembergische Landesregierung eine Verordnung. Infektionsschützende Maßnahmen sollten eine Ausbreitung der SARS-Cov-2 Viren verhindern. Diese wurde gemäß §4 des Verkündigungsgesetzes notverkündet (Baden-Württemberg, Corona-Verordnung-Corona VO, 2020). Es folgten bundesweite Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen. In Bayern und im Kreis Heinsberg gab es erste Ausgangssperren. Handel und Wirtschaft kamen zum Erliegen, was sich auch in leeren Einkaufsstraßen widerspiegelte. Die Maßnahmen zeigten Wirkung und die Zahl der Erkrankten ging zurück, doch war nicht an eine Rückkehr zur Normalität zu denken. Das Infektionsschutzgesetz wurde einerseits für nötig empfunden und andererseits kritisiert, da es die Grundrechte beschneidet. Die Folgen der Einschränkungen trafen die gesamte Gesellschaft, schürten Ängste und führten zu Verunsicherungen. Kulturelle Rituale wurden nicht mehr ausgeübt, das Händeschütteln zur Begrüßung wurde eingestellt. Umarmungen sollten vermieden werden, Sicherheitsabstände wurden angeordnet und Gesichtsmasken mussten getragen werden. Ebenso wurde zur regelmäßigen Desinfektion der Hände angehalten. Hygienekonzepte wurden erstellt, traditionelle Umgangsformen und Lebensweisen minimiert (Fangerau & Labisch, 2020, S. 158-167).
Es folgten Kontaktverbote. Sozialer Austausch und Kommunikation waren somit erschwert. Schulen, Kindergärten, Jugendzentren sowie Beratungsstellen mussten schließen. Durch Isolationsmaßnahmen sollte die hohe Infektionsgefahr verringert werden. Die Corona-Pandemie begründete einen Ausnahmezustand.
In Deutschland wurde diese Zeit nach Zehrt (2020, S. 6) in vier Abschnitte unterteilt:
1. Ahnungslosigkeit bezeichnet den Zeitraum, als noch nicht absehbar war, dass auch Deutschland, sowie Europa durch das Virus bedroht sind.
2 . Angst bezieht sich auf die Sorge, dass unser Gesundheitssystem der Pandemie nicht standhalten könnte.
3. Ausnahmezustand meint den Lockdown, in dessen Folge neue Formen der Kommunikation entstanden. Schulen und Kindergärten sowie nicht systemrelevante Geschäfte und Betriebe wurden geschlossen. Kinderbetreuung gab es nur teilweise für Arbeitende systemrelevanter Berufe. Homeoffice wurde in vielen Bereichen eingeführt und durch Social Distancing sollen direkte soziale Kontakte vermieden werden.
4. Aufatmen bezieht sich auf die Zeit, als vereinzelt Geschäfte, Schulen und Kindergärten wieder geöffnet wurden. Die Ansteckungskurve sank deutlich (Zehrt, 2020, S. 6).
Im Herbst stiegen die Infektionszahlen erneut. Die Bundesregierung bereitete sich auf eine mögliche zweite Covid-19-Welle vor. Es wurde an die Bevölkerung appelliert, weiterhin vorsichtig mit der Ansteckungsgefahr umzugehen und sich konsequent an Hygiene- und Abstandsregeln zu halten. Die Bürgerinnen und Bürger reagieren überwiegend mit Besonnenheit (Baden-Württemberg, 2020).
Daraufhin wiederholten sich die bereits genannten Abschnitte. Deutschland befindet sich zum aktuellen Zeitpunkt erneut im Ausnahmezustand. Seit dem 1. November 2020 gelten bundesweit wieder strengere Regeln. Die Beschränkungen betreffen den Freizeitbereich. Das öffentliche Leben wird erneut für mindestens einen Monat eingeschränkt. Neu ist, dass Bundesländer verstärkt einheitliche Regelungen treffen. Ziel ist es, das Gesundheitssystem zu entlasten und die Zahl der Neuinfizierten zu senken. Masken- und Abstandsregelungen werden beibehalten. Kitas, Schulen und Geschäfte sollen geöffnet bleiben. Restaurants, Kneipen, Bars, Diskotheken und Clubs müssen schließen. Erlaubt bleiben Angebote für Essen zum Mitnehmen und Lieferdienste.
