Flucht in der Ablösephase als Folge von körperlicher Gewalt im Elternhaus


Dossier / Travail, 2000

13 Pages, Note: 1,1


Extrait


Gliederung

1 Einleitung

2 Die Jugendphase
2.1 Begriffsklärung
2.2 Die Ablösung vom Elternhaus

3 Körperliche Gewalt in der Erziehung
3.1 Begriffsklärungen
3.2 Gesetzesgrundlage
3.3 Ursachen körperlicher Gewalt gegen Kinder
3.4 Mögliche Folgen von Gewalt im Elternhaus

4 Der Fall Sven
4.1 Anamnese
4.2 Aktuelle Situation
4.3 Analyse des Ablösungsprozess von Sven
4.4 Zusammenfassung

5 Resümee

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Vorliegende Studienarbeit befasst sich mit dem Thema: "Flucht in der Ablösephase als Folge von körperlicher Gewalt in der Erziehung".

Zunächst wird die Jugendphase durch einige Begriffsklärungen erläutert und die Ablösung vom Elternhaus als eine wichtige Entwicklungsaufgabe im Jugendalter beschrieben. Auf weitere Entwicklungsaufgaben im Jugendalter kann aufgrund der Komplexität des Themas nicht eingegangen werden.

Im folgenden soll Gewalt in der Erziehung mit ihren Ursachen und Folgen definiert und näher erläutert werden, wobei das Thema im Rahmen dieser Arbeit keinesfalls in seiner Bandbreite erläutert werden kann, sie jedoch die Grundinformationen der Thematik ansprechen soll. Den Mittelpunkt dieser Studienarbeit bildet ein Fallbeispiel aus der Praxis. Anhand des Lebenslaufes eines Jugendlichen soll eine komplizierte Ablösung vom Elternhaus beschrieben werden. Diese Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sondern ist lediglich eine Möglichkeit, wie sich eine erschwerte Ablösung vollziehen kann. Schließlich sollen alle wesentlichen Erkenntnisse dieser Arbeit in einem Resümee zusammengefasst werden.

2 Die Jugendphase

2.1 Begriffsklärung

Gemäß KJHG, § 7, Absatz 2 ist "Jugendlicher, wer 14, aber doch nicht 18 Jahre alt ist". Umgangssprachlich werden Jugendliche auch als "Teenager" bezeichnet, was das Alter zwischen 13 und 19 Jahren einschließt. Schon daraus ergibt sich, daß die Jugendphase ein sehr dehnbarer Begriff ist, welcher nicht durch eindeutige Altersangaben definiert werden kann, sondern an spezifischen Merkmalen dieses Lebensabschnittes festgemacht wird. Dazu tauchen in der Literatur im wesentlichen die Begriffe Pubertät und Adoleszenz auf, die zunächst näher erläutert werden sollen.

- Pubertät

Die Pubertät ist die Phase, in der der Jugendliche "besonders einschneidende physiologisch-biologische Veränderungen durchmacht" und "die allmähliche Ablösung vom Elternhaus intensiviert." (Baacke 1994, S.36) Sie umfasst also den puberalen Wachstumsschub, sowie die Entwicklung der Geschlechtsmerkmale, und kann zeitlich nicht genau durch eine Altersspanne begrenzt werden. Die unmittelbare Pubertät ist "meist schon beendet, ohne daß jedoch ihre sozialen und emotionalen Folgen bereits völlig bewältigt sind." (Baake 1994, S.36)

- Adoleszenz

Adoleszenz meint nicht nur das Ereignis der Pubertät, sondern eine Lebensphase, in der "eine Einheit aus physisch-psychischen Erlebnis- und Selbsterfahrungen entsteht, die zur wachsend bewußten Entwicklung eines Ich-Gefühls führen, das die Abgrenzung von anderen Personen erlaubt und gerade dadurch die Aufnahme von selbstgewählten Beziehungen auf breiter Basis ermöglicht." (Baacke 1994, S.37)

Zusammenfassend kann also die Pubertät als körperlicher und die Adoleszenz als geistiger Reifungsprozess beschrieben werden.