Die Einschränkung der Kontakte soll dazu beitragen, die Kontrolle über die Pandemie zurückzugewinnen (Tagesschau, 2020). Jedoch gehen auch mit diesem zweiten Lockdown Existenzängste einher.
In Deutschland brach die Wirtschaft in der zweiten Märzhälfte auf 80/85 Prozent der normalen Leistung ein (Spiegel, 2020). Für ca. zehn Millionen Beschäftigte wurde Kurzarbeit angemeldet. Trotz dieser Maßnahme stieg die Arbeitslosenquote um 308.000 Menschen an, darunter 15.000 Selbstständige. Insgesamt verzeichnet die Bundesagentur nun 2,65 Millionen Arbeitslose. Der Anstieg war zu einem Drittel coronabedingt. Überproportional hoch sei die Anzahl derer, die entweder einen ausländischen Pass haben und/- oder über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Etwa 21 Prozent des Anstiegs wird damit begründet, dass es durch die Krise zu keinen Neueinstellungen komme (FAZ, 2020).
Mit dem bislang größten Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland soll ein Kollateralschaden aufgefangen werden (Bundesministerium, 2020). Dies scheint jedoch nicht auszureichen, da zu viele Menschen durch das Netz fallen, was wiederum Konsequenzen für Leben und Gesundheit hat. Das Familienleben und alltagstypische Abläufe verändern sich.
1.1 Problemstellung
Unsicherheit und emotionale Belastungen entstehen durch die Corona-Pandemie, was die gesamte Bevölkerung betrifft. Existenzen, wie beispielsweise von Einzelhändlern oder Selbstständigen, sind bedroht. Angestellte werden in Teilzeit geschickt. Auch können zahlreiche Menschen beispielsweise durch coronabedingte Arbeitslosigkeit ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr länger nachkommen. Zudem scheint eine Prognose über das Ende der Krise unmöglich.
Hierdurch entsteht für die Betroffenen tendenziell ein Gefühl der Überforderung und die Einschränkungen wirken sich zum persönlichen Nachteil aus.
Die Zahlen der Neuinfizierten steigen, weshalb ein erneuter Ausnahmezustand bevorsteht. So führt die aus der Corona-Pandemie resultierende Unsicherheit in vielen Familien zu Spannungen. Erziehungsberechtigte sind durch die Doppelbelastung von Homeoffice und Kinderbetreuung oftmals überfordert.
Laut statistischem Bundesamt führt beengter Wohnraum zu psychischer Belastung (statistik-bw, 2013).
In bereits angespannten Familienverhältnissen verschlechtert sich der Zustand, da diese oft unter beengten Bedingungen leben, was bei Ausgangssperren oder häuslicher Isolation durch Quarantänevorschriften zu einer Verschlechterung der zwischenmenschlichen Beziehung führt. Kinder haben einen Bewegungsdrang und benötigen Beschäftigung. Eltern sind gefordert die Kinder zuhause zu betreuen und zu beschäftigen. Da Eltern dieser Belastung oftmals nicht gewachsen sind, führt dies zu Spannungen und Regelverletzungen, was die Erziehungsberechtigten zusätzlich belastet. Diese Überforderung kann zu Kontrollverlust führen, was wiederum Gewalthandlungen begünstigt. Gerade Kinder und Jugendliche sind diesem gewalttätigen Verhalten ausgesetzt, was für sie zu einer doppelten Belastung führen kann.
Die Tatsache, dass der Großteil der Gewalttaten im häuslichen, familiären oder sozialen Umfeld stattfindet, verstärkt die Befürchtung, dass gerade in Krisenzeiten eine Zunahme häuslicher Gewalt zu verzeichnen ist. Da auch Kinder ihre Freizeit durch Covid-19 meist zu Hause verbringen, sind sie einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer entsprechender Taten zu werden.