2.2 Die Ablösung vom Elternhaus

Die Ablösung vom Elternhaus ist ein charakteristisches Merkmal für das Jugendalter und stellt zudem eine wichtige Entwicklungsaufgabe in dieser Lebensphase dar. Die erfolgt auf vier verschiedenen Ebenen:

- Die Ablösung auf psychologischer Ebene

Sie erfolgt, indem sich der Jugendliche in seinen Gefühlen und Handlungen nicht mehr vorrangig an den Eltern, sondern an anderen Bezugspersonen orientiert.

- Die Ablösung auf kultureller Ebene

Diese bedeutet die Entwicklung eines persönlichen Lebensstils, welcher sich von dem der Eltern unterscheidet.

- Die Ablösung auf räumlicher Ebene

Sie vollzieht sich durch die Verlagerung des Wohnstandortes aus dem Elternhaus heraus.

- Die Ablösung auf materieller Ebene

Diese ist dann abgeschlossen, wenn die wirtschaftliche und finanzielle Selbständigkeit erreicht und damit die finanzielle Abhängigkeit vom Elternhaus beendet wird.1

"In den verschiedenen Bereichen findet der Ablösungsprozeß zu unterschiedlichen

Zeitpunkten statt. Dabei treten die einzelnen Ablösungserscheinungen in der Regel in der Abfolge auf, wie sie hier genannt wurden." (Hurrelmann 1999, S.142) Konflikte mit den Eltern sind bei der Ablösung nicht nur normal, sondern unumgänglich.2

3 Körperliche Gewalt in der Erziehung

3.1 Begriffsklärungen

a) Erziehung

Laut Hermann Giesecke meint Erziehung "nicht alle Arten des kindlichen und jugendlichen Lernens, sondern nur die, die planmäßig zu diesem Zweck organisiert werden ... Alles andere wäre "funktionales Lernen", und ein großer Teil der Lerneinwirkungen in der Familie ist funktional, weil ja das Familienleben nicht restlos in Erziehung verwandelt werden kann und darf." (Giesecke; 1969)

Aus diesen Definitionsversuchen geht hervor, daß die frühkindliche Erziehung im Elternhaus eine sehr wichtige und prägende Rolle spielt. Jedoch werden in kaum einer Definition über den Erziehungsbegriff Aussagen über Erziehungsmethoden gemacht. Lediglich werden verschiedene Erziehungsstile angesprochen, zu deren Erläuterung aber der Rahmen dieser Arbeit nicht ausreichen würde.

b) Gewalt

"Als "Gewalt" bezeichnen wir eine spezifische Form der Aggression, welche die Schädigung eines Objektes oder einer Person zum Ziel hat." (Rauchfleisch 1996, S.36) Dieser Gewaltbegriff kann unterschiedlich weit ausgelegt werden. Er kann sich auf die physische Gewalt beschränken, welche Verletzungen bewirkt, oder auch psychische Gewalt beinhalten, welche sich beispielsweise durch verbale Erniedrigungen oder Liebesentzug äußert. Auch Vernachlässigung kann zu Gewalt gezählt werden, da sie Menschen in ihrer Entwicklung erheblich beeinträchtigt.

c) Gewalt im Elternhaus

Als Formen der Gewalt im Elternhaus werden im wesentlichen die Formen psychische, physische und sexuelle Gewalt unterschieden.

Vorliegende Studienarbeit soll sich jedoch ausschließlich mit körperlicher Gewalt seitens der Eltern gegen ihre Kinder beschäftigen.

Dabei unterscheidet man zwei Arten, die wie folgt definiert werden:

- Züchtigung:

"Elterliche körperliche Züchtigung ist die nicht zufällige Zufügung kurzzeitiger körperlicher Schmerzen mit dem Zweck der erzieherischen Einflußnahme oder Kontrolle kindlichen Verhaltens. Die Intensität der einzelnen Handlung impliziert nicht das Risiko ernsthafter physischer Verletzungen. Physische oder psychische Schädigungen des Kindes ist nicht Ziel der Handlung." (Wetzels 1997, S.70)

- Misshandlung

"Elterliche körperliche Mißhandlung ist die nicht zufällige, sozial nicht legitimierte Zufügung körperlicher Schmerzen, die mit der Absicht oder unter Inkaufnahme der Verursachung ernsthafter physischer Verletzungen oder psychischer Schäden begangen werden. Die Intensität bzw. das Verletzungsrisiko der Handlungen überschreiten auch dann, wenn die Absicht der erzieherischen Einflußnahme auf ein Kind verfolgt wird, zweifelsfrei die gesetzlichen Grenzen des elterlichen Züchtigungsrechtes." (Wetzels 1997, S.77)

3.2 Gesetzesgrundlage

Trotz vieler Veränderungen im Hinblick auf Erziehung ist Züchtigung in aller Form noch nicht gesetzlich verboten. Der sogenannte Züchtigungsparagraph §1631 Abs. 2, BGB besagt derzeit, daß lediglich "entwürdigende Erziehungsmaßnahmen" unzulässig sind, wobei der Spielraum für die Auslegung sehr groß ist.