Zwar verzeichnen Jugendämter und Beratungsstellen einen deutlichen Rückgang gemeldeter Fälle häuslicher Gewalt, doch zeigen sich anderweitig Auffälligkeiten, die eine diesbezügliche Zunahme vermuten lassen.
So melden Kliniken eine höhere Anzahl an Opfern körperlicher Gewalt, entsprechende Hilfeeinrichtungen sind ausgelastet und der Bedarf an Plätzen in Frauenhäusern steigt. Ebenfalls werden vermehrt Beratungsgespräche über Sorgentelefone geführt. Auch die Polizei meldet mehr Vorfälle häuslicher Gewalt. Diese Fakten verdeutlichen eine Notwendigkeit mit der Auseinandersetzung der Thematik Häusliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche während der Covid-19-Pandemie.
Deutschland während des Lockdowns bedeutet, dass man zu Hause bleiben soll, da dies vor Infektionen schützt. Dennoch kann die Situation häusliche Gewalt beispielsweise in Form von Misshandlungen oder sexuellem Missbrauch vor allem gegenüber Frauen und Kindern begünstigen. Eltern, deren Kinder normalerweise durch etwa Kita, Schule, Jugendtreffs, Privatunterricht, Sportvereine betreut werden, müssen nun Lehrer- und Erzieherrollen übernehmen, denen sie beispielsweise durch eine eigene niedrige Bildung nicht immer gewachsen sind. Teilweise sind sie nicht berufstätig, arbeiten in Teilzeit oder im Homeoffice. Für nichtberufstätige Elternteile gestaltet sich die Betreuung weniger problematisch als für berufstätige Eltern. Ersatzbetreuungen für die Kinder zu finden gestaltet sich schwierig. Großeltern, die aufgrund des Alters zumeist zur Risikoinfektionsgruppe zählen, sollen zu deren Schutz möglichst nicht besucht werden und Notbetreuungsplätze sind rar.
In dieser unbekannten Situation sind gerade alleinerziehende oder vom Partner getrenntlebende Frauen auf sich gestellt. Während die Kinder Aufmerksamkeit fordern, erleben die Erziehungsberechtigten teilweise existenzielle Ängste sowie Sorgen und fühlen sich überfordert.
1.2 Forschungsfrage
Die Forschungsfrage lautet daher:
Wirkt sich die Corona-Pandemie begünstigend auf die häusliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche aus?
Fast täglich berichten die Medien über vermutete Zunahmen häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie und erste Online-Studienergebnisse liegen vor.
Da es kompliziert ist, an benötigte Informationen der Betroffenen zu gelangen, befindet sich die Forschung noch am Anfang. Das Interesse der Jugendhilfe diesbezüglich wächst jedoch. Einige potenzielle Gewalt-Anlaufstellen mussten schließen. Der Zugang zu Hilfsangeboten ist demzufolge erschwert.
Nach den ersten Lockerungen der Corona-Verordnung können einige Gewaltopfer erneut entsprechende Angebote aufsuchen. Durch Abstandsregelungen und Verordnungen werden diese jedoch nur eingeschränkt möglich. Allerdings werden beispielsweise Plakate und Flyer in Einkaufszentren gestreut, um die betroffenen Mütter oder Kinder zu erreichen.
Für professionelle Sozialarbeiter/Innen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten ist eine Auseinandersetzung mit diesem Thema zwingend notwendig.
Nur durch eine intensive Beschäftigung können sie professionell arbeiten und angemessen handeln. Es wird angenommen, dass sich gerade bei betroffenen Kindern Verhaltensänderungen, Auffälligkeiten und Hilfebedarf einstellen werden. Das Wissen über Kindesmisshandlung sowie deren Folgen sind genauso relevant, wie die Präventionsarbeit, die in immer mehr Arbeitsbereichen der Sozialen Arbeit zum Einsatz kommt. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Entstehung von Gewalt in Pandemie-Zeiten, ist von besonderer Relevanz, da nur so Präventions- und Interventionsmaßnahmen klientenorientiert aufeinander aufbauen können. Hilfeleistung in Pandemiezeiten muss neu definiert und ausgerichtet werden.