Am 3. Mai 1980 wurde Das Deutsche Kindermanifest als eine Liste der Rechte von Kindern in der Öffentlichkeit vorgestellt, und am 20. November 1989 beschloß die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der "Konvention über die Rechte des Kindes" ein umfangreiches Übereinkommen über die Rechte der Kinder, wobei der Artikel 19 den Schutz vor Gewaltanwendung, Mißbrauch und Verwahrlosung beinhaltet. Trotz dieser Festschreibungen wurde der § 1631 noch nicht geändert, obwohl er heftig diskutiert wurde. So erschien im Frühjahr 1999 ein Referentenentwurf zum § 1631 Abs. 2 BGB: "Jedes Kind hat ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.", da der geltende Text die Abgrenzung erlaubter von verbotenen Maßnahmen nicht ausreichend deutlich macht.

3.3 Ursachen körperlicher Gewalt gegen Kinder

Körperliche Gewalt gegen Kinder kann verschiedene Ursachen haben, von denen hier einige lediglich knapp benannt werden sollen:

- Beeinträchtigungen im Selbstwertgefühl der Eltern, beispielsweise durch Arbeitslosigkeit oder wirtschaftliche Krisensituationen
- Soziale Isolation der Familie in Verwandtschaft und Nachbarschaft
- ein gesellschaftliches Umfeld mit vielen aggressiven Handlungen und Verbrechen
- ungünstige Wohnverhältnisse (zu kleine Wohnung, desolate Bedingungen)
- Mißhandlungserfahrungen der Eltern in der eigenen Kindheit
- Eine geringe Hemmschwelle der Eltern durch Alkohol- oder Drogenkonsum
- Unfähigkeit zur Erziehung
- Behinderung oder Verhaltensauffälligkeit des Kindes3

Aus diesen Ursachen der Gewalt gegen Kinder ergibt sich, dass neben dem aggressiven Verhaltensweisen oft noch weitere Probleme in der Familie, wie Alkoholabhängigkeit, psychische Störungen der Eltern oder eine negative wirtschaftliche Lage eine Rolle spielen, wobei sich alle Arten von Problemen gegebenenfalls gegenseitig bedingen können.

3.4 Mögliche Folgen von Gewalt im Elternhaus

Die Folgen der Anwendung körperlicher Gewalt lässt sich in zwei Bereiche aufteilen:

a) Körperliche Folgen

Körperliche Folgen von Züchtigung und Mißhandlung hängen davon ab, wodurch und wie stark Gewalt eingesetzt wird. Sie beinhalten Verletzungen an untypischen Stelle, wie zum Beispiel Gesäß und Rücken, sowie auffällige Verletzungsmuster, wie Striemen, Hand- oder Stockabdrücke.4 Außerdem blaue Flecken oder Knochenbrüche, die jedoch keineswegs Indizien elterlicher Gewaltanwendung sein müssen, sondern auch durch Unfälle entstanden sein können.

b) Folgen, die sich nicht auf den körperlichen Bereich beziehen

Es stellt sich individuell verschieden dar, wie schwerwiegend die Folgen für das einzelne Kind sind, jedoch ist jede körperliche Strafe ,,mit einer seelischen Verletzung verbunden, mit einer Demütigung und mit Gefühlen von Ohnmacht und Angst." (John 1999, S.3) Die Folgen von Gewaltanwendung, die sich nicht auf den körperlichen Bereich beziehen, sind sehr vielfältig.

- Anpassung

Die Forschung beweißt, dass geschlagene Kinder zwar kurzfristig von ,,unerwünschten" Verhaltensweisen ablassen, langfristig jedoch kaum Veränderungen erreicht werden, sondern die Angst vor der Strafe bewirkt, dass das Kind nicht über freien Wahl- und Handlungsmöglichkeiten verfügt.5 Durch eine Strafe kann höchstens Anpassung erreicht werden, die jedoch nicht auf persönlicher Einsicht, sondern lediglich aus Angst vor weiterer körperlicher Gewalt beruht.

- Angst

Jede Form der Gewaltanwendung löst Angst aus. So wird sich ein Kind, welches zur Strafe geschlagen wurde bei jedem Fehlverhalten vor weiterer körperlicher Bestrafung fürchten, oder in schweren Fällen sogar Angst in Situationen zeigen, die an den Misshandlungskontext erinnern.

- Störungen des Selbstwertgefühls

Durch körperliche Gewalt wird einem Kind gezeigt, dass es dem Elternteil körperlich unterlegen ist, wodurch es kaum Wertschätzung erfährt. Dies, sowie die Ängste, Schmerzen und Demütigungen, die durch Züchtigung und Mißhandlung beim Kind entstehen können, beeinträchtigen das Selbstwertgefühl nachhaltig. Außerdem suchen Kinder oft bei sich selbst die Schuld für körperliche Misshandlungen, was dem Selbstbewusstsein weiter schadet.

- Aggressivität

Auch Aggressivität ist als Folge von Gewalterfahrungen durch die Eltern in der Kindheit anzusehen. Die natürliche Reaktion auf psychischen und physischen Verletzungen, die durch körperliche Gewalt am Kind entstehen, nämlich Wut und Zorn, werden verboten, unterdrückt und verdrängt. Sie können sich jedoch später in zerstörerischen Akten gegen andere (Kriminalität) oder gegen sich selbst (Autoaggression, Suizid, Drogenmissbrauch...) äußern. Hier besteht weiterhin die Gefahr, dass Opfer von Gewalt im Elternhaus ihre eigenen Kinder mit den selben Mittel erziehen.6

- Frühe Ablösung vom Elternhaus

Außerdem kann eine frühzeitige Ablösung von den Eltern eine weitere Folge von Misshandlung oder Züchtigung sein, da das Eltern-Kind-Verhältnis durch die Gewaltanwendung erheblich belastet wird. So kann es passieren, dass Kinder, vor allem aber Jugendliche, die geschlagen werden, aus dem Elternhaus flüchten, und den Weg auf die Straße, in Heime, oder andere Jugendhilfeeinrichtungen wählen. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass sich die Flucht eher auf gedanklicher Ebene vollzieht, dass sich Jugendliche also bewusst von ihren Eltern abgrenzen, versuchen, anders zu sein, und zu rebellieren.

Weiterhin kann es auch zu schweren psychischen Erkrankungen, wie Traumata oder Phobien kommen, auf die jedoch hier aufgrund ihres Umfangs nicht im einzelnen eingegangen werden soll.

4 Der Fall Sven

4.1 Anamnese

Sven Meyer (Name geändert) wurde 1984 als zweites Kind der Familie Meyer geboren. Seine Mutter arbeitet als Sekretärin in einem größeren Unternehmen und sein Vater ist als Lehrer an einer Hauptschule, die sich in einem sozialen Brennpunkt befindet, tätig. Sven hat eine 21jährige Schwester, die nicht mehr in der Familie lebt und inzwischen zwei eigene Kinder hat. Der Kontakt zu ihren Eltern ist völlig abgebrochen. Svens Vater tritt in der Erziehung sehr ambivalent in Erscheinung. Einerseits ist es ihm wichtig, seinen Sohn zu einer gesellschaftlich anerkannten Persönlichkeit zu erziehen. Andererseits ist er, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, zu angespannt, um einen sinnvollen erzieherischen Einfluß auf seinen Sohn auszuüben.

Nach Aussagen von Sven wurde er von seinem Vater seit seiner Einschulung körperlich mißhandelt. Besonders wenn der Vater unter Streß steht, genüge der kleinste Anlaß, um die Situation zum Eskalieren zu bringen. Dies zeigt sich in mehrfachen Schlägen mit diversen Gegenständen.