1.3 Aufbau und wissenschaftliche Grundlagen der Forschungsarbeit
Nach Auswahl und Sichtung geeigneter und relevanter Literatur folgen einige Definitionen zu notwendigen Begrifflichkeiten der Thematik. Um eine Wissensgrundlage der vorliegenden Arbeit zu schaffen, wird im Folgenden die Bedeutung häuslicher Gewalt erläutert. Im Anschluss erfolgt eine Erklärung, wodurch ein Gewaltsituationen begünstigender Ausnahmezustand entsteht.
Durch die Verwendung bereits existenter, repräsentativer Studien wird diese Bachelorarbeit dem wissenschaftlichen Anspruch gerecht.
Die Erhebung geht auf Studien zurück, die von wissenschaftlichen Instituten durchgeführt wurden. Über diese soll in der vorliegenden Arbeit ein Überblick gegeben werden. Abschließend werden jene Kriterien zusammengefasst, welche von Bedeutung sind.
Eine eigens durchgeführte Umfrage liefert weitere empirische Daten. Das Forschungsdesign wurde als Online-Umfrage gestaltet. Durch die Auswahl verschiedener Forschungsmethoden soll ermittelt werden, inwieweit die Pandemie dazu führte, dass Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen im häuslichen Bereich zugenommen hat. Aufbauend werden Zusammenhänge herausgearbeitet, die einen Anstieg begünstigen. Somit eröffnet sich ein quantitativer Gegenstand. Ein Forschungsinteresse liegt vor und wird im Folgenden erörtert. Der Zusammenhang von häuslicher Gewalt und sozialer Ungleichheit wird dargelegt. Hierbei stehen die wirtschaftlichen Folgen im Vordergrund, die durch verschiedene Faktoren zur Überforderung führen. Nach den Ergebnissen der Forschungsarbeit werden abschließend Handlungsempfehlungen herausgearbeitet. Dabei wird erläutert, wie Soziale Arbeit Benachteiligungen begegnen und diese ausgleichen kann. Hier stehen Netzwerkstrukturen, sowie Nachbarschaftshilfe im Fokus. Diese Arbeit ist ausschließlich auf den Bereich häuslicher Gewalt an Kindern und Jugendlichen während der Covid-19 Pandemie bezogen und stellt somit lediglich einen Teil des gesamten Aspekts der häuslichen Gewalt dar. Konkret wird auf den Rahmen der elterlichen Gewalt eingegangen. Formen der geschwisterlichen oder elterlichen Gewalt untereinander sowie Aggressionshandlungen von Kindern gegenüber ihren Eltern werden nicht betrachtet. In der Arbeit wird der Begriff Eltern stellvertretend für sämtliche Arten von Erziehungsberechtigten verwendet, wobei diese Funktion auch durch Pflege- oder, Großeltern und Tanten sowie Onkel erfüllt werden kann. Als solche haben sie neben zahlreichen Rechten die Pflicht, für das Kind zu sorgen, und weisen eine persönliche Beziehung zu den Heranwachsenden auf. Sie gehören zu den sog. primären Bezugspersonen oder den Ersatzbezugspersonen. Die Arbeit stützt sich auf Forschungen und publizierte Literatur führender Experten/innen. Zu nennen sind hier vor allem Frau Prof. Janina Steinert und Frau Dr. Cora Ebert, die mit ihrer Studie über häusliche Gewalt während der Corona-Pandemie elementare Belastungsfaktoren beleuchten. Ebenfalls soll die gestiegene Frequentierung des Sorgentelefons Nummer gegen Kummer Erwähnung finden. Auch Ergebnisse des Wirtschaftsjournalisten Wolfgang Zehrt werden inkludiert. Statistische Erhebungen von Herrn Prof. Dr. Tillmann Krüger Leiter einer Studie des Zentrums für Seelische Gesundheit der Medizinischen Hochschule Hannover, sowie statistische Zahlen des ärztlichen Leiters der Gewaltschutzambulanz, Prof. Dr. med. Michael Tsokos, werden in die Auswertung miteinbezogen.