Svens Mutter steht dem Verhalten ihres Mannes legitimierend gegenüber, da sie selbst Züchtigung als Erziehungsmittel verinnerlicht hat. In der Familie hat sie die Erzieherrolle übernommen, da sie nur halbtags tätig ist. In ihrer Erziehung ist sie sehr konsequent und ohrfeigt Sven "lediglich" als Strafe oder im Affekt bei Fehlverhalten. Sven wurde 1991 altersgerecht eingeschult, und zeigte seinem Alter entsprechende physische und psychische Leistungen.

Mit 13 Jahren wurde Sven das erste Mal straffällig. Es folgten weitere Delikte, wie Diebstahl und Körperverletzung. Außerdem verbrachte Sven seine Freizeit immer häufiger mit der rechten Szene zugehörigen Jugendlichen. Daraufhin eskalierte die Situation im Elternhaus immer häufiger, worauf Sven schließlich mit 14 Jahren von zu Hause weglief und Aufnahme in einem Kinder- und Jugendnotdienst fand, von wo aus er nach mehrtägigem Aufenthalt von den Eltern wieder nach Hause geholt wurde. Nachdem sich jedoch Svens Fluchtversuche aus dem Elternhaus häuften, und er in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen oder bei Freunden Aufnahme fand, veranlaßte das zuständige Jugendamt eine Heimeinweisung, mit dem Ziel, Sven auf eine betreute Wohnform vorzubereiten.

4.2 Aktuelle Situation

Gegenwärtig besucht Sven die 10. Klasse einer Realschule, die er voraussichtlich erfolgreich abschließen wird. Er befindet sich noch im Kinderheim und wird von seinen Eltern kaum besucht.

Da Sven zum wiederholten Male straffällig geworden war, lernte ich ihn in meiner Praxiseinrichtung kennen, wo er gegenwärtig einen sozialen Trainingskurs belegt. Diese Auflage erhielt er aufgrund von Körperverletzung.

Sven ist ein offener, höflicher Jugendlicher, der sich in die Gruppe gut eingefügt hat, und von sich aus viel erzählt. Bei Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gruppe, oder wenn er sich ungerecht behandelt fühlt, neigt er jedoch zu aggressivem Verhalten. Ziel für ihn im sozialen Trainingskurs ist es, Möglichkeiten zu erlernen, sein eigenes Verhalten besser zu kontrollieren, worauf mit Mitteln, wie Rollenspielen oder Gesprächen hingearbeitet wird. Den Trainingskurs wird Sven voraussichtlich erfolgreich beenden, da er pünktlich ist, noch nicht gefehlt hat, und sich positiv in die Gruppe einbringt und offen zu allen Themen seine Meinung sagt.

Zu seinen Eltern hat Sven immer noch kein positives Verhältnis, da ihm seine frühe Flucht aus dem Elternhaus immer wieder vorgeworfen wird. Er selbst schätzt die Heimeinweisung als positiv und nützlich ein, da er nach eigenen Angaben die Situation zu Hause nicht länger ertragen hätte. Die Vorwürfe seiner Eltern und die Tatsache, dass sie sich trotzdem wenig um ihn bemühen, scheinen ihn jedoch nach wie vor sehr zu treffen.

Sven möchte nach Abschluß der 10. Klasse eine Lehre als Tischler beginnen, und in ein betreutes Wohnen wechseln, um ein selbständiges Leben führen zu können. Hierbei ist es wichtig, dass Sven gegenwärtig durch die Erzieher im Heim Anleitung in lebenspraktischen Dingen, wie der Führung eines Haushaltes, oder Behördengänge, erhält, so dass er zu einem eigenständigen Leben befähigt wird.

4.3 Analyse des Ablösungsprozess von Sven

Wie unter Punkt 4.1 erwähnt, wurde Sven schon in früher Kindheit mit Gewalt im Elternhaus konfrontiert.

Ursachen der Mißhandlung durch den Vaters könnten darin liegen, dass dieser dem nach der Wiedervereinigung Deutschlands ständig größer werdenden beruflichen Druck nicht gewachsen war. Seine Schüler begannen plötzlich, sich gegen die herrschende Ordnung aufzulehen, und Herr Meyer wurde im Laufe der Jahre immer mehr mit verhaltensauffälligen Jugendlichen konfrontiert, was darin Begründung findet, dass die Hauptschule, an der er unterrichtet, sich in einem sozialen Brennpunkt befindet.

So wurde es für ihn immer schwerer, seine Autorität unter Beweiß zu stellen und sich im Klassenverband durchzusetzen, was ihn nervlich so stark belastete, dass es ihm nicht möglich war, genug Geduld für die Erziehung seines eigenen Kindes aufzubringen. Auch durch seine Mutter hat Sven, wie bereits erwähnt, körperliche Gewalt erfahren, da diese von Frau Meyer als Erziehungsmittel legitimiert wird.

Mit 13 Jahren, also etwa mit Pubertätsbeginn, machte sich Sven das erste Mal durch Körperverletzung strafbar. Diese Tat könnte darin begründet sein, dass Sven die negativen Gefühle, wie Demütigung, Enttäuschung und Aggression, die durch die Schläge seines Vaters entstanden waren, nicht mehr verarbeiten konnte, und sie dadurch zum Ausdruck brachte, dass er einen Mittschüler, der ihn provozierte, verprügelte.

Von da ab folgten weitere Delikte, wie Ladendiebstähle und wiederholt Körperverletzungen. Auch durch seine Clique, welche zum größten Teil als straffällig gewordenen Jugendlichen bestand, rutschte Sven immer mehr ins kriminelle Milieu ab. Sven ließ sich zu dieser Zeit sehr leicht negativ von seinen Freunden beeinflussen, was eine Ablösung von den Eltern auf der psychologischen Ebene signalisiert. Außerdem könnten seine wiederholten Straftaten darauf hinweisen, dass er unbewußt versuchte, sich von seinen Eltern, welche ein bürgerliches Leben führen, zu distanzieren. Er entwickelte zu dieser Zeit einen Lebensstil, der sehr konträr zu dem seiner Eltern stand, was auf eine Ablösung auf der kulturellen Ebene hinweist. Sven begann also mit Beginn der Jugendphase immer mehr, sich gegen seine Eltern aufzulehnen, und gegen die gesellschaftliche Rolle, in welcher ihn sich seine Eltern wünschten zu rebellieren.

Die Folge davon waren häufige Streitereien im Elternhaus, sowie weitere Schläge und andere Bestrafungen durch die Eltern, was wiederum dazu führte, dass Sven noch aggressiver wurde. Es entstand also ein Teufelskreis, der nur schwer durchbrochen werden konnte. Als Sven 14 Jahre alt war, wurde die Situation im Elternhaus für ihn so unerträglich, daß er von zu Hause weglief und zunächst in einem Kinder- und Jugendnotdienst Aufnahme fand. Da die Eltern jedoch dadurch ihr Ansehen im Ort gefährdet sahen, wurde er nach mehreren Tagen von ihnen nach Hause geholt. Es folgten jedoch weitere Fluchtversuche in andere Einrichtungen oder zu Freunden. Auf diese Weise versuchte Sven auch die Trennung auf räumlicher Ebene von den Eltern zu vollziehen, was ihm schließlich durch eine Heimeinweisung, welcher die Eltern eher widerwillig zustimmten, gelang. Diese Trennung erfolgte jedoch kaum auf natürlicher Basis und allmählich, sondern stellte vielmehr einen plötzlichen Einschnitt für alle Beteiligten dar, da sie nur wenige Monate, nach seinem ersten Weglaufen stattfand. Dabei ist ein klarer Fluchtcharakter zu erkennen, da Sven durch diese Trennung versuchte, den drohenden körperlichen und seelischen Gefahren und Verletzungen im Elternhaus zu entkommen.

Das Verhältnis zwischen Sven und Herr und Frau Meyer ist gegenwärtig, ohne Aussicht auf baldige Besserung, sehr angespannt.

Es war Sven noch nicht möglich, eine Trennung auf materieller Ebene zu vollziehen, da er noch kein eigenes Geld verdient. Die Finanzierung eines Heimplatzes ist jedoch so geregelt, dass der Jugendliche nicht mehr direkt finanziell von den Eltern abhängig ist, sondern er über das Heim ein monatliches Taschengeld bezieht. Gegenwärtig arbeitet Sven darauf hin, eine Lehrstelle zu bekommen, wodurch er auch auf materieller Ebene selbständig werden könnte, was ihm sehr wichtig ist.