2. Theoretische Fundierung
Im Folgenden wird erörtert, wen die Folgen der Corona-Pandemie treffen. Des Weiteren wird darauf eingegangen, welche Folgen die Einschränkungen verursachen.
Die Covid-19 Krise brach in China im Dezember 2019 aus. Als Epizentrum wurde die Millionenstadt Wuhan ermittelt. Bei der Lungenkrankheit kommt es zu Symptomen wie trockenem Husten, Fieber und Atemnot. Aufgrund seiner Nähe zu bisherigen Coronaviren wird er als SARS-CoV-2 bezeichnet. Jeder Erkrankte infiziert weitere Menschen, was zu einer massiven Ausbreitung mit tausenden Toten führt und einen Shutdown zur Folge hat, da die Krankenhäuser in Wuhan überfordert sind. Während des Lockdowns herrschen Ausgangssperren sowie Quarantäne und Provinzen werden militärisch abgeriegelt.
Francesca Melandri, eine italienische Journalistin berichtet Anfang März von einer in Deutschland herrschenden Angst.
Es ist ein Appell an all diejenigen, die glauben, Corona sei nicht so dramatisch und Deutschland würde nicht so gravierend von dem Virus getroffen werden (spiegel, 2020).
Sie behält Rech, denn Covid-19 erreicht Deutschland Anfang März dieses Jahres und versetzt das Land in einen Ausnahmezustand. Unter anderem werden Kindertagesstätten und Schulen geschlossen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Die Heranwachsenden verbringen Wochen ohne ihre sozialen Kontakte in häuslichen Gemeinschaften.
Gerade in der Familie kommt es vermehrt zu Gewalthandlungen. Dies liegt an der besonderen Charakteristik der Institution, die eine Disposition für körperliche Gewalt aufweist, da Heranwachsende im Normalfall den meisten Kontakt zu ihren Familienangehörigen pflegen. Das Risiko einer Eskalation ist hierdurch erhöht (Feltes, 1997, S. 60 ff.).
2.1 Ausnahmezustand
Manfred Spitzer beschreibt, wie Pandemien unser Sozialverhalten beeinflussen, da sie eine Form externen Stresses hervorrufen. Die Bedrohungslage kann hierbei als abstrakte Form interpretiert werden. Menschen machen sich über mögliche Auswirkungen der Pandemie Gedanken und ängstigen sich dadurch. Konkreter wird es, wenn Arbeitslosigkeit, finanzielle Verluste oder eine Krankheit hinzukommen. Präzise Auswirkungen von Paaren und Familien lassen sich nur durch Kontextbedingungen interpretieren. Spitzer vergleicht hierbei Merkmale von SARS-CoV-2 mit jenen von Terroranschlägen und Naturkatastrophen. Zwischen diesen Szenarien bestehen Parallelen, wie z. B. chronische Belastung, Wirtschaftskrise, Lockdown, Arbeitslosigkeit, den Folgen und einem Wiederaufbau. Hinzu kommen Angst und chronische Unsicherheit. Das Stressniveau erhöht sich bei den Personen, bei denen zuvor bereits eine Disposition bestand (Spitzer, 2020, S. 138).
Mertens und Pankofer definieren Stressoren innerhalb der Familie als auslösende Faktoren innerfamiliärer Gewalt. Gerade berufliche Belastungen, Arbeitslosigkeit, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Wohnungsverlust, sowie psychische Probleme oder eigene Vorerfahrungen gewalttätiger Erziehungsmethoden zählen hierzu (Mertens & Pankofer, 2011, S. 15-68). Betrachtet man die Auswirkungen der Corona-Pandemie, können diese Faktoren vermehrt zu einem Ausnahmezustand führen.
Diese Ausnahmesituation schädigt Kinder und Jugendliche gleichermaßen, indem sie ihren Alltag beeinflusst, z. B. durch Veränderungen. Sind Schulen und Kindertagesstätten geschlossen, fehlt es den Kindern nicht nur an Bildung, sondern auch an Sozialkontakten. Die seelische und körperliche Entwicklung in sozialen Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten ist gerade für junge Menschen aus sozial schwierigen und schwachen Verhältnissen enorm wichtig, da hier Kultur und soziales Miteinander gelebt werden.
Für eine gesunde Entwicklung benötigen Kinder und Jugendliche daher den Umgang mit ihrer Peer-Group, d.h. mit Gleichgesinnten. Hierfür wurden staatliche Einrichtungen, wie Schulen und Kindertagesstätten geschaffen, um dies unter Aufsicht pädagogischer Fachkräfte zu ermöglichen (Spitzer, 2020, S. 139).
Die Einschränkungen der Corona-Pandemie erschwert Heranwachsenden den Kontakt zu Gleichaltrigen. Wochen oder Monate ausschließlich in der eigenen Familie zu verbringen, beeinträchtigt ihre soziale Entwicklung (Focus, 2019).
In eigenen Familien zu leben bedeutet oft, unter beengten Wohnsituationen zu leben, was Druck begünstigt. Dies stellt eine ungewohnte Situation dar und führt zu Spannungen und Streitigkeiten. Jene Situation wird durch wirtschaftlichen Mangel verschlimmert, denn Hunger macht aggressiv. Kommen Armut und Arbeitslosigkeit hinzu, entstehen weitere Stressoren. Solchen Gesamtsituationen sind Kinder oftmals schutzlos ausgeliefert (Spitzer, 2020, S. 138-139).
Die Corona-Einschränkungen können Spannungen und Streitigkeiten begünstigen, dies wiederum kann oftmals zu häuslicher Gewalt führen.
So mehren sich in Zeiten der Corona-Pandemie die Anzeichen, dass häusliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche angestiegen ist (Tagesspiegel, 2020).
Weltweit sind mehr als 1,5 Milliarden heranwachsende Menschen laut UNESCO 2020 ab Anfang April zeitweise durch Schließungen ihrer Schulen und Bildungsstätten betroffen (UNESCO, 2020).
Eine Online-Umfrage von corona-alltag.de ermittelte, dass der Ausfall von Schule und Kita für viele Eltern aufgrund von Kinderbetreuung, Homeoffice und Homeschooling zu einer Überforderung führt. Dies wiederum resultiert in einem erhöhten Stresspegel (Bünning et al. 2020).
Lengmeyer et al. befragten Eltern und ermittelten, dass die Mehrzahl der Kinder die aktuelle Corona-Situation bewältigen, ohne darunter psychisch zu leiden. Dies führen Lengmeyer et al. auf stärkere sozioökonomische Ressourcen innerhalb der Familie zurück.
Stärkere sozioökonomische Ressourcen bedeuten auch einen solideren Zusammenhalt innerhalb der Familie. Wichtig sei auch das Klima der Familienmitglieder. Kinder in angespannten Familienverhältnissen könnten sich schlechter mit der Krisensituation arrangieren, wenn die Eltern selbst durch diese belastet seien. Hier käme es vermehrt zu Konflikten in der Familie. Schwierig sei es auch für Einzelkinder, die ohne gleichaltrige Gesellschaft auskommen müssten.
Hierdurch ist ersichtlich, dass Freunde für Kinder eine entscheidende Position einnehmen, die Eltern nicht ersetzen können (Langmeyer et al. 2020).
Die Einschränkungen der Corona-Pandemie stellen für viele Menschen eine große Herausforderung dar, Kontaktbeschränkungen und Quarantäne führen zu Belastungen, was in manchen Familien zu andauerndem Stress führt. Besonders gefährdet sind Frauen und Kinder. Gerade auf Letzteren lastet ein großer Druck (Bundesregierung, 2020).