4.4 Zusammenfassung

An Svens Beispiel läßt sich zeigen, dass durch Gewalterfahrungen in der Kindheit und Jugend auch der natürliche Ablösungsprozess beeinflußt wird. Wie im Fall von Sven hat sich die Ablösung nicht natürlich und schrittweise im gegenseitigen Einverständnis zwischen Eltern und ihm vollzogen. Vielmehr wird vor allem bei der Trennung auf räumlicher Ebene ein Fluchtcharakter deutlich. Es war ihm nicht möglich, sich vor dem Verlassen des Elternhauses auf die Situation außerhalb der Familie einzustellen, wie es bei einer gelingenden Ablösung der Fall ist.

Svens Fall hat keine Gemeingültigkeit, sondern stellt vielmehr eine Entwicklungsmöglichkeit bei der Ablösungsproblematik dar. Auf andere Möglichkeiten, wie die Flucht auf die Straße und eventuell damit verbundene negative Entwicklungen, wie Kriminalität, Prostitution oder Drogenmissbrauch kann an dieser Stelle aufgrund der Komplexität des Themas nicht eingegangen werden.

5 Resümee

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Jugendphase eine erhebliche Rolle in der Entwicklung eines Menschen spielt, da er durch die Bewältigung der ihr zugrunde liegenden Entwicklungsaufgaben befähigt wird, ein von Bezugspersonen unabhängiges Leben zu führen.

Die Überwindung der emotionalen Abhängigkeit und die Verringerung des Kontaktes zu den Eltern sind nötig, um zu größerer Selbständigkeit zu gelangen und frei zu werden zugunsten anderer Beziehung.

Negative Erfahrungen in der Kindheit und Jugendphase, wie die hier beschriebene Gewalt im Elternhaus können jedoch dazu führen, dass die Entwicklung im Jugendalter ungünstig beeinflusst wird.

Es ist also Aufgabe der Eltern, ihre Kinder gewaltfrei zu erziehen. An dieser Stelle soll in keiner Weise eine völlig antiautoritäre Erziehung befürwortet werden, da das Erlernen von Regeln und Normen unumgänglich ist. Jedoch sollten Eltern Geduld und Verständnis in die Erziehung einbringen und Verhaltensänderungen oder Beeinflussungen der Kinder, soweit diese notwendig sind, durch Gespräche und Erklärungen, vor allem aber durch ein positives Vorbild herbeiführen, um ihnen damit die Möglichkeit zur Lösung der Entwicklungsaufgaben zu geben und ihnen zu helfen, selbständige, verantwortungsbewusste Erwachsene zu werden.

6 Literaturverzeichnis

Baacke, Dieter: Die 13 - 18jährigen. Weinheim und Basel. 7. Auflage. 1994

Giesecke, Hermann: Einführung in die Pädagogik. Juventa. 5. Auflage. 1969

Helfferich, Cornelia: Jugend Körper und Geschlecht. Opladen. 1994

http://www.mittendrin-magazin.de/archiv/200/gewaltfrei.html

http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/kjpp-034.htm

Hurrelmann, Klaus: Lebensphase Jugend. Weinheim. 6. Auflage. 1999

Miller, Alice: Am Anfang war Erziehung. Frankfurt am Main. 1983

Rauchfleisch, Udo: Allgegenwart von Gewalt. Göttingen, Zürich. 2. Auflage. 1996

Sozialgesetzbuch; Achtes Buch; Kinder- und Jugendhilfe

Wetzels, Peter: Gewalterfahrungen in der Kindheit. Baden-Baden. 1997

[...]


[1] Vgl. Hurrelmann 1999, S.142

[2] Vgl. Helfferich 1994, S.70

[3] Vgl. Baacke 1994, S. 136f.

[4] Vgl. AWMFonline (Internet)

[5] Vgl. Mittendrin (Internet)

[6] Vgl. Miller 1983, S.13

Fin de l'extrait de 13 pages

Résumé des informations

Titre
Flucht in der Ablösephase als Folge von körperlicher Gewalt im Elternhaus
Cours
Soziologie der Lebensalter
Note
1,1
Auteur
Année
2000
Pages
13
N° de catalogue
V99340
ISBN (ebook)
9783638977845
Taille d'un fichier
437 KB
Langue
allemand
Mots clés
Flucht, Ablösephase, Folge, Gewalt, Elternhaus, Soziologie, Lebensalter
Citation du texte
Candy Pfeifer (Auteur), 2000, Flucht in der Ablösephase als Folge von körperlicher Gewalt im Elternhaus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99340

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