Die Studie Angst, Stress, Gewalt unter der Leitung von Prof. Dr. Tillmann Krüger legt erste Ergebnisse vor und sieht einen Zusammenhang psychischen Befindens, Stresslebens und häuslicher Gewaltformen im Zuge der Corona-Lockdown-Maßnahmen (mhh, 2020). So beweist auch eine Studie zur häuslichen Gewalt während der Corona-Pandemie von Prof. Janina Steinert und Dr. Cora Ebert, dass das Risiko für Gewalt an Frauen und Kindern während der Heimquarantäne deutlich anstieg (Steinert Ebert, 2020). Auch die Nummer gegen Kummer verzeichnet einen Anstieg, weshalb das Angebot um einen Online-Chat erweitert wurde. Hierbei wird eine intensive Beratung mit fünf verschiedenen Schwerpunkten offeriert. Diese sind folgende: Suizidgedanken/ –versuch, Eltern-Kind-Beziehung, Selbstvertrauen, Selbstverletzung, psychischer Ausnahmezustand (Nummer gegen Kummer, 2020).
Der Wirtschaftsjournalist Wolfgang Zehrt sicherte und analysierte mithilfe künstlicher Intelligenz eine große Menge an Daten renommierter Institute. Entstanden ist eine Corona-Chronik, die den Zeitraum von Dezember 2019 bis Ende Mai 2020 erfasst. Seine Auswertungen liefern einen Überblick, der eine Steigerung der Fälle häuslicher Gewalt an Kindern und Jugendlichen bestätigt. Auch anhand einer Zunahme von Hilfe-Anrufen bei der durch das Bundesfamilienministerium gegründeten zentralen Kinderschutzhotline sowie Expertenstimmen, die eine enorme Zunahme von Misshandlungen und Missbrauchsfällen während der Corona-Pandemie befürchteten, wurde dies belegt (Zehrt, 2020, S. 92).
Der Kinderarzt Oliver Bertold, der gemeinsam mit einem acht-köpfigen Mediziner-Team die Kinderschutz-Hotline betreut, berichtete in der Neuen Osnabrücker Zeitung über Gewalttaten während der Pandemie. Er werde zum Teil aufgrund von starken Verletzungen aufgesucht. Seiner Meinung nach entstünden solche Verletzungsmuster im Normalfall nur bei Zusammenstößen durch Autounfälle. Es handelte sich dabei z. B. um Knochenbrüche und Schütteltrauma. Bertold erklärte, dass vor allem Kleinstkinder betroffen seien. Weiterhin führte der Mediziner aus, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass den Kindern absichtlich massive Gewalt angetan wird. Er sieht einen Zusammenhang zwischen den Gewalterfahrungen und den Alltagsbeschränkungen der Corona-Pandemie (Presseportal, 2020). Zudem verzeichnete der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin und ärztlicher Leiter der Gewaltschutzambulanz Prof. Dr. med. Michael Tsokos einen deutlichen Anstieg von häuslicher Gewalt während des Lockdowns gegen Kinder und Frauen (rbb, 2020).
2.1.1 Soziale Benachteiligung
In der modernen Gesellschaft möchten sich Eltern auch über den Beruf verwirklichen. Somit dient der Erwerb nicht nur dem Unterhalt. Zudem werden Kinder oft als Behinderung der Karriere angesehen und demzufolge als Belastung erlebt. Gerade Eltern sind vergleichsweise häufiger arbeitslos.
Die Verbindung zwischen Karriere und Kinder gestaltet sich gerade für Frauen und Familien mit Kindern als schwierig. Der deutsche Arbeitsmarkt erschwert Müttern oft eine Einstellung oder eine Beförderung. Dementsprechend werden Mütter im Bewerbungsverfahren oder bei Beförderungen häufig abgelehnt. Fast 85 Prozent aller Teilzeitstellen werden durch Frauen besetzt. Es gehen oftmals Flexibilität und finanzielle Einbußen mit der Vereinbarkeit von Kind und Beruf einher. Zudem werden Frauen in der Regel schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen, obgleich sie sich finanzielle Unabhängigkeit von ihren Ehegatten wünschen (Arbeits ABC, 2020).
Die Psychologin Martina Lackner erläutert, dass Frauen, die sich nach der Elternzeit wieder der Karriere widmen, ein anderes Netzwerk haben als die klassische Mutter und Hausfrau. Erstere agiert in ihrem Business-Netzwerk, während Letztere sich im Mütterzentrum trifft und Nachbarschaftshilfe betreibt haben Karrieristinnen ein eigenes soziales Netzwerk. Karriere-Frauen haben, wenn sie z.B. studiert haben, ihr eigenes soziales Netzwerk. Viele aus dem gleichen Umfeld gehen nach der Elternzeit erneut arbeiten. Frauen wünschen sich flexible Arbeitsmodelle und geben ihre Kinder gerne in helfende Hände zu Großeltern, Au-pairs und in Kinderkrippen (stern, 2020).
Fehlt dieses durchstrukturierte Beschäftigungsnetz, sind Kinder nicht mehr regelmäßig extern beschäftigt. Dies geschieht z.B. durch die Corona-Einschränkungen. Somit müssen die Eltern diesen Part selbst übernehmen, wodurch sie an ihre Belastungsgrenze stoßen können, was zu Spannungen und Gewalt führen kann.
2.2 Gewalt
Der Begriff Gewalt, dessen Wortherkunft sich aus dem altdeutschen Wort walten ableiten lässt, bedeutet stark sein oder beherrschen. Mertens und Pankofer definieren diese Bedeutung der Gewalt als Verfügen-können über das innerweltliche Sein. Dies wiederum befähigt den Ausführenden zu einer Handlung, die einer Machtposition und Kontrolle mit Gewalt dem Schwächeren gegenüber gleichkommt (Mertens & Pankofer, 2011, S. 15).
Gewalt wird von Gewaltausübenden angewendet und von Opfern erlebt sowie erfahren.
Im Jahr 1919 war man der Überzeugung, dass die Frau männliche Aufsicht benötigte. Das kulturelle tradierte Verständnis im historischen Kontext geht von tolerierter Gewaltanwendung aus, die von der Gesellschaft über Jahrhunderte akzeptiert wurde. Besonders sei hier der Fokus auf aggressive Handlungen in Partnerschaften und Familien gelegt, die gerade in jener Zeit tabuisiert und geduldet wurden (Keller, 2016, S. 19).
Noch in den 1950er Jahren zählte die Züchtigung zur Form „adäquater Fürsorgemaßnahme der Eltern“ (Mertens & Pankofer, 2011, S. 44).
Gewalt in Partnerschaften und Familien wurde bis in die 1960er Jahre toleriert. Frauen und Kinder besaßen kaum Rechte, weshalb sie Gewalttaten ihrer Väter bzw. Ehemänner ertragen mussten. So wurde etwa das straffreie Züchtigungsrecht gegenüber Kindern seit dem Jahr 2000 verboten. Die Aufgabenwahrnehmung von Justiz und Polizei lässt erkennen, dass sich ein Paradigmenwechsel vollzog.
Lange Zeit war in Deutschland häusliche Gewalt ein Tabuthema. Seit Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes zum 1. Januar 2002 wurden neue Rechtsgrundlagen geschaffen. Gewalttaten, die als „Familienstreitigkeiten“ oder „Ruhestörungen“ galten, erkannte man als Straftat an. Opfer erhielten hierdurch die Möglichkeit einen Strafantrag stellen und den Privatklageweg einschlagen zu können. Der Leitspruch Wer schlägt, der geht, wurde durch die Wohnungsverweisung und das Rückkehrverbot verstärkt (Gatzke & Averdiek-Gröner, 2016, S. 3).
